Finke 1 – Forsetzung

Sehr geehrter Herr Schlagmann,

vielen Dank für Ihre Einladung, meine Kommentare auf http://netzwerkb.org/2013/10/03/pladoyer-fur-einen-runden-tisch-psychotherapie-opfer/ hier fortzuführen. Es wäre sicher eine Überfrachtung, die gesamten rund 2.500 Worte hier schlicht zu kopieren, ich will mich daher in einem zweiten Kommentar gern an einer Zusammenfassung versuchen.
Damit aber wage ich mich mehr auf Ihr Gebiet, als auf meinem zu bleiben. Daher möchte ich zuerst – sozusagen aus der Froschperspektive des Betroffenen – auf Ihren kenntnisreichen Artikel reagieren.
Oder besser gesagt, nicht nur aus der Froschperspektive des Betroffenen. Sondern aus dem persönlichen Blickwinkel der Literatur auf die Psychoanalyse (so oft wird umgekehrt aus der Perspektive der Psychoanalyse auf die Literatur geblickt – und was für entsetzliche Missverständnisse finden sich da).
Wenn ich mich richtig erinnere (ich muss leider aus dem Gedächtnis zitieren, das Buch ist vor über einem Jahrzehnt in der Konkursmasse einer Beziehung auf der falschen Seite gelandet), ist auch der undogmatische Psychoanalytiker Tilman Moser zu Beginn seines – aus heutiger Sicht eigentlich unverdienten – 80er-Jahre-Bestsellers “Kompass der Seele” auf Dörte von Drigalskis “Blumen auf Granit” eingegangen.
Dabei nimmt er den Kern ihrer Kritik auf, gibt ihr aber sozusagen en passant noch einen mit, indem er ihren Text als larmoyant und (paraphrasiert) so etwas wie nachtragend oder rachsüchtig bezeichnet. Auf diese Weise schwächt er die Wucht der Kritik ab und kann sich danach für seine scheinbar abwägende Erörterung herauspicken, was ihm passt – um am Ende eben doch die Psychoanalyse als hilfreich und positiv zu kennzeichnen, die nur hier und da leicht reformiert werden müsste.
So ersetzt oder zumindest verstellt eine ästhetisierende Rezension die inhaltliche Auseinandersetzung.
 
Ähnlich ist es mir vor einigen Tagen begegnet, als ich auf einem Facebook-Forum (ZEITMAGAZIN) auf die besagte Seite mit Herrn Schlagmanns Artikel zur Forderung eines Runden Tisches für die Psychoanalyse verwies. Statt einer Argumentation wurde – ziemlich höhnisch – behauptet, dass das Niveau der Debatte in den Kommentaren nicht besonders hoch sein, man müsse sich nicht damit beschäftigen.
Notabene, diese Kommentare sind – zum Teil erste – öffentliche Bekundungen, in der Therapie (meist) sexuell (in meinem eigenen Fall seelisch) missbraucht worden zu sein.
Aber das quasi-ästhetische Verdikt, das man zuspitzen könnte als “darin ist mir nicht genug französische Philosophie und Soziologie enthalten”, hilft der Harthörigkeit, harthörig zu bleiben.
M.a.W.: Die Abwehr, das Leid zur Kenntnis zu nehmen, das die idealisierte Psychoanalyse strukturell verursacht (indem eben diese Struktur unkontrollierter und intransparenter Asymmetrie zum seelischen und weitergehenden Missbrauch einlädt), sucht sich noch das abseitigste, zynischste, fernstliegendste Schutzmotiv der fehlenden Ästhetik des Ausdrucks, um bloß nicht gestört und mit Unannehmlichem konfrontiert zu werden.
Der Aufschrei der Opfer – oder um es moderner und zukunftsorientierter zu sagen: der Überlebenden der traumatisierenden psychischen Gewalt (und in diesem Sinne bezeichne ich mich selbst als Überlebenden) – ist halt nicht hübsch genug. 
Psychoanalytiker benutzen dies, um den zerstörerischen Aspekt ihrer Arbeit vor sich selbst zu verleugnen; Interessenten außerhalb der Psychoanalyse, das Leid, die Zerstörung usw. an die Psychoanalyse als Fachdisziplin zu verweisen.
“Mir könnte das nicht passieren.”
“Sicher verdrängst du nur und hast den Analytiker nicht verstanden, ich sehe doch, dass bei dir etwas nicht stimmt.”
“Diese Beschreibung der Destruktivität der Psychoanalytiker ist rachsüchtig.”
“Dein Leiden ist nicht ästhetisch.”
 
