Rundbrief 1/03                                             Februar 2003

 

 

Inhalt 

                                                                                          

1.       Einleitung

2.       Wahrnehmung des Psychiatriemißbrauchs der DDR in den neuen Bundesländern

3.       Gruppendynamik und katholische Kirche

4.       Woher das alles?

5.       (Nerven-)Ärztliches und sonst noch Mitspielendes

 

       Punkt 6, die englische Zusammenfassung, steht in der englischen Sektion unserer Site


 

1. Einleitung

Sehr verehrte, liebe Mitglieder und Freunde der Gesellschaft,

1.1   oft ist die Rede von Tabus. Tabuisiert ist in jedem Fall was wir behandeln, der pseudowissenschaftliche Charakter vieler Psychotherapien, die politisch geförderte Rauschgiftverbreitung, die ärztlich ungerechtfertigte politische Indienstnahme der Psycho-Fächer insgesamt, darunter eigentlich nur als Spezialfall der „sowjetoide“ Psychiatrie-Mißbrauch, unser „Ur-Thema“. Wir behandeln die Dinge, just weil tabuisiert, um so eingehender und fielen darüber – wir rührten da wohl an Saiten eines sensiblen Macht-Spiels - selbst der Unberührbarkeit anheim. So blieb unsere Arbeit über mehr als 25 Jahre schwierig. Zum Glück kommt trotzdem immer wieder neue Unterstützung, ermöglichen aber vor allem Ihre Ausdauer, Ihr Rat, Ihre finanziellen Beiträge die Fortsetzung unserer Arbeit.

Die Informationsabrufe von unserer Website sind weiter zahlreich - im November 85.000 KByte. Es sind aber nicht nur Sympathisanten, die uns da aufsuchen und auch für weit Zurückliegendes Interesse bekunden. Mitunter kommen auch Drohungen – kürzlich etwa aus Mannheim von einem „PF/SPK (H)“. Er verlangte, aus dem Nachruf Prof. Häfners auf unseren verstorbenen Ehrenpräsidenten  Prof. von Baeyer in Rundbrief 1/88 den das (offensichtlich fortbestehende) Sozialistische Patientenkollektiv Heidelberg berührenden Textabschnitt herauszunehmen.1) Wir gaben nach. Weiteres dazu in unserer Web-Site unter „Aktuelles“.

1)Schluß mit der minimalhypothetischen Inflationsgeierei, auch bei Internet-, Polit- und Psychiatriebrauchtumsethikastern",  hieß es abschließend. Von der spezifischen Sprache abgesehen, hätten das viele in der Mainstream-Psychiatrie, in den etablierten Parteien gewiß ebenfalls gerne.

Zum Glück sind es aber doch meist freundliche, dabei tief besorgte Menschen, die auf die Probleme der überzogenen, bedrohlich sich ausweitenden Psychiatrie, „Psycho-Industrie“ (RB 2/01, K.3) aufmerksam werden, uns um Rat fragen und gleichzeitig aus ihren Erfahrungen heraus weitere Information zum Thema geben. Dank zu sagen ist auch einigen hoch gestellten Fachkollegen, die über Jahre größere Spenden (bis E 200.-) machen, ohne als Mitglieder in Erscheinung zu treten. Wie unsere Rundbriefe psychiatrisch gegen den Strich bürsten, oft die (un-)heiligsten Dogmen der Spitzenvertreter, Psycho-Ordinarien, Berufsverbandsrepräsentanten etc. als gefährlichen Unfug auseinander nehmen, können sich viele Kolleginnen und Kollegen offen nicht mehr an unsere Seite stellen. Psychiatrie gehört teilweise auch zur politischen Administration und ist von daher oft in Gefahr, hippokratisch-ärztlich Gebotenes hintanzustellen. Viele Psychiater, insbesondere Beamte, können von daher gegen „hoch“ dekretierte Fehlweisungen, gegen die Lügen, mit denen unsere Politiker, rote wie schwarze, das Fach überschwemmen, offen nicht mehr opponieren. Daß sie uns finanziell unterstützen, ist Zeichen genug, wo sie im Grund ihres Herzens stehen.

Daß wir im Vorstand der Walter-von-Baeyer-Gesellschaft die freie Rede führen können, dürfen die hier sprechenden Psychiater sich nicht als besonderen Mut an die Brust heften. Sie haben das ja vielfach nur glücklichen Umständen zu verdanken, etwa ihrer freiberuflichen Tätigkeit. Sie müssen sich vor den politischen Administratoren nicht vergleichbar krümmen.

1.2   Freud und seine Psychoanalyse, die wir im letzten Rundbrief besonders angingen, stehen im Aus- und Inland weiter unter Kritik –  neu auf deutsch herausgekommen das Buch des Bamberger Psychologen Prof. H. Selg, SIGMUND FREUD - GENIE ODER Scharlatan, Kohlhammer, 2002. Wo es ein offenes Diskussionsforum pro und contra gibt - im Internet etwa unter Freud-Bashing - stellen die Freudianer ihren Kopf und sich selbst wie eh und je als Mißverstandene, sehr zu Unrecht Angeschwärzte dar, umschiffen die eigentlichen Punkte der Kritik, vor allem Freuds ausgewiesene lebenslängliche Unehrlichkeit. Unzweifelhaftes führen sie an (there will always be a dynamic psychiatry) und nehmen es für sich in Anspruch (z.B. Zvi Lothane, Psychoanalytic Method and the Mischief of Freud-Bashers), u.a. indem sie es mit alten Freud-Erfindungen mischen. Auch das gehört zu ihren Taschenspielertricks. Beim Freud-Bashing sind aber auch oder gar vor allem die Freud-Kritiker vielfach jüdischen Herkommens präsent. Im In- wie Ausland jedoch gehen ärztliche wie psychologische Körperschaften, rote wie schwarze Gesundheitspolitiker über die Kritik hinweg, behandeln die Analyse weiter als unbezweifelbare Heilkunde, decken die Betrügerei.2)  Die Penetranz der Lüge hier3)  nimmt es mit der des angeblich nicht-gewesenen Psychiatriemißbrauchs der DDR wohl auf.

2)  In der jüngsten Ausgabe des Bayerischen Ärzteblattes (1/03) etwa wird lapidar „Steigende Nachfrage nach psychotherapeutischen Leistungen“ festgestellt. Zur Vorsitzenden ihrer Vertreterversammlung haben die bayerischen Kassen-Ärzte eine Psychotherapie-Exponentin gewählt. Die „Umwidmung der (ärztlichen) Selbstverwaltung von einer Gestaltungsverwaltung zu einer Auftrags- und Vollzugs-Kontroll-Verwaltung“, wie der amtierende Präsident der bayerischen Ärzte Dr. Koch sie beklagt, hat längst statt gefunden, weil die linken Ärzte sie wollen, die übrigen sich ducken und sie zusammen längst allenfalls (Psycho-)Sozialismus „gestalten“. Wie ärztliche Standespolitik zustande kommt, dazu ein Beispiel aus dem eigenen Umkreis. Zur bayerischen Ärztekammer wurde kürzlich gewählt. Den Starnberger Ärzten wurden dazu für drei zu wählende Delegierte drei Wahlvorschläge vorgelegt. Von den Kollegen, mit denen Ref. darüber sprach, wußte keiner, wie und von wem sie aufgestellt worden waren und was sie vertreten wollten. Bald aber wurde gemeldet, daß sie gewählt worden waren. „Ärzte – seid Ihr noch zu retten?“ fragte zurecht jüngst BÄK-Präsident Koch.

3)  Das DEUTSCHE ÄRZTEBLATT legt sie fast allwöchentlich auf. „Die durchschnittlichen Effektstärken von psychotherapeutischen Studien gehörten zu den höchsten in der Medizin“ (Dr. M. Zaudig), schreibt es etwa in Nr. 4/03, wobei das nicht einmal gelogen ist: Was die politisch-weltanschauliche Meinungsmache betrifft, schätzen auch wir besagte „Effektstärken“ hoch ein.

Was die verschiedenen Präsentationen der Freudschen Lehre, einer der fatalsten materialistischen Großideologien der Neuzeit, betrifft, so sind heute am politisch wirksamsten wahrscheinlich die Verfahren der Gruppendynamik und -therapie. Weit über Anwendungen in der psychiatrischen Klinik hinaus entfalten sie sich in vielfältigen Beratungsdiensten, im Unterrichtsbetrieb, auch in der religiösen Unterweisung. Darüber gibt Rudolf Willeke in Kapitel 3 einen guten Überblick. (Den Netz-Nutzern bietet unsere Site schon einen „Link“ zu einer hochkarätigen Abhandlung des Neomarxismus aus Willekes Feder, von der Aktion Leben e.V. herausgegeben).

1.3   Im Folgenden nun erst weitere Auszüge aus der langen Papstrede, die wir in RB 2/02 schon anschnitten und die wir kürzlich zur Gänze ins Netz stellten. Werden uns in der Öffentlichkeit ständig dubiose Gurus angedient, im Neurotransmitter 11/02, dem Organ der niedergelassenen (mainstream-) Nervenärzte (Neurologen, Psychiater) als „mit atemloser Spannung erwarteter“ Künder von Glück und Frieden etwa der Dalai Lama, so dürfen wir doch Ausführungen des Vertreters der Religion in Erinnerung bringen, die über Jahrhunderte unseren Kulturkreis geprägt hat, Ausführungen, die dazu noch auf „unser“ Gebiet der Psychotherapie direkten Bezug nehmen. Auf katholisch-Kirchliches gehen wir im übrigen besonders ein, weil Werthaftes, das dort 2000 Jahre lang besonders beheimatet war, jetzt auch da ins Trudeln gerät.

Papst Pius XII., 1953: „... Die Wissenschaft behauptet, daß durch Beobachtungen Tiefenschichten der menschlichen Seele zutage gefördert worden sind... Man behauptet, über erprobte und anerkannte Vorgehen zu verfügen, durch die man imstande sei, die Geheimnisse der Tiefen der Seele zu erforschen, sie aufzuklären und sie auf den rechten Weg zu bringen, wenn sie einen unheilvollen Einfluß ausüben ...“  Speziell aber zu dem von der Psychoanalyse vorrangig verfolgten „Aufdecken“ des Sexuellen: „Wenn man auf den Einspruch der Menschen- und Christenwürde hören will, wer würde dann zu behaupten wagen, daß dieses Verfahren keine sittliche Gefährdung ... in sich schließe, während doch die therapeutische Notwendigkeit eines solch hemmungslosen Aufdeckens zwar behauptet wird, doch bis jetzt noch keineswegs erwiesen ist? ...“

Das Zitat zeigt wohl, mit wie viel Vorsicht Pius XII. der analytischen Psychotherapie begegnete. Eigentlich kann nur Unverfrorenheit seine Worte zu einer „Erlaubnis“ ihrer Praxis umdeuten (RB 2/02). Im Februar 2002 hat nun aber Papst Johannes Paul II. „Orientierungshilfen“ herausgegeben, die die „Integration der Psychologie in die Priesterausbildung“ empfehlen - zur Vorbeugung pädophiler, homosexueller Übergriffe von Priestern (RB 2/02)! Ausgedruckt liegen die „Hilfen“ noch nicht vor, sind allgemein bisher überhaupt nur in Auszügen bekannt geworden. Schon aber werden in allen Diözesen des Landes mit (Tiefen-) Psychologen besetzte „Kommissionen“ eingerichtet unter Maßgabe just der Disziplinen, deren Spitzenvertreter von Freud an Spitze waren im „Normalisieren“, Propagieren von Homosexualität und sonstigen Perversionen bis zum Inzest und explizit den anti-jüdisch--christlich-„neuen Menschen“ intendier(t)en (RB 1/ 96, K.10. 3). Weniger die seit hundert Jahren bekannten Positionen der Psychoanalyse aber irritieren als das jetzige Einschwenken der Kirche auf sie. In Deutschland wurde die Psychologie 1941 von den Nazis universitär vollends etabliert.

1.4   Als dem Verfasser dieser Zeilen in seiner Jugend einmal aus dem väterlichen Bücherschrank ein vergilbtes Journal in die Hände fiel, in dem statt des veralteten hippokratischen Arztes ein neuer Arzt-Typ hochgelobt wurde, der SS-Arzt, stand mit einem Mal sein Entschluß, gegen alles zeitgeistige Geschwätz am Hippokratischen festzuhalten. Auf ihm fußt unsere GEP (RB 2/94, K.8.5). Daß andere sich leicht wieder von ihm lösten, die evangelische Kirche etwa in ihrer „Rosenheimer Erklärung“ von 1991 die Abtreibung als gottgefällig erklärte und ihr und Ähnlichem bis zum heute akuten Menschen-Klonieren Bahn brach, behandelten wir damals nicht.4) Nicht an allen „Frontabschnitten“ des laufenden Kulturkampfs konnten und können wir eingreifen.

4)  Dabei mischte diese Kirche von Anfang an, spätestens aber seit einer Tagung der Evangelischen Akademie Loccum im Oktober 1970 auch in „Psycho-Dingen“, an der „Psychiatrie-Reform“,  der Psychiatrie-Erweiterung und -Sozialisierung hin zur „neuen saecularen Seelsorge“ und auf den „neuen Menschen“ hin schrittmachend mit.

Wir gingen primär die psychiatrisch-psychologischen Probleme an, weil dies sonst überhaupt niemand tat. Wenn jetzt aber selbst in der über 2000 Jahre „werttreuen“ katholischen Kirche unter heilkundlichem Vorwand antichristlich-psychologische Lehre an zentraler Stelle fest macht, dann sind tatsächlich auch wir mit herausgefordert. Gleichgültig, wie religiös, konfessionell orientiert Sie, unsere Mitglieder, sind, fühlen Sie doch gewiß, daß sich mit der psychologischen Unterwanderung und Aushöhlung dieser Kirche die letzte Bastion tradierter Werthaftigkeit, Menschlichkeit auflöst und Spaßgesellschaft, also vor allem das, was den Herrschenden Spaß macht, endgültig das Sagen bekommt.

Dem gegenwärtigen Papst wurde lange vieles zugute gehalten, nicht zuletzt das Ende des „Evil Empire“ und mit ihm des klassisch-sowjetischen Psychiatriemißbrauchs. Was offensichtlich an dem Mann auch ist, beleuchtet das Buch von M. Martin DER LETZTE PAPST (ISBN 3-404-14260-8), über weite Strecken wohl mehr ein Tatsachenbericht als ein „Roman“. Es löst am ehesten vielleicht die vielen Rätsel an diesem Vicarius wie auch viele Rätsel des Zeitgeschehens, erklärt sie aus guter Kenntnis der vatikanischen Verhältnisse5) letztlich damit, daß in der „Zitadelle“ 1963 Luzifer „inthronisiert“ worden sei. Weit zirkuliert das Buch im katholischen Lager unter denen, die ihr Christentum noch ernst nehmen.

5)  Die innere Leere, an der Millionen Menschen litten , rührte daher, so Martin auf Seite 257, daß die Kirchen ihnen „ - falls sie sie noch aufsuchten – eine Kost aus Freud für ihren persönlichen Kummer, Piaget für ihre Probleme mit ihren Kindern, Marx für ihre soziale Unzufriedenheit und der heimtückisch subjektiven und zunehmend populären Gruppentherapie als die neue Religion aufgetischt“  hätten.

Immer wieder gelangen wir bei der Verfolgung der abstrus fehlgehenden „Psycho-Entwicklungen“ zu wirkmächtigen mythischen Hintergründen.6) Es braucht aber auch zur Lektüre besagten Buches weniger Vertrautheit mit der katholischen Vorstellungswelt als realistische Wahrnehmung des Geschehens um uns herum. Die Zeiten sind danach, selbst in den „Aufgeklärtesten“ alte biblische Bilder wieder zu erwecken. Darüber mögen die ihre Nase rümpfen, die der Heilkunde lieber Pseudo-Wissenschaft, vor allem alternativen, fernöstlichen Humbug aufbinden (K.1.3) und sich dabei sehr weltläufig vorkommen. Wie leicht mit den Linken auch „rechte“ Gruppierungen im Land, die bürgerlichsten Medien, FAZ, Welt etc., die konservativsten Gelehrten den ausufernden, Logik und Menschenwürde aufhebenden Psycho-Pseudo-Therapie und ‑Kontrollbetrieb hinnahmen, wie unbekümmert sie selbst über die Abscheulichkeiten des Psychiatriemißbrauchs der Sowjetunion, der DDR etc. hinweggingen, mußten wir in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder staunend zur Kenntnis nehmen. Wenn ihm selbst christliche Oberhirten jetzt zuarbeiten, trifft es uns nicht mehr unvorbereitet. Gleich aber was ihre heutigen Führer verkünden, ist den Menschen Erkenntnisfähigkeit für Richtig und Falsch, Gut und Böse gegeben, bleiben ihnen allen Gottesebenbildlichkeit, mit ihr Menschenwürde zugesagt.

6)  Lange rieben wir uns wund und hatten keine Erklärung, warum auch konservativste Katholiken, die im ethisch-somatischen Bereich etwa gegen Abtreibung etc. auf die Barrikaden gingen, an den vorgelagerten ärztlich-psychischen Ethik-Bereichen, den von uns behandelten Fragen, so hartnäckig-achtlos vorbeigingen. Es scheint tatsächlich so zu sein,  daß bis in höchste Ämter viele von ihnen mit den Machthabern einig gehen. Deshalb wohl veranstalteten auch ganz auf „Papstlinie“ liegende Vereine wie etwa die EUROPÄISCHE ÄRZTEAKTION Schaukämpfe nur auf Nebenkriegschauplätzen, überließen das anthropologische Feld den Freud-Marxisten, propagierten Psychotherapie, deren antichristliche Substanz Meves freilich christlich oft gekonnt übertünchte. Offensichtlich wird im Psychischen wie Somatischen der komplette „schön-neu-weltliche“ Werte-Satz verfolgt, wie ihn A. Huxley in seinem berühmten „Roman“ skizziert hat (RB 4/99).

1.5   Orientierung an Höherem jedenfalls, als er selbst in seiner Nacktheit ist, gibt dem Menschen – krank oder gesund - Sinn, mitunter gar Glück. Dem psychisch kranken Menschen bringt Psychiatrie allenfalls ein Stück Gesundheit zurück. Indem sie sich ins Pseudowissenschaftliche begibt und die „Unterwelt mobilisiert“ (Freud: „Acheronta movebo“), fördert sie weder Sinn noch Glück noch Gesundheit, eher das Gegenteil, überzieht sie zudem noch den ärztlichen Auftrag. Immer deutlicher aber wird,7) daß es eine internationale „politische Klasse“ ist, die an allen Verfassungsgrundsätzen vorbei neben anderen Verkehrungen des Ethos, neben Drogenverharmlosungen und ‑abgaben, Anerkennung reduktionistischer Psycho-"therapien" als Wissenschaft, neben der Leugnung eklatanten politischen Psychiatriemißbrauchs die Reform und Erweiterung des Fachs und seine umfassende politische Indienststellung mit aller Macht betreibt als Bestandteil eines neuen diktatorischen One-World-Regimes, eines neuen Welt-Einheitsethos, einer neuen Welt-Einheitsreligion8) und als Rückgrat einer neuen Welt-Einheitsseelsorge. Glaube niemand, daß der obere Klerus, die vielen katholisch orientierten Gemeinschaften, die sich da „für Ethik“, den „Schutz des Lebens“ etc. ins Zeug legten, nicht wußten, was sie taten, als sie mit den „somatisch-ethischen“ Themen von den geistig-ethischen ablenkten und schließlich offen auf Freud einschwenkten. Noch am Ende seines Lebens, als die Nazis sich schon seiner Haustür näherten, bezeichnete er die katholische Kirche als seinen „wirklichen Feind“. Wir werden in Zukunft nachhaltiger noch auf Kirchliches einzugehen haben.

7)  Die Erklärung etwa von G. Brock Chisholm M.D. (RB 2/00 und 2/02, s. auch Kapitel 4). Mit ihm wie seinem Mentor H. S. Sullivan hob in oder nach dem 2. Weltkrieg, so weit wir sehen, die verbale wie organisatorische Aufblähung und neo- marxistische Instrumentalisierung der Psychiatrie an, ausdrücklich um über die für dumm, quasi geisteskrank erklärten Völker Psychiater zu setzen „to assist in developing an informed public opinion among all peoples“ (PSYCHIATRY, 1947, S. 241), auf daß sie die öffentliche Meinung in UN-gewünschte Richtung steuern. Sie gewiß oft unterstützenswert , oft genug aber auch voll grausam totalitärer Perspektiven.

8)  Viele Initiativen laufen in jüngerer Zeit auf sie mächtig hinaus, u.a. die Welt-Gebetstreffen von Assisi 1986 und 2002, die „Weltkonferenz der Religionen (WCRP),“ die im Jahr 2000 gegründete „United Religions Initiative“ wie auch die heftig jetzt umstrittenen, spezifisch Christliches ausklammernden  „Leitlinien für multireligiöse Feiern“ der deutschen Bischöfe.

Zu ihrem leichteren, spaßigeren Regiment scheint den politischen Herrschaften an gedrückten, unterweltlich depravierten Seelenverfassungen ihrer Welt-Untertanen zu liegen. Als Basis und Vehikel „saecularer Welt-Seelsorge“ benützten sie die Psychiatrie, weil sie in ihrem wissenschaftlich-heilkundlichen Kern prinzipiell glaubwürdig ist, die verschiedenen ihr aufgestülpten Schwindel-Heilslehren vielen etwas bieten, sie die ärztliche Seelen-Heilkunde weit über den kleinen Kreis psychisch wirklich Kranker hinaus attraktiv und damit breit einsetzbar machen und weil solch sozialpsychiatrisch-sozial-psychologische Einsetzbarkeit die politische Kontrolle der Welt-Bevölkerung jetzt und in Zukunft erleichtert. Über der dazu arrangierten „Reform“ des Fachs (und sicher nicht nur auf Grund ihrer Honorarsituation) hat sich laut BNP-Mitteilungen 3/02 „eine in der Ärzteschaft um sich greifende Depression“ bereits breit gemacht, haben als erste die nun zu leiden, die bei der 68er Reform des Fachs mitgemacht und damit ihre Mitmenschen, zuerst aber doch sich selbst in neue materielle wie seelische Kümmernis gestürzt haben, die Ärzte, die Psychiater.

