Rundbrief  2/2000                 Juli 2000                                                                           

 

(die ursprüngliche Abrufsmöglichkeit der Publikation  aus dem Internet kapitelweise erwies sich als überholungsbedürftig. Bei Gelegenheit der technischen Überarbeitung  (im Herbst 2004) wurde auch der Inhalt geringfügig, gewiß nicht substantiell überholt).

 

Inhalt:                                                                                                                                        

 

1.      Einleitung

2.      Psychiatriemißbrauch in der DDR und seine Behandlung im Rechtsstaat

 3.   „Psychotherapie-Mißbrauch

 4.    Umerziehung statt Krankenversorgung

 5.    Von Sekten, Suspekten und der Lebensbewältigungshilfe

 6.    Verwandtes und Divergentes unter „Psycho-Vereinen“ (NGOs)

7.       Weshalb gelingt es nicht, den Rauschgiftmißbrauch entscheidend einzudämmen?

8.       Drogen, Lügen, postmoderne Strategien

9.       Unruhe unter den Nervenärzten, Unruhe beidseits des Teichs

10.   Jahresversammlung 2000
       
        Die englische Zusammenfassung (Summary) steht im englischen Teil der GEP-Website

 

Verständnishilfen:

Wiederkehrende Abkürzungen: APA = American Psychiatric Association, BÄK = Bundesärztekammer, BNP = Bund niedergelassener Neurologen, Nervenärzte, Psychiater und ärztlicher Psychotherapeuten, BVDN = Berufsverband deutscher Nervenärzte, noch anpasserischere Mehrheitsvertretung vorstehender Fachärzte, = Deutsches Ärzteblatt, DGPPN = Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde, früher (ohne Psychotherapie) DGPN, „wissenschaftlich orientierte“ Fachgesellschaft deutscher Psychiater, GIP = Geneva Initiative on Psychiatry, als International Association on the Political Use of Psychiatry - IAPUP - von 1980 bis 91 gemeinsamer Dach verband, heute eine (weit von uns entfernte, von fremden Geldern finanzierte) „Stiftung“, KBV = Kassenärztliche Bundesvereinigung, gesetzliche Dachorganisation der die gesetzlich krankenversicherte Bevölkerungsmehrheit versorgenden Ärzte, MHR = Mental Health Reforms, das Organ der GIP, nda = neurodate aktuell, von Nervenärzten herausgegebene Fachzeitschrift unbekannter Finanzierung; NGO = (bei UNO etc. akkreditierte, meist mainstream-konforme) Non-Governmental Organization, Bürgerrechtsinitiative etc.; NPN = Neuro-Psychiatrische Nachrichten, jüngst aufgetauchtes, gern sich als Stimme der Neurologen und Psychiater gerierendes, mainstream-gerechtes Periodicum unbekannter Finanzierung; PKH = Psychiatrisches Krankenhaus, gleichgültig ob dieses im Einzelfall als Landes- oder Bezirkskrankenhaus oder sonstwie zeichnet; Spektrum = Spektrum der Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde, zwei monatlich industrie-bezahlt allen Psychiatern des Landes zugehendes Blatt fachpolitischen, meist „reform-psychiatrischen“ Inhalts; WHO = Weltgesundheitsorganisation; WVP / WPA = Welt verband für Psychiatrie / World Psychiatric Association.

K. oder S. + Ziffer in Klammer = Querverweis auf nähere Erläuterung in bezeichnetem/r Kapitel oder Seite, Fn+Ziffer = Querverweis auf Fußnote, Ziffer mit eingestelltem Schrägstrich = Querverweis auf früheren Rundbrief (evt. mit Kapitel-/ Seitenhinweis - K. oder S.). Des öfteren müssen wir ja auf Vorgänge verweisen, die in früheren Rundbriefen näher erklärt sind. Diese sind bei der DVpMP teilweise noch vorrätig,  können bei ihr angefordert werden.

Nervenarzt = Arzt für Psychiatrie und Neurologie (oder umgekehrt). Weil eng mit einander verflochten, werden die beiden (Teil-) Fächer seit langem meist zusammen angestrebt und praktiziert. Es gibt in jüngerer Zeit aber auch in Deutschland Ärzte, die sich nur in einem der beiden (Teil-)Fächer weiterbilden konnten oder wollten, also nur Psychiater oder nur Neurologen sind. Psychologie ist insgesamt eine nicht-ärztliche, geisteswissenschaftliche Disziplin oder Betrachtungsweise.

Mit Kursivdruck wer den nicht aus unserem Kreis stammende Äußerungen gekennzeichnet. Nur vereinzelt dient Kursivdruck auch zur Hervorhebung. Namentlich oder durch Initiale werden allein vertretene Kapitel markiert. Die Redaktion, zu deren „Lasten“ alle Fußnoten, Kästen und Hervorhebungen gehen, nehmen gemeinsam Prof. Dieckhöfer und (überwiegend) Dr. Weinberger wahr. Ersterer ist Professor für Psychiatrie und Geschichte der Medizin an der Universität Bonn, letzterer frei praktizierender Nervenarzt in Starnberg. Als Vorsitzender der Vereinigung ist er für den Rundbrief presserechtlich verantwortlich. Alle Arbeit der Vereinigung wird seit über 20 Jahren ehrenamtlich und nebenberuflich erbracht.

 

1. Einführung                       

 

Wolfram Weimer in Die Welt vom 18. Januar 2000:

Du sollst nicht lügen

„Das Eisige an diesem weit in den Sommer reichen den „politischen Affären-Winter sind nicht die Gletscherspalten im Finanzgebaren von Politikern, nicht die lawinenartige Erkenntnis der weiträumigen Korrumpierbarkeit, nicht das schneeflockenhafte Rechtsbewußtsein und auch nicht die gefrorene Gesprächskultur der politischen Klasse – es ist die Allgegenwart der eiskalten Lügen. ... Das Problem aber betrifft nicht nur den politischen Diskurs, denn das moralische Sensorium für die Lüge ist möglicherweise allenthalben etwas stumpf geworden. Die Postmoderne hat uns einen relativistischen Wahrheitsbegriff eingeimpft ... Nach  dem uns Wissenschaft und Philosophie gründlich beigebracht haben, daß es klare Wahrheiten ohnedies nie gibt - nach ihnen zwei mal zwei auch nicht mehr vier ist (?), „macht sich eine Relativitätstheorie der Alltagskommunikation breit... Lüge zersetzt das zentrale zivilisatorische Prinzip des Vertrauens...

 

Der Rundbrief beleuchtet, wie und war um der Psychiatriemißbrauch, unser alt angestammtes Thema, so penetrant verleugnet wird, wie und warum die Lüge so weite Bereiche des Faches durchdringt. Die Spenden- und Finanzaffären großer Parteien nehmen sich dagegen als Lappalie aus.

       Daß die Lüge auch an die Führungsspitze der USA schwappt, wurde kürzlich augenfällig. In den 70er und 80ern sahen wir in der US-Psychiatrie den Hauptverbündeten im Widerstand gegen den sowjetischen Psychiatrie mißbrauch, wie sich die USA allgemein als Schutzschild gegen die Tyrannei ausnahmen. Dabei zeigten sich unter den amerikanischen Psychiatern damals schon genügend gegenläufige, diktaturstützende Neigungen (RB 3/84, 1/86, 1/99). Nach dem Fall des „Evil Empire“ aber erwiesen sie sich unter ihnen gar als vorherrschend, entpuppte sich die das Fach durchsetzende Lüge wesentlich als aus der US-Psychiatrie hervor gegangen (RB 1/96, K.10.5).

Kein Wunder, daß in Amerika heute - bei Anerkennung aller dem Fach innewohnenden Heilkräfte - eine massive Gegenbewegung gegen seine unlauteren, mehr auf Umerziehung denn Heilung hinauslaufenden Reform-Anstalten aufgekommen und die Fachgesellschaft APA reichlich in die Bredouille geraten sind.

       Ob und inwieweit dies Auswirkungen auf  Die (nach Z. Brzezinski) ein  zige Welt macht (Fischer, 1999), ihre Gesundheitspolitik etwa oder die ihrer „Vasallen“ hat, steht freilich dahin.

       Hierzulande bringen besagte, meist unter dem Etikett der „Psychiatrie-Reform“ laufende Anstalten die reelle psychiatrische Krankenversorgung und über sie hin aus die Medizin in Not. Die „psychotherapeutisch“ und „sozial“ erweiterte „Reform-Psychiatrie“ war immer - das haben die niedergelassenen Fachärzte nur lang nicht bemerkt - als politisch weisungsgebundene, vergesellschaftete Seelenbetreuung gedacht. Für sie braucht es kaum Ärzte, vor allem keine unabhängigen. Angestellte, im übrigen billigere Sozialarbeiter, Sozialpädagogen etc. tun es da auch, für die Machthaber so gar besser. Heulen und Zähneklappen ist darob jetzt unter den Nervenärzten.

Manche halten die gesellschaftliche Entwicklung über die Heilkunde hinaus für so desaströs, daß sie ihnen ohne gezielte Steuerung einer verlogenen, skrupellosen „Obrigkeit“ kaum mehr erklärbar ist. Sie sehen des halb auch kein Ende der Talfahrt. Andere in unserem Kreis sind optimistischer. Sie halten die Situation zwar auch für prekär, ja schlicht absurd. Sie bleiben deshalb aber überzeugt, daß sich die Menschen, selbst die politisch indolenten Nervenärzte einer weiteren Talfahrt auf Dauer doch widersetzen werden.

 

2. Psychiatrie-Mißbrauch in der DDR (und anderswo) - seine Behandlung im Rechtsstaat

2.1 (Text D/W) Die Diskussion des Psychiatriemißbrauchs in der DDR geht weiter. Gegen Prof. Dieckhöfers kritische Rezension ihres (den Mißbrauch verharmlosenden) Buches Politisch missbraucht? (in Psycho 4/99, Nachdruck in RB 4/99, K.4.1) wandte sich Dr. Süß in  Psycho 8/99. Dieckhöfer bekam von der Redaktion nach langem Zögern ein Schlußwort eingeräumt. Dem DEUTschen Ärzteblatt, das eine Belobigung des Süß-Buches aus der Feder Dr. Biebers brachte und auch sonst die DDR-Psycho-Untaten gern verharmlosen läßt (die Zeiten, in denen es als eher konservativ galt, sind lange vorbei), fuhr Dr. Eckstein in DÄ 36/99 in die Parade („Verharmlosung ist en vogue“, DÄ 23/99, RB 4/99. K4.3). Hier (in DÄ 36/99) kamen in der Folge Süß und etliche ihrer Unterstützer, abschließend aber (in DÄ 43/99) doch nochmals Eckstein zu Wort. Weil nolens volens auch aus den Beiträgen der Gegner Details des Mißbrauchs  herauskommen (vgl. .2.5) und zudem oder vor allem die Art und Weise, wie in unserem Land die Verkehrung des Fachs gegen den Menschen seit Jahr und Tag verharmlost wird, ist es angebracht, besagte Diskussion wiederzugeben.

Süß gab sich (in DÄ 36/99) von Ecksteins kritischem Leserbrief  überrascht“. Sie habe doch in ihrem Buch „seinen Fall ausführlich geschildert“. Er habe es ursprünglich auch freundlich aufgenommen als dürfe ein einmal gefälltes Urteil über ein Buch (Süß hatte Eckstein nur wenige Tage zur Urteilsbildung eingeräumt) nicht korrigiert werden. Sie zitierte den Eckstein betreffenden Passus ihres Buches, in dem sie seine Zwangseinweisungen einen „Amtsmißbrauch der politischen Machthaber im Kreis Auerbach“ nennt, den „systematischen Mißbrauch der Psychiatrie in der DDR aber mit den fadenscheinigen Argumenten zurückweist, es hätten doch „korrigierende Mechanismen innerhalb der DDR-Psychiatrie“ gegriffen. Sie versucht es zum anderen damit, daß Ecksteins Zwangseinweisungen nicht vom Staatssicherheitsdienst, sondern von offiziellen Machthabern vor Ort veranlaßt worden sei – als machte das einen Unterschied. Ihr „Forschungsergebnis“ sei, behauptete sie nochmals (in Psycho), daß der Psychiatriemißbrauch in der Sowjetunion anders als in der DDR „von höchster Stelle angewiesen“ worden sei, was reine Spekulation ist, falsche dazu. V. Bukowski, der auf diesen Punkt die entsprechenden Moskauer Archive durch gesehen hat, stellte heraus, daß es zu einer solchen „Anweisung“ gerade nicht gekommen ist (Abrechnung mit Moskau, Lübbe, Bergisch Gladbach, 1996). Der Mißbrauch des Faches hat offensichtlich überall auf eher halboffizieller Basis funktioniert – in der DDR gewiß seltener, da wie dort aber wesensgleich.

 

Süß, die in ihrem Buch den Vorsitzenden unserer Gesellschaft schön diffamierte (1), mit ihm die einzige Vereinigung im Land (Süß spricht gern von einem  „Münchner Verein“), die kompetent über lange Jahre dem Mißbrauch des Faches entgegentrat, erklärte sich durch die milde Zurechtweisung ihres Kollegen Eckstein „diffamiert“. Die Taktik „Haltet den Dieb“ ist offenbar wohlfeil. Was Süß noch mit ausgespielten „Verschwörungstheorien“ unseren Vorstandsmitgliedern anzuhängen versuchte, grenzt über Diffamierung hinaus an Psychiatriemißbrauch.

 

1)  Sie erklärte den von der Stasi abgeschöpften Dr. Weinberger zum „Verhängnis“ Moskauer Bürgerrechtler. In PSYCHO machte sie hier einen halben Rückzieher, knüpfte sie das Verhängnis expressis verbis an die „perfide Täuschung“ der Stasi. Den Fakten so mit näher kommend, erkannte sie Weinberger keine „darüber hinausgehende Schuld“ zu, immerhin und unverändert verleumderisch aber Schuld, wo doch niemand anderes den Systemkritikern in der UdSSR schuldhaft zum Verhängnis geworden ist als der KGB, die Stasi, die Machthaber hinter ihnen und ihre Agenten! Seit man von Stasi-Akten über Ex-Kanzler Kohl und dessen Widerstand gegen Ein blicke anderer in sie weiß, weiß man, wie politisch sie gehandhabt werden. War Kohl, wie vielfach behauptet, „Opfer“, dann war es Weinberger wohl auch. „Persönlichkeitsschutz“ gab es aber bei der Gauck-Behörde und ihrer Mitarbeiterin Süß in seinem Fall nicht.

 

Süß betonte noch, daß sie „ in den achtziger Jahren in der Bürgerrechtsbewegung der DDR engagiert war und wegen (ihrer) als politische Opposition bewerteten Aktivitäten vom Staatssicherheitsdienst ‚operativ bearbeitet’ worden“ sei*. Während sie unsere (Weinbergers) Stasi-Akten einsehen und nach Lust und Laune ausbeuten konnte, können wir ihre Akten nicht überprüfen. Daß Süß ihren Doktorvater Professor Thom, den ehemaligen Leiter der „Lehrgruppe Marxismus-Leninismus im Hochschulbereich Medizin“ an der ehemaligen Karl-Marx-Universität Leipzig verteidigte, ist ihr zugute zu halten. Daß sie zu ihrer Promotion just seine Obhut suchte, war es Zufall?

 * Wie inzwischen bekannt wurde, war Süß, geb. Schröter Vertreterin des linken DA-Flügels und unterlag als solche 1989 bei den Wahlen zum DA-Vorstand Herrn Wolfgang Schnur, der bald als Stasi-IM enttarnt wurde. Bereits Anfang 1990 verließ Schröter den DA.

2.2 E. Uhlig, Oberstaatsanwalt a.D., ehemaliger Vorsitzender der Sächsischen Kommission zur Untersuchung von Mißbrauch der Psychiatrie, staatlich verlesener „Aufarbeiter“ in ähnlicher Weise also wie Süß, sprang ihr im Ärzteblatt (DÄ 36/99) zu Hilfe. Er sah in Ecksteins o.g. DÄ-Leserbrief wie in Dieckhöfers Darstellung im Rheinischen Merkur und in Psycho (RB4/99, K.4.1) „böswillige Unterstellungen“. Er beschwerte sich, daß der RM seine für den durchschnittlichen Leser kaum durchschaubare Erwiderung nicht abgedruckt hatte. Als einer, dem das freie Wort beschnitten wurde, gebärdete er sich. Wie er selbst, genauer: der von ihm mitgetragene Ausschluß unserer Vereinigung aus besagter Kommission das freie Wort unterdrückt, die Wahrheitsfindung gebeugt haben, darüber verlor er kein Wort. Immer hin, es muß nochmals gesagt sein, handelt es sich bei dieser Vereinigung um die einzige im Land, die damals wie heute dem Psychiatriemißbrauch anhaltenden Widerstand entgegengesetzt hat!

Ihm und den anderen Schönfärbern der roten Diktatur antwortete Dr. Eckstein in DÄ 43/99 selbst so, daß sie danach schwiegen. Herrn Uhlig, der behauptet hatte, sein Fall sei der Sächsischen Kommission „nicht bekannt gewesen“, erinnerte er, daß ihr doch ein Arzt angehörte, der seinen Fall seinerzeit im Psychiatrischen Krankenhaus Rodewisch miterlebt hatte! „Weitgehend  im Alleingang,“ so Eckstein weiter, „entschied der Jurist Uhlig über sensibelste medizinische Sachverhalte... Er hält es jetzt für angebracht, Verharmloser kommunistischen Terrors zu stützen, Menschen aber, die diesen Terror am eigenen Leib erlebten, ‚böswillige Unterstellungen’ zu unterstellen.“ Den Oberstaatsanwalt, der sich empörte, im RM (s.o.) nicht zu Wort gekommen zu sein, erinnerte Eckstein, daß er, der den Psychiatrie-Mißbrauch selbst zu spüren bekommen hat, „bei allgemeinen Medien abgeblitzt“ sei (RB1/97, K.5) und „wie vielen Schicksalsgefährten dadurch wohl um das mutmachende Beispiel eines Arztes gekommen“ seien, ähnliche Erfahrungen mitzuteilen. „Wie viele westliche Blauäugigkeit kam unseren Unterdrückern seinerzeit zustatten? Und wie viel davon hilft heute noch, ihr System zu verharmlosen, zu verwischen?“

Im Ärzteblatt 36/99 zu Wort gemeldet hat sich auch ein ehemaliger Kreisarzt (Dr. Rocholl). Er sprach vom „systematischen brain-draining“ (das – wie ging es im DDR-Jargon weiter? - die Kapitalisten der DDR zu fügten und zu dessen Abwehr der „antifaschistische Schutzwall“ diente). Niemals, sagte er, sei in der DDR von ihm erwartet worden, „anders auszusagen, als es meinem Wissen und Gewissen entsprach.“ Und „ausdrücklich“ wies er „darauf hin, daß Ecksteins (nicht-gemachte) „Verallgemeinerungen unangebracht“ seien. Der Beifall der Psychiater des vereinigten Deutschlands ist ihm gewiß sicher. „Bei den 1990 eingeleiteten Ermittlungen gegen DDR-Psychiatersei sehr wenig herausgekommen“, was uns bei jenem Schmierentheater jetzt "überzeugt". Eckstein antwortete ihm (in DÄ 43/99) nur in einem Nebensatz. Waren die Kreisärzte doch die besonderen SED-Vertreter im DDR-Gesundheitswesen.

