Rundbrief 1/07                                                                       Januar 2007

 

 

Inhalt                                                                                                                                                     Seite

 

 1.    Einführung 

 2.    Menschenrechtsverletzungen, Psychiatriemißbräuche und ihre öffentliche Wahrnehmung

 3.    Dieckhöfer, Zur Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an den Vorsitzenden der GEP

 4.    Wilcocks’ Buchbesprechung: F. Crews - „Eine Bastion gegen den Irrationalismus

 5.    Zur inhaltlichen Reform des Gesundheitswesens – Durchsetzung und Fall der Psychoanalyse

 6.    Exkurse I: Ultimative Phantasterei im Organ der (deutschen) Ärzteschaft

                   II: Wiklund, Freud und der Nobel-Preis

                  III: Umwandlung des Menschen als Endziel

 7.    Zur strukturellen Reform des deutschen Gesundheitswesens

 8.   Rede an einen Opferverband (VOS) in Friedrichroda

 9.  „Nur über die Wahrheit kann die Vergangenheit ruhen"

10.  Ausblick

11.   Summary (im englischen Teil der GEP-Webseite)

 

 

Hinweise:  RB + Zahl mit zwischengestelltem Schrägstrich verweist auf früheren Rundbrief, Zahl mit vor- oder zwischengestelltem Punkt auf das genaue Kapitel. In Kursivdruck stehen in der Regel Aussagen von Nicht-GEP-Mitgliedern. Alle Hervorhebungen (durch Fett-, vereinzelt auch Kursivdruck) und alle Fußnoten sind redaktionellen Ursprungs. Soweit die Texte namentlich nicht besonders gekennzeichnet sind, ist ihr Verfasser der Vorsitzede der GEP Friedrich Weinberger. Redaktionsschluß war am 27. Januar 2007. Die Publikation im Netz weist gegenüber der gedruckten Ausgabe des Rundbriefs (hoffentlich) den Vorzug auf, daß bis dahin übersehene Druck- und andere Fehler korrigiert sind.

 

 

 

 

1. Einführung

In diesen Tagen (am 2. März) jährt sich die Gründung unserer Gesellschaft zum 30. Mal. Daß es Organisation bräuchte, um gegen horrenden Mißbrauch der Heilkunde ärztlichen Widerstand zu mobilisieren, war damals klar geworden. Missetaten im Kommunismus, um die es da nun einmal ging, werden bis heute eher abgedeckt. Wir wollten mit den Ärzten zur Geltung bringen, was seit Hippokrates ihres ist, nämlich „zu bewahren vor Schaden und willkürlichem Unrecht“, und lösten Reaktionen aus, die einem kalten Krieg glichen. Es waren nach-68er Jahre.

Über der laufenden Gesundheitsreform sehen die Ärzte und andere jetzt ein sozialistisch-dirigistisches System nahen, dem, hätten sie es früher bemerkt, vielleicht zu wehren gewesen wäre. Verspätet, wie ihr Widerstand kommt, bleibt an ihnen noch der Vorwurf hängen, sie hätten die für ihre Patienten wie sie selbst und viele andere schmerzliche Entwicklung selbst losgetreten. Wer A gesagt hat, darf sich nicht beklagten, wenn das B kommt.

Die abgeschlagenen Köpfe von Christus, Buddha und Mohammed werden jetzt zur Schau gestellt. Der „Zynismus des Westens, der die Verspottung des Heiligen als Freiheitsrecht ansieht, erschreckt die Völker Afrikas und Asiens“, hierzulande wenige. Die 68er Kulturrevolution, die seit Jahrzehnten auch die Gesundheitsreformen durchsetzt, kam bei den Ärzten lange gut an. Pseudowissenschaften, Verbiegungen der Wahrheit, Lügen in wissenschaftlichem Gewand, die auch die Menschenrechtsfragen durchdringen, ließen sich freilich viele gefallen.

Wie hätte das bißchen Widerstand, das es gegen den „Zynismus des Westens“, die „Zersetzung der Vernunft“ (Papst Benedikt XVI.), da und dort auch im Westen gab, viel ausrichten sollen? Zersplittert ist er bis heute. In wichtigen Bereichen ist er dennoch erstarkt, wie auf den folgenden Seiten doch auch gezeigt werden kann. Mit gedämpftem Optimismus, gleichwohl Optimismus, treten wir in das vierte Jahrzehnt unserer Arbeit.


 

2.  Mißbräuche der Psychiatrie und ihre Behandlung im Rechtsstaat

 

2.1  Nicht nur in „Schurken-Staaten“ gibt es auch heute Mißbräuche der „Seelen(heil)kunde“, Menschenrechtsverletzungen, dazu deren Verschleierung, aber auch Aufklärung. THE NEW Yorker vom 11. und 18. Juni 2006, aber auch das deutsche INFO Neurologie & Psychiatrie 4/2006 monierten die Beteiligung von Psychologen und Psychiatern an  “Verhörmethoden wie Schlafentzug, sexueller Erniedrigung, emotionale Manipulation und Todesdrohungen im US-amerikanischen Gefangenenlager Guatanamo Bay auf Kuba.“ Auf der Jahrestagung der US-Psychiater 2006 in Toronto gab es Protest dagegen. Die APA (US-Psychiater-Gesellschaft), die ihren Kollegen in der Welt öfters auch mit gutem Beispiel vorangegangen ist, gab eine Entschließung her aus, die es  „Psychiatern untersagt,, bei Verhören von Häftlingen in zivilen oder militärischen Gefängnissen beteiligt zu sein... Sollte ein Psychiater Kenntnis von Folterungen, auch geplanten, erhalten, fordert die APA auf, diese sofort zu melden.“

Erfreulich gewiß, daß auch ein deutsches „Psycho-Journal“ von der Entschließung und dem Grund dazu, dem Vorkommen solcher Psychiater-Beteiligungen berichtete. Werden die Proteste helfen?

2.2  Daß die Diktatur in China die Psychiatrisierung Oppositioneller in großer Zahl und in krasser, sowjet-ähnlicher Form praktiziert, wurde bis in jüngere Zeit berichtet. Bei der dortigen Behandlung Oppositioneller allgemein ist dies auch gut glaubhaft. Wir bekommen aber im Augenblick keine direkten, detaillierten, zuverlässigen Mitteilungen mehr. Daß internationale Proteste die Menschenrechtssituation in China zu bessern vermögen, erscheint also zweifelhaft.

2.3  Was den Psychiatriemißbrauch der DDR betrifft, dazu eine jüngst erst bekannt gewordene Geschichte. Wir stellen den Fall heraus, weil er beleuchtet, wie lange ein falsches, politisch-ideologisch begründetes Gutachten nachwirkt und wie leicht der Rechtsstaat darüber hinweg geht.

Wolfgang Lippmann, geb. 1941, mit zwei Geschwistern von allein-erziehender Mutter aufgezogen, erlernte zuerst den Beruf des Maurers. Infolge sehr guter Leistungen in der Berufsschule konnte er ab 1960 das Studium zum Bauingenieur aufnehmen. Dankbaren Herzens trat er 1961 der SED bei, bat ein halbes Jahr später über politischen Divergenzen jedoch wieder um die Beendigung der Mitgliedschaft. Vordem über guten Leistungen zum Studiengruppenleiter gewählt, wurde er 1962 „aus fachlichen Gründen“ exmatrikuliert. In seiner Verzweiflung versuchte er Anfang 1963 in den Westen zu flüchten. Nach Festnahme ließ er bei polizeilicher Einvernahme systemkritische Bemerkungen fallen. Bei angelegten Handschellen erhielt er vom Vernehmer dafür einen so heftigen Schlag in den Nacken, daß er mit dem Kopf ungebremst gegen eine Wand prallte. Kopfschmerzen blieben davon zurück. Im November '63 wurde L. der Strafakte zufolge wegen ,,merkwürdigen Verhaltens während des Ermittlungsverfahrens", in jedem Fall zum Zweck der Begutachtung drei Tage lang nervenklinisch untersucht einschließlich Luftfüllung der Hirnhohlräume.[1]

Das erkennbar abwegige Gutachten des Chefarztes Dr. Lehmann, Frankfurt (Oder), das dem (kurz vordem noch erfolgreichen) Studenten eine ,,Beschränktheit, Vorstufe des Schwachsinns" und "Wesensänderung" bei „chronischem Hirnschwund oder Hirnabbauprozeß" attestierte und den § 51, Abs. 2 (entsprechend dem heutigen § 21 StGB der Bundesrepublik) einbrachte (,,fähig gewesen, das Unerlaubte seiner Tat einzusehen, jedoch eingeschränkt, nach dieser Fähigkeit zu handeln"), könnte als "benevolent" (ein milderes Urteil zu bewirken) gedeutet werden, hätte es nicht zweideutig "sozialpsychiatrisch" mit der Bemerkung geschlossen, L. solle ,,nach Ableistung seiner Strafe Hilfe gewährt werden, sich in ein starkes Kollektiv einzuordnen, wobei eine Aufklärung des Kollektivs in geeigneter Form über den Zustand des L. erfolgen sollte um Mißverständnisse von vornherein auszuschalten". Das Gutachten ließ zu, ja empfahl, die massiv herabsetzenden, noch dazu abwegigen Diagnosen im Kollektiv der Arbeitskollegen bekannt zu machen, am ehesten wohl einem Maurer-Kollektiv. Ein Studium sah der Gutachter für den ,,Beschränkten" kaum vor. Entsprechend ,,milde" fiel nach 10 monatiger grausamer Untersuchungshaft (fensterlose Zelle ohne Tisch, Stuhl, Bett, Klosett und Waschbecken und dauernde Geräuschbelästigung (L.: „Geräuschfolter“) durch laufende Dieselaggregate) das Urteil aus: 21 Monate Gefängnis wegen ,,Republikflucht" und "Staatsverleumdung"!

Wenige Tage nach der Haftentlassung (Dez. 64) –  L. jetzt Hilfsarbeiter - gelang es ihm, in einem schon laufenden Lehrgang zum physikalisch-technischen Assistenten (Techniker) Aufnahme zu finden. Trotz „politischer Vorgeschichte“ konnte er diesen erfolgreich abschließen, da das Klassenkollektiv sich für ihn einsetzte. Von 1968 - 70 besuchte er eine Abendfachschule zum Fachschulingenieur für Elektronik, 4 Semester Grundlagen- und 6 Semester Fachstudium. Bereits nach dem Grundlagenstudium konnte er infolge guter Leistungen als einziger des Semesters zum Hochschulfernstudium an die TU Dresden wechseln. Er schloß es 1974 in Informationselektronik ab. Von 1974 bis 1981 arbeitete er als Wissenschaftlicher Mitarbeiter an einem Institut der elektronischen Geräteentwicklung, von 1981 - 1989 als Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Institut Nachrichtentechnik. Er fand hier[2] manch neue technische Problemlösungen und konnte so erfolgreich verschiedene Patente anmelden.[3] Seine „politische Vorgeschichte“ und die außergewöhnliche Situation, daß ihm dennoch anspruchsvollste Aufgaben nun  übertragen waren, führten zu vermehrter Überwachung, ja verschärften Verfolgungsmaßnahmen seitens der Staatssicherheit, zu Presseverbot, Verbot der Einsicht in vertrauliche wissenschaftliche Unterlagen bis hin zu Diebstahl geistigen Eigentums. 1989 wurde, so Lippmann, durch IMs das Gerücht gestreut, er selbst sei IM gewesen.[4]

Im April 1989, kurz vor der Wende, wurde er ohne Berufungsurkunde, nur per Arbeitsvertrag, also entgegen arbeitsrechtlichen Grundsätzen zum Technischen Direktor eines Großbetriebs (VEB Margon, Dresden) bestellt. Er mußte diese Tätigkeit aber nach kurzer Zeit –  seine (politische) Kaderakte[5] wirkte immer noch - wieder aufgeben. Er wurde bald darauf, im März 1990, jedoch als Bezirksingenieur für Elektronik von der Deutschen Post eingestellt und nach der Wende von der Bundespost in den höheren Dienst übernommen. In der Folge von Rationalisierungsmaßnahmen wurde der Posten Bezirksingenieur Ende 1991 jedoch ersatzlos gestrichen.

