Meine jungen Kolleginnen und Kollegen,

Zum Fall Mollath kam ich, weil ich mit an­deren zusam­men seit 40 Jahren, seit 1977 in einer Vereini­gung von „Laien“ und Psychia­tern, der jetzigen GEP, Miss­bräu­chen des Faches zu politischen Zwe­cken ent­ge­gentrete. Solche waren da­mals besonders aus der Sowjetunion bekannt geworden . Da­durch er­fahren wir wohl frü­her als an­de­re von der­artigen Vor­komm­­­nissen heute auch im eigenen Land. So kam ich im April 2011 dazu, Gustl Mollath in der Forensik des Bayreuther Bezirks­kranken­hauses aufzu­suchen und zu begutachten.

Über ihn wird seit einem Jahr in den Medien, in öf­fentlichen Vorträgen und Büchern viel berich­tet. Dabei wurden aber, soweit ich sehe, immer nur die po­lit­ischen und die ju­ristischen Abläufe be­han­delt, die psychiatrischen, die da doch ganz we­sentlich mit­spiel­ten, al­lenfalls am Rand. So ist Ihre Veranstaltung die erste, die zu dem Justiz- UND Psychia­trieskandal Mol­lath jetzt in ei­nem offe­nen Kreis von Medizinern statt­fin­det und die damit end­lich auch die ärztlichen Aspekte daran zu Sprache bringen wird.

Auf Ihrem Flyer zu dieser Tagung fragten Sie u.a.: „Wie konnte es soweit kom­menzu diesen siebeneinhalb Jahren Zwangs­unter­brin­gung in der geschlos­se­nen Psychiatrie?“ Wenn Sie al­lein fragten, wie Frau Dr. Krach vom Erlanger Bezirks­kran­kenhaus, ohne Mollath gesehen zu haben, ein Attest aus­­stellen und allein auf die An­gaben der Ehefrau hin schreiben konnte, er lei­de „mit großer Wahrscheinlichkeit an einer ernst­zu­nehmen­den psychischen Erk­ran­kung, im Rahmen derer eine erneute Fremdge­fähr­lichkeit zu erwarten ist “, dann ist da zu­nächst ein Kunst­feh­ler festzustellen. Bei der Frage nach den Motiven tippt man auf Allzu­mensch­li­ches, Ab­hän­gig­keit, Angst u.ä. Die Frage stellt sich aber nicht nur bei der kleinen BKH-Ärz­tin, son­dern auch bei den „großen Tie­ren“,  die mit dem Fall Mollath dann zu tun be­ka­men, Leip­zi­ger, Kröber und zuletzt Pfäfflin, Leitern von (z.T. Univer­sitäts-)In­sti­tuten und -Kli­ni­ken. Führt, muß man fragen, die weithin dort gezüchtete Ver­götzung der Wissen­schaft zu einem Verlust ärzt­licher Bodenhaftung am Menschlichen?

Sie fragen weiter: Ist Mollath ein Ein­zelfall? Leider ist er’s nicht. Über ihn hin­aus sind etliche solcher Fälle in jüngerer Zeit bekannt geworden, so der von Wal­traud Stork, die in den 1970ern als Heranwachsende vier Jahre lang in psy­chia­tri­schen Kliniken, mit Psy­cho­phar­macis traktiert, interniert war, dazu die Fälle etwa der hes­si­schen Steu­er­fahnder um Ru­dolf Schmen­ger oder der von Eberhart Herr­mann. Sie erinnern sich: Herr­manns florierendes Geschäft für an­tike Tep­pi­che hier in der Thea­tinerstraße wur­de 1994 von einem Tag auf den an­deren ruiniert durch das haltlose Attest aus dem Haus vis-à-vis, der Nußbaum­straße Nr. 7, an der kürzlich noch das Schild „Königliche psychia­tri­sche Klinik München“ befestigt war.

Im letzten Rundbrief unserer GEP verweise ich auf den Fall einer Nürn­berger Lehrerin, die vom Amtsarzt, einem Internisten, nicht ein­mal einem Psychiater, „Gesundheitsstörungen aus dem seelischen Bereich“ angehängt bekam und da­mit, medizinisch unbegründet, aus ih­rem Beruf geworfen wurde. Sol­che Fälle spielen sich wahrschein­lich hundert­fach in unserem Land ab. Sie sind aber mög­lich nicht nur, weil Ärzte irrtumsanfällige, mitunter korrum­pierbare Men­­schen sind, son­dern auch oder vor allem, weil eine krumme Psychiatrie von Mäch­­­tigen in un­se­rem Land UND international, partei- und la­ger­­­über­grei­fend allem An­schein nach ge­wünscht und ge­stützt wird – man er­innere sich der früheren Sowjet­po­ten­taten.