Es muss also etwas her, das es dem Leser erlaubt, das Leiden empathisch verstehend nachzuvollziehen – ohne dass er sich dadurch bedroht fühlt, dass er dem Leiden zu nahe kommt.
 
Etwas ganz anderes, am Rande:
 
Eben dies ist – und sollte es auch und gerade für die Psychoanalyse sein – ein Argument PRO Literatur, die bekanntlich die ästhetische Form bereitstellt, das sonst Unerträgliche erträglich darzustellen – und dem Bewusstsein zugänglich zu machen.
Was wüssten wir über die Schrecken des Krieges ohne die Illias und ihre Nachfolger. Über die menschliche Verwirrung ohne die Odyssee und ihre Kinder. Wenn – wie Herr Schlagmann im anderen Thread sagte – die Psychoanalyse der Literatur vorwirft, letztlich nur der Perversion Raum zu geben (ein Argument übrigens, das sehr hübsch den Konservativen und Autokraten aller Länder in die Hände spielt, Literatur zu verbieten), so muss man vielmehr in die Gegenrichtung lesen: Die Literatur ERLAUBT die Darstellung des sonst Verbotenen und eröffnet dieses so dem kritischen Diskurs.
Daher ist die Literatur per se antiautoritär. Sie macht Verbotenes, Verborgenes, Unterdrücktes, Unbewusstes sichtbar, und nicht nur Perversionen, sondern auch im Politischen, im Sozialen usw.
Sophokles’ “Antigone”, die “Gegenfrau”? Die Auseinandersetzung zwischen antik-athenischer Autorität und weiblich-selbstbestimmter Graswurzelrevolution (gegen die Götter, gegen das Gesetz, gegen das Familienoberhaupt, gegen das Patriarchat usw.), die mit dem passiven, eingemauerten Ersticken endet, dem die Protagonistin nur entgehen kann, indem sie sich aktiv selbst erhängt, bis zuletzt selbstbestimmt, aber tragisch dem Untergang geweiht.
Shakespeares “Julius Caesar”? Die Auseinandersetzung zwischen dogmatischer Autorität des ehrenwerten Mannes (Cäsarmörder), die im berühmtesten Attentat der Geschichte gipfelt – und dem durch sie verursachten Chaos, das viel schlimmer ist als alles durch sie Verhinderte. Im blutigen Zeitalter der Tudor-Könige, auch Elisabeths I., in dessen London gern auch mal die Köpfe der Hingerichteten auf die Tower Bridge aufgespießt wurden, und in dem das Ausweiden als Gerichtsstrafe ein tägliches Vorkommnis war, ließ sich so etwas offen nur auf diese Weise diskutieren – und nur durch die bezwingende Logik Shakespear’schen Katastrophenerzählens auch erträglich.
Arthur Schnitzlers “Leutnant Gustl”? Angesiedelt im sexuell verklemmten, dafür aber übermilitarisierten Wien der Spätjahre Franz Josephs I., genau dem Zeitalter Freuds, der seinen aufklärerischen Drive aus eben dieser Atmosphäre bezieht, nimmt die Novelle das herrschende Bild des feschen Soldaten minutiös auseinander, wie es sich keine Fallgeschichte leisten könnte – sie wäre schlicht unlesbar.
Wie jede gute Literatur erschöpft sich keines dieser Meisterwerke in der beschriebenen Ebene. Literarische Meisterwerke machen sich zusätzlich glaubwürdig, indem sie tiefere Motive mitspielen lassen – die dem Autor aber nicht “passieren”, sondern die er halbbewusst setzt. Ein guter Autor schwingt sich auf die Geschichte ein und gibt ihr mit, was sie braucht.
Hinterher setzt sich der lesende Psychoanalytiker hin, sucht ein oder zwei Motive heraus, glaubt, er hätte den Autor gefunden (und nicht seine erzählende Meisterschaft), verallgemeinert das auf alle Werke, bezieht das auf alle Autoren – und hat seine ubiquitären “Perversionen” gefunden.
Er entkleidet die genutzten Motive der literarischen Form – und damit vernichtet er die Leistung der Literatur. Was diese noch erzählbar, ja, gustierbar gemacht hat (was wäre ein “Macbeth” ohne Mord und Totschlag?, nur ein Übermaß an Sprache; was aber wäre ein “Macbeth” ohne Shakespeares Sprache?, nur ein Übermaß an Mord und Totschlag – zusammen allerdings wird beides zu einem der größten Stücke der Weltliteratur), das macht der analysierende Psychoanalytiker zu einem unappetitlichen Spektakel. Er ist wie ein unbegabter Kunstkritiker, der die verschiedenen Farben eines Rembrandt-Gemäldes abkratzt, die so gewonnenen Farbfragmente auf einzelne Häufchen schichtet, feststellt, dass jenes mit den dunklen Farbsplittern überwiegt – und dann behauptet, im Kern habe Rembrandt einen Hang zum Dunklen, also zum Tod. Dass Rembrandt die dunkle Farbe als HINTERGRUND gebraucht hat, um das Helle, also das gefährdete Leben umso leuchtender hervortreten zu lassen, das sieht er nicht.
Das passiert, wenn eine sich selbst überschätzende Clique von Mittwochsgesellschaftern kenntnislos, dafür aber umso begeisterter mit ihrem stumpfen Besteck bewaffnet, sich über große Kunst hermacht. Nur weil das Besteck seinerzeit neu war, muss es jedoch nicht schärfer schneiden. 
“Perversionen” also – und wieder ein Motiv für die Abwehr.
Nebenher eine weitere Überraschung: Ist das, die Beschäftigung mit dem Verbotenen, der Perversion, nicht genau das gegnerische Argument, mit dem die Psychoanalyse in ihrer Anfangszeit am meisten zu kämpfen hatte? 
Nun gab sie es, während sie sich selbst zunehmend etablierte, wie an einen Blitzableiter an die Hochliteratur ab. 
Was wehrt er, der Analytiker, der sich im Besitz des neuesten Bestecks auf dem Gebiet des Intellektuellen weiß, in der Literatur eigentlich ab? Nur die Perversion?
Das glaube ich nicht. Wir alle wissen, dass der Psychoanalytiker in seiner Praxis der Chef im Ring ist. Begründet von Ärzten, Bildungsbürgern und sozial bzw. politisch depravierten jüdischen Mitbürgern des von Antisemitismus ja nicht eben verschonten Habsburger Reichs, war die neue Richtung der Medizin ihr Ersatz für reale politische Macht. Freud, im zivilen Leben lange genug vom Machtzentrum entfernt und unbeachtet vom Adel, dem die wahre Macht in Händen lag, schuf sich seine eigene Machtbasis in seiner Praxis.
Der herrschenden, auf den Kaiser zugeschnittenen autoritären politischen Struktur seiner Zeit verhaftet, hat Freud es vermocht, sich seine eigene Privatbaronie in der Psyche seiner Patienten zu erstellen – sein eigenes Reich, in dem er die Rolle des Kaisers übernimmt, des unumschränkten Herrschers, dem der hilflos hingelagerte Patient, der des Analytikers mystifizierte Autorität, die da hinter seinem Kopfende dräut, nicht sieht, nicht sehen soll (und hier geht es über den Kaiser hinaus, zum Anschauens- und Bilderverbot der nur in einer unsichtbaren Stimme manifestierten religiösen Autorität, zum letzten, leeren, verbotenen Raum im Tempel, in dem die mystische Gottheit wohnt), kurz: Freud schafft sich ein Reich, das ist nicht von dieser Welt – sondern in der Psyche seiner Adepten und Patienten.
Damit erfindet er sich eine autoritäre Struktur, die einer Nomenklatur, einer Dogmatik und eines abstrakten Vokabulars bedarf.
 