 

2.3 Am „schönsten“ aber war für Dr. Eckstein „die Entgegnung des Prof. Weise, des ehemaligen Ordinarius für Psychiatrie an der Karl-Marx-Universität Leipzig. „Seinerzeit Aushängeschild der DDR-Psychiatrie, trat er Süß entschieden an die Seite. Mich,“ so Eckstein weiter, „wollte er belehren, daß die ‚Mehrheit der Psychiater’ ethische Regeln gar ‚gegen die Stasi verteidigte’.“ „Abwegig“ sei nach Weise und „‚jeder Logik entbehrt es, von Einzelfällen, etwa dem eigenen, aus gegen den Psychiatriemißbrauch zu argumentieren’. Ähnlich,“ so entgegnete Eckstein, „wimmelten nach 1945 ehemalige Nazi-Ärzte die Kritik am Nazismus ab. Nirgendwo in meiner Stellungnahme stand eine Pauschalierung. Nicht hinnehmbar“ aber sei, daß „ein ehe dem erstrangiger Vertreter des Systems jetzt Volk mimt und dieses vorschiebt,“ um Kritik von jenem fernzuhalten. Auch zwischen ehemaligen ärztlichen SED-Mitgliedern (2) mache es „einen Unterschied, ob sie jetzt das System weißwaschen und ihm damit weiter Chancen geben oder nicht. Der Psychiatriemißbrauch in der DDR, wie andere und ich ihn erlebt haben, ist geschichtliches Faktum, an das auf Dauer zu erinnern sein wird, damit sich Ähnliches nicht wiederholt...“

2)  Süß versuchte in ihrer DÄ-Zuschrift Ecksteins frühere SED-Mitgliedschaft, aus der dieser nie ein Hehl gemacht hat, gegen ihn auszuspielen. Eine solche Mitgliedschaft war für uns nie ein Hindernis, für jemanden einzutreten, der Opfer des Psychiatriemißbrauchs geworden war. Auch General Grigorenko, der bekannteste Fall seinerzeit, war, als er in die Fänge der „Polit-Psychiatrie“ geriet, Mitglied der KPdSU (Vgl. auch Fn 3)

 Weise bekräftigte im übrigen noch, was nie in Zweifel stand: „Die Mehrheit der Psychiater ...  hielt sich an nationale und internationale medizinische, gesetzliche und ethische Regeln ...“ – was wohl seinerzeit auch für die Mehrheit der deutschen Ärzte im Nazismus galt, stattgehabte Verbrechen aber nicht aus der Welt schafft.

 

2.4 War damit, so weit wir sehen, im Deutschen Ärzteblatt das Schlußwort zum Thema gesprochen, so wurde in anderen Medien das Leugnen des Psychiatriemißbrauchs in der DDR doch weiter versucht. In der Neuen Zürcher Zeitung vom 15.11.99 kam die Schweizer Sozialpsychiaterin Dr. Cécile Ernst mit einer belobigenden Rezension des Süß-Buches heraus. Wie die se und ihre sonstigen Unterstützer wußte sie über die humansten, fortschrittlich-sozialpsychiatrischen Facetten der DDR-Psychiatrie zu berichten und ihren Mißbrauch zu beschönigen.

Dr. Koch (s. RB 2/97 wie 4/99) äußerte sich in der NZZ vom 07.12.99 befremdet über ihre Darlegung, die in ihm „einen zwiespältigen Eindruck“ hinterlassen hätten. Mit aller Entschiedenheit widersprach er ihrer Kolportage, es habe „in der DDR keinen systematischen Mißbrauch der Psychiatrie“ gegeben. „Verurteilt wegen ‚staatsfeindlicher Hetze’ zu zweieinhalb Jahren  Haft und anschließender Unterbringung in einer psychiatrischen Einrichtung, ‚um dem Wiederholen derartigen Verhaltens vorzubeugen und damit die Gesellschaft vorstaatsfeindlichen Angriffen zu schützen’ (Urteil vom 13.3. 1972) ... wurde (ich) also aus politischen Gründen in die Psychiatrie eingewiesen... Wenn ein psychisch Gesunder wegen Wahrnehmung der Meinungsfreiheit gerichtlich durch einen politischen Strafsenat in die Psychiatrie eingewiesen wird, so sehe ich dar  in einen systematischen  - weil im politischen System der DDR begründeten - Mißbrauch.“           

Die Schußworte der Dres. Koch und Eckstein haben die Abwiegler fürs erste, scheint es, zum Schweigen gebracht. Die offiziell-staatliche Position verharrt nach den Kommissionsberichten aus Berlin, Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Sachsen so wie nach dem von der Gauck-Behörde (!) heraus gegebenen Süß-Buch freilich weiter bei der Lüge:  DDR – kein politisch-systematischer Psychiatriemißbrauch.“ (3) Nach der Publizität, die nunmehr auch die Gegenposition, unsere Position, gefunden hat, stehen Wahrheit und Lüge, wie heute so häufig, unverbunden und gleich gültig nebeneinander – dem (post-)modernen Relativismus entsprechend zur beliebigen Bedienung je nach politischem Gusto.

3)       Anläßlich seines gegenwärtigen Prozesses vor dem Berliner Landgericht geht der Fall des ehemaligen Politbüro-Mitglieds Herbert Häber wieder durch die Presse, der 1985 auf Honeckers Veranlassung abgehalftert, dazu psychiatrisch zwangseingewiesen wurde. Die Anklage lautet jetzt auf „Totschlag wegen Unterlassung“. Gauck führt Häber als „Opfer“ (Die Welt vom 17.05.00). Süß beruft sich auf eine Erklärung des Generalstaatsanwaltes der DDR vom 01.02.1990 und schließt (auf Seite 486 ihres Buches) den Fall in ihrer Weise mit den Worten ab: „Es kam zu keinem politischen Mißbrauch der Psychiatrie“.

 

2.5 Weitere Fälle des DDR-Psychiatrie-Mißbrauchs

(die selbst S. Süß in ihrem Buch Politisch missbraucht? nicht umhin kam, einzuräumen)

(Ausführungen bei der Jahresversammlung der GEP in Baden-Baden am 13.05.2000 )

 

 „...Wiewohl sie systematischen Psychiatriemißbrauch für die DDR leugnet, führt Dr. Süß in ihrem Buch Fälle an (RB1/99), die deutlich für ihn sprechen.

Auf Seite 359 des Buches geht sie zum Beispiel auf den „Fall B.“ ein, den der Stern in seiner bekannten Reportage 1990 vorgestellt und den auch die dann folgende Waldheim-Untersuchungskommission als eindeutigen Fall eines Psychiatrie-Mißbrauchs bestätigt hat. B. war 3 Wochen lang von der Stasi in der ominösen „Poppe-Anstalt“ ohne Rechtsgrundlage zwanginterniert worden, weil die Stasi an seinen (nach politischer Haft) nach Westdeutschland abgeschobenen Bruder herankommen wollte (die Akten sind hier wohl nicht ganz eindeutig). Obwohl Süß wie zuvor die Kommission eine Menge weiterer der vom Stern 1990 berichteten  Menschenrechtsverletzungen verifizierte –  nur drei der acht vom Stern angeführten Fälle waren „rechtlich nachvolllziehbar“; die Dauer ihrer aller Unterbringung war rechtlich fragwürdig - tut Süß den Stern-Bericht ab als „Gemisch.... tatsächlich kritikwürdiger Sachverhalte, aus journalistischen Übertreibungen ... und Falschaussagen“. Sie relativiert allein damit alle vom Stern damals in Waldheim aufgedeckten Ungeheuerlichkeiten.

Auf Seite 516 ihres Buches schildert sie den „Fall Max Roller“, der 1973 21jährig nach mißglücktem Fluchtversuch Ausreiseantrag stellte, nach wiederholten Ablehnungen öffentliche Selbstverbrennung androhte und auf Veranlassung der Stasi dar über für 7 Tage ins PKH Neuruppin kam. Süß nennt das aus hohler Hand „eine singuläre (Stasi-)Aktion“.

Auf Seite 558 ihres Buches taucht der Fall des „Übersiedlungssuchenden M.“ auf, der 1985 auf Stasi-Veranlassung für 6 Tage in PKH Hildburghausen kam. Der Mann wurde flott entlassen, weil der Chefarzt, ein Stasi-IM, sich des im Westen beobachteten „Politikums“ bewußt war. Süß rühmt das als „hohe Sensibilisierung“ der DDR-Ärzte, was doch reiner politischer Opportunität entsprach. Sie vermeidet jeden Hinweis, daß wir es waren, die „sensibilisierten“.

Auf Seite 560 des Buches zwei weitere, ähnliche Fälle, Mutter und Tochter, die nach Inhaftierung des Ehemannes bzw. Vaters und angesichts drohender Aussiedlung aus dem Grenzgebiet 1983 mit Selbstmord gedroht hatten und darüber ins PKH Hildburghausen eingeliefert worden waren. Süß, die nichts über die Dauer der Unterbringung mitteilt, äußert Verständnis für die internierenden Kollegen. Sie seien in solchen Fällen – da hat sie auch recht - zu handeln „gezwungen“. Und doch bleibt an ihrer leichten Entschuldigung Beigeschmack.

Auf Seite 564 der Fall des „Antiquitätenhändlers M.“, der am 3.4.82 auf Stasi-Veranlassung im PKH Arnsdorf interniert wurde, weil der Staat unter Mitspiel staatstreuer Ärzte so am „problemlosesten“ an sein Sachvermögen in Höhe von ca. 6,5 Millionen herankommen konnte, im Westen wohl umgesetzt von Herrn Schalck-Golodkowski. Wie der seinerzeitige Chefarzt glättet Süß den Fall da mit, daß M., der wohl im PKH verstorben ist, sich schließlich „in sein Schicksal gefügt“ habe. Süß tut es auch mit dem Hinweis, daß die Um stände der Internierung den meisten Ärzten des PKH verborgen werden „mußten“, bzw. verborgen geblieben sind.

Gewiß hat sich manch behaupteter „DDR-Psychiatrie-Mißbrauch“ schon in Nichts aufgelöst, sei es, daß tatsächlich Kranke ihn behaupteten, sei es, daß politische Häftlinge lediglich zur Begutachtung  mit dem Fach in Berührung kamen. Auf Schritt und Tritt aber wiegelt Süß eindeutige Mißbrauchsskandale ab. Offensichtlich um unsere weiteren Aktivitäten zu bremsen, versuchte sie es auch mit Diffamierung (Fn 1), deutete sie meine / unsere Nicht-Zuziehung zu den Untersuchungskommissionen in persönliche „Kränkung“ um (Fußnote 353 ihres Buches). Dabei rückt die Nicht-Zuziehung der einzigen Gruppierung im Land, die seinerzeit den Mißbrauch des Faches kompetent bekämpft hat, für jeden unvoreingenommenen Beobachter eher dessen staatliche „Aufarbeitung“ nach der Wende ins Zwielicht. Auch im Falle Süß erweist sie sich als so angestrengter wie brüchiger Versuch, dem oft beschönigten DDR-Marxismus auch noch eine „weiße Psychiatrieweste“ anzupassen.

Die Nachprüfungen der Süßschen Angaben wie der Stasi-Akten bleibt teilweise schwierig, weil wir kaum weiter an die Betroffenen oder ihnen Nahestehende herankommen können, kaum an die von Süß genannten Fälle, nicht an den Torgauer Fall des Dr. Bieber (RB 1/97, Fn3), nicht an die neun Fälle, von denen seinerzeit der sächsischen Sozialminister Dr. Geisler sprach und die er gleichzeitig im Unklaren beließ (RB 1/97, S. 5). Über die gesamte Unterdrückungsszene der DDR bleibt ein seltsamer Schleier gebreitet. Von den 80- 90.000 Stasi-Häftlingen, die es gegeben haben soll, wird kaum etwas laut. Einen „Fall“ aber diskutiert die Öffentlichkeit. Im von der Stasi abgehörten Ex-Kanzler Kohl sehen nicht alle wie die (Ex-)MdBs Lummer und Eppelmann ein „Opfer“. Persönlichkeitsschutz aber billigen ihm alle zu. Etwas Dampf könnte in die Mißbrauchs-Diskussion noch kommen, wenn das fertig gestellte Buch Dr. Kochs erscheint. Gegen alle staatlichen Manipulationen ist unsere Sicht der Dinge publizistisch auch jetzt schon relativ gut etabliert. Natürlich ist sie noch in keinem öffentlichen Bewußtsein verankert. Mit Kohl wird jetzt aber auch der Süß-Protektor Gauck hinterfragt...

 

2.6  Nicht aber das Flunkern einzelner, sondern das über verschiedenste Staatsinstanzen laufende, konzertierte Abwiegeln des Mißbrauchs, die „Allgegenwart der eiskalten Lüge“ (S. 1) bei der gesamten politischen, publizistischen und ärztlichen „Klasse“ in dieser Frage waren und sind der Skandal. Vor solchem Abwiegeln aber scheute diese sich schon in den siebziger Jahren nicht, als es noch direktes Komplizentum, Unterstützung der Unterdrücker bedeutete (4). Dieses oft plumpe Herunterspielen kommunistischer Repressionspraxis in und mittels der Psychiatrie war ja in den 70ern der Anlaß für die Gründung unserer Vereinigung.

4)  Beispiele hierfür haben wir über die Jahre immer wieder publiziert. Als Beispiel sei nur die Erklärung der DGPN von 1972 in Erinnerung gerufen. Es hieß da: „Die DGPN hat weder die rechtliche Kompetenz noch eine reale Möglichkeit, tatsächliche oder vermeintliche Fälle des Mißbrauchs ... in anderen Ländern zu überprüfen und dazu Stellung zu nehmen..“ Mit derartig die Mißbrauchsrealität zerstäubenden Äußerungen operieren unsere psychiatrischen wie politischen Instanzen, wenn immer möglich, bis heute.

Die parteiische Einseitigkeit, mit der in den neuen Bundesländern die Untersuchungskommissionen zum Pychiatriemißbrauch eingerichtet wurden (RB 1/ 97, K.10) wie deren Ergebnis (vorletzter Absatz) sind  nicht mehr als die Fortsetzung allgegenwärtiger Lüge. Die Aufarbeitung der (gesamten) DDR-Ge schichte liegt noch reichlich im Argen –  wie in einer Rezension der neuen Bücher von Hubertus Knabe (5) die NZZ vom 9. Mai feststellte. D/W

5)  Knabe H., Die unterwanderte Republik – Stasi im Westen, Propyläen-Verlag, Berlin 1999 sowie West-Arbeit des MfS – Das Zusammenspiel von „Aufklärung“ und „Abwehr“, Verlag Ch. Links, 1999, die von Herrn Gauck genehmigten Mitteilungen Knabes.

 

2.7 Die ukrainische Zeitung LICA (Leute) publizierte am 10.02.99 einen großen, uns in beglaubigter Übersetzung vorliegenden Artikel („Aus dem Gebietsvollzugskomitee in die Psychiatrie – zwangsweise“), der von zwei Frauen, eine von ihnen eine Lehrerin mit 13-jähriger Berufserfahrung, berichtet. Beide wurden, als sie in Dnepropetrowsk mit Bitten an einen Abgeordneten heran traten, kurzerhand unter Anwendung physischer Gewalt in die Psychiatrie gesteckt. Unser Informant teilt mit, daß seine Angehörigen vor Ort nicht wagten, selbst Nachforschungen über das weitere Ergehen der Betroffenen anzustellen. Das könnte nämlich für sie gefährlich werden. Der ukrainische Sicherheitsdienst sei in Zusammenhang mit der Publikation in die Zeitungsredaktion eingebrochen und habe unerwünschte Papiere weggeräumt. So sei der an  gekündigte Forstsetzungsbericht der Zeitung über das weitere Schicksal der Frauen nicht mehr erschienen. Dr. Semjon Glusman, der jetzige geschäftsführende Sekretär des Verbandes ukrainischer Psychiater - wir hatten früher öfters über sein Verfolgten-Schicksal zu berichten – ließ wiederholte mündliche und schriftliche Bitten um eine Stellungnahme zu dem Vorfall unbeantwortet.

 

2.8 China: Falun-Gong-Anhänger werden in Psychiatrie festgehalten (Die Welt vom 21.01.00)

Die chinesische Regierung hat nach Angaben einer Menschenrechtsgruppe mehr als 50 Mitglieder der verbotenen Falun-Gong-Bewegung in die Psychiatrie ein gewiesen. Dies teilte das Hongkonger Informationszentrum für Menschenrechte und Demokratie in China mit. Die Anhänger befänden sich seit Dezember in einem Krankenhaus im Pekinger Stadtteil Zhou Kou Dian. Dort würden sie wie Psychiatriepatienten behandelt.

Die Vorgänge in China  zu verfolgen, übersteigt jedoch unsere Möglichkeiten endgültig. Als erstes scheitert alles Bemühen schon an der Sprachbarriere. Die Meldung zeigt indes, daß der Psychiatriemißbrauch als politisches Disziplinierungsmittel gegen Mißliebige vor allem in Diktaturen weiter hoch im Kurs steht. Ob wir von irgend einer psychiatrischen Fachgesellschaft oder gar vom Welt  verband für Psychiatrie einen Protest hören werden? Hören werden wir gewiß weiter von den dringend zu vermehrenden, unendlich humanen Hilfeleistungen des Faches. W

 

3. „Psychotherapie-Mißbrauch

 

3.1 In Informationen aus Kirche und Welt (IKW) 12/99 fand sich kürzlich die Notiz: „Mißbrauch der Psychotherapie durch regenten: Auf einer Veranstaltung des (konservativ-katholischen) Initiativkreises St.Pölten erklärte der Arzt Dr. Manfred Lütz, er müsse als Psychiater oft  (Priester-)Seminaristen untersuchen, die von ihren Regenten aufgrund ihrer ‚konservativen’ Einstellung zu ihm zwecks ‚Diagnose’ gechickt würden. In solchen Fällen teile er den Regenten aber mit, daß es zwar viele psychische Erkrankungen gebe, aber ‚Konservativsein’ sei nicht darunter. Es handle sich um einen echten Miß brauch der Psychotherapie (6) seitens der Verantwortlichen.

6)       Den Begriff „Mißbrauch der Psychiatrie“ suchen Psychiater möglichst zu vermeiden. Am Mißbrauch großen Stils wie in der Sowjetunion hatte auch Lütz nie etwas auszusetzen.

 

Es ist dies so ziemlich das erste Mal, daß außerhalb unseres Kreises das Thema Psychiatrie-/ Psychotherapiemißbrauch von einem deutschen Psychiater halbwegs realistisch angesprochen wurde. Der sowjetische Mißbrauch hat seinerzeit auch im katholisch-(ärztlich)en Lager kaum jemanden gekratzt. Auch die katholisch-wissenschaftliche Görres-Gesellschaft nahm von ihm nie Notiz. Von Dr. Lütz, einem Theologen und Psychiater, Psychotherapeuten, Chefarzt einer Fachklinik und nebenher „Berater großer Wirtschaftsunternehmen“ in Köln, gibt es nun ein Buch (s. Kasten), in dem er von seiner Kirche ein freundliches Bild entwirft (so etwas kommt bei Katholiken heute noch vor) und gleichzeitig herbe Kritik an manch psychotherapeutischen Hirngespinsten übt, etwa an „problemfixierenden“ (7) Verfahren und Schulen wie an der verbreiteten Vernarrtheit in sie. Expressis verbis vermerkt er „die in kirchlichen Kreisen allenthalben an zutreffende ... un kritische Rezeption der Gestaltpsychotherapie von Carl Rogers“.  Auch andere bekommen ihr Fett.