Ungewohntes zu denken, sind immer nur wenige bereit. Zum Glück denken aber viele schon so, nach unserer Beobachtung in vielen Ländern und gewiß weit über den Kreis der Psychiater hinaus. Zum Glück auch genügen wenige, um besagte Pläne leichteren Regiments zu durchkreuzen. Und wenn nichts dem Verhängnis zu wehren vermag, ist’s immer noch besser, ihm sehenden Auges zu begegnen als blind.

Bei der nächsten Jahresversammlung -  die Einladung dazu ergeht in diesen Tagen an die Mitglieder mit gesonderter Post – werden wir die Situation und die verbleibenden Möglichkeiten, auf sie Einfluß zu nehmen, gründlich wieder besprechen. Daß unser aller Einsatz mitunter lohnt, dafür zeugt der kürzlich gefallene Beschluß zum Wiederaufbau der Leipziger Universitätskirche St. Pauli. Gratulation unserem tapferen Dr. Koch, der sich für „seine Kirche“ (RB 1/77 bis 2/02) und dafür, daß die Barbarei auch über Kulturdenkmäler nicht das letzte Wort behält, in vorderster Reihe eingesetzt hat.

Mit besten Grüßen Ihr  F. Weinberger

 

Im Folgenden die weiteren angekündigten Themen.

 

 

2. Realistische Sicht des DDR-Psychiatriemißbrauchs in neuen Bundesländern

 Von dem Thüringer Autor Lothar Hellmann erschien kürzlich eine kritische Stellungnahme zum Psychiatriemißbrauch der DDR und zu dessen amtlicher „Aufarbeitung“. Im Organ des Bundes stalinistisch Verfolgter  DER STACHELDRAHT 9/02 rückte er entschieden von den Schlußfolgerungen der in den 90ern tätigen Untersuchungskommissionen ab, vor allem aber des Gauck-Behördenbuches von Sonja Süß POLITISCH MISSBRAUCHT? und der da vertretenen Meinung, „es habe in der DDR wohl Einzelfälle von Mißbrauch in der Psychiatrie, jedoch kein System des Mißbrauchs wie in der Sowjetunion gegeben...“  

Hellmann hinterfragt das „nachträgliche Reinwaschen“ der Stasi durch heutige bundesrepublikanische Staatsträger, mokiert sich speziell über die Emphase, mit der Süß DDR-Systemisches  verteidigte, an einer früheren Feststellung von Ernst Klee etwa, es hätten „im Zweifel... die Kreisärzte das Geschäft der Stasi ... besorgt“, gleich eine „Ungeheuerlichkeit" erblickte. „Wen wundert es“, folgert Hellmann, daß sich über das Behörden-Buch u.a. „lobend ein Mann ausläßt, der einst Leiter der Stasi-Untersuchungshaftanstalt in Berlin-Hohenschönhausen war, Ex-Stasi-Oberst Siegfried Rataizik. Bezugnehmend auf die Berichte der fünf Untersuchungskommissionen und die Monographie von Sonja Süß erklärt er alle Behauptungen vom Psychiatriemißbrauch in der DDR als ‚völlig aus der Luft gegriffen’, das MfS habe Inhaftierte und politisch mißliebige Personen nicht in Irrenanstalten verschwinden lassen (RB 2/02, S.2).

Hellmann stellt auf die „Geheime Kommandosache (GKdoS 1/67) des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR“ ab und  erinnert, daß es neben diesem das Ministerium des Innern gab, dem auch „die Deutsche Volkspolizei, Abteilung K, Arbeitsrichtung 1 (kurz K1 genannt)“ unterstand. „Das MfS war die Geheimpolizei, die K1 die politische Polizei der DDR. Zwischen beiden waren alle Maßnahmen zur Unterdrückung politischen Widerstandes abgestimmt Zugleich operierten beide selbständig. Mehr noch als das MfS nahm die K1 Einfluß auf die Tätigkeit „staatlicher Organe“ (wie Behörden im Jargon der DDR genannt wurden), z. B. auf die Abteilung Inneres bei den Räten der Kreise und Bezirke.“

In der GKdoS 1/67 habe es geheißen: "Personen, bei denen durch die Deutsche Volkspolizei, Abteilung K, Arbeitsrichtung 1, der begründete Verdacht erarbeitet wurde, daß sie im Verteidigungszustand die Durchsetzung einer hohen öffentlichen Ordnung und Sicherheit erheblich beeinträchtigen... sind in die Kennziffer 4.1.3. aufzunehmen". Im Fall des Falles, so hieß es weiter, seien sie „in geschlossenen Einrichtungen einzuweisen (kein Isolierungsbeschluß erforderlich)."  Was im Kriegs- (bzw. „Verteidigungs-“) Fall noch alles hätte passieren können, dem wollen wir lieber nicht nachspüren. Was in „normalen“ Zeiten in der Psychiatrie geschah und geschieht wahrzunehmen, zu werten und, wenn unrecht,  zur weiteren Wahrnehmung zu bringen, kostet Kraft schon genug. An Mißbräuchen geschah, wie wiederholt aufgezeigt, in der „Normal-DDR“ schon so viel, daß System darin unverkennbar ist.

Hellmann stützt seine Zweifel an der amtlichen Bezweifelung des systematischen Psychiatriemißbrauchs mit gutem Grund vor allem auf „die ‚Richtlinie 1/76’, in der fein säuberlich die ... psychischen Zersetzungsmaßnahmen des MfS gegen Kritiker der DDR aufgelistet waren. Das alles läßt nicht auf ein System, auf organisierten Psychiatriemißbrauch schließen?...“ 

In der Tat stellen die systematische Entwicklung und Lehre (an der ehemaligen Stasi-Hochschule in Potsdam-Gorch) wie vor allem der Einsatz der Psychologie gegen Oppositionelle, wie sie Klaus Behnke und Jürgen Fuchs in ihrem Buch ZERSETZUNG der Seele – Psychologie und Psychiatrie im Dienste der Stasi (Rotbuch-Verlag, 1995) breit dargelegt haben, eher noch eine Überbietung des sowjetisch-systematischen Psychiatriemißbrauchs dar, von daher ihre Leugnung durch die „Welt-Psychiatrie“, die Publizistik und die rot-grün-schwarz-gelbe politische Klasse einschließlich der zur Aufarbeitung des DDR-Unrechts berufenen Behörde einen Gipfel von Infamie.

Lief der sowjetischen Psychiatrie-Mißbrauch schon auf nichts anderes als eine „Erledigung“ Oppositioneller hinaus, so waren die entsprechenden Maßnahmen in der DDR nachgerade deren Perfektion. Es gibt und gilt auch kein Sich-Wegstehlen der Psychiatrie aus der Affaire damit, daß da doch „nur“ die (nicht-ärztliche) Psychologie eingespannt gewesen wäre. Wo es nur geht, spielen „moderne“ Psychiatrie und Psychologie zusammen, engagieren sich ihre höchsten Repräsentanten, Ordinarien, Chefärzte etc. ständig für das Zusammenwirken der Disziplinen, ihr Einander-Ergänzen in Diagnostik, Therapie und Begutachtung, treten Psychiatrie und Psychologie gemeinsam de facto als umfassende saeculare Seelsorge auf.

Das „Systematische“ am Mißbrauch des Faches in der DDR und die Sophisterei seiner Leugnung durch Amtspersonen heute haben wir wiederholt in unseren Rundbriefen ab 1/97 dargestellt, haben dafür unter anderem eine nicht unbeträchtliche Zahl von Opfern dieser Praktiken aufgeführt. Daß von ostdeutschen Landsleuten, die die ruhmvolle friedliche Revolution von 1989 durchgestanden haben, auch der Psychiatriemißbrauch, die scheinheiligste, tückischste Form politischer Repression, endlich aufgegriffen und die Leugnung durch die „politische Klasse“  nicht mehr schweigend hingenommen werden, nehmen wir mit Erleichterung zur  Kenntnis. Ehrlichkeit in der Medizin ist die Voraissetzung, daß sie ihren Auftrag als Heilkunde den Menschen erfüllt und ihnen nicht zur Plage wird.

 

3. Gruppendynamik

 

3.1 Das Original des folgenden Textes erschien als Gutachten (Die Gruppendynamische Bewegung in Kritik und Selbstkritik) am 15.01.1977 im  ibw-Journal des Deutschen Instituts  für Bildung und Wissen, Berlin – die erste, für lange Zeit auch einzige und gleichzeitig ausführlichste Kritik der Gruppentechniken – erstellt von H. Günther sowie C. () und R. Willeke.

Den Autoren für die Erlaubnis zum Nachdruck dankend, reproduzieren wir den Text (notwendigerweise erheblich gekürzt, das Entfallene in indirekter Rede zusammengefaßt, mit einige Fußnoten – Fn - ergänzt), weil wir die Gruppenverfahren bisher noch kaum angesprochen haben. Da „Psycho“ wesentliche politische Auswirkung hat, ist die kritische Beschäftigung damit notwendig.

Gruppentherapie und Gruppendynamik gehen wie viele Verfahren individuell verabreichter Psychotherapie in theoretischen Ansätzen, vor allem aber in ihrer Ansprüchlichkeit letztlich auf Freud zurück. Praktiziert werden sie von Ärzten und „Nicht-Ärzten“. Mit der Gruppendynamik hat sich Dipl. Kfm. Rudolf Willeke, Studiendirektor a.D., ehem. Seminarleiter für Lehrer- Referendare, ab Anfang der 70er intensiv beschäftigt, die einschlägige Literatur gründlich gemustert, in ihr auch „Selbsterfahrung“ gewonnen, zu ihr ab 1975 mehrere Bücher publiziert. Katholisch engagiert, war es das erste Anliegen der Autoren, ihre Kirche und Kirchengemeinschaft vor Schaden zu bewahren. Wir (als Herausgeber, Neurologe und Psychiater Dr. Weinberger) verfolgen Ähnliches für die Menschen allgemein. Die Ausführungen der Pädagogen zu dem therapeutischen Thema sind wohl begründet. Haben unsere Politiker die Psychotherapie weithin in die Hände von Nicht-Ärzten gelegt, so darf auch ihre Kritik Kompetenz beanspruchen.

Bei teilweise unvermeidlich gewordenen Kürzungen blieb doch die Darstellung der Folgen ungekürzt. Sie das Brisanteste. Wie die Autoren hält Referent vernünftige Psychotherapie in manchen Fällen für nützlich. Früher selbst einmal Teilnehmer an einer psychoanalytisch geführten „Kollegen-Selbsterfahrungsgruppe“ hat er sie nur als „kalten Kaffee“ empfunden und keinerlei Wirkung davon verspürt. Möglicherweise hat er sich auf den „Gruppenprozeß“ nicht genügend eingelassen. Auch diese Erfahrung aber hat wohl ein Recht, sich zu äußern.

Daß 25 Jahre vergingen, bis wir auf Rudolf Willeke und seine Mitstreiter stießen, die von sich aus zu den Gefahren des Psycho-Kults umfänglich publiziert haben, zeigt nochmals, wie tabuisiert das Thema doch ist, wie mies die Medien über die wichtigsten, die Allgemeinheit betreffenden Vorgänge im Land  informieren. Auf eine aktuelle Arbeit von Willeke über den Neomarxismus wurde bereits hingewiesen (K.1.2).

 

3.2       Die Autoren schildern, welch weite Verbreitung Gruppentherapie und Gruppendynamik bereits Mitte der 70er gewonnen hatten durch die Propaganda der Medien und vieler Anwender und Multiplikatoren, Lehrer, Pfarrer, Sozialarbeiter, Erzieher und – das sei ergänzt –  natürlich vieler Ärzte, dieser gar vorrangig. Man könne „davon ausgehen, daß die gruppendynamische Bewegung folgenreicher sein wird als (gar) die emanzipatorische Bewegung... Unübersehbar sei ihr Eindringen in alle Institutionen unserer Gesellschaft". Es gebe kaum eine mehr, die nicht bereits von der "Bewegung erfaßt ist. Die Führungskräfte in Industrie und Wirtschaft, in staatlichen Unternehmen wie der Post oder der Bundeswehr, die Auszubildenden in den Ausbildungsberufen aller Institutionen, die Kinder und Jugendlichen in den Schulen, die Lehrer in Ausbildung und Fortbildung, die Pfarrer und Priester, die Studenten aller Fachrichtungen, die Seeleute, die Homosexuellen, die emanzipierten Frauen, die Geisteskranken, die Gefangenen, die Kindergärtnerinnen, die Eheleute und die Redakteure in unseren Massenmedien, sie alle werden heute zunehmend in das gruppendynamische Milieu hineingezogen.

Die Autoren streifen den politischen Hintergrund, die hinter der Bewegung wirkende Triebkraft: „Im Zweiten Familienbericht der Bundesregierung wird als einzige Methode der Elternschulung die Gruppendynamik genannt, allerdings mit der Einschränkung, daß leider zur Zeit die Kapazitäten noch nicht ausreichten, um dieses Training durchzuführen. (Heute sind sie mehr als gegeben). Merkwürdig aber ist, daß sich eine solche Revolution im Umgang der Menschen miteinander in unserer Gesellschaft vollziehen kann, ohne daß eine öffentliche Diskussion über den Sinn dieser Veränderung stattfindet. Eine kritische Diskussion der gravierendsten „Psycho-Probleme“ hat es in der Bundesrepublik überhaupt nicht gegeben!!!

So wüßten viele auch gar nicht, „was sie mit dem Wort Gruppendynamik überhaupt verbinden sollen. Andererseits werden auch die Namen.... immer zahlreicher. Gruppendynamische Trainings verbergen sich inzwischen hinter ungefähr zwanzig Bezeichnungen, etwa Kommunikations-, Konfrontations-, Sensibilisierungs-, Partnerschafts-, Management-, Interaktions- Kooperations- und Seelsorgetraining. Gruppendynamik verbirgt sich aber auch hinter so merkwürdigen Ankündigungen wie kollektive Lockerungsübungen, Ferien vom entfremdeten Ich, Selbsterfahrung, Urlaub für das Selbst, Therapie für Gesunde, kreative Seelsorge, marriage-encounter  u.v.ä.m.“ Oft werde „der Terminus Gruppendynamik vermieden und durch andere Bezeichnungen umschrieben. Es müsse die Redlichkeit mancher zu gruppendynamischen Veranstaltungen Einladender ernsthaft in Zweifel gezogen werden, weil sie Ziele und Methoden ihrer Veranstaltung in den Ankündigungen oft so bewußt zu verbergen verstehen, daß nur Eingeweihte ahnen können, was sie erwartet.9)

Zur Gruppendynamik - wie immer man sie nennt – gehören einige Teilnehmer (sechs bis acht wird als günstig angesehen), ein Trainer, vielleicht ein Co-Trainer, vielleicht ein Supervisor, vielleicht eine Großgruppe, mit der die Kleingruppe in Austauschbeziehungen steht. Diese Menschen kommen zusammen ... Das Ziel des Zusammenseins ist der Gruppenprozeß..“. Zu einem solchen dynamischen Prozeß komme es aber nur, wenn sich die Teilnehmer wirklich innerlich darauf einließen.

9) Inzwischen darf mit Fug und Recht die Redlichkeit mehr oder minder der gesamten etablierten, „staatlich anerkannten“ Psychotherapie hinterfragt werden (RB 2/02, K.5)

Der Trainer wende bestimmte

Methoden

situationsentsprechend an. Sie unterteilten sich grob in zwei Kategorien, verbale und non-verbale. "Methode" bedeute in der Gruppendynamik, die Teilnehmer zu einem bestimmten Verhalten zu veranlassen. Der Trainer setze die non-verbalen Methoden immer dann ein, wenn er Hemmungen in der Selbstdarstellung (Scham, Scheu, Takt) der Teilnehmer feststelle, die er durch non-verbale Kontakte und Handlungen der Teilnehmer überwinden wolle. Allein die non-verbalen Methoden sind unendlich vielfältig. Häufig genannt würden „zärtliche Berührung der Körper, ritueller Tanz, das Rückwärtsstürzen der Teilnehmer von einem Tisch (mit verbundenen Augen) in die Arme der Gruppe, sich blind durch unbekanntes Gelände führen lassen.“

Die Dynamik in der Gruppe entwickele sich aufgrund von Rivalitätsgefühlen und Angst. Die gruppendynamische Situation wecke die Ängste der Teilnehmer, weil unvermeidlich Rivalität um die Anerkennung durch Gruppe und Trainer aufkomme. Durch seinen "Support", seine Verweigerung von "Feedback“ steige oder stürze der Teilnehmer in der Gruppe.

3.3  „Das Ziel der Gruppendynamik ist die Verhaltensänderung der Menschen. Sie sollen zu einem neuen Selbstbild gebracht werden, indem sie schmerzhaft lernen, wie die Gruppe sie sieht. Wenn die Teilnehmer erfahren, welche Gefühle sie in den anderen hervorgerufen, würden sie u.U. zutiefst verunsichert. Sie strebten entsprechend danach, durch richtiges Verhalten von der Gruppe angenommen zu werden. Durch Gruppendynamik sei es so möglich, einen Menschen auch noch im Erwachsenenalter von Grund auf zu ändern. Sie wurde daher etwa von Moreno als die größte Revolution des zwanzigsten Jahrhunderts bezeichnet.“

Die Propagandisten der Gruppendynamik brächten für sie vor allem drei Argumente vor: therapeutische, individual-psychologische und gesellschaftliche.“ Den ärztlichen Gruppendynamikern geben die Autoren dabei noch allerhand Kredit, so den Erfolgsangaben von Heigl-Evers und Heigl, Richter u.a. Es hat sich ja erst in jüngster Zeit klar gezeigt, wie augenwischerisch die angesehensten „Effizienznachweise“ selbst ärztlicher Psychotherapeuten sind (s.RB 2/02, K. 5). Ausdrücklich für nicht-überzeugend aber erklären die Autoren Angaben der Gruppendynamiker wie z.B. das Erlernen der Fähigkeit, sich besser in andere hineinversetzen zu können und zu erfahren, wie andere Menschen einen selbst sehen.“ Auch die angebliche Förderung eines flexibleren gesellschaftlichen Handelns durch Rollenspiel überzeuge sie nicht. Die Zielsetzungen könnten die Mittel nicht rechtfertigen. "Die gute Absicht vieler Menschen, die sich der Gruppendynamik zuwenden," werde aber nicht in Abrede gestellt. Um so kritischer sei zu prüfen, „ob die Gruppendynamik wirklich die in sie gesetzten hohen Erwartungen erfüllen kann und zu welchem Preis.

„Von welcher Gruppendynamik ist die Rede“, fragen die Autoren jetzt. Es gebe viele Beschreibungen unterschiedlicher Formen von Gruppendynamik. Der dabei ablaufende Prozeß unterscheide aber nicht wesentlich: Die realen Geschehen in den verschiedenen Formen der Gruppendynamik seien sehr ähnlich (Krege 1974). Es erscheine „fast unmöglich, sie alle zutreffend auf einen Begriff zu bringen.“ Aus den verschiedenen Formen der Gruppendynamik könne, müsse aber das Gemeinsame herausgehoben werden, weil sonst jeder sich darauf hinauszureden versucht, daß gerade er oder die von ihm vertretene Institution die ‚gute’ und ‚richtige’ Gruppendynamik vertrete, während er gern einzuräumen bereit ist, daß andere eine ‚böse’ bzw. ‚falsche’ Gruppendynamik praktizieren[10].“

10 vgl. Fn 9 bezüglich der Redlichkeit.

Lewin11) habe drei Phasen des gruppendynamischen Prozesses genannt: auftauen - ändern - festigen (Heedfeld u. a. 1974). Andere haben fünf Phasen ausgemacht: explorativer Kontakt - Regression - Katharsis - Reflektieren - Wandlung des Verhaltens (Battegay u. a. 1975). Eine andere Untersuchung unterscheidet z.B. sogar fünfzehn Phasen des Prozesses in Encountergruppen (Fittkau 1972).

11)  In seinem Buch DIE LÖSUNG SOZIALER KONFLIKTE proklamierte der emigrierte Berliner Psychologe Kurt Lewin, in den USA dann einer der führenden Psycho-Krieger, nicht nur die psychologisch arrangierte Werte-Änderung der Bevölkerung, sondern auch den Einsatz der Täuschung als legales Mittel dazu (RB 2/98, K. 13.5 sowie 2/00, K. 4.5).

Abgesehen von allen diesen und anderen Unterschieden im einzelnen könne man aber sagen, daß der gruppendynamische Prozeß in den verschiedenen Formen doch sehr ähnlich ablaufe. Auch im internationalen Bereich gebe es keine deutlichen Unterschiede. Gruppendynamik sei eine weltweite Bewegung mit Schwerpunkten in den USA, Deutschland, Frankreich, Skandinavien, England, Brasilien. Jedenfalls sei die „These, daß die gruppendynamische Bewegung in allen Formen doch ein unverkennbares Milieu schafft, von Liebermann u. a. (1974) nachdrücklich bestätigt worden.“ Über gewisse Strecken geben die Autoren, um umfassende, faire Darstellung bemüht, die Angaben von Gruppendynamikern ziemlich ungefiltert wieder.

Sieben verschiedene Trainerstile ließen sich als typisch herausstellen: „Ansporner - Versorger - Sozialingenieur - Laissez faire - kühle Stimulatoren - starke Struktur - Tonbandtrainer.“

Als Schema des Ordnens für die verschiedenen gruppendynamischen Trainingsformen bringen die Autoren gruppendynamischen Angaben gemäß eine „Eskalation der Methoden“, „zwölf Intensivierungsstufen der Gruppendynamik“. (Ref. gibt sie gekürzt wieder. Die genannten Verfahren können ausführlich in Originalliteratur nachgelesen werden, dort natürlich werbend dargeboten.)

Stufe 1 - Videorecorder – Feedback -

Die Kommunikation einer Gruppe wird von einem Videorecorder aufgezeichnet. Die Gruppe diskutiert dann darüber.