Literatur aber ist das Gegenteil. Literatur beschreibt genau und buchstäblich.
Literatur benutzt den konkreten Einzelfall, sie ist bewusst bedeutungsoffen und erlaubt dem Leser, seine Schlüsse zu ziehen.
Abstrahieren kann jeder Depp, und je abstrakter, desto blöder (man höre einmal zwei Minuten in die pervertiert ausgedünnte Sprache extremer politischer Parteien hinein). Der Intellektuelle, wie Hegel einmal feststellt – er sprach noch vom “Gebildeten” -, bleibt hingegen am Konkreten, er würdigt den Einzelfall, den er ZEIGT, statt zu behaupten. Das Konkrete aber hat es, in seiner Fülle gewürdigt, immer wieder an sich, Gegenteil zu sein, nicht eindeutig zu sein, verschiedene Entwicklungen und Richtungen zuzulassen.
Anders gesagt, die Literatur weiß, dass jederzeit auch alles ganz anders sein könnte. Sie reflektiert die eigene Sprache und schlägt aus ihrer eigenen Distanz dazu, Funken der Erkenntnis – die sich gelegentlich auch als Humor, als ver-rückte Perspektive, als literarische Volte, als Gegenentwurf zum Bestehenden zeigen können.
Insofern, als die Literatur Alternativ-Entwürfe erzählt (“es könnte auch so sein”), ist sie immer potenziell aufklärerisch, potenziell kritisch, grundsätzlich antiautoritär, potenziell anarchistisch. Brecht zum Beispiel war nach einer Beobachtung von Max Frisch immer dann am besten, wenn er nicht marxistisch war. Man könnte geradezu ein allgemeines Gesetz formulieren: Je enger das der Erzählung aufgesetzte Raster, desto ärmer die Literatur.
Das sind Eigenschaften, die ein Psychoanalytiker ablehnen muss, wenn er gegenüber einem Schriftstellerpatienten seine unumschränkte Machtbasis im Gefolge Freuds, die sich als Paternalisierung legitimiert, behalten will. Schriftsteller sind die schwierigsten Patienten, weil sie den Analytiker beim Wort nehmen. Sie hinterfragen seine Formulierungen. Sie klopfen seine Aussagen, die oft genug geheime Botschaften ans Unbewusste enthalten (sollen), auf ihre Nebenbedeutungen und Valenzen ab.
Sie wollen verstehen, was er sagt. Sie wollen, dass er ihren Verstand, ihre Intelligenz, ihre Wachheit mitnimmt in den Erkenntnisprozess. Gute Psychoanalytiker – die gibt es ja auch – können das zulassen und unterstützen. Schlechte Psychoanalytiker – und dass es ein paar gute gibt, macht es ja nicht besser – können es nicht.
Wenn der Schriftsteller davon spricht, dass er stark genug ist, sich dem Erzählstrom zu überlassen, ohne verloren zu gehen, deutet der schlechte Analytiker, “das ist das Magische”. Abwehr!
Wenn der Schriftsteller fragt, was der Analytiker damit meine, “das Magische”, kann der schlechte Analytiker es nicht erklären. Seine Machtposition ist bedroht, er schweigt.
Der Schriftsteller, der sich darüber aufregt, dass der Analytiker ihm etwas mitteilt, ohne ihm mitzuteilen, was er ihm da mitgeteilt wird, wird ärgerlich. Der Analytiker hält das für einen Wesenszug des Schriftstellers (die Verärgerung von Schriftstellerpatienten auf die Destruktivität des Analytikers der Sprache gegenüber wurde in der Fachliteratur bereits als typische Reaktion beschrieben) – versteht jedoch nicht, dass er selbst es ist, in seiner aggressiven Gewalt, die diese Reaktion hervorrief.
Der schlechte Analytiker kennt Patterns. Der Schriftsteller hingegen kennt 100 verschiedene Wege, etwas konkret, genau und sachlich auszudrücken. Er ist “der letzte Spezialist des Allgemeinen”, seine genaue Wahrnehmung hat sich über Jahrzehnte hin an der Sprache entwickelt (ich muss genauer hinsehen, um es zu beschreiben), seine Sprache hat sich über Jahrzehnte hin an der Wahrnehmung geschärft (ich muss genauer beschreiben, um dem Wahrgenommenen gerecht zu werden).
Der Analytiker kennt sein Vokabular, und wenn er gut ist, ein paar rhetorische Figuren – wenn er einem Schriftsteller begegnet, der seine Sprache (und deren Begrenzungen) durchschaut, fühlt der schlechte Analytiker sich in seiner konstruierten Dominanz bedroht. Der Analytiker glaubt, es gäbe so etwas wie natürliche Autorität (dabei ist nichts beschädigender für den offenen, den herrschaftsfreien Diskurs, als das “aggressive Selbstbehauptung” genannte Herumschnauzen von Analytikern). Daraus leitet er das Recht ab, ständig und dauernd besser zu beobachten, zu verstehen, zu formulieren als der Patient. Das auch dann, wenn der Patient besser beobachtet, schneller versteht, präziser formuliert als der schlechte Analytiker.
Dies nennt der schlechte Analytiker das Konkurrenzverhalten des Patienten. Der schlechte Analytiker macht einen Machtkampf draus und unterstellt diesen dem Patienten.
Usw.
 
