Rundbrief 2/02                                                

Vorspann zur Internet-Ausgabe:

Der Rundbrief lief gedruckt Anfang November 2002 aus. Von ihm konnten nur einzelne, wichtige Kapitel ins Netz gestellt werden, 1. die allgemeine Zusammenfassung, 2. die psychiatrie-relevante Verfolgung in China, 3. den Verfolgungshergang im Fall von Dietrich Koch und 4. die Psychoanalyse betreffende Abhandlungen. Die englische Zusammenfassung wanderte wieder in die englische Sektion der Site.

 

1. Einführung und Zusammenfassung

         
   

   

 

Die vorstehende Skizze aus dem Fachjournal NEURO-DEPESCHE 2/02 zeigt beispielhaft, was viele Psychiatrie-Ordinarien,  Berufsverbandsvertreter, Fach-Journalisten und sie leitende Politiker heute als Auftrag der Psychiater, Psychotherapeuten ansehen, die Aufweichung, wenn nicht Ausschaltung des Gewissens. Wohl sind strenge Moralgrundsätze mitunter drückend. Daß sie „verrückt machen“ und ihre Abweisung heilsam wäre, wie das Journal suggeriert, ist jedoch reine Fiktion. Die Lüge ist heute im Fach aber allgegenwärtig.

 

Der vorliegende Rundbrief enthält Beiträge, die in den letzten Monaten meist schon in unserer Website standen und von Vielen schon heruntergeladen und gelesen worden sind. Es ist daher Zeit, zumindest die wichtigsten von ihnen auch unseren Mitgliedern, die keinen Zugang zum Netz haben, bekannt zu machen. Welchen Zuspruch unsere „Publizistik“ in den 25 Jahren unserer Vereinstätigkeit insgesamt fand und findet, beleuchtet Kapitel 2. Viele Vorteile bietet das Netz. Vor allem wird die Dominanz der etablierten Medien gelockert, bekommen die Wahrheit, die demokratische Meinungsbildung damit eine kleine, neue Chance. Auch müssen wir nicht mehr kostspielig so viele Gegner beliefern. Zudem können wir jetzt die uns tangierenden Themen je nach Aktualität einzeln näher abhandeln. Interessenten können sie spezifisch einzeln abrufen. Insgesamt wurden in den letzten Jahren von uns behandelt die (in etwa obigem Inhaltsverzeichnis entsprechenden) Themenkomplexe

- politischen Mißbrauchs der Psychiatrie,

- der Erweiterung ihrer Zuständigkeit, ihrer weiteren Verstaatlichung und Vergesellschaftung,

- ihrer „Erweiterung“ durch Pseudowissenschaft, insbesondere Psychoanalyse und

- ihrer Mithilfe bei der Rauschgiftverbreitung.

Die jüngsten Entwicklungen hier kommen mit den nötigen Rückblendungen im Folgenden näher zur Sprache. Sie bewegen sich natürlich in den politischen Rahmenbedingungen. Die letzten Wahlen haben sie nochmals verdeutlicht. Wie DER (katholische) FELS 10/02 (Prof. H. Gindert) feststellte – wir haben Grund, diesmal gründlicher auf Christliches, Kirchliches einzugehen -, ist mit dem Ende des Kommunismus „das Ende des utopischen Zeitalters“ (Joachim Fest,1991) nicht gekommen. Die Idee vom „neuen Menschen“, der weiter von seinen eigenen und den gesellschaftlichen Unzulänglichkeiten erlöst werden will - weltlich jetzt, versteht sich –, dauert an, auch wenn die nächste Pleite dabei vorprogrammiert ist. Wie sollten da von den Ärzten zumindest viele Psychotherapeuten, die schon bei Lenin vorne dran waren (RB1/96, K.10.3), mit dem Wahlausgang nicht zufrieden sein?

 In den kultur- und gesellschaftspolitischen, speziell in den genannten fachlichen Fragen, war und ist keines der beiden Lager dem anderen viel voraus oder hintan. Die Opfer des SED-Regimes sollen „nicht vergessen werden“, heißt es immerhin im neuen Koalitionsvertrag. Das Ausscheiden der PDS-Fraktion begrüßen gewiß auch wir. Die ehemalige DDR-Bürgerrechtlerin Angelika Barbe meinte hierzu, das Parlament habe „jetzt die Chance, die ausgebliebene Wiedergutmachung an den Opfern der SED-Diktatur nachzuholen“ (Die welt, 24.09.02). Auch ohne PDS aber haben unsere Parlamentarier besagter Diktatur schön getan und ihre Opfer düpiert. Hat es selbst Frau Barbe schon für nötig befunden, die Opfer des Psychiatriemißbrauchs und den Skandal seiner Abwiegelung durch die politische Klasse zu erwähnen?

In der Allgemeinheit wie der Ärzteschaft kümmern diese Dinge (fast) niemanden. Wenn aber die Arbeitslosigkeit von Millionen kaum jemanden berührt (Leserbrief nach der Bundestagswahl, DIE WELT, 26.09. 02), wie sollte da irgend wen und gar Ärzte ein so „ausgefallenes“, erst auf den zweiten Blick in seiner Tragweite erkennbares Problem wie der politische Mißbrauch der Psychiatrie bekümmern, von sonstigen „wissenschaftlichen“ Flunkereien in ihr ganz abgesehen? Warum sollten da, um bei den Rahmenbedingungen und einem Buchtitel Prof. Dr. Dr. Klaus Dörners, eines Protagonisten dieser Richtung (1), zu bleiben, „der gute Arzt“,  die „guten“ Psychiater, heute weniger angepaßt, weniger rot-grün sein, als sie damals braun waren?

(1) Ist Dörner gerade zur Bestimmung des „guten Arztes“ berufen? In „guter“ 68er Manier definierte er 1975 in BÜRGER UND IRRE die Psychiatrie als „Moment des Klassenkampfs“, konzipierte er sie 1978 in Irren ist menschlich „gut“ multidisziplinär und räte-demokratisch. „Psychiatrie ist heute als Gemeindepsychiatrie zu betreiben,“ oktroyierte er. Bei den DDR-Psychiatern war er Liebkind, die sowjetischen Schinder, Schänder des Fachs unterstützte er (RB 1/83, K.10.4). Seiner „Gemeindepsychiatrie“ und seiner Vorstellung vom „guten Arzt“ gab er damit wohl Perspektive.

 Sie, zumindest viele ihrer Spitzenvertreter (2) schwärmen, um ihr kleines Fach und ihren Nimbus möglichst groß zu machen, von „Integration,“ biologischer und psychologischer Konzepte, daraus resultierenden „komplexeren Modellen“, "Konsolidierungen" und der Annäherung der psychotherapeutischen Schulen „in Richtung innovativer Therapien“, so etwa kürzlich die Herausgeber des Fachjournals Fundamenta Psychiatrica 2/02. Kein Wort verlieren sie, daß hier die elementarste Voraussetzung von Wissenschaftlichkeit fehlt, die theoriespezifisch erwiesene Wirksamkeit der „Therapie“ etwa (s.u.).

(2) Bei aller Kritik am Fach-Politischen sei wieder einmal betont, daß wir vielen der „Spitzenvertreter“ in vielen ärztlichen Bereichen mit Hochachtung begegnen.
 

...Seit dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik sind die Mitarbeiter des Minsteriums für Staatssicherheit der DDR... üblen Verleumdungen...  ausgesetzt.... Nachdem sich Geschichten über Mord- und Killerkommandos, Psychiatriemißbrauch ... als Unwahrheit erwiesen haben ..., hat eine neue Verleumdungskampagne begonnen... die Mitarbeiter des Untersuchungsorgans und des Untersuchungshaftvollzuges der DDR wiesen das als üble Nachreden auf das entschiedenste zurück..“

So Gerhard Niebling, langjähriger stellvertretender Leiter der Hauptabteilung Untersuchung im MfS, seit 1983 Leiter der zentralen Koordinierungsgruppe im MfS kürzlich im Gespräch mit der Jungen Welt (www.jungewelt.de). Zu Stasi-Mordkommandos ist bei Google manches auffindbar.

 

Und die alten Stasi-Schinder klotzen. Wurde und wird ihnen aber ihr Auftrumpfen nicht von hohen Vertretern des Rechtsstaats in den Mund gelegt, von Ärzte-Organen, Unionsministern, ja sogar der Gauck-Behörde, in deren Haus die Lüge vom nicht-gewesenen Psychiatriemißbrauch der DDR aufwendig erarbeitet und verbreitet wurde (3). Spielten nicht „alle“ das Bubenstück solchen Mißbrauchs herunter und decken es bis heute? Viele Facetten davon, in- und ausländische, beleuchten näher Kapitel 7 und 8.

(3) Süß S., Politisch mißbraucht?, Chr. Links, Berlin, 1998

 

Hat das Vorgehen der Politiker beim „Wahrheitsfrisieren“ in der Psychiatrie aber nicht Vorläufer? Ganz ähnlich, indem sie nämlich ausschließlich ihre Gesinnungsgenossen, zumeist ihre abhängigen Psycho-Beamten, zu Wort brachten, betrieben sie die „Reform“ des Fachs. Von Anbeginn an zielte sie auf seine weitere Verstaatlichung-Vergesellschaftung und auf die Erweiterung seiner Zugriffsmöglichkeiten auf die Menschen. Anfang der 70er leiteten vor allem Unionspolitiker die Psychiatrie-Enquête ein. Heute werden, wie darin empfohlen, besonders in unionsgeführten Ländern wie Baden-Württemberg, aber auch Bayern, weitere Staats- und kommunale Facheinrichtungen, Institutsambulanzen etc. ausgebaut. Als Garanten verbesserter Krankenversorgung und Kostenersparnis wurden sie gepriesen. Weitere Kostensprünge im Gesundheitswesen brachten sie. Wie sich mit ihnen die „psychiatrischen Versorgungsstrukturen“ ändern, sie selbst auf der Strecke bleiben, merken jetzt selbst die niedergelassenen Nervenärzte / Psychiater (NEUROTRANSMITTER 4/02, 9/02), die, wohl weil  sie selbst an die (unbegrenzte) soziale Machbarkeit des „neuen Menschen“ glaubten, bei der „Reform“ lange mitgemacht haben. Selbst genug (mit anderen Mitteln – s.u.) an staatliche Kandaren gelegt, boten sie dem Hilfesuchenden und der Gesellschaft lange immer noch einen Rest persönlicher Verantwortlichkeit. Mit ihrer Verkümmerung bekommt der immer schon starke staatlich-gesellschaftlich kontrollierte Psychiatriesektor jetzt im Land wahrlich totalitäre Übermacht.

Viele unserer Staats-„Therapeuten“ und niedergelassene Ärzte setzen sich heute für Drogenvergabe an Süchtige ein. Die staatliche Heroin-Vergabe ist angelaufen. Substitution, die Suchtbestärkung bedeutet, ist inzwischen das dominierende Thema bei fast allen ärztlich-multidisziplinären „Suchtkongressen“. Die DGS (Deutsche Gesellschaft für Suchttherapie), unterstützt von den NEUROPSYCHIATRISCHEn NACHRICHTEN 7/02, gab „Wahlprüfsteine“ heraus, die Druck noch für rot-grüne Drogenverbreitung machten, so etwa: „Wollen Sie und Ihre Partei sich für die Etablierung der anerkannten Maßnahmen zur Schadensbegrenzung (harm reduction) einsetzen?...“ Was von den „anerkannten Maßnahmen“ wie der jetzt angelaufenen Heroin-Vergabe zu halten ist, beleuchtet näher Kapitel 4, der Beitrag von Prof. Keup (in der elektronischen Ausgabe des Rundbriefs nicht enthalten).