Zahlreiche Bewerbungen für andere offene Posten in Dresden wurden von der Generaldirektion in Bonn jetzt abgelehnt. Ohne gültigen Änderungsvertrag wurde L. bis zum Angestellten degradiert und, wie er es sieht, durch Mobbing der alten SED-Seilschaften am 13.02.92 zu einem Aufhebungsvertrag gedrängt. Er klagte und erfuhr nach dreijähriger Prozeßdauer (!) endlich, es kursiere bei der Bundespost ein Papier, das ihm „den Paragraphen 51, Abs. 2. bescheinige."

Im ,,freien und sozialen Rechtsstaat" der Bundesrepublik Deutschland ging die Saat des Stasi-Psychiaters auf! Im fernen Bonn gewann das Wort der Stasi-Psychiatrie offensichtlich jetzt entscheidenderes Gewicht, als sie es in der DDR bei deren allgegenwärtigen Mangelerscheinungen für Lippmann konkret hatte entfalten können. Kein Gericht fand es für nötig, das einmal getroffene Psychiater-Urteil  in seinen politischen Hintergründen zu hinterfragen, geschweige einen Ausgleich des so ruinierten beruflichen Erfolgs und Lohns aus wissenschaftlichen Leistungen zu schaffen. Daß und wie deutsche Gerichte sich mitunter psychiatrischen Wertungen beugen, ohne die politischen Bedingungen ihres Zustandekommens zu werten, dafür haben wir früher schon Beispiele angeführt, etwa in RB 4/99,14,6. Glücklicherweise gibt es auch Gegenbeispiele (RB 1/06,6.3).

Lippmann ist vollständig, d.h. strafrechtlich, beruflich und verwaltungsrechtlich, rehabilitiert. 27 Jahre „Verfolgungszeit“ sind ihm anerkannt worden. Er hat mit seiner sozialen Entwicklung, seinem Hochschulabschluß, seinen Patenten die Feststellungen des Stasi-Psychiaters wohl so deutlich hinter sich gelassen, daß er die Veröffentlichung seiner Geschichte wünscht! Er ist der Überzeugung, daß es viele ähnlich gelagerte Fälle in den neuen Bundesländern gibt, in denen es die Betroffenen, weil sie sozial „nicht so gut dastehen“, keinen Hochschulabschluß geschafft haben o.ä., nicht wagen, an die Öffentlichkeit zu gehen, sich zu wehren, Schadensersatz zu fordern etc. Herr Lippmann will mit seiner Fallschilderung mitwirken, daß Hilfe auch den psychiatrischen Opfern der DDR-Diktatur zuteil wird, denen, die sonst durch alle Maschen „rechtsstaatlicher Rehabilitation“ fallen.

2.4               Politische Verfolgung hat mitunter noch zur bösen Folge, daß aus ihren Opfern, früheren Freunden, Gegner werden. Kürzlich erhob ein solcher gegen Dietrich Koch  (RB 1/97) wortreich den Einwand, sein Fall, den nicht nur wir als Mißbrauchsfall werteten, sei ein solcher nicht. Seine Internierung ginge so wenig aufs Konto der DDR-Psychiatrie wie sein eigener Transport im ehem. „Grotewohl-Express“ auf das der Reichsbahn (welch ein Vergleich!). Die Psychiatrie habe Kochs Strafmaß eher erleichtert. Es bleibt jedoch der Urteilsspruch: „... wegen staatsfeindl. Hetze ... wird nach Verbüßung der Freiheitsstrafe die Einweisung des Angeklagten (Koch) in eine psychiatrische Einrichtung angeordnet... um dem Wiederholen derartigen Verhaltens vorzubeugen und damit die Gesellschaft vor staatsfeindlichen Angriffen zu schützen“.  Daß sich das verkündete Urteil für Koch de facto nicht noch länger, nicht über die gerichtlich verfügte Dauer der Freiheitsstrafe von 2 1/2 Jahren hinaus auswirkte, nimmt ihm nichts von dem, was es beinhaltete, nämlich politisch diktierten, aus ärztlich und juristisch inkonsistentem Zusammenspiel resultierenden, somit systematischen Psychiatriemißbrauch. Daß in der DDR manche sowjetischen Praktiken im Endeffekt milder ausfielen, nicht zuletzt wohl infolge westlicher Nähe, ändert nichts an ihrer Wesensgleichheit.

2.5              Der letzte uns neu bekannt gewordene Fall eines DDR-Psychiatriemißbrauchs war der von Bild vom 19.02.04 (RB 1.04,6.5.) gemeldete Fall der (wahren) Sonja Lüneburg. Nirgends erschien (fanden wir) eine weitere Zeile über sie. Nirgends wurde mitgeteilt, welche Stasi-Leute unter Markus Wolf die Sache leiteten, welcher Arzt, welcher Richter unter welchen Umständen an der Internierung mitwirkten, in welchem psychiatrischen Krankenhaus der Unglücklichen laut bildmit Medikamenten und Elektroschocks langsam das Gedächtnis gelöscht“ wurde, bis sie 1994 starb. Das Internet (Google) gibt Information zur falschen Lüneburg, der Stasi-Agentin Olbricht, die den Namen der wahren Namensträgerin benützte, um im Bundeswirtschaftsministerium zu spionieren. Wir suchten Anfang Oktober '06 um nähere Auskunft nach - erst bei BILD (von dort keine Antwort!), dann bei der Gauck-Birthler-Behörde. Hier wurden wir beschieden, unser „Forschungsantrag“  werde akzeptiert, „evt. vorhandene Unterlagen“ würden, sobald gefunden, (gebührenpflichtig!) herausgegeben. Ende Januar kam die Nachricht, umfänglich sei gesucht, aber nichts gefunden worden.

2.6              Im Juni 2006 verlangte eine von 60 Unterzeichnern eingebrachte Petition an den Bundestag festzustellen, daß in der DDR weder gefoltert noch Bürger „unrechtmäßig in psychiatrische Anstalten eingewiesen (oder) Kinder zwangsadoptiert“ wurden. Was die Petenten, unter ihnen zwei MdBs der Linkspartei, L. Bisky darunter, wie auch ein wegen Totschlags verurteilter ehemaliger Kommandeur der DDR-Grenzwächter, verlangten, ist aber ohnedies Usus in Deutschland. Löblichste Politiker, schwarze, rote, grüne, gelbe sagen doch oder lancieren die Meinung, es habe in der DDR keinen systematischen, im Grund überhaupt keinen politischen Psychiatriemißbrauch gegeben.

Dem im November 2006 verstorbenen stellv. MfS-Minister und Leiter der DDR-Auslandsspionage Markus Wolf setzte Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau einen ehrenden Nachruf ins Neue Deutschland, dem „Freund und Genossen, einen streitbaren Kämpfer, der aufrecht durch sein Leben ging“. Vom Blut an seinen Händen keine Rede. Das Fernsehpublikum bekam Wolf jüngst als netten Hobby-Koch, Kenner und Vermittler der russischen Küche vorgesetzt.

2.7               Im Herbst 2006 kam in den Stasi-Komplex etwas Bewegung, nachdem Bestimmungen des Stasi-Unterlagengesetzes (StUG) von 1991 ausliefen und entschieden werden mußte, was mit ihnen weiter geschehen sollte. Darüber kam schließlich auch die (100 Millionen Euro/ Jahr teure) Birthler-Behörde ins Gerede. Bekannt wurde, daß in ihr von Anfang an ehemalige Stasi-Leute beschäftigt sind, zur Zeit 54 an der Zahl, teilweise auch mit Zugriff zu den Akten. Weiter hieß es in den Medien, daß die Behörde zudem „voll von ehemaligen Angehörigen der DDR-Bürokratie“ stecke (Welt Kompakt, 4.12.06). Wundert sich jemand, daß sie den Psychiatriemißbrauch der DDR negierte und uns, die wir lange Jahre dem Mißbrauch in der UdSSR fachkompetent entgegentreten waren, in ihrer einschlägigen Schrift (S. Süß, Politisch mißbraucht?) madig zu machen versuchte?

Interview der Freie Presse, Chemnitz, vom 13.10. 06 mit Arnold Vaatz , MdB, Unionsfraktionsvize, über die Art und Weise, in denen die DDR-Diktatur im vereinigten Deutschland „aufgearbeitet“ wird – Auszug:

                „Mit Schimpf und Schande rausgejagt

Vaatz: ... Sorge macht mir, daß es für die Behörde keine ausreichende Aufsicht gibt...  Bislang kann die Birthler-Behörde ihre innere Struktur, damit auch die personelle Besetzung, ohne eine wirkliche Kontrolle festlegen... Es wird leider nicht möglich sein, dies mit einer Gesetzesnovellierung zu ändern, weil die SPD das ablehnt. Damit sind willkürliche Entwicklungen ... nicht auszuschließen.

    Freie Presse: Gibt es bereits Anzeichen dafür?

Vaatz: Ja. Im Zusammenhang mit den Rosenholz-Akten ist deutlich geworden, daß innerhalb der Behörde ohne irgendeine vorherige Konsultation eine Forschungsgruppe aufgelöst wurde, die die Rosenholz-Angaben über Bundestagsabgeordnete aus den 70er Jahren mit der Aktenlage abgleichen sollte. Das geschah in aller Stille und war nur Eingeweihten bekannt..; eine politische Ausgewogenheit (ist) nicht mehr garantiert.

    Freie Presse: Haben sie Beispiele?

Vaatz: ... Mitarbeiter die ich noch aus der Bürgerrechtsbewegung der DDR kenne, sitzen dort nicht mehr in Schlüsselpositionen. Sie wurden rausgedrängt oder haben sie angeblich freiwillig verlassen. Nachgerückt sind Juristen aus den alten Ländern, die der linken 68er Klientel zuzurechnen sind. Dazu gehört der Amtschef Hans Altendorf, der ein Stamokap-Mann war. Zum anderen wird in der Behörde eine ganze Reihe von ehemaligen Stasi-Leuten beschäftigt, die dort ohne eine ausreichende Kontrolle tätig sein können.

Freie Presse: Wer hat das Sagen in der Behörde?