7)  Als „problemfixierend“ werden vielfach (und so offensichtlich auch von Lütz) die „aufdeckenden“, an der Vergangenheit haftenden Verfahren gewertet, zuvörderst also die Psychoanalyse, just die, die staatlich, ärztlich-höchstinstanzlich als problem-lösend deklariert und als solche protegiert werden.

Etwas Zögerliches ist dennoch an Lützens Kritik. Es scheint davon herzurühren, daß er selbst einer psychotherapeutischen Schule anhängt, der „Systemischen Therapie“ Watzlawicks. Just an ihr aber melden andere Zweifel an. Der auch bei IKW hoch geschätzte Michael Weber etwa führt in Psychotechniken - die neuen Verführer (Christiana, Stein, 1997) aus, es würde nach Watzlawick, diesem auf G. Bateson zurückgehenden „Psychologie-Modell heute in unzähligen Beratungseinrichtungen ‚gearbeitet’. Dabei gehen Familien und Ehen zu Grunde.“ Sogar die Bundesärztekammer konstatierte kürzlich das wissenschaftliche Fliegengewicht der Lehre (in DÄ1-2/20, nochmals bekräftigt in DÄ 13/00).

Wege aus der Problemtrance“ zeige Lütz auf, meint unverdrossen dagegen der IKW-verwandte, konservativ-katholische Fels 5/99. Bei der Bereitschaft selbst aller katholischster Kreise zur „unkritischen Rezeption“ antichristlich-psychotherapeutischer Pseudowissenschaften scheint dort eher einer Trance die nächste auf den Fersen zu sein. Auf Lützens kirchen-frommen Bluff, seine angemaßte „Sicht moderner Psychotherapie“ hin wird es wohl nicht lange dauern, bis nach dem Tanz um Freud (8), Rogers, Drewermann und vor allem Christa Meves (9) der Tanz ums Goldene Kalb Watzlawick beginnen wird. Je lauter manche psychotherapeutischen Kritiker diese oder jene Konkurrenzschule kritisieren, desto weniger rühren sie ans Grundproblem. Auf verschiedenen Ästen des gleichen Freud-Baums sitzend, wollen sie ihm nichts antun. Mehr als Schwindellehren wehren, wollen sie sie um eigene vermehren.

8) Auf die Freudschen Verfahren bezieht sich primär unsere Kritik. Die Verhaltenstherapie beinhaltet ebenfalls genügend Probleme. Sie wären aber gesondert zu behandeln.

 

9)  Sie spricht und schreibt sehr gut und täuscht über die Fragwürdigkeiten vieler Psychotherapien besonders fein hinweg. Deren Boom wie unkritische Rezeption im christlichen Lager hat sie wie keine andere angeheizt.

 

3.2 Vergleichbar, eher noch bunter als bei den Katholiken geht es psychotherapeutisch aber bei den Linken zu. Als Beispiel diene ein Blick in dort gängige Heilkunde-Zeitschriften, etwa in Dr. med. Mabuse. In offiziellen Ärzteblättern sieht’s freilich ähnlich aus. Hier werden etwa neben  dem Verlag Neuer Weg, Verlag des echten Sozialismus und neben „seriöser“ psychiatrischer, antipsychiatrischer und drogenverharmlosender Fachliteratur besonders psychoanalytische bis esoterische beworben, dazu alle nur denkbaren „ganzheitlichen Behandlungskonzepte“, Bio-Ethik, Qi-Gong, die sichere Lust, NLP und Hypnose, Integrative Existenzanalyse, Feldenkrais, Systemische Familientherapie (natürlich auch), Bio energetische Analyse, Thai-Traditional-Massage, Reinkarnationstherapie, Bô Yin Râ - Praxis fundamentaler Lebenserneuerung, Persönlichkeits- und Führungstrainings etc. Wie da Psychiatrie und Anti-Psychiatrie zusammengehen, ist gar ein schönes Beispiel dafür, wie Mainstream und Opposition eines sind bzw. letztere, von ersterem umfaßt, eben Pseudo-Opposition, Ablenkungsmanöver ist für „die ewig Dämlichen, die allzu Gläubigen“.

 In einem Offenen Brief an die Gesundheitsministerin, veröffentlicht in den MÄA 7/00,  lud Dr. Ellis Huber, ehedem langjährig rot-grüner Ärztekammerpräsident von Berlin, seinen Zorn ab über jetzt gar die „grüne Medizin“, u.a. die anthroposophische und homöopathische treffende Einschränkungen. Die „liebe Andrea Fischer“ bat er, die Verfahren -„Neue Deutsche Heilkunde“ hießen sie im Nazismus - zu fördern. Es sei doch die ihrer Klientel entsprechende. Für die grünste, (post-)modernste Medizin, die (Richtlinien-)Psychotherapie sprach Huber nicht. Das tun konservative Katholiken, „Lebensschützer“, Unionschristen etc. schon.

 

3.3 Einige solide Kritiker aber gab und gibt es, die sehr wohl an die grundsätzlichen Webfehler der Psychotherapie rühr(t)en. Gerade in jüngerer Zeit sind hier fundierte Kritiken herausgekommen, insbesondere in angel-sächsischen Ländern, wo Freud lange den glühendsten Anhang hatte (10).

z.B. Crews, F.C., Unauthorized Freud, 1998

Im Folgenden Ausschnitte aus der Stellungnahme eines der immer noch profundesten deutschen Kritiker, aus Karl Jaspers

Zur Kritik der Psychoanalyse  (in Rechenschaft und Ausblick, Piper, 1950).

„...Freud (ist) der überragende Kopf. Das Gewicht seines Wesens, die Radikalität, mit der er bis zum Absurden geht, sein Bezug auf die Krisis eines verlogenen Zeitalters, sein Stil und seine Eigenwilligkeit wirken stärker als irgend  einer der Nachfolger... Seine eigentümliche Kälte, ja sein Haß beflügeln die Weisen seiner Untersuchung. Es ist längst durch Kritiken gezeigt worden, was an seinen Schilderungen, Deutungen, Thesen Erkenntnisbedeutung hat, was pseudowissenschaftliches Verfahren, was in der Folge nicht etwa Fort schritt einer haltbaren Theorie, sondern bloßer Wandel der Einfälle des Autors ist... Was hier Therapie heißt in der Unbestimmtheit und Beliebigkeit des Sinns von Heilung, ist an den Worten eines namhaften Psychoanalytikers von 1933 zu erkennen: die größte psychotherapeutische Handlung sei die Wirkung Adolf Hitlers...

Man fragt sich, ob die Psychoanalyse der Weg sei zur Reife... Oder ob hier nicht vielmehr durch verkehrten, bodenlosen Glauben, der sich fanatisch festhält, der Weg verlegt wird zum eigentlichen Mensch  sein, das sich durch Bezug auf Transzendenz gewinnt... Das ärztlich-therapeutische Kleid für unärztliche Behandlungsmethoden im Um    gang mit Leiden und Nöten schafft eine Verwirrung der Grundhaltung, die den Boden bereitet für eine Orthodoxie... Psychoanalytiker gründen seit Jahrzehnten Gesellschaften. Diese erstreben das Recht zur Verteilung von Diplomen... Sie appellieren wie Sekten an Solidarität... Schon ist der Schritt zur Züchtung von psychoanalytisch orthodoxen Psychotherapeuten in Sicht ...  Die Lehranalyse (als Voraussetzung einer psychotherapeutischen Lizenz) ... ist ein Vorgang durchaus analog den Exerzitien... Wo (sie) zur Bedingung eines Forschungsweges gemacht wird, ist die freie Wissenschaft verneint... Wo das Experiment am Menschen, an sich selbst, zur Bedingung einer Approbation gemacht wird, da ist die Humanität verletzt.

.... Sieht man, wie etwa auf dem Wiesbadener Internistenkongreß von 1949 solche Dinge ernst genommen wurden, so kann man wohl in Staunen geraten. Das Maß der Anerkennung ... seitens der Nichtanalytiker, die Vorsicht, als ob etwas daran sein könne, die Sorge, durch radikale Verwerfung von Unwissenschaft sich zu blamieren, zeigt, wie tief die Wirkung dieser Glaubenweisen geht...“

 

3.4 Wie es an all den profundesten Kritiken vorbei und über Wiesbadener Internistenkongresse hinaus zur Etablierung der Freudschen Doktrinen als bare Wissenschaft und Staatsreligion und darüber neuerlich zu einer

                             Wendung der Psychiatrie ins Ungeheuerliche

gekommen ist, erzählt das Folgende. In RB 1/96, K.10.5 haben wir Dr. G. Brock Chisholm und die Psychologische Kriegsführung (Psychological Warfare) in den 40ern schon kurz schon vorgestellt (12). Seine umfänglichen, wahrlich epochalen, am 23.19.1945 im Auditorium des US-Innenministeriums abgelieferten Darlegungen werden im Folgenden, nur um einige weniger signifikante Passagen gekürzt, vorgestellt. Übersetzung W.

 G. B. Chisholm, der von Harry Stack Sullivan geleiteten Washington School of Psychiatry zugehörig, kanadischer General und 1956-57 Präsident der World Federation of Mental Health, vertrat 1945, nachdem eben der 2.Weltkrieg zu Ende gebracht war, die Ansicht, Kriege erwüchsen seit Anbeginn der Menschheit letztlich (ausschließlich?) aus vielerlei „Schuld-, Loyalitäts- und Inferioritätsgefühlen“. Verantwortlich dafür aber sei 

„...allein Moralität, das Konzept von Richtig und Falsch, das Gift, das vor langer Zeit beschrieben und vor dem gewarnt worden ist als der ’Frucht vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse’. In der alten Hebräer-Mär warnt Gott den ersten Mann, die erste Frau, sie sollten nichts mit Gut und Böse zu schaffen haben. Es ist interessant, festzustellen, daß so früh schon „Gut“ in gleicher Weise wie „Böse“ als Gefahr erkannt worden sind als Früchte eines und des gleichen Baums, als lediglich unter schiedliche Aspekte ein und der gleichen Sache.

Wir brauchten sehr lange, diese Wahrheit wiederzuentdecken und die Unnötigkeit und Künstlichkeit der uns auferlegten Inferioritäts- und Schuldgefühle sowie der Furcht zu erkennen, die gemeinhin als Sünde bekannt sind. Fast alle haben wir uns mit ihnen herumgeschlagen. Wie viel soziale Unangepaßtheit und Unglück in der Welt haben sie produziert. Über viele Generationen haben wir unseren Nacken unter das Joch des Glaubens an die Sünde gebeugt. Alle Arten giftiger Gewißheiten haben wir geschluckt, die uns unsere Eltern, die Lehrer unserer Sonntags- und sonstigen Schulen, unsere Politiker, unsere Priester, unsere Zeitungen und andere gelehrt haben, deren kalkuliertes Interesse es war, uns zu kontrollieren. ‚Ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist’: Gut und Böse, mit denen Kinder unter Kontrolle zu halten, freies Denken zu unterbinden, lokale, familiäre und nationale Loyalitäten aufzuerlegen und Blinde an ihr glorreiches, intellektuelles Erbe zu binden sind. Fehlgeleitet durch autoritäre Dogmen, gebunden durch ausgrenzenden Glauben, verkümmert durch eingebleute Loyalitäten, hin und her gerissen von verzweifelten Häresien, verhext durch hartnäckige Schismen, berauscht von ekstatischen Erfahrungen, verwirrt durch konfliktuöse Gewißheit, verunsichert durch erfundene Mysterien, und niedergedrückt durch Bleigewichte von Schuld- und Angstgefühlen, die durch inhärente Versprechungen erzeugt wurden, schleppt sich das unglückliche Menschengeschlecht unter der selbst auferlegten, gräßlichen Last dahin, durch sie der einzigen Verteidigungsmöglichkeit, ihrer Strebensgründe, ihrer Verstandeskraft und ihrer natürlichen Befähigung beraubt, sich der Befriedigung ihrer natürlichen Bedürfnisse zu erfreuen. Unvermeidliche Ergebnisse sind Frustration, Inferioritätsgefühle, Neurosen und die Unfähigkeit, das Leben zu genießen, klar zu denken und die Welt für das Dasein in ihr fit zu machen.

Daß die Intelligenz durch diese im Namen von Tugend und Seelensicherheit angelegten Glaubensbandagen verkrüppelt wird, ist so klar ersichtlich, wie es jene verkrüppelten Füße von Chinesenmädchen sind, die einem lokalen Konzept von Schönheit geopfert wurden. Das Ergebnis ist in beiden Fällen nicht Schönheit des Charakters oder der Füße, sondern Verbiegung, Verkrüppelung und Verlust natürlicher Funktion. Intelligenz, die Fähigkeit zu beobachten und klare Überlegungen anzustellen sowie situationsentsprechende Entscheidungen zu fassen und umzusetzen, in denen er sich wie der findet, das sind des Menschen einzige Mittel zu überleben. Seine einzigartige Ausstattung hierfür liegt zur Gänze in seinen Großhirnlappen. Sein Schicksal muß sich in der Richtung erfüllen, wie sie von seiner Ausstattung vorgegeben wird. Was immer das klare, wahr  hafte Denken des Menschen beeinträchtigt oder verzerrt, arbeitet gegen des Menschen offenkundiges Schicksal und ist angetan, ihn zu vernichten. Des Menschen Fähigkeit, frei zu beobachten und zu denken, ist entscheidend wichtig für sein Überleben, so wie die anderen spezifischen Überlebensmethoden für andere Lebewesen wichtig sind. Vögel müssen fliegen, Fische schwimmen, pflanzenfressende Tiere müssen Gras oder Körner vertilgen, so wie der Mensch frei beobachten und denken muß. Diese Freiheit, die in allen Kindern gegenwärtig und als Unschuld bekannt ist, wurde durch lokale Gewißheiten, von Göttern lokaler Moralität, lokaler Loyalität, von persönlichen Erwartungen, Vorurteilen, Haß und Intoleranz, häufig maskiert als Liebe, zerstört oder verkrüppelt - von allen möglichen Göttern, die die Freiheit der Beobachtung und des Denkens ruiniert und schon jede Generation der Kontrolle alter Leute, der Eltern, Schamanen und Priester unterworfen ha ben...

Uns wurde gesagt, Moslems oder Hindus oder Juden oder Demokraten oder Republikaner ... oder Kapitalisten oder Gewerkschafter oder Sozialisten oder Kommunisten oder Katholiken oder Methodisten oder diese oder jene aller sonstigen Gruppen von Menschen lägen da neben oder seien gar böse. Fast immer ist es so, daß unter all den Leuten in der Welt nur unsere eigenen Eltern und vielleicht ein paar wenige, von ihnen Auserkorene recht haben in allem und jedem. Und nur um den Preis von Schuldgefühlen, Angst und Gefahr für unsere unsterblichen Seelen konnten wir uns von ihrer Rechtschaffenheit absetzen. Dieses Training aber obwaltete im Menschengeschlecht praktisch universal. Inhaltliche Variationen sind ohne Belang. Das Ergebnis ist in jedem Fall giftig, unabhängig davon, wie es aufbereitet oder getarnt ist.

Die reife Persönlichkeit ist flexibel, kann nach Zeit, Personen und Umständen Aufschub gewähren, kann tolerant und geduldig sein und vor allem die Qualitäten von Anpassung und Kompromiß zeigen’... Unterrichten die Familie, die Schule oder die Kirche in dieser Richtung? Fast nie! Und doch ist es gewiß wahr, daß es die erste Pflicht jeder Generation ist, ihren Kindern zu helfen, solche Reife zu erreichen. Nur wenn das erfolgreich getan ist, können wir hoffen, genügend Leute zu bekommen, die fähig sind, klar und frei genug zu sehen und zu denken, fähig das Menschengeschlecht davon abzubringen, so fort zu fahren, wie es bisher gegangen ist - von einer zur nächst größeren, nächst gräßlicheren Schlächterei.

Überall und ausdauernd und mehr und mehr erfolgreich haben Psychiater mit vielerlei Methoden versucht, einzelnen in Schwierigkeiten verstrickten Menschen zu helfen, dem Stand der Reife nahe genug zu kommen, um fähig zu sein, komfortabel zu leben für sich wie für ihre Umgebung. Aber gewiß wäre es für die Welt vorteilhafter, wenn Psychiater das Feld der Prävention beträten, wo die Hauptarbeit ansteht getan zu werden. Das (gegenwärtige) Training der Kinder erzeugt Tau sende von Neurotikern für jeden, dem Psychiater durch Psychotherapie zu helfen hoffen können. Eine Generation von reifen Bürgern zu schaffen, ist die größte und allernotwendigste Aufgabe, die ein Land unter nehmen kann. Der Lohn wäre kolossal - Rettung von Leiden und Elend.

Die Uminterpretation und letztlich Ausmerzung des Konzepts von Richtig und Falsch, welches die Basis der Kindererziehung war, der Ersatz des Glaubens in die Gewißheiten der Alten durch intelligentes und vernünftiges Denken, das sind die letzten Ziele praktisch aller effektiven Psychotherapie. Wären sie nicht legitime Ziele originärer Erziehung? Wäre es nicht vernünftig, mit der Übertragung unserer lokalen Vorurteile und Glaubensinhalte auf Kinder aufzuhören und ihnen alle Seiten aller Fragen vorzustellen, auf daß sie in ihrer eigenen kost baren Zeit die Fähigkeit entwickelten, die Dinge richtig einzuschätzen und ihre eigenen Entscheidungen zu treffen?

Der Vorschlag, wir sollten aufhören, unseren Kindern Moral, Sätze, was recht oder falsch ist, zu lehren und statt dessen ihre originäre intellektuelle Integrität schützen, hat natürlich den Vorwurf der Häresie oder Bilderstürmerei zu gewärtigen, so wie er erhoben wurde gegen Galilei wegen Auffindens eines weiteren Planeten, gegen jene, die behaupteten, die Welt sei rund, gegen die Wahrheiten der Evolution, gegen die Uminterpretation des hebräischen Gottes durch Christus und gegen jeglichen Versuch, die verfehlten alten Wege oder Ideen zu ändern. Vorgegeben wird, wie es bei der Entdeckung jeglicher Wahrheit schon der Fall war, daß die Abschaffung von Richtig und Falsch Barbarei, Unmoralität, Gesetzlosigkeit und ein soziales Chaos auslösen würde. Fakt aber ist, daß die meisten Psychiater und Psychologen und viele andere respektable Leute diese moralischen Ketten abgeworfen haben und fähig geworden sind, frei zu beobachten und zu denken. Die meisten der Patienten, die sie erfolgreich behandelten, taten das Gleiche und zeigen trotzdem keine Zeichen sozialer oder persönlicher Degeneration, keinen Mangel sozialer Verantwortung, keine Tendenz zu sozialer Anarchie. Das Schreckgespenst ist ohne jegliche Realität. Wir alle erkennen solche Reaktionen als die von Ungarem, von Inferioritäts- oder Schuldgefühlen, die nicht der reifen, integrierten Persönlichkeit zugehören. Freiheit von Moralität meint Freiheit, vernünftig zu beobachten, zu denken und sich zu verhalten zum Vorteil der Person wie auch der Gruppe, frei von veralteten Loyalitätsweisen, frei von den magischen Ängsten unserer Vorfahren.