Stufe 2 - Hier und Jetzt I Sensitivity- Training

In dieser Form finden die meisten gruppendynamischen Übungen statt. Die „Hier-und-Jetzt-Gruppe (im kirchlichen Raum ‚reflektierte Gruppe’), analysiert nicht die Lebensgeschichte der Teilnehmer, sondern beschränkt sich auf die Analyse des jeweils laufenden Gruppenprozesses. Sie setzt auch geplant Gruppenprozesse in Gang, um diese Prozesse selbst und das Verhalten der Mitglieder zu beobachten, zu verstärken oder auch zu löschen...“

Stufe 3 - TZI –

Darunter „versteht man themenzentrierte Interaktion; d.h. eine Gruppe bespricht ein gemeinsam interessierendes oder durch die Institution vorgegebenes Sachthema, aber in dieser Besprechung sollen alle Teilnehmer nach verschiedenen Interaktionsregeln die sachliche Diskussion unterbrechen,“ vor allem aber nach ihren eigenen Gefühlen .

Die Autoren geben hier wieder breit die (werbenden) Angaben von (ärztlichen) Gruppentherapeuten wieder u.a. von Heigl-Evers (1973). Da offen ist, ob es sich bei allem, was diese da fanden, um anderes als „selbstversteckte Eier“ (K. Kraus) handelt, boten sich die entsprechenden Passagen besonders zur (insgesamt unvermeidlichen) Kürzung an. Die Autoren gehen näher noch auf die bekannte Dynamikerin Ruth Cohn ein, deren Konzept " TZI" sie persönlich kennen lernten. Sie habe „das in einer Form getan, die bei dem Psychoanalytiker Bittner Zweifel an ihrem geistigen Zustand und der Gesundheit ihres Lehrers Perls aufkommen ließ (Bittner 1976). Der Aufsatz von Ruth Cohn macht deutlich (1974), daß eine konsequent geführte Kommunikation nach der Grundregel ‚Störungen haben Vorrang’ zwangsläufig im Leser den Eindruck erweckt, daß sich dort eine Verrückte äußert...“ Unter dem Einfluß von Betäubungsmitteln, berichtet sie, habe sich ihr Leib aufgelöst. "Die Begegnung - Trips, die ich mit Euch gemacht habe, das Glück des Zusammenseins, können sie diese abenteuerliche Himmelsreise ersetzen?" (167). Cohn rücke das Erlebnis in ihren Begegnungsgruppen in die Nähe der Drogenkultur.

Stufe 4  - Gestalttherapie / Kreativitätstraining -

Auf dieser Intensivierungsstufe wird reflektierende Arbeit weithin ausgeschlossen. Fritz Perls, der Begründer der Gestalttherapie, erläutert sein Konzept mit der Formel: Alles 'warum' in ein 'wie' (1976, 234). Die Methode von Perls besteht darin, daß er selbst mit einzelnen Teilnehmern eine intensive Interaktion beginnt („heißer Stuhl“), während die Gruppe zuschaut... Die Gruppe kommt in der Gestalttherapie nur insofern ins Spiel, als nach dem 'heißen Stuhl' das Gruppenmitglied die Runde machen muß, d.h., mit jedem Teilnehmer das neu erlernte Verhalten ausagieren muß. Kennzeichnende Spiele sind 'top dog' und 'rundherum'". Ersteres ein Dialog zwischen Gewissen und schlechtem Gewissen. Das sei, wird gesagt, zur Persönlichkeitsspaltung geeignet. Beim zweiten Spiel ("rundherum") „sagt jeder jedem, was er an ihm an Unangenehmem empfindet (Thimm 1973).“

Stufe 5 - Synanongruppen12) -

Hier werden intensive Rollentauschspiele geübt. Leicht würden gruppendynamische Rollenspiele bzw. Rollentausch mit der Übernahme einer Rolle beim herkömmlichen Theaterspiel verwechselt oder gar gleichgesetzt: falsch. Die Übernahme einer Rolle im Theater durch einen Schauspieler bedeutet gerade nicht, daß er seine personale Identität aufgibt. Beim Theaterspiel wird eine Rolle nur auf Zeit übernommen. Der Schauspieler bleibt hinter der Maske der, der er ist. Er behält Distanz zu seiner (gespielten) Rolle. Im gruppendynamischen Rollenspiel wird dagegen intendiert, daß der Rollenspieler durch "Rollenspiel", durch die Identifikation mit einer neuen Rolle seine alte Identität ablegt. Insofern läuft das Konzept der Rollenspiele auf eine intensive Form der Persönlichkeitsveränderung hinaus und hat insbesondere in länger zusammenbleibenden Gruppen intensive Auswirkungen.

12) Synanon, in der Suchttherapie engagiert, wird vielfach auch in konservativen Kreisen gelobt, weil sie im Gegensatz zu anderen, auch ärztlichen Konzepten drogenfreie Therapie intendiert. Ob hier Drogenabhängige nicht eher zum Ausprobieren zwar drogenfreier, nichtsdestotrotz ruinierender Psychotechnologien benutzt werden, vermag Ref. nicht zu beurteilen. In San Francisco, Haight-Ashbury, sollen die drogenabhängigen „Blumenkinder“ tatsächlich als schlichte Versuchskaninchen mißbraucht worden sein.

Stufe 6 - Psychodrama / Soziodrama -

Zwischen den Rollenspielen der Synanongruppen und dem Psychodrama oder Soziodrama Morenos sind die Übergänge fließend. Was zusätzlich ins Spiel kommt, ist die intensive Tätigkeit des Trainers. Im Psychodrama kommt es zu "schweren Erschütterungen des Persönlichkeitsgefüges" (Friedemann 1975, 96). Moreno selbst hat das Psychodrama als eine neue Form des Kultes verstanden und auf die hypnotische Kraft des Trainers vertraut. Bei einem Kunstfehler sind ernste Gefahren zu befürchten. Aber jedes Rollenspiel steht in der Gefahr, sich zu einem Psychodrama weiterzuentwickeln (Leutz 1975, 105). Schönke (1975) hat bei den von ihm durchgeführten psychodramatischen Veranstaltungen folgende Wirkungen festgestellt: Zunahme der Aggression, Abnahme von Gelassenheit, die Selbsteinschätzung geht in Richtung auf extravertiert, es kommt zu einer Abnahme der Rigidität, zu einem Hin zur Dominanz, die Teilnehmer wollen geselliger sein. Nach Petzold (1975) ist das Psychodrama eine Kultfeier: Die Ziele sind Reinigung von Schuld, Entladung von Triebenergie, Angstabwehr, Versöhnung und Verbindung mit dem Numinosen (1971). Moreno selbst ist im Psychodrama bezeichnenderweise als heiliger König aufgetreten.13

13)  Er stellte sich seinen Verehrer(inne)n auch als „Prophet“ vor, ja als Gott“, jedenfalls „Schöpfer“ einer „Religion neuer Art mit veränderten göttlichen Eingebungen und Techniken“, der „Religion der Begegnung“, in der „auf keinen Fall die durch Marxismus und Freudianismus hervorgebrachten Einsichten“ fehlen dürften. M. proklamierte darüber hinaus die „therapeutische Weltanschauung“ und „therapeutische Weltordnung“ (Moreno, J.L., Auszüge aus der Autobiographie, inScenario Verlag, Köln, 1995.

Stufe 7 - Encounter  –

Die Encounter- oder Begegnungsgruppe stellt heute bereits eine fast religiöse Massenbewegung dar. Sie will oder gibt vor, dem einzelnen unmittelbare Befriedigung, d.h. Freude durch Erlebnisse in der Gruppe zu verschaffen, dazu Menschen und Ereignisse tiefer zu erleben und sich selbst genauer kennenzulernen, dadurch zu persönlicher Reifung und Selbstverwirklichung gelangen zu lassen, echte Chancen der Selbst- und Sinnfindung zu geben, die die kapitalistische Leistungsgesellschaft nicht mehr zulasse. Das mit dem Namen C. R. Rogers verbundene gruppendynamische Verfahren ist (vorgeblich) theorielos; die non-verbalen Methoden überwiegen. Das Verfahren kann mit zahlreichen Ritualen verbunden sein; so gehört z. B. in vielen Encounter-Gruppen das Entkleiden zum Ritual, sexuelle Kontakte werden allerdings während des Gruppenprozesses nicht zugelassen. Alle Mittel der Regression, d.h. der Rückentwicklung des menschlichen Verhaltens zum Kleinkindverhalten werden unterstützt (Eckensberger 1972).

Stufe 8 - Open Staff –

Open Staff  bedeutet, daß die Teilnehmer des Prozesses auch die Sitzungen der Therapeuten- oder Trainergruppe beobachten können (Chu u.a. 1975). Die Beobachtung des Gesprächs der Therapeuten- oder Trainergruppe über ihre Wahrnehmung des gruppendynamischen Prozesses bringt in das Training eine stark psychodramatische Komponente und kann angeblich die "Hysterisierung der Gruppe" (Heising u. a. 1973, 188) zur Folge haben...

Stufe 9 - Laboratorium –

Das ursprüngliche Konzept des gruppendynamischen Laboratoriums beinhalte die Vorschrift, daß nur Hier-und-Jetzt Probleme behandelt würden. Es soll aber eine Weiterentwicklung erfahren haben. Nach Däumling sollten früher durch das Laboratorium insbesondere Autoritätsprobleme zum Austrag gebracht werden. Kennzeichen dieser Gruppen war es zu Beginn der 70-iger Jahre, daß ein Wechsel zwischen Sitzungen in T-Gruppen und einem Austauschsystem verschiedener Gruppen untereinander stattfand. Die Weiterentwicklung der Laboratoriumsgruppe rechtfertigt es jetzt, sie auf dieser intensiven Stufe des gruppendynamischen Geschehens einzuordnen (Däumling 1976).“ Hineingenommen würden „Meditationsübungen nach dem Vorbild indischer Religiosität, Imagination, Expression und Projektion. Auch meditativer Tanz, Erfahren fremder Körperlichkeit und anderes seien vorgesehen. Ein Drittel der Zeit ist für solche Elemente eingeplant...“

Stufe 10 - Marathon

Darunter versteht man einen gruppendynamischen Verlauf, der sich oft ohne Unterbrechung über etwa 24 Stunden erstreckt. Das Marathon wirkt auf viele wohl sehr intensiv, da durch die Erschöpfung, die anhaltende Schlaflosigkeit etc. Hemmungen schnell abgebaut werden. Es kommt zu einem erheblichen Anstieg von Angst und Hilflosigkeit (Pavel 1975, 244). Die Intensität des Marathon liegt darin, daß in schnellem Wechsel non-verbale und verbale Methoden zur Anwendung kommen. Svensson berichtet, daß innerhalb des 24-stündigen Marathons einhundert Interaktionsrituale vorgesehen sind (Svensson 1972). Die fünfzehn Phasen, die die Teilnehmer innerhalb des Marathons durchlaufen, bewirken eine intensive Persönlichkeitsveränderung in kurzer Zeit... Bei Marathonsitzungen ist häufig Nacktheit obligatorisch, weil diese eine besonders intensive Form des unfreezing, d. h. des Auftauens der Teilnehmer bedeutet (Thimm 1973).

Stufe 11 - Bioenergetik -

Bioenergetik ist eine ‚ganzheitliche Methode, d.h., daß (angeblich) der ganze Mensch einbezogen ist. Es gehören dazu: „Psychotanz, Eutonie, Atemtherapie, Bemächtigungstherapie, Bewegungstherapie, Bewegungstrance, Psychogymnastik, Heilenrhythmie (Petzold 1974) und auch die Einbeziehung der Sexualität...“14)

14) Auf die auf Wilhelm Reich zurückgehende Bioenergetik warfen wir in RB 2/94 schon ein Schlaglicht, aus einem Bericht der meist psycho-begeisterten SZ vom 01.08.94 vom Kongreß „Evolution der Psychotherapie“ in Hamburg zitierend. Es hieß: „... Da sitzt man bei der Demonstration des 83jährigen Alexander Lowen, die recht harmlos ‚Selbstbewußtsein und Selbstausdruck’ heißt, und das geht so: Eine Frau, die seit 17 (!) Jahren auf diese Weise behandelt wird, erzählt zunächst, daß es ihr nicht so gut gehe, weil sie unter anderem so ein Engegefühl in ihrem Brustkorb verspüre. Darauf mußte sie sich halbnackt gekrümmt über einen Bock legen und dazu eine dicke Decke zwischen den Beinen festhalten. Die Frau beginnt, minutenlang heftigst zu zittern und zu schreien, das soll irgendwie gut für ihren Energiefluß sein. Dann reicht ihr Lowen die Hände, schaut fast diabolisch ins Publikum und sagt: Ihr ärmlicher Zustand jetzt komme auch daher, weil sie in ihm Lowen, den Vater sehe...“

Stufe 12 - Miniaturgesellschaft –

Darunter ist eine bestimmte Form des Zusammenlebens zu verstehen, in der für eine gewisse Zeit Menschen von der Umwelt relativ freigesetzt sind oder im Kampf gegen die Umwelt stehen. Das gruppendynamische Zusammenleben wird unter Einschluß aller Formen, die überhaupt zur Verfügung stehen, als ein neues Leben und keineswegs nur als ein Spiel geübt. Als Beispiel dafür kann die sogenannte Institutionsanalyse des französischen Gruppendynamikers Lapassade dienen. Bioenergetik, Marathongruppen, normale Gruppendynamik in T-Gruppen, Putschismus gegen die Institutionen, in denen dieses gruppendynamische Leben stattfindet, demokratischer Sozialismus, Rauschgift, Zärtlichkeitsgruppe, Terror, Kampf ums Geld und Encounterelemente verschmelzen zu einer einzigen gruppendynamischen Lebensform (Krebs u. a. 1976). Keine Beschreibung kann allerdings die eigene Lektüre der Dokumente dieses gruppendynamischen Zusammenlebens ersetzen...“

Abschließende Bemerkung zu den zwölf  skizzierten Intensivierungsstufen der Gruppendynamik

Für den, der sich auf einen gruppendynamischen Prozeß einläßt, wird dieser „immer als Totalität erfahren, die alle Denk-, Gemüts- und Willensregungen der Betroffenen anspannt und umformt. Ein Blick in Erfahrungsberichte aus der gruppendynamischen Praxis aller Verfahrensarten zeigt uns, daß oft schon ein läppisches Spielchen zu ganz unverhältnismäßigen Konsequenzen bei den Betroffenen führen kann. Die Erfahrung lehrt uns weiter, daß ein einziger Teilnehmer, der die Belastungen des Ich-Bildes durch irgendwelche Praktiken der Dynamisierung nicht aushält, sogar eine Gruppe von als ich-stark unterstellten Menschen in einen Prozeß der Psychotherapie hinein zieht, der für alle Beteiligten unerträglich werden kann. Der Gruppendynamik in all ihren Spielarten eignet immer ein totalitäres Moment. Sie ist ein Instrument, das im Menschen Identitätskrisen hervorrufen kann. Der Einsatz von gruppendynamischen Verfahren als Erziehungsfaktoren, die nicht mehr über das Bewußtsein vermittelt werden können, stellt einen so tiefgreifenden Eingriff in die menschliche Autoritäts- und Motivationsstruktur dar, daß Gruppendynamik zu Recht als anthropologische Revolution bezeichnet werden kann.“

3.4. An theoretischen Erklärungen der Gruppendynamik stellen die Autoren vor

.1 Die soziologisch-geschichtsphilosophische Theorie,

die aber (1977) noch in den Anfängen steckte. Back hat 1974 den interessanten Versuch gemacht, die Gruppendynamik im Zusammenhang mit der gesamten ideenpolitischen Entwicklung der letzten 10 Jahre seit der Protestbewegung zu bringen u.a. mit dem "Ausfall der Religionen im gesellschaftlichen Leben, einer neuen Mystik, derDrogenkultur, revolutionären Gruppierungen, der Frauenbewegung u.v.a.m.“

3.4.2 Die politische Theorie der Gruppendynamik

Die Neue Linke sei in ihrer Stellungnahme zur Gruppendynamik nicht eindeutig. Auf der einen Seite gebe es scharfe Kritik an der Gruppendynamik. So werde vor falschem Subjektivismus, Privatisierung von Leiden, Schwächung der Individuen gewarnt und das Ganze als spätkapitalistisches Manöver beurteilt. Auf der anderen Seite gibt es auch bei der Neuen Linken Befürworter der Gruppendynamik. Ihre Aufgabe innerhalb der linken Bewegung wäre dann, kampfkräftige Gruppen für die politische Aktion zu mobilisieren, die Individuen aus einer individualistischen Lebensführung herauszulösen, sie zu kollektivem Handeln in Gruppen zu befähigen, die Verbindung einer revolutionären Bewegung mit dem psychisch Verelendeten herauszustellen und insbesondere an der Auflösung des bürgerlichen Ichs zu arbeiten.

3.4.3 Die psychoanalytische Theorie der Gruppendynamik

Die psychoanalytische Erklärung der gruppendynamischen Bewegung könne aber "durchaus den Rang einer Theorie beanspruchen: In psychoanalytischer Sicht bestehe ein enger Zusammenhang zwischen Gruppendynamik und Mutterfixierung. Während in der klassischen Therapiesituation der Psychoanalyse in der Zweierbeziehung von Arzt und Patient vorwiegend die sogenannten ödipalen und Übertragungskonflikte behandelt werden konnten, aktiviert die Gruppendynamik vorödipale, frühkindliche Ängste. Schindler (1972), der Nestor der österreichischen gruppendynamischen Bewegung, beansprucht, als erster diesen engen Zusammenhang von Muttersymbol und Gruppe erkannt zu haben....

Das deutlichste Phänomen im Verlauf gruppendynamischer Trainings ist die Regression der Teilnehmer. Es kommt unvermeidlich zu individueller Identitätsverwirrung, Ich-Verlust und entsprechender Regression in jeder Gruppendynamik (Bonstedt u. a. 1975, 87). Diese regressiven Tendenzen haben darin ihre Ursache, daß das frühkindliche Stadium gekennzeichnet ist durch Narzißmus. Narzißmus bedeute: Selbstverliebtheit des Kindes..., seine Ängste und die Gier werden "umgelenkt in Gruppenkohäsion...

Battegay (1973) sieht den Vorzug der Gruppe darin, daß die Strenge des Realitätsprinzips gelockert wird und die Teilnehmer der Gruppen sowohl dem Lustprinzip als auch dem Realitätsprinzip folgen können (129). Schindler (1975) hält implizit dem entgegen, daß der Gegensatz von Lustprinzip und Realitätsprinzip nicht harmonisch aufzulösen ist, sondern daß die Gruppenmutter überbeschützend und verschlingend ist (235)... Die Autoren geben noch weitere psychoanalytische Sichten der Gruppendynamik wieder. Ref. streicht sie, weil sie letztlich l’art pour l’art darstellen.

3.4.4 Negative Grundeinstellung der Gruppendynamik zur Theorie

Für die theoretische Durchdringung ihres Tuns interessieren sich gerade 38 % der Abonnenten der einschlägigen Fachzeitschrift (Gruppendynamik, 1973). „Wenn sich die Insider überhaupt zu theoretischen Äußerungen versteigen, begnügen sie sich mit der Beschreibung von gruppendynamischen Prozessen in 'feldtheoretischer' Absicht. So erklärt Lück (1974, 392) die Dynamik in den Gruppen durch die Umverteilung der Schuld.“

In der experimentellen Situation bekomme  „der Agierende das Gefühl, jemanden geschädigt zu haben, verschiebt dieses Schuldgefühl in der Form eines schuldbeladenen Altruismus, indem er nun Teilnehmern helfen will... Ein weiterer analytischer Ansatz im Blick auf die Gruppendynamik ist die Einbeziehung von Methoden der empirischen Psychologie in die Erforschung der Gruppenprozesse. Wegen der Komplexität der gruppendynamischen Verläufe ist es schwierig, die Meßverfahren der empirischen Psychologie anzuwenden. 'Jedermann ist des andern Kontrolle' 15) (Battegay 1973, 20). Das bedeutet, daß der gruppendynamische Prozeß als selbstregulierendes System (119) verstanden werden kann. Es ist unmöglich, solche kybernetischen Systeme empirischen Meßverfahren zu unterwerfen, weil bei selbstregulierenden Systemen das, was auf der einen Ebene Thema ist, auf der nächsten Ebene Selektionsstruktur wird. Sandner (1975, 2) bestätigt diese Problematik in seiner Untersuchung, daß die Gruppe nur Konformes wahrnimmt und in ihrer Fähigkeit, Impulse zu verarbeiten, mit starker Selektion arbeitet.“

15) Just das scheint es zu sein, warum unsere Psychiatrie-Reformer, Psychiatrie-Administratoren so fanatisch auf „interdisziplinäre“ Kollektive setzen. Auf das „politisch korrekte“ Wirken von Teams ist Verlaß infolge gegenseitiger Kontrolle seiner Mitglieder. Die letzte Kontrolle haben da deren Dienstherren. Nach Gusto können sie die „Reform“-Psychiatrie als Maßgabe- und Kontrollinstrument mißbrauchen.

Die Autoren kommen zu dem Schluß: „Es besteht die Gefahr, daß die mangelnde Fundierung der Gruppentherapie in der Theorie die Folge hat, daß die Rechtfertigungen gruppendynamischer Prozesse nur oberflächlich behauptet werden, um eine Finanzierung durch die Kassen zu sichern. Die Trainer der gruppendynamischen Bewegung arbeiten daran, den Krankheits- und Gesundheitsbegriff diffus ineinander aufzulösen Wenn aber die Unterscheidung von Gesunden und Kranken nicht mehr scharf zu fassen ist, löst sich die finanzielle Basis der Gruppendynamiker, insoweit sie von den Krankenkassen gesichert ist, auf. Dieser theoretische Ansatz müßte unbedingt weitergeführt werden. Er würde erzwingen, daß man nach klaren Indikationen zwischen Gesunden und Kranken unterscheidet und damit den kulturrevolutionären Flügel der gruppendynamischen Bewegung von dem therapeutischen deutlich trennt...

3.5   Bei der Frage, wer denn nun in die Gruppendynamik gehen soll, äußern sich die Autoren „beunruhigt, daß die Arbeit an den Indikationen bisher (1977 wie heute) kaum in Angriff genommen wurde.