In den Parteien, so wird vielfach geklagt, haben wertkonservative Positionen keine Repräsentanz mehr. Entscheidend aber wurde der rot-grüne „Wertecanon“ von der Euthanasie bis zum Stammzellenverbrauch und zur Nivellierung der Familien von den Medien, den ausgestrahlten voran, aber auch der "gut" bürgerlichen Presse propagiert. Nirgends trat das aber penetranter zu Tage als im Bereich der „Seelenkunde“. Bei deren „Reform“ (von der „Vergesellschaftung“  bis zur Drogenliberalisierung) schoben die „liberal-konservativen“ Zeitungen mit am stärksten an. Was aber den Psychiatriemißbrauch der DDR und seine „(Nicht-)Aufarbeitung“ durch Regierungsinstanzen betrifft (RB 1/97), haben sie von der Taz bis zur FAZ (4) und der WELT bis zur Jungen Welt und zur Jungen Freiheit alle gedeckt. Die „Bewußtseinsbildungsindustrie“ (H. Marcuse) ist „psycho-medial“. Mit ihrer Kultur-Behandlung weit über die Psychiatrie hinaus hat sie die „neue Mitte“ geschaffen.

(4) RB 4/99, Fn4

Die Freudsche Lehren lieferten die "Begründungen" für neue Behandlungsmodalitäten und damit neue Behandlungseinrichtungen, Institutsambulanzen, bereits vorhandene und weiter geplante Fremdbestimmungs-, Beratungs- und Betreuungsdienste, aber auch für die Herausbildung der nötigen „multidisziplinären“ Manpower aus akademischen und nicht-akademischen Berufen. Sie bestärkten letztere, insbesondere Sozialpädagogen und Sozialarbeiter, im Gefühl „seelenkundlicher“ Kompetenz und legten sie und mit ihnen aber auch neue Mengen abhängiger Ärzte und Psychologen gleichzeitig an ihre doktrinären Zügel. Sie wurden für alle zu verpflichtenden „Richtlinien“. Die gesellschaftliche Bewußtseinsplättung und -kontrolle hat mit besagten Theorien, besagten Institutionen einen neuen Perfektionsgrad erlangt. Durch sie können ausgerichtete Seelen-Experten –  zu ihrem „Expertentum“ genügt vielfach mittlere Reife - weithin jetzt bestimmen, was Psychiatrie ist und in ihr zu geschehen hat. Die Planer des „neuen Menschen“ sind für „rot-grüne Jahrzehnte“ gerüstet.

Am erstaunlichsten aber, wie der Widerstand des christlichen Lagers gegen Freud, den erklärten  Christen-Feind, einknickte. Prof. E. Wiesenhütter führt in  FREUD UND SEINE KRITIKER, Wiss. Buchgesellschaft, Darmstadt, 1974, die Vorbehalte an, die Papst Pius XII. der Analyse entgegenbrachte. Das Verfahren, sagte dieser am 13.04.1953, „stelle eine sittliche Gefährdung für den Augenblick und für später dar, während die therapeutische Notwendigkeit des hemmungslosen Aufdeckens zwar behauptet wird, aber bis jetzt keineswegs erwiesen“ sei (5). Genau dieses Nicht-Erwiesensein des therapeutischen Wertes der Analyse in toto wie einzelner ihrer methodischen Details ist das Skandalon bis heute (6). Es geht bei Wiesenhütter nach dem Zitat aber weiter: „Auf den ersten Blick hat es den Anschein, als wollte der Papst mit dieser Rede die Psychoanalyse in Acht und Bann schlagen. In Wirklichkeit wirkte sie bahnbrechend... Denn im Anschluß an seine Ansprache erlaubte der Papst ... ein solches Vorgehen...“ 

(5) Papst Pius XII.,Über die Möglichkeiten und Grenzen der Psychotherapeutik, Herderkorrespondenz 1953, S. 353ff. Heute ist klar, daß Freud gar kein Aufdecken verfolgte, sondern schlichtes Oktroi.

(6) Mit der Publikation der ungekürzten Korrespondenz Freuds mit seinem Freund Fließ (Jeffrey M. Masson, The Complete Letters of Sigmund Freud to Wilhelm Fliess 1887 - 1904, Harvard University Press, 1985) und mit der von Freuds Brautbriefen ist der Vergleich seiner „offiziellen“ Aussagen mit vertraulich gemachten möglich geworden. Während seine Anhänger Ablehnungen seiner Abstrusitäten lange mit dem „Argument“ neurotischer „Widerstände“ niedermachen konnten, kann der „Seelenkenner“ jetzt als schlichter Lügner ausgewiesen werden. In anglo- wie francophonen Ländern geschieht das zur Zeit reichlich. Nur in Deutschland hat die neue Art der Freud-Kritik noch nicht recht festgemacht.

Wie das? Heiligte der Papst die Analyse etwa dadurch, daß er den Teilnehmern am 5. Internationalen Kongreß für Psychotherapeutik und klinische Psychologie 1953 in Rom nach allen Ermahnungen den erbetenen Apostolischen Segen gab? (7) Daß es sich bei ihr um schlichte Schwindelwissenschaft handelt (Fußnote 6 wie auch Kapitel 6.2), war damals noch nicht so klar. Christliche Vorbehalte gegen Freud verstummten danach jedoch völlig und die Auftritte der Freudianer wurden immer unverfrorener. In hohen Tönen priesen in den letzten Jahrzehnten aber auch christliche, streng katholisch firmierende Organe die Psychoanalyse, indes diese, Hauptagens des Neo-Marxismus, Freud-Marxismus, das christliche Wertsystem verflüssigte und verdampfte.

(7) Das Buch ideologie, glaube und gewissen (Droemer Knaur, 1965), auf das Wiesenhütter verweist, zeichnet ein anderes Bild. Es gibt eine längere Diskussion zweier Münchner Professoren wieder. Da zweifelte der Moraltheologe R. Egenter erst einmal, ob der Papst zur Abgabe seiner o.g. kritischen Äußerungen überhaupt „richtig und vollständig informiert war“ und der Arzt und Analytiker P. Matussek (vom Max-Planck-Institut für Psychiatrie) legte drauf, Freuds Worte hätten doch „die Kritiker der Psychoanalyse zur Vorsicht mahnen sollen“. Demnach haben also für Freud „bahnbrechend“ nicht der Papst, sondern eher einige deutsche Professoren (bayerische Beamte) gewirkt, indem sie damals schon (!) den Papst demontierten, ihn als nicht ganz ernst zu nehmen hinstellten („Psychiatrisierung“ ist nur die Perfektion der Methode) und mit der Psychoanalyse bald auch die Kulturrevolution nachzogen. Mit Leuten, die ihnen nach dem Munde reden, diskutieren die Analytiker natürlich immer gern. Im übrigen jammern und behaupten sie ein um das andere Mal und immer falsch, Freud (und somit auch sie) seien „von der Medizin, .., den Katholiken,... der ‚Öffentlichkeit’ bekämpft“ worden (so eine Internet-Notiz vom 2. Weltkongress für Psychotherapie in Wien, 1999). Die Vorgabe unrechten Mißachtet‑, ja Verfolgtwordenseins ist seit Freud einer der wirksamsten Analytiker-Tricks zu ihrer Mythenbildung und gesellschaftlichen Durchsetzung. Auch der Wiener Kardinal Schönborn ließ es sich übrigens nicht nehmen, das Welt-Psycho-„mehr-Zirkus-als-Hörsaal“-Spektakel aufzusuchen, um dort entsprechend abgerieben zu werden. Vom 3. besagter neuer (von der roten Gemeinde Wien reich gesponserter) Weltkongresse in diesem Jahr bringen wir Aussagen von Freuds Enkelin Sophie in Kap. 6.1.

Hatten unsere Kirchen nicht Grund, der Psychiatrie samt Psychotherapie gegenüber selbstbewußt zu sein? Hatten ihnen ihre Vertreter just hier nicht Ruhm eingebracht, mehr denn je seit Galilei? Hatten diese, voran der Bischof von Münster, August Graf von Galen, den tötenden (Seelen-)Wissenschaftlern nicht Einhalt geboten, sie zumindest gebremst? Warum jetzt auf einmal das Beigeben, oft gar noch angeregtes Mittun? Wie kamen nur so viele, die sich angelegentlich etwa für den Schutz Ungeborener einsetzten wie etwa die Europäische Ärzteaktion immer wieder darauf, diesen und ähnliche 68er Brandherde just mit Psychotherapie-Benzin zu „löschen“?  All die lauten Lebensschützer trifft jetzt aus ziemlich christ-fernen Zonen der Hohn, sie hätten die hauptsächlich wertändernd wirksamen, auch keineswegs lautlosen Minierungen der „Gehirnwissenschaften“ verschlafen (Kapitel 9). Gewiß hat auch die biologische Psychiatrie (neben Stärken) ihre Tücken (Kapitel 9). Der Clou ist nur, daß hier im Minieren just (psychologische) Schwindelwissenschaft am erfolgreichsten war.

In Amerika, wo homo-/paedophile Übergriffe von Priestern besonders peinlich aufstoßen, stellt sich heraus, daß diese dazu nicht nur von Psycho-Beratern der Kinsey-Schule ermuntert wurden, Leuten, die nach der Washington Times vom 21.08.02 dazu noch „Sex zwischen Erwachsenen und Kindern vertuschten“, sondern daß die Bischöfe des Landes die Leute auch jetzt noch zur „Aufarbeitung“ des Problems als Berater bestellen. Immer wieder verblüfft, wie leicht doch vielen Konservativen das „Löschen mit Freud-Benzin“ von der Hand geht.

Wie innerhalb der Ärztevertretung lange, wenn auch letztlich vergeblich, gegen das Vordringen der Pseudowissenschaft angekämpft wurde, zeigt folgende Passage aus einer

Rede vor dem Deutschen Ärztetag 1977 in Saarbrücken

...Es wurde Ihnen enquête-gemäß im vergangenen Jahr bereits der Antrag auf Einrichtung einer Gebietesbezeichnung „für psychoanalytische Medizin“ unterbreitet. Dabei ließ sich erst jüngst wieder zeigen: Trotz Lärms der Anpreisung, trotz Lehrstühlen und amtlichen Gebührenordnungsziffern stehen der wissenschaftliche Wahrheitsgehalt und die Wirksamkeit der Psychoanalyse, der anspruchvollsten der Psychotherapien, rundum in Frage. Keine Frage freilich, daß ihre Ideen in ein weltanschauliches Konzept passen, nach dem der Mensch, ähnlich die Gesellschaft rundum veränderungsbedürftig ist. Folglich, so scheint es, lieben Mensch- und Gesellschaftsänderer, einige richtige, wichtige Ansätze in ihr ausnützend, die Psychotherapie. Wohl kaum von ungefähr die seit Jahren auffällige Begeisterung der .linken Presse – was bekamen andere Ärzte dort zu hören? – für Psychotherapeuten. Sind ihre Theoreme doch gut mischbar und in aller Regel marxistisch gut vermengt. Was Mensch- und Gesellschaftsänderern noch fehlt..., ist der Nimbus eines Facharzttitels.

Wie könnten sie uns ihre nach Viktor Frankl dem „existentiellen Vakuum“ der Zeit entnommenen Ideen wirksamer aufzwingen, wie die „eigentümlich zerstörerischen Eigenschaften“, die nach Karl Jaspers der Psychoanalyse, dem Marxismus, der Rassentheorie gemeinsam sind, nachhaltiger entfalten, als durch Geltendmachen fachärztlicher Kompetenz? Wie wird die Rechtspflege aussehen, wenn etwa die Ansicht des Spitzen-„Fach“-Vertreters  Alexander Mitscherlich, das „herrschende Rechtsdenken“ sei „ein epochaler Irrtum“, die Justiz „die gefährlichste aller Bürokratien“, als ärztliches Fachwissen anerkannt, in die Gutachterpraxis einzieht?