Bei Freud war die Wiedergabe der Wirklichkeit des Patienten – für die dieser keine Sprache hatte – in der Sprache des Akademischen noch ein Fortschritt. Freud und die an der Literatur gelernte Sprache, ein Thema für sich!
Das Symptom wird zur Sprache gebracht (verstanden, erinnert, wiederholt, durchgearbeitet), und gut ist.
Heute hingegen ist die Wiedergabe des Tausendfältigen, das der Schriftsteller formulieren kann, in der Sprache der Psychoanalyse eine Reduktion.
Der Psychoanalytiker unterschätzt, dass der Schriftsteller, dass die Literatur insgesamt die klassische Psychoanalyse längst rezipiert hat. Darum glaubt der Analytiker vielleicht wirklich, dass er dem Patienten “Denkmöglichkeiten eröffnet” (so einmal die Aussage meines Folterers von Analytiker, als ich ihm sagte: “Sie verletzen mich” – darauf nämlich er: “Ich will Ihnen nur neue Denkmöglichkeiten eröffnen.”
– Sagt selbst, liebe Leser, geht es noch arroganter, harthöriger, autoritärer, destruktiver, narzisstischer, übergriffiger? Nimm einem Menschen den sprachlichen Ausdruck, und du eröffnest ihm Denkmöglichkeiten?? Was für Denkmöglichkeiten, in welchem Medium, wenn die differenzierte Sprache zerstört worden ist? Was für ein Großquatsch!! Geht es noch dümmlicher, noch dümmer???),
– der schlechte Analytiker, will ich sagen, glaubt vielleicht selbst, dass er den Patienten durch seine Reduktionen und Dekonstruktionen intellektuell erweitert.
In Wirklichkeit aber bringt er ihn nur autoritär auf Kurs. Statt zur Entfaltung beizutragen, formiert er. Statt dem Schriftsteller, wie z.B. ich es mir gewünscht hätte, zu helfen, sein Großtalent zu leben (jaja, ich weiß, Narzissmus, aber, liebe Psychoanalytiker, es gibt auch einen gesunden Narzissmus, lest und versteht endlich Kohut, ihr, die ihr eure eigenen besten Quellen nicht rezipiert, weil sie euch zu komplex sind, ihr bleibt hinter euren Möglichkeiten zurück!), statt ihm zur Entfaltung seines Talents zu verhelfen, was aber auch heißt: Die überbordende Kreativität des Patienten erst einmal auszuhalten, mithin selbst frei zu sein von behindernden Anteilen des Autoritären und Rigiden, – stattdessen, will ich sagen, bringt der schlechte Psychoanalytiker seinem Patienten bei, sein Licht unter den Scheffel zu stellen und sich der Autorität unterzuordnen.
Das Autoritäre ≠ Kreativität.
So ein Verhalten erklärt sich nicht aus der Theorie. Kein Psychoanalytiker, der den Menschen sieht, wird sich auf eine destruktive Theorie einlassen, die ihm gegen seinen humanen Impuls befiehlt, den Patienten zu beschädigen.
So etwas erklärt sich nur aus den verborgenen Impulsen des Analytikers selbst. Ein solcher Umschlag aus einem helfenden Beruf heraus in die Destruktion ist m.E. nur erklärbar aus verborgenen Motiven, die sich – wie im anderen Thread schon erwähnt – die destruktiven Ströme im Diskurs der Psychoanalyse zunutze machen.
Der erwähnte Psychoanalytiker-Folterer schrieb an einen Kollegen (den Brief habe ich in Kopie), er habe seinen Neid auf Herrn F.s intellektuelle und verbale Kapazitäten nicht “containen” können.
So herum wird ein Schuh daraus! Es sind die Motive des Analytikers, dessen Begrenzungen, seine Rigidität, sein Hass auf das Talent, welche die Grenzen der Therapie bezeichnen.
 