Vaatz: Ich habe den Eindruck, daß es im Wesentlichen linke Westdeutsche und alte Stasi-Leute sind. Damit ist die politische Ausgewogenheit der Behörde nicht mehr gewährleistet. Es wäre schön, wenn mir das widerlegt werden könnte. Ich kann schon gar nicht verstehen, daß solche Westdeutsche in der Behörde die Aufsicht über Akten erhalten, die früher ein besonders gutes Verhältnis zur DDR hatten. Ich kann nicht erkennen, wie sie ein tieferes Interesse daran haben, die Verstrickung des Westens in die Machenschaften der Stasi aufzuklären. Mit anderen Worten: Die Aufarbeitung Ost war erfolgreich, aber im Westen haben wir, bis auf ein paar Einzelfälle, praktisch keinerlei Aufarbeitung geschafft. Und derjenige, der es versucht hat, ist mit Schimpf und Schande aus der Behörde rausgejagt worden. Hubertus Knabe ist ein Beispiel dafür...“

Die Vorgänge sollen im Einzelnen jetzt geklärt werden, u.a. die Zahl der Ex-Stasi-Mitarbeiter in heutigen Bundesministerien und ‑behörden (Kleine Anfrage der FDP 16/4084). Pauschal sind sie eigentlich seit langem bekannt, spätestens seit Jürgen Fuchs Buch MAGDALENA (Rowohlt, 1998). Joachim  Walther, ein ehem. Behördenmitarbeiter, berichtete am 12.12. 06 in DIE WELT, er habe Gauck bereits 1993 darauf aufmerksam gemacht, daß u.a. ein ehemaliger MfS-Oberstleutnant und ein MfS-Oberst in der Behörde walteten. Keine Konsequenz. Besagte und ähnliche, teils schon 1990/91 eingestellte Posten-Halter seien heute unkündbar. Die Öffentlichkeit, auf eine parlamentarische Anfrage hin auch der Bundestag seien noch 1998 belogen worden – ohne daß das Konsequenzen hatte. Davon, daß viele Regime-Opfer bei den vielen neuen Behörden in den neuen Bundesländer Arbeit gefunden hätten, hat man nichts gehört.

2.8   Im August kam die aus den USA „heimgekehrte“ sog. „Rosenholz-Datei“ (Stasi-Aufzeichnungen u.a. über Bundespolitiker) breiter zur Sprache. Frau Birthler maß ihr „keinerlei Brisanz“ zu. Hier widersprach selbst die Welt, 3.8.2006: „Das Gegenteil ist richtig“, fand sie. „Nie zuvor und nie danach (???) hat das MfS bundesdeutsche Politik so direkt beeinflußt wie gerade im 6. Bundestag“. Das öffentliche, zumindest das mediale Interesse für den Vorgang war aber bald wieder erloschen.

2.9   Das Stasi-Unterlagengesetz (StUG) von 1991 bestimmte, es dürfe nach dem 21.12.2006 „die Tatsache einer Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst dem Mitarbeiter im Rechtverkehr nicht mehr vorgehalten und nicht zu seinem Nachteil verwertet werden.“ Fast Gleiches sah nun ein Gesetzentwurf vor, den die etablierten Parteien (schwarz-rot-grün) mit Birthlers Zutun Mitte Oktober einbrachten, um das Weitere zu regeln - und um das Gesetz rasch, nämlich bereits am 10.11.06, zu verabschieden.[6] Kurz davor meldete sich nun Widerstand von Seiten ehemaliger Bürgerrechtler, dann auch einzelner Politiker der FDP und der Uni on (um Althaus, Thüringen). Ein solches Gesetz sei „instinktlos“, hieß es, „das Verfahren eine Zumutung“, „dem Bundestag ginge Täterschutz vor Opferschutz.“ Das Gesetz enthalte auch „handwerkliche Fehler,“ die dem Kanzleramt zugeschrieben wurden (Welt Kompakt, 13.11.06).

Es enthalte etwa „ juristisch unzutreffende Bewertungen“. Der „Vergleich mit Verjährung im Strafrecht“ sei falsch. Es sei doch nie um Strafe, sondern um Prüfung auf Eignung, ja Zumutbarkeit eines Bewerbers für ein öffentliches Amt gegangen (FAZ, 2. 11.06). Dem Presse-Echo nach schien es, als wären noch Korrekturen durchsetzbar. Dann wurde das „neue“ StUG am 29.11. 2006 ohne viel Aufhebens verabschiedet, inhaltlich dem alten entsprechend. „Regelanfragen auf  Stasi-Mitarbeit“ sind damit vor einer Anstellung im öffentlichen Dienst, abgesehen von allerhöchsten Ämtern, gestoppt. De facto ist die Stasi-Aufarbeitung beendet. Bundestagsvizepräsident Thierse (SPD) nannte die Behauptung, seine Partei wollte sie beenden, „verleumderisch“.  Die Novelle brächte eine „deutliche Erleichterung der zeitgenössischen Aufarbeitung“. Frechheit siegt!

2.10           Anfang November verlautete: 1100 ehemalige Mitarbeiter in Ministerien, NVA und Volkspolizei, Wissenschaftler, Chefärzte, Kombinats- und LPG-Bosse, Träger des DDR-Systems, erhielten Rentennachzahlungen in Höhe von 107,7 Millionen Mark, pro Kopf durchschnittlich 10.000 Euro, mehr als 100.000 im Einzelfall. 2004 hatte das Bundesverfassungsgericht die bis dahin geltende Rentenkürzung für ehem. DDR-Spitzenkader für verfassungswidrig erklärt.

2.11          Der Einigungsvertrag sah im Verbund mit der „unverzüglichen“ Rehabilitierung der Stasi-/SED-Opfer deren „angemessene Entschädigung“ vor. Ende Januar 2007 einigten sich nun die Koalitionsparteien auf einer Klausurtagung auf dem feudalen Anwesen eines ehem. Stasi-Obersten in Werder / Brandenburg auf eine Ehrenpension für Opfer des SED-Regimes von  E 250.-, sofern diese ein halbes Jahr Haft hinter sich haben und bedürftig sind. Bis zur parlamentarischen Sommerpause soll das Gesetz stehen -  17 Jahre nach der Wende wohl ein Schrittchen in richtiger Richtung. Von der Vergünstigung ausgeschlossen sind von vornherein alle anderen Opfer, solche etwa, denen vom Regime „nur“ die berufliche Ausbildung verbaut oder die über Jahre „nur“ psychologisch „zersetzt“ oder mißbräuchlich-psychiatrisch geschunden worden sind.

2.12          Kann man bei zusammenfassender Bewertung  der Vorgänge nicht den Eindruck gewinnen, es tummelten sich auf den verschiedensten Ebenen des „demokratischen Systems“ Komplizen der roten Diktatur? Sie versuchten deren Amtswalter nicht nur weiter zu päppeln und in Funktion zu halten, sondern auch deren Wertmaßstäbe weiter durchzusetzen. Sie trauten sich natürlich nicht, das offen auszusprechen. Ihre Reden, ihre Entscheidungen und Taten liefen nur darauf hinaus.

Über all dem hat das Land eine Politikverdrossenheit ergriffen, die gewiß nicht dem System, um so mehr aber den Akteuren in ihm gilt (DIE WELT, 15.12.06).


 

3.   Verleihung des Bundesverdienstkreuzes durch Bundespräsident Horst Köhler

 

3.1  Innerhalb von sechs Wochen hat Bundespräsident Horst Köhler im Herbst 2006 zwei von fast allen Bundestagsparteien beschlossene Gesetze nicht ausgefertigt, weil sie gegen Verfassungsbestimmungen verstießen. Vielen hat dies wohl neu zu Bewußtsein gebracht, daß unsere demokratischen Parteien mitunter gemeinsam fehlgehen können. Mehrheitsbeschlüsse sind keine Garantie für ihre Richtigkeit. Gut ist’s, daß der oberste Räpräsentant unser Landes, unbeirrt von Angriffen, neue Gesetze nach der Verfassung prüft und die Letztentscheidung über sie trifft.

3.2  Daß der Bundespräsident die Opfer der Diktatur würdigt (hier bei der Kranzniederlegung in der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen am 14. 11. 06), stärkt in Zeiten besonders, in denen sie von ihren vormaligen Peinigern wieder geschmäht, von den etablierten demokratischen Parteien links wie rechts aber weiter im Stich gelassen werden.

3.3               Im Oktober verlieh Bundespräsident Horst Köhler unserem Vorsitzenden Dr. Weinberger das Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland am Bande für einen „unschätzbaren Beitrag zum Kampf für die Menschenrechte.“ Ein wenig ging die hohe Auszeichnung wohl unserer Gesellschaft insgesamt zu. Aus beruflicher Nähe kümmerten wir uns um Mißbräuche der Psychiatrie, einen von anderen oft übersehenen Sektor von Menschenrechtsverletzungen, trafen von hier auf ähnliche Mißbräuche in der Psychologie und stießen, wie wir uns für Menschen bemühten, die durch politisch eingespannte, politisch verbogene Wissenschaft beschädigt wurden oder gefährdet sind, immer wieder unwillkürlich auf Fragen wissenschaftlicher Wahrheit, Wahrhaftigkeit in der Heilbehandlung.

3.4              Von allen Seiten des politischen wie des wissenschaftlichen Establishments traf uns dafür ein Gegenwind,[7] der beinah umwarf, dann aber anspornte, ihm weiter nachzuspüren. Zu viele Fragwürdigkeiten wurden erkennbar dort, von wo er herkam, von der Politik wie den (postmodernen) Humanwissenschaften.[8] Zu fragwürdig nahmen sich viele ihrer Folgen für das menschlich-gesellschaftliche Leben aus.

3.5              In der Regel „links-gewirkt“, wurden viele dieser Fragwürdigkeiten erstaunlicher Weise auch von Konservativen unterstützt. Es kamen so schon zu von Baeyers Tagen mitunter Zweifel am Funktionieren des demokratischen Systems auf. Es schien, als bereiteten in ihm teils sozialistische, teils kapitalistische Akteure unter Inanspruchnahme einer selbstvergessenen Wissenschaft gemeinsam ein neues dirigistisches System vor.

Nicht nur Menschenrechtsverletzungen jüngerer Diktaturen relativierte und verbog die „postmoderne“ Wissenschaft, sondern die Wahrheit schlechthin. Ihre Protagonisten traten u.a. als Künder neuer seelenkundlicher Erkenntnis auf und besetzten mit unbewiesenen, oft bizarren  Thesen weithin die öffentliche Meinung. Zu unserer freudigen Überraschung konnten wir Anfang des neuen Jahrtausends jedoch feststellen, daß im Ausland gegen solche Verlotterung der Wissenschaft dezidierter Widerstand aufgekommen war - just in der Wissenschaft selbst. Neue Kraft wuchs uns daraus zu. Vor allem wurde klar, daß die Zuträger zu besagtem neuen (schön-neu-weltlichen) Dirigismus, so verbreitet, vernetzt und hoch etabliert sie sein mochten (so daß sie schon agieren konnten, als seien ihre Maßstäbe die einzig korrekten, einzig demokratischen), doch nur Individuen sind, deren Unzulänglichkeiten zu durchschauen und denen insgesamt Paroli zu bieten ist.