Hier meine Damen und Herren, entscheiden Sie nicht ... über eine äußere Umstrukturierung des Gesundheitswesens. Hier geht es um seine inhaltliche Besetzung, um die Umfunktionierung eines ärztlichen Bereichs zum Herrschaftsinstrument der Ideologen. Hier geht es um die Schlüssel zum Bewußtsein der Zeit...“

 

Der Ärztetag kochte. Vor lauter Geschrei der Ärzte-Vertreter konnte Ref. seine Rede kaum zu Ende zu bringen. Zum ersten Mal wurde in Saarbrücken deutlich, wie radikal sich die Mehrheit der Ärztevertretung in den vorausgegangenen Jahren gewandelt hatte. Die Sprenger des Ärztetags 1974 (RB 2/01, Seite 29, Photo) saßen jetzt mit auf den Delegiertenbänken und machten von hier aus Stimmung. Referent war als Gast von dem noch amtierenden  Präsidenten Prof. Sewering geladen worden, nachdem seine wiederholten nicht-rot-grünen Meinungsäußerungen u.a. im Deutschen Ärzteblatt aufgefallen waren. Sewering mußte auf dem gleichen Ärztetag das Handtuch werfen – mit leiser Zustimmung auch manch Nicht-rot-grüner. Die Administration der „neuen“ Ärztevertretung unterschlug den Gast-Vortrag im Wort-Protokoll des Ärztetags, die einzige Freud-kritische Wortmeldung, die vor den Ärzterepräsentanten je laut geworden ist. 1999 gaben sie den  Freudianern ihren Facharzttitel.

 

 

Am meisten stehen in der Sache aber gewiß die Ärzte in der Verantwortung, die ersten Erbringer und angestammten Wächter der Heilkunde. Sie haben in erster Linie dafür gerade zu stehen, daß Hilfesuchende nicht Betrügern zum Opfer fallen. Nun sind Ärzte natürlich „von der Welt“, die will, so der Philosoph Joseph Pieper, „daß ihr nach dem Mund geredet wird, wobei es der Welt nicht so wichtig ist, ob sie dabei belogen wird“. Sie möchte es „nur zugleich leicht gemacht bekommen, dieses Faktum des Belogenwerdens zu übersehen“ (nach DER FELS – s.o.). Die Wahrheit der Christen mag, wer will, im Einzelnen bezweifeln: Sie haben uns im Gegensatz zu Psychotherapeuten aber zumindest die Idee der Wahrheit überliefert – neben anderen Grundlagen unserer Kultur und Identität. Fast aber ist es den Ärzten nachzusehen, daß sie ein bißchen mitlügen, auch einen Lügen-"Facharzt" einrichten, wo doch "die Welt" Freud-Geschichten von Sex und schauriger "Unterwelt" so gerne hört.

Tiefenschwindel hieß ein 1986 herausgekommenes Buch des Psychologen D. Zimmer, in der ZEIT vom 05.11.82 rezensiert, die Analyse darin behandelt als „Aberglaube des Jahrhunderts“. Auch darüber gingen die deutschen Ärztevertreter leichtfüßig hinweg. Ungeachtet der Risiken für die Gesundheit hilfesuchender Menschen, stützten sie mit Facharzttiteln („...für Psychiatrie und Psychotherapie, ...für psychotherapeutische Medizin“), einmalig auf der Welt, Schwindellehren, für die kein stichhaltiger Effizienznachweis existiert. Den Psychiatrie-Mißbrauch der Sowjetunion wollten sie nicht beim Namen nennen und den der DDR leugnen sie noch heute (RB 1/97, K.3). Die Psychiatrie-Reform aber, die wie manch anderes Fremdbetreuungskonzept für Jung, für Alt weithin auf Freudschen Dogmen fußt, begrüßten sie uneingeschränkt - die neomarxistisch wohl ergebensten Ärzte-Vertreter auf Erden. Ob sie, „Wächter der Heilkunde“, für die vielfältigen Karrieren der Schwindellehren der Verantwortung endgültig entkommen, steht noch dahin.

Für ähnliche rot-grüne Anpassungen hat die Union ihre Quittung jetzt bekommen. Daß sie von „ihrer“ Klientel, den älteren Mitbürgern, nicht mehr in früherem Ausmaß gewählt wurde – die schon psycho-medial erzogenen jungen erreicht sie ohnedies kaum mehr ‑, kostete sie, wie die Konrad-Adenauer-Stiftung fand (Die Welt, 14.10.02), den nahe geglaubten, schon ausgerufenen Wahlsieg. Die Bürger geben halt auch nach Jahrzehnten medial-psychologischer Bewußtseinsbearbeitung so leicht ihre Werteinstellungen nicht auf. Lieber eine flotte Talfahrt, dachten etliche wohl, als eine gequält-protrahierte und dazu noch etikettenschwindlerische. „Die CDU braucht jetzt keine Wertedebatte,“ findet natürlich DIE WELT (21.10.02), die beim Werte-Wandeln immer vorne dran war.

Zur Erklärung all der Pannen, der Hinnahme des Psychiatriemißbrauchs, der Drogenvergabe, der Erweiterung der „Seelenheilkunde“ ins Absurde etc. braucht es gewiß keine Verschwörungstheorien, wie sie einige Politiker und Schriftsteller, rechte (8) wie auch linke (9), schon in die Diskussion brachten und wie auch wir sie deshalb schon besprachen (Zeitenwende in der Medizin?, RB 4/99). Daß politisches Kalkül hinter den Phänomenen der „Kulturrevolution“ samt „Psycho-Hausse“ steht, die Möglichkeit sollte aber nie ganz verworfen werden. Daß die Psychoanalyse politisch gestützt wird, weil sie, therapeutisch zwar ineffizient, jedoch hoch wirksam ist, die Menschen weltanschaulich und damit politisch auszurichten, ist ziemlich offensichtlich (Chisholm, Kapitel 6.2).

(8) Wells H.G., The Open Conspiracy: Blue Prints of a World Revolution, 1928

(9) Ferguson M.,  Die sanfte Verschwörung, Sphinx, Basel, 1982

Bei unserem Bemühen geht es an sich seit langem nur noch ums Festhalten historischer Fakten und das Erklären ihres Zustandekommens. Unverhofft kommt freilich immer noch oft. Daß in den angelsächsischen Ländern auf einmal Freud-Kritik von neuer, durchschlagender Qualität (Fn 6) aufkommen würde (in vielen Fragen des Faches finden wir bei psychiatrischen Kollegen dort heute am meisten Rückhalt), dort wo Freud lange den stärksten Anhang hatte, wer hätte das vorausgesehen? Nach seiner Entzauberung dort hat die Kritik jetzt übrigens auch in francophonen Ländern eingesetzt: Mensonges freudiens - Histoire d’une Désinformation seculaire (Freudsche Lügen - Geschichte einer epochalen Desinformation) ist der Titel eines eben herausgekommenen Buches von Jacques Bénesteau über La fin d’un autre mythe, das Ende eines weiteren Mythos. Wie verhängnisvolle haben die letzten zwei Jahrhunderte doch hervorgebracht (s. K. Jaspers, Seite 5, Kasten). Große Anstrengungen sind für die Aufräumarbeiten noch gefordert. Wie allein den Massen gut motivierter, gescheiter, junger Menschen, die international in die Sackgassen pseudowissenschaftlicher „Psycho-Berufe“ gelockt worden sind, jetzt neu eine tragfähige berufliche Basis geben? Die Enttäuschungen, die Schäden, die viele davon getragen haben, die sich einmal vertrauensvoll an Freudsche Psychotherapeuten um Hilfe wandten, sind ohnedies kaum gut zu machen.

All diejenigen, die beim „Aberglauben“ und damit dem Schwindel des Jahrhunderts mitgemacht haben, aus geschilderten Gründen die Ärzte voran, sind im Grund reichlich blamiert. Da aber viele weitere renommierte Personen, Gelehrte, Literaten, Journalisten und Politiker, dazu wissenschaftliche, kulturelle und politische Gruppen und Instanzen, Menschenrechtsgruppen wie amnesty international oder GIP (s.u.), Gesundheitsorganisationen wie der Weltverband für Psychiatrie, die WHO den Schwindel nach Kräften mit forcierten und so entsprechend mit blamiert sind, ist damit zu rechnen, daß sie einiges daran setzen werden, den Skandal klein zu halten. Und vielleicht schaffen sie es auch diesmal wieder.

Andererseits: Wenn die Leute auch Klonen, Töten und besonders gern Lügen hinnehmen (s.o.), Betrug, wenn sie seiner denn gewahr werden, lassen sie sich häufig doch nicht gefallen. So ist der Ausgang des Rennens um die „Seelenkunde“ wie unserer aller Zukunft doch weiter offen. Es lohnt sich also, die Sache weiter zu verfolgen. Es bleibt anderes dem, der hier weiter aufrecht gehen will, auch kaum übrig.

 

 

Im Folgenden noch der anfangs erwähnte Text zu aktuellen Psychiatriemißbräuchen in China.Unsere Mitglieder erhielten dazu einen Petitionstext zugunsten von Wang Wanxing, für den wir uns in Rundbrief 2/94 bereits eingesetzt haben

 

 3.1 Einfach verrückt nach Freiheit

Die katholische Nachrichtenagentur Zenit.org griff aus aktuellem Anlaß kürzlich den Bericht von Robin Munro über den Psychiatriemißbrauch in China auf, den wir wiederholt, so in RB 4/93, 1/96, 1/99, 2/00 sowie 3/01 schon besprochen haben.

Sie berichtete jetzt, wie ein Mitglied der verbotenen spirituellen Bewegung Falun Gong, Fang Lihong, von seiner Arbeitsstelle entlassen, eingesperrt und gezwungen wurde, monatelang an intensiven “Umschulungs"-Kursen teilzunehmen. Er wurde dann einem psychiatrischen Krankenhaus übergeben, aus dem er 16 Monate später entkam. Gestützt auf chinesische Dokumente, schätzte Munro, daß in den letzten zwei Jahrzehnten mindestens 3.000 politischer Verbrechen angeklagte Personen von der Polizei psychiatrischer Beurteilung überstellt und die meisten von ihnen für geisteskrank erklärt und eingesperrt wurden.

Einiges an dem Bericht (unter obiger Überschrift) war jetzt aber auch neu für uns. So heißt es da: „...Munros Anklagen wurden von einem 298-seitigen Bericht gestützt, der den Titel trägt: ‚Gefährliche Gehirne: Politische Psychiatrie in China heute und ihre Ursprünge in der Mao-Ära.’ Die Studie wurde im August von ‚Human Rights Watch’ und der Genfer Psychiatrie-Initiative veröffentlicht. Laut diesem Bericht zeigen amtliche Dokumente deutlich, ‚daß die Vorstellung der Kommunistischen Partei von ‚politischer Gefährlichkeit’ schon vor langer Zeit in das diagnostische Arsenal der chinesischen Psychiatrie institutionell eingefügt und in das Grundkonzept psychiatrischer Gefährlichkeit einbezogen wurde.

Ein neuerlicher Versuch, China aus dem Weltverband der Psychiatrie auszuschließen, scheiterte, berichtete der Telegraph am 8. August. Statt dessen habe der Präsident des Verbandes, Juan López-Ibor, angeregt, eine Untersuchungsdelegation nach China zu entsenden, um dort Gespräche über eine unabhängige Untersuchung zu führen.

Die Königliche Britische Hochschule für Psychiater, die einen Ausschlußantrag gegen Peking unterstützte, erklärte dazu, López-Ibor habe die Satzung des Verbandes verletzt, indem er versäumt habe, eine Abstimmung über den Antrag auf Ausschluß Chinas zu ermöglichen...“

Daß britische Psychiater Psychiatriemißbräuchen, Schändungen des Faches, konsequent, der Weltverband für Psychiatrie, genauer seine Führung, ihnen dafür um so „weicher“ begegnen, letztere selbst um den Preis einer Statutenverletzung, sie dabei das Fach zu rühmen nie verlegen ist (RB 2/01), hat Vorläufer. Mißbräuche der Psychiatrie hat der WVP, so lange es ging, immer herunterspielt oder gar wie im Fall der DDR geleugnet (RB 4/99). Daß der Weltverband hier überhaupt etwas unternehmen würde – er gibt immer auch der deutschen Fachgesellschaft DGPPN die Tempi vor -, hielten wir so von vornherein für unwahrscheinlich (RB 3/01, K.3.2). Mehr als ein Ausweichmanöver unternimmt er, wie sich zeigt, auch nicht.