.1 Indikationen – Kontraindikationen zur Anwendung von Gruppendynamik bei bestimmten Personengruppen

Die Autoren fanden aber immerhin Arbeiten, die gruppendynamische Übungen für bestimmte Leiden (Magersüchtige, Ulkus-Kolitis-Kranke und andere) als kontraindikativ ansahen (Preuß 1975, 208). Nicht selten könne „Gruppendynamik für Kranke lebensbedrohend werden (208). Battegay nennt insbesondere Kreislauf- und Herzschwache als gefährdet. Andererseits könne die gruppendynamische Therapie psychosomatische Erkrankungen mildern oder sogar heilen.“ Die Autoren folgen hier wieder weithin den Angaben der Gruppentherapeuten, insbesondere ärztlichen: Nach Preuß braucht es für bestimmte Teilnehmer homogene, für andere heterogene Gruppen. Homogene Gruppen werden für IchSchwache empfohlen. Psychotiker, Drogensüchtige, Alkoholiker und Menschen, die sich durch abnorme Ich-Schwäche auszeichnen, können nur in homogenen Gruppen sinnvoll behandelt werden (Schindler 1972). In heterogen zusammengesetzten Gruppen ist eine Verschlechterung vorhersagbar. Nach Schindler ist Gruppendynamik kontraindiziert für übersteigert narzißtische und für ästhetisch abstoßende Menschen sowie für Teilnehmer, die an Angstzuständen leiden, für die es keine genetische Erklärung gibt (346)....

Die Erfahrungen von Battegay zeigen, daß nach 10 Jahre währender gruppendynamischer Arbeit (von Alkoholikern) bei Auflösung der Gruppe die Süchtigen sofort wieder ihrer Sucht verfallen. Battegay hält Gruppentherapie auch bei ich-schwachen Schizophrenen für kontraindiziert, „weil sie durch die gruppendynamische Situation so verängstigt werden, daß sich ihre Wahnsysteme verstärken. Wenn Däumling sagt: ‚Eindeutig kontraindiziert ist ein Sensitivitätstraining bei gegebener Psychose oder Suizidgefährdung’ und ‚es eignet sich keineswegs für neurotische Patienten, die ihre Symptome zu verstärken pflegen’ (1970, 7), liegt hier eine völlige Verkehrung der Situation vor. Gruppendynamik kann sich in verantwortungsvoller ärztlicher Praxis sehr wohl bei Gefährdeten verschiedener Indikationen bewähren. Kontraindiziert ist Gruppendynamik im Grunde genommen aber besonders für Gesunde: Bei Gesunden ist die Infantilisierung gar nicht aufzuarbeiten (Sandner 1975, 14). 16)

16) Gleichwohl wird sie an ihnen reichlich praktiziert – s.o.

3.5.2  Die Autoren warnen, die Warnungen ärztlicher „Fachleute“ wiedergebend,17)die Gruppendynamik leichtfertig einzusetzen. Wie ein Arzt auch ein Medikament, von dem er genau weiß, daß es für seine Patienten besonders gefährliche Nebenwirkungen haben kann, nur dann einsetzen wird, wenn er keine andere Möglichkeit mehr sieht, einem Patienten zu helfen, so sollte auch die Gruppendynamik von Ärzten nur als ultima ratio in den Fällen eingesetzt werden, wo sonst keine Hilfe geleistet werden kann.

 17) Mit solchem Aufzeigen von Kontraindikationen versuchen die „Gruppenheiler“ ärztlich sorgsames Verhalten zu demonstrieren. Sie bewegen sich damit gleichwohl im luftleeren Raum. Haben sich doch schon die Effizienzangaben in der Einzeltherapie rundum als Schwindel erwiesen (RB 2/02, K.5.2).

3.5.3 Lebensalter als Kriterium für die Praktizierung von Gruppendynamik

Es ist nicht selbstverständlich, daß Gruppendynamik für jedes Lebensalter gleichermaßen günstig oder ungünstig ist. Die Versprechungen der Gruppendynamiker lassen sich am ehesten auf einen Adressaten beziehen, der vielleicht 40 Jahre alt ist, sich emotional verkümmert fühlt, abgeschnitten ist von eigenen authentischen Erfahrungen, sich verhärtet hat in rigiden Rollen, den Prozeß des Alterns und den Tod verleugnet, noch einmal ganz von vorne mit einer neuen Identität anfangen möchte, und sich in ein feindseliges Verhältnis mit seinem eigenen Leib gesetzt hat. Es ist im Prinzip derselbe Adressat, den auch die emanzipatorische Bewegung mit ihrem Freiheitsversprechen vor Augen hatte. Ob die Gruppendynamik eine geeignete Verjüngung in dieser Krise der Lebensmitte ist, mag dahingestellt bleiben." Auch aus ihrer Erfahrung als Pädagogen halten es die Autoren für "sehr bedenklich, wenn diese Erwachsenen ihre Problematik auf Jugendliche und Kinder projizieren."

Auf Jugendliche kann wilde Gruppendynamik verheerend wirken (Erdmann 1972). Sie befinden sich in einer entwicklungsbedingten Identitätskrise, in der eine gruppendynamische Auflösung der Strukturen der Person kontraindiziert ist. Sie brauchen Pläne und Orientierungshilfen, keine Strukturveränderung (110). Seifert berichtet von der erheblichen Dekomposition, die Gruppendynamik bei Jugendlichen bewirkt hat. Noch fragwürdiger sei ein Training zur Lockerung der Ich-Grenzen, als was Gruppendynamik verstanden wird, bei Kindern. Denn Kinder sind grenzensuchende Wesen, die ihre Identität erst finden müssen. Eckensberger (1971, 102) berichtet von einem in Frankreich vorgenommenen Experiment an Kindern. Die normalen Kindergartenkinder waren am gesündesten und entwickeltsten. Die "gruppendynamischen Kinder" zeigten dagegen ein chaotisches Verhalten. Die gruppendynamische Methode steht grundsätzlich in Widerspruch zu der Realitätswahrnehmung von Kindern. Kinder nehmen nicht wahr, wie ein Mensch ist, sondern wie er zu ihnen steht. Dieses unreflektierte und unkritische Verhalten der Kinder ist ein spezifisch humaner Zug, eben der Vorzug kindlicher Menschen. Erst mit der Pubertät beginnt der Durchbruch zur Welt der anderen (Kaufmann 1973). Dieses gnädige Verhalten der Kinder zeigt sich darin, daß sie körperliche Anomalien häufig nicht wahrnehmen. Ihre Wahrnehmung des Anderen ist instabil und kann von Ablehnung zu Freundschaft schnell wechseln. Für Kinder und Jugendliche sind wahrscheinlich gruppendynamische Prozesse kontraindiziert.

3.5.4   Bei der Besprechung der Folgen des gruppendynamischen Trainings verweisen die Autoren als anspruchsvollste Untersuchung auf Liebermann u. a. (1974). Sie sei trotz einiger Schwächen inzwischen zu einiger Berühmtheit gelangt.

3.6.      Folgen der Gruppendynamik

3.6.1 Psychische Schädigungen der Teilnehmer an gruppendynamischen Übungen

Am meisten Aufsehen erregt hat das Ergebnis, daß 9,4 % der Teilnehmer im Anschluß und in direkter Auswirkung des gruppendynamischen Trainings einen anhaltenden psychischen Schaden davongetragen hatten. Dieser anhaltende Schaden drückte sich aus in nicht mehr zu bewältigender Angst, wenig Vertrauen, schwerer Depression, psychotischen Zuständen, einem tiefen Gefühl der Hoffnungslosigkeit und Unsicherheit, die mit Berufsunfähigkeit einhergeht. In dieser Schädigungsquote sind solche Fälle ausgeschlossen, bei denen die Untersuchenden den Eindruck hatten, daß es sich um sowieso gefährdete und kranke Teilnehmer gehandelt habe. Dort, wo also die Vermutung nahelag, daß es auch ohne den gruppendynamischen Prozeß zu Störungen in dieser tiefgreifenden Form hätte kommen können, hat man die Teilnehmer nicht miterfaßt. Ebenfalls nicht erfaßt wurden stürmische Episoden unmittelbar nach dem Training.

Diese Auswertung steht nicht allein, sondern es ist auch aus vielen anderen Trainings bekannt, daß der eine oder andere Teilnehmer schwer geschädigt wird. Darüber hinaus fühlen sich 30 % der Teilnehmer unwohl, verschlechtert, also mittelfristig geschädigt. Fast alle Teilnehmer empfinden das Training als anstrengend, leidvoll, verwirrend und fühlen sich in ihrer Persönlichkeit infrage gestellt. Direkt im Anschluß an das Training sind Schlaflosigkeit und Depressionen sowie große Erschöpfung die Regel.

.2 Veränderung des Selbstsystems der Trainierten

Die Gruppendynamiker sprechen gern von einer zufriedenen Klientel, denn 60 % sind zufrieden. Diese sind Encounter-Konvertiten (241), d. h. sie sind bestrebt, erneut in gruppendynamische Seminare einzutreten18) und möchten Ihre Bekannten zu gruppendynamischen Seminaren überreden. Die Teilnehmer geben an, eine tiefgreifende Veränderung ihrer Werthaltungen (247) erfahren zu haben. Damit ist das Ziel der Gruppendynamik erreicht.

18) Was die Autoren hier beschreiben, ist die Suchtwirkung, die alle Psycho-Gruppen auf ihre Adepten ausüben und die ja auch von unserer politischen Klasse anerkannt, bei solchen Gruppen gar bekämpft werden, die in ihren Zielen der Klasse nicht munden (Scientology etwa u.a.). Wer sich auf die Begriffe, die Theorien, die Denkgewohnheiten welcher psychotherapeutischen Gruppe oder Schule auch immer erst einmal eingelassen hat, der kommt aus dem Kreis schwer nur heraus.

Änderung (Change) ist das Hauptziel der Gruppendynamik (Back 1974, 250).19) Allerdings läßt in dem Verlauf der Monate nach Beendigung des Trainings die Zufriedenheit nach. Unmittelbar nach dem Training stand das Verhältnis von hoher zu niedriger Bewertung 4,7 - 1, nach 6 Monaten betrug das entsprechende Verhältnis 2,3 - 1 (Liebermann, 239). Die Tests haben nun ergeben, daß die Veränderung vorwiegend das Selbstsystem der Teilnehmer betrifft. Das Selbstsystem ist permissiv geworden (240). Die Tests, die Liebermann u. a. durchgeführt haben, sind deshalb problematisch, weil sie in positiver Formulierung genau die Veränderung abfragen, die in der Sprache der Gruppendynamik als positiv beschrieben werden. Tatsächlich kreuzen die Teilnehmer die Statements mit besonderer Häufigkeit an, die gruppendynamische Erfolgserlebnisse beschreiben. Zugleich sind die Teilnehmer in der Wahrnehmung der anderen sehr kritisch geworden. Sie finden ihre Mitmenschen nach dem gruppendynamischen Training erheblich weniger rücksichtsvoll, weniger ehrlich, weniger nachgiebig, weniger verantwortungsvoll, unfähiger und weniger aktiv. Sich selbst sehen die Teilnehmer dagegen positiver. Sie halten sich für rücksichtsvoller, für nachgiebiger, und sie streben nun eine interpersonale Problemlösung an, halten sich für verständnisvoll und einfühlend und erwarten in signifikanter Unterscheidung von der Kontrollgruppe Hilfe von Autorität

 19) Wobei selten gesagt wird, wohin denn die Änderung gehen, wem sie nützen soll und wer für andere die richtigen Ziele einer Persönlichkeitsänderung wirklich weiß.

Sie meinen nun, spontaner zu handeln, eher Aktionen zu starten, Alternativen zu planen. Sie finden sich auch weniger humorvoll, entziehen sich Spannungen durch Flucht, fliehen und verleugnen häufiger. Das wichtigste Ergebnis ist aber, daß sich ihre Diskrepanz zum idealen Selbst erheblich verringert hat, während bei der Kontrollgruppe während des Befragungszeitraums der Abstand vom idealen Selbst geradezu dramatisch zugenommen hat. Das meint die Untersuchung mit der Feststellung, daß Gruppendynamik die Teilnehmer permissiver im Bezug auf sich selbst macht. Dieses Ergebnis ist problematisch, weil der Abstand zum idealen Selbst ja genau die ethische Differenz bezeichnet, die es uns möglich macht, an einen Menschen zu appellieren. Man appelliert an sein besseres Selbst. Auch er selber ist durch sein Gewissen an das ideale Selbst gebunden. Die Gruppendynamik verschafft in dieser Hinsicht dem Beteiligten eine erhebliche Entlastung. Bei den Teilnehmern der Gruppendynamik hat sich der Abstand zum idealen Selbst um 3,25 verringert, bei der Kontrollperson um 9,04 vergrößert. Die Zahlen beziehen sich auf die von Liebermann u. a. angewandten Meßverfahren.

3.6.3 Veränderung der gruppendynamisch Trainierten aus der Sicht Unbeteiligter

Diese positive Veränderung, von der die Teilnehmer an der Gruppendynamik Zeugnis geben, ist allerdings für ihre Umwelt kaum wahrnehmbar. Von ihrem sozialen Umfeld wurden 27 % der Teilnehmer nach dem Training als negativ verändert wahrgenommen. Es besteht also offensichtlich ein erheblicher Unterschied zwischen dem Gefühl der Teilnehmer, sich positiv verändert zu haben, und der Erfahrung, die die Mitmenschen mit diesen Veränderungen machen. Zundel (1973) hat in der Bundesrepublik eine vergleichbare Untersuchung in kleinem Rahmen vorgenommen. Ein Drittel der befragten Teilnehmer gruppendynamischer Seminare hat nicht geantwortet. Von denen, die geantwortet haben, würden 86 % wieder mitmachen, 83 % wollen, daß andere an solchen Seminaren teilnehmen. Auch bei dieser Teilnehmerschaft handelte es sich um Insider, nämlich um Sozialpädagogen aus dem Bereich der Bewährungshilfe.

Nach der Befragung von Zundel entdecken sich die Teilnehmer hochgradig verändert. Die Mitmenschen stellen das kaum fest (21). Die Mitmenschen fühlen sich nach dem Training von den Trainierten analysiert und bevormundet (24). Sie finden die Teilnehmer gruppendynamischer Trainings nach dem Training sehr depressiv, aggressiv und egozentrisch (25). Die Folgen gruppendynamischen Trainings liegen nach dieser Befragung mehr im privaten Bereich. Im beruflichen Bereich seien sie nicht so spürbar. Argyris (1970) hat die Folgen gruppendynamischen Trainings ähnlich kritisch beschrieben. Teilnehmer gruppendynamischer Veranstaltungen hören zu und analysieren die Gründe für das Verhalten anderer. Sie geben freimütig feedback, sind aber blind für die Wirkungen ihrer Aussagen und Handlungen. Sie fühlen sich zuständig, andere zu verändern. Außenstehende finden ihr Verhalten nicht förderlich (36).“

3.6.4 Unterschiedliche Wirkung der Gruppendynamik auf bestimmte Individuen und Gruppen

Gruppendynamik wirke unterschiedlich auf die Menschen. Eine Variable dieser Wirkung ist die Stellung in der Geschwisterreihe. Einzelkinder neigten zum konformistischen Anpassen an die Gruppe. Mittlere Geschwister aus heterosexuellen Geschwisterreihen tendierten dazu, sich in der Gruppendynamik aufzugeben. Kinder, die einen früheren Eltern- oder Elternteilverlust erlebt haben, verhielten sich eher widerspenstig und renitent (Langenmeyer 1976, 55).

 

Eine besondere Gefahr gruppendynamischer Trainings besteht für diejenigen, die sich nach der Trainingserfahrung nicht mitteilen können, also strafgefangene Patienten verschiedener Art, einsame Menschen, die alleine wohnen oder ohne sozialen Kontakt sind (Battegay 1975, 113). Diese Gefahr ergibt sich aus der Überstimuliertheit, die sich im Anschluß an gruppendynamische Trainings einstellt. Bekannt ist die Schlaflosigkeit, die Teilnehmer nach der Gruppendynamik befällt. Überstimulierte Menschen, die sich nicht mitteilen können, geraten nachts in furchtbare Ängste, weil sich durch den Schlaf die Realitätskontrolle lockert und die rettenden Bande des kontrollierenden Bewußtseins durch den Schlaf verloren geht. Battegay u. a. sprechen auch von der Entartung der Gruppe bei Hospitalisierten oder Gefangenen (1975, 113). Sie entwickeln einen Willen zur Macht. Innerhalb der Gefängnisse kann es zu einer Banden- oder Gangbildung im Strafvollzug kommen (113).

3.6.5 Psychische Gefährdung ohne nachfolgende Einzelanalyse durch einen Therapeuten

Nach Schindler (1972, 241) ist die körperliche Selbsterfahrung in Encounter ohne nachfolgende gründliche Analyse gefährlich. Schindler wendet sich daher mit Nachdruck gegen die holistische Therapie20), d.h. eine Therapie, die gleichzeitig den ganzen Menschen einer Veränderungsdynamik unterwirft. Aber jede Gruppendynamik ist - wie bereits dargestellt - in der Zielrichtung holistisch, d.h. ganzheitlich verändernd! Nach Schindler bestehen noch zwei weitere Gefahren; die Gefahr einer unendlichen Selbstanalyse und die Gefahr einer verstärkten Mutterfixierung (244). Däumling (1970, 8) meint, bei normaler psychischer Belastbarkeit sei keine Gesundheitsschädigung zu erwarten, wohl aber regelhaft vorübergehende Beunruhigung durch krisenhafte Erlebnisabläufe. Auch Däumling spricht von der Gefahr der Überempfindlichkeit, die wiederum von der Realität ablenkt. Solche Lernprozesse seien in der Gruppendynamik ‚unausweichlich’ (13). Das Problem besteht darin, daß die normale Belastbarkeit, von der Däumling spricht, durch den Trainer nicht feststellbar ist. Es gibt verschiedene Untersuchungen über den prognostischen Wert der Traineraussagen, was das Schicksal einzelner Teilnehmer im gruppendynamischen Prozeß betrifft. Die Prognosen der Trainer korrelieren nicht mit dem wirklichen Ablauf (Liebermann 1974, 242)...“21)

20) Mit holistischer, ganzheitlicher Therapie versuchen viele Behandler, auch ärztliche, für sich zu werben, verkennend, daß der Mensch nie einem anderen „ganz“ zugänglich ist, verkennend auch, daß solche Ganzheitlichkeit schlicht totalitär wäre.

21)  Mit den Prognosen tun sich alle „Psychis“ schwer. Vor vielen Jahren hat Ref. einen jungen Mann wegen Folgen von Drogenmißbrauch in ein psychiatrisches Krankenhaus eingewiesen. In dessen Entlassungsbericht hieß es: „Prognose infaust.“ Der inzwischen nicht mehr ganz junge Mann hat sich kürzlich in einem naturwissenschaftlichen Fach habilitiert.

(Auch hier gehen die Autoren in die Länge, geben Angaben der Dynamiker zweifelhaften Wertes wieder - gestrichen, weil Kürzungen à priori unabdingbar waren).

3.6.6 Die positiven Wirkungen der Gruppendynamik laut Werbeschriften der Gruppendynamiker

Die Gruppendynamiker äußern sich in ihren Werbeschriften ganz anders über die Folgen des gruppendynamischen Trainings: ‚Hemmungen, Ängste und Minderwertigkeitsgefühle sind abgebaut worden, und die Lern- und Kooperationsbereitschaft, die Sensibilität und die Ichstärke haben zugenommen’ (Rückert 1974, 181). Tatsächlich spiegelt sich ein solches Erlebnis auch in vielen Untersuchungen wieder. Bei Untersuchungen dieser Art werden den Teilnehmern Fragen vorgegeben, die ihnen in dieser gruppendynamischen Sprache solche Lernergebnisse soufflieren. Und tatsächlich kreuzten weit mehr als die Hälfte der Teilnehmer bei den gruppendynamisch formulierten Statements positiv an.

Damit ist aber das Problem der Geschädigten nicht vermindert. Ein Empörter (Schuller 1975), der aber selber Anhänger der gruppendynamischen Bewegung ist, schildert diese Befragung am Ende des Trainings als die peinlichste Situation des Trainingsverlaufs überhaupt. Bei der Befragung der Teilnehmer über den Erfolg des Seminars bemühen sich die Teilnehmer in den Kategorien Brochers die dort formulierten Lernziele der Gruppendynamik als ihre eigene Erfahrung zu reformulieren (339).

Viele Trainer differenzieren nicht zwischen Belastbarkeit und Betroffenheit (Schuller 1975,338). Das heißt eben, daß das, was die Trainer als ihren großen Triumph feiern, nämlich eine tiefgreifende Erschütterung des Persönlichkeitssystems und die Produktion eines nach dem Auftauen neuen, gruppendynamischen Verhaltens, in der Sprache bisheriger Ethik als Schädigung beschrieben werden kann. Die Maßstäbe dessen, was wir unter Humanität verstehen wollen, haben sich verschoben. So nennt Lüdemann (1971, 65) als Ergebnis der Gruppendynamik ‚kritische Loyalität’, und erläutert das mit dem, Satz  ‚alle sind verdächtig’. Nach Maillhiot (1968) durchläuft die gruppendynamische Veränderung drei Phasen:

1. Phase: Individualistische Selbstdarstellung

2. Phase: Identifizierung mit dem Gruppengeschehen

3. Phase: Integration in die Gruppe.

Dieses Ergebnis der Gruppendynamik ist vielfach beschrieben und belegt. Eigenwillige Personen werden in der Gruppendynamik isoliert (Lindner 1970, 348). Dieses Ergebnis der Gruppendynamik ist unter dem Titel 'Konformitätsdruck' bekannt. Göllner u.a. (1971, 12) haben im Test ermittelt, daß in der Gruppe der einzelne dieselbe Auffassung von sich hat, wie die Gruppe über ihn. Damit unterscheidet sich die dynamische Gruppe tiefgreifend von jeder anderen menschlichen Kommunikationssituation, die gerade ihren Reiz und ihre Besonderheit aus der Differenz zwischen Selbsteinschätzung und Fremdeinschätzung erhält. Die Gruppe harmonisiert das Selbstbild der Menschen mit dem Bild, das die Gruppe von ihm hat. Ein Ziel der Gruppendynamik ist es, sachlich orientierte und beschränkte Diskussionsverläufe so zu verändern, daß die Gefühle und subjektiven Beiträge der Teilnehmer Vorrang bekommen. So formuliert Dzick, daß durch den gruppendynamisch geregelten Mathematikunterricht insbesondere affektive Ziele des Mathematikunterrichts verwirklicht werden (Dzick 1975, 164), Dieses Ziel der Gruppendynamik wird tatsächlich erreicht. Ein Streben nach Sachlichkeit steht dem gruppendynamischen Prozeß diametral entgegen. Der gruppendynamisch erregte Teilnehmer unterläuft sachliche Diskussion durch Techniken der Intervention, um die Diskussion auf eine Gefühlsebene oder auf eine Metaebene zu schieben, auf der die kommunikativen Beziehungen diskutiert werden und nicht mehr die Sachen.