3.6              Wie unsere Landsleute in den neuen Bundesländern gegen ihre frühere Herrscherclique und deren Diener aufgekommen sind, so können wir heute mit Aussicht auf Erfolg denen entgegentreten, die menschliche Wirklichkeit, Menschenrecht ideologisch-pseudowissenschaftlich verbiegen: Dies ist immer noch unser Land, ist unsere Demokratie. Auch „wir sind das Volk“ - das für Freiheit und Menschenrecht einsteht und Wahrheit verlangt. So viel Korrumpierung es heute offensichtlich gibt, so viele daran beteiligt sein mögen, so sind sie doch nie das System. Einzelne sind es, die immer noch überwunden werden können. Auch der Mainstream ist nicht das System. Seien wir glücklich, daß an der Spitze unseres Landes ein Präsident steht, der ein Beispiel gibt, wie auch Mehrheitsentscheidungen nach unserer demokratischen Verfassung zurückgewiesen werden können, mitunter zurückgewiesen werden müssen. Daß er die Opfer unrechter staatlicher Gewalt zu ehren weiß, verlieh auch der Ehrung unseres Vorsitzenden besonderen Glanz.

Prof. Dr. med. Klemens Dieckhöfer

 

4.   Im Folgenden bespricht R. Wilcocks, emeritierter britischer Professor für französische Literatur, Mitglied des Beirats unserer GEP, das neue Buch des amerikanischen Freud-Kritikers F. Crews und der in Frankreich jüngst erschienenen ungekürzten Briefe Freuds an Fließ. Das in etwa gleichzeitige Erscheinen der Bücher regte den Autor zu Vergleichen der aktuellen geistigen Situation in Amerika und in Frankreich an, vor allem natürlich auf psychiatrisch-psychotherapeutischen Gebiet. Was Wilcoks zu unseren westlichen Nachbarn mitteilt, trifft vielfach in noch zugespitzter Weise auf das deutschsprachige Publikum zu. Die Fußnoten sind wie immer redaktionelle Ergänzungen.

 

4.1  Robert Wilcocks

„Eine Bastion gegen den Irrationalismus“

gekürzte Übersetzung (W) der bereits auf der englischen INFC-Webseite publizierten Besprechung der Bücher von

 

Frederick Crews Follies of the Wise (Torheiten der Weisen), herausgebracht 2006 durch Shoemaker & Hoard in Emeryville CA, ISBN (10) 1-59376-101-5; ISBN (13) 978-1-59376-101-1 sowie von

Sigmund Freud, Lettres à Wilhelm Fliess 1887-1904. Aus dem Deutschen ins Französische übersetzt von Françoise Kahn et François Robert, Paris 2006, Presses Universitaires de France (Bibliothèque de Psychanalyse). 763 Seiten, ISBN 2-13-054995-0.

(Die erste ungekürzte, von Jeffrey M. Masson herausgegebene englische Ausgabe dieser Briefe publizierte 1985 die Harvard University Press, die von Michael Schröter bearbeitete deutsche Ausgabe 1986 der S. Fi scher Verlag.)


... Der letzte Band gesammelter Essays von Frederick Crews Follies of the Wise ist fraglos das aktuellste seiner verschiedenen Bücher. Obwohl eine Sammlung von Essays, die großenteils vordem schon in The New York Review of Books abgedruckt standen, hat das Buch seine eigene innere Konsistenz: Es ist schön aufgebaut und seine vier thematisch definierten Sektionen führen den fragenden, neugierigen Geist des Lesers (und Crews verlangt von seinen Lesern, solchen Geist mitzubringen) ganz natürlich von einer ersten intuitiven Reaktion zu einem bewußteren, wirklich mitdenkenden Eingehen auf den Text. Crews’ vorrangige, jedoch keineswegs einzige Sorge gilt Freuds verschiedenen rhetorischen „Amtsmißbräuchen“ und den das ganze zwanzigste Jahrhundert überschattenden Folgen dieser Korrumpierung des klaren Denkens auf dem Gebiet von Psychologie, Psychiatrie, Therapie, der „medizinischen“ Behandlungen verschiedenster Art. Crews sagt das nicht mit vielen Worten. Er überläßt dem Leser die angemessene, unvermeidliche Schlußfolgerung, daß Freud nämlich der desaströseste Eindringling (nach seinem eigenen Wort: „conquistador“) in die ärztliche Profession der Psychiatrie gewesen ist. Freuds verschiedene Einflußnahmen waren in jeder Hinsicht negativ und bei mehr als einer Gelegenheit im wahrsten Sinn der Wortes tödlich – von seinen irreführenden Erzählungen phantasierter Heilungen fehldiagnostizierter Hysterie bis zu den in großem Umfang herbeigeführten Familienzerrüttungen in Nordamerika durch Produktion falscher „verdrängter Erinnerungen“, basierend auf der „therapeutischen“ Weiterführung und Umsetzung seiner Theorien über die seelische Entwicklung des Menschen. (Zu diesem speziellen Thema sollte man noch das exzellente Buch des Harvard-Psychiatrie-Professors Harrison G. Pope Jr. lesen: Psychology AstraY - Fallacies in Studies of „Repressed Memory“ and Childhood Trauma, Boca Raton, FL, Upton Books, 1997).
[9]

Follies of the Wise ist, wie gesagt, in vier thematische Sektionen, jede davon wieder in eigene Kapitel auf  geteilt sowie in zwei hoch informative Anhänge. Sie stellen locker-unterhaltsame Gespräche mit Repräsentanten von Universitäten dar, von denen er, Crews, zu Konferenzen eingeladen worden war, die eine dem Kreationismus gewidmet – Crews verweigerte jedes Kleinreden des Darwinismus -, die andere dem schier sinnlosen Unfug des Lacanismus. Es ist dieser letzte Anhang ganz am Ende des Buches, in dem wir erfahren, daß er, Frederick Crews, einer der frühen Vertrauten von Alan Sokal war und die Publikation seines heute berühmten Spottartikels[10] in (der amerikanischen Zeitschrift) Social Text begleitete, jener Parodie über Dekonstruktion und Quantengravitation, die Crews belustigt die „gewiß feinste Drapierung akademischen Blödsinns, die je abgefaßt worden ist,“ nennt. Das Buch von Alan Sokal und Jean Bricmont Im postures intellectuelles - auf deutsch Eleganter UnsiNn (W ) –  verursachte einen akademischen Tsunami, von dem sich die Franzosen noch erholen.

Die vier thematischen Sektionen sind folgende: „The Antiscience“/ Die Gegenwissenschaft, die frühen Vorschläge Freuds und die wenig hilfreichen Beiträge seiner jüngeren amerikanischen Verteidiger behandelnd, etwa die von Lear und Wollheim; „Modern Deviltry“/  “moderne Teufelei “, die diagnostischen Torheiten in Fällen von „recovered memory“ („wieder aufgedeckten Erinnerungen“)[11] und das grobe Ungenügen des von einem Schweizer Freudianer stammenden Rorschach-(Tintenklecks-)Testes beleuchtend; „The Will to Believe“ / „Der Wille zu glauben“, welches Kapitel den Beitrag der Madame Blavatsky zum Kult der Theosophie bespricht und dann kritisch auf die Kreationisten und ihre Sympathisanten übergeht[12] und letztlich „A Discipline in Crisis“, wo sich Crews zu Recht besonders mit den im Ausland verbreiteten Auffassungen der „Poststrukturalisten in den Geisteswissenschaften auseinandersetzt. [13] Diese theorie-besessenen, abgesicherten Posten-Halter in geistes- und sozialwissenschaftlichen Departements nordamerikanischer Universitäten haben unentwegt ihrer Profession wie ihren braven Studenten Schaden zugefügt, haben Freuds und Marx’ rhetorisch bestechendste Argumente dazu in den denkbar verführerischsten und doch beschränktesten Weisen ausgespielt. Die Kombinationen aufzubrechen, erwies sich in den Vereinigten Staaten als schwierig, in Frankreich (in folge Fehlens einer ehrlichen Zuhörerschaft)[14] gar als unmöglich.

Crews’ Zusammenstellung ist in jeder Hinsicht ein  tiefes Luftholen für jene, die in der Atmosphäre des „öffentlichen Raums“ schon dem Ersticken nahe waren. Ja, sie können wieder wagen zu denken! Es ist aber keine Garantie, daß dies ewig vorhält.

Sie können zum besseren Verständnis auch die Hilfe von Michael Schröter, Gerhard Fichtner sowie Francoise Kahn und Francois Robert in Anspruch nehmen. Die beiden zuerst Genannten sind die deutschen Medizinhistoriker aus Tübingen, die den handgeschriebenen Urtext von Freuds Briefen (an Fließ) entzifferten und korrigierten, die beiden Letztgenannten diejenigen, denen wir dankbar sein müssen, daß sie der französischen Öffentlichkeit - wenn auch gegenüber den englischsprachigen Völkern um ein Viertel Jahrhundert verspätet[15] – erstmals den unzensierten, unbereinigten Text der Freudschen Briefe vorlegten aus den Gründungsjahren der späteren Psychoanalyse. Den Übersetzern und auch dem Verlag PUF (Presses universitaires der France) ist zu gratulieren, daß sie sich allein auf das originale Deutsch der Freud-Texte als Basis ihrer Übersetzung stützten. Diese Vorlage hält sich genauer als die englische Edition an die Quelle. Jeffrey M. Massons Bemerkungen wurden in den Fundus der von den Editoren verfaßten Erklärungen mit einbezogen.

Die journalistische Resonanz auf die Publikation dieser Briefe blieb in Frankreich fast zur Gänze freudianisch! Die nationale Tageszeitung Le monde überließ die Besprechung der Briefe der Lacan-justierten Freudianerin Elisabeth Roudinesco, deren Artikel dann hieß: „La passionante correspondence de l’inventeur de la psychanalyse avec son ami Wilhelm Fliess: NAISSANCE DE FREUD“  - „Die leidenschaftliche Korrespondenz des Erfinders der Psychoanalyse mit seinem Freund Wilhelm Fließ: die Geburt Freuds“ (!!!). Wir sehen in dieser Korrespondenz nicht die frühen Schritte eines Genies, sondern das ganze Gegenteil: Wir werden Zeugen einer Reihe zügelloser, unbesonnener Vermutungen, mit denen es Sigmund - augenscheinlich ohne Erfolg – bei seinem Freund, dem HNO-Arzt Wilhelm Fließ aus Berlin, versuchte. Und im Gegensatz zu psychoanalytisch gestreuten Gerüchten, scheint es ganz und gar nicht, daß sich Freud „Schritt für Schritt von Fließ abwandte“, sondern daß im Gegenteil Fließ von all dem Unsinn genug bekam, der ihm aus Wien zuging.

Dies macht aus Fließ übrigens keinen Heroen der Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde. Freud ging aus purer physiologischer Unkenntnis mit Fließ’ absurder Vorstellung von den Conchen der Nase als verantwortlichem Sitz der „nasalen Reflex-Neurose“ einig, eine von Fließ erfundene und von Freud einige Zeit lang geglaubte Krankheit, die sie im Februar 1885 an der Opfer-Patientin Emma Eckstein eine Operation ausführen ließ, die ihr um ein Haar das Leben kostete. Die Briefe, möchte man meinen, bewiesen ausreichend, bewiesen endgültig, daß die Psychoanalyse eine wissenschaftliche Betrügerei ist, gründend auf medizinischer Ignoranz und mit ihr verschwisterter Rhetorik. Beim englischsprachigen Leser ruft der Hinweis auf den „anderen Freud“ („Un autre Freud?“) im Klappentext der Presses Universitaires de France (PUF) eher Unglauben hervor. Nur die Franzosen vermag die Ankündigung zu beeindrucken[16].