Wenn das Menschengeschlecht von seiner es verkrüppelnden Last von Gut und Böse befreit werden soll, müssen es Psychiater sein, die hierfür die Verantwortung auf sich nehmen. Dies ist die Herausforderung, der sich gestellt werden muß. Wenn sich die Psychiater entscheiden, damit nicht zu beginnen, sondern in der Nutzlosigkeit von Psychotherapie fortzufahren, dann ist auch das eine Entscheidung. Nur ist die Verantwortung für die Ergebnisse immer die Ihre. Was die Welt von der Psychiatrie braucht, ist ehrliches, einfaches und klares Denken, Sprechen und Schrei ben. Sie braucht das Selbe auch von der Psychologie, Soziologie, den Wirtschaftswissenschaften und der Politik...

Der Kampf, wenn er aufgenommen werden soll, wird lange dauern und wird schwierig sein. Aber die Wahrheit wird siegen, wenn nur genügend Menschen es wollen. Wenn wir bleiben, wie wir sind, haben wir bei etwas Glück vielleicht 15 oder gar 20 Jahre vor uns, bis der nächste Weltkrieg ausbricht, 20 Jahre aber auch, um die liebsten Gewißheiten von genügend Menschen umzukrempeln, 20 Jahre, um das älteste und blühendste parasitäre Wachstum der Welt zu entwurzeln und zu vernichten, den Baum der Erkenntnis von Gut und Böse, auf daß der Mensch lernen kann, sein kostbarstes Erbe zu bewahren, seine Unschuld und intellektuelle Freiheit, 20 Jahre, um die Notwendigkeit der perversen Befriedigung des Kriegführens zu eliminieren und zu gewährleisten, daß überall genügend Leute vor den schrecklichen Bedrohungen vor ihnen ihre Augen nicht mehr verschließen, so wie wir es von 1910-14 und 1917 und von 1933-39 und 1941 getan haben.

Wir sind das schreckliche Beispiel. Wir sind das Volk, das alle 15-20 Jahre Kriege führt. Wir müssen, koste es was es wolle, unsere Kinder und Kindeskinder davor behüten, so zu sein, wie wir gewesen sind. Die Freiheit von der Tyrannei besagter Glaubensweisen und Ängste ist jedoch nicht in einer Generation zu schaffen. So lange es dauern mag, bis die Kindererziehung sich geändert hat und genügend (reife) Menschen auf der Erde sind, ist es deshalb notwendig, daß wir uns gegenseitig wie jeden anderen weltweit genau im Auge behalten. Nicht für einen Augenblick darf unsere Beobachtung ermüden. Lassen Sie uns alle vorbereitet sein - nicht für einen nächsten Krieg wie den soeben mit Kriegsschiffen, Armeen und Luftflotten ausgetragenen, sondern einen mit Raketen, Atom bomben und all der mobilisierten Gewalt unserer Laboratorien geführten. Dies nämlich sind die Waffen der Zukunft. Von je dem Platz der Erde aus kann mit ihnen in wenigen Minuten die gesamte Welt erreicht werden. Die Menschen, die ernstlich keinen Krieg mehr führen wollen, müssen versprechen die Nation zu vernichten, die einen Krieg beginnt. Und sie müssen vorbereitet sein, dieses Versprechen ohne langes Palaver umgehend und rücksichtslos umzusetzen. Dies schließt ständige Aufrechterhaltung von weit über die Erde verstreuten Abschußrampen für Atomraketen wie auch ein anhaltendes, unter Hoch druck arbeitendes Forschungsprogramm ein, noch effizientere Mittel und Methoden des Tötens zu entwickeln und je dem möglichen Wettbewerb vorauszusein. Solches muß sich fort setzen, bis wir, bis alle Menschen umerzogen sind, um in Frieden zusammenzuleben, bis wir frei sind, klar zu beobachten, vernünftig zu denken und uns entsprechend zu verhalten...

Kann ein solches Programm der Umerziehung oder eine neue Art von Erziehung abgesteckt werden? Ich möchte mir nicht anmaßen, so weit zu gehen, möchte nur vorschlagen, daß Psychologie und Soziologie und einfach Psychopathologie, die Wissenschaften vom Leben, allen Menschen zur Verfügung gestellt werden, in dem sie allen Kindern in Volks- und höheren Schulen gelehrt werden, während das Studium von solchen Dingen wie Trigonometrie, Latein, Religion und anderen Fächern von speziellem Interesse den Universitäten überlassen werden sollte. Nur so, denke ich, können wir unseren Kindern helfen, ihre Verantwortung als Weltbürger wahrzunehmen, wozu wir selbst nicht in der Lage waren. Nur so können wir verhindern, daß sie in einer Welt der Angst und des Chaos, der Grausamkeit und des Todes leben müssen, noch viel schlimmer als wir sie uns jetzt vorstellen können.

Eine friedfertige Gesellschaft hatten wir auf der Welt nie wirklich, hatten nur kurze Zwischenspiele des Vergessens und dann immer wieder verzweifelte Vorbereitungen neuer Kriege. Kann die Welt lernen in Frieden zu leben? Ich glaube schon, aber nur wenn einzelne Psychiater und Psychologen“ - Reife vermitteln. Chisholm definiert sie (in Anlehnung an andere) so: "Im Grunde stellt Reife eine zuträgliche Mischung von zwei Gegebenheiten dar, einmal Unzufriedenheit mit dem Status quo, die" entsprechend "aggressive und konstruktive Bemühungen (um seine Veränderung) aus löst, und zweitens soziales Engagement und Hingabe an die Gemeinschaft’ ... Diese (zu erwirken) ist die vorrangige Verantwortung der Psychiatrie.

 (12)  Chisholm G.B., The Reestablishment of Peacetime Society - The Responsibility of Psychiatry, The William Alanson White Memorial Lectures, 2. Series, Psychiatry, Journal of Bio logy and the Pathology of Interpersonal Relations, Vol. 9, No.1,  February 1946. Als Ziel dieser Vorlesungen wurde bestimmt „die Verbreitung bedeutsamer Entwicklungen der Psychiatrie ... sowie die Bestärkung einer kritischen Umsetzung  psychiatrischer Prinzipien durch jene Verantwortungsträger, von denen die funktionelle Effektivität unserer demokratischen Sozialordnung abhängt.“

3.5  Chisholm hielt diesen Vortrag während der Truman-Administration am 23.10.1945 im Auditorium des US-Innenministeriums in Washington. Von seinen Vorschlägen setzten sich in der Diskussion der Vizedirektor der Kriegsmobilisierung und –demobilisierung, The Honorable A. Hyde und der Föderale Sicherheitsbeauftragte The Honorable Watson B. Miller ab, letzterer etwa mit dem Hinweis, er „revoltiere innerlich gegen den Vorschlag, unsere ganze Zukunft und jedes Segment des Mosaiks, in dem wir leben, dem Psychiater zu überlassen“. Der nachdrückliche Einspruch zeigt, daß Chisholm selbst nur ein Segment der US-Gesellschaft vertrat und mahnt die demokratische Struktur immer noch im Auge zu behalten. Handelsminister The Honorable H.A. Wallace unter stützte Chisholms Ungeheurerlichkeiten jedoch - mit kleinen Abstrichen. Und der Innenminister (Under Secretary) The Honorable Abe Fortas meinte voll heraus, es sei tatsächlich eines Psychiaters „größere Aufgabe, die Ursachen von Furcht, Ängstlichkeit, Vorurteil und böser (!) Leidenschaft zu suchen und daran zu arbeiten, sie auszumerzen.

Unter dem Strich gelang es Chisholm, der Washington School of Psychiatry und weiteren Aktivisten der Psychological Warfare mit ihrem aggressiven Impetus und mit der offensichtlich von Anfang an gegebenen Unterstützung hochrangiger Politiker zu erst die Psychiatermehrheit Amerikas, dann der Welt, gleichzeitig aber auch mehr und mehr Politiker in aller Herren Länder, auch viele der CDU und CSU für ihre Pläne einzunehmen und mit ihnen zwanzig Jahre später, als beidseits des Atlantiks genügend Umerzogene nachgewachsen waren, die 68er Revolution ein schließlich der „Psychiatrie-Re form“ loszutreten.

Mit Chisholm bekam das Konzept einer „erweiterten  Psychiatrie“ offensichtlich den Anschluß zu seiner politischen Umsetzung. 1962 unterstützte der New Yorker Gouverneur Rockefeller den von „Reformpsychiatern“ um den Freudianer Karl Menninger vorgelegten „Plan zur Behebung des Problems der Geisteskrankheiten.“ 1963 unterzeichnete Präsident John F. Kennedy sein berühmtes Reformgesetz, das unter dem Etikett „Dezentralisierung psychiatrischer Dienste“ diese zentral der Bundesadministration unterstellte und die „erweiterte“ psychiatrische „Versorgung der Bevölkerung“ einleitete.

Ähnliches ereignete sich bald bei den „Vasallen“ (K.1), in Deutschland in Form der Psychiatrie-Enquête, die Chisholms Ideen hier als „Psychiatrie-Reform“ zum Regierungsprogramm erhob.

 

4. Umerziehung statt Krankenversorgung

4.1 Gewiß ist an Chisholms Ausführungen Plausibles, in jedem Fall Diskussionswürdiges, wie etwa seine Deutung des „Sündenfalls“ (13). Um so merkwürdiger, daß den Kirchen hierzu bisher keine Erwiderung eingefallen ist. Gehen sie die an so prominenter Stelle ausgesprochenen, von so machtvoller Seite unterstützten, die tiefsten Fundamente ihrer Glaubenslehre umpflügenden Aussagen nichts an? Hat Christus wirklich und vielleicht zum Schaden der Menschheit "den hebräischen Gott uminterpretiert"? Ist all dies keines Kommentars wert? Die „Konservativen“ aller Schattierungen blieben bis heute merkwürdig unberührt.

13) Schauerlich Absurdes natürlich nicht weniger, etwa sein Vorschlag, „Regierungen sollten veranlaßt werden, (psychotherapeutische) Zwangsbehandlungen für Neurosen einzurichten ähnlich wie für andere Infektionskrankheiten auch.“ Ähnlich geistblitzend wie ungar-beschränkt bereits Nietzsches Antichrist.

Gibt es an Chisholms Traktat nichts aus zu setzen? Ist es nicht geradezu das Eröffnungsmanifest des Neomarxismus, die Ouvertüre der Sozialpsychiatrie und -Psychologie dazu? (14) Steht nicht alles darin, was den „(Post -) Modernismus“ (15) ausmacht, die radikale Ablehnung überkommener Werte, die „Lossagung von Grundkonzepten westlichen Denkens, die Durchbrechung gar der Kontinuität der Geschichte“ (RB 4/99, K.5.3), das plumpe Polemisieren gegen Eltern, alles Alte, die rigorose Vereinnahmung von Wahrheit, Humanität und Frieden, die milde Beurteilung von Kommunismus, Kommunisten, die hier – mehr Blut noch als an den Nazis klebt an ihnen - mit Methodisten, Katholiken, auch US-Republikanern wie  –Demokraten in eine Reihe gestellt werden, die aggressive Überzogenheit der Reaktionen, Empörungsausbrüche im Fall von Einwänden und sei es triftigster, die drohungsbeladene Unverfrorenheit der Forderungen, unter ihnen zuvörderst die nach einer Erweiterung und Ausbreitung von Psychiatrie, Psychotherapie unter der alleinigen Zweckvorgabe einer Umerziehung zum Weltbürgertum, wo  bei gleich auch die eigene, demokratische Bevölkerung zur Umerziehung vorgemerkt wird, die den Frieden gewahrt und deren Söhne ihn nach Niederringen der Diktatur eben neu erkämpft hatten? Auf das Ziel einer globalen Ordnung, eines Weltstaats wird auch bereits die Forderung nach einer „Kulturrevolution“ gerichtet, nicht expressis verbis in Chisholms Rede zwar, aber gleich nebenan in einem Epilog aus der Feder des Schulleiters Sullivan (K.3.4) im 1946er Sammelband der Psychiatry.

14)  C. von Schrenck-Notzing nennt in seiner „Charakterwäsche“ (Langen-Müller, München 1981) als „Geburtsdokument“ der neofreudianischen Schule den 1935 in Paris gedruckten Band „Studien über Autorität und Familie“ von E. Fromm.

15)     G. Lipovetsky (Narziss oder: die Leere, ISBN 3-434-500707-7) stellt als „Bruch“ mit dem „bis in die fünfziger Jahre vorherrschenden, demokratisch-disziplinarischen Modernismus“ den „Postmodernismus entgegen, ihn aber als Ergebnis eines autonom laufenden „Personalisierungsprozesses“, der „auf  Information und Bedürfnisstimulierung, auf Sex und der Berücksichtigung ‚menschlicher Faktoren’, auf dem Kult von Natürlichkeit, Herzlichkeit und Humor“ und weiteren gelobten Attributen gründe. L. wie alle Fürsprecher des „Postmodernismus“ sagen nicht, daß es sich bei ihm 1.) um ein psychologisch geplantes Unternehmen, 2.) wesentlich und eigentlich um Neomarxismus, Freud-Marxismus handelt und daß 3.) ein schön-neu-weltlich-diktatorisches Konzept hinter ihm steht. Während H. Marcuse „selbst in den sublimsten Manifestationen der traditionellen Kultur“ kapitalistische Unterdrücker witterte (Versuch über die Befreiung), niemand ihn deshalb aber einer Paranoia zieh, bekommt, wer nur auf die geplante Natur besagten  Bruches hinweist, derartiges sehr schnell angehängt (K.2.1).

 

4.2 Auch flotteste Cannabis-Verniedlichungen stehen hier bereits (16), dazu natürlich endlose Lobreden auf Freud und was sonst noch alles zum (Post-)Modernismus, Freud-Marxismus gehört. Daß dieser mit samt der Allgegenwart der eiskalten Lüge (K.1, Kasten), der Täuschung (RB 2/98, K.13.5) den „Psycho-Küchen“ entstammt, ist weithin bekannt. Drastisch führt es der Psychiatry-Artikel noch einmal vor Augen.

16)     Auf Seite 89 des 46er Bandes heißt es von der bekannten La Guardia-Studie zur Rolle der Hanf-Droge in New York: „Diese umfassen den klinischen Studien bestätigen voll auf die Schlußfolgerungen der Soziologen, daß die all gemeine Ansicht von den katastrophalen Effekten von Marihuana unbegründet ist“ - als genügten die bekannten Effekte nicht, um vor der Droge zu warnen. So früh begann in sozialpsychiatrischen Kreisen die Verharmlosung der Rauschdroge!

 

4.3 Was das Schweigen der Kirchen, selbst der treuesten Katholiken betrifft, müssen wir noch fragen: Haben sie vielleicht von Chisholm über mehr als ein halbes Jahrhundert nichts gehört (17)? Den Psychiatern in unserer Gruppe wie wohl manchen anderenorts war der Mann bis vor wenigen Jahren tatsächlich kein Begriff - obwohl in dem zitierten Papier quasi das gesamte Psychiatrieprogramm von heute und mehr als das enthalten sind. Von unseren Ordinarien, Klinikdirektoren, auch den Dozenten der „psychotherapeutischen Ausbildungsstätten“ hat sie in ihrem gesamten Berufsleben so wenig jemand auf die weltstürzenden Pläne Chisholms aufmerksam gemacht, wie offensichtlich die Gläubigen durch ihre Kirchen, die Allgemeinheit durch die Medien informiert worden sind. Dabei heben die Pläne doch die Grundfesten des gesellschaftlichen Geschehens aus den Angeln. Erfuhr von ihnen im Fach wie in allen sonstig berührten Gesellschaftsbereichen vielleicht nur eine „Elite“ von „Eingeweihten“ (RB4/99, K.11), auf daß diese sie in verträglicheren Stücken, jeweils nochmals humanitär bezuckert, an die „Basis“ weiterverteilten? Die Pläne, die Psychiatry-Bände, stehen wohl in unseren (Fach-)Bibliotheken, wurden aber, weil nirgends erwähnt, kaum je gelesen. Die vielgescholtenen Scientologen waren es, die auf sie aufmerksam machten (RB 1/96) (18).

17)  Oder begann die Kirche, wie etwa Prof. W. Hoeres, Frankfurt / M., meint (Die Welt vom 12.11.99), damals schon still und leise auf den Relativismus, (Post-)Modernismus einzuschwenken, wie es in jüngerer Zeit, beginnend mit dem Weltgebetstreffen der Religionen in Assisi, mitunter den Anschein hat?

18)  Unsere Rundbriefe gehen seit geraumer Zeit auch an katholische Instanzen. An Chisholms Psycho-Plänen – wir schnitten sie immerhin schon vor vier Jahren an (RB 1/96) – gingen sie locker vorbei.

Diskussionswürdig ist, wie gesagt, vieles an Chisholms Ausführungen. Das aber ist der eigentliche Skandal, daß es eine Diskussion über sie nie gab. Wie der Dieb bei der Nacht kam samt Psychiatrieerweiterung der Neomarxismus über uns, dabei noch Ehrlichkeit erheischend. Jahre hat er offensichtlich zur Umerziehung genützt, bis er, personell gerüstet, in wilder 68er Jagd, auch von „konservativeren“ Medien gestützt und von CDU und CSU schweigend gedeckt, mit einem Schlag als fertige, unbezweifelbare „Wahrheit“ und Wirklichkeit unter uns war, vom Meister der Washington School of Psychiatry, Chisholms Souffleur Sullivan (K.3.4) (19), gleich gegen alle Kritiker gefeit. Auf Seite 82 des 46er Bandes legte er, Freud gleich (20), fest, wer diejenigen sind, die seine Vorschläge verschmähten: „... the people demoralized...  and the stupid...

19)  Die Verbindungen Sullivans, des Begründers der „Neo-Analyse“, zu den übrigen Vätern des Neomarxismus und der Umerziehung - Kurt Lewin und auch A. Huxley gehören dazu - hat v. Schrenck-Notzing (Fn14) schön beschrie ben.

20)  Wie Freud Kritiker, auch ehemalige Schüler abfertigte, „psychiatrisierte“, ist bekannt. Kritik an ihm bedeutet im übrigen nicht, alles von ihm Kommende, alles ihm oder seinen Schülern zu recht oder –unrecht Zugeordnete abzulehnen.

              Die Einschüchterungsmethoden waren offensichtlich nicht zu plump, um erst in Amerika und bald weltweit die Psychiater und in schwer abschätzbarer Zahl da wie dort auch die Politiker auf die Washingtoner Psycho-Schule einschwenken zu lassen. Im Top-Down-Verfahren (Polit-Top-Psycho-Down) wurde sie durchgesetzt. Die deutschen Psychiater, bis auf wenige (Jaspers, v. Baeyer u.a.) nach ’45 demoralisiert bis auf die Knochen, waren natürlich ihre leichteste Beute. Was auf heutigen Psychiatriekongressen im Land laut, in deutschen Psychiatrielehrbüchern und Fachjournalen, genügend auch in sonstigen Medien ausgedruckt wird, ist vielfach nur noch Variation der Psychiatry-Vorlage, mehr oder minder stupid penetrante.

 

4.4 Weil aber der Chisholm-Text mit all seinen Auswirkungen auf das Fach und die Gesellschaft hier erstmals nach einem halben Jahrhundert kritisch zur Sprache kommt, darf es doch noch etwas gründlicher sein. Das kostbare Gut des Friedens haben alle Marxisten, alte wie neue, immer gern in Beschlag genommen. So schnell unsere Grünen heute auch mit Militäreinsätzen bei der Hand sind, resultiert der Weltfriede in unserer Zeit wohl immer noch eher aus dem Gleichgewicht des Schreckens als aus der Psychotherapie und Umerziehung, die seit Jahrzehnten auf uns niedergehen. Fragwürdig ist überhaupt, ob diese in ihren verschiedenen Spielarten, insbesondere der Freudschen, leistet, was sie behauptet, sie wirklich etwa „Reife“ bewirkt und zudem, ob Reife jenes Maß von Abgebrühtheit ist, das die Psychoanalyse, mit ihr die Washington School of Psychiatry von ihr entworfen haben. Andere hatten da schon fundierte Zweifel (K.3.3).