3.6.7  Beurteilung des gruppendynamischen Geschehens durch Betroffene

Bei der Beurteilung des gruppendynamischen Geschehens durch die Betroffenen tritt das merkwürdige Phänomen des Overkill auf. Ein Zeichen dafür ist der Bericht von Antons-Brandi (1973), die selber gruppendynamisch tätig ist. Sie berichtet von einem Seminar, bei dem ein Großteil der Teilnehmer irritiert und unzufrieden, unfähig zu affektiver wie intellektueller Bewertung, Bewältigung und Einordnung des Erlebten war, Sie traute allmählich keinem Gefühl und keiner Überlegung mehr. Noch nach einem Jahr konnte sie sich über Einzelheiten des Trainings sehr ereifern, ein Zeichen, daß der Berg der freigesetzten Emotionen nicht verarbeitet worden sei (39). Die Teilnehmerschaft kam ihr zunehmend dümmer, hilfloser, stärker ausgeliefert, ja neurotischer vor. Das Gefühl des Gequältseins und Versagens war dominant.

Dieses Ergebnis weicht von den ansonsten häufig begeisterten Reaktionen erheblich ab. Ein Teilnehmer der 26 war durch stationären Aufenthalt und Arbeitsunfähigkeit betroffen. Mehrere Teilnehmer hatten sichtlichen Schaden davongetragen. Dennoch bestand eine starke Tendenz zu unauffälligen und banalen Antworten. Die Bewertung der Befragung führt Antons-Brandi zu dem Ergebnis, daß in der Beantwortung zudeckende, beschönigende oder abwehrende Tendenzen vorrangig sind. Ein außenstehender Bewerter der Befragung kommt zum Ergebnis, daß die Teilnehmer krampfhaft nach irgend etwas Positivem gesucht haben, bloß um nicht zuzugeben, daß die ganze teure Sache sich nicht gelohnt hat (49).Das Moment des Overkill kommt insofern ins Spiel, als auch die Geschädigten dazu tendieren, in einer stetigen Reflexion die Schuld bei sich selbst zu suchen.

So werden gerade die negativen Erfahrungen des Trainings in positive umgelogen. Die Maßstäbe für Negativ und Positiv haben sich eben verschoben.22) Gescheit ist der kritische Einwand von Antons-Brandi gegen das Argument der Verfechter der Gruppendynamik, daß die,  die infolge gruppendynamischen Trainings erkranken, sowieso psychisch labil waren. Sie kehrt diese Frage um mit dem Einwand, daß die, die eine Besserung bei sich festzustellen glauben, auch ohne gruppendynamische Erfahrung eine Besserung bei sich festgestellt hätten (51)...

22) vgl. die Intentionen Chisholms, Sullivans etc. Fn 7

3.6.8 Training als Bekehrungserlebnis, das Wiederholung und Verbreitung fordert

Eine weitere stets zu beobachtende Folge gruppendynamischen Trainings ist das Bekehrungserlebnis. Die Teilnehmer streben erneut in gruppendynamische Sessionen, und sie möchten ihre Umwelt in gruppendynamische Milieus führen. Gruppendynamik ist eine Forschungsreise in die unbewußte Motivation und weckt deshalb intensive Bedürfnisse nach mehr und schärferer Dosierung (Schindler 1970, 262). ‚Jeder, der von eigenen Gruppenerfahrungen, gleichgültig welcher Art, begeistert ist, will selbst ähnliches unbedingt in Gang setzen’ (Brocher 1971, 12).

Die zuvor in 8 Punkten beschriebenen Folgen gruppendynamischen Trainings lassen sich auf einer abstrakteren Stufe zusammengefaßt noch einmal so formulieren:  Die Gruppendynamik ist gefährlich und kann bei einem erheblichen Anteil der Teilnehmer zu schweren Schädigungen führen. Die Teilnehmer gruppendynamischer Prozesse fühlen sich selbst hochgradig verändert. Ihr Selbstsystem ist permissiver, sie sehen ihre Umwelt kritischer. Die Umwelt nimmt sie nicht in dem Maße verändert wahr, wie sie sich selber, aber ein erheblicher Prozentsatz empfindet die Teilnehmer nach der Gruppendynamik negativ verändert.  Der gruppendynamische Prozeß verändert das Verhalten der Betroffenen in Richtung auf ein gruppenkonformes neues kommunikatives Verhalten, genannt kritische Loyalität. Die Ich-Grenzen sind durchlässig geworden und der Ich-Kern verflüssigt, so daß mit weniger Verläßlichkeit und Konstanz gerechnet werden muß.

Die gruppendynamisch Veränderten wechseln von der Ebene der sachlichen Auseinandersetzung auf die Metaebenen der Kommunikationen und Interaktionen. Das ist insbesondere in Situationen, in denen im beruflichen Feld die Unterscheidung von Thema und Beitrag geleistet werden muß (Lühmann 1971), von Nachteil. Der durch Gruppendynamik veränderte Mensch möchte von der Gruppe seiner Mitarbeiter als Mensch angenommen werden, das kann sich auf die Arbeitsleistung positiv und negativ auswirken. Die Gruppendynamik vermittelt ein Bekehrungserlebnis und setzt die Teilnehmer in die zwanghaft erlebte Situation, erneut in gruppendynamische Sitzungen zurückzukehren und andere für die Bewegung der Gruppendynamik zu gewinnen, sowie das eigene Umfeld durch gruppendynamische Praktiken zu verändern.

3.6.9   Kann man sich den Folgen der Gruppendynamik entziehen?

Für Teilnehmer, die den von uns dargestellten Folgen der Gruppendynamik ausweichen möchten, aber gegen ihren Willen durch Zwang in gruppendynamische Situationen manövriert worden sind, z.B. innerhalb der betrieblichen Ausbildung bei der Post, bei der Bundeswehr oder in kirchlichen Institutionen sowie in der Schule, gibt es einen Tip für Subversion: Paarbildung (Ricciardi 1973, 245). Bei konsequenter und absolut verläßlicher Paarbildung können zwei Teilnehmer einen gruppendynamischen Prozeß möglicherweise ohne tiefgreifende Folgen überstehen (es geht mitunter sogar ohne Paarbildung - s. redaktioneller Vorspann).

3.7 Gruppendynamik und Kulturrevolution

3.7.1 Der Gesichtspunkt Gruppendynamik und Kulturrevolution ist nicht von außen an das Phänomen herangetragen, sondern den Gruppendynamikern vertraut. Häufig findet man Morenos Kennzeichnung der Gruppendynamik als 'größte Revolution des 20. Jahrhunderts' zustimmend zitiert. Da es sich nicht um eine militärische oder politische Revolution im engeren Sinne handelt, kann nur eine Kulturrevolution gemeint sein. Bei Moreno selbst heißt es: ‚Das soziometrische Proletariat kann nicht durch ökonomische Revolution allein gerettet werden’ (Moreno 1949, 12). Moreno hat damit in hellsichtiger Weise die neomarxistische Theorie von der psychischen Verelendung, die in der Motivation für Revolution an die Stelle der ökonomischen Verelendung des Proletariats getreten sei, vorweggenommen. Wenn heute in neomarxistischer Theorie die psychischen Faktoren in den Vordergrund treten, spielt die Mobilisierung der psychisch Verelendeten in der Gruppendynamik eine entscheidende Rolle.

Moreno bemerkt ganz richtig, daß eine ökonomische Revolution im Sinne des Marxismus die Probleme der Verelendung und der Entfremdung nicht lösen kann. Auch im verwirklichten Sozialismus geht es um das Programm eines neuen Menschen. Die Gruppendynamik bietet hier ihre Techniken an: ‚ein neuer Menschentyp geht aus diesen Gruppen hervor, für den personale Werte wenig bedeuten’ (Ruitenbeek 1974).

Bemerkungen, die in diese Richtung gehen, werden von Gruppendynamikern häufig gemacht: In der Gruppendynamik gelingt es ‚an herrschenden Vorstellungen und Vorstellungen der Herrschenden zu rütteln’ (Hopf 1975, 141). Portele (1975) sieht gar in einer gruppendynamischen Gesellschaft die utopische Forderung des jungen Marx verwirklicht, daß Spiel und Arbeit für diese Menschen nicht mehr zu unterscheiden sind. In den gruppendynamischen Laboratorien werden Herrschaftssysteme jeglicher Art in Frage gestellt. Gruppendynamik sei daher ganz unabhängig von der politischen Zielsetzung der Veranstalter und Teilnehmer emanzipatorisch (Vogel u.a. 1976). Mahler (1976, 45) berichtet, wie an der Gesamthochschule Kassel die Gruppendynamik eingeordnet ist in eine linke Mobilisierung. Die gruppendynamische Regression kann gezielt eingesetzt werden. So zogen z.B. bei einem gruppendynamischen Zusammensein die Gruppen singend umher und intonierten Sätze der politischen Ökonomie von Karl Marx im Stil gregorianischer Gesänge. Das ist nun keineswegs lächerlich, sondern wer sich etwas auskennt in den Möglichkeiten intensiven menschlichen Lernens, wird darüber nicht lächeln.

Nach Schlegel erlebt man in der Gruppendynamik den Sozialismus: das Wunder des Gleichseins (Schlegel 1975, 23). Dieses Gleichsein bezieht sich nun nicht auf ein wirkliches Gleichsein der Menschen in einem quantitativen Sinn. Gleich sind sie allein im Blick auf die Gruppe und die Ansprüche der Gruppe an sie. In dieser gleichen Stellung aller zur Gruppe sind durchaus sozialistische Momente enthalten. Man kann die Gruppendynamik geradezu als so etwas wie Exerzitien des Sozialismus interpretieren.

3.7.2 Die Suggestion der Gruppendynamik

Bei den Spielen besteht das eigentümlich Suggestive der Gruppendynamik darin, daß keiner sich entziehen darf. Für die Dynamisierten selbst gibt es kein Zurück. Ihre Beurteilungskompetenz hat sich während des Trainings verändert. Sie halten nach dem Training genau das für wünschenswert, worauf hin ihr Verhalten trainiert worden ist. Es müßte irgendeine Überprüfung an der Realität geben, ob für die Betroffenen diese Veränderung wünschenswert war oder nicht. Diese Überprüfung kann nicht darin bestehen, daß man prüft, ob sie ihre beruflichen Aufgaben und ihr  privates Leben besser meistern, denn sie haben ihrem Leben eine neue Richtung und einen neuen Sinn gegeben: eben jene missionarische Aufgabe der weltweiten Verbreitung der Gruppendynamik. Moreno, der Erfinder der Gruppendynamik, hat sie bekanntlich nicht nur als Revolution, sondern auch als neue Weltreligion propagiert (Fn 13). Eine nüchterne Betrachtung der Gruppendynamik genügt deshalb nicht.

Es ist etwas Besonderes mit den Menschen in der Gruppendynamik geschehen, das ein Außenstehender nicht beurteilen und nachvollziehen kann. Sie sind auf eine andere Art "Menschen" als normale Menschen. Sie sind Vorboten eines Sozialismus des Leidens und damit Zukünftige, Menschen eines vergesellschafteten Systems, in dem die Ressource, die noch umverteilt wird, das psychische Elend ist. Eine pragmatische Begründung der Gruppendynamik erscheint uns daher unmöglich. Auch die Hineinnahme einiger gruppendynamischer Techniken im Sinne einer ‚guten Gruppendynamik’  ist nicht pragmatisch zu rechtfertigen, sondern nur prinzipiell durch die Bejahung jenes neuen Leitbildes des Menschen.

3.7.3 Ein neues Leitbild des Menschen

Die Grundforderungen der antiautoritär-emanzipatorischen Bewegung sind erst im gruppendynamischen Geschehen wirklich einlösbar (Fritz 1974). Die Autoritätsstrukturen sollen durch eine neue Machtverteilung ersetzt werden; jeder Einzelne soll zur wirksamen Intervention im Prozeß befähigt werden; er soll Kommunikationen auf ihren ideologischen Hintergrund hin durchschauen23), d.h.... als Verdrängungsversuch erkennen; er soll das Denken in Alternativen bis in die Grundüberzeugungen seiner Existenz und seiner Lebensführung hinein verwirklichen.

23)  was natürlich ein billiger Köder ist. Die solches „Durchschauen“ versprechen, versuchen damit just ihre eigene Ideologie an Mann und Frau zu bringen.

 Er soll die allgemeinen Interessen seinen privaten Interessen überordnen24); er soll Konflikte erkennen und austragen; er soll glücklich sein und anderen Glück ermöglichen; er soll Normensysteme abbauen und evolutionieren; er soll sich mit den Schwachen und Unterprivilegierten solidarisieren. Insbesondere das letzte Ziel wird nur in der Gruppendynamik wirklich erreicht, weil dort das Bekenntnis, schwach und unterprivilegiert zu sein, eine herausragende Machtposition verschafft. Das Ergebnis der gruppendynamischen Veränderung ist aber auch aus der Sicht der Neuen Linken zweideutig. Pagès (1971) hebt nach der Auswertung seiner Erfahrungen mit der Encounter-Bewegung in Bethel (USA) den zwanghaften Charakter der gruppendynamischen Befreiung hervor. Die Menschen sind nicht mehr frei, die alten Tabus nicht zu brechen! (115) Es herrscht ein wohlwollender Despotismus, wie Schafe werden die Teilnehmer von einer Übung zur anderen geführt. Der Theorieverlust ist vollständig. Es ist ein Gewinn an Kooperation und ein Verlust an Tiefe zu bemerken; Pagès selbst fühlt sich als Max akzeptiert, nicht als Repräsentant seiner Kultur (124). Dieser letzte Gedanke ist sehr wichtig, weil er zeigt, daß tatsächlich weltintegrative Kräfte in der Gruppendynamik wirksam sind. Pagès selber versucht, eine tatsächlich putschistische und politisch folgenreiche Form der Gruppendynamik zu finden (1974).

24)   Wem dröhnt da die Losung aller (nationalen wie internationalen) Sozialismen nicht in den Ohren?

3.7.4 Neue Formen menschlichen Zusammenlebens (Pagès)

Die Gruppendynamik widersetzt sich allen bekannten Organisationsformen; das Anliegen der Gruppe ist libidinös-sexuell und politisch-ökonomisch-kulturell (108). Den putschistischen Impetus dynamisierter Gruppen kann man am besten durch non-verbalen Tanz fördern (112). In den Gruppenphantasien, wenn sie nur unlizensiert und zugleich gut geführt werden, entsteht eine paranoide Situation (112). ‚Es ist eine Geschichte voller Getöse und Raserei, durchsetzt von Mordplänen, selbstmörderischen Phantasien, Gefühlen des Verlassenseins und der Verzweiflung... Der Terror ist andererseits in der Phantasie heftiger als die Paranoia. Er besteht in unbewußten Todesängsten und –wünschen, verzweifelter Verneinung der Lebensgefahr, während sich die generalisierte Paranoia einem eher abgeklärten und heiteren Bewußtsein des Todes nähert’ (114).

Pagès nennt Gruppendynamik ‚Psycho-Sozio-Politik’, Strategie zur Freisetzung des latenten und unterdrückten sozialen Chaos, als eine notwendige Etappe der sozialen Neuorganisation. ‚Der Linksradikalismus scheint mir eine vermittelnde Phase zwischen dem Terror und der generalisierten Paranoia darzustellen’ (115). Zwischen den Unterdrückten sollen transversale, egalitäre und schließlich universale Kommunikationen hergestellt werden. Genau das sind die Ziele der Gruppedynamik. Mit Hilfe der Gruppendynamik könne der Linksradikalismus Destruktion als eine Phase des Veränderungsgeschehens akzeptieren. Diese Destruktion hat eben terroristischen, paranoiden Charakter. ‚Der linke Terror hat sehr viele reale Objekte; die soziale Repression ist kein Mythos, und der Linksradikalismus ist eine zugleich libidinöse und soziale Bewegung der Veränderung dieser Realität’ (116).

‚Linksradikalismus ist eine unvollständige generalisierte Paranoia, ein schüchterner Ansatz des sozialen Chaos, der wegen der sozialen Repression und wegen seiner eigenen Abwehrreaktionen vorzeitig scheitert’ (116). Pagès kommt daher zur Überzeugung, daß ohne die Regression in gruppendynamischen Verläufen der linke Terror keine Fortschritte machen wird. Pagès selber ist nun kein Außenseiter, sondern einer der wahrscheinlich gescheitesten Gruppendynamiker überhaupt. Er ist auch kein Verrückter, denn er hebt ausdrücklich hervor, daß die Aufrechterhaltung eines gewissen analytischen Drucks auf die Gruppen und damit eine gewisse repressive Sozialisation des Unbewußten notwendig ist (124). 

Das kulturrevolutionäre Moment in der Gruppendynamik ist also die Regression. Negative, primitive Gefühle werden in Gruppen honoriert. Sie seien daher utopisch, weil sie gegen dominierende Kulturmuster gerichtet seien (Eckensberger 1971, 323). Wenn die gruppendynamische Bewegung unmittelbar in die große Politik eingreift, wird es zu außergewöhnlichen Prozessen kommen.25)

25) Redensarten wie die der vier vorstehenden Absätze, in denen die Autoren ja weithin Originalton wiedergeben, wurden bei den notwendigen Kürzungen vorrangig gestrichen. Diese aber blieben stehen, um das in der Gruppendynamik, wenn nicht der ganzen Psychotherapie so verbreitete hochtrabende, vielfach absurde, oft direkt den Terror „rechtfertigende“ Geschwätz ihrer Anhänger vor Augen zu führen.

 

3.7.5 Beispiele für die Bedeutung gruppendynamischer Praxis im Weltmaßstab

 

Eckensberger (1971) berichtet von einem gruppendynamischen Prozeß in der internationalen Politik. Sechs Vertreter, jeweils aus Somalia, Äthiopien und Kenia fanden sich beim Zusammentreffen, bei dem es über Grenzzwischenfälle gehen sollte, in einer gruppendynamischen Sitzung vor. Der Pioniercharakter dieses Versuches wird hervorgehoben. Es wird bewundert, daß der Sprung von der Sterilität internationaler Konferenzen zur gelockerten Atmosphäre der T-Gruppe gelungen sei. Nationen und Regierungen sollen eine ähnliche Entwicklung vollziehen. Die eindrucksvollsten Dokumente zu diesem Machtergreifungsprozeß der Gruppendynamik im Weltmaßstab hat Beyerhaus (1973) am Beispiel des Weltkirchenrats vorgelegt.

Auch Brocher formuliert den totalitären Anspruch der Gruppendynamik, wenn er sagt, alle Verantwortlichen, die Einfluß auf die zukünftige Gesellschaft haben werden, sollen 'Trainer' sein (1973, 265). Die Regression gehört zwingend zum gruppendynamischen Verlauf, aber es ist die Frage, wie der Mensch aus dieser Regression im Urschlamm und Fruchtwasser (Schwärzel 1971) zurückkehrt. Auf Seiten der Linken fürchtet man, daß diese Regression der Menschen in der Gruppe als partikularer Befriedigungsversuch, als Rückzug in Ersatzbefriedigungen, als Realitätsflucht in narzißtische Regressionen, als privatistische Kompensationsversuche, als zwanghafte Konsumorientierung, als verstärktes Konsumentenverhalten, - nun im Konsum psychischen Elends und frühkindlicher Erregungszustände - letztlich das revolutionäre Bewußtsein lähmt und der kapitalistischen Ausbeutung zugute kommt (Schwärzel 1974, 33). Schwärzel dagegen sucht nach einem Einbringen dieser Regressionen in revolutionäre, linke Praxis. Die Frage ist, ob dieser Beurteilung eine richtige Einschätzung des Kapitalismus zugrundelegt. Will er tatsächlich diese regressiven Kinder in Urschlamm und Fruchtwasser? ...

3.7.6 Das Christentum als Adressat der kulturrevolutionären Gruppendynamik

Wenn die gruppendynamische Bewegung eine Kulturrevolution bewirkt, ist der eigentliche Adressat dieser Bewegung das Christentum. Tatsächlich ist in der gruppendynamischen Literatur auf breitester Basis belegt, daß die Gruppendynamik eine neue Religion ist. Es stellt sich dabei eine besondere Nähe zur indischen Religiosität, vor allem zur Zen-Meditation heraus. ‚Religiöse Kontexte im Sinne traditioneller Konfessionen spielten keine Rolle’ (Däumling 1976, 164/5). Die Formen indischer Religiosität kommen in das gruppendynamische Design hinein mit dem Ziel des Abkühlens hoch kochender Emotionen (185). Gruppendynamik ist also eine Religion, die mit dem konfessionellen Charakter des Christentums nichts zu tun hat.

Es ist auffällig, in welch großem Umfang sich die ,neue Heilslehre' Gruppendynamik (Willeke 1975) bestimmter Elemente bedient, die uns aus dem Leben der Kirche als Trägerin einer zweitausendjährigen christlich-abendländischen Tradition bekannt sind. In säkularisierter Form lassen sich in gruppendynamischen Verfahren Motive wie öffentliches Schuldbekenntnis, Buße, Sündenvergebung, Fürsprache, Wechselgespräche, Meditation, Exerzitien, gesammeltes Schweigen, rhythmisches Sprechen, gemeinsames Handeln (Beten, Singen, Opfern) u. v. a. m. wiederfinden. Ähnlich wie in der traditionellen christlichen Liturgie alle Sinne des Menschen angesprochen werden, sucht die Gruppendynamik mittels mannigfacher Methoden den Menschen in seiner Totalität in den gruppendynamischen Prozeß einzubeziehen. Aus diesen gemeinsamen bzw. ähnlichen Elementen der gruppendynamischen und der christlichen Kultpraxis den Schluß der Gleichheit beider ziehen zu wollen, verbietet sich aber, weil die Zielsetzung völlig gegensätzlich ist. Der Versuch, Christentum und Gruppendynamik zu versöhnen bzw. gar ineinander aufzuheben, muß deshalb als ein Widerspruch in sich selbst zurückgewiesen werden.