Daß die Genfer Psychiatrie-Initiative (GIP), mit deren Leuten wir einige Zeit verbunden waren, wieder einmal gegen den Mißbrauch des Faches vorstellig wurde, kann uns freuen. Den Mißbrauch in der ehemaligen DDR leugnete auch sie, wohl weil ihre amerikanischen Geldgeber ähnlich wie der WVP eine Erwähnung solcher Vorgänge insbesonderdere in (heute) westlichen Regionen nicht mögen. Sie reden hier lieber  von „Reformen.“ Das tun, die Psychiatrie betreffend, am liebsten auch unsere Zeitungen. Von den neuen psychiatrie-kritischen Teilen der Zenit.org-Meldung tauchte, so weit wir sehen, im deutschen Blätterwald überhaupt nichts auf.

 

3.2   

Am 25. Juni 2002 wurde in der Gethsemanekirche in Berlin ein kleines, aber gewichtiges Buch ehemaliger DDR-Verfolgter und -Bürgerrechtler vorgestellt zur Novellierung des Stasi-Unterlagengesetzes durch den Bundestag am 5.7.2002, ein Buch auch zur Verdeutlichung, wie sich Stasi-Verfolgung einschließlich Psychiatriemißbrauch ausnahmen und wie sie im Rechtsstaat damals und heute behandelt werden. Viele der Autoren waren persönlich an der erfolgreichen, freiheitlichen Revolution von 1989, dem glückhaften, rühmlichen Kapitel deutscher Geschichte, beteiligt. Einige bringen zu Sprache, in wie ähnlicher Weise rote und schwarze Politiker die Tyrannen hofierten und was sie an Kohls Inanspruchnahme eines "Opfer"-Status empört.

 

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler!

28 Erwiderungen auf Ihr Deutschlandbild oder: Warum Geschichte haftbar macht

Forum Verlag Leipzig 2002. ISBN 3-931801-05-5, E 12.

 

Sperren, anonymisieren, vernichten - das sind die Vorschläge für einen Teil der deutschen Nach kriegsgeschichte, die Stasiunterlagen. Seit dem sogenannten Kohl-Urteil des Bundesverwaltungsge richts haben sie wieder Konjunktur. Geht es bei der Aufarbeitung des SED-Nachlasses nach den Richtern, bleiben die historischen Akteure außen vor. Applaus von Bundeskanzler Gerhard Schröder. Bürgerrechtler, Schriftsteller, Historiker, Juristen, Journalisten haben auf das Kanzlerurteil zum Alt kanzler-Urteil erwidert. Die aus biografischer Erfahrung gespeiste Textsammlung legt frei, für wen der offene Umgang mit gesamt deutscher Geschichte unbequem und warum er unerläßlich ist.

 

Daraus: Dietrich Koch

„’Budenzauber’ Leipzig Kirche“

 

Die Sprengung der Leipziger Universitätskirche St. Pauli 1968 war ein Akt "kultureller Säuberung", mit dem die SED eine weitere Entchristlichung und eine Schwächung der bürgerlichen kulturellen Identität anstrebte. Drei Wochen danach forderte auf dem III. Internationalen Bachwettbewerb ein Protestplakat zum ersten Mal den Wiederaufbau. Rudolf Treumann hatte das Plakat gemalt, Stefan Welzk hatte es in der Leipziger Kongreßhalle ange bracht, während Harald Fritzsch davor wartete; mein Bruder Eckhard Koch und ich hatten die automati sche Auslösung mit einem Wecker gebaut. Welzk und Fritzsch flohen bald danach in den Westen.

Wie sich aus mehreren dicken Bänden der Operati ven Vorgänge »Kongreßhalle« und »Provokateur« ergibt, suchte die Stasi mit ungeheurem Aufwand - aber vergeblich - nach den Tätern: unter Bühnen arbeitern, Feuerwehrleuten, Beleuchtern, Hilfskräf ten des Gewandhausorchesters, der Dekorations firma, in kirchlich gebundenen Kreisen, insbeson dere den Studentengemeinden, unter Kulturschaf fenden, Studenten und Lehrkräften der Musik hochschule und der Hochschule für Grafik und Leipziger Grafikern und selbst bei Tierpflegern des benachbarten Zoos. Auf uns fünf Physiker, die wir zu einem dissidentischen Freundeskreis gehörten, kam die Stasi nicht.

Nach fast zwei Jahren verhaftete die Stasi mehrere meiner Freunde und mich wegen angeblicher Fluchtvorbereitung. Von dieser Anklage mußte ich später freigesprochen werden. Tatsächlich ging es der Stasi vor allem um die Plakataktion. Als einziger der Beteiligten wurde ich deshalb verurteilt und zwar zu zweieinhalb Jahren Haft und anschließender unbefristeter Unterbringung in einer psychiatrischen Anstalt, »um dem Wiederholen derartigen Verhaltens vorzubeugen und damit die Gesellschaft vor staatsfeindlichen Angriffen zu schützen«. Eckhard Koch und Rudolf Treumann konnte die Stasi nicht greifen, da ich deren Beteiligung nicht preisgab.

 

Weshalb die Stasi mich verhaften konnte, erfuhr ich erst 25 Jahre später aus den Stasiunterlagen. Stefan Welzk kam im Westen in die 68er Studen tenbewegung hinein. Zu seinen neuen linken politischen Freunden gehörten ausgesprochene DDR-Sympathisanten wie der Politologiestudent am West-Berliner Otto-Suhr-Institut Bernard Langfermann. Die Stasi notierte zu ihm: »Sehr progressive Haltung ... der SEW nahestehend ... klarer marxistisch-leninistischer Standpunkt ... Mitherausgeber einer linken marxistischen Studentenzeit schrift« (ab 1969 SOZIALISTISCHE POLITIK). Welzk besprach offen mit deren Redaktion, daß er (unaufgefordert) für seine Freunde in der DDR westliche Literatur einschmuggelte. Diese Redak tion war so dogmatisch-leninistisch, daß sie laut Stasiunterlagen Welzk sogar die Einfuhr von Habermas-Büchern in die DDR als ideologisch unver tretbar vorwarf . Welzk jedoch verfiel ausgerechnet auf diesen Langfermann als Kurier fur Bücherein fuhren (mit Codelisten mit »K« für Koch, »T« für Treumann usw.). Und Langfermann verriet Anfang 1970 von sich aus alles der Stasi in Ost-Berlin, für die er nunmehr als Kontaktperson »Boris Buch« arbeitete. Schließlich bat Welzk Langfermann auch noch um Übermittlung von Fluchthilfeplänen für seine Leipziger Freunde. Welzk mit seiner Neigung zu einer  Konspirationsromantik mit der Verwendung von Decknamen, Codebuchstaben und verdeckten Mitteilungen gab der Paranoia der Stasi nun wirklich Futter. Der IM »Boris Buch« verriet alles. Obwohl ich Welzks Fluchthilfeangebot gegenüber Langfermann abgelehnt hatte, steht in den Stasiakten falsch, ich hätte zugestimmt. War es der Stasi so wichtig, mich zu verhaften, oder wollte sich der IM profilie ren? Die Stasi bedankte sich beim IM für seine »pa triotische Tat« mit »marxistischer Literatur« - und empfahl ihn der HV A, für die er »von größerem op[erativem] Interesse ist«.

Langfermann berichtete der Stasi auch über ein Ge spräch mit Stefan Welzk, über das er dann noch eine Notiz übergab: »Budenzauber' Leipzig Kirche«. Dies war offensichtlich die Chiffre für den Plakatprotest. Die Stasi, die bekanntlich jedem kleinen Hinweis akribisch nachging, muß schon durch diese kleine Notiz veranlaßt worden sein, bei Welzks Freunden der Plakatsache nachzuspüren. Bald dar auf wurde ich verhaftet. (Einem anderen westdeutschen Linken hatte Welzk bereits wenige Wochen nach dem Plakatprotest erzählt, daß er diese Aktion mit Freunden gemacht hatte. Allerdings ist diese Information wohl erst 1971, als ich schon in Haft war, zur Stasi gelangt.) Doch eine Gefahr für mich ging bereits von der Flucht Welzks und Fritzschs aus. Im ZOV »Heuchler« hatte die Stasi 1970 notiert, erneut das »Vorkommnis Bachfestspiele 1968 in Leipzig (...) durchzuarbeiten und zu prüfen, welche Personen unmittelbar nach diesem Vorkommnis illegal die Republik verlassen haben. (...) Welzk und Fritzsch sind hierbei zu beachten.« Entscheidend für die Aufklärung der Plakataktion war jedoch, daß die Stasi uns überhaupt wegen des Verrats aus dem We sten verhaften konnte (zunächst wegen Fluchthilfe). Erst dann konnte sie die Verhafteten mit ihren psy chologisch ausgefeilten Methoden unter Druck setzen.

 

Das MfS war auch polizeiliches Untersuchungsor gan. Es hatte die auch ideologisch begründete Aufgabe, in offiziellen - wenngleich geheimen und rechtsstaatliche Anforderungen nicht erfüllenden - Ermittlungen inhaftierte Beschuldigte geständig-kooperativ zu machen. In der wissenschaftlichen Veröffentlichung »DAS VERHÖR. ZERSTÖRUNG UND WIDERSTAND« habe ich die verwendeten Methoden rekonstruiert. Eine wesentliche Quelle dafür sind die sonst kaum untersuchten Ermittlungsakten der Stasi - ergänzt durch meine eigenen Erinnerungen Ich fand auch konzeptionelle Papiere, in denen die Stasi ihre Methoden auf den konkreten Beschuldigten zuschnitt. Dazu gehört insbesondere eine »taktische Konzeption« zu meinem Fall, in der die Stasi nach einem halben Jahr Ermittlungen auf zehn Seiten eine Vielzahl einzelner Maßnahmen und Grundsätze festhielt, um ihr Ziel zu erreichen u. a.: Die intensive Vernehmungsarbeit mit dem Beschuldigten KOCH ist weiterzuführen, um möglichst größere Pausen, während denen er sich jedes Mal erholt, zu verhindern. - Koch ständig in Unruhe halten - Methode des Ausspielens nutzen Rachegefühle: Man muß KOCH weiterhin gegen (Mitbeschuldigte) aufbringen, um ihn dadurch zu Aussagen zu bewegen, die uns noch nicht bekannt sind - Geschickte Vorhalte - Die anderen Beschuldigten dazu ausnutzen, den KOCH zum Sprechen zu bringen - KOCH durcheinanderbringen, ihm bis zu einem gewissen Grad die Möglichkeit nehmen zu analysieren und sich auf Vernehmungen bzw. Aussagen vorzubereiten und unsere Taktik zu durchschauen. Plötzlicher Wechsel- Auf ungerechtfertigte Vorhalte ist er besonders emp findlich. - Erarbeitung operativer Kombinationen zum Zwecke der Täuschung - Die Beschuldigten [Name] und [Name] in die Ausarbeitung und An wendung von Kombinationen (...) direkt oder indirekt mit einbeziehen - Hilfe von Dr. Lehmann [= Psychiater des MfS] in Anspruch nehmen - Medikamente sind so zu verabreichen, daß er sich keine Reserven bilden kann - Prüfung der Existenz bzw. Wirkung von Sysogen (oder "P" - schweizerisches Produkt ...)[1] - gezieltere Arbeit mit inoffiziellen Mitteln - IM: Bei aller Zielstrebigkeit ist für den IM höchste Vorsicht geboten: Probevernehmungen; Vorbereitung der Schleusung eines Kassibers - Präparierte Schrift von [Stefan Welzk] - KOCH (...) vermutet, daß wir an St. W. u.a. in Westdeutschland inoffiziell arbeiten. - Ultimatum was kommt danach?«

 

[1] Höchst wahrscheinlich handelte es sich um Lyogen, ein heute noch in der Schizophrenie-Behandlung gängiges Neurolepticum, das auch in der Sowjetunion gegen fälschlich als schizophren deklarierte Opponenten eingesetzt wur de. Auch daß ein solches Mittel gegen den oppositionellen Koch zum Einsatz kam, weist das Vorgehen des Regimes als "klassischen", sowjetoiden Psychiatriemißbrauch aus. W

 

Die Stasi gab auf, »weil aufgrund jüngster Erfahrungen mit KOCH das Ziel (...) nicht erreicht werden kann« und beantragte meine Psychiatrisierung. Das Ermittlungsverfahren hatte 23 Monate gedauert.