Und das geht alle Patienten an – und nicht nur das kleine eine Prozent Schriftsteller, die auf dem Altar der Psychoanalyse geschlachtet werden.
Denn alle Patienten werden an dem einen oder anderen Punkt der Psychoanalyse anfangen, ihre Talente zu entwickeln. Zumindest der Theorie nach. Der schlechte Analytiker dekonstruiert seinen Patienten, bringt ihn um seine Feinheiten, die differenzierten Verästelungen seines Intellekts, und glaubt, dann breche in einem (magischen!?) Prozess dessen “authentische Sprache” hervor (so ist es mir in der Tat nahe gelegt worden – das hat dieser … ich halte mich zurück … Mensch mit psychoanalytischer Ausbildung, der inzwischen in seinem Kölner Analytiker-Dunstkreis sogar aufgerückt ist zum Supervisor, tatsächlich gesagt: die “authentische Sprache” – dies im aufgeklärten Jahr 2004! – und, schlimmer noch, er hat es wohl auch so gemeint).
Das ist nun auf gleich mehrere Arten primitiv.
Ein Schriftsteller, der 30 Jahre lang in verschiedenen Studiengängen und jahrzehntelanger Praxis seine eigene Sprache entwickelt hat, der man ansieht: “Das ist F.” – der soll nun durch Einstampfen wie in einem Bootcamp seine Sprache verlieren, um sie dann umso authentischer wiederzugewinnen? Schwarze Pädagogik ist das.
Purer Schwachsinn ist das!
Und dann baue man sich wieder auf …
Wie immer wird es auch Patienten geben, denen das genau gut tut (ich kann es mir allerdings eigentlich nicht vorstellen). Wie immer wird der schlechte Psychoanalytiker darauf verweisen – und behaupten, es liege am einzelnen Patienten, dem dieser Flachsinn schadet, dass er ihm schadet.
Wie immer wird der schlechte Analytiker glauben, es habe der Patient zu sein, der zur Analyse als Methode passt; und nicht, dass es vielmehr die Methode zu sein hat, die zum Patienten passen muss.
Wie immer wird der schlechte Psychoanalytiker von gescheiterter Analyse reden und damit meinen, dass der Patient gescheitert sei – nicht hingegen, dass es gescheiter sei, von gescheiterter Analyse zu reden und diese auch zu meinen.
Nehmen wir aber einmal an, die Zerstörung der Sprache münde auf geheimnisvollen Wegen in der plötzlichen Entfaltung der “Authentizität” (was für ein nach Scholle und deutschem Wald und Pferdemist und Bauernhof riechendes Ding das auch immer sein soll) – und dann folge der Wiederaufbau der Persönlichkeit bis zu einer mittleren Differenziertheit, von der aus der Patient alles Weitere selbst leisten könne, um sich wieder auszudifferenzieren (so ist es in der Tat gedacht, das kann man in einschlägigen Werken nachlesen):
Zur echten Entfaltung können die Patienten dann aber nur kommen, wenn nicht der Psychoanalytiker, der sich – sich selbst überschätzend – für eine Vaterfigur hält, welche die Entfaltung seines Patienten prägend mitgenießt, auch für die Zukunft seinen narzisstischen Stempel auf die Fähigkeiten des Patienten drücken muss.
Was sie aber tun.
 