Als nächstes aber die Frage, ob hier überhaupt ein realistisches Ziel realistisch angesteuert wird. Hat sich der Traum vom „neuen Menschen“ (RB 1/96) nicht oft genug als Hirngespinst – und Alp erwiesen? Liegt da nicht eine Neuauflage all der erlebten und satt diskreditierten nationalen wie internationalen Sozialismen vor, eine der endlosen, humanitär einherstolzierenden Utopien, die „links“ aussehen, „rechts“ finanziert werden und immer wieder neu zur Diktatur tendieren? Kann der Mensch je etwas anderes sein als der „alte Adam“, wenn ja et was friedlicher heute, dann doch nur, weil die demokratisch verfaßte Machtbalance ernstere Machtmißbräuche verhindert. Nur in diktatorischen Konzepten kursieren (bislang zum Glück noch reversible Zerrbilder von) „neue(n) Menschen“ .

Daß Chisholms Appell an die Großhirnlappen seinerzeit gut ankam, ist nach dem Irrsinn von Weltkrieg und Nazismus verständlich. Appelliert aber wird so seit Generationen, was sich oft genug schon als Maskerade neuer Irrationalität entpuppte (21). Haben nicht kluge Köpfe wie Karl Jaspers, Karl Popper die so rational auftretende Freudsche Psychotherapie geradezu als Prototyp von Pseudowissenschaft und Irrationalität erkannt? Und sind nicht aus ihr oft in fließenden Über gängen die breitesten Zuströme zum Sektenwesen (K.3.3), zum Hokus pokus wilder Esoterik bis hin zum Teufelskult und Massen-(selbst-)mord schon hervorgegangen? Disponieren Chisholms und sonstig autoritäre, „antiautoritär“ sich gebende Vorlagen nicht, uns lediglich an deren, versteckteren, dafür um so skrupelloseren Autoritäten aus zu liefern? Und liegen im gepredigten Weltbürgertum allen Beschwörungen von Demokratie zum Trotz nicht Tendenzen just zu einer neuen Diktatur, der schön-neu-weltlichen? Im Kapitel 16 seiner Brave New World hat Aldous Huxley den Schrecken eines jüngsten Krieges als probates Mittel gehandelt, die Geschreckten in seine „elitäre“ Tyrannei hinein zu treiben (22).

21)  Das war wohl immer einer der gelungensten Täuschungen Freuds und seiner direkten wie indirekten Jünger einschließlich Chisholms, daß sie seine Lehren mit dem Anspruch „freien Denkens“ als rational verkauften, während sie de facto rational verbrämte Mythen sind. Nur infolge ihrer Irrationalität, der verbreiteten mystischen Neigungen und des „autistisch-undisziplinierten Denkens in der Medizin“ (E. Bleuler) sind sie so erfolgreich.

22)  Der “Weltkontrolleur“ zum “Wilden”: „Unser Herr Ford selbst tat einiges, den Akzent von Wahrheit und Schönheit auf Komfort und Glücksgefühl zu verlagern …  Die Leute sprachen noch von Wahrheit und Schönheit ... bis  zu der Zeit des neunjährigen Krieges. Dieser machte sie ihre Einstimmung ändern. Was kümmern Wahrheit oder Schönheit oder Wissen, wenn die Milzbrandbomben rings um Sie herum niedergehen?” (RB 4/99, K.5*)

So bestechend manches an Chisholms Ausführungen ist, so auf den ersten Blick wurmstichig doch anderes. Das wundersamste aber: Über die Pläne, die neben der Psychiatrie tatsächlich „unsere ganze Zukunft und jedes Segment des Mosaiks, in dem wir leben,“ auf den Kopf und unter Fremdbestimmung stell(t)en, wird bis heute nicht gesprochen! Jaspers, der große Psychiater, Philosoph und Nazi-Gegner, begrüßte wie wohl die meisten im Land 1945 auch die Forderung nach einer „Umerziehung der Deutschen“. Er meinte (23), wir dürften jetzt „unsere eigentliche, gute geistige Welt wieder aufbauen und weiterentwickeln.“ Auch ihm war offensichtlich verborgen worden, verborgen geblieben, woher 1949 der Wind auf dem Wiesbadener Internistenkongreß wehte (K. 3.3), daß nämlich für das eigene wie alle anderen Völker (pardon: Gesellschaften) etwas ganz anderes geplant, von Psychiatern, Psychologen in einigen angelsächsischen Ländern wieder einmal ein „neuer Mensch“ konzipiert worden war und nun herangezüchtet werden sollte, ein kaum weniger lieb- und gewissenloser, als der eben überwundene.

 

4.5 Wer aber, nachdem die Pläne aufliegen, heute noch wagt und kritisch über sie und ihre Weiterungen (24) zu sprechen, sich von ihnen abzusetzen, wird als „Fundamentalist“ oder Schlimmeres verrissen, mitunter gar das politische Denken eines ganzen Landes. Unsere Medien (25), hier speziell Die Welt vom 14.02.2000, aber stellen befriedigt fest, anders als in Österreich hätten sich in Deutschland infolge der „Studentenbewegung ... inzwischen recht zu verlässige politische Instinkte (muß heißen: „Reflexe“, jedenfalls Nicht-Großhirnlappengesteuertes) „eingeschliffen“. „Eingeschliffen“(26) wurden und werden die neuen, postmodernistischen Reflexe nicht zuletzt den Ärzten. Chisholm räumte ausdrücklich die (therapeutische) „Nutzlosigkeit der Psychotherapie“ ein (27), ließ sie allein als Mittel der Umerziehung gelten. Die Ärztevertretung aber gibt sie als therapeutische Wissenschaft aus. Daß „Täuschung“ im Spiel, ja ohne Täuschung Umerziehung gar nicht möglich sei (weil die Leute nur mit heilkundlichem Brimborium dazu zu bringen sind), sagte unumwunden Kurt Lewin, ein anderer führender „Psycho-Krieger“ (RB 2/98, K.13.5) (28).

 

23)  Jaspers auf die Forderung der Norwegerin Undset in o.g. Sammelband (Fn 11): Geleitwort für „Die Wandlung“

24)  vom radikalen Feminismus bis zu jener heute so aktuellen „neuen Form der Teilnahmslosigkeit, die sich aus einer oberflächlichen Sensibilisierung für die Welt und einer gleichzeitigen tiefen Gleichgültigkeit gegenüber der Welt zusammensetzt (Gilles Lipovetsky,  Fn15).

25)  “The power Elite directly employs several millions of the country’s working force … and, through its ownership of the media of mass communication, influences the thoughts, the feelings and the actions of virtually everybody. To parody the words of Winston Churchill, ‘never have so many man been manipulated so much by so few’ (RB4/99, K.5**).

26)  Ebenso fix wie mit Tadel des Postmodernismus (K.1, Kasten) ist Die Welt auch mit Lob für ihn bei der Hand. Die 68er gar zu einem „Teil eines demokratischen Mythos“ hochzustilisieren, sie „in die kleinen Ruhmeshalle der deutschen Demokratie“ „ein    zuschmuggeln,“ versucht gar die „bürgerliche“ FAZ. Hier habe aber, wie ihr das konservative Magazin EPOCHE 1/2000 vorhält, jene Minderheit, „die Mao-Bibeln schwenkend mit Ho-Chi-Minh-Rufen im Sturm schritt die Straßen zu beherrschen trachtete, blutige kommunistische Diktatoren hochleben ließ und die deutsche Öffentlichkeit wie die Universitäten terrorisierte, wirklich nichts zu suchen.“ Ähnlich wie das „68er-Ein schmuggeln“ besorgten und besorgen mehr und mehr „bürgerliche“, „demokratische“ Instanzen ausdauernd und zielstrebig - das mußten wir erst fassen - die Verharmlosung des Kommunismus, die des Psychiatrie-Mißbrauchs besonders.

27)  Über lange Jahre waren A. Dührssens „Katamnetische Ergebnissen bei 1004 Patienten nach analytischer Psychotherapie“ (Z. psycho.-som. Med. 8, 1962, 94) die einzige notdürftige Stütze dieser Therapie. Friedrich Breyers „Kosten und Nutzen ambulanter Psychoanalyse in Deutschland“ (Gesundheitsoekonomie & Qualitätsmanagement Heft 3, 1997) sind inzwischen hinzugekommen, haben die „Richtlinien“-spezifische Wirksamkeit aber weiter offen gelassen. Schon die „Heilung“ von Freuds (und Breuers) erstem Fall, der berühmten „Anna O.“ war, wie inzwischen belegt ist, ein Bluff. Die weithin als gültige Wirksamkeitsprüfung genommenen Metaanalysen Grawes („Psychotherapie im Wandel“, Hogrefe, 1994) stellen den analytischen „Therapien“ unverändert ein klägliches Zeugnis aus (RB 4/99, Fn32).

28)  Lewin K., Die Lösung sozialer Konflikte, Christi an, Bad Nauheim, 1975

Während die Väter des Grundgesetzes ein neues demokratisches Staatswesen in Deutschland schufen, wurde gleichzeitig hier wie in anderen Ländern offensichtlich der Keim einer Großbetrügerei gelegt. Ende der 60er ging er auf. Die Verfassungen, auf die unsere Politiker Amtseide schwören - „alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“, sagt §20,1 GG -, waren und sind anscheinend nur für „die ewig Dämlichen“ gedacht (K.3.2, Kasten). In Wirklichkeit nimmt sich eine „Power-Elite“ (Fn25) schamlos das Recht heraus, das Denken des Volkes zu bestimmen. Die Blaupausen dazu erstellten die Psycho-Krieger und ihre Mittel und Methoden sind es, die es bewerkstelligen, durchwegs Mittel einer politisch mißbrauchten Psychiatrie. Der Chisholm-Plan ist anscheinend zum heimlichen "Grundgesetz" für weite Teile der westlichen Welt geworden.

 

5. Von Sekten, Suspekten und der Lebensbewältigungshilfe

5.1 Wiederholt, zuletzt im Rundbrief 1/99 gingen wir auf das Sektenthema ein, weil vielfältige, zum Teil recht seltsame Beziehungen von hier zur Psychiatrie und umgekehrt bestehen. In ihrem Schlußbericht von 1998 hat die Enquête-Kommission des Deutschen Bundestags „Sogenannte Sekten und Psychogruppen“ („Sekten-Enquête“) selbst konstatiert, schon die Bezeichnung Sekte sei diskriminierend und sollte durch „neue religiöse und weltanschauliche Gemeinschaften“ ersetzt werden. Sie stellte ausdrücklich auch fest, daß diese „keine Gefahr für Gesellschaft oder für gesellschaftlich relevante Bereiche“ darstellten. Gleichwohl empfahl sie gegen die Gruppierungen gerichtete neue Rechtsvorschriften, Förderung von Aufklärungs- und Beobachtungseinrichtungen, u.a. die Neueinrichtung einer entsprechen den Bundesstiftung (Neue religiöse und ideologische Gemeinschaften und Psychogruppen) und an de res mehr. Der diskriminierende Terminus ist im übrigen bei Volksvertretern und Medien unverändert im Schwang.

Bei ihrer neuen Behandlung der Angelegenheit im Bundestag im Januar warfen sich Ab geordnete aus Regierungs- und Oppositionslager gegenseitig gar „Defizite bei der Bekämpfung der Psychogruppen“ an den Kopf. „200 000 Minderjährige leben in Sekten - Vor 50 Gruppen wird gewarnt“, verkündete aufgeregt die SZ vom 29.01.00. „Sekten und Psychogruppen sollen es in Deutschland künftig schwerer haben“, versprach am gleichen Tag DIE WELT. 2,25 Millionen Mark sind im laufenden Bundeshaushalt zur Sektenbekämpfung eingeplant, den Appetit gewiß vieler neuer Sektenjäger anregend. Das Aus land beobachtet die Gefährdungen der Glaubens- und Gewissensfreiheit in unserem Land weithin mit Sorge.

5.2 Offensichtlich ohne die Volksvertreter irgendwie zu beeindrucken, war im Herbst 99 das Buch Die neuen Inquisitoren (Edition Interform, Zürich, 1999, zwei bändig, je etwa 500 Seiten) erschienen, in dem der Kirchengeschichtler Prof. Besier und der Soziologe Prof. Scheuch unter Beteiligung weiterer namhafter Gelehrter die Problematik umfassend ausleuchten – fast umfassend (29). Sie zeigen aus geschichtlicher Erfahrung heraus und von aktuellen Erkenntnissen und Beschlüssen nationaler und internationaler Gremien her, gipfelnd in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948, wie Sektenhaftes Teil jeder Religion, die Bildung von Sekten Teil des religiösen Lebens jeder Gesellschaft, selbstverständlicher Teil zu mindest jeder freien Gesellschaft, freie Sektenbildung so geradezu Unterpfand ihrer Freiheit sind. Die Autoren stimmen überein, daß der saekulare Staat - will er sich nicht etwa mit dem Pekinger Regime gemein machen (K. 2.8) - nie und nimmer über richtige oder falsche, gute oder schlimme Religionen zu entscheiden, insgesamt in sie nicht ein zu greifen hat, solange sie keine offen illegalen Handlungen begehen. Die Gelehrten legen dar, daß es auf dem Gebiet Problematisches gibt wie etwa Satanskulte (30). Sie zeigen, daß und wie nicht nur unsere Medien, unsere Politiker, die doch irgend wann einmal ihre Nase ins Grundgesetz gesteckt haben (sollten), mit der Anti-Sekten-Kampagne unbescholtene Bürger und Vereinigungen diffamieren und ihre grundgesetzlich garantierten Rechte verletzen (31), daß und wie darüber hinaus selbst deutsche Gerichte mit in konsistenten Urteilen Verfassungsgrundsätze aushebeln. Angesichts solcher von großen Teilen der „politischen Klasse“  zu vertreten den Ungeheuerlichkeiten finden manche der Autoren auch zu adaequaten Entgegnungen. Prof. Kriele etwa spricht rundheraus von den „faschistischen Zügen der Sektenjagd“.

29) In der großen Münchner Buchhandlung Hugendubel, die Unmengen psychologisch-esoterischen Geschwätzes vertreibt, war das Buch, als Ref. es kaufen wollte, ein preiswertes Taschenbuch (!), nicht vorrätig. Für die Thematik, die Aushöhlung des Rechtsstaates und die sie begründende „ungeheuere Umkehrung der bisherigen Wertordnung“ (Neumann), interessieren sich offen sichtlich doch nur wenige.

30) Die Autoren stellen heraus, daß auch der Scientology Kriminelles nicht nachgewiesen wurde. Sie beklagen die vielen unrecht mäßigen Angriffe auf sie, sagen aber nichts dazu, daß diese mit an vorderster Front von der deutschen Psychiaterfachgesellschaft DGPPN geritten werden (in Reaktion auf gerechtfertigte wie maßlos ungerechtfertigte Angriffe der Scientologen auf die Psychiatrie). Die Autoren er wähnen nicht die vielfältigen Interessen, die bei Psychiatern, Psychologen etwa beim „Deprogrammieren“ von Sekten mit im Spiel sein könnten.

31)    Handelt es sich bei der im Buch der Gauck-Behörde erschienenen Diffamierung von Süß um ein Stück staatlicher Diffamierung (Fn1), dann offen sichtlich doch um keine singuläre.

 

5.3 Weitgehend ausgeklammert haben die Autoren freilich das, was uns an der Sache besonders aufstößt, die vielfältigen Beziehungen des Sektenthemas zur Psychiatrie-Psychotherapie. Die Ausklammerung beginnt schon bei der Beleuchtung der Motive und Kräfte, die hinter der Anti-Sekten-Kampagne stehen. Die Autoren nennen hier so konträre Lager wie einerseits die etablierten Kirchen, evangelische wie katholische gleichermaßen, andererseits den „Modernismus“, letzteren teilweise aber recht vorsichtig (32). Sie sprechen vor allem gar nicht davon, was dieser eigentlich ist, erwähnen nicht den Freud-Marxismus, sagen nicht, wie sehr auch er ein Glaube, „Sektenhaftes“ (K.3.3) damit auch an ihm ist und wie die „Zivilreligion“ (Fn33) mit all ihren Einrichtungen vom Staat, von vielen Staaten Europas, auf dem heilkundlichen Vehikel der (Richtlinien-)Psychotherapie befördert wird. Die Autoren beschränken ihre Sorge auf die vordergründig religiösen Gemeinschaften. Sie sprechen nicht davon, wie häufig die Politiker, Medien etc. den Begriff „Sekte“ schon auf offen  politische Gruppierungen wie etwa die LaRoucheaner  gemünzt und sie damit unfair bekämpft haben.

32) Während die Kirchen und ihre bestallten Sektenjäger manche ihrer Gläubigen als „Fundamentalisten“ verreißen, hinterfragt Kriele, was die Kirchen mehr Grund zu hinterfragen hätten und was ein Hinterfragen allgemein heute mehr noch verdient, nämlich den „Fundamentalismus der Moderne“.

33)  Die Welt vom 13.03.00 meinte unter dem Titel „Welche Zivilreligion braucht Europa?“, eine solche sei in den USA „durch den Rekurs auf den Holocaust“ in Bildung begriffen. Deshalb sei, wie die FAZ am 12.02.00 herausstellte, kein „Antitotalitarismus“, sondern „nur der Antifaschismus“ „auf der Ebene historischer Legitimierung Erbgut der Demokratie“ (nach IKW 4/00). Gleichgültig aber, welche Empörung sie damit auch auslöst, ihre Einäugigkeit als Mainstream-Position zu verankern, ist die „politische Klasse“ offensichtlich entschlossen.

Die Autoren kritisieren die Unschlüssigkeit vieler Enquête-Aussagen, die einerseits eine von den „Sekten“ ausgehende Gefahr für Staat und Gesellschaft verneinten, im gleichen Atemzug aber taten, als drohte von ihnen doch höchste Gefahr. Auch kritisieren sie die parteiisch präjudizierende Zusammensetzung der Enquête-Kommission. Sie gehen jedoch glatt darüber hinweg, daß und wie die „politische Klasse“ seit langem die psychische (psychiatrisch-psychotherapeutische) „Versorgung der Bevölkerung“ in diesem Stil, mit diesen Mitteln und mit gleicher Ausrichtung auf eine Staats-Einheitsseelsorge hinorganisiert. In die Sachverständigenkommission der Psychiatrie-Enquête (1971–75) berief die Bundesregierung keine anderen Experten, als solche, die die von ihr gewünschten „Reformen“ empfahlen (34). Und wie einseitig die Untersuchungskommissionen besetzt waren, die in den neuen Bundesländern DDR-immanenten Psychiatriemißbräuchen nachgehen sollten und nichts fanden (K.2.2), haben wir im RB 1/97 im Detail darlegt. Ausgewiesene Abwiegler gingen da zu Werk - ein schönes Beispiel, wie die Performance der Psychiatrie politisch arrangiert wird. (Fast) niemanden im Land interessiert es.

34)  Ref. zur Zusammensetzung der Sachverständigenkommission der Bundestagsenquete „Zur Lage der Psychiatrie...“ (1971-75): „Wer namhaft ist, bestimmt der Gewerkschaftsbund, wer sachverständig, die Regierung“ (in „Achillesferse Psychiatrie – oder: Der Countdown einer Sozialisierung“, DÄ 50/73).