Die Ermittlungsakten zeigen das Verhalten in Ex tremsituationen - sowohl ein Zusammenbrechen unter dem Druck der Stasi, bis hin zum Verrat der Ehefrau, als auch Beispiele großer Tapferkeit. So weigerte sich der Dresdner Maler Michael Flade aus unserem Freundeskreis, sein Wissen über die Plakat aktion preiszugeben und sagte, »daß er sein Leben lebt und wenn er Strafrechtsnormen verletzt hat, diese ihm erst nachgewiesen werden müssen«. Daß ein Beschuldigter diese rechtsstaatliche Selbstverständlichkeit so betonte, war für die Stasi außerge wöhnlich, war deren regelmäßiges Ziel doch der weichgeklopfte Beschuldigte. Auf Tausenden von Seiten habe ich bei anderen Beschuldigten nichts Vergleichbares gefunden. Aber auch Klaus Knödel aus unserem Freundeskreis weigerte sich, andere zu belasten. Meine politischen Auffassungen kenne er nicht, sagte er beispielsweise. Trotz Drohungen, seine Frau zu verhaften, blieb er standhaft.

 

Eine mit mir verhaftete Mutter von etwa einjährigen Zwillingen war natürlich besonders leicht unter Druck zu setzen. In der »vernehmungstaktischen Grundlinie« plante die Stasi, die »enge Bindung zu ihren beiden Kindern« auszunutzen, ihr klarzumachen, »daß sie im Interesse ihrer Kinder dazu bei tragen muß, daß die Voruntersuchungen in einem möglichst kurzen Zeitraum abgeschlossen werden können« und ihr mit der »Absprache des Erziehungsrechtes« zu drohen. Sie hat sich dennoch wochenlang tapfer gewehrt, bis der mitverhaftete Ehemann kooperativ geworden war. In den Akten fand... ich einen Briefentwurf, wonach sie nunmehr ihre. Hoffnung allein auf Geständigkeit setzte: »Dietrich, ich bin der Überzeugung, daß wir hier alles sagen müssen, weil nur das uns noch helfen kann. Es war ein schwieriger Weg für mich (...). Ich weiß, daß Du hart gegen Dich selbst sein kannst (...). Mir ging es ähnlich, aber [Name des Ehemannes] hat mir den richtigen Weg gewiesen (...).« Sie hoffte, Weihnach ten wieder bei ihren Kindern sein zu können, wenn ich nur endlich meinen Widerstand aufgäbe, und belastete mich mit dem, was ich ihr über die Plakat aktion anvertraut hatte. Aber nach fünfzehn weiteren Monaten Untersuchungshaft wurde sie zu fünfeinhalb Jahren verurteilt. Wohl durch eine ähnliche Hoffnung getrogen, kollaborierte ihr Mann noch viel weitergehender mit der Stasi: Durch Klopfzeichen wollte er mich zu Einzelheiten der Plakataktion aus fragen. In seiner Niederschrift darüber analysierte er auch für die Stasi, warum sich aus den Indizien ergibt, daß ich an der Plakataktion beteiligt war.

Ohne die Akten könnte ich diese Geschichte heute nicht erzählen; denn er leugnet diesen Verrat. Dazu kommt, daß die Akten oft die einzige Möglichkeit sind, historisch falsche Selbstheroisierungen und Lebenslügen zu entlarven. So stilisierte sich Dr. Günter Fritzsch nach 1990 öffentlich zu einem Helden, obwohl er tatsächlich ein Stasikollabora teur war. Vom ersten Tage seiner Verhaftung an belastete er andere, sogar seine eigene Frau, de nunzierte die Fluchtpläne eines Freundes, was zu dessen Verhaftung führte, belastete mich mit dut zendfacher staatsfeindlicher Hetze und mit dem Vorwurf, ich hätte das Plakat gemalt. Er gab zu Protokoll, er habe von Harald Fritzsch gehört, »Koch hätte die Umrißzeichnung der Kirche auf das Transparent übertragen«. Nach der Wende ließ er sich dann für eine angebliche Beteiligung am Plakatprotest öffentlich ehren - während sich aus den Akten ergibt, daß er an der Plakataktion nicht beteiligt war und sie sogar verhindern wollte, weil »durch solch eine Aktion das Verhältnis Staat Kirche geschwächt wird«.

 

Eine Quittung in den Akten belegt, daß ein anderer Verhafteter Geld von der Stasi nahm für seine »Hilfe bei der Aufklärung von Straftaten mir bekannter Personen«. Auch für den Verrat meiner Beteiligung an der Plakataktion. Seine ,,Identifikation mit dem Aggressor" Stasi ging so weit, daß er in  der Haft notierte: »Ich sehe in der kommunistischer. Weltbewegung diejenige politische Kraft von ernst zu nehmender Stärke, die den christlichen Idealen am nächsten kommt.«

 

Psychologisch interessant und ethisch brisant ist das in solchen Fällen zutage tretende Täter-Opfer-Problem. Selbstverständlich sind die Verhafteten und Verurteilten Stasiopfer. Aber dort, wo sie andere verraten und denunziert haben, sind sie eben auch Täter. Viele werden nicht fertig damit, daß sie in der Haft zu dem wurden, was sie doch eigentlich verachteten: zu Verrätern. Sie können diesen Teil ihrer Biographie nicht integrieren, spalten ihn ab und wer den doch ein Leben lang nicht damit fertig. Dies ist das Schlimmste, was die Stasi ihnen antat.

Mein Buch hätte ohne das Studium von Tausende:: Seiten Stasiakten nicht geschrieben werden können, und weitere Forschung in den Akten ist dringend nötig. Herr Bundeskanzler, bitte setzen Sie sich daffir ein, daß die Akten auch in Zukunft für die Forschung offen bleiben.

 

Dietrich Koch

Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Philosophischen Institut der Universität Essen, lebt in Mülheim / Ruhr. Nach Studium der Physik, Kunstgeschichte und Musikwissenschaft in Leipzig als theoretischer Physiker tätig an einem Institut der Akademie der Wissenschaften der DDR. 1968 Festnahme nach Protest gegen die Sprengung der Universitätskirche zu Leipzig; fristlose Entlassung und Arbeitslosig keit; 1970 wegen des Protestes gegen die Kirchensprengung Verurteilung zu zweieinhalb Jahren Haft und anschließender unbefristeter Unterbringung in der Psychiatrie; 1972 Abschiebung in die Bundes republik; Philosophiestudium und Promotion; Veröffentlichung: DAS VERHÖR - ZERSTÖRUNG UND WIDERSTAND (2001).


 

5.1 Freud zu Freud

Im Folgenden Ausführungen von Freuds Enkelin Dr. Sophie Freud beim 3. Welt-Kongreß für Psychotherapie im Juli 2002 in Wien, aus dem Internet (google - Sophie Freud) heruntergeladen und aus dem Spanischen übersetzt von Prof. Dieckhöfer. An sich enthalten die referierten Ausführungen nichts, was nicht mit anderen zusammen auch wir seit langem schon sagen und schreiben. Das Besondere ist nur, daß (eine) Freud es jetzt sagt.  

Es ist heute bald so weit, daß nur noch deutsche Ärzte, deutsche Psychiatrie-(und einige Neurologie-) Ordinarien, deutsche Gesundheitspolitiker und Journalisten, alles „Experten“ gewiß, an die Freudsche Schaumschlägerei glauben. Diese„Experten“, außer Ärzten, Psychologen, oft auch, oft gar mehrheitlich Sozialpädagogen, Sozialarbeiter usw., reißen solche Ausführungen sonst in der Regel herunter. Daß sie die Ausführungen hier beklatschten, lag wohl an dem berühmten Namen. Vielleicht dachten und denken sie auch, den Applaus als Beweis ihrer Kritikoffenheit und Toleranz auszugeben. Der spanische Berichterstatter tat sich am Schluß auch sichtlich schwer, für die Psychotherapeuten ein Resümee zu ziehen. Auf Deutsch ist oder war bisher im Netz von einem solchen Bericht von vornherein nichts zu finden.

  

Der „Vater der Psychoanalyse“ war für seine Enkelin eine Art Schaumschläger

von JAR

 

Die Sozialpädagogin Sophie Freud, Enkelin von Sigmund Freud, hat vor den „falschen Propheten“, zu denen sie auch ihren Großvater zählt, gewarnt, trotz der engen Verbindung, die sie bis kurz vor seinem Tode zu ihm hatte. Auf dem 3. Weltkongreß für Psychotherapie, der heute in Wien endet, wies Sophie Freud darauf hin, daß es keine Hoffnung gebe für eine friedlichere Welt in diesem Jahrhundert und daß zu den Schuldigen die „falschen Propheten“ zählen, die seit Jahrhunderten die Menschheit täuschen, machtgierige Ideologen, die zweifelhafte und inhumane Glaubenslehren verkünden. 

Sophie Freud, die in Boston (USA) lebt und wie ihr Großvater die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt, sieht als falsche Propheten viele Persönlichkeiten an, die die Geschichte und Gesellschaft beeinfluß haben, von Moses bis hin zu Adolf Hitler und zum Chef des Al-Qaida-Terroristen-Netzes Osama Bin Laden, sieht als solche aber auch Sigmund Freud und seinen Schüler und spä teren Rivalen, den berühmten Schweizer Psychoanalytiker Carl Gustav Jung. 

Wie sie vor Experten in Wien darlegte, war Sigmund Freud „von der heroischen Bedeutung seiner Mission, die menschliche Seele zu verstehen“ überzeugt. Seither haben sich viele Psychoanalytiker von einigen Lehren Freuds losgesagt, etwa vom Ödipus-Komplex - dies aber dauerte eine beträchtliche Zeit. „Bis 1976 zögerten die Frauen, wie die Expertin betonte, zu verstehen, daß sie nicht eine Art kastrierter Männer sind“. 

Kraft und Fortbestand dieser Irrtümer lassen sich darauf zurückführen, daß sich um diese Propheten pseudoreligiöse Gruppen bildeten, deren Anhänger sie verehrten und deren Eleven diese Lehre sich zu eigen machten, um ihrerseits wiederum als Missionare aufzutreten. Die entsprechenden Theorien blieben so innerhalb geschlossener Zirkel, anstatt auf wissenschaft lichen Foren diskutiert zu werden, betonte Sophie Freud.

 „Darüber hinaus gab es insbesondere viele Frauen, die Freud, diesem großen Manne, mehr vertrauten als ihren eigenen Wissen und ihrem Körper“. Sie sei eines anderen belehrt, versicherte Sophie Freud, die Parallelen zu großen politischen Verführern wie Hitler herausstellte, Verführern, die sich auch der Verehrung und finanziellen Unterstützung vermögender Frauen erfreuten.

 Freud wurde von vielen Frauen wie ein Gott verehrt und Jung empfing Zuwendungen einflußreicher Anhängerinnen. Doch, so Sophie Freud, so viel Verehrung kann den Charakter verderben.

Die Enkelin Freuds kritisierte auch die wissenschaftlichen Methoden ihres Großvaters, zu dem dieser kurzerhand die spontanen Ideen und das intuitive Denken in wissenschaftliche Tatsachen verdrehte und laufend gegen die Regeln verstieß, die er sich selbst aufgestellt hatte. So forderte Freud z.B. eine neutrale Beziehung zwischen Therapeut und Patient. Er selbst aber hielt sich an diese Regel nicht.