Ist es ein Zufall, dass in viel zu vielen analytischen Veröffentlichungen immer nur ein und dasselbe Beispiel für sprachliche Kreativität (“meine Gefühle durchfurien mich”) gebracht wird? Ist die Wiederholung des immer selben Beispiels wirklich ein Ausweis der Kreativität? Nicht eher umgekehrt?
Ist es wirklich ein Zufall, dass in so vielen Psychoanalyse-Praxen ein Konterfei Freuds hängt wie in anderen Amtsstuben Honecker oder – um bei Wien zu bleiben – Franz Joseph I., zu dessen Bild Joseph Roth, ein Schriftsteller, in “Radetzkymarsch” (und eben nicht Freud) schon alles Wesentliche gesagt hat?
Wie dem auch sei – Abwehr, Neid, Unverständnis, kleinbürgerlicher Hass auf die elitäre Kunst, die Verwechslung von Begriffen, die der Analyse dienen (erweiternd), mit Begriffen, auf welche das Analysierte reduziert wird (Destruktion) etc., Selbstüberschätzung und teilweise historische Dummheit (ich habe selten so viel Blödsinn über z.B. historische Vorgänge – oder andere, nach äußeren Quellen nachprüfbare Fakten und Vorgänge aus dem Reich der realen Welt – gehört wie in psychoanalytischen Praxen): All dies macht die Psychoanalytische Praxis zu einem Raum der Limitierungen des Analytikers, nicht des Patienten.
Weiter als der schlechte Analytiker, der auf alles und jedes seinen Stempel schlägt, kann der Patient sich aber kaum entfalten. Damit werden jedoch genau die Fähigkeiten, das intellektuelle und kreative Vermögen, welche die Patienten ursprünglich mitgebracht haben, mit einem eisernen Schwamm abrasiv verringert.
Wer einmal bei einem Vortrag mit Diskussion zehn Psychoanalytiker hintereinander sprechen hört, wird die eingeschränkte Familienähnlichkeit ihrer Sprache erkennen. Eine gewisse hohle Entkernung des Sprechens, eine Reduktion von Ausdrucksmöglichkeiten, ein gewisser abgestandener immergleicher Humor, eine autoritär-verunsichert-zerstörte Sprachpersönlichkeit drückt sich da aus, die schulenübergreifend ist.
Ich habe schon mehrfach Psychoanalytiker im Supermarkt oder im Zug daran erkannt, wie sie sitzen, gehen, sprechen, sich umdrehen, immer zu einer verachtenden reduzierenden Deutung bereit, eine Mischung aus Ich-weiß-es-besser und Ich-kann-im-Alltag-keine-Neurotiker-vertragen-und-das-sind-schließlich-alle-außer-mir und Interessant-du-kleine-Fliege, und ich konnte ihnen auf den Kopf zusagen, welcher Profession sie sind.
Manche waren stolz auf ihre Familienähnlichkeit, es stärkt ihre Identität. Dass diese Einordnung der Persönlichkeit unter die Formierung als Typus jedoch das Gegenteil von Kreativität ist, fiel ihnen natürlich nicht auf.
Und solche Leute soll ich beauftragen, meine Kreativität zu retten?
 