Es mag ausgleichende Gerechtigkeit sein, daß die Nation, die Freud während seines sechsmonatigen Aufenthalts an der Salpêtrière bei Charcot die Magie hypnotischer „Übertragung“ präsentierte, mit Brasilien und Argentinien zusammen die Nation wurde, die heute am intensivsten die „Entdeckungen“ eines Lacan und seines Guru Freud anhimmelt. Es verrät kaum ein Geheimnis, wenn man sagt, die französische Psychiatrie sei hundert Jahre zurück. - Ein auf Empirie fußen der französischer Psychiater setzte mich im letzten Jahr beim Besuch eines Militärhospitals in Paris mit der Eröffnung in Erstaunen, ALLE Militärpsychiater hätten eine Lacan'sche Psychoanalyse als Teil ihres Ausbildungsprogramms durchlaufen.

Es gab keine Entdeckungen (auf Freudschem oder Lacan'schem Fundus -W), nicht einmal auf der Ebene allgemeiner Feld-Wald-und-Wiesen-Entwicklungspsychologie. Der Titel, den ich für diese kurze Buchbesprechung wählte - A Bastion against Irrationalism -, entnahm ich Frederick Crews eigener Klage, daß in Amerika die Geisteswissenschaften ihre Berufung verfehlt hätten.[17] Selbst die Erfindung außerirdischer Invasoren, die Menschen entführen, wurde von Universitäten gestützt. „Ein weiteres kürzlich erschienenes Buch bezüglich des UFO-Phänomens ruft ins Gedächtnis, daß auf die gegenwärtige Akademikerschaft nicht als ‚eine Bastion gegen den Irrationalismus’ gesetzt werden kann. Sie ist durch einen Abgrund gespalten, der sich seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts fortlaufend ausgeweitet hat“ (Seite 211). Crews Schlußfolgerungen sind niederschmetternd. Und er sagt sie in vollem Ernst und hat sie und ihre furchtbaren Konsequenzen wohl durchdacht! Nichtsdestotrotz bleibt er infolge seiner brillanten Fähigkeit, die Gegenwart zu erfassen und vor zukünftigen Problemen zu warnen, die einzige Art eines Optimisten, der wir uns sicher anschließen können: der skeptischen Art.

Ich habe noch ein Wort anzufügen, das nicht für Sie, die Leser und auch nicht für Crews bestimmt ist, sondern für seine kalifornischen Herausgeber – Shoemaker  & Hoard. Mögen sie sicher stellen, daß so schnell wie möglich eine französische und eine deutsche Ausgabe dieses hervorragenden Buches in Europa verfügbar wird. Die Europäer brauchen diese Art der Botschaft. Crews ist „eine Bastion gegen den Irrationalismus“.

 

4.2  Die Bereitschaft der Menschen zum Irrationalismus ist politisch immer ausnützbar. Inwieweit das auch heute geschieht, eine Clique mächtiger Leute ihn fördert, weil sie glaubt, mit allgemeiner Verwirrung auf Dauer selbst besser zu fahren, ist eine Frage, die nüchtern zu bedenken ist. Bei dem Schaden, den Massenbewegungen oft schon angerichtet haben - Crews’ zeigt sie aktuell am dramatischen Beispiel der recovered-me mory-Bewegung auf -, müssen alle möglichen Ursachen und alle Mittel geprüft werden, ihnen beizukommen. W

 

5.  Zur inhaltlichen Reform des Gesundheitswesens

5.1  Wie wir über der Thematik des Psychiatriemißbrauchs im Kommunismus, auch dem deutschen, schon in die Unberührbarkeit gerieten, wurden und werden wir ähnlich weithin infolge der kritischen Behandlung der Psychoanalyse geschnitten. Dabei taucht, was wir da sagen und schreiben, ähnlich in anderen, gänzlich unangefochtenen Blättern auf.

Die Jüdische Allgemeine (JA) vom  4.Mai 2006 etwa brachte zu Freuds 150. Geburtstag (RB 1/06,7.5) ein Interview mit dem holländischen Freud-Kritiker und Rechtspsychologen der Universität Maastricht Han Israels (RB 2/01,3) unter der Überschrift „Seine Theorien waren ein Irrtum“.[18]  Zusammenfassend schreibt die JA dazu:

„Kritik an der Freudschen Methode gibt es ... seit Jahrzehnten. Zahlreiche von Freuds Fällen wurden als Fälschungen entlarvt. So wurde die berühmte Anna O., anders als von Freud behauptet, nie von ihm geheilt, sondern sie landete in der Psychiatrie.“[19] Als Manko notierte das Blatt „vor allem, daß die Erkenntnisse der Psychoanalyse allein vom Eindruck des Therapeuten abhängen und keinerlei belastbare Datengrundlage haben“. In direkter Rede weiter:

JA: „Sie haben ... nachgewiesen, daß der Erfinder der Psychoanalyse unwissenschaftlich gearbeitet hat und regelmäßig schummelte. Sie und viele andere Autoren haben viele Fallstudien, mit denen Freud seine Thesen belegte, als ‚frisiert’ entlarvt. Wenn es aber die berühmte Heilung der Anna O. nie gegeben hat, ist dann nicht die gesamte Psychoanalyse hinfällig?

Israels: „Schon die in der Psychoanalyse verwendeten Begriffe sind derart vage, daß es keinen Tatbestand gibt, der einer psychoanalytischen Aussage widerspricht. Man kann sie also eigentlich nicht widerlegen  - aber auch nicht beweisen. So funktioniert Wissenschaft nicht...“

JA: „.. Demnach wäre Psychoanalyse die einzige Weltanschauung, die von der Krankenkasse subventioniert wird... Ist Psychoanalyse also Quatsch?“

Israels: „...Die Tatsache, daß die psychoanalytische Therapie wenig hilft,  beweist noch nicht, daß die Psychoanalyse als Wissenschaft Quatsch ist...“

JA: „Als (Ihr Buch) ‚Der Fall Freud’ auf deutsch erschien, haben Sie viel Kritik, sogar Anfeindungen erlebt. Fast die gesamte psychotherapeutische Zunft[20] ist regelrecht über Sie hergefallen. Fühlen Sie sich als Dissident?

Israels: „Das scheint ein deutsches Phänomen zu sein. In der internationalen Wissenschaftslandschaft sind Freud-‚Dissidenten’ eine blühende Gemeinschaft, in der unter einander viel diskutiert und auch gestritten wird... In Deutsch land sind Freud-Kritiker tatsächlich eine kleine Minderheit.“

JA: „Woran liegt das?

Israels (nach Ansprechen des Holocausts): „...Es ist unangenehm, jemanden wie Freud zu kritisieren, der nicht nur Jude war, sondern dessen Bücher von den Nazis verbrannt worden sind. Wer Freud angreift, steht gewissermaßen automatisch auf der Seite der Nazis“.

JA:  „Welchen Umgang mit Freud würden Sie sich in diesem Jubeljahr wünschen?

Israels: „Man sollte zu dem Schluß kommen, daß seine Theorien ein großer Irrtum waren. Aber ich bin pessimistisch, daß sich diese Erkenntnis durchsetzt. Genau wie Freud glaube ich, daß bei den meisten Menschen die Intelligenz viel schwächer ausgeprägt ist als die Emotionen...

5.2      Die Freud-Kritik ist in unterschiedlichsten Lagern präsent und steht doch überall neben gänzlich entgegen gesetzten Aussagen. So veranstaltete das Jüdische Museum Berlin aus Anlaß des Freud-Jubeljahrs (RB 1/06,7.5) die Ausstellung Psychoanalyse – spielerisch entdecken. [21] Und wiewohl auch hinter der konsequentesten Freud-Kritik hohe jüdische Gelehrsamkeit steht, wird gegen sie nicht selten, wie Israels ausführt, auch heute noch wie schon zur Zeit Freuds und von diesem  selbst[22] das Argument des Antisemitismus ausgespielt. 

Wie billig dieses Argument gerade auf dem Hintergrund eines verabscheuungswürdigen, realen Antisemitismus ist, taucht es doch bei allen möglichen und unmöglichen Gelegenheiten auch auf dem Gebiet der Wissenschaft auf und behindert empfindlich die ehrliche, unbefangene Auseinandersetzung, die zur wissenschaftlichen Wahrheitsfindung unerläßlich ist - weit über Freud hinaus.

Die britische Tageszeitung THE GUARDIAN berichtete am 19.08.06 (Objectionable ‚objec tives’), wie locker in der Heilkunde heute schon das Fakten-Wissen der Evidence-based Healthcare“ als „faschistisch“ verrissen wird. Nicht selten versuchten solche, die an „alternative Formen des Wissens“ glauben (oder Profit daraus schlagen wollen), lästige Kritiker damit zum Schweigen zu bringen.

5.3   Auch unter den Freud-Kritikern mögen Beweggründe und Ziele mitunter differieren. Wir stellten in RB 1/06 das von vierzig Autoren geschriebene Livre noir de la Psychanalyse (Schwarzbuch der Psychoanalyse) vor, das in Frankreich quasi als Standardwerk der Freud-Kritik gehandelt und erfolgreich verkauft wurde (RB 1/06, 4.4) - nicht unwesent lich wohl in folge der engagierten Unterstützung durch den linken, von Sartre begründeten Nouvel Observateur. Sein Chefredakteur M. Joffrin dazu: „Faut-il en finir avec la psychanalyse ..., nos amis psychanalystes? No. Nous les avons bousculés, ce qui est ... très different – Schluß mit der Psychoanalyse..,  unseren Analytiker-Freunden? Nein. Wir haben sie angeschubst. Das ist etwas ganz anderes.

Inkonsistente „Freud-Kritik“ erlebten wir auch in Deutschland.[23] Oft verfolgt sie den Zweck, konsequente Kritik ab zufangen.[24] Wenn es um die Sache geht, geraten auch Kritiker so mitunter an einander - bei aller Anerkennung ihrer vordem erbrachten Leistungen.

Vom Psychiatriemißbrauch der DDR wollten Anfang der 90er ehemals Verbündete, die an den Praktiken in der ehemaligen Sowjetunion noch heftig mit uns Anstoß genommen hatten, plötzlich nichts mehr wissen.[25] Die Trennung von GIP war damals die Folge. So wie bei jenen ehemals Verbündeten wollen wir dabei auch jetzt nicht verkennen, welch großen An teil an der gemeinsamen Arbeit auch Kritiker haben, die plötzlich Haken schlagen.

Im anstehenden Fall haben auch die Herausgeber des genannten „Schwarzbuchs“ mitgeholfen, Freud, den Blender, vom Sockel zu holen. Was können da Versuche noch ausrichten, ihn dort irgendwie doch zu halten oder wieder hinaufzustellen, die „Analytiker-Freunde dazu „anzuschubsen“? Wie es mit der Trennung von GIP erst möglich wurde, den Mißbrauch des Fachs auf (kommunistisch-) deutschem Boden anzugehen, so möge, so wird gewiß das kritische Nebeneinander der verschiedenen Freud-Kritiker der wirksamen Freud-Entzauberung zugute kommen. 