 Bei seinem Gegner Jung kritisierte die Pädagogin und Sozialarbeiterin dessen Nähe zu den politischen Propheten, zumal der Schweizer Analytiker die paramilitärischen Nazi-Einheiten, die SS, als eine „neue Ritterkaste“ ansah. Jung, so Sophie Freud, unterstützte den Caudillo Francisco Franco in dessen Kampf gegen die „barbarischen“ Republikaner und bil lig te die Vertreibung der deutschen und österreichischen Freudianer durch die Nazis, da er sich hierdurch bessere Perspektiven erhoffte, Anerkennung seiner eigenen Theorien zu gewinnen. Sophie Freud warnte vor dem gefährlichem Charakter der Propheten, da diese willkürlich zwischen Gutem und Bösem unterscheiden, fügt aber hinzu, daß es durchaus „Persönlichkei ten gebe, deren Beispiel man folgen könne, soweit sie ihre Ideen nicht als alleinige Wahrheit verkünden“. Wir sollten die Werthaltigkeit im wissenschaftlichen Denken präzisie ren, betonte die Pädagogin, deren Vortrag auf dem Kongreß zum Schluß mit großem Applaus aus dem Auditorium bedacht wurde.

 Insofern können wir beobachteten, daß die Kohärenz des Vortrags von Sophie Freud unbestreitbar ist. Gleichwohl wäre es vielleicht interessant, darüber nachzudenken, was wohl ihr Großvater gesagt hätte, wenn er an diesem Kongreß teilgenommen hätte. Wir alle haben hier zu eine bestimmte Vorstellung. Verständlicherweise war und ist der Einfluß von Freud in den Köpfen späterer Generationen erdrückend. Ob seine Theorien falsch oder richtig waren, wollen wir derzeit nicht bewerten. Selbstverständlich hat Sophie Freud Recht, wenn sie seinen großen Einfluß betont.

 19.07.2002

 

5.2  Wie es sich mit der therapeutischen Wirkung der Freudschen Psychotherapie und ihren angeblichen Nachweisen verhält, dazu der folgende, von uns schon im Juli 2002 ins Netz gestellte Beitrag

 

Zur Wirksamkeit analytischer Psychotherapie

Wiederholt schon haben wir aus guten Gründen gegen die Psychoanalyse Stellung bezogen. Aus ebenso guten Gründen ist es jetzt angebracht, die einschlägigen Argumente einmal kurz zusammenzustellen. Verstreut standen sie über die Jahre fast alle schon einmal in unseren Rundbriefen. Es kann dabei fürs erste bei einem „leichten Abklopfen“ der psychoanalytischen Erfolgsangaben, ihrem Vergleich untereinander und dem Vergleich mit den Realitäten bleiben. Eine genauere kritische Überprüfung, deren Aufwand über die Möglichkeiten unserer kleinen Gesellschaft hinaus ginge, bleibt jedoch wünschenswert.

Gern tritt die Psychoanalyse unter wechselnden Bezeichnungen auf („psychodynamische“, „analytische / neoanalytische Psychotherapie“, „Tiefenpsychologie“  etc.), über deren Unterschiede die ärztlichen wie nicht-ärztlichen (psychologischen) „Fachleute“ mitunter heftig streiten, die aber doch alle entscheidend auf Freudschen Grundsätzen fußen. Daneben gibt es freilich auch echte Differenzen über Theorie und Praxis der Psychotherapie. Freud, Adler, Jung z.B. befehdeten sich bekanntlich bis über den Tod hinaus. Unter Freudschem Primat buhlen die „analytischen Schulen“ heute aber um ihre gesellschaftliche Geltung gemeinsam. Und ihren heilkundlichen Anspruch stützen sie letztlich gemeinsam auf eine einzige Arbeit, nämlich auf

A. Dührssens Katamnestische Ergebnisse bei 1004Patienten nach analytischer Psychotherapie (Z. psycho-som. Med. 8,1962, 94ff). Sie stellen die grundlegende Arbeit dar, die besagte „Therapie“ in die Kassenmedizin, den Rehabilitationsbetrieb, letztlich in Deutschland zur allgemeinen „Anerkennung“ und damit zur Massenverabreichung brachte. Erst kürzlich betonte das Deutsche Ärzteblatt 5/02, „das Organ der Ärzteschaft, wieder den „Wirksamkeitsnachweis von Psychotherapie ... durch Dührssen“ als Voraussetzung für die Einführung „entsprechender Leistungen in die gesetzliche Krankenversicherung“, die allgemeine Anerkennung des „eigenständigen wissenschaftlichen Paradigmas“ der Freudianer, die weitere „konsequente Integration der Psychosomatik in die Medizin... durch Einführung des Fachgebietes Psychotherapeutische Medizin’“ ab 1999 wie auch, so hieß es zuvor schon in DÄ 45/01, die Einbringung der Freud-theoretisch begründeten „psychosomatischen Grundversorgung in alle klinischen Facharzt-Curricula“ ab 1995.

Dührssens „Erfolge“ wurden alle am Zentralinstitut für psychogene Erkrankungen der AOK Berlin erzielt, wo verschiedene, auch grundsätzlich divergente Schulen, besonders die neoanalytische von Schultz-Hencke, ansonsten die Freudsche, Adlersche und die Jungsche zusammenwirken. Nachdem sie expressis verbis alle in gleicher Weise „erfolgreich“ waren, bewies Dührssen im Grund jedoch das genaue Gegenteil von dem, was sie beweisen wollte, nämlich die Irrelevanz der psychodynamisch-psychotherapeutischen Theorien, damit die Irrelevanz eigentlich des gesamten „Inventars“, von dem besagte Psychotherapeuten den Anspruch wissenschaftlicher Gültigkeit ableiten.

Dührssens Arbeit ist und bleibt die entscheide. Jahrzehnte später erschienen für die analytischen Verfahren zwar weitere (die im Folgenden beschriebenen) „Erfolgsnachweise“. Für die Zulassung eines neuen Heilverfahren bleibt es in jedem Fall ungewöhnlich, daß eine einzige, noch dazu eine auf den ersten Blick grob wurmstichige Arbeit den Erfolg zweifelsfrei bewiesen hat oder haben soll, just sie der „analytischen Psychotherapie“ Eingang in die kassenärztliche Versorgung verschaffen und über dreißig Jahre hinweg Ausgaben der Krankenkassen in Höhe vieler, vieler Millionen Mark und Euro auslösen konnte. Es sind in späteren Jahren zwar weitere „Erfolgsnachweise“ nachgekommen. Sie sind bei näherem Hinsehen jedoch auch nicht überzeugender als jener „entscheidende“ erste. Vier Arbeiten seien näher besprochen, weil „das Organ der ÄrzteschaftDeutscheS Ärzteblatt sie als solchen Nachweis schon ausgab.

F. Breyer et. al. fanden bei ihrer Prüfung analytischer Behandlungsergebnisse (Kosten und Nutzen ambulanter Psychoanalyse in Deutschland, Gesundheitsoekonomie & Qualitätsmanagement 3/97) ähnlich stolze Erfolge wie Dührssen und in ihrer Nachfolge ähnliche Ersparnisse bei späteren „Gesundheitskosten.“ Auch sie prüften freilich wie Dührssen wieder die Ergebnisse theorie-konträrer Behandler, psycho- wie neoanalytischer, dazu individualpsychologisch-Adlerscher. Bezüglich theoriespezifischer Wirksamkeit jener Behandlungen war ihre Untersuchung damit wieder ein voller Schlag ins Wasser. Gleichwohl lobte das Deutsche Ärzteblatt, „das Organ der Ärzteschaft“, Breyers Arbeit als klaren psychoanalytisch-/-therapeutischen Erfolgsnachweis (den genauen Wortlaut kann Ref. in seinen Unterlagen im Augenblick nicht auffinden).

Nach den „Neoanalytikern“ um Dührssen und ihrer „Bestätigung“ durch Breyer legten in Psyche 3/01

M. Leuzinger-Bohleber et al. mit Langzeitwirkungen von Psychoanalysen und Psychotherapien: Eine multiperspektivische, repräsentative Katamnesestudie sowie

R. Sandell et. al. mit Unterschiedliche Langzeitergebnisse von Psychoanalysen und Langzeitpsychotherapien

speziell für die (orthodoxen) Psychoanalytiker, in Deutschland organisiert in der DPV, die "Effizienz" ihrer Behandlungen dar. Im Durchschnitt liefen diese über vier Jahre bzw. 371 Behandlungsstunden. Mit ihren „Stichproben-Prüfungen“ (!) fand Leuzinger bei rund 80% der Nachuntersuchten „gute“ bis „mittlere“ Besserungen in Bezug auf „Wohlbefinden, persönliche Entwicklung und Beziehungen zu anderen“, ähnlich bezüglich “Bewältigung von Lebensereignissen, Selbstwertgefühl, Stimmung, Lebenszufriedenheit und Leistungsfähigkeit.“ Leuzinger weist auch auf einen Rückgang von Arztkontakten, Arbeitsunfähigkeitstagen, allgemeinen „Gesundheitskosten“ durch die Analyse, legt hierzu jedoch keine objektiven Daten vor. Behandelt worden waren angeblich „schwer gestörte Patienten“, zu 56 Prozent „Persönlichkeitsstörungen“, die heute in der International Classification of Diseases der WHO (ICD10) aufgelistet, gleichwohl bei den Fachleuten höchst umstritten sind, ähnlich wie es seinerzeit die „Schizophrenie ohne Symptome“ der Sowjetpsychiater war. Vor allem aber bleibt festzuhalten: Wenn die von Leuzinger berichteten Erfolge auch aus psychoanalytischen Behandlungen resultierten, ist damit in keiner Weise geklärt, ob andere Arten von ähnlich langen (und teuren) Besprechungen nicht gleich gute oder gar bessere Ergebnisse erbracht hätten.

Sandells in der gleichen Nummer der PSYCHE dargestelltes Untersuchungsergebnis war unter anderem, daß sich nach psychoanalytischen Behandlungen „eine größere Abhängigkeit von Sozialhilfe, signifikant häufigere Krankschreibungen, signifikant häufigere Konsultationen wegen somatischer Behandlungen und signifikant häufigere Einnahme psychoaktiver Medikamente fanden.“

Das Deutsche Ärzteblatt, „das Organ der Ärzteschaft“, genauer Redaktionsmitglied Petra Bühring aber zogen in dem Beitrag Psychoanalyse – Schwierige Evaluation (DÄ 30/01) den kühnen Schluß: Die „...Studien untermauern nun die Langzeitwirkung“. Unter der Hand deuteten sie die reichlich negativen Befunde - hat Sandell nicht das psychotherapeutische Hauptargument, Dührssens „Kostenersparnisse“, widerlegt? - wieder in positive Langzeitwirkungen der Analyse um.

Das Buch des Psychologen K. Grawe et al., Psychotherapie im Wandel, Hogrefe, 1994 wird vielfach noch als Bibel der psychotherapeutischen Effizienzforschung gehandelt, als gültige Übersicht über die Leistungsfähigkeit der verschiedenen Psychotherapie-Richtungen weit über die analytischen Verfahren hinaus. Zu diesen schrieb Grawe zwar, wie in unserem Rundbrief 4/99, Fußnote 32, schon vermerkt, es hätten „40 kontrollierte Studien ihre klinische Wirksamkeit nachweisen“ können. Er bezieht dieses Urteil im einzelnen dann auf zwölf katamnestische Untersuchungen zur „psychoanalytisch orientierten Psychotherapie“ (PAOP) sowie auf 29 zur „psychoanalytischen Kurztherapie“ (pKT). Sie decken das positive Gesamturteil jedoch keineswegs.