Um so leichter aber finden mächtige Politiker dienstbare „Psycho-Experten“,  Psychiater, Psy­cho­lo­gen, je weiter die Mei­nungen unter ihnen auseinander ge­hen. In der „Seelenheilkunde“ di­vergieren sie seit al­ters am wei­testen, im 19. Jahr­hun­dert, noch vor-wissenschaftlich, etwa zwischen sog. „Psy­chikern“ und „So­ma­­ti­kern“. Wenn sich diese Spaltung hierzulande heute offiziell in zwei ver­schie­denen Fach­arzt­titeln, dem für Psychiatrie und dem für Psychosoma­tik, fort­setzt, ist das „wis­senschaftlich“ je­doch nicht mehr begründet. Die Spal­tung wurde de facto von Politi­kern u.a. mit der Psychia­trie-En­­quête von 1975 durch­­gedrückt. Die bis dahin gel­tende, von Karl Jaspers mit seiner ALL­GE­MEI­NEN PSYCHO­PATHO­LOGIE von 1913 ge­­­legte wissen­schaft­­liche Basis des Faches wurde ver­lassen, die Seelen­heil­kunde in ein Sammelsu­ri­um von per Abstim­mung akzeptierten Be­griffen und The­sen ent­las­sen, teil­wei­se mit pseu­­­do-ex­akten DSM- und ICD-Codes über­tüncht. Während man noch wäh­rend meiner ner­ven­ärzt­lichen Weiterbil­dungzeit Ende der 1960er Jahre nach der sog. Würz­burger Diagno­sen-Tabelle 20 psy­chische Krankheiten zählte, stieg deren Zahl mit besagten Codes dann auf derzeit über 300 an, echte Krank­heiten dar­unter ge­wiß, aber auch viel Herbeige­bogenes. Verwi­schend spricht man jetzt über­haupt nur noch von „Störungen“, was mil­de klingt, den Be­trof­fe­nen bei Gericht aber kei­nes­wegs zum Vorteil gereicht. Die Aus­einander­set­zungen um das neue DSM-5 sind be­kannt. Unter vermehrt sich ran­geln­den, letztlich dabei eher ver­­­un­si­cher­ten Psy­­cho-„Exper­ten“ glaub­ten einige Mächtige offen­sichtlich zu ihren Diensten bereit­ste­hende um so leich­ter fin­den zu können. Wie­der ein­mal haben sie hier ihr  altes „divide et im­pera (teile und herrsche) aus­gespielt.

Daß in die so geschaffenen Diver­genzen der Psy­cho-Fä­cher viele selbsternannte „Seelen-Ex­perten“, das bunte Völkchen der „Anti­psychiater“, der „Psychis“, mit einstiegen, verwundert nicht. Die wahre Hu­manität für sich beanspruchend, ­setzen sie einer wis­sen­schaft­­lich nüch­ter­nen Psychiatrie heu­te oft den wil­desten Wider­stand entgegen. Man schaue nur ins Inter­net. Das Durch­­­ein­an­der von Lehr- und sonstigen Mei­nun­gen in der Seelen­heilkunde und um sie her­um hat fraglos bei­ge­tragen, daß Sowjet- und DDR-ähnliche Psych­ia­trie­miß­bräuche jetzt in unse­rem Rechtsstaat und hier aus­ge­rechnet in unions­regierten Länd­ern Platz greifen.

Manches vom Vorgetragenen steht in dem neuen, mutigen Buch Dr. Schlöt­te­rers WAHN UND WILLKÜR. Das kürz­lich zum Fall Mol­lath erschiene­ne 18-Leute-Buch STAATS­­­VERSA­GEN AUF HÖCH­STER EBENE, das vor vier Tagen  bei einer Tagung im Litera­turhaus Pate stand, verbiegt eher, was die Psychiatrie betrifft, die Rea­lität wieder. Es kommen dort neben Sozio­logen, Juristen und Jour­na­listen als Mollath-Un­ter­stützer auch zwei Psych­iater zu Wort, die wäh­rend seiner Internierung keinen Finger für ihn rührten, ja die das obwaltende Psy­­cho-Sy­­stem ge­ra­de­zu mit-re­prä­sen­tie­ren. Von dem einen wird Mollath in dem Buch jetzt noch als psychisch Kranker, von dem anderen als kranker Rechtsbrecher geführt. Dieck­höfer und ich blieben aus­ge­grenzt. Als ich im April 2011 den damals noch unbe­kann­ten Gustl Mol­lath in Bayreuth auf­suchte und begutachtete, hätte sich kaum ein zwei­ter Psych­ia­ter in ganz Deutschland gefunden, der den „Ko­ry­phä­en“ Krö­ber und Pfäff­lin kurz­fristig ein kon­zises Ge­gen­­gutachten entgegen­ge­setzt hätte, hätte bei aller vor­züg­lichen Vorar­beit Dr. Schlötterers kaum ein Unter­stützer­kreis und in der Folge kein Journalist und kein promi­nen­ter Rechts­ge­lehrter oder Rechts­­anwalt die Stim­me für Mol­lath erheben können. Nun­­mehr wird mit mir auch Prof. Dieck­höfer, der als einziger Psych­ia­ter von Rang und Na­men be­sagte „Schecht­achter“ zurechtgewiesen hat, von vie­len derer bös an­ge­griffen, die neu jetzt als Mol­laths überragende Ver­teidiger auf­treten. Das mag Ihnen zeigen, wie kom­plex die Aus­ein­ander­set­zung gerade im psychia­trisch-psychothe­ra­peu­ti­schen Be­reich ist. Hat es zwei Jah­re ge­dauert, bis unter dem öffentlichem Druck im Fall Mollath Politik und Justiz halb­wegs zu Recht und Wahr­heit zu­rückfanden, so scheint es, als wolle es noch­mals so lan­ge, wenn nicht noch länger dau­ern, bis auch die Psychiatrie dorthin gelangt.

Es war fällig, war gut, dass Sie als Medizinstudenten den Fall Mollath auf­gr­iffen, an dem jetzt so viele jutizielle, aber auch psychiatrische Defizite auf­scheinen. Daß  letztere Ihnen, der neuen Generation deut­scher Ärztinnen und Ärzte, als ersten in der Berufsgruppe auffielen und Betrofffenheit auslösten, nehme ich als Zeichen der Hoffnung. In der Psychiatrie ist unter politischem Druck gerade durch einige seiner Spitzenvertreter schon Furchtbares ge­sche­hen.  Beleiben Sie dem Lehr­stoff, vielfach Lehrmeinungen, gegenüber kritisch, die Ihnen im weiteren Studium und auch später in der Praxis begegnen werden, Das gilt im Übrigen nicht nur für’s Seelen­heil­kund­liche.

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