Die folgenden Abschnitte werden diesen Widerspruch beispielhaft belegen: Die gruppendynamisch Erregten machen zur Beschreibung des Erlebten häufig in blasphemischer Weise von der Sprache der Religion Gebrauch. Die Teilnehmer sprechen oft über ihre Erfahrungen in spirituellen, mystischen und kosmologischen Ausdrücken. Besonders in späteren Phasen können Gemeinschaftsaktivitäten eine sakramentale Qualität erhalten (Gibb 1973, 310).

Manche haben von der Kraft des Heiligen Geistes in der Gemeinschaft gesprochen und von einem spirituellen Ereignis. Eine gefühlte Transzendenz kann geäußert werden als ein Einssein, ein Wissen, daß wir alle miteinander zusammenhängen, ich mit dir und sie mit uns. Einer sagte,’ich wurde an diesem Wochenende geboren’ (312). Im Blick auf christliche Sexualethik wird dieses Ereignis deshalb etwas makaber, weil Gibb darauf hinweist, daß diese Erlebnisse besonders häufig dann auftreten, wenn es zu körperlichen Beziehungen zwischen Personen gleichen Geschlechtes kommt. Teilnehmer scheinen offensichtlich den Heiligen Geist zu verwechseln mit dem in dem gruppendynamischen Spiel vorgesehenen regressiven, homosexuellen Kontakt.

Häufig assoziieren gruppendynamische Teilnehmer aus christlichem Milieu die Gruppensituation mit ‚Jüngstem Gericht’. ‚Wir veranstalteten Jogaatemübungen, saßen zu zweit Rücken an Rücken gelehnt und sprachen nur über unsere augenblicklichen Gefühle, das Hier und Jetzt, das für die Gestaltleute so überaus wichtig ist. Wir schauten einander lange in die Augen, was oft unbehaglich war, dann liefen wir mit geschlossenen Augen schweigend umher und kamen in körperliche Berührung, drückten einander die Hände, umarmten einander, küßten einander, was immer uns einfiel zu tun. Nach diesem Erlebnis fragte Sylvia (die Gruppenleiterin): ‚Will jemand sein Erlebnis mit uns teilen?’ ... Bis Sonntag Abend hatte Sylvia einen jeden unter die Lupe genommen... 'Fred, komm in die Mitte des Zimmers', sagte Sylvia. Ich stand auf und trat unter den ermutigenden Blicken der Gruppenteilnehmer, die ich nunmehr gut kannte, ohne viel Schüchternheit nach vorn. Ich freute mich tatsächlich auf ein Erlebnis, dem ich noch vor zwei Tagen mit Grausen entgegengesehen hätte. ... Die Kamera richtete sich auf mich’ (Thimm 1973, 310).

Was hier inszeniert wird, ist tatsächlich Jüngstes Gericht. Pagès sagte aber zu solchen Phänomenen: Der Staff ist schützender Gott und zerstörerischer Teufel zur gleichen Zeit (Pagès 1971, 117). Zu diesem religiösen Milieu kommt es, weil der Trainer als eine totale Macht von den Teilnehmern empfunden wird. Nach Sandner (1975, 11) hat der Trainer die Teilnehmer in jeder Hinsicht zu nähren, gegen den Feind innen und außen zu führen, den Rückzug zu leiten. Und er ist der Messias, der alles in der Gruppe zum Guten wendet.

Es gehört zum Initiationsritus jeder Gruppe, daß jeder Teilnehmer sich einmal ,bekennt'. Solange einer der Teilnehmer sich noch nicht bekannt hat, zählt er noch nicht ganz zur Gruppe und wird manchmal recht massiv bedrängt. Wenn alle sich bekannt haben, entwickelt sich eine Atmosphäre intimer Solidarität (Schlegel 1975, 20).

Dieser Bekenntnisdruck hängt mit den beiden Forderungen ‚Aufrichtigkeit’ und ‚Echtheit’ zusammen. In der Gruppe bezeichnet Aufrichtigkeit einen Menschen, der sich selbst und anderen zu sagen wagt, was er denkt und fühlt. Echtheit bezieht sich auf das Verhalten: Echt verhält sich, wer sich momentan oder gewohnheitsmäßig so gibt, wie ihm zu Mute ist (Schlegel 1975, 19). Bei einer solchen Definition erwünschten Verhaltens muß man sich tatsächlich die technisch gemeinte Frage stellen, was aufrichtiger und echter ist: auf einen anderen Teilnehmer mit dem Schaumgummischläger einzuschlagen oder in einer verbalen Aktion zu dem Teilnehmer zu sagen, jetzt möchte ich Ihnen eine reinhauen (Schlegel 1975, 19)...

3.7.7 Gruppendynamik statt "fester Theologie"

Die sachlichen, dogmatischen, theoretischen Fragen eines konfessionell gerichteten religiösen Lebens können in der gruppendynamischen Situation nicht angesprochen werden, denn der Inhalt ist der aktuellen Beziehungsstruktur anzupassen (Leber 1975, 139). Das wird an einem Seminar mit Theologiestudenten deutlich...  die Teilnahme war nicht freiwillig. Nach dem Seminar wollten Hausleiter und Professoren auch für sich eine regelmäßige Wiederholung. Sie wollten vom Rationalisieren loskommen. Das Seminar war gegen die Scham, sich zu entbergen, gerichtet (1972. 317), insbesondere aber gegen ‚feste Theologie’.

3.7.8 Gruppendynamik und Religionsunterricht

Besonders problematisch ist die Ausrichtung des Religionsunterrichtes an der Gruppendynamik. Dabei sind die Grenzen von Rollenspielen und gruppendynamischen Übungen fließend. Es ist daher bedenklich, wenn der Religionsunterricht so weitgehend sich als ein rollenspielendes Verfahren versteht, wie das heute der Fall ist, Thema Sündenbock. Thema Versöhnung. Thema Heiliger Geist - das alles wird auf einer Ebene abgehandelt. Es ist alles Rollenspiel (Frör 1972). In einer Rezension zu dieser Problematik meint Wamser (1976. 68), daß bei Rollenspielen die Gefahr besteht, daß der Lehrer oder Trainer unbewußte gruppendynamische Arrangements vornimmt und damit die gefährliche Komponente der Identitätsverwirrung der Beteiligten ins Spiel kommt. Insbesondere aufdeckende Spiele sind sehr gefährlich. Es muß deshalb streng der Unterschied von Rollenspiel und Kindertheater gewahrt bleiben...“

3.7.9 Gruppendynamik als moderne Praxis christlicher Nächstenliebe

Es werde auch behauptet, „daß die Gruppendynamik die endlich entdeckte Praxis christlicher Nächstenliebe sei. Man meint damit aber nicht die Handlungen der Einzelnen und der Gruppen, sondern die Verhaltensänderung, die durch das Training bewirkt werde.“ Jemanden solche Trainings zu ermöglichen, sei „die wahrhafte christliche Nächstenliebe.“

In einer von einem führenden gruppendynamischen Theologen trainierten Gruppe geschah es, daß sich die Angreifer bis zu einer ausgesprochen sadistischen (verbalen) Orgie steigerten, „in welcher das ‚Opfer’ regelrecht abgeschlachtet wurde. Ein Teilnehmer stellte fest, er komme sich vor wie jener Mann, der auf dem Wege von Jerusalem nach Jericho unter die Räuber gefallen war. Antwort eines Mitklienten:.. Wir schlagen Wunden, aber wir verbinden sie auch’ (Stollberg 1972. 60).

Der barmherzige Samariter soll quasi zuvor der Räuber gewesen sein, der seine Verbrechen deshalb beging und „begeht, um sich nachher als helfender Liebender hervorzutun. Die zweite Anspielung ‚Opfer’ ist ebenso gefährlich, es soll wohl assoziiert werden, es sei christlich, daß ein Mensch zum Opfer gemacht wird, damit andere ihre psychischen Probleme ausagieren können. Und dem Geopferten soll wohl nahegelegt werden, daß er solche Opfer bringen muß, um die von der Gruppe abgelehnten Persönlichkeitsstrukturen verändern zu können....“

3.7.10 Die gegenseitige Annahme

der Gruppenmitglieder

Christlich verstehe sich öfters auch das Argument, es nähmen sich in  der Gruppendynamik die Gruppenmitglieder untereinander so an, wie sie sich von Jesus Christus angenommen wissen (Dahm, 1974, 47). Annahme gäbe es  in der Gruppendynamik aber keineswegs zu allen Zeitpunkten. Sie ist kein verläßlicher Zustand, sondern eher eine Phase, nämlich die Euphoriephase des gruppendynamischen Prozesses. Es gäbe aber auch gruppendynamische Trainings, in denen die Teilnehmer einander nicht angenommen haben, sondern nur in anderer Form ablehnen. Es sei zudem „eine totalitäre Forderung, wenn man an alle Gruppenmitglieder die Zumutung richtet, jedermann anzunehmen. Der Prozeß in der Gruppe ist dynamisch, d.h. auch eine Annahme des Menschen, so wie er nun gerade erscheint, als vollendetes Wesen, ist nur ein übergängiges Moment im Geschehen. Das Ziel der Gruppendynamik ist ja gerade die Verhaltensänderung. Die Annahme ist nur ein Teil dieses dynamischen Prozesses von Change und ändere sich damit selbst quasi notwendig. Außerdem stehe die Annahme in der Gruppe unter Bedingungen. Nur der wird angenommen, der sich in der gruppendynamisch richtigen Form verhält. Ein Mensch, der seine sexuellen und existentiellen Probleme in der dort richtigen Form, also mit leiser Stimme und einer affektgeladenen Sprache äußert und damit die Gruppe als richtende Instanz über sich anerkannt hat, kann tatsächlich Annahme empfinden. Theologisch Assoziierende behaupten daher, das ist die moderne Form der Beicht- und Sündenvergebung (Stollberg, 90),“ eine kurz geratende freilich..

3.7.11 Gruppendynamik als Christusnachfolge

Ein wesentlich verschärftes Argument lautet, daß die Gruppendynamik Christusnachfolge ist.“ Sie sei „die Fortsetzung der Menschwerdung Christi durch uns (Stollberg, 186, f.).“ Kreuzigung und Auferstehung würden in der Gruppe erlebt. „Ein neues Leben als dynamisierter, sensibilisierter Mensch, das sei die Fortsetzung der Menschwerdung Christi durch uns26)...

26)  Vielfach ist es schlichte Sophistik, die christliche Vorlagen schamlos benützt, um das Gegenteil davon anzubinden.

Dieses ungenaue Denken der theologischen Befürworter der Gruppendynamik ist nicht zufällig, sondern hängt mit der (hier) gerade erwünschten Überschwemmung des abstrakten und logischen Denkens durch Emotionen und Assoziationen zusammen... Angesichts des wirklichen Leidens der Menschen und auch der Christen für ihren Glauben ist es aber fragwürdig, ob es sinnvoll ist, sich in einer gruppendynamischen Wahnwelt zu quälen und sich gleichsam als Jesus Christus zu fühlen... Menschen, die sich beruflich und lebensgeschichtlich dem Christentum zugehörig fühlen, versuchen das, was sie in der Gruppendynamik erlebt haben, als besonders christlich darzustellen. Dieses Bedürfnis haben sie wegen des totalen Anspruchs und Erlebnisses, das sie in der Gruppendynamik suchen und finden. Dennoch sind diese Assoziationen willkürlich... Der Boden des Christentums ist wohl verlassen, wenn man behauptet, die gruppendynamische Gruppe sei Jesus Christus, wie er heute erscheint...

3.7.12 Gruppendynamik als Vorbereitung zur Erfahrung des Heiligen Geistes

Gruppendynamik innerhalb des Christentums wird auch damit gerechtfertigt, daß gruppendynamische Sensibilisierung eine Vorbereitung zur Erfahrung des Heiligen Geistes sei. Die Vorbereitung zur Verehrung Gottes findet nicht mehr im Gebet, im Alleinsein, in der Versenkung, in der Meditation und im gemeinsamen Gebet und Gesang statt, sondern in den erregenden Momenten der IchVeränderung in der Gruppe...“ Ist aber „diese erregende Dramatisierung des eigenen Gefühls (wirklich) eine günstige Voraussetzung der Gotteserfahrung?... Es ist weiterhin zu fragen, ob die in der Theorie der Gruppendynamik deutlich gemachte Mutterfixierung der gruppendynamisch Erregten zur christlichen Religion gehört. Das Christentum ist keine Mutterreligion, zu der ein diffuses ozeanisches Sehnen ins Absolute gehört. Bei themenzentrierter Gruppendynamik in religiöser Absicht wird die Behauptung formuliert, die Teilnehmer hätten unter der Wirkung des Heiligen Geistes im Glossolalieren einzelner ein Pfingsterlebnis gehabt. Stollberg bemüht sich. das christliche Verständnis von Wahrheit so umzuformulieren, daß man unter Wahrheit den Konsens einer dynamischen Gruppe versteht. Dann läßt der Satz. ‚Gott ist die Wahrheit’ sich eben in den Satz ‚wir erleben in der Gruppe einen euphorischen Konsens’ umformulieren.

3.7.13  Kulturrevolutionäre Bedeutung der Gruppendynamik für die Zukunft des Christentums

Die kulturrevolutionäre Bedeutung der Gruppendynamik für die Zukunft des Christentums besteht u.a. darin, daß ... (dabei) tatsächlich ein neuer Mensch sozialisiert wird. Es ist ein Gruppenmensch, ein homo communicativus, der für die meisten Begriffe christlicher Religionsauslegung nicht mehr erreichbar ist. Denn die bisherige Sicht des Menschen im Christentum war ausgerichtet auf den einzelnen Menschen. auf die Person. Selbstverständlich gehört zum Christentum die Gemeinschaft der Gläubigen. Und die Vergemeinschaftung ist eine Aufgabe des christlichen Menschen. Aber die Integrität der Person und die stabilen Ich-Grenzen des Einzelnen wurden auch bei der Vergemeinschaftung bisher vorausgesetzt.27

27) Nachtrag (2003): „Die gruppendynamische Bewegung hat inzwischen die Lufthoheit über Lehrstühlen, Kirchenschiffen und Kniebänken erobert, hat die kirchliche Landschaft vollständig verändert, die theologische Fachsprache psychologisiert, die Seele der Seelsorger der Psyche der Psychologen angepaßt, die Seelsorgepraxis zum Psycho-Service entkernt. Der Pfarrer ist inzwischen wie der Arzt Seelsorge-Team-Leiter. Mitglieder der Frauen- und Männerorden weisen sich nicht mehr durch ihre Ordenzugehörigkeit (SJ, OSB oder OFM) aus, sondern ihre „höheren Weihen“ durch Gruppendynamik nach, beispielsweise

P.H. Kügler, Pastoralpsychologe,‚therapeutischer’ Berater, Seelsorger und ‚Supervisor’ oder P.B. Dickerhoff, Dipl.-Math. et Inf., Dipl.-Theol., Jesuit, ‚Trainer für Gruppendynamik und S.’,  DAGG, Exerzitienbegleiter (S. meint ‚Supervision’). Das Unterscheidende wird der Gruppendynamik, der DAGG bzw. DGSv (den ‚Fachgesellschaften’) verdankt.Die Katholische Akademie für Jugendfragen, Düsseldorf, getragen vom Deutschen Caritasverband und dem BdKJ, dem Dachverband der katholischen Jugendverbände, hat sich zur Kaderschmiede für gruppendynamische Trainer und Supervisoren gewandelt. Mit 200 Fachleuten für Psychotechnik und Persönlichkeitsveränderung trainiert die KAJ Jugendliche, Angestellte in kirchlichen und sozialen Diensten usf. Die große Erzdiözese München-Freising beauftragt mit der Frauenbildung/-seelsorge 2003 nicht Priester-Seelsorger (die es kaum noch gibt), sondern Psycho-Hostessen. 90 Veranstaltungen der Frauenseelsorge werden von fachlich ausgewiesenen Psychologinnen und Therapeutinnen, Psychotherapeutinen und Pyscho-Synthese-Trainerinnen, Supervisorinnen, EPL- und NLP-Masterinnen geleitet. Die Bildungsangebote (Kurse) beinhalten u.a. Meditation, Körper- und Traumarbeit, Phantasiereise, Friedens- und Kräutertanz, ‚zarte und wilde Tänze’, Qi-Gong-Übung ‚zur ganzheitlichen Stärkung von Körper und Seele’, Bibliodrama, um Verfestigtes zu lockern und Veränderungen zu ermöglichen, Tiefenentspannung, Atem- und Yoga-Übung, Enneagramm-Arbeit zur inneren Heilung, Eutonie-Psychoimagination usw., das komplette ‚New-Age’-Programm quasi.

 

3.8   Das Programm homo communicativus und die Gruppendynamik

3.8.1  Gruppendynamik, so die Autoren, sei wesentlichster Bestandteil des kulturrevolutionären Programms, einen neuen Menschen, den homo communicativus, hervorzubringen. Die beste theoretische Begründung dieses Programms erzieherischer Gruppen habe Jürgen Habermas vorgelegt, obwohl er die Gruppendynamik gar nicht direkt ansprach. Er entwickelte seine Theorie der Gruppe zu einem Zeitpunkt, als sich die gruppendynamische Bewegung noch in ersten Ansätzen befand.

Er ging davon aus, „daß in diesen Gruppen eine rationale, sachbezogene, am Richtigkeits- und Wahrheitsideal orientierte, philosophisch strenge Diskussion stattfindet. Diese Diskussion sollte gebunden sein an kompetentes Sprechen, d.h. an bestimmte Regeln im Umgang mit den Sprechakten. Insofern die Gruppendynamik gegen den Intellektualisierer als einen Feind vorgeht,“ sei sie dem Programm von Habermas klar entgegengesetzt. Dennoch sei auch bei ihm die Position der Gruppendynamik faßbar, an der Stelle nämlich, an der er auftretende Konflikte auf Kommunikationsstörungen zurückführt. Die Kommunikationsstörungen, die in der Alltagssprache und den eingespielten Sprachspielen und Rollen nicht mehr gelöst werden können, ... sind nur dann lösbar, wenn die Lebensgeschichte der Einzelnen in der Gruppe abgearbeitet wird. Solche lebensgeschichtlich verankerten Störungen des Konsens sollen in der Gruppe diskutierend in die Kategorien der Gattungsgeschichte übersetzt werden. Mit dieser Forderung ist sogleich die Forderung nach Gruppendynamik gestellt. Kommunikative Kompetenz ist nun definierbar in der Sprache der Gruppendynamik. Genau das geschieht, nachdem in einer ersten Phase die Habermas'sche Kommunikationsphilosophie in allen Bildungsbereichen unserer Gesellschaft angeeignet worden ist. Praktikabel wurde diese Forderung des Trainings kommunikativer Kompetenz erst durch die Einführung gruppendynamischer Trainingselemente.“ Habermas, der jüngste der Gründungsväter des Neomarxismus, „hat diesen Entwurf nun nicht kurzatmig pragmatisch gerechtfertigt,“ sondern hat ihn als kulturrevolutionären Programmpunkt substantiell entscheidend ausgebaut.

3.8.2  Er „systematisiert die bisherige Menschheitsgeschichte, indem er sie an einer Kategorie mißt. Sie lautet "Reziprozität" in Anlehnung an Piaget (Fn 5). Dieser hat „in der Entwicklungspsychologie die moralische und intellektuelle Entwicklung des Menschen vom Kleinkind bis zum Erwachsenen mit der Kategorie der Reziprozität gemessen. Es ist eine Entwicklung von vollständiger Selbstbezogenheit über unvollständige zur vollständigen Reziprozität.“ Sie stelle das „erstrebte endgültige Stadium der Menschheitsgeschichte dar und bedeute „eine neue Universalmoral. Diese neue Universalmoral, nach der Habermas sucht, läßt sich in einem Satz formulieren: Sei jederzeit mit jedem zum Rollentausch bereit. Es ist deutlich, daß so die utopischen Hoffnungen des Marxismus einlösbar werden. Es kommt zur Aufhebung der Entfremdung des Menschen vom Menschen, weil keine in sich gefestigte entfremdende Individualität vorliegt, sondern alles sind nur Angebote im Rollenspiel, und jeder, der eine Rolle spielt, ist bereit, das Regelbewußtsein, nach dem er handelt, mit mindestens einem anderen vollständig austauschbar zu halten. In dieser Forderung von Habermas ist die Kategorie der Individualität hinfällig geworden. Habermas verwendet daher auch stets den Begriff des vergesellschafteten Individuums. Die Unterschiede der Rassen, die Unterschiede sozialer Schichtung, die Unterschiede der Völker, die Unterschiede von arm und reich, die Unterschiede von Mann und Frau, die Unterschiede von Führungskraft und Mitarbeiter, die Unterschiede von Schüler und Lehrer, von Eltern und Kindern, von Priester und Laie, fallen im Prinzip hinweg, wenn die neue Universalmoral in Geltung tritt. Damit verlasse die sozialistische Idee den Bereich der Utopie und werde realer als irgendwo oder -wie sonst Wirklichkeit.

3.8.3  „Tatsächlich ist die Bundesrepublik bereits jetzt ein einziges großes Laboratorium, in dem ständig in einer unendlichen Folge von Rollenspielen an der Verwirklichung dieses Sozialismus gearbeitet wird. Viele von denen, die sich daran beteiligen, haben überhaupt kein kulturrevolutionäres Bewußtsein. Sie glauben nur, daß sie eine Methode anwenden, die üblich und modern ist. Man kann sich heute z B. der religiösen Erziehung jederzeit entziehen, aber wenn christliche Eltern ihr Kind dem Rollentraining in einem bestimmten Unterrichtsfach entziehen wollen, gefährden sie bereits die Schullaufbahn ihrer Kinder“. Lehrer verwiesen auf die ungeklärte schulrechtliche Situation, die sich ergäbe, wenn Kinder sich dem Rollenspiel und der Gruppendynamik verweigern.