5.4    Mehr als die „Gemeinschaft der Freud-Dissidenten blüht“ jedenfalls die sachliche Freud-Kritik, die sich über kleine Divergenzen hinweg in einem völlig einig ist: Freud ist vor allem als Therapeut erledigt. Durch alle Phasen seines Unternehmens haben ihm seine diversen Kritiker Lug und Trug nachgewiesen. Schon im psychoanalytischen Grundbuch, der Traumdeutung, hat sie R. Wilcocks aufgedeckt (RB 1/06,4.3).

Ein Beispiel dafür ist F. Crews’ kürzlich erschienenes Buch FOLLIES OF THE WISE, wie Wilcocks eben dargelegt hat (.4.1) . Es breitet u.a. aus, wie die Psychoanalyse aus der amerikanischen Psychiatrie und Psychologie herausgefallen ist, sich im Kulturbetrieb, in den Geistes ‑ und Sozialwissenschaften aber noch hält. Nach einer Liste der Stanford University etwa (Crews, S. 45) zählt die Psychoanalyse weiter zum Satz „westlicher Werte“ (vielleicht neben Homo-Ehe, Drogen-Konsum und einigen abgeschlagenen Köpfen auf den Bühnen des Zeitgeists?). Die Protagonisten des Westens definieren ihn grün-rot-liberal und übergehen gern, daß er immer auch noch auf wissenschaftliche Evidenzen, auf Wahrheit baut und ein bißchen immer noch christlich-ethisch mitgeprägt ist. Wohl um die Reste davon zu schleifen, das vielfältige Bemühen, Freud zumindest auf „kulturellem Sockel“ stehen zu lassen? Kann er selbst dazu aber heute noch taugen? Daß manche seine Lehre noch als therapeutisch[26] ansehen, nimmt sich da fast schon bizarr aus. Auch eine auf „Irrtum“ fußende „Therapie“ zu üben –  es muß gar nicht Lug und Trug sein -, ist jedenfalls unärztlich.

Ihre systematische Anwendung aber zu besorgen, nicht einmal der Frage nach zugehen, inwieweit Irrtum oder Schlimmeres im Spiel sind, bleibt angesichts der damit verbundenen Beschädigungen Leidender, angesichts auch der vergeudeten Millionen-, Milliardenbeträge ein kaum zu überbietender Skandal. Daß Ärzte, ihre Körperschaften und ihre politischen Administratoren Schwindeltherapie, die einzige Weltanschauung, die von der Krankenkasse subventioniert wird“, praktizieren, ja propagieren, zeigt zumindest, daß auch bei anderen als Analphabeten „die Intelligenz viel schwächer ausgeprägt ist als die Emotionen.“ Sicher nicht zuletzt „weil Freud Jude war und seine Bücher von den Nazis verbrannt worden sind“, [27] kam er nach ’45 so zu Ehren. So schandbar aber die Verfolgung war, ist es jetzt wohl an der Zeit, von ihr die anstehende, vorrangige Frage wissenschaftlicher Wahrheit zu trennen und der ganzen komplexen Realität des Wiener Quacksalbers (Fußnote 18) ins Auge zu sehen. Der jüdische Anteil an seiner Entzauberung ist dabei in allen Facetten hoch zu würdigen. Nichts aber kann einen Kult um Freud heute noch retten, wenn er gar noch des Phantoms einer Heilwirkung entkleidet ist.

Daß das über Jahrzehnte fort gesetzte Eindringen der Psychoanalyse ins Gesundheitswesen den inhaltlichen Teil der Gesundheitsreform ausmacht, es die Kostenexplosion mitbewirkte, die dann den plakativen Grund zu den weiteren strukturellen Reformen legte, das haben die Ärzte, die heute über sie klagen und sie doch mitzuverantworten haben, augenscheinlich nicht bemerkt. Wollten sie’s nicht bemerken?

5.5   Manche unserer angesehenen „Psycho-Professoren“ (RB 1/06, 7.2), unsere ärztlichen Journale sowieso, verkünden so (auch um selbst der anstehenden Blamage zu entgehen?), Freud werde durch neue wissenschaftliche Entdeckungen der Hirnforschung und speziell neuer bildgebender Verfahren neu gestützt. Das Deutsche Ärzteblatt 38/06 diente solches seinen Lesern an in dem Artikel Perspektiven der funktionellen Bildgebung in der Psychiatrie (Unter-Überschrift: Evaluation von Psychotherapie...). Dabei wird zur „Evaluation“ (Wertbestimmung) der an Freud anlehnenden und vorrangig praktizierten Psychotherapien von besagter Bildgebung nicht ein Krümelchen beigesteuert.

Der NeuroTransmitter (7-8/06), Organ der  niedergelassenen Nervenärzte, warf ähnliche Nebelkerzen. Er führte Ansichten des Münchner Schlafforschers Prof. M. Wiegand vor, der sich auf die des Londoner Neuro-Wissenschaftlers und Psychoanalytikers Prof. M. Solms stützt wie dieser wieder auf die Ansicht Freuds, es kämen im Traum Wunscherfüllungen zum Ausdruck. Mit diesen „genialen und fruchtbaren Hypothesen“ des „kreativen Denkers Sigmund Freud“ seien, so Wiegand, Befunde der Positronenemissionstomographie, eines dieser neuen, bildgebenden Verfahren, „erstaunlich kompatibel“. Das Organ der niedergelassenen Nervenärzte druckt solches natürlich gern ab. Bestreiten etliche von ihnen mit Freudschem Schwindel doch ihren Lebensunterhalt. Daß Kompatibilität nichts beweist und Freuds Theorien genial allenfalls insofern sind, als „sie“ (oder geschickte Rhetorik) viele, auch gescheite Menschen an sie glauben machten, sie ansonsten Hirngespinste darstellen, bleibt in deutschen Ärzteblättern aus gespart.

5.6  Wie Pseudowissenschaft allgemein gepusht wird, da    zu ein weiteres Detail. Sie wird, während viel von wissenschaftlicher Exzellenz geredet wird, gesetzlich verfügt. Durch etliche Gesundheits-Reformgesetze seit 1988, u.a. das GMG (GKV-Modernisierungsgesetz) von 2004, wurde zur Etablierung neuer Heilverfahren in der gesetzlichen Krankenversorgung (GKV) mit den Stimmen vornehmlich der Grünen der § 135, Abs. 1 in das Sozialgesetzbuch Fünf (SGB V)[28] eingeführt, mit ihm der „Binnenkonsens der jeweiligen Therapierichtung.

Genau er aber bestimmt, was eingeführt wird, der weiter etablierte Gemeinsame Bundesausschuß (G-BA), der 21 Mitglieder hat, drei davon „unparteiisch“, die übrigen gestellt von der Kassen(-zahn-)ärztlichen Bundesvereinigung (5), der Deutschen Krankenhausgesellschaft (4), den Bundesverbänden der Krankenkassen (9) und Patientenvertretern (ohne Stimmrecht). Ihrer aller Abhängigkeiten und Ansichten sind dem „Normalbürger“ / „Normalarzt“ weithin unbekannt, bekannt am ehesten noch die des Kassenvertreters Fritz Schösser, nebenbei Bundestagsabgeordneter der SPD und bayerischer DGB-Vorsitzender. Dieser eher politische Kreis bestimmt, was in der Heilkunde als wissenschaftlich gesichert gilt, "wissenschaftliche Wahrheit" ist.[29] Und die aktuelle Gesundheitsreform ist dabei, ihn weiter politisch-ministeriell auszurichten.

Zwei Psychotherapieverfahren sind, schreibt der G-BA auf seiner Homepage, in der Gesetzlichen Krankenversicherung zugelassen, die Psychoanalyse, die „auf der wissenschaftlichen Arbeit von Sigmund Freud basiert“ und die Verhaltenstherapie, die „ihre Wirksamkeit in vielen wissenschaftlichen Studien nachgewiesen“ habe (RB 1/06, 7.3) –  eines zumindest unwahr. Ende Juni 2006 gab der G-BA gar neue „weitreichende Standards für die psychotherapeutische Behandlung“ heraus, die offensichtlich selbst der Bundesgesundheitsministerin zu abenteuerlich erschienen. Von „indikationsbezogenem Nutzen“ der „Therapien“ faselte der Ausschuß, wo für das primär angeführte Freudsche Ur- und Haupt verfahren nicht einmal der Anflug einer allgemein therapeutischen Wirkung nachgewiesen ist![30] 

§ 91, Abs. 5 des SGB V bestimmt übrigens: „... Bei Beschlüssen zu Richtlinien der psychotherapeutischen Versorgung sind als Vertreter der Kassenärztlichen Bundesvereinigung fünf psychotherapeutische Ärzte und fünf Psychotherapeuten ...  zu benennen“. Wenn hier also Beschlüsse anstehen, ist ein „Binnenkonsens“ besonderer Art gesetzlich fixiert, der „Normal-Konsens“ der KBV, heilkundlich halbwegs „normaler“ Ärzteverstand à priori ausgesperrt. Mit Emphase beruft sich der G-BA zum Ausweis der Rechtschaffenheit seiner Beschlüsse auf den „Wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie“, dessen Mitglieder über die Jahre immer auf ähnlichen Binnenkonsens hin bestellt worden sind. Die Medien schwiegen links wie rechts.

5.7  Im  Frühjahr 2006 führte der G-BA noch die Akupunktur in die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) ein. Unter dem Titel „Der Kaiser ist nackt“ unterrichtete das Deutsche Ärzteblatt vom 28.04.2006 über die Neuerung, einräumend, daß für die Methode überhaupt kein Wirksamkeits nach weis existiert. Der Ausschuß „mußte“, schrieb das Blatt, den Akupunktur-Beschluß fassen. Warum er „mußte“, ließ es offen. „Der Gesetzgeber“ habe „den transzendenten Bedürfnissen größerer Bevölkerungsanteile Rechnung getragen“, was reichlich nach Abwälzung der Verantwortung auf andere roch. Große Teile der Öffentlichkeit, auch der Ärzte nehmen es natürlich hin. Daß die Entscheidungen des Gremiums die „Leistungsansprüche“ und damit „die politische Stimmung von 90 Prozent der wahlberechtigten Bevölkerung beeinflussen“ kann, das immerhin sprach das Blatt aus und das ist auch das einzig ersichtliche Motiv, aus dem heraus die „politisch-publizistische Klasse“ auch diesen Hokuspokus vorantrieb.

Daß hier zu lande ein politisch ausgelegtes 21-Köpfe-Gremium über wissenschaftliche Wahrheit und nebenher Ausgaben der GKV in Milliardenhöhe entscheidet, es auch das gesetzlich vorgegebene Kriterium des Effizienznachweises immer wieder zu unterlaufen vermag, die Pflichtkrankenversicherten so u.a. von „ihren“ Vertretern die horrenden Kosten für Schwindelleistungen aufgehalst bekommen, darüber freilich schweigen die allgemeinen Medien, die ärztlichen erst recht. Viele Ärzte verdienen ja daran. Daß wir aber die Schwindeleien, die in der Psychotherapie in besonderer Weise „die politische Stimmung der wahlberechtigten Bevölkerung beeinflussen“, vor Jahren schon mit zu unserem Thema machten, ist wohl der Gründe oberster, warum wir auch von den Ärztefunktionären ausgegrenzt werden. Auf eine Phantasterei, ja Betrügerei setzen sie und die Politiker die nächste. Die Medien aber schweigen links wie rechts. Und das aktuelle Gesundheitsreformgesetz legt den Gemeinsamen  Bundesausschuß (G-BA) nochmals enger an die politische Regierungsleine.