Leider habe ich erst zu spät erkannt, mit was ich es da zu tun habe – mit einer intelligenten Spielart von eingeschränkter Wahrnehmung, Sprache, Deutungsmustern, Patterns, Klischees, Verlust an Persönlichkeit und Unterordnung unter eine Autorität (sei es jetzt Freud oder Adler), die nicht anders hochgehalten wird als in einer Sekte ein Guru.
Solche Strukturen kennt man – geschlossenes Weltbild, Patterns, mit denen Kritiker mundtot gemacht werden, alleinselig machende Wahrheiten usw.: Aus destruktiven Psychokulten. Aus der Scientology. Aus der Satanismus-Szene.
Die Psychoanalyse in ihren schlimmsten Ausprägungen ist, so muss man es leider sagen, nichts anderes als eine dieser Sekten, welche die Wirklichkeit auf ihre Basis-Formeln hinunter deutet.
Natürlich gibt es auch eine andere Psychoanalyse. In Film, Fernsehen, Büchern, in Einzelfällen. Natürlich gibt es auch geglückte Psychoanalysen (hört man).
Meine Ärztin hingegen hat neulich erst wieder davon erzählt, wie oft Psychoanalyse-Patienten bei ihr auftauchen, von psychosomatischen Krankheiten heimgesucht, auf Jahre hinaus durch ihre Psychoanalyse geschädigt.
Geglückte Psychoanalysen sind sehr oft – nicht immer – Lehranalysen. Ein Mensch gibt sich auf, durchläuft einen Initiationszyklus, taucht auf der anderen Seite wieder auf, und hat einen neuen Beruf. Ein Nicht-Analytiker wird zum Analytiker – und alles, was er an persönlichem Potenzial dabei hat verabschieden müssen, verwandelt sich bei ihm in Stärke, in berufliche Identität, in ein neues Potenzial (nämlich in das, andere Menschen ähnlichen Prozessen zu unterwerfen).
Für jemanden, der eine Analyse durchläuft, ohne damit den neuen Beruf zu erobern, ist die Heldenreise durch die Praxis allerdings eine andere. Das, was hier verloren geht, geht wirklich verloren. Inwieweit das einem Analytiker klar ist, der seine eigene – oft, nicht immer – geglückte Analyse als glückliche Verwandlung und Erweiterung seiner eigenen Möglichkeiten begreifen muss, weiß ich nicht.
Weiß ein Analytiker, dass die Zerstörungen, die er anderen aufdrängt, von diesen nicht unbedingt als Bereicherung aufgefasst werden müssen?
Weiß der Analytiker, dass das Herunterdeuten der Vielgestaltigkeit des Wirklichen auf seine Handvoll Kategorien möglicherweise ein Verlust ist?
Was die Literatur weiß und übernimmt, ist die MÖGLICHKEIT von Interpretationsmustern zum Verständnis des Einzelfalls. Aber sie verliert den Einzelfall nicht. Sie versteht ihn, löst ihn aber nicht auf in einer aggressiv in die Praxis gebrüllten Deutung; sie hält ihr Erzählen erkenntnis- und bedeutungsoffen, damit hält sie, gerade indem sie ihn distanziert reflektiert, den Kontakt zur Wirklichkeit (und gerade dadurch spricht sie über das Allgemeine).
Die schlechte Psychoanalyse aber vernichtet das Besondere, sie setzt noch die 1001.  Erscheinungsform mit dem Basis-Motiv gleich; sie vernichtet ihren eigenen Kontakt zur Realität.
Das ist es, was ihre Sprache so aushöhlt. Und genau diese Differenz (der schlechte Psychoanalytiker versteht nicht, aber spürt, dass die Literatur und seine eigenen schwachen Bemühungen aus gegensätzlichen Quellen gespeist sind – Literatur und Psychoanalyse sind natürliche Feinde, und beide haben es in der Verbundenheit ihrer Hassliebe bisher nicht gemerkt -), die Differenz der Sprache, der Denk- und Wahrnehmungsmöglichkeiten, die Weite der Literatur gegen die im Vergleich dann eben doch erbärmliche Eingeschränktheit der schlechten Psychoanalyse sind es, die der Therapeut nicht erträgt.
Jeder geschulte Psychoanalytiker hat ein Arsenal an Abwehrmechanismen dagegen entwickelt (und in der Ausbildung gelernt) – und die wendet er gegenüber dem Schriftsteller an.
Das ist es, was mir passiert ist.
 