„Diese Problematik ist keineswegs nebensächlicher Natur, denn immer mehr Richtlinien, Unterrichtsmaterialien und pädagogische Empfehlungen enthalten die Forderung, im Unterricht durch Rollenspiele die Identität der Kinder zu verflüssigen. Der Übergang vom Rollenspiel zur Gruppendynamik aber ist fließend, denn sobald nach einem psychodramatisch abgelaufenen Rollenspiel der Lehrer-Trainer-Seelsorger(-Arzt) die Frage an die Gruppe stellt, ‚wie habt ihr das empfunden’, ‚wie hat das auf Euch gewirkt’, ‚sagt unbefangen Eure Gefühle und Assoziationen’, befindet sich die Gruppe bereits auf einer intensiven Stufe ihrer Dynamisierung...

Die gruppendynamische Bewegung befindet sich im Augenblick (1977) in der Phase ihrer expansiven euphorischen Verbreitung. Wir schätzen, daß sie ... ihren expansiven Charakter verlieren und dazu übergehen wird, ihre dann wahrscheinlich nach Millionen zählende Klientel zu versorgen... Diese Subkulturen riesigen Ausmaßes bilden einen Stoff für Veränderungen jeder Art... Die dynamisierten Menschen, die nicht mehr die Kraft haben, sich mit irgend etwas zu identifizieren,“ seien bedroht, Opfer jeder beliebigen Krise zu werden“, beliebiger Rattenfänger. „Die Frage bleibt,“ so schließen die Autoren, „ob das Christentum noch einmal die kulturschöpferische Kraft haben wird, den Menschen in unserer Gegenwart eine realistische Lebensbewältigung in Freiheit zu ermöglichen.“


 

3.9 Nachwort  (Januar 2003)

Ich bin der Walter-von-Baeyer-Gesellschaft für Ethik in der Psychiatrie e.V. (GEP) sehr dankbar, daß sie unseren Beitrag zur Gruppendynamik nach 25 Jahren aus den Kellergewölben des Deutschen Instituts für Bildung und Wissen (DIBW) noch einmal ans Tageslicht bringt. Was als Warnung vor undifferenzierter Anwendung der Gruppendynamik im katholischen Bereich, vor Unterwanderung der Kirche durch die gruppendynamische Bewegung, vor der Rezeption der Tiefenpsychologie in Theologie und Pastoralpsychologie gedacht war, ungehört aber in den „heiligen Hallen“ verhallte, ist heute – ein Vierteljahrhundert später – eher noch aktueller geworden, bedroht über die Weltkirche hinaus alle Menschen. Durch die notwendig gewordene Raffung, aber auch manche Ergänzungen des Textes aus der fachärztlichen Erfahrung des GEP-Vorsitzenden Dr. Weinberger könnte die hohe Aktualität der seinerzeitigen Ausführungen für die Allgemeinheit noch spürbarer geworden sein. Freud, der Blender, überall, als trojanisches Pferd auch in der „Stadt Gottes“.  – Herr, bleibe bei uns...   Rudolf Willeke

 

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Dieter Sandner, Die analytische Theorie der Gruppe W.R. Bion, G.u.G. 1975/1

Pio Sbandi, Gruppenpsychologie - Einführung in die Wirklichkeit der Gruppendynamik aus sozial-pädagogischer Sicht, München 1973

Raoul Schindler, Drei-Tage-Training Albach, G.u.G. 1970/2

Walter Schindler, Gefahrenmomente in gruppenanalytischer Theorie und Technik, G.u.G. 1972/3

W. Schindler, Gruppenanalytische Psychotherapie und das Selbst, G.u.G.1975/3

Leonhard Schlegel, Aspekte sogenannter analytischer Gruppentherapie, G.u.G. 1975/1

Wolfgang Schmidbauer, Sensitivitätstraining und analytische Gruppendynamik, München 1973

W. Schmidbauer, Emanzipation in der Gruppe, München 1974

Meinolf Schönke, Psychodrama in Schule und Hochschule -eine empirische Untersuchung, GD. 1975/2

Alexander Schuller, Das Legitimationsproblem in der Gruppendynamik GD. 1975/5

Wiltrud SchwärzeI, Nicht-verbale Interaktionstrainings - Ein neuer Markt für Symptomverwerter, GD. 1974/1

Seelsorge und Gruppendynamik: Sonderheft von "Wissenschaft und Praxis in Kirche und Gesellschaft, 1970/9

Werner Seifert, Gruppendynamik - Veränderung durch Selbsterfahrung, Köln 1975

Arne Sjolund, Gruppenpsychologie für Erzieher, Lehrer und Gruppenleiter Heidelberg 1974

H. Steinkamp, Gruppendynamik und Demokratisierung, Mainz 1973

Axel Svensson, Die Marathon-Methoden nach Bach und Stoller, GD. 1972/4

Marion Ruth Thimm, Zur Encounterbewegung in den USA, G.u.G. 1973/3

Dieter Ulich, Gruppendynamik in der Schulklasse, 2.Aufl. München 1971

Vogel u.a., Reflektierte und unreflektierte Gruppenarbeit, G.u.G. 1976/1

Manfred Wamser, Rezension, G.D. 1976/1

Else Worms, Die spielende Klasse, Wuppertal 1976

R. Willeke, Gruppendynamik - Aktivierende Methode in der Wirtschaftserziehung? In "Katholische Bildung" 11 u. 12/1976 Rudolf Wimmer, Gruppendynamik und politische Bildung - Bedingungen einer sinnvollen Synthese, GD.1974/6

Rudi Wormser, Frederic S. Perls, Gestalttherapie in Aktion, GD. 1976/3 R

R. Wormser, Rezension, GD. 1976/3

Edith Zundel, Lerneffekte in gruppendynamischen Trainings, G.U.G. 1973/1

Eine Antwort auf gruppendynamische und emanzipatorische Erziehungskonzepte findet sich in: H. Günther, C.u.R. Willeke, Grundlegung einer bejahenden Erziehung: Affirmative Didaktik, München 1977


 

4. Woher das alles?

4.1  Die horrenden Projekte der Washington School of Psychiatry, wie sie ihr Exponent General G. Brock Chisholm M.D. 1945, kurz nach Ende des 2. Weltkrieges, in mehreren Vorlesungen im Auditorium des US-Innenministeriums entwickelt hat – gewiß nicht er allein aus sich heraus -, haben wir mehrmals schon vorgestellt. „Die Uminterpretation und letzlich Ausmerzung des Konzepts von Richtig und Falsch“ nannte er als „letzte Ziele praktisch aller effektiven Psychotherapie“, „die Entwurzelung und Vernichtung des Baums der Erkenntnis von Gut und Böse“ dazu (RB 1/96 bis 2/02). Zu erinnern ist auch an die Resonanz auf die Rede (RB 2/00, K.3.5). Unter anderen pflichtete der Staatssekretär des US-Innenministeriums, The Honorable Abe Fortas, “General Chisholms bedeutsamen Ausführungen” bei. “Drastische Anpassungen der menschlichen Persönlichkeit” seien “überlebensnotwendig”, „die verfehlten alten Weisen unserer Vorfahren“ dazu zu verlassen, „die Rolle des Psychiaters“ im übrigen nicht länger mehr „die eines Heilers“. „Die größere Aufgabe für ihn“ sei, utopisch genug, „die Ursachen von Angst, Vorurteil und üblen Leidenschaften ... auszuschalten...“ (vgl. RB 2/02 oder unsere Site, „Mahnung aus Rußland“). Ähnlich verbreiteten sich andere hohe Herren. Und der Psychiater-Psychotherapeut Dr. Harry Stack Sullivan, der Kopf der neoanalytischen Schule,28)

28) Die Mental-Health-Bewegung der 20er Jahre von Clifford Beers, vor allem aber Erich Fromm und seine Marxismus und Psychoanalyse amalgamierenden Kollegen vom emigrierten Frankfurter Sozialforschungsinstitut spielten herein.

proklamierte darauf (in  Psychiatry 1947, Seite 239ff.) eine

Weitere Mobilisierung für dauernden Frieden und sozialen Fortschritt.

Der Ruf nach weltweiter Mobilisierung der Psychiatrie, der in General Chisholms bei der William-Alanson-White-Gedächtnisvorlesung impliziert war (s.o.), wird jetzt explizit gemacht, offen umgesetzt.

Außerordentlich Wichtiges haben wir zu tun, etwas, das wir nicht an ein Komitee delegieren ... können. Sinnvolles müssen wir tun, jeder einzelne von uns... Um so viel Wissen wie nur möglich, das Psychiatern, Sozialpsychologen, Psychologen, Soziologen, Kulturanthropologen, politischen Wissenschaftlern und anderen Studenten interpersoneller Beziehungen oder ausgewählter Aspekte davon zur Verfügung steht, zu mobilisieren und um interdisziplinäre Zusammenarbeit mit dem Ziel zu befördern, dieses Wissen zu vervollkommnen und zu koordinieren in weltweitem Bemühen, das zu bestimmen, was wir jetzt als hilfreich erkennen zur Formierung einer Politik, die anhaltenden Frieden und sozialen Fortschritt in aller Welt voranbringt, wird vorgeschlagen, daß so viele dieser Leute, wie nur irgend möglich, sofort in ein gemeinsames Unternehmen zusammengebracht werden und ein praktisch nützliches Ergebnis des Unternehmens in jeder nur möglichen Weise gesichert wird.

Alle so organisierten lokalen Gruppen haben designierte Repräsentanten zu einem überörtlichen Verbindungskomitee zu entsenden und überörtliche Verbindungskomitees für die verschiedenen Disziplinen haben in einzelnen regionalen Komitees repräsentiert zu sein, die per definitionem von allem Anfang an in ihrer Zusammensetzung effektiv interdisziplinär sein müssen. Es wird erwartet, daß die lokalen Gruppen mehr oder minder kontinuierlich arbeiten und daß die überörtlichen Komitees häufig zusammenkommen. Dringend wünschenswert ist zudem, daß die überörtlichen Komitees Vollzeit-Bürokräfte unterhalten, die in der Lage sind, alle Angelegenheiten, die ihnen zu Gehör kommen, zu bewältigen oder korrekt weiterzuleiten...“

4.2 Beinhalteten Chisholms Worte bereits das Konzept einer Kulturrevolution wahrlich 68er Zuschnitts, so die Ausführungen seines Kollegen Sullivan den kompletten Satz administrativer Mittel, die es zu ihrer Umsetzung braucht, die Einrichtung  diverser Institutionen und Komitees, im wesentlichen  psychiatrisch-psychologischer Dienste, deren „interdisziplinäre“ Team-Glieder, gegenseitig sich kontrollierend und damit selbst leicht kontrollierbar (Fn 15), die gewünschten Beratungs-, Kontroll- und Spitzel-Funktionen zu erbringen haben. Auch ist bei den Urhebern der Sozialpsychiatrie bereits diese so öd bürokratische wie  vollmundig-heilverkündende, immer aber aufs Höchste alarmierende Generals-Kommando-Sprache der „Reform-Psychiatrie“, die heute fast alle Fach-Kongresse durchwaltet und diese vielen Kollegen unerträglich macht. Bezüglich der politischen Anbindung und Führung des Unternehmens war Sullivan explizit genug. Er sagte im gleichen Atemzug:

Just zu der Zeit, da diese Ausführungen Sie erreichen, werden sechs Staaten, Mitglieder der Vereinten Nationen, und sechs andere, ihre Mitgliedschaft in der Welt-Gesundheitsorganisation unterzeichnet haben...“ und teilte weiter mit, daß „General Chisholm nunmehr Direktor der Interimskommission der WHO“ geworden sei, ihr erster Spitzenvertreter also. Hoch angesiedelt war und ist der Plan einer „Uminterpretation und Ausmerzung des Konzepts von Richtig und Falsch, der Entwurzelung und Vernichtung ... der Erkenntnis von Gut und Böse“, höher geht’s kaum. Dem also sollten, sollen die zusammengetrommelten „Psychis“ dienen. Und damit da ja keine Unklarheit bliebe, setzte der Psycho-Experte hinzu: „... Ich denke, es ist nicht länger klug oder zweckdienlich, zu reden, zu denken, es könnten die dem Lebensalter nach erwachsenen Menschen hier oder sonst wo bezüglich dessen, was wahrhaft lebenswichtig für sie ist, mehrheitlich gut genug informiert werden. Wir müssen klar zur Kenntnis nehmen, daß universelle Lesefertigkeit wie auch völlige ‚Informationsfreiheit’ allein noch keine Lösung für irgend eines der bedrängenden Probleme der Zeit bieten...“ (Fn 7). Der "Hochachtung" des Herren für die Gänsefüßchen-Informationsfreiheit entsprechend, haben Psycho-Dienste also, die sich ihm zufolge offensichtlich besser noch als Redaktionsstuben zur „Täuschung“ eignen (Fn 11), den Menschen, Völkern bezüglich dessen, „was wahrhaft lebenswichtig für sie ist“, das „richtige“ Denken und Fühlen, die „richtigen“ Ansichten und Neigungen einzureiben – auf daß die Damen und Herren Regierenden geruhsamer, spaßiger zu regieren vermöchten - jenseits von Gut und Böse, von Richtig und Falsch. War das 1945 der Sieg der „Demokratie“ über die Diktatur – im Westen, so war er im Osten bekanntlich noch etwas drastischer.

4.3  Aus der großen jetzt aber wieder in die kleine Welt. Ende Januar hörte der Verfasser dieser Zeilen in München im Gesprächskreis um Regine und Caspar von Schrenck-Notzing einen Vortrag von Christa Meves, die ja im konservativen Lager für Famlienangelegenheiten zur Zeit quasi Höchstinstanz ist. Sehr eindrücklich sprach sie, goß Balsam auf viele rot-grün geschundene Seelen, rügte gehörig SPD-Politiker und linke Massenmedien  und erhielt zwischendurch und erst recht am Schluß lang anhaltenden Beifall. Echt Konservative sind es, die bei den von Schrenck-Notzings zusammenkommen. In der Diskussion wurde Meves in ihrem Lob der deutschen „Südländer“ etwas gedämpft dahin gehend , daß die für Familie, Gesundheit oder Soziales zuständigen Politiker in Bayern etwa einen so viel weniger linken Kurs auch nicht steuerten als anderswo. Der gröbste Sand, den Meves ihrem Publikum über die Jahrzehnte in die Augen streut, störte aber, obwohl in der Diskussion angesprochen, auch hier nicht, die Tatsache etwa, daß die analytische Psychotherapeutin als Präventions- und Heilmittel für die beklagten Übel immer wieder ihre Disziplin anpreist, just die, die von Freud, Reich, Fromm an bis zu Sullivan und Chisholm und weit über sie hinaus die Theorien und "Experten" zur Überwindung der Familie hervorbringt, auf die sich unsere roten wie schwarzen Machthaber in Bund und Ländern stützen.

Die Vorgänge in Bund und Bayern nahmen das Auditorium ganz in Anspruch. Dem Umstand, daß die beklagten Übel keineswegs auf Deutschland begrenzt sind, sie vielmehr in allen westlichen Ländern Platz gegriffen haben, die „re-education“ von ihren Psycho-Urhebern explizit für alle Völker vorgesehen wurde,  und die Drahtzieher dafür entsprechend auf übergeordneten Ebenen zu suchen sind, dem wollte das Publikum größere Aufmerksamkeit nicht schenken. Es ereiferte sich lieber über den Generalsekretär der SPD Scholz, der die „Lufthoheit über den Kinderbetten erobern“ will (weg eben „von den verfehlten alten Weisen unserer Vorfahren“ –  K. 4.1), und ließ sich von  Meves als Erfolgsrezept dagegen Hillary Rodham Clinton andienen, die just das Gleiche will (vgl. ihr Buch: It Takes a Village to Raise a Child). Wie kaum eine andere vermochte Meves den einstigen Widerstand der Kirche gegen Freud (K.1.3) aufzulösen. Auch Herr von Schrenck-Notzing, der die Politisierung der Psychoanalyse, ihren Einsatz just zur Umerziehung und Schleifung der Familie in seiner CHARAKTERWÄSCHE (Langen-Müller, 1981) breit dargestellt hat, bedachte die feinen Fehlweisungen Meves' mit viel Beifall. Offensichtlich ist im Land niemand leichter zu täuschen als unsere Konservativen. Oder es täuschen auch hier nach den Regeln der Kunst von Machiavelli bis Lewin (Fn 11) die Oberen die Unteren mit.

 4.4  So lief’s und läuft’s in München. Daß aber an Chisholm und Co., an dem expliziten Plan einer Umkehrung der menschlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse „von Adam und Eva an“ ein halbes Jahrhundert lang überhaupt niemand Anstoß genommen hat, die Medien, ja auch die Kirchen stille schwiegen, ist doch über alle Maßen seltsam. Per Zufall nur und auf einen Tip von (ausgerechnet!) Scientology stießen wir als Psychiater auf die Ungeheuerlichkeit des Plans, der da in unserem Fachbereich ausgeheckt worden ist, unmittelbar nachdem sich hier auf politische Veranlassung hin gerade der gräßlichste Massenmord zugetragen hatte.

Selbst aber, als wir vor - jetzt auch schon - sechs Jahren auf die kulturumkehrenden, die Schöpfungsgeschichte aufhebenden Pläne der US-„Experten“ hinwiesen, fanden das weder irgendwelche Gelehrte noch die Kirchen noch die meisten der kirchlich sich Engagierenden (Fn6) eines Brauehebens wert. Bei ihrem Widerstand gegen Abtreibung mucken vatikanische Vertreter gegen UN-Politik des öfteren auf. Was aber die geistige Dimension des Menschen betrifft, die sie auch interessieren könnte, vielleicht gar vorrangig interessieren sollte, passen sie. Ist, was in Washington zum „ewigen Frieden“ bereitet wurde – gerade wird dort zu neuem Krieg gerüstet – nicht das Gleiche, was seit Rousseau immer wieder so großmaulig einherstolziert wie es in Jammer endet, die gering nur variierte, meist dürftig kaschierte Weise totalitärer Menschenverplanung? Wird dazu das Christenvolk jetzt von seinen „Hirten“ den „Wölfen“, vielfach als Blender, Betrüger ausgewiesenen Psycho-„Seelenkundigen“ ausgeliefert (Fn 5)?

Wahrscheinlich waren die Chisholms, Sullivans etc. gar nicht die wirklichen Urheber der globalen Umerziehung, waren eher vorgeschobene Figuren höherer Planer der Größenordnung Rockefeller und Co. (vgl. „Unser Plan für die Welt“, RB 4/99, K.11). Hier gedanklich anzusetzen und die Spuren weiter zu verfolgen, wäre für Konservative und andere wahrscheinlich lohender, als Wahlsiege der SPD zu beklagen oder die der Union zu bejubeln. Wo freilich bleibt überhaupt noch anzusetzen, wenn selbst die katholische Kirche die Segel streicht? Dennoch: Einige wenige könnten genügen... (K.1.4)

 

5.   Nervenärztliches und sonst noch Mitspielendes

Der vorliegende Rundbrief war redaktionell schon abgeschlossen, als im Fachjournal neuro-date aktuell (nda) 1/03 das Schreiben eines im hohen Norden der Republik ansässigen Nervenarztes (Dr. Hamann, Plön) erschien, adressiert primär an „seine“ Berufsvertretung, den Berufsverband deutscher Nervenärzte / Psychiater / Neurologen (BVDN) und an dessen Organ Neurotransmitter, dort freilich nicht abgedruckt. Wir nehmen es noch mit in den Rundbrief auf  (Hervorhebungen durch uns), weil sich an ihm schön aufzeigen läßt, wie sich „Psycho“, von R. Willeke et al. für den kirchlichen und pädagogischen Bereich dargelegt, im primär damit befaßten, primär dafür verantwortlichen ärztlichen Feld präsentiert. Wie wir bei der Diskussion der katholischen Psycho-Verwicklungen in kirchliche Interna hineinleuchten mußten, so jetzt in die (nerven-) ärztliche Berufspolitik. Zur Erklärung kann nun auch das im vorherigen Kapitel Besprochene mit herangezogen werden. Hamann beanstandet in unten stehendem Brief, was nicht nur das Organ „seiner“ Berufsvertretung, BVDN, sondern die gesamte Ärztevertretung, darüber hinaus die Politiker, die allgemeinen wie die ärztlichen Medien, ja die gesamte „politisch-publizistische Klasse“ hochloben. Meinungsdifferenzen sind zwischen Ärzten nichts Ungewöhnliches. So abgründige, wie hier aufscheinend, sind freilich nicht alltäglich. Sie kommen an das heran, was uns seit über 25 Jahren vom „mainstream“ trennt. (Das Web-Site Programm erfordert, die im Original des gedruckten Rundbriefs 1/03 neben einander stehenden Aussagen Hamann / Weinberger hier nach einander zu setzen).

Sehr geehrte Damen und Herren,

Sie haben sich in den letzten Heften des Neurotransmitters wiederholt mit der sog. Soziotherapie beschäftigt, teilweise sogar geradezu enthusiastisch. Ihr Optimismus findet seinen Grund offenbar vorwiegend in den neuen Positionsnummern 830 und 831 der Gebührenordnung.

Ich kann Ihre freudige Stimmung in dieser Hinsicht gar nicht teilen, sehe die "Soziotherapie" ganz im Gegenteil als eine Art trojanisches Pferd an, mit dessen Hilfe der von Ärzten ausgeübten Psychiatrie endgültig der Todesstoß versetzt werden wird.

Vorweg gesagt, halte ich die "Soziotherapie" insgesamt für überflüssig, weil es mittlerweile ein derart aufgeblähtes Angebot an sozialtherapeutischen Angeboten gibt, dass jeder psychisch gestörte Patient auch jetzt schon von unterschiedlichsten Einrichtungen, Vereinen, sozial psychiatrischen Betreuungsdiensten, Betreuern etc. vereinnahmt wird. Der Führer mit den Adressen für die diversen sozialpsychiatrischen Dienste hier im relativ kleinen Kreis Plön hat mittlerweile das Format des Telephonbuches einer Großstadt. Dabei wird das hiesige Gebiet von den "aufsuchenden" Diensten geradezu systematisch nach potentiell zu Betreuenden durchkämmt. Es gelingt also heute schon praktisch keinem ruhebedürftgen Exzentriker mehr, diesen philantropischen Helfern zu entkommen.