Die Autoren monieren, wie unbescholtene Bürger und Gemeinschaften in unserem Land mit der Bezeichnung Sektierer „in die Nähe der Kriminalität“ gerückt werden, gehen aber mit keinem Wort auf das ein, was am Sektenbegriff ebenso diffamierend ist, mehr noch mit ihm assoziiert wird und zur sozialen Ausgrenzung führt, das Fluidum des Spinnösen, Beschränkten, Abwegigen, Nicht-mehr-ernst-zunehmenden, Psychiaterrelevanten.

Immer wieder weisen sie auf die etablierten Kirchen als Urheber der Kampagne. Seltener kommen sie, wie erwähnt, auf den (Post-)Modernismus zu sprechen, der doch die inhaltlich entleerten Kirchen weithin bereits übernommen hat. Einer kritischen Bezugnahme auf Psychiatrie und Psychologie gehen sie gänzlich aus dem Weg, vor allem dem Faktum, daß und wie diese „Seelendisziplinen“ hinter den „Sekten“ her sind und wie sie selbst, Essenz und Vehikel des (Post-)Modernismus,  nicht nur zur dominierenden „Sekte“ (K.3.3), Zivilreligion und Seelsorge (35) geworden, sondern am ehesten auch in der Lage sind zu besorgen, was die Enquête-Kommissare den „Sekten“ anlasten, „manipulative Beeinflussungen“ und „soziale Kontrollen“ etwa. Gibt es irgend wo im Psycho-Bereich stringentere Beeinflussungen und Kontrollen als etwa in der „Richtlinien-Psychotherapie“?

35) Glaubenseifer neben Pro-domo-Interesse erklärt das Gezeter, das Psychoanalytiker regelmäßig veranstalten, wenn Zweifel an ihren Glaubenslehren laut werden (vgl. Köhler Th., Abwege der Psychoanalyse-Kritik, Fischer, 1989).

 

5.4 Obwohl über zwei dicke Bücher hinweg mit der Manipulationsthematik befaßt, blenden die Autoren doch den größten, brisantesten Teil von ihr aus. Sie beleuchten, was die Politische Klasse gegen unerwünschtes „Psycho“, nicht aber was sie weit ausgiebiger noch für erwünschtes in Gang setzt. Viel problematischer noch könnten diese Aktivitäten sein. Von den unter schiedlichen „Psycho-Sekten“ werden ja nur kleine Bevölkerungsteile erreicht und diese dann allenfalls unterschiedlich beeinflußt, während die staatlich gepäppelte Psycho-Industrie breite Bevölkerungskreise bearbeitet und sie quasi „von zentraler Stelle aus“ einheitlich ausrichtet. Wie konnten die hohen Gelehrten an diesen Fakten, an diesem Staatsschauspiel von „Haltet den Dieb“ nur vorübergehen? Liegt der Grund darin, daß etliche von ihnen selbst Psychologen sind? – vgl. K.3.1.

Einige der Autoren kommen freilich nicht um hin, das staatliche  “Psychowesen“ zumindest zu streifen. Dem Religions- und Rechtssoziologen Prof. J. Neumann etwa stößt die Mängelrüge der Kommissare an der Transzendentalen Meditation (TM) auf (Seite 235). Deren Lehrer wären, so monierten sie, „weder psychiatrisch noch psychologisch ausgebildet“. „Genauso gut könnte,“ meint Neumann im Umkehrschluß, „aus einer besonderen psychiatrischen oder psychologischen Qualifikation gefolgert werden, derart ausgebildete Trainer seien aufgrund dieser Vorbildung prädestiniert, harmlose, labile Gemüter zu verführen und der Lehre unterwürfig zu machen“ (Klarer wäre wohl die Formulierung gewesen: „könnte gefragt werden, ob solche Vorbildung nicht genauso gut, wenn nicht gar in höherem Grade verführt und unterwürfig macht und ob nicht eben das der eigentliche Zweck der überaus regen staatlichen Förderung solcher „Vorbildung“ ist). Die Frage aber unter sucht Neumann nicht weiter. Er greift dafür die „bewußt stufenförmige Einführung in die Lehre“ auf, die die Enquête-Kommissare an der TM noch besonders störte. Neumann stellt solch stufenförmige Einführungen auch bei den gängigen christlichen Denominationen fest. Er sagt aber nichts dazu, wie stufenförmig Schritt um Schritt uns die Stücke des (Post-)Modernismus, seine „Werte“ und die Mittel ihrer Durchsetzung (36) nahegebracht worden sind.

36)  In der Psychotherapie etwa kamen 1958 erst der entsprechende Zusatztitel, 1967 die Übernahme der (Richtlinien-) Psychotherapie-Kosten durch die gesetzlichen Krankenkassen, 1979 der Zusatztitel Psychoanalyse, 1993 der Facharzttitel für psychotherapeutische Medizin, 1999 die Einbeziehung der Psychologen in die kassenärztliche Versorgung.

5.5 Nicht nur ob Fehlendem aber ist bei den Autoren im Psycho-Zusammenhang Kritik anzubringen, sondern auch wegen Überzogenem: Der Religionspsychologe Prof. J. Redhardt etwa erkennt an den Sektenjägern, Bundestagsabgeordneten aller Fraktionen also, unter anderem einen „permanent paranoischen Blickwinkel“, spielt hier also selbst haltlose, diskriminierende „Psychiatrisierungen“ gegen sie aus. Dabei gibt es genug Stoff, die politische Angelegenheit auf der politischen Ebene auszutragen.

Besier wieder setzt sich mit dem diskutierten Lebensbewältigungsgesetz aus einander und meint dazu, daß die „Basis aller kognitiven Einsichtsvermittlung aus (unter schiedlichen) philosophischen Deutungen von Mensch, Welt, Leben sowie inter- und intrapsychischen Konflikten besteht. Eine intersubjektive Plausibilität bzw. empirische Validität ist nur sehr bedingt gegeben. Wie überzeugend ein (psychotherapeutischer oder bei der Lebensbewältigung helfender) Hypothesenkomplex erscheint, hängt wesentlich von kulturellen und subkulturellen Sozialisationsfaktoren und entsprechenden Dispositionen des Beobachters, Beraters bzw. Klienten ab.“ Angesichts „unterschiedlicher persönlichkeitsspezifischer Dispositionen und Lebensbilder“ zweifelt Besier also, ob es eine wissenschaftlich all gemeingültige Psychotherapie  überhaupt geben kann. Wenn er gleichwohl empfiehlt, die derzeit staatlich anerkannten „Angebote (von Lebensbewältigungshilfe bis Therapie) zu vernetzen und ein Überweisungssystem anzuregen“, „Ausbildungsstandards“ „Verbandsstrukturen“, „Kammern“ für sie ein zurichten, so setzt auch er Zweifelhaftes als unbezweifelbar, redet auch er der Gleichsetzung von Wissenschaft, Ideologie und Schwindel, dem post modernen Relativismus und letztlich staatlich-gesellschaftlicher Gedankenkontrolle das Wort, just dem, was die gesamte Anti-Sektenkampagne nährt.

Ähnlich (dem Enquête-Bericht) unterscheidet auch Kriele zwischen „seriösen",  bei kirchlichen Stellen tätigen, deshalb wohl (?) und „nicht qualifizierten“ Psychologen, als garantierten etwa die staatlich abgesegnete Einimpfung und ständig erneuerte Einreibung der freud-marx'schen „Konflikt-Theorie“ Qualität. Mit den spezifischen In halten der Sekten macht sich gewiß keiner der Autoren gemein. Wenn aber Kriele am Psychotherapeutengesetz von 1999 bzw. bei seinen Beratungen vereinzelt wohl aufgekommene Ansätze tadelt, die „alternativen Heilmethoden dem Urteil von ‚Schulmedizinern’ zu unterwerfen (Seite 338), dann frönt auch er genau jenem Irrationalismus, der auch besagte Religionsgemeinschaften verbindet.

37)  die Abgrenzungen fließend: Ein krankheitswertiger Zustand läßt sich immer konstruieren, um in o.g. Gutachtensanträgen die Indikation zur Psychotherapie aufzuzeigen.

38)  Wie der Staat viele junge Leute in die Beratertätigkeit manövriert hat, kann er sie jetzt nicht im Regen stehen lassen.

39)  Die von der KBV bzw. ihren Einpeitschern Dres. F.R. Faber und R. Haarstrick ausformulierte Theorie, Grundlage der staatlich gepäppelten „Richtlinien-Psychotherapie“, faßt die Essenz der Lehren von Marx und Freud zusammen. Nach dem einen dominiert der Konflikt zwischen Arbeit und Kapital, nach dem an deren der zwischen Es, Ich und Über-Ich. Solch armselige, nicht entfernt die menschliche Wirklichkeit umfassende Lehren konnten unsere obersten „Heilinstanzen“ als „Wahrheit“, Grundlage eines ärztlichen Fachgebietes und verbreiteten Therapieverfahrens festschreiben, sie damit quasi zur Staatsreligion erheben.

Gewiß ist der Mensch nicht allein auf das Prokrustesbett der Ratio zu spannen, gehören unter anderem Religion und Weltanschauung zu ihm. Seine „soziale“, d.h. von einer Versichertengemeinschaft getragene Krankenversorgung wird aber gänzlich unfinanzierbar, wenn sie nicht rational ist, nicht auf Effizienz hin kontrolliert wird. Gegen die „Schulmedizin“ sprachen seinerzeit die „neuen, deutschen“ Heilkundler, um die Medizin über ihren ideologischen Leisten zu schlagen (40). Kriele versucht hier selbst das Verwirrspiel mit Ratio und Irrationalität, auf das sich Freud, Chisholm und Co. fein verstanden (K.4.4), die Neue Linke sich meisterlich versteht. Kraftworte wie „Daß Menschen in der modernen Gesellschaft einen hohen Beratungsbedarf haben, ist unstrittig“ (Scheuch, S. 295) oder „Die deutsche Wissenschaft ist seriös“ (Kriele, S. 326) – von „Wissenschaftsbetrug“ (DÄ 12/00) hat er wohl noch nie etwas gehört -, helfen mit, daß die Machthaber ihre Beratertruppen weiter aufstocken können.

40) Glauben und Aberglauben wird es auf der Angebots- wie Nachfrageseite der Heilkunde immer geben. Auch nach drei Generationen Kommunismus blühten in der UdSSR die Gesundbeter. Sofern selbst finanziert, ist das auch in Ordnung.

 

5.6 Die Autoren betonen, daß den (staatlich beargwöhnten) Psycho-Gruppen anzulastende Schäden nicht nachgewiesen worden sind. „80 %  der Nutzer unkonventioneller Heil- und Lebenshilfeberatung“ (die dafür selbst bezahlten) äußerten sich laut Enquetebericht zufrieden. Wenn dies auch in der Richtlinien-Psychotherapie so ist – für sie zahlt die Versichertengemeinschaft -, ist über ihre Heilwirkung aber noch nichts gesagt. Ob der „Postmodernismus“, den sie (mit-) bewirkt hat, von Nutzen ist, darüber gehen die Meinungen noch auseinander.

Wiederholt loben die Gelehrten die Grünen, die teilweise von der Enquête-Mehrheit ab weichend argumentierten, letztlich jedoch ebenfalls für eine Stiftung öffentlichen Rechts plädierten, die auf besagte Gemeinschaften Einfluß nehmen soll. Von seinen ehemaligen Bundestagskollegen, die die Sekten- (wie vordem die Psychiatrie-)Enquête zu vertreten haben, aber meint Ex-Bundesminister Apel, heute Professor, treuherzig, ihr Bericht sei ihnen „angesichts der Bonner Papierberge durch  gerutscht“ (41). Übereinstimmend aber preisen die Autoren die Entwicklung zur Internationalität. Verhärtete Glaubensfronten lockere sie automatisch auf . Ihre Heilserwartung richtet sich auf die Globalisierung. Damit sind sie, so kritisch sie sich über weite Strecken auch gebärde n, doch wieder brav beim Mainstream angelangt.

41) Jetzt wissen wir wenigstens, wie wir regiert werden, wie die unser Leben regelnden Gesetze zustande kommen.

 

So verdienst voll das umfängliche Plädoyer von Besier, Scheuch und anderen für die Glaubensfreiheit ist, vermittelt es doch nur Teilwahrheiten, klärt es vieles, verschleiert aber genug anderes. Weil sie einen Blick auf voraus gegangene oder parallel laufende Psycho-Förderungen des Staates nicht riskieren, damit die Gesamtheit des staatlichen Psycho-Konzeptes nicht in den Griff bekommen, finden die Autoren auch nicht, was hinter dem Konzept steht und warum die Widersprüchlichkeit der Enquête-Befunde mit der Nachdrücklichkeit ihrer Empfehlungen so gut harmoniert. Sie scheinen von Chisholm, Huxley etc. noch nichts gehört zu haben. Ihr Buch tritt mit wissenschaftlichem Anspruch auf. Zur Wissenschaftlichkeit einer Abhandlung aber gehört, daß das betreffende Gebiet umfassend und unter Berücksichtigung schon vorliegender Arbeiten zum engeren und weiteren Problemkreis bearbeitet wird. Mehrere der Autoren erhalten seit längerem unsere Rundbriefe, müßten spätestens also von da her für die Vielschichtigkeit des Psychothemas sensibilisiert sein.

 

5.7 Von unseren schmalen Schriften abgesehen, liegt im Deutschen mit dem  Buch Charakterwäsche (Fn14) von Caspar von Schrenck-Notzing im übrigen seit den 60ern schon die Strategie der politischen Entwicklung und des Einsatzes der „Psycho-Techniken“ ausgebreitet vor, wenn auch ohne Chisholmsche Leseprobe. Schrenck-Notzings Schlußwort lautet: „.... als großes Problem wird zurückbleiben, daß es nunmehr nicht ausgeschlossen ist, die Menschen mittels sozial -psychologischer Techniken zu beliebigen Zwecken, auf ihnen undurchsichtige Weise und zu ihnen unbekannten Zielen hin zu steuern. Das Wissen um diese Möglichkeit wird auf dem Teil der Menschheit, der sich mit den intellektuellen Planern nicht identifiziert, wie ein Alptraum lasten.“

Zu all dem, den wichtigsten Fragen im Zusammenhang, findet sich in der „Sekten-Enquête“, aber auch in der so kritisch sie durch musternden Entgegnung von Besier und Scheuch u.a. kein Wort. Es scheint, als hätten sie vereinzelt vielleicht noch vorhandene Besorgnis über staatliche Übergriffe artikulieren, die Hauptsache aber in jedem Fall verbergen, da und dort auf kommende Empörung binden und sie von den eigentlich anstehenden Fragen und weiter zu erwarten den Übergriffen ablenken wollen. Den  noch ist ihr Buch Die neuen Inquisitoren von hohem Wert, um so höherem, als es kein gründlicheres Buch zum Thema gibt und, wie eingangs erwähnt, die staatliche, von der gesamten „politischen Klasse“ mit getragene, verfassungswidrige Hetze gegen alle mögliche Andersdenkende unvermindert weitergeht.

Nicht unerwähnt soll bleiben, daß sich auch von Schrenck-Notzing, der mit seiner Charakterwäsche so tief schon in die Thematik eingedrungen und mit seinem Periodicum Criticon weiter publizistisch tätig ist, von den so akuellen wie komplexen Vorgängen verabschiedet hat. Zum Ersterscheinen seines Buchs 1965 schrieb er bei dessen Neuausgabe 1984: „Ganze Tagungen wurden zusammen getrommelt, auf denen Liberale, Neue Linke und Psychologen sich im Protest gegen die ‚Charakterwäsche’ zusammentaten. Das Buch zustimmend zu zitieren, grenzte bald an akademischen Selbstmord...“ Über all die Jahre, in denen wir den Mißbrauch des Faches bekämpften, hielt sich auch v. Schrenck-Notzing - Criticón beobachten wir freilich nicht regelmäßig - abseits. Hat auch er sich letztlich einschüchtern lassen?

 

5.8 Als „Sekte“ verrissen hat die Enquête-Kommission nachhaltig den psychotherapeutisch engagierten Verein zur Förderung psychologischer Menschenkenntnis. Die Autoren verteidigen ihn um so nachdrücklicher. Vom VPM soll im Folgenden näher die Rede sein.

 

6. Verwandtes und Divergentes unter „Psycho-Vereinen“ (NGOs)

6.1 Wiederholt schon gingen wir auf den VPM ein, weil mit ihm vielerlei verwandte Positionen aufgekommen sind. Wir kamen mit ihm erstmals 1977 beim Weltkongress für Psychiatrie in Madrid in Berührung und unter anderem bei den von ihm organisierten großen Kongressen Mut zu Ethik bald zu einiger Zusammenarbeit. Viele seiner Mitglieder sind im Sozial- und Gesundheitswesen tätig. Von daher ergaben sich wohl automatisch Berührungspunkte.

In Zeit-Fragen 2/00, dem Organ des VPM, wurde inzwischen die Hippokratische Gesellschaft vorgestellt, die der Verein Anfang des Jahres in Zürich aus der Taufe gehoben hat. Sie entspringt ein schließlich ihres Namens (42) einer Anregung von uns. Wohl gibt es seit langem Ärzte-Aktionen, die sich etwa dem Lebensschutz widmen, gegen die Abtreibung und Euthanasie stemmen. Es gab aber bisher keine Organisation, die sich den unter schiedlichen und doch zusammenhängenden Herausforderungen ärztlicher Ethik umfassend widmete (s. RB 4/99, K.5). Bei vielen, uns tragfähig erscheinenden Gruppierungen drängten wir auf solch dringend nötige umfassende Wahrnehmung. Der VPM griff im November 1998 die Anregung auf und realisierte sie.

42)  So viel am Hippokratischen Eid zeitbedingt natürlich überholt ist, so stehen darin doch die zeitlos gültigen Grundsätze verantwortlichen ärztlichen Tuns. Wie seinerzeit die Braunen so versuchen heute die Rot-Grünen Hippokrates großmaulig zum alten Eisen zu werfen.

Wie kaum eine andere Organisation im wert-konservativen Lager verfügt er in vielen Ländern, vor allem in der Schweiz über eine stattliche, zum Teil hoch reputierte Anhängerschaft, damit auch über finanzielle Mittel und über ein ansehnliches, nicht nur im deutschsprachigen Raum heraus kommendes Organ, eben die mittlerweile wöchentlich erscheinenden Zeit-FrageN. Wie kaum eine andere Organisation ist er, Sammelplatz auch für viele ärztliche Mitglieder, damit in der Lage, einer neuen, rein ärztlichen Gesellschaft die nötige Starthilfe zu geben.

Daß es sich beim VPM auch um eine Art Psychotherapie–Schule handelt, ist der offensichtliche Aufhänger dafür, daß der postmoderne „Mainstream“ ein schließlich der neuen CDU-Vorsitzenden Merkel, expressis verbis vor allem die „Sekten-Enquete-Kommissare“ ihn als „Psycho-Sekte“ brandmarkten. Dies ist er wohl –  in dem Sinn, daß auch alle anderen Psychotherapieschulen einschließlich derer, die, staatlich gefördert, „Richtlinien-Psychotherapie“ verbreiten, ebensolche „Sekten“ sind (Betonung auf den Gänsefüßchen – K.3.3). Der VPM stützt seine therapeutische Theorie vornehmlich auf Alfred Adler, den menschlichsten, realitätsnächsten unter den psychotherapeutischen Schulgründern. Auch vieles, was er sonst an Theorie noch beimischt - die VPM-Praxis kennt Ref. nur aus Publikationen – nimmt sich durchaus menschenfreundlich aus (43).

