Rede zu der Großkundgebung am 27.7.2013 in Nürnberg

 „EMPÖRT EUCH – Recht und Freiheit für GUSTL MOLLATH“

Videos von den Ansprachen können bei NuernbergWiki wie auch hier eingesehen werden

Demo Gustl Mollath Nürnberg 7/2013                                    

F. Weinberger

Liebe Freunde von Gustl Mollath, Mitstreiterinnen, Mitstreiter!

 

Daß sich ein Arzt für einen psychiatrisch langfristig Internierten öf­fent­lich ein­setzt, ist unge­wöhn­lich, geschieht selbstverständlich hier bei Ent­bin­dung von der ärztli­chen Schwei­ge­pflicht. Der Fall Gustl Mollath ist aber so skandalös, daß Außer­ge­wöhn­liches ge­for­dert ist. Außer­ge­wöhn­lich und wahrlich ermutigend ist schon, daß sich für diesen ge­sund im Irren­haus sit­zen­den Mann mit Ihnen so viele Men­schen hier in Nürnberg, sei­ner Heimat­­stadt, bei dieser Hitze ver­sam­melt haben, um seine Frei­las­sung ­zu fordern.

 

Mollath sitzt auf Grund des Gutachtens des Psychiaters Dr. Leip­zi­ger, der ihn nie unter­sucht, gleichwohl aber für wahnkrank erklärt hat. Wei­tere Ärzte, auch hoch renommierte wie die Professoren Kröber und Pfäfflin, be­urtei­lten ihn auf ähnlich dürftiger Basis ähn­lich ver­nichtend. Der Letztgenannte, Pfäfflin, un­ter­suchte Mol­lath zwar, stellte zu­nächst auch fest, er sei bei der Unter­suchung „nicht in­nerlich ange­spannt, aggres­siv oder voller … Haß“ ge­wesen. Auch sei auf Sta­tion „keine von ihm aus­ge­hende Allgemein­ge­fähr­lichkeit gesehen“ worden. Unter einer nicht nach­voll­zieh­baren Kehrt­wendung er­klärte er ihn aus hohler Hand dann aber doch als krank und all­ge­mein­ge­fährlich – weil er sich an keinen „Thera­pie­maß­nah­men“ be­tei­ligte. Will man gesund sich Fühlende, als ge­sund letzt­lich auch Ausgewiesene durch Auf­nötigen von Thera­pie hintenherum wieder zu Kranken machen?

 

Scannen0001Von den insgesamt sechs Psychiatern, die Mollath als wahnkrank ver­dächtigten oder er­klär­ten, hat ihn ein einziger untersucht, besagter Herr Pfäfflin. Von den zwei Gut­ach­tern, die Mollath gesund be­fanden, haben ihn beide persönlich untersucht, so der nieder­baye­rische Kli­nik­­arzt Dr. Simmerl und als letzter im April 2011 eben ich. Unsere nach Art der Kunst und Wissenschaft erstellten Exper­tisen wur­den von den Ge­richten nur übergangen, abgetan – Entscheidungen des Bundesgerichtshofs vom 25.2.2009 (IV ZR 27/08, NJOZ 2009, 1960) und vom 15.5.2009 (IV ZR 57/08, NJW-RR 2009, 1192) zu­wider. Nach diesen Entscheidungen sind bei einander wi­der­spre­chenden Gutachtern beide anzuhören, was den Bayreuther Voll­stre­ckungsr­ichter Kahler einen feuchten Kehricht kümmerte. Mein Gut­achten half wenigstens, die Kam­pagne für Mollath in Gang zu brin­gen. Frau Dr. Merk gibt Pfäfflins Gutachten vom Februar 2011 wahrheitswidrig als letzterstelltes aus und ver­schweigt, daß ihm bereits we­nige Wochen später ein anderes, meines nämlich, folgte, das der dort behaupteten Ge­mein­ge­fähr­lich­keit Mol­laths kompetent wi­der­sprach. Weil sich Mol­lath nicht erneut begut­achten lasse, sei er, so Merk dreist, an seiner wei­teren Unter­brin­gung selbst schuld! Wie oft soll er sich dem Streß der Be­gut­ach­tung noch aus­setzen¸ wenn seine Ge­sund­heit be­stä­ti­gende Ex­pertisen einfach weg­­ge­wischt wer­den? Der Bay­reu­ther Richter Kahler, der mei­n Gut­achten, immer noch das aktu­ell­ste, abtat und Mol­lath über zwei­­ Jahre seit­dem weiter schmo­­ren läßt, be­zog wegen beim letz­ten Prüf­termin ähn­li­ch ver­übter Rechts­­wid­rig­keit vom Ober­lan­desgericht Bam­­berg kürzlch einen kräftigen Rüf­fel. Nach­dem die An­trä­ge auf ein Wie­der­auf­nah­me­ver­fahren aber vom Re­gens­burger Land­ge­richt vor drei Tagen ab­gelehnt wur­den, ist offen, ob die vie­len Inkor­rekt­­hei­ten, die es im Vor­gehen der Ju­stiz gegen Mol­lath lau­fend ge­geben hat, je noch kor­ri­giert werden.