5.8   Die Etablierung der Psychoanalyse als Heilkunde macht die inhaltliche Reform des Gesundheitswesens aus. Sie aber wurde ähnlich schon in der frühen Sowjetunion durchexerziert. Nicht nur durch Umformung der sozialen Umgebung nämlich sollte der neue „Sowjetmensch“ entstehen, sondern auch durch Psychotechnik. Entsprechend vielfältig die Implementierung der Psychoanalyse, als unter Trotzky noch intellektueller Schwung im Sowjetsystem war. Seelenkunde in verschiedensten materialistischen Ausformungen (neben Freud insbesondere durch Pawlow und Bechterew) legten teilweise im Wettstreit mit einander mit den Grund zu 70 Jahren Sowjetdiktatur (samt Psychiatriemißbrauch). Mit den Gesundheitsreformen aber wurden die Psycho-Ideologie von den 60ern an als „Wissenschaft“ in die bundesdeutsche Versorgungspraxis hineingedrückt, reichlich auch von der Union. Deren „Koordinatensystem“ habe sich, sagt man oft, nach links verschoben. Zu rutschen aber begann es im Gesundheitswesen, speziell der Psychiatrie.

Das Ganze läuft in anderen Ländern teilweise ähnlich, wohl weil es einigen Herrschaften „ganz oben“ so paßt. Inzwischen ist aber der Widerstand überall so verbreitet, so massiv und so zäh geworden, daß der Schwindel trotz aller politischen „Protektion“ kaum mehr zu halten sein wird.

Wie über andere Themen, die wir in der GEP behandeln, kann zur gegenwärtigen Lage der Psychoanalyse in unseren Rundbriefen nur ein Teil der im Internet stehenden Texte erscheinen. Dort stehen insbesondere in der Sektion des INFC (Inter na tionales Netzwerk der Freud-Kritiker) Beiträge international auf dem Gebiet führender Gelehrter auf englisch, französisch und deutsch, in letzterer Rubrik Ausführungen etwa von Sophie Freud (USA), J. Bénesteau (F), M. Geiser (CH), K. Jaspers (D/CH), A. Tjeldflat (N), M. Scharnberg (S), N. Wiklund (S), K. Schlagmann (D) und vom Autor dieses Rundbriefs.

 

6.1      Exkurs I                  

Ultimative Phantasterei im „Organ der Ärzteschaft

„Die dissoziative Identitätsstörung – häufig fehldiagnostiziert“

von PD Dr. med. Ursula Gast, Prof. Dr. med. H. M. Emrich et al.

Der folgende Text wurde der DÄ-Redaktion als Leserbrief am 7.12.2006 eingereicht. Er bezieht sich auf einen Artikel des DEUTSCHEN ÄRZTEBLATTES 47/2006, dessen Inhalt aus dem Text wohl klar wird. Wir fragten dort am  29.12.2006 an, ob der Leserbrief zum Abdruck kommt, erhielten bis Reaktionsschluß aber keine Antwort.

 

Nach Ansicht einiger Seelen-Experten, darunter drei Ärzten, einer von der angesehenen Medizinischen Hochschule Hannover, wird „die dissoziative Identitätsstörung häufig fehldiagnostiziert“. Sie werde auch „noch nicht ausreichend“ akzeptiert, obwohl sie (angeblich) eine beträchtliche „Häufigkeit aufweist“ - „0,5 -1 Prozent in der Gesamtbevölkerung und 5 Prozent in stationären psychiatrischen Patientenpopulationen“. Auf dem Höhepunkt der „False-Memory-Bewegung“ zwischen 1985 und 95 nannten einige Therapeuten in Amerika Zahlen gar zwischen 20 und 50 Prozent, die sich aber rasch wieder der Null näherten, als dort entsprechende malpractice-Prozesse einsetzten.

Derzeit zwar „noch eine Forschungsdiagnose“ müßten die Symptome bei insgesamt „diskreter Phänomenologie“,  da die „Patienten sie in der Regel nicht spontan mitteilen“, „aktiv erfragt (suggeriert?) werden. Es könnten auch nur „mit dem Krankheitsbild vertraute Psychotherapeuten oder Psychiater“ die „unspezifischen diagnostischen Hinweise“ dieser „schwersten Erkrankung im Spektrum der dissoziativen Störungen“ erkennen. Es wohnten da  „in einem Individuum acht bis zehn verschiedene Persönlichkeitszustände“, „teilabgespaltene Selbstzustände“, ja „multiple Persönlichkeiten.

Es würden z.B. die „eigene Examensprüfung, der gesamte Urlaub oder die Geburt des eigenen Kindes nicht mehr erinnert.“ „Das Problem der ‚gespaltenen’ oder ‚multiplen Persönlichkeit’“ sei „in den Jahren von 1840 bis 1880 eines der von Psychiatern und Philosophen häufig diskutierten Themen“ gewesen. „Als Therapie der Wahl (aber ) gilt eine individuelle ambulante Langzeitpsychotherapie mit zwei Stunden pro Woche über mehrere Jahre, doch haben sich auch kombinierte Therapieangebote von ambulanter und stationärer Intervalltherapie klinisch bewährt.

Das Konzept der „Störung“ leitet sich aus Freuds „verdrängten Erinnerungen“ ab und mit diesen aus Vorstellungen, die tatsächlich um 1840 bis ’80 im Schwange waren, davor häufig unter „Besessenheit“, danach eher als „Hysterie“ liefen (vgl. Ellenberger H., Die Entdeckung des UnbewuSSten, Diogenes, 1996, S. 186). Auch heute werden viele „Therapeuten“, Psychiater, Psychologen, Sozialarbeiter usw. die „dissoziative Identitätsstörung“ gern diagnostizieren, nach dem das „Organ der Ärzteschaft“ sie derart aufgeplustert hat. Mit einem oder zwei entsprechenden Patienten hat ein „Therapeut“ ja einen guten Teil seines Einkommens auf Jahre in der Tasche.

In Amerika war der Glaube an „verdrängte“, erst von Therapeuten „wieder aufgedeckte“ Erinnerungen und die entsprechen den “dissoziativen Störungen“ um 1980 weit verbreitet. „Satanic Ritual Abuse“ und „Alien Abduction“ (Entführungen durch Außerirdische)[31] wurden ihnen vielfach zugeordnet. Viel Leid, böse Nachreden, Famlienzerrüttungen, Existenzvernichtungen, kostspielige Gerichtsprozesse hat der Aberglaube produziert. Infolge letzterer, aber auch einiger solider ärztlicher Befunde ist Nüchternheit dann wieder eingekehrt. Der Harvard-Psychiater Prof. H. G. Pope und seine Kollegen etwa untersuchten eine große Population von Opfern bekannter Gewalteinwirkungen, Holocaust-Opfern, Opfern von Kriegseinwirkungen etc. Nach Ausmusterung methodisch fehlerhafter Arbeiten blieben rund 10.000 Fallberichte übrig. Die Schreckenserlebnisse wurden immer erinnert. Kein Fall, in dem sie nicht erinnert ("verdrängt") worden waren (H. G. Pope, Psychology Astray – s. .4.1). 

In 40jähriger nervenärztlicher Berufstätigkeit hat der Autor dieser Zeilen die „häufige Störung“ nicht ein einziges Mal gesehen. Und, Hand auf’s Herz, wer von Ihnen, verehrte Kolleginnen und Kollegen, hat sie je gesehen? Wer von Ihnen erinnert ihre/seine Examina nicht? Wer kennt die Mutter, die sich, ohne daß Narkose im Spiel war, an die Geburt ihres Kindes nicht erinnert? Wer auch hat „einen gesamten Urlaub“ erlebt oder von einem solchen gehört, der so ein „Trauma“ war, daß er 1.) „verdrängt“ der Amnesie verfiel und 2.) zur Erholung von den resultierenden „dissoziativen“ Krankheitsfolgen „Langzeitpsychotherapie mit zwei Stunden pro Woche über mehrere Jahre“ erforderte?

Seien Sie aber auf der Hut! Die „Klugen“ (Andersen) werden „des Kaisers neue Kleider“ sehen, kassieren und um so mitleidsvoller bald auf Sie herabsehen. Natürlich werden diese „Klugen“ ihr Gezeter über die „Unterversorgung der psychisch Kranken“ wieder erheben, wenn die Gelder nicht fließen, wie gewünscht. Nachdem mancherorts, etwa im Gemeinsamen Bundesausschuß (G-BA), jetzt aber dämmert, daß die empfohlenen „Therapien“, für die Millionen-, Milliardenbeträge schon geflossen sind, „nicht nach den Kriterien der evidenzbasierten Medizin geprüft“ worden sind (Fußnote 30), „der Kaiser“ also nackt ist, könnte auch in die deutsche Ärzteschaft und allgemein Ernüchterung einkehren.

 

 

6.2    Exkurs II

Freud und der Nobelpreis

Folgender Beitrag von Dr. phil. Nils Wiklund, Dozent in Psychologie, Stockholm, erschien in der führenden schwedischen Tageszeitung SVENSKA DAGBLADET vom 7 Dezember 2006.  Er steht auch bereits auf der deutschen  INFC –Webseite W

 

Sigmund Freud wurde zwölf Mal für den Medizin-Nobelpreis nominiert. Weniger bekannt ist, daß Freud – ein früher „Postmodernist“, der sich seine eigene Wirklichkeit frei erschuf – auch für den Literatur-Nobelpreis vorgeschlagen wurde.

 Im Jahr 1904 besuchte Sigmund Freud zum ersten Mal die Akropolis in Athen. Dabei hatte er ein eigenartiges Erlebnis: Obwohl ihm die Stadtburg seit seiner Schulzeit wohl bekannt war, dachte er verwundert: „Also existiert das alles wirklich so, wie wir es auf der Schule gelernt haben?!“ Gleichzeitig reflektierte Freud, der die Existenz der Akropolis ja nie angezweifelt hatte, über sich selbst und versuchte, seinen merkwürdigen Gedanken einzuordnen. Eine ähnliche Empfindung – ein flüchtiges, kaum beschreibbares Gefühl der Unwirklichkeit – ergriff sicher schon viele von uns, als wir vor Monumenten standen, die wir auf Bildern bereits hundertmal  gesehen haben: vor den Pyramiden, dem Eiffelturm, dem Taj Mahal. 

Freud vergaß das Ereignis auf der Akropolis nie. 32 Jahre später, 1936 also, schrieb er einen reizvollen, kurzen Artikel, in dem er versuchte, das Erlebnis zu deuten. Freud glaubte, daß das Unwirklichkeitsgefühl mit der  Empfindung zusammenhing, „so weit“ (zur Akropolis, aber auch in seiner Arbeit) gekommen zu sein und damit den eigenen Vater übertroffen zu haben – was wiederum bestimmte psychische Reaktionen mit sich gebracht hätte.