43)    Nicht entfernt kann das Psychotherapeutische hier ausdiskutiert werden. Es sind gewiß nur kleine Ausschnitte der Problematik, die wir besprechen, wichtige allerdings.

 

6.2 Aber einige Vorbehalte haben sich dem Verein gegenüber inzwischen eingestellt. Für die „Hippokratische Gesellschaft“ etwa hätten wir eine offenere Struktur gewünscht. Für die freie Diskussion der Psychotherapie etwa, eine dringende Notwendigkeit unter den heutigen Herausforderungen ärztlicher Ethik, bestehen mit der VPM-Dominanz in der neuen Gesellschaft kaum mehr Voraussetzungen. Harry Stack Sul livan (s.o.) steht in ihr hoch im Kurs. Zum sowjetischen Psychiatriemißbrauch und damit zusammenhängend zur Sozialpsychiatrie und –psychologie hat er uns ein paar Mal zu Wort kommen lassen. Über Jahrzehnte aber war ihm das Thema, vor allem die Beteiligung der Psychiatrie an der Werteänderung selbst kein Augenmerk wert. Es könnte dies die Kehrseite davon sein, daß so vie le „im Sozial- und Gesundheitswesen Tätige“ in ihm zu Hause sind. Unter Umständen und auf längere Sicht hinaus ist also auch hier mit oben genannten Einschränkungen zu rechnen (K.3.1).

 

6.3 In Zusammenhang mit GIP, unserem seiner zeitigen Dachverband, haben wir (in RB4/99) bereits diskutiert, was es mit manchen Vereinen samt reputierten Unterstützern mitunter auf sich hat, selbst wenn sie, wie es bei GIP früher durchaus der Fall war, nicht im Mainstream liegen. Die dort jetzt versammelten Schirmherren haben 1991 mühelos den Schwenk zur „sozial-psychiatrischen“ Reform und Mißbrauchskaschierung mitvollzogen. Etliche reputierte Patrons, die vordem die eifrigsten Apologeten der sowjetischen Fach-Schänder waren, hat GIP nach 1991 "hinzugewonnen". Mit Opportunismus kommt der lange Marsch in die BRAVE NEW WORLD voran (s. RB 4/99):

Was immer die Regierenden durchzusetzen planen, lassen sie anscheinend erst einmal von „Bürgerrechtsinitiativen“ schön anheizen. Sie päppeln sie, besorgen ihnen Publizität, machen sie zu „NGOs“. Andere dieser „Initiativen“ aber sind bestimmt, die Zurückbleibenden, Widerspenstigen einzusammeln, pro forma ihre Bedenken zu teilen. Solche „Auf-" oder "Abfangorganisationen“ – manchmal scheint es, große Teile der Union gehörten dazu - werden von der „Power-Elite“ (Fn25, auch RB 4/99, K.11) auch mit reputierten Unterstützern beschickt. Sie artikulieren „Opposition“ überzeugend und betreiben doch nur Schattenboxen. Um es möglichst glaubhaft zu machen, werden sie mitunter gar öffentlich verrissen (als Sekte oder so). Kaum jemand wagt dann noch, sich auf sie einzulassen, wagt, darüber hinaus der vollen Wahrheit nachzuspüren. Die Situation ist heute jedenfalls so, daß keine mögliche Strategie der Umerzieher mehr unbedacht bleiben darf. Psychologisch entwickelt, war sie immer voller Winkelzüge.

 

Trotz vieler mutiger „Widerstandsgruppen“ ist der Marsch in die Schöne neue Welt über die Jahre, Jahrzehnte ungestört vorangekommen. So sehr wir also eine Bündelung des ärztlichen Widerstands für die umfassende Wahrnehmung der hippokratischen Ethik gegen ihre allerorts betriebene Verkehrung begrüßen, so bleibt uns jetzt doch nur die Hoffnung, daß die neue Gesellschaft am Ende nicht noch helfen wird, wichtige, ihr oder anderen nicht genehme Be reiche um so nachhaltiger aus zugrenzen. Zu unserer Freude wird die Aussprache in den  Zeit-Fragen in jüngerer Zeit eher noch deutlicher. Während früher dort kritische Aufmerksamkeit vor allem dem Neomarxismus galt, sind heute zum Beispiel auch einige „Finanzmogule“ ins Visier gekommen.

 

6.4 Wie dem auch sei: Gegen den Psychiatrie miß brauch haben wir über zwanzig Jahre lang allein angekämpft. Es kann so auch weiter gehen. So vorteilhaft bei politischen, ethischen Fragen ein Zusammenwirken verwandter Kräfte oft ist, ist die Unabhängigkeit der verschiedenen Menschenrechtsgruppen doch auch ein hohes Gut. Dem VPM wie grundsätzlich allen an deren ge gen über gilt: Sie unterstützen, Zusammenarbeit suchen, solange sie wenigstens teilweise in unserer Richtung wirken.

Nie aber aus dem Auge verlieren, was „die anderen“ aus diesen oder jenen Gründen nicht ansprechen. Gewiß fragen, warum sie Teile der Wahrheit ausklammern. Diese in jedem Fall dann um so deutlicher selbst ansprechen. Im immer noch bestehenden Rechtsstaat können die verschiedenen Gruppen, Vereine etc. zum Glück selbst noch die Schwerpunkte ihrer Aktivität bestimmen.

 

6.5 Trotz einiger Einschränkungen sind Zeit-Fragen das Blatt, das am ehesten die internationalen, auch von uns besonders kritisch beurteilten Entwicklungen gründlich, manchmal fast umfassend darstellt (vor stehende Kästen als Leseproben). Wie kam ein anderes trat es in jüngerer Zeit dem Drogenliberalismus entgegen.

Mit großem Einsatz hat es sich kürzlich in der Schweiz deren Annäherung an die Brüsseler Union, der Annahme der „Bilateralen Verträge“ wie auch dem anhaltenden Boykott der EU gegen das demokratische Österreich entgegengestellt. Genug Kraft und Mut braucht es, solche Widerborstigkeit gegen den „Zeitgeist“ (gegen die Machthaber) durchzuhalten.

 

7. Dr. S. Schuler

Weshalb gelingt es nicht, den Rauschgiftmißbrauch entscheidend einzudämmen?

7.1 Rausch- und Suchtmittelkonsum ist in der Altersgruppe von 14-24 Jahren in Deutschland stärker verbreitet als bisher angekommen und die Verbreitung schreitet weiter fort . Auch ist es zur Vorverlegung des Einstiegalters gekommen (44). 

44)    Lieb R. et al., Epidemiologie des Konsums, Mißbrauch und Abhängigkeit von legalen und illegalen Drogen bei Jugendlichen und jüngeren Erwachsenen, SUCHT, „2000, 46/1, S. 18-31.

 

7.2 Bekanntlich haben Drogen miß brauch und Suchtentwicklung multiple Ursachen. Eine Conditio sine qua non ist allerdings die Greifbarkeit solcher Substanzen. Die Eindämmung der Verfügbarkeit von Drogen ist somit ein wichtiger Präventionsfaktor. Ferner gehört es zur Präventionsarbeit, den Willen zur persönlichen Gesundheitserhaltung zu stärken, Bereitschaft zum Rauschgiftverzicht zu fördern. Widersprüchliche Botschaften im Rauschgiftbereich unterlaufen die Präventionsanstrengungen.

 

7.3 So wird hinsichtlich der Cannabisdroge zur Zeit ihre eventuelle medizinische Anwendbarkeit ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt. Drogengefährdete verleitet dies zum Schluß, was der Gesundheit dient, kann nicht schädlich sein. Auch mögen manche nun die Droge wegen irgendwelcher Leiden vom Arzt fordern, obwohl es für sie wirksamere und nebenwirkungsärmere Pharmaka gibt. Erwähnt wird immer wieder das Glaukomleiden. In älteren Lehrbüchern wird noch zur AnfallsKupierung bei Glaukom Alkoholkonsum empfohlen (45). Welcher verantwortungsvolle Arzt würde das heute noch tun? Bei Warnung Jugendlicher vor Cannabis erwidern diese oft, Drogenberater würden erklären, gelegentliches Kiffen schade nicht. Solche Drogenberater haben offenbar nicht gelernt, daß jede Sucht ein Prodromalstadium mit „gelegentlichem Konsum“ hat und auch bereits einmaliger Konsum zu schwerwiegenden Komplikationen führen kann.

45) Leydecker, W.: Grundriß der Augenheilkunde, Springer Verlag, 1967

 

7.4 Geradezu grotesk ist, daß eine auflagenstarke Schweizer Tageszeitung dem Angebot von Kursen „für Kiffer und Kifferinnen“ wiederholt breiten Raum eingeräumt hat. Gefordert wird hierbei nicht primär Abstinenz, sondern „vernünftiger Umgang“ mit dieser Droge. „Vernünftig“ heiße, nicht allabendlich einen Joint zu rauchen, da dies „anderntags in der Schule oder bei der Arbeit lähmt“. Von sieben Teilnehmern des ersten Kurses, der an vier Abenden im März 2000 stattfand, wurde bereits am 13. April 2000 berichtet, die Mehrheit habe das Ziel erreicht, „zumindest unter der Woche abstinent zu sein“. Wieweit die gute Absicht, die Süchtige ja immer bereitwillig bekunden, durch Urinanalysen objektiviert wurde, er fährt man nicht. Auch ist der Nachbeobachtungszeitraum von Ende März bis 13. April für eine Erfolgsbeurteilung viel zu kurz (46). „Vernünftig“ und wirtschaftlich wäre es, solche Kurse zur Hilfe zum Rauschgiftverzicht durchzuführen. Aber hätten sie dann ein Echo bei der Presse gefunden? Wer käme schon darauf, Verkehrsteilnehmern, denen das Einhalten von Regeln schwer fällt, Kurse zu offerieren, damit sie sich wenigstens an den Wochentagen an die Vorschriften halten!

46)    Der Bund vom 22.2. und 24.4.2000

 

7.5 Bei den Schnellkursen, die in Deutschland für gutes Geld zur Berechtigung der Methadonabgabe an Drogensüchtige führen, werden offenbar kaum Kenntnisse zu den Verhaltens- und Persönlichkeitsstörungen der Süchtigen vermittelt. Auch die Toxikologie der Rauschgifte, ein schließlich des Methadons, kommt zu kurz. Kein erfahrener Suchtkliniker würde einem Drogenabhängigen Betäubungsmittel zur Selbstverwaltung in die Hand geben (Take home Dosen). Die fatalen Folgen ärztlichen Leichtsinns sind bekannt (nächste Seite, Kasten). Aber nach lang  jäh riger Methadonabgabe fällt doch auch manchem Kollegen auf, daß der Methadon bezug bei vielen Empfängern dazu führt, daß sie bis ins Alter substitutions- und sozialhilfe bedürftig bleiben (47).

47)    Kühn, A.: Drogenpolitik – schwer verständlich, DÄ15/00

 

7.6 Die Methadonabgabe ist offen sichtlich außer Kontrolle geraten. Anstatt diese Programme aufgrund der negativen Folgen zu rückzufahren, wird dem Drogenkonsum weiter Vorschub geleistet. Grüne Gesundheitspolitik treibt die Legalisierung von Fixerstuben und die straffreie Heroinabgabe ohne Rücksicht auf die negativen Auswirkungen voran. Gerecht fertigt wird die Suchtförderung u.a. mit der Behauptung, man könne manche Süchtigen nur mit einer solchen gesundheitsschädlichen Nachgiebigkeit gegenüber süchtigen Bedürfnissen „erreichen“. Mit Speck fängt man eben Mäuse. Glücklicher weise kam bis jetzt noch niemand auf die Idee, Freibierhallen zu eröffnen, um Alkoholiker und solche, die es wer den wollen, zu „erreichen“.

 

7.7 Erreichen kann man alle, Drogengefährdete und bereits Abhängige, durch eine flächendeckende und plausible Antidrogenpolitik. Je früher der Ausstieg aus der Sucht gelingt, desto geringer sind die Suchtfolgeschäden und desto niedriger sind die Suchtfolgekosten. Eine Restgruppe wird allerdings immer verbleiben, die nicht oder noch nicht zum Verzicht auf Rauschgift zu motivieren ist. Wegen dieser Restgruppe kann aber nicht auf eine in sich schlüssige Antidrogenpolitik verzichtet werden, die dem Wohle aller dient.  S (48)

 48)  Die Verfasserin, Dr. S. Schuler, ist ehemalige ärztliche Direktorin einer Suchtfachklinik.

 


8. Drogen, Lügen und andere (Psycho-) Strategien des Postmodernismus

8.1 Wissenschaft, Ärzteschaft nehmen den Drogenkonsum heute als Selbstverständlichkeit. Postmodern stützen sie ihn mit vielfältiger Verharmlosung, Drogenverteilung und Substitution. Am „Methadon take home“ kommen heute nicht nur Substituierte zu Tode, sondern mitunter auch deren Kinder (49). Wie uns die 68er die Drogen herbeigejubelt haben, da von ist weit und breit keine Rede mehr.

49) Symposium Drogen und Kinder am 24.05.2000 an der Münchner Universitäts-Kinderklinik

8.2 Mit der Dreistigkeit, mit der der Neomarxismus-Postmodernismus, mit ihm die Psychiatrie-Re form und Drogenakzeptanz bei uns durchgesetzt wurden, werden sie heute in den osteuropäischen Ländern verbreitet – u.a. durch unseren ehemaligen Dachverband GIP, seine holländische Führung, seine internationalen Geldgeber, George Soros und Co. Ein „Erfolg“ der Reform dort ist bereits sichtbar geworden. Wie seinerzeit bei uns explodiert, so war beim Weltkongreß für Psychiatrie in Hamburg zu hören (RB 4/99, Fn71), in jenen Ländern jetzt die Zahl der Drogenabhängigen. Drogen gehören eben zum westlichen Postmodernismus wie die allgegenwärtige eiskalte Lüge. (K.1, Kasten) (50).

50) Am 7.2.2000 meldeten die Medien, der Bundesrat habe die Gesetzesvorlage der rot-grünen Regierung und Parlamentsmehrheit auf Einrichtung von Fixerstuben zurück gewiesen. Es schien, als hätten unsere Mahnungen in RB 4/99 gewirkt und der bayerische Minister präsident Stoiber hätte die Unionsmannen nebst eigenen Regierungsdamen auf Vordermann gebracht. Unter dem Beifall konservativer Zeitungen verlautete aber bald darauf, die „Stuben“ seien gesetzlich etabliert. Konservative „Abwehr“ hatte sich wie der einmal als Schattenboxen entpuppt.

 

8.3 Vieles an ihm ist umstritten. Ist er wie die „Schöne neue Welt“ schön oder eher ein Alp? Ist er nur eine Stilrichtung oder doch direkter Neomarxismus, mindestens eine Emanation aus ihm? Ist er überhaupt etwas Linkes, wie rechte Journale gern behaupten, oder etwas Rechtes, wofür spricht, daß er und seine Ingredienzien von anderen bürgerlichen Medien und Parteien immer wieder hochgelobt wurden und werden. Weiter: Ist der Postmodernismus aus der Gesellschaft heraus quasi als „Selbstläufer“ entstanden oder wurde er „gemacht“? In letzterem Fall: Welcher Stellenwert kommt dabei der „Seelen kunde“ zu, der eines Begleitfaktors, eines Wirkfaktors unter anderen oder gar der des wesentlichsten Inhalts und Vehikels? So viel für die letzte Möglichkeit spricht, ihre Erwähnung löst rechts wie links in aller Regel die wütendsten Reaktionen aus, führt leicht gar zur „Psychiatrisierung.“

 

Textfeld: Drogen – falsches Signal
9 März 2000 „heute-Nachrichten“: „Die Zahl der Drogentoten in Deutschland ist schon wieder gestiegen.“ Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung Christa Nickels kommentiert: „Die Ärzte gehen zu leichtfertig mit Methadon um“ ... Die Drogenbeauftragte plant jetzt, „Methadon take home“ von 7 auf 14 Tage zu erhöhen ... Viel leicht kommt es nächstes Jahr so: Die Zahl der Drogentoten in Deutschland ist schon wieder gestiegen. Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung mahnt, daß Ärzte zu leichtfertig mit Methadon umgehen. Daher wird die Verschreibungspflicht für Methadon aufgehoben...
Dr. med. St. Vormfelde und Prof. Dr. med. W. Poser in DÄ 20/00. Leserbriefe dieser Art dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Psychiater-, die Ärztemehrheit, entsprechend die Ärztevertretung wie fast die gesamte Politische Klasse in der Frage längst auf postmoderne „Logik“ eingeschwenkt sind.
 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

9.  Unruhe unter den Nervenärzten, Unruhe beidseits des Teichs

9.1 Unter den Neurologen und / oder Psychiatern, den frei praktizierenden Nervenärzten ist angesichts der Verknappung der Finanzmittel im Gesundheitswesen und deren gleichzeitiger Umschichtung auf staatlich-kommunale Instanzen, zudem auf therapeutisch fragwürdige Praktiken Unruhe aufgekommen.

Am 6. Mai tagte die bayerische Landesgruppe des BVDN in München. Ganz herzzerreißend klagten die Seelenärzte über ihre Not. Ihre Tätigkeit sei ganz einfach nicht mehr  kostendeckend. Einige kündigten die Aufgabe ihrer Praxen an. Eine Vertreterin von Patienten- und Angehörigenverbänden beschwor sie, das doch nicht zu tun. Das gerate doch nur zum Leidwesen der Kranken. An der „Reform“, der „Erweiterung“ der Psychiatrie ins Soziale (51) „Kontroll-Psychotherapeutische“, „Zeit-geistige“ (einschließlich Drogenabgabe) hinein, an dem, was den Kern reeller, humaner Krankenversorgung durch persönlich verantwortliche Ärzte am meisten gefährdet und zunehmend unbezahlbar macht, hielten die Versammelten selbst in diesem Moment (52) fest. Sie begreifen offensichtlich immer noch nicht, daß Sinn und Zweck der „Reform“ der Psychiatrie einzig und allein ihre Überführung in eine staatlich-vergesellschaftete Seelenbetreuung Chisholmscher Art war und ist. „Die allzu Gläubigen“ (K.3.1, Kasten) haben sich über die Jahre gründlich täuschen lassen.

51) Auf flächendeckenden Aufbau Sozialpsychiatrischer Dienste pochten die Politiker von Anfang an. Sie sind ja die Vorposten staatlicher Seelenkontrolle. Ohne Behandlungsrecht haben sie bis jetzt noch keine größere Bedeutung, richten sie für manche Kranke nicht mehr als „nützliche“ Kaffeekränzchen etc. aus. Stufen weise sie zu de-facto-Ambulanzen auszubauen, intendierte die Psychiatrie-Enquête aber von An fang an. Und eben das verfolgen in Bayern jetzt auch die CSU-geführ ten „Bezirke“ mit allem Nachdruck. Daß unabhängige, etwa noch von ärztlicher Ethik erfüllte Ärzte aufgeben, kommt den Wünschen der Politiker nur entgegen.

52) Verbesserte Behandlungsmöglichkeiten, die Verkleinerung der psychiatrischen Krankenhäuser, der Wegfall vergitterter Fenster in den Krankenhäusern, die Verlagerung der Psychiatrie ins „Extramurale“ sind allein dem Fortschritt der Pharmakologie zu verdanken. Für solche „Reform“ war die millionenteure „Psychiatrie-Enquête“ völlig überflüssig. Von der Union initiiert, brauchte es sie allein zur System-Sprengung.