 

Aufgedrückt bekam Mollath von den Amtsgutachtern Leipziger, Krö­­ber, Pfäfflin die Dia­gnose einer wahn­haften Stö­rung. Sie ist ek­latant falsch, schon weil der Realitätsgehalt sei­ner als wahn­haft ge­werteten Äuße­rungen zu den Geldverschiebungen seiner Frau nicht ge­prüft worden waren. Öffent­­lich hat der Bonner Gerichtsgutachter Prof. Dieckhöfer die Ex­pertisen der Herren schon zer­pflückt. Frau Dr. Merk glaubte, seine treffenden Fest­stellun­gen (wie auch meine) her­absetzen zu können. Sie hat deshalb schon eine Klage am Hals.[1]

 

So sehr die Medien, vor allem die Nürn­berger Nachrichten und die Süd­deutsche Zeitung, den Skandal Mollath an die Öffent­lich­keit – und damit einer Lö­sung hoffentlich doch nahe brachten, ließen sie den Anteil, den die Psychiatrie an ihm und an ähn­li­chen Skan­dalen hat, weithin unerwähnt. In der ZEIT trat besagten Amts­gut­ach­tern jüngst noch Prof. Saß an die Seite, der frü­he­re Direktor der psy­ch­iatri­schen Uni-Kli­nik Aa­chen. Es ge­be Er­kran­­kun­gen, meinte er, „bei de­nen Men­schen sehr be­son­nen auf­tre­ten und trotzdem wahn­haft sind,” de­ren Ge­schichte stim­me, „doch die darauf auf­bau­enden Ge­danken können trotzdem krankhaft… sein“ – im Prinzip rich­tig. Seine ab­strak­ten Fest­­­stellungen münz­te der Ex­perte jedoch just auf Mollath und brachte ihn so aus hohler Hand grund­­los, halt­los er­neut in den Ge­ruch mög­li­cher, wenn nicht wahr­schein­licher Geistes­krank­heit.

 

Die abgehobene Art der Verdächtigung, ja Verleumdung üben lei­der man­che Vertreter der Seelenheilkunde, auch einige ihrer Spit­zen­ver­treter. Sie spielen tief­grün­di­ge Men­schen­­kenntnis und eine erhabene Wissen­schaft­lich­keit vor, ja geben sich darin un­fehl­bar. Da­bei gibt die Wissen­schaft von der Seele solchen Anspruch gar nicht her. Viele Nerven­ärzte, Psych­iater, Psycho­lo­gen, Psy­chothe­ra­peuten machen es ihnen nach. Und viele Me­dien, nicht nur DIE ZEIT, himmeln sie an. Just das hat, in Rechts­staat­lichem versteckt, ge­ra­dezu ein psy­cho-justiti­elles Un­rechts­­­system hervor­ge­bracht und den Un­ter­grund zu all der groß­spu­rig­en Fahrlässigkeit ge­legt, die in den Stel­­lungnahmen der Herren Leip­ziger, Krö­ber, Pfäff­lin und ähn­licher Ex­perten zum Ausdruck kam und Mollath sie­ben­einhalb Jahre Frei­heit kostet.

 

Psychiatrie ist keine Geheimwissenschaft. Auch die Abfassung rich­ti­ger Gut­achten ist es nicht. Diese ist selbstverständlicher Teil der lan­gen fachärztlichen Weiterbildung zum Psych­­iater. Sie ist dabei Sa­che nicht nur des Könnens, sondern auch des Charakters. Psych­iatrie ist eine Wissenschaft, die, korrekt an­gewandt, vie­len Schwer­­­­kran­ken ent­scheidende Hilfe leistet. Sie ist aber auch eine Dis­zi­plin, aus der hier­zu­lande schlimmste Ver­bre­chen, Mas­sen­­­­mord, schon hervor­gegangen sind, eine Dis­zi­plin, in der vielerorts schwere Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen ge­schahen. Immer­fort be­darf sie des­halb kriti­scher Auf­merk­samkeit der Öffent­lichkeit. Merk­würdi­ger­weise fand die Psychiatrie anders als etwa die Justiz bisher auch im Fall Mol­lath nur wenig mediales Interesse. Ver­gleichbar schlimm ist, daß es in diesem streng hierar­chisch gef­ührten Fach auch intern seit Jahr­zehnten keine freie Diskussion gibt.