Das eigentliche Ziel der "Soziotherapie" ist es natürlich auch nicht, die seelische Gesundheit der Bevölkerung auf ungeahnte und nie gekannte Höhen zu bringen. Es geht auch hier wieder leider nur um Geld, in diesem Falle sogar um relativ viel Geld. Wenn einem Patienten innerhalb von drei Jahren 120 Stunden "Soziotherapie" zu einem Stundensatz von nur 30.- Euro verschrieben werden können, sind das allein 3600,- Euro. Dazu kommen dann noch die Wegegelder u.ä. 

Es geht auch hier wieder leider nur um Geld, in diesem Falle sogar um relativ viel Geld. Wenn einem Patienten innerhalb von drei Jahren 120 Stunden "Soziotherapie" zu einem Stundensatz von nur 30.- Euro verschrieben werden können, sind das allein 3600,- Euro. Dazu kommen dann noch die Wegegelder u.ä.  Aufs Jahr gerechnet sind 1200,- Euro eine ganz erkleckliche Summe, vor allem, wenn man bedenkt, dass der behandelnde Nervenarzt in derselben Zeit, egal wie ausgedehnt sein zeitlicher Einsatz ist, und einmal ganz abgesehen von seiner Vorbildung, allenfalls 200,- bis maximal 300,- Euro für die Behandlung desselben Patienten bekommt. Schon bei dieser kleinen Rechnung ist klar zu erkennen, wer der eigentliche Profiteur dieser „Therapie“ ist. Die Positionsnummern 830 und 831 sind also allenfalls Köder, mit denen die Nervenärzte ins Netz der "Soziotherapie" gelockt werden sollen.

Der entscheidende und für die Psychiater bzw. Nervenärzte auf Dauer letale Faktor bei der Soziotherapie liegt aber darin, dass für diese im Kern sinnlose Maßnahme als Kostenträger die Krankenkassen herhalten sollen. Bei den heutigen budgetierten Zeiten heisst das, dass durch einen weiteren fachfremden Leistungserbringer ein neues riesiges finanzielles Loch bei den Krankenkassen gerissen wird mit entsprechendem zusätzlichem Punktwertverfall. Mit Hilfe der "Soziotherapie" schaffen sich die nicht-ärztlichen Sozialarbeiter und verwandte Berufsgruppen erstmals aber auch ein Einfallstor bei den Kassen, das zu weiteren Plünderungen und Beutezügen genutzt werden wird bei gleichzeitigem Abbau des Einflusses der Ärzte.

Bereits jetzt zapfen die sozialpsychiatrischen Dienste und entsprechende Einrichtungen die unterschiedlichsten Kostenträger an, oft, wenn nicht in der Mehrzahl der Fälle, für denselben Patienten zur gleichen Zeit: für das betreute Wohnen zahlt das Sozialamt (Miete und Verpflegung darin müssen vom Betreuten zusätzlich selbst aufgebracht werden), für den Arbeitsbereich sind das Sozialamt oder das Arbeitsamt zuständig, während eines Klinik- oder Tagesklinikaufenthaltes (möglichst in einem Haus, das vom seinen Betreibern wie die betreute Wohneinrichtung unterhalten wird incl. Klinikambulanz für die Weiterbetreuung) ist die Krankenkasse zuständig, natürlich bei Fortzahlung der Kosten für halb- oder vollstationäre Unterbringung und Beschäftigungs- bzw. Arbeitsbereich. Für Arbeitsbereich und Wohnung im Heim sind zusätzlich die Rentenversicherungen mit im Boot. Für gesetzliche Betreuungen zahlen die Gerichtskassen, für den sog. telephonischen Krisendienst die Landesregierung und der Kreis etc.. Ein Spendenkonto existiert selbstverständlich auch.

Mittlerweile sind mischkonzernartig aufgebaute, privatwirtschaftlich geführte Einrichtungen entstanden, aus Steuerersparnisgründen als eingetragener Verein firmierend, die die verschiedenen Kostenträger in einem Patienten zusammenführen und dadurch eine maximale Gewinnabschöpfung erzielen, ohne dass die einzelnen Kostenträger ausreichend voneinander wissen. Durch die enormen Gewinne, die durch dieses System möglich sind, breiten sich diese Vereinigungen auch räumlich und mit rasant steigendem Immobilien- besitz schnell aus. Da parallel dazu auch das Personal großzügig aufgestockt wird, vergrößert sich entsprechend die Lobby dieser Vereine bei Landesregierungen und Kreis- bzw. Stadtverwaltungen, demnächst dann auch bei den Krankenkassen.

Mir ist klar, dass diese Einrichtungen schon zum jetzigen Zeitpunkt allein durch ihre finanzielle Potenz und die Zahl ihrer Angestellten eine Macht besitzen, die durch die dagegen winzige Gruppe der Ärzte bzw. Psychiater/Nervenärzte in ihrem Expansionsbestreben nicht mehr aufzuhalten sind. Es bleibt für mein Gefühl nur abzuwarten, bis das maßlose System durch seine überzogenen finanziellen Wünsche und seine Ineffizienz wegen Unbezahlbarkeit kollabiert und auf das reduziert wird, was es allenfalls leisten kann: betreute Wohneinrichtungen und angeschlossene Arbeitsbereiche zu betreiben, und zwar mit einer kombinierten pauschalen Vergütung durch einen einzigen Kostenträger, der dann auch einen Überblick über die tatsächlich erbrachten Leistungen und deren Wert hat.

Kurz gesagt, sollten wir Ärzte uns nicht zum Geldbeschaffer dieser Einrichtungen instrumentieren lassen, auch wenn mit den Positionsnummern 830 und 831 gelockt wird. Auf Dauer graben wir uns mit der Verordnung von "Soziotherapie" nur unser eigenes Grab. Und den Patienten entgeht durch die Verweigerung von "Soziotherapie" sowieso nichts.

Leider wird in den Kliniken vermehrt und unkritisch auf die Notwendigkeit von "Soziotherpie" den Patienten und Angehörigen gegenüber hingewiesen, nach meinem Eindruck aus Unwissenheit über die bereits jetzt ausgeuferten ambulanten Versorgungsstrukturen. Ein weiterer Grund mag in der Lobbyistentätigkeit der psychosozialen Verbände in den Kliniken liegen: bei Besuchen gerade stationär behandelter Heimbewohner ergeben sich naturgemäß intensive Gespräche mit den Ärzten, die dann in entsprechende Empfehlungen an die Patienten münden, ohne dass die Klinikkollegen die Tragweite und den tatsächlichen Hintergrund dieser Ratschläge überblicken.

Mittlerweile spüre ich in meiner Praxis einen verstärkten Druck der Einrichtungen, doch endlich "Soziotherapie" zu verordnen, wobei dieser Wunsch auch von den Patienten auf Veranlassung der Verbände an mich herangetragen wird. Ich habe mich dem bisher auch dadurch entziehen können, weil noch vollkommen unklar ist, wer nun eigentlich diese obskure Maßnahme durchführen darf. Es kam letztlich aber die erste Patientin in ihrem Auto vorgefahren und verlangte ultimativ die Ausstellung einer Verordnung "Soziotherapie". Als ich ihr erklärte, dass sie nach der maßgeblichen GAF-Skala (Global Assessment of Functioning ) kein Fall dafür sei, verlangte sie Kopien ihrer Arztbriefe, weil sie nun einen anderen Kollegen aufsuchen wolle. Diese Dame hatte einige Wochen vorher ihr Haus in eigener Regie verkauft und sich auch ganz selbständig eine Eigentumswohnung zugelegt. Ihr war auch von einem wohlmeinenden Verein intensiv der Anspruch auf "Soziotherapie" nahegelegt worden. Schon bei diesem Fall wird klar, was mit der "Soziotherapie" auf uns zukommt. Nach dem Verständnis der Vereine ist bei Berücksichtigung dieses Beispieles praktisch jeder Patient soziotherapiebedürftig.

Ich bin Mitglied im Berufsverband und lege Wert darauf, dass Sie nicht in meinem Namen Korrespondenzen mit Kostenträgern führen, in denen auf den Segen der "Soziotherapie" und ihre dringende Installierung hingewiesen wird.

 Mit besten Grüßen Ihr Hamann, Plön

 

Streitpunkt ist im vorliegenden Fall die Soziotherapie,29) die mit den Politikern und den Medien auch der BVDN als so überaus wirksam und deshalb dringend notwendig erklärt, sie enthusiastisch preist, und die Dr. Hamann, der die psychiatrische Realität vor Ort tagtäglich vor Augen hat, für ,im Kern sinnlos und daher überflüssig hält, weil sie realiter eben nur wenig wirksam ist. Das Bißchen quasi, was an therapeutischer Wirksamkeit an ihr dran sei, werde in großer Redundanz auf andere Weisen schon erbracht.

 29)  Eingeführt wurde die "Soziotherapie" mit dem GKV-Gesundheitsreformgesetz auf Betreiben der grünen Gesundheitsministerin Andrea Fischer im Jahr 2000, die  Durchführungsbestimmungen ("Richtlinien") dazu, ähnlich wolkig, vom Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen im August 2001 beschlossen.

Den Optimismus, mit dem das BVDN-Organ der Soziotherapie begegnet, macht Hamann – er erwartet von ihr für die von Ärzten persönlich verantwortete Psychiatrie eher den Todesstoß - an zwei Gebührenordnungsziffern fest. Damit, d.h. mit dem Versprechen neuer Verdienstmöglichkeiten, so wirft er „seiner“ Berufsvertretung vor, hätte diese sich ködern lassen bzw. hätte, da es realiter da für die Kollegen gar nichts zu verdienen gibt, diese getäuscht.

 

Daß es in der Gesundheitspolitik oft vorrangig ums Geld geht, wird als Argument häufig und gewiß nicht nur von SPK-Genossen (Fn 1) gegen die Ärzte gekehrt, ist aber in der Sache begründet. Die Rechnung, die Hamann aufmacht, verdient es, nüchtern eingesehen zu werden. Die Bezahlbarkeit des Gesundheitswesens ist schließlich für die Allgemeinheit ein wahrlich ernstzunehmendes Thema.

 

Dr. Hamann stellt die Unverhältnismäßigkeit dar, mit der die unerläßliche und hoch wirksame ärztliche Behandlung psychisch (oft schwer) kranker Menschen  honoriert wird im Vergleich zu der akzidentellen „sozialtherapeutischen“ Behandlung, die eher Schnörkel-Charakter besitzt. Die Kaffekränzchen, gemeinsamen Ausflüge, Kochkurse, Gruppengespräche etc., die z.B. unsere Sozialpsychiatrischen Dienste bieten, sind für unsere vielfach zur Vereinsamung neigenden Schizophrenen gewiß ganz nett und sind diesen von langjährigem Krankheitsleid geplagten, behinderten Menschen gewiß herzlich zu gönnen. Gesünder geworden ist davon wie auch von anderen „Sozialeinwirkungen“, etwa der Psychoanalyse, freilich noch keiner.

 

Die Medien aber preisen die Dienste landauf, landab als die wahren Wohltäter der psychisch Kranken, so als hätte mit ihnen überhaupt erst die ambulante psychiatrische Krankenversorgung begonnen. Daß sie, die „Schnörkel“ quasi, ein Vielfaches der eigentlich wirksamen Therapie kosten, sie unverhältnismäßige Geldmittel aus der Pflicht-Krankenversicherung und den Sozialkassen verschlingen, das einmal anzusprechen, ist gewiß angebracht, nachdem die Medien hier  wie über weite Bereiche des Faches seit Jahr und Tag ein falsches Bild zeichnen. Wo Therapie aber inhaltlich schon Schwindel ist, können die Versuche ihrer Erbringer, sie weiter aufzublähen und entsprechend Geld für sie einzutreiben, fast nicht Wunder nehmen.

 

Das Helfen-Wollen der vielschichtigen  „Sozial-Helfer“, Psychologen, Sozialpädagogen, Sozialarbeiter etc., ist unbezweifelt, daß sie ihre Aktivitäten als therapeutisch deklarieren, aber schon fragwürdiger. Mag die ursprüngliche Bedeutung von Therapie als ärztlicher Heil-Behandlung sich erweitert haben, so wurde der Begriff durch die eigenmächtige Inanspruchnahme von immer obskureren Helfern inflationiert. Wesentlich damit suchen sie Zugang zu den Geldtöpfen der Krankenkassen zu gewinnen. Eigenverantwortlich können sie Kranke nicht oder nur sehr marginal behandeln.  Ein Auskommen finden sie so eher in den "explizit interdisziplinären" Teams bzw. Kollektiven, etwa den sozialpsychiatrischen Diensten, wie sie von den Psycho-Strategen der Umerziehung, Chisholm etc. konzipiert worden sind (K.4.1). Daß sie überlegene therapeutische Wirksamkeit besäßen, das zu proklamieren, liegt im verständlichen Interesse der „Helfer“, ist aber schon doppelt geflunkert. Auf ihre Angebote reflektieren vor allem Schizophrene, also nur der kleinste Teil der psychisch Kranken. Die Art, wie die Helfer ihre „Dienste“ aufblähen, sich als die eigentlichen Psychiatrie-Kundigen aufspielen und dazu immer neue Kostenträger keilen, ist mitunter reichlich dreist.

 

Noch trauriger aber ist der Enthusiasmus, mit dem unsere Kliniken, d.h. Hochschullehrer und Chefärzte und ihre Untergebenen über Jahrzehnte für die Sozialtherapie unkritisch werben. Wahrscheinlich tun sie es gar nicht, wie Hamann meint, aus Unwissenheit über die bereits jetzt ausgeuferten ambulanten Versorgungsstrukturen. Aus blanker Chuzpe aber sind die Täuschungs- und Köderungsmanöver, mit der die ärztliche Standesvertretung bis hin zum BVDN die „vertretenen“ Kollegen für die Schwindelunternehmungen der sozialen Einrichtungen und Einwirkungen zu gewinnen sucht. Bei der „Soziotherapie“ passiert letztlich nichts wesentlich anderes, als SPDis auch sonst „interdisziplinär“ veranstalten (Kaffeekränzchen etc.). Mit dem neuen Terminus wird tatsächlich eine neue „Therapie-Leistung“ nur vorgegaukelt, um eine neue Einnahmequelle für die SPDis zu erschließen. Wer fragt, wie bei derartigem die Ärztevertretung mitmachen kann – die Medien verreißen sie gern als „Ärzte-Lobbyisten“  -, lese nochmals Fußnote 2. Da ist beschrieben, wie Wahlen bei den Ärzten laufen. Niemand kommt in die Ärztevertretung hinein oder hält sich dort, der nicht im „mainstream“ liegt.

 

Die  Dinge der erweiterten, „reformierten,“ „sozialen“ Psychiatrie - seien sie noch so absurd - laufen seit Chisholm, Roosevelt etc., wie sie laufen, weil sich hemmungslose, hohe Politiker gleich, ob für Frieden oder Krieg, durch die interdisziplinär-kontrollierten Psycho-Einwirker ein perfekteres, angenehmeres Regieren versprechen - jenseits von Richtig und Falsch, jenseits von Gut und Böse. Die Mächtigen sind die Profiteure. Psychologie ist „Herrschaftswissenschaft“ (Max Weber). Weil die Direktiven von „ganz oben“ kommen (vgl. Fn 7, vgl. K. 4.2), deshalb gibt es bei unseren (bündlich-ländlich-örtlichen) Politik-(Darstell-)ern, den Medien, den linken wie den rechten (bis hin zur FAZ) und eben auch in der Ärztevertretung  bis hin zum BVDN diesen Welt-Einheits-Enthusiasmus für den aufgeblähten Unfug der Sozialpsychiatrie-psychologie von der Soziotherapie bis zur Psychoanalyse und zur Gruppendynamik, fahre dafür auch das gesamte Gesundheitswesen gegen die Wand der Unbezahlbarkeit.

 

So weit geht Dr. Hamann nicht. Von Chisholm und Co. haben viele Nervenärzte wahrscheinlich noch nie etwas gehört. Wo wurde oder wird denn auch davon berichtet? Das Politische ist zudem nicht das Primäre, um das sich Ärzte zu kümmern haben. Ihre politische Unwissenheit kann leicht so nicht nur von Politikern, sondern auch der eigenen Standesvertretung gegen sie ausgenützt werden. Dazu kommt das im bürgerlichen Lager immer noch grassierende Vorurteil: „Ein garstig Lied! Pfui! ein politisch Lied.“ So kann sich auch der BVDN gegen die von ihm „vertretenen“ Ärzte plumpe Täuschungsmanöver, einfältiges Ködern herausnehmen.

 

Hamann kratzt eher an der Oberfläche des Problems. Das dürfte der Grund sein, daß er in nda überhaupt abgedruckt wurde. All diese Organe spielten und spielen ja bei der sozialpsychiatrischen Reform seit Jahrzehnten enthusiastisch, ja fanatisch, unerbittlich vorne mit. Zu seiner Psychohygiene aber gönnt die „Standesvertretung“ dem ärztlichen Fußvolk, das ihr bereitwillig noch schöne Beiträge abführt (viele hundert Euro pro Kopf, pro Jahr!), schon einmal den Genuß einer kleinen Affektabfuhr. 

 

Hamann entschuldigt „die“ Sozialtherapie vornehmlich propagierenden Psycho-Kliniker mit Unwissenheit. Vor allem ihr Beamtenstatus aber war es, der sie bei vollem Bewußtsein schon bei den schlimmsten Verbrechen hat mitmachen lassen. „Höhere Befehle“ sind es offensichtlich auch heute, die sie zur Leugnung politischer Psychiatriemißbräuche in linken Diktaturen, zur „Anerkennung“ „therapeutischer“ Flops als Wissenschaft, zur Auslieferung der Kranken an sie, an bodenlose, hemmungslose Schaumschläger und diese zur Plünderung der Sozial- und Krankenversicherungskassen anstiften. Ihren Ordinarien aber begegnen die niedergelassenen, frei tätigen Ärzte traditionell mit dem größten Respekt. Just dadurch konnte über 25 Jahre die Psychiatrie-Reform mit all ihren Absurditäten (gewiß auch einigen Gewinnen) ungehindert ins Kraut schießen.

 

Darf man aber die politisch nun einmal  wenig interessierten Ärzte so schelten, nachdem selbst die politisch hoch erfahrene katholische Kirche dabei ist, vor den Freuds, Chisholms, Sullivans etc. in die Knie zu gehen und sich zumindest als Kirche Christi ihr eigenes Grab zu graben? Letztlich sind doch auch besagte Ordinarien und Chefärzte nur kleine, per Treueid ihren Dienstherren verpflichtete Gestalten, die zudem in mächtige Organisationen wie den „Weltverband für Psychiatrie“, die WHO etc. eingebunden sind. Dort wollen sie halt auch mit „Reform-Leistungen“ und einem möglichst stattlichen "interdisziplinären" Troß glänzen, wollen mit ihren Kollegen mithalten und seien diese ähnlich geködert wie sie selbst.
 

       

aus nda 6/01

 

Wenn aber die Kirche sich beugt 30)  - vielleicht auch sie (mit staatssubsidierten „Fachkräften“ für ihre Beratungsstellen) geködert , dann gibt es weltweit wohl keine Instanz mehr, die den Menschen vor (horrenden Schiebereien und) den übelsten Übergriffen des Staates, gar eines übermächtigen Weltstaates zu schützen vermag. Die „Psychis“ ärztlicher wie nicht-ärztlicher Provenienz sind allen Erfahrungen nach die Letzten, die dazu in der Lage und/oder willens sind. Wer kann das Menetekel ihres Schweigens zum Psychiatriemißbrauch der UdSSR, der DDR und anderenorts übersehen?

30) "Dank der fortschrittlichen psychologischen Techniken," läßt M. Martin auf Seite 164 seines Buches (K. 1.4) einen der Judas-Kardinäle sagen, "lehnt die überwältigende Mehrheit der heutigen Katholiken diese alten Verhaltensmodelle ab," die sie "einst zum Vorbild menschlichen Verhaltens erziehen" sollten und sie es weithin wohl auch hatten sein lassen.

 

Nach den vorausgegangenen Kapiteln kam wohl bei manchen unserer Gegner das „Argument“ hoch, wir seien so katholisch, daß "vernünftig nicht mehr" mit uns zu diskutieren sei. Jetzt werden andere Gegner in Übereinstimmung mit dem SPK (Fn 1) außer in unserem „Ethikastertum“ in einer „verkappten Vertretung“ niedergelassen-nervenärztlicher Interessen neuen Grund für unsere weitere Ausgrenzung und Tabuisierung erkennen. De facto sind die vereinigten Gegner seit einem Vierteljahrhundert zu feige, sich der offenen Diskussion zu stellen31)

31)  wobei sich aufs schweigende Abdecken (Abnicken) roter „Psycho-Politik“ - das „interdisziplinäre“ Prinzip der Soziotherapie zielt auf jedermann - schwarze Politiker und Gelehrte immer am besten verstanden. Sie vor allem ließen verbreitet den Eindruck entstehen, als sei die kritische Beschäftigung damit ganz abwegig. Daß  unabhängig von uns vor vielen Jahren, gleichzeitig mit der Gründung unserer Vereinigung schon, in gleiche Richtung gehend, eine so profunde Kritik wie die von Rudolf Willeke geäußert wurde, zeigt wie begründet, wie angemessen, wie dringend notwendig die Kritik insgesamt doch war und ist.

 

Die freie (Nerven-)Arztpraxis aber könnte tatsächlich die Instanz sein, die gerade psychisch Kranken am ehesten gerecht wird, ihnen am ehesten adaequate Hilfe leistet, sie wie auch Gesunde am ehesten vor mißbräuchlichen Zugriffen des Staates schützt, brächten ihre Betreiber nur den Mut zur Bejahung ihres schönen, breiten, verantwortungsvollen Berufs und ein bißchen politisches Gespür und Interesse auf. Droht die sozialistische Idee gerade im „Psycho-Feld“ realer denn je den Bereich der Utopie zu verlassen und Wirklichkeit zu werden (K.3.8.2), so könnten ja immer noch einige wenige genügen, dem zu wehren (K.1.5 und 4.5).

 6. Summary im englischen Teil der Website