Von der eigentlichen Freudschen Langzeittherapie führt Grawe überhaupt nur eine einzige als überprüfbar an, die Menninger-Studie. Sie musterte (wie Leuzinger und Sandell unter „naturalistischen“ Bedingungen, im Vergleich zu ihnen jedoch noch viel akribischer) 45 Patienten, davon 22 noch viel orthodoxer-psychoanalytisch, nämlich über zwei- bis drei Jahrzehnte (!) über durchschnittlich 1017 Stunden (!) behandelte Patienten und verglich diese mit 20 schwerer (!) Gestörten, die „deshalb“ nur „supportiv“, immerhin aber noch über 316 Stunden oder vier Jahre (!) behandelt wurden. Die Untersuchung, deren Voraussetzung in jedem Fall eine gefüllte Patientenbrieftasche war, förderte für alle Behandelten in etwa 60 % der Fälle Verbesserungen ans Licht, die Grawe aber angesichts des immensen Therapieaufwands und weil sie sich in keiner Weise „positiv von anderen Therapieverfahren abhöben“ als bescheiden wertete, wobei im Vergleich zu den schwereren, supportiv behandelten für die leichteren, orthodox-psychoanalysierten Fälle sogar noch bescheidenere Ergebnisse abfielen, was wieder die Irrelevanz der analytischen Theorie belegt. Zu den therapeutischen Fehlschlägen bemerkt Grawe: „Bei den 26 % ‚Failures’ ... handelt es sich nicht einfach um Fälle, bei denen positive Wirkungen ausgeblieben waren, sondern bei der Mehrzahl ... (um) ausgesprochen schädigende Effekte.“

Zu den 40 angeblich „klinische Wirksamkeit“ der Analyse zeigenden Studien rechnet Grawe nun 12 Expertisen zur PAOP, die er gleichzeitig aber als „methodisch eher unterdurchschnittlich“ wertete. Die einschlägige „Befundlage (sei) weder quantitativ noch qualitativ sehr beeindruckend.“ Von den 29 Studien zur Kurztherapie (pKT), die überhaupt nur bedingt „analytische“ Therapie ist, schreibt Grawe im weiteren, es hätten lediglich 10 davon „interpretierbare Resultate“ geliefert. Sie zeigten „Besserungen der Symptomatik“ an, aber „auffallend oft... auch signifikante Verschlechterungen“. Sie ließen „ein positives Bild von der Wirksamkeit psychoanalytischer Kurztherapie nicht entstehen.“

Weder also stützen Grawes detaillierte Angaben sein eigenes oben genanntes positives Gesamturteil – er folgerte ja auch gar nicht aus 40, sondern allenfalls aus 22 „kontrollierten Studien“ -, noch rechtfertigen sie die wiederkehrenden Verweise amtierender Gesundheitspolitiker auf ihn, die ihn vielfach als den Kronzeugen psychoanalytischer Effizienz handeln.

Stand und Umfang der evaluierten Psychotherapieforschung sind unzureichend,“ stellte das DEUTSCHE ÄRZTEBLATT 27/01, „das Organ der Ärzteschaft“ (1), dazu wieder durchaus richtig fest, behauptete aber in ein und dem  gleichen Atemzug weiter, „durch Untersuchungen (zum Beispiel Dührssens, 1962, Grawes, 1995)“ sei  (bezogen auf die Gesamtausgaben für individuelle „Gesundheitsleistungen“) „die Kosteneinsparung  durch Psychotherapie belegt“ worden. Und seine Leser nahmen es hin!

Grawe gilt vielfach als über den Grabenkämpfen der analytischen Schulrichtungen stehend. Als Psychologe neigt er speziell der in der universitären Psychologie gelehrten, im Vergleich zur Analyse gewiß weniger abstrusen, freilich auch nicht minder materialistisch-reduktionistischen Verhaltenstherapie (VT) zu. Er ist somit alles andere als „unparteiisch.“ Das ist ja das Hauptmanko der gesamten Psychotherapie und der von ihr geprägten „Reform-Psychiatrie“, daß es Unparteilichkeit und damit eine fair moderierte, alle divergenten Aspekte zulassende Diskussion hierzulande nie gegeben hat. Grawes Interesse war und ist, die Psychologen besser ins Geschäft zu bringen. Für die VT hat er ungleich mehr und überzeugendere Erfolgsnachweise beigebracht. Sie könnten ebenfalls noch „abzuklopfen“ sein. Nur geht das über unsere Möglichkeiten endgültig hinaus.

(1) (Nachtrag 5/03): Mit einer weiteren „Therapieevaluation bei psychischen Störungen“ kamen inzwischen das DEUTSCHE ÄRZTEBLATT 16/03, genauer sein stellv. Leiter der Marburger Kinderpsychiater Prof. Remschmidt heraus, einer Erhebung über Ergebnisse der entsprechenden Behandlungen "von Kindern und Jugendlichen". Er schrieb - fürs Erste durchaus richtig, es spiele im Fach "Psychotherapie eine herausragende Rolle", dann aber: "Betrachtet man die Leitthemen der Psychotherapieforschung in den letzten 50 Jahren, lassen sich vereinfachend folgende Epochen unterscheiden: Auf das vorempirische Stadium (Wirksamkeit wurde unterstellt, anstatt sie systematisch zu überprüfen) folgte das Stadium, in dem es darum ging, die allgemeine Wirksamkeit von Psychotherapie überhaupt nachzuweisen, was mittlerweile als gesichert gelten kann. Darauf folgte das Stadium, das man als Phase der 'speziellen Wirksamkeitsforschung' bezeichnen kann ... Dieser störungsspezifische Ansatz bezieht sich allerdings nicht nur auf Psychotherapie, sonders auf alle Interventionen, die für eine bestimmte Störung die relativ besten Behandlungsergebnisse bewirken...“ Die „allgemeine Wirksamkeit von Psychotherapie“ ist freilich nichts anderes als die des guten Worts allgemein. Zur „speziellen Wirksamkeit“ (der psychoanalytisch-tiefenpsychologisch-spezifischen etwa) aber schweigt sich Remschmidt aus. Dabei geht es in der Diskussion allein um sie. Wird sie doch stets hier zugrunde liegenden Theorien und dem Training in ihnen zugeordnet. Just sie aber steht nach hundert Jahren „Therapie-Forschung“  über alle angeblichen „Phasen“, „Epochen“ oder „Stadien“ hinweg nach wie vor in den Sternen. Von verlogener, verwischender Rabulistik aber waren bisher alle einschlägigen „Evalutationen“! Mit solchen Flunkereien getrauen sich renommierte Ordinarien der „Psycho-Fächer“ über die Jahre, Jahrzehnte ihren Kollegen unter die Augen zu treten. Während viel im Gesundheitswesen von „Qualität“, „Qualitätskontrollen“ geredet wird, kann ein Bereich sich weiter blähen, der aus nichts als Augenwischerei besteht.

Wissenschaftlich umfassende, kontinuierliche und an die Wurzeln gehende Freud-Kritik gibt es derzeit nur im Ausland (2). Viele neu aufgefundene Daten hat sie verarbeitet. In deutscher Übersetzung liegt davon vor H. Israels’ Der Fall Freud – Die Geburt der Psychoanalyse aus der Lüge (1999). Großes Gewicht haben dazu F. Cioffi mit Was Freud a Liar?, 1974, M. Macmillan mit Freud Evaluated,1991, R. Webster mit Why Freud was Wrong, 1991, A. Esterson mit Seductive Mirage, 1993, F. Crews mit Unauthorized Freud (1998), R. Wilcocks mit MOUSETRAPS AND THE MOON (2000) und andere. T. Dineen behandelt in MANUFACTURING VICTIMS (2. Aufl. 1998), was eine unsolide, ins Kriminelle gehende „Psycho-Industrie (insgesamt) den Menschen antut”. Besonders erhellend war an den englischen Arbeiten für den Autor die Darlegung, daß und wie Freud schon bei seinen frühesten Behandlungen mit Kokain, seiner Darstellung des berühmten „ersten“ Psychotherapie-Falls „Anna O.“ Erfolge vorgaukelte, die gar nicht existierten, der Altmeister offensichtlich das Muster vorgab, nach dem auch gewisse „Wirksamkeitsnachweise“ seiner Adepten laufen.

(2) Nachtrag (12/02): Kürzlich kam eine neue Freud-Kritik heraus aus der Feder des Bamberger Psychologen Prof. Herbert Selg: SIGMUND FREUD – GENIE ODER SCHARLATAN, Kohlhammer, 2002. Der Autor führt übersichtlich, bündig viele Freudsche Schwachstellen auf. Er gibt der Analyse trotz aller Schwächen dennoch ein langes Leben, weil sie „von Personen außerhalb der Psychologie immer wieder ernst genommen“ wird. Daß es vielfach auch Psychologen sind, die heute Freud sche Psychotherapie praktizieren, sagt er nicht. Seit Eysenck will psychologische Freud-Kritik all zu oft nur bewahren, was mit Dührssen just Freudianer errungen haben, den prinzipiellen Zugang von Psychologie, „sprechender Medizin“ zu den Geldtöpfen der Krankenkassen. An therapeutischer Wirksamkeit werde die Analyse, schreibt Selg, „von anderen Therapiearten, z.B. von der Verhaltenstherapie übertroffen“. Daß auch an deren Theorien und Effizienzkontrollen manch Fragwürdiges ist , sagt er nicht. Heilsam effiziente, menschengerechte Psychotherapie ist fraglos wünschenswert..

Ernsthafte Freud-Kritik hat es auch hierzulande gegeben, hier einst die Kritik international führender Fachleute von K. Jaspers bis K. Schneider, H. J. Weitbrecht und anderen. Heute geben sich die „führenden“ deutschen Psychiater zwar zwischendurch auch „kritisch“. Prof. M. Berger, Freiburg, etwa stellt auf Seite 162 seines modernen, viel gelobten Lehrbuches PSYCHIATRIE UND PSYCHOTHERAPIE (Urban und Schwarzenberg, 1999) fest, es werde der Psychoanalyse „vorgeworfen, daß ihre Begriffsbildungen und Konzepte Verifizierung bzw. Falsifizierung von Hypothesen nicht gestatten und daß sich ihre wissenschaftliche Vorgehensweise nicht an den Grundlagen empirisch-wissenschaftlicher Methoden orientiert (Popper 1963) ... Die Kritik bezieht sich weiterhin auf den weitgehend fehlenden klinischen Wirksamkeitsnachweis“ der  Analyse. Die „Kritik“ dieser „Kritiker“ kommt freilich meist im Konjunktiv als Fremdzitat, unter Verweis auf andere und offensichtlich vollen Hosen. Spätestens im übernächsten Satz schon tun diese „Kritiker“ dann, als seien die therapeutische Wirksamkeit der Psychoanalytiker doch über alle Zweifel erhaben und ihre Aussagen immer höchst bedenkenswert.

Ähnlich der Eiertanz, den die gesamte Ärztevertretung in den letzten Jahrzehnten um die Analyse aufführt. Es kommen zwar in Ärzteblättern mitunter auch heute noch Freud-Kritiken vor (3). Sie werden aber umgehend mit den wütenden Entgegnungen, scipionischen Drohungen derer konterkariert, die mit Freudschem Bluff ihren Lebensunterhalt bestreiten (4). Empörung bei ihnen, daß Schwindel mitunter noch Schwindel genannt wird. „Nirgends wird in der Medizin so fanatisch und intolerant gestritten wie in der ‚Tiefenpsychologie’“, stellte H.J. Weitbrecht in seinem Lehrbuch Psychiatrie im Grundriss (1963) noch fest (5).