Freuds Artikel „Eine Erinnerungsstörung auf der Akropolis“ hatte zahlreiche Aufsätze verschiedener Psychoanalytiker zur Folge, so auch Risto Frieds faszinierende, 657 Seiten starke Monographie „Freud on the Acropolis: A Detective Story“ (2003). Risto Fried war Psychoanalytiker und Professor für Psychologie an der Universität von Jyväskylä; der aus Paris stammende Fried hatte an der Harvard-Universität doktoriert und war seiner finnischen Frau in ihr Heimatland gefolgt. Das Buch, das Fried erst kurz vor seinem Tod vollendete, ist eine Fundgrube an Informationen über Freuds Leben und Persönlichkeit. Es ist Frieds opus magnum. In der Monographie zeigt Fried u. a., daß Freuds Artikel – vom psychologischen Inhalt einmal ganz abgesehen – ein literarisches Meisterwerk ist, das offenbart, wie meisterhaft Freud Quintilians rhetorische Regeln beherrschte.

Freud schrieb seinen Artikel als offenen Brief an den Nobelpreisträger Romain Rolland zu dessen 70. Geburtstag am 29. Januar 1936. (Freud wurde im gleichen Jahr 80 Jahre alt.) Er sandte seinen Artikel am 15. Januar ab und schickte Rolland am eigentlichen Geburtstag noch ein Telegramm. In Henri und Madeleine Vermorels 1993 erschienenen Buch über die Korrespondenz zwischen Freud und Rolland geht hervor, daß Rolland Freud am 8. Februar mit einem kurzen Dankesbrief antwortete. Rolland fand aber weit mehr Gefallen an Freuds Artikel, als die Kürze seines Dankesbriefes vermuten läßt. Fünf Tage, nachdem Freud seinen Artikel abgeschickt hatte, am 20. Januar 1936, machte Rolland nämlich von seinem Recht als Nobelpreisträger Gebrauch, einen neuen Kandidaten für den Preis vorschlagen zu können. In schöner Handschrift brachte er einen Brief an die Schwedische Akademie zu Papier: „Cher Monsieur le Secrétaire“, schrieb Rolland und schlug dann „Prof. Dr. Sigmund Freud aus Wien“ für den Literatur-Nobelpreis vor! Auf den ersten Blick, so Rolland, erschiene der Nobelpreis für Medizin passender. Aber Freuds Arbeiten hätten auch mit Psychologie zu tun und hätten einen neuen Weg gezeigt, das emotionale und intellektuelle Leben zu analysieren. Und schließlich hätten sie seit dreißig Jahren grundlegenden Einfluß auf die Literatur ausgeübt: „Man kann sagen, daß viele der bemerkenswertesten Vertreter des neuen Romans und des Theaters in Frankreich, England und Italien Freuds Kennzeichen tragen.“ Rolland fügte hinzu, daß er Freud persönlich kenne, und lobte Freuds guten Charakter, den dieser „während eines ganzen Lebens stoischer Arbeit bewahrte, obwohl ihm nie offizielle Ehrenzeichen verliehen wurden, sondern er ständig Zielscheibe von Feindseligkeiten war oder von Seiten der offiziellen Wissenschaft, die aufgebracht war über die Kühnheit seiner neuen Ideen, totgeschwiegen wurde“.

Romain Rollands Nominierung Sigmund Freuds löste in der Schwedischen Akademie natürlich lebhafte Diskussionen aus. Das ablehnende Urteil, das 2001 veröffentlicht wurde, war ebenfalls eine rhetorische Meisterleistung – inhaltsreich und treffend: „Obwohl es sich hier um einen Weltruhm handelt, der recht lange geradezu überwältigende Ausmaße hatte und von dem immer noch viel übrig ist, ist es dem Laien nicht unmöglich, dem Vorschlag einigermaßen guten Gewissens kritisch gegenüberzustehen.“ Gemäß dem Gutachten hänge Freuds Geltung, vom Wert seiner Behandlungsmethode ab, und über diesen Wert könnten nur „medizinwissenschaftliche Autoritäten urteilen und diesem Forum hätte der Vorschlag unterbreitet werden sollen.“ Es ist „leicht, die Schärfe, Geschicktheit und Klarheit seiner Dialektik zu erfassen,“ fährt das Gutachten fort. „Zweifellos verfügt er auch über einen sehr guten, ungezwungenen literarischen Stil, vielleicht mit Ausnahme der eigentlichen Traumdeutung, auf der seine ganze Verkündigung fußt. Dort kann er in seiner Schilderung undeutlich werden.. Und wo der Stoff in das Prokrustesbett seines Systems gezwängt wird, hört auch seine intellektuelle Wendigkeit auf. Mechanisch und gröblich unkritisch löst er den Wirrwarr des Traums in einer äußerst einfachen Symbolsprache auf, dem Maskulinum und Femininum von Geschlechtsorganen. Alle Gestalten, die der Träumende in seiner Vorstellung hervorzuzaubern vermag, reduziert er durch rein geometrische Vereinfachung auf die erwähnten zwei Formen; sie werden Scylla und Charybdis, zwischen denen es kein Durchkommen gibt. Auf diese Weise ist zwar alles deutbar, aber die Methode wird ein bißchen zu bequem und das Ergebnis unleugbar einförmig und dürftig.“

Der Ödipuskomplex wird als Freuds Idée fixe bezeichnet: „Daß Freud sich keinen Augenblick von seiner Idée fixe befreien kann, spricht übrigens nicht gerade für den praktischen Wert seiner Behandlungsmethode: ungehemmtes Bekennen zur Reinigung des Unbewußten. Daß die Gegenwart seine Weisheit in so großem Umfang und mit solcher Verzückung angenommen hat, dürfte in der Zukunft als eine ihrer charakteristischsten und bedenklichsten Seiten gelten. Als Grund für den Nobelpreis für Literatur hat ein solches Faktum wenig Gewicht. Um so weniger, als besonders die Verfasser schöngeistiger Literatur oft in seinen Lehren stecken geblieben sind und aus ihnen grobe Effekte und eine einfältige Psychologie gemacht haben.“ Das Gutachten schließt: „Wer auch die Geringsten dieser Kleinen so verdorben hat, sollte kaum Dichterlorbeeren ernten, wie viel er als Wissenschaftler auch immer gedichtet haben mag.“

Die Gutachten der Schwedischen Akademie unter zeich  nete Per Hallström. Er war 1936 der ständige Sekretär der Akademie und Vorsitzender ihres Nobel ko mitees. Viele andere (z. B. Hans Eysenck und Bror Gadelius) meinten, dass Freud ein kompetenter Autor sei, der trotz mangelnder wissenschaftlicher Fundierung mit rhetorischer Kunst überzeugen könne.

Man kann sich trotzdem fragen, warum Freud für den Literatur-Nobelpreis vorgeschlagen wurde, wo eine Kandidatur für den Nobelpreis für Medizin doch ein leuchtender gewesen wäre. Das lag daran, daß sich das Nobelkomitee für Medizin oder  Physiologie am Karolinischen Institut an Freuds Nominierung immer uninteressiert gezeigt hatte. Die Psychoanalytikerin Marie Bonaparte (Urenkelin Lucien Bonapartes, des Bruders von Napoléon Bonaparte, und Gattin Prinz Georgs von Griechenland und Dänemark) war Mitte der 1930er Jahre besonders aktiv beim Versuch, Freuds Kandidatur für den Nobelpreis sowohl für Medizin als auch für Literatur voranzutreiben. Sie trug wohl auch zu Romain Rollands Brief an die Schwedische Akademie bei.

Für den Medizin-Nobelpreis wurde Freud zum ersten Mal 1915 nominiert. 1917 bis 1920 wurde er jedes Jahr vom Nobelpreisträger Robert Bárány vorgeschlagen, einem Arzt aus Wien, der nach seiner Freilassung aus russischer Gefangenschaft 1917 Dozent an der Universität von Uppsala geworden war. Gemäß Ronald Clarks Darstellung in „Freud: The Man and the Cause“ (1980) stand Freud Báránys Unterstützung mit gemischten Gefühlen gegenüber, denn Freud hatte Bárány früher als Schüler abgewiesen. Freud schrieb, daß ihn am Nobelpreis nur die finanzielle Zuwendung interessiere – und vielleicht der Umstand, mit der Auszeichnung einige seiner Landsleute ärgern zu können.

In den Jahren 1927 bis 1938 (dem Jahr vor seinem Tod) wurde Freud von verschiedenen Personen sieben Mal für den Medizin-Nobelpreis nominiert. 1937 wurde er von nicht weniger als 14 Professoren oder Nobelpreisträgern vor geschlagen. Den Nominierungen folgte aber nicht ein mal eine vollständige Analyse von Freuds Arbeit. Freud meinte mit der Zeit, daß ein Nobelpreis nicht zu seinem Lebensstil passe. Ungefähr ein Jahr vor seinem Tod schrieb er, daß er den Preis ablehnen würde, wenn er ihm aufgrund eines merkwürdigen Zufalls verliehen würde.

Das Nobelkomitee für Medizin oder Physiologie am Karolinischen Institut hat mir Einblick in interessante Originaldokumente gewährt:

1929 wurde Henry Marcus, Professor am Karolinischen Institut, vom Nobelkomitee beauftragt, eine vorläufige Bewertung von Freuds Leistungen zu erstellen, um zu entscheiden, ob eine vollständige Analyse durchgeführt werden solle. Marcus verneinte die Notwendigkeit einer solchen Untersuchung energisch, weil Freuds Arbeiten nicht von nachgewiesenem wissenschaftlichem Wert seien. Nach einer Zusammenfassung der Lehre Freuds resümierte Marcus: „Wenn man versucht, Freuds psychoanalytische Lehre einer strengen Kritik zu unter zie hen, muß man einräumen, daß die Forschung über die Bedeutung verdrängter Affekte für die Verursachung nervöser Symptome äußerst interessant ist und die Erkenntnisse über diese Zustände von den Neurologen fast ausnahmslos anerkannt sind. Dagegen meinen die meisten Forscher – mit Ausnahme von Freuds eigenen Schülern, von denen ihm diesbezüglich allerdings bereits mehrere abtrünnig geworden sind – es gäbe keinen Beweis dafür, daß die sexuellen Komplexe eine vorrangige Rolle für die Neurosen spielen. Vor allem muß die Annahme der unbewußten sexuellen Traumen im frühen Kindesalter als unbewiesen und vom naturwissenschaftlich denkenden Arzt als hochgradig unwahrscheinlich und befremdlich angesehen werden. Freud stützt seine Behauptungen nur auf einige wenige Beispiele. Seine Traumdeutungen können darum nur als rein subjektive Erfahrungen und Konstruktionen angesehen werden. So wie sie jetzt vorliegt, ist Freuds ganze psychoanalytische Lehre größtenteils eine hypothetische Lehre, zu der sich ihre Anhänger fanatisch und fast religiös bekennen. Ich finde nicht, daß sie einer wirklich wissenschaftlichen Kritik standhalten kann.“ Prof. Marcus’ scharfsinnige Beurteilung ist heute noch als zusammenfassende Kritik der Psychoanalyse relevant.

1933 