 

9.2 Daß es neben den Ordinarien (53) und Politikern ihre eigenen vorverlesenen Vertreter waren, die die „Katastrophe für die deutschen Nervenärzte (für die Kranken mittelfristig nicht minder) herbeigeführt“ haben - so kürzlich der kleine, in Berlin zentrierte „Bund niedergelassener Neurologen, Nervenärzte, Psychiater und ärztlicher Psychotherapeuten(BNP) (54) -, dessen werden einige von ihnen jetzt immerhin gewahr. „Brandstifter“, meint der BNP, spielten sich beim BVDN „als Feuerwehrleute auf... Wann werden auch Sie beginnen,“  fragt er weiter, sein „Lügengebäude zu durchschauen...?“ (55) 

53)  Glücklicherweise sind nicht alle dem Bramarbasieren verfallen. Der Würzburger Ordinarius Prof. H. Beckmann etwa spricht ehrlich von den im Grunde „spärlichen Resultaten“, der eher „in den letzten 3 Jahrzehnten steckengebliebenen Behandlung“, den leider meist „fehlenden Heilungen“, fehlenden Vorbeugemöglichkeiten bei den endogenen Psychosen, von „der Sackgasse fruchtlosen Forschens“ der modernen Psychologie, den „vielen Fehlurteilen, die unser Fach in der Öf fentlichkeit so in Mißkredit gebracht haben“ (Vorwort zu K. Leonhard, Aufteilung der endogenen Psychosen und ihre differenzierte Ätiologie, Thieme, 1995). Von ihrer Großmauligkeit werden viele seiner Kollegen in nationalen wie internationalen Gesellschaften darob nicht lassen. Gerade von den „erweiterten“, psychotherapeutischen und sozialpsychiatrischen Ansätzen, die therapeutisch eher Schnickschnack darstellen, versprechen sie (und die Medien) Wunderbares und ermöglichen es so den Machthabern, das Fach für ihre Ziele aufzubereiten.

54) Der „Richtlinienpsychotherapie“ haben die meisten Seelenspezialisten, auch die BNP-liierten, gern  beigegeben. Aber nur, wer von ihnen 90% seiner Berufstätigkeit damit zu bringt, bekommt zum niedrigen Punktwert-Honorar der übrigen Fachärzte etwas draufgelegt. Die 89% und weniger richtlinien-gemäß, im übrigen konventionell psychiatrisch Arbeitenden müssen in Konsequenz eines Bundessozialgerichtsurteils vom 25.08.99 den „90%-Therapeuten“ mit drauflegen. Reichlich klagen diese ebenfalls, wenn auch über anderes. Für jede Richtlinien-Behandlung müssen sie ein Gutachten schreiben, eine Bewilligung einholen. Daß die KBV sie so zu „subalternen Lakaien“ macht, beklagen sie (Dr. W. Singer, MÄA 6/00). Um so bessere Chancen wittert damit wieder der BVDN, die „89%-Kollegen“ ins „Lakaientum“ hineinzureiten: „Für den Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie ist die Richtlinien psycho therapie eine ... zentrale Aufgabe der Patientenversorgung“, schreibt er in Neurotransmitter 5/00.

55) Trotz all des angeführten abgründigen politischen Versagens der frei praktizierenden Nervenärzte in den letzten Jahrzehnten bieten sie für die Behandlung der Kranken, Hilfesuchen den unvergleichliche Vorzüge, bieten Wahrung der Privatsphäre, einigen Schutz vor staatlichem Zugriff, (relativ) unabhängige, persönlich verantwortete Betreuung von Mensch zu Mensch. In keinem anderen Fach braucht es sie mehr. Nur deshalb ist ihr Verschwinden, die stufenweise Zerstörung dieser Behandlungsmöglichkeit zu bedauern. Daß die Zerstörung und mit ihr der Verweis gerade psychisch Kranker an institutionell, richtlinien- und sonstwie weisungsgebundene „Therapeuten“ fragwürdiger Provenienz an der Gesundheitspolitik von CDU und CSU als Merk mal hängen bleibt, das haben wohl viele von uns nicht erwartet.

So mutig, beinah klarsichtig der BNP da auftritt, tappt freilich auch er immer noch reichlich im Nebel (56). An der schändlichsten der Psycho-Katastrophen in jüngerer Zeit, dem politischen Psychiatriemißbrauch in der Sowjetunion (Rumänien und der DDR), ging auch er über die Jahre achtlos vorbei. Ärztliche Drogenabgabe kümmert ihn auch nicht besonders. Und um was es bei der Psychotherapieproblematik in Wirklichkeit geht, hat er nicht entfernt begriffen. Ihre Einrichtung als eigenes Fachgebiet ließ er 1993 passieren und klagte dann über die „Integration“ der Psychologen, als hätte es dagegen noch ein Argument gegeben, nachdem Freud ärztlich sanktioniert war. Für sich und die Seinen will auch der BNP Freudsche Pseudotherapie gern bewahren. Für Geld stützt er wie viele andere Schwindelwissenschaft.

(56) Nach  dem aber schon die glaubensstärksten Katholiken auf die (zumeist anti-christlichen) Schwindellehren der Psychotherapie hereinfallen, vor ihr unsere gelehrtesten Verteidiger der Glaubensfreiheit ehrfurchtsvoll verstummen, die Ärztevertretung, die Medien, die Politiker aller Fraktionen für sie eintreten, wie sollten ihr da die Psychiater, die noch glauben, an ihr vielleicht verdienen zu können, nicht anhängen?

 

9.3 Mancherorts aber stoßen die Nervenärzte gegen alle Ablenkung und Irreführung den noch bereits zur ganzen, herben Wahrheit vor. Im Saarland haben sich mit Dr. Kajdi etliche Kolleginnen und Kollegen zu einem weiteren kritischen Berufsverband zusammengetan. Der BNP sieht einen Hoffnungsschimmer darin: „Bald werden weitere Kollegen  folgen.“ Daß er selbst, „allzugläubig“ (K.3.2, Kasten) den Schalmeienklängen von der „Reform“, der „Erweiterung“ des Fachs ins Soziale, Richtlinien-Psychotherapeutische hinein gefolgt ist, er so mitgewirkt hat, daß das dringend für die Krankenversorgung benötigte Geld der Versicherten jetzt in Wolkenschiebereien aufgeht, er so „die Katastrophe der Nervenärzte“ mitveranstaltet hat, das sieht der BNP wahrscheinlich nicht. Dr. Kaj di wurde bei der Jahresversammlung 2000 unserer Vereinigung am 13. Mai in Baden-Baden zu unserem Vorstand kooptiert.

 

Textfeld: Im Zugriff der Lobbyisten
 
 ... (es) gibt kein anderes Gebiet... – vergleichbar wäre höchstens noch die so genannte „Alternativmedizin“ -, wo sich purer Lobbyismus so auf Kosten wehrloser Patienten austoben kann und wo so genannte „Therapeuten“ mit so wenig Wissen um echte Krankheiten auf wirklich Kranke losgelassen werden, kurz, wo mit weniger Effektivität für Geld „behandelt“ wird. Qualitätsstandards werden so genannten „Fachgesellschaften“ –  nicht etwa unabhängigen Institutionen – überantwortet. Die Kontrollinstanzen, zum Beispiel Ärztekammern, sind voll im Zugriff der Lobbyisten, die gerade dabei sind, ih re Claims mit so genannten „qualitätssichernden“ Maßnahmen festzuzurren.  
Dr. med. Thomas Kajdi, Vorsitzender der Neurologen und Psychiater des Saarlandes - in DÄ 9/00
. 
 

 

 

 

 

 

 

 

 

9.4 Von der Meinungsbildungsindustrie (Marcuse), den Medien ein schließlich der weithin industriebezahlten ärztlichen Fachpresse, dem Kultur- und Psycho-Betrieb unterstützt, gibt die politische (Lügen-) Klasse die Lehre Freuds als profunde Wissenschaft, Erlösung fast von allem Übel aus und tut, als gäbe es außer ihrer Meinung keine andere, vor allem keine ethische und keine ernstzunehmende. Und die KBV gibt sich gelassen. Sie tut, als hätten die Krankenkassen und nicht sie selbst und der eng mit ihr verbundene Deutsche Ärztetag „Richtlinien-Psychotherapie“ in ihrer alle Bezahlbarkeit sprengenden Ausweitung bestellt.(57) Ohne mit der Wimper zu zucken, verkaufen sie Pseudowissenschaft auch der Öffentlichkeit. Medizin heute 4/00, herausgegeben im Auftrag u.a. der BÄK und KBV, kolportierte die Meinung des „Deutschen Psychotherapeutenverbandes“, nach der „der Bedarf zur Zeit nur zu etwa 30%  gedeckt“ werde, was „erhöhte Kosten für stationäre Behandlungen in psychiatrischen Abteilungen so wie Leid und Tod zur Folge“ habe. Durch Daten gestützt werden die Behauptungen nie.

57)    Wer die Musik bestellt, muß sie auch bezahlen“, sagt sie (DÄ 19/00) und versucht vergessen zu machen, daß die Ärztevertretung jahre-, jahrzehntelang nach der (ideologisch, freudianisch) „sprechenden Medizin“ gerufen, dabei auch die „Integration der Psychologischen Psychotherapeuten wie der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten begehrt hat. Sprach der Deutsche Ärztetag 1977 in Saarbrücken für die Psychiatrie-Enquête der Bundesregierung und ihrer Sachverständigen (K. 5.3), die neben an derem kostspieligen Unfug ein selbständiges psychotherapeutisches Versorgungssystem gefordert hatten, nicht „Dank und Anerkennung“ aus? Wurde von den Delegierten der deutschen Ärzte nicht mit Buh-Rufen und Pfiffen bedeckt, wer für die Freudsche Psychotherapie auch nur einen Wirksamkeitsnachweis forderte? Daran werden die Ärzte jetzt auch im Deutschen Ärzteblatt peinlich erinnert (DÄ 23/00).

Textfeld: Das Problem ist nicht, daß die Medien uns zu sagen versuchen, was wir zu denken haben. Die Medien gehen in der Täuschung noch weiter. Sie sagen uns, was überhaupt denkbar ist. Einige der vordringlichsten Fragen, die für das amerikanische Volk bedeutsam sind und das Herz unserer Kultur und das Über leben unseres Landes berühren, werden von den Reportern nie angeschnitten...
The Phyllis Schlafly Report 10/2000
Der Eindruck kommt international, so auch hierzulande des öfteren auf (Fn 26). Schlafly, 
Dr. jur., Verfasserin von 16 Büchern, ist eine führende Vertreterin der konservativen und Pro-Familien-Bewegung in den USA.

 

 

 

 

 

 

 

9.5  An der Unfehlbarkeit Freuds sind immerhin auch hier zulande immer wieder Zweifel laut geworden. Vor allem aber in Amerika gibt es neben umstrittenen Kritikern (58) bestens fundierte. Gewiß hat man in den USA besonderen Grund, sich gegen die Unverfrorenheit heilkundlich verbrämter Umerziehung zu wehren.

58)   Die Hintergründe der „Psychiatrieerweiterung“ kritisch herausgearbeitet hat, soweit wir sehen, mit als erste die La Rouche-Organisation. Die Scientologen waren es, die Chisholm und andere Details der „Psychiatrieerweiterung“ ausgegraben haben („Psychiatrie begeht Betrug“). Psychiaterjournale wie nda (3/00) schäumen darob. nda hätte besser ein mal klar gemacht, daß, soweit tat sächlich Betrug im Fach im Spiel ist, ihn primär die Politische Klasse zu vertreten hat. Sie ist’s, die Lehrstühle im Land einrichtet und bestimmt, wer darauf zu sitzen kommt. Eigenartig ist gewiß, daß entscheidende Wahrheiten heute nur noch von quasi „Unberührbaren“ geäußert werden können. - Mitunter mahnt übrigens nda selbst Ehrlichkeit im Fach an, geißelt es etwa die neue Unsitte mancher Neurologen, die, auf Profilierung gegenüber dem alten Nervenarzt, Loslösung von der Psychiatrie bedacht, deren Diagnostik jetzt in eine „neuro-psychologische“ umtaufen - nach nda 3/00 ein schlichter „Etikettenschwindel“.

 

Während hierzulande die Crème der Gelehrten, der Ärzte, der Politiker, der Medien (voran die FAZ) die Psychoanalyse noch als höchste, tiefste aller „Seelenkunden“  handelt, hat Freud in den USA offen sichtlich schon verspielt. Dies zeigte sich Mitte der 90er anläßlich einer Freud-Ausstellung der Library of Congress deutlich genug. Dr. M. Sabshin von der APA, die die Freudsche Ideologie über Jahrzehnte der Welt, speziell den deutschen Psychiater-„Vasallen“ (K.1) aufoktroyiert hat, erklärte jetzt - in offensichtlich arger Bedrängnis: „University psych departments have moved away from Freud to more empirical fields...“ (News week vom 18.12.95). Und von Seattle bis Washington stößt die schön-neu-weltliche Globalisierung, auf die die psychiatrisch-(tiefen-)psychologische Umerziehung von Anfang an angelegt war, auf breiten, vielschichtigen Protest.

9.6  Der Umstand, daß sie jetzt für unabsehbare, in ihren Auswirkungen höchst fragwürdige Pseudomedizin fortlaufend zur Kasse gebeten werden, könnte den Ärzten Fachärzten, Nervenärzten, von denen einige ja immer noch Bodenhaftung haben, all mählich doch aufstoßen. Sie könnten darüber ins Nachdenken geraten, ob ihre Diskussionen, die Beziehung zu ihren politisch hoffnungslos abhängigen Lehr-Autoritäten (59) sowie die Art ihrer Berufsvertretung noch angemessen sind. Bei den Pleiten, die sie jetzt ereilen, wird ihnen möglicherweise doch noch aufgehen, daß es gewiß skrupellos Politisches, in hohem Maß aber auch Selbsteingebrocktes ist, was sie jetzt auszulöffeln haben.

59)   Was solide an der Psychiatrie ist, wird immer Bestand haben. Sobald der Freudsche Schrott von der Psychotherapie ge nom men ist, wird auch sie mit soliden Grenzen ihr neues, solides Recht bekommen.

 

9.7 Lange lagen die verschiedenen Teile des Psychiatrie-Reform- und –Mißbrauchs-Komplexes verstreut, war deshalb nur schwer ein zusammenhängendes Bild von ihm zu gewinnen. An so vielen Orten fügen sich die Teile inzwischen aber schon so gut zur ganzen Wahrheit zusammen, daß beiderseits des Atlantiks die den Komplex umgebenden eiskalten Lügen, Ablenkungs- und Täuschungsmanöver der postmodernen „Power-Elite“ (Fn25) eigentlich keine Chance mehr haben. Ihr Versuch, das heilkundliche Fach zum Mittel politischer Steuerung umzufunktionieren, wird möglicherweise nicht mehr aufgehen.

Mulmig könnte es darob allmählich auch hierzulande denen werden, die fachintern an der Reform-Konzeption der Psychiatrie-Enquête und ihrer Umsetzung mitgewirkt haben. Bei der Breite und Schärfe, mit denen die Psychiatriekritik heute in verschiedenen Ländern, verschiedenen Lagern und zunehmend auch von Psychiatern selbst schon vorgetragen wird – Vergleichbares hat es bisher im Fach kaum gegeben -, droht das Kartenhaus seiner „ Erweiterung“ samt Leugnung seiner Mißbräuche wieder über etlichen seiner Spitzenvertreter – diesmal auf internationaler Ebene; der Protest ist ebenso international  – als erneute satte Blamage zusammenzuklappen.

 

10.  Jahresversammlung 2000

   Harmonisch wie immer in den letzten Jahren verlief die Mitgliederversammlung unserer Gesellschaft am 13. Mai 2000 in Baden-Baden. Befruchtend die Anwesenheit von Angehörigen verschiedenster Professionen, die aus verschiedenen Lebens- und Berufssituationen her aus mit der Psychiatrie in Berührungen gekommen waren und ihre Erfahrungen mit in die Diskussionen einbrachten. Die mehrheitlich anwesenden Psychiater nutzten die ihnen teuer, weil rar gewordene Gelegenheit ideologischer Papp vorgesetzt. Wahrheit haben postmoderne Wissenschaftler von vornherein abgeschrieben (K.1). Bei uns zum kollegialen, unverstellten, auf den Punkt kommenden Meinungsaustausch. Anderenorts wird ihnen ja häufig genug war die „Gesprächskultur“ gewiß noch nicht „gefroren.

Die Gründe, aus denen wir so lange auf Widerstand gestoßen sind, wurden jetzt klar. Wir hatten uns lange darüber gewundert, weil wir meinten, unsere Aktivität richte sich gegen nichts anderes als eine eklatante Menschenrechtsverletzung, die sich, so schien es anfangs, nur in der Sowjetunion, in einem fernen Land, abspielte. Andere merkten vielleicht früher, daß unsere Aktivität darüber hinaus tatsächlich auf Kernbereiche des „Zeitgeistes“ zielte (60).

60)  Weil Lipovetsky den „Postmodernismus“, Hintergrund all der aktuellen ethischen Probleme im Fach und darüber hinaus, einfühlbar erklärt, stellten wir ihn hier wiederholt an verschiedenen Stellen mit Zitaten und Erklärungen vor. Trotz vieler Absurditäten sieht L. in ihm die Vollendung menschlichen Entwachsens aus Unmündigkeit und vollendete Demokratie. Bei seiner Entstehung sieht er durchaus auch soziologische Überlegung am Werk, etwa die brillanten Beobachtungen von A. de Tocqueville (Über die Demokratie in Amerika). Er verliert aber kein Wort über die Planungen der Psychokrieger von Chisholm bis Huxley.

Viele Inhalte des vorliegenden Rundbriefs kamen in Baden-Baden bereits zur Sprache, der Psychiatriemißbrauch zuvörderst (K.2.5), das Drogenproblem wie auch deren Verschränkungen mit der psychological warfare und der Psychiatrie-Reform. Ausführlich besprochen wurden die vielschichtig fortbestehenden Probleme der „Aufarbeitung“.

       Diskutiert wurden die zunehmend aufdringlichen, an Hausfriedensbruch grenzenden Einmischungen des Staates in die Privatsphäre der Bürger, wo immer seine (auch CSU-geführten) Behörden etwas von psychischer Krankheit oder auch „Krise“ erfahren. Stets unter dem Etikett von „Hilfe“ und „Unterstützung“ auftretend und von den Medien als wohl  tätige Auswirkungen der Psychiatrie-Reform gepriesen, versetzen sie viele Betroffene bereits in Empörung, Angst und Schrecken. Breiten Raum nahmen in Baden-Baden noch die Erörterungen des „psychiatrischen Umfeldes“ ein.

        Meinungsunterschiede gab es dabei natürlich auch. Was etwa die weitere Entwicklung angeht, äußerten sich, wie schon gesagt (K.1), Pessimisten wie Optimisten, erstere sorgenvoll, weil der Marsch in die neomarxistisch-schöne neue Welt trotz mancherlei Opposition bisher ungebremst vorangekommen ist und außer den etablierten Politikern, Publizisten, den Psychiatern, Psychotherapeuten, den Ärzten letztlich selbst treueste Katholiken mitmarschieren oder ‑taumeln; zuversichtlich unsere Optimisten aber, weil selbst der Postmodernismus nicht für die Ewigkeit geschaffen ist.

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