(3) Auf einen der vielen Jubelartikel des Deutschen Ärzteblattes zur Psychoanalyse (Schwierige Evaluation von P. Bühring in Heft 30/01 – s.o.) kam in Heft 38/01 der Leserbrief von Dr. J. Wiedmayer, Erlangen:

Glaubenslehren auf brüchigem Fundament

Psychoanalyse wie auch... Psychotherapie, sind, darüber kann auch das durch Brille, Bart und Zigarre unterstützte Durchblickergebaren ihres Erfinders Freud nicht hinwegtäuschen, Glaubenslehren, gegründet auf allzu brüchigem Fundament. Der Spuk wäre schon längst in der akademischen Mottenkiste gelandet, gelänge es nicht deren in mannigfachen Zirkeln organisierten "Hohenpriestern" in froher Seilschaft mit einschlägigen Medien ... ihren Seelenfirlefanz als tiefe, hilfreiche Erkenntnis zu verkaufen... Das erbsenzählerische Brimborium des vorgenannten Artikels entläßt den geneigten Leser deshalb ratlos, weil es hinsichtlich der Beurteilung des Nutzens Psychoanalyse-Psychotherapie nichts zu „evaluieren" gibt, handelt es sich doch um das milde Miteinander zweier Glaubenslehren... Gespräche mit gesundem Menschenverstand geführt ..., sind in seelischer Not oft hilfreich, wer wüßte das nicht? ... Der Anspruch jedweder "Therapie"-Verfahren - natürlich nur in unzähligen, teuren Psychoseminaren schwer zu erwerben -, kraft höherer Einsichten und besserer Methoden etwas darüber hinaus zu bewirken, ist ... gleichermaßen naiv wie lächerlich...

 

(4) Auf vorstehenden Leserbrief entgegnete Dr. G. Obertreis, Krefeld in DÄ 8/02

Offene Feindseligkeit

Dieser Leserbrief stellt in seiner offenen Feindseligkeit und hochgradigen Unsachlichkeit eine Diffamierung einer ganzen Ärztegruppe und nichtärztlicher Psychotherapeuten dar. Die Beziehung der somatisch tätigen Ärzte und Psychotherapeuten wird durch solche Stellungnahmen weiter zerrüttet... Ceterum censeo, daß sich auch die ärztlichen Psychotherapeuten, die wie ich ausschließlich psychotherapeutisch arbeiten, den sich bildenden Psychotherapeuten-Kammern anschließen mögen, daß sich daraufhin Kassenpsychotherapeutische Vereinigungen bilden mögen und daß eine Gebührenordnung für Psychotherapeuten (Gap) angestrebt wird. Ich habe zunehmend Schwierigkeiten, eine Zeitschrift durch meine Kammerzugehörigkeit mitzutragen (das DÄ wird nicht aus Kammerbeiträgen finanziert, die Red.), in der mir in Form solcher Leserbriefe eine derartige Feindseligkeit entgegenschlägt.

 

(5) Weitbrecht beschränkte sich weitgehend darauf, Freud zu zitieren, etwa dessen Ansicht, man dürfe als Therapeut „sich die Symptome in Ätiologie übersetzen und dann von den Kranken dreist die Bekräftigung seiner Vermutungen verlangen ...; man besteht fest auf dem, was man erschlossen hat, und besiegt endlich jeden Widerspruch dadurch, daß man die Unerschütterlichkeit seiner Überzeugungen betont.“ Dreistigkeit aber ist das Markenzeichen der Analyse bis heute geblieben.

Mit der Attitüde der Erhabenheit über kleinliches Gezänk, vor allem aber dem Verweis auf den psychotherapeutischen „Wirksamkeitsnachweis“ Dührssens setzten sich Ärztevertretung, Ärztetag, Ärzteblatt etc. anstandslos über Jahre, Jahrzehnte über alle, auch die fundiertesten Einwände hinweg. In Salami-Taktik trieben sie die „Integration“ der Freudschen Pseudowissenschaft in die Medizin voran und krönten sie 1999 mit der Einrichtung eines auf Freuds Dogmen ruhenden „Facharztes für psychotherapeutische Medizin“. Plumpen Flunkereien gaben sie statt offensichtlich, weil die politische Führung quer durch die Parteien, selbst an ihnen interessiert, selbst an ihnen mitwirkte. Wenn ein Prof. Kolkmann beim letzten Deutschen Ärztetag in Rostock Ende Mai 2002 sagte, daß „die wissenschaftlich-medizinischen Fachgesellschaften die lex artis medicinae verkörpern“ (DÄ 23/02), so kann, wer das Wirken der Analytiker-Lobby unter den Ärzte-Parlamentariern erlebt hat, nur müde abwinken. „Fachgesellschaften“ gibt es auf psychotherapeutischem Gebiet wie Sand am Meer. Fast täglich tauchen neue auf.

Karl Jaspers bemerkte in Rechenschaft und Ausblick (Piper, München) 1950 schon, wie von den Ärzten die Ansprüche der Psychoanalyse „ernst genommen werden, (darüber) kann man wohl in Staunen geraten. Das Maß der Anerkennung... seitens der Nichtanalytiker, die Vorsicht, als ob etwas daran sein könne, die Sorge, durch radikale Verwerfung der Unwissenschaft sich zu blamieren, zeigt, wie tief die Wirkung dieser Glaubensweisen geht...“ (RB 2/00, K.3.3). In dem jahrzehntelang schleichenden, mit fast krimineller Energie verfolgten Anerkennungsprozeß der „analytischen Psychotherapie“ wurden die Ärzte offensichtlich von keinen wissenschaftlichen, sondern von rein politischen Überlegungen und/oder Einflüssen bestimmt, wie sie 1945 mit der Rede des alliierten Psychiater-Generals G.B. Chisholm vor amerikanischen Spitzenpolitikern zum Ausdruck kamen:

„...Die Uminterpretation und letztlich Ausmerzung des Konzepts von Richtig und Falsch, ..., das sind die letzten Ziele praktisch aller effektiven Psychotherapie... Wenn das Menschengeschlecht von seiner es verkrüppelnden Last von Gut und Böse befreit werden soll, müssen es Psychiater sein, die hierfür die Verantwortung übernehmen... Wir haben (jetzt) bei etwas Glück vielleicht 15 oder gar 20 Jahre vor uns, bis der nächste Weltkrieg ausbricht, 20 Jahre aber auch, um die liebsten Gewißheiten von genügend Menschen umzukrempeln, 20 Jahre, um das älteste und blühendste parasitäre Wachstum in der Welt zu entwurzeln und zu vernichten, den Baum der Erkenntnis von Gut und Böse...“ (RB 2/00 -  der englische Originaltext in ganzer Länge im englischen Teil unserer Web-Site). Diese Ziele, kurz nach Ende des 2. Weltkrieges vor Mitgliedern der Roosevelt-Truman-Administration unter dem Titel „Reestablishment of a Peaceful Society“ ausgebreitet und von einzelnen von ihnen offen unterstützt, sind es allem Anschein nach, derenthalben die Regierenden und ihre Hilfswilligen in der Medizin die analytische Psychotherapie und die wesentlich mit ihr „reformierte“ Psychiatrie über alle ihr anhaftenden Fragwürdigkeiten hinweg allerorts vorantreiben.

So „fanatisch und intolerant“ sie immer stritt (s.o.), wurde die „Tiefenpsychologie“, dem Marxismus auch hierin verwandt, weithin als „Friedenserziehung“ gefeiert. Es wurde ja auch das Konzept von Richtig und Falsch, Gut und Böse oft genug schon mißbraucht. Kann seine Ausmerzung jedoch je anderes gebären als noch mehr Unfrieden und Willkür? Zum Chisholmschen Ziel einer Kulturrevolution der 68er Art passen natürlich Freuds Menschenverachtung, seine „konzeptionellen Irrtümer, unablässigen Apriorismen, Nichtbeachtung von Gegenbeispielen, einschüchternden Untersuchungsmethoden, seine gedanklichen Kurzschlüsse, rhetorischen Ausweichmanöver und seine umfassende, chronische Unwahrhaftigkeit“ - so der Kalifornier Frederick Crews in der Einleitung seines oben genannten Buches.

Hierzulande aber kotauen heute hochmögendste Psychiatrie-Ordinarien, rührigste Ärztevertreter, schlaueste Journalisten wie auch reputierteste Gelehrte vor Freud. Wie vor anderen Herausforderungen in der „Seelenheilkunde“, etwa der Psychiatrie-Reform, dem Psychiatriemißbrauch gehen sie der offenen Diskussion aus dem Weg, helfen sie Freuds Konstruktionen institutionell zu befestigen und sie dem Volk immer eindringlicher unterzujubeln. Konnte und kann solches, darf man fragen, anders geschehen und anders zum Erfolg führen als auf höchste politische Veranlassung hin? Am Rande: Die AOK Berlin bot an ihrem „Zentralinstitut für psychogene Erkrankungen“ analytische Psychotherapie an, lange bevor Dührssens „Wirksamkeitsnachweis“ vorlag. Zu seiner Erstellung lieferte die halb-staatliche Einrichtung nicht nur die Behandlungsdaten ihrer Krankenversicherten, sondern auch alle manpower und alle materiellen Unterlagen bis hin zum letzten Bleistiftspitzer. Wenn das nicht eine politische Auftragsarbeit war! Ähnlich erstaunlich, daß etwa Leuzingers Arbeit – wie sie ausdrücklich festhielt – „von der (halb-staatlichen)  Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert“ wurde, was erneut ein vorausliegendes, politisches Interesse an diesem „Wirksamkeitsnachweis“ ausweist.

Trotz unentwegter Propaganda, die für die Psychoanalyse über die Jahrzehnte allerorts lief, steht ihre therapeutische Wirksamkeit bis heute dahin. Wie viele Millionen Mark und Euro wurden da aus öffentlichen Mitteln vergeudet? Wieviel Korruption hat sich von ihr und ihrer öffentlichen Anerkennung zudem über die ganze Gesellschaft gebreitet? Wie viel mehr noch wiegt aber das menschliche Leid, das dadurch erhalten, wenn nicht gar produziert wurde? Erbarmungslos wurden und werden hilfesuchende Menschen der Pseudowissenschaft ausgeliefert.

Die Spannung aber wächst. Während sich etwa das englisch-sprachige Ausland immer entschiedener schon aus dem Bann Freuds löst (vgl. auch vorstehende Äußerungen Dr. Sophie Freuds über ihren Großvater), geben sich die Freudianer hierzulande immer dreister (Obertreis, Fußnote 4). Und unsere Ärzterepräsentanten, Medienbosse und Politiker, rote wie schwarze, blasen den Schwindel weiter auf. Welche Peinlichkeit sie noch einholen wird, wenn anglo-sächsische Offenheit einmal in unserem Land ankommt, läßt sich dennoch voraussehen

Freuds Streitern kam über die Jahre gewiß zustatten, daß auch die Kritik an ihm mitunter etwas unzulänglich war oder daß sie sternschnuppengleich aufschien und schnell wieder erlosch, etwa D. Zimmers TIEFENSCHWINDEL von 1986. So ist ja, auch wenn Freud uns ein ganzes Jahrhundert lang narrte, noch lange nicht ausgemacht, ob bestimmte Therapie-Verfahren und ‑Lehren - und seien sie „in unzähligen, teuren Psychoseminaren schwer zu erwerben“ - nicht doch „höhere Einsichten“ vermitteln können, mit denen bei (manchen) seelisch Leidenden über den „gesunden Menschenverstand“ hinaus doch noch „etwas zu bewirken ist“ (Fußnote 1). Dies festzustellen könnte es vielleicht gar „erbsenzählerische“ Erfolgskontrollen brauchen, bessere freilich als jene, mit denen die angeführten Autoren und das „Organ der Ärzteschaft“ die Öffentlichkeit bisher immer wieder über die derzeit noch kläglichen psychotherapeutischen Realitäten hinwegzutäuschen versuchten.

Als eine menschlich ansprechende und angemessene Lehre haben wir V. E. Frankls Logotherapie und Existenzanalyse vorgestellt (Rundbrief 3/01). Es mag noch manch andere Psychotherapie geben, die zumindest nicht von vornherein so gegen allen „gesunden Menschenverstand" angelegt und nicht so von Lüge und Zynismus geprägt ist wie die Freudsche. Erfolgsnachweise der genannten Art hat die Logotherapie freilich auch noch nicht vorgelegt. Oder gereicht es ihr zur Ehre, daß sie es mit faulen „Nachweisen“ noch nicht versucht hat?

Am umfänglichsten hat die Verhaltenstherapie die therapeutische Wirksamkeit ihrer Vorgehensweisen dargelegt. Aus ihr kommen heute auch mit die dezidiertesten Kritiken an der Psychoanalyse. Gleichwohl stehen auch hier viele Fragen noch offen.