Soviel, wie gesagt, am Rande.
 
Natürlich, dies noch angefügt, gibt es auch interessante, gebildete, gute Psychoanalytiker, ich kenne solche aus dem Fernsehen. Einmal ist mir auch einer beim Abendessen begegnet.
Aber die paar Stars, die aus der Szene herausragen, retten die REAL EXISTIERENDE Psychoanalyse halt nicht. Sie verstellen nur den Blick – auf solche, die der Therapie an lebenden Menschen ihre Limitierungen aufdrängen, die in der täglichen Praxis ihren Narzissmus an ihren Patienten ausleben, die sie für ihr seelisches (und, wie lange noch, unkontrolliert ihr körperliches) Wohl missbrauchen.
Kürzlich bin ich auf einer Website, die sich um aufklärerische Sichtweisen bemüht, in eine Diskussion über das emanzipatorische Potenzial der Psychoanalyse hineingeraten.
Ja! Das gibt es. Ja! Auch ich habe während meiner Studentenzeit eine Psychotherapie bei einem Analytiker mitgemacht, aus der habe ich für mich unglaublich viel gezogen.
Ja! Auch ich bin eine Weile herumgerannt und habe jedem, der es hören wollte, und jedem, der es nicht hören wollte, begeistert zugerufen, jeder brauche eine Therapie. Ja! Auch ich habe die Mischung aus Marx und Freud in der kritischen Theorie der Frankfurter Schule begeistert bejubelt.
Ja! Auch ich habe eine Psychoanalyse angefangen.
 
Und bin seelisch ermordet worden, und wenn ich sage, ich bin ein Überlebender, heißt das auch, ich definiere mich heute wie gestern dadurch, dass ich die Traumatisierung knapp überstanden habe, sie prägt meine Identität, sie prägt meinen Alltag.
Die Traumatisierung durch anmaßende Therapeuten, die – ganz wie oben beschrieben – ihre kleinbürgerlich-neidische Literaturfeindlichkeit (in der sich der Hass des sprachlich depravierten und in seinen Freiheits- und Kreativitätsbestrebungen auf Kurs Gebrachten verbirgt) mit Theorie verbrämen, die iatrogen verursachte PTBS, sitzt zu tief.
Dabei reicht es doch, eines zu wissen:
Es gibt keine Rechtfertigung, Talent zu zerstören. Und alles, was an Theorie herangezogen wird, es doch zu tun, ist ideologisch; ist Sekte.
 
So weit also aus meiner Froschperspektive – andere Fälle kenne ich, aber ich möchte nicht für andere sprechen; ich glaube aber, dass an Vorstehendem etwas Typisches über die Psychoanalyse und deren Umgang mit dem psychischen Vermögen ihrer Patienten deutlich wird.
Daraus leiten sich natürlich einige Forderungen ab – die ich im anderen Thread formuliert hatte. Ich fasse sie in einem zweiten Kommentar zusammen.
 
(Liebe Psychoanalytiker und solche, die ihr die Psychoanalyse idealisierend verteidigt, ihr könnt gern die eine oder andere Stelle hier polemisch nennen. Aber damit bleibt ihr im Bereich der ästhetischen Rezension.
Stellt euch lieber den negativen Seiten der Psychoanalyse! Das ist sicher auch für euch selbst interessanter. MfG)

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