 

Es sind lang in den Psycho-Fächern angehäufte Fehlentwicklungen, die mit zu dem Fall Mol­lath geführt haben, Viele von Ihnen werden in den letzten Monaten von dem neu­en Dia­gno­sen-Ver­zeichnis der ame­rikanischen Fach­ge­sell­schaft APA, dem DSM-5, gehört und so mit­be­kommen haben, wie fragwürdig man­che Diagnosen sind, die da neu eingeführt wur­den, wie schnell sie normale menschliche Ver­hal­tens­wei­sen ins Krank­hafte rücken – zum Vor­teil gewiß der Phar­ma-Indu­strie, aber auch der Psy­ch­ia­ter, Psycho­logen selbst. Frag­wür­dig waren viele Dia­gnosen schon, die im Vorläufer­ver­zeich­­nis DSM-IV wie auch im in­ter­na­tiona­len Parallel-Ver­zeich­nis ICD standen und stehen. Dehn­bar-schwammige Diagnosen lassen sich fast jedem, je­der von uns aufdrücken und tun so manchem Probanden Unrecht.

 

Über dem Fall Mol­lath versprechen uns einige Politiker(innen) jetzt gesetzliche Änderungen. Es ist wohl an der Zeit, daß das alte Nazi-„Gesetz gegen ge­fährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maß­re­geln der Sicherung und Besse­rung” vom November 1933, dem (in der neueren Sprache des § 63 StGB) auch Mol­lath un­terliegt, gründlich überholt wird. Es darf je­doch nicht al­lein bei Juristi­schem bleiben. Eine Psych­iatrie-Re­form gab es in den 1970er und 80er Jah­ren. Sie  brachte, von der Ärzte­schaft ge­deckt, ne­ben kleinen Verbesserungen just den ver­stärkten Zugriff von Staat, Poli­tik und Politi­kern auf das Fach und zementierte den An­spruch der „Psy­cho-Obrigkeit“ auf Un­fehl­­barkeit. So wie ihn die Her­ren Leip­ziger, Krö­ber, Pfäfflin im Fall Mol­lath erheben, spielen ihn in anderen Fällen straf- wie zivil­recht­li­cher, nicht zu­letzt fami­li­en­recht­li­cher Aus­ein­an­der­setzungen ge­nügend an­de­re Ärzte und  Psy­cho­logen aus und drü­cken ihn damit bei Ge­richten durch. Just mit jener Psych­ia­trie-Re­form kam es zu der unge­bührlichen Auf­­blä­hung, Aus­brei­tung der Psycho-Fä­cher über im­mer größere Be­rei­che des Men­schen- und Ge­sell­schafts­lebens, trat dazu die Wucht der Staats­­macht hinter ihre Maß­gaben, Maßregeln.

 

Unser erstes Ziel ist die Freilassung Gustl Mollaths. Um darüber hin­aus an die Wurzeln des Übels zu kommen, so­weit sie in den Psy­cho-Fächern liegen, und um anderen sol­che Übel zu er­spa­ren, gilt es, das nun ge­weckte, kritische In­ter­esse für die Fächer bei­zu­be­­hal­ten. An einer mißbrauchbaren Psychiatrie und Psy­cho­logie haben, wie seit Sowjet- und DDR-Zeiten be­kannt, viele Mächtige ihr eigenes In­ter­esse und Vertreter dieser Fächer gibt es im­mer, die ih­nen gern an die Hand ge­hen. Elegant können sie damit Unliebsame aus dem Ver­kehr ziehen. Las­sen wir uns von nie­man­dem täuschen, nicht von Po­li­ti­kern, nicht den Medien, am al­ler­wenigsten aber von den Spitzen­ver­tretern der Psych­iatrie und Psy­cho­lo­gie. Prüfen wir genau, was uns jetzt an „Ver­besserungen“ vor­gesetzt werden wird. Halten wir die Frei­heits­rechte hoch, die uns das Grundgesetz garantiert. Lassen wir sie durch keine juristischen oder psychiatrisch-psycho­logischen Finten aus­höhlen und behalten wir die Grenzen der Psy­cho-Fä­cher und ihrer Ver­treter im Auge. Führen wir den Kampf für Gustl Mollaths Frei­heit weiter. Wir kämpfen ihn für uns alle!

 

Dr. Friedich Weinberger



[1]  Hierzu noch eine Anmerkung:  In den 1980ern gehörte ich dem Landesvorstand des Gesund­heitspolitischen Arbeitskreises der CSU an. Man mußte dafür damals kein gedienter Parteissoldat sein. Ich war in dem Kreis quasi der Referent für psychiatrische Themen, sprach zu solchen wie­derholt auf den Gesundheitspolitischen Kon­­gressen der Partei, stand wiederholt auf den entsprechenden Werbeplakaten und Handzetteln. Weil die CSU den Weg in der Staatspsychiatrie in Rahmen der Psychiatrie-Enquête immer deutlicher fortsetzte, schied ich bald als Mitglied aus. Wenn die CSU-Justiz­mini­sterin mein lege artis Mollaths Gesundheit ausweisendes Gutachten totschweigt oder herunter­macht, schießt sie sich gleichwohl immer noch in ihr eigenes Partei-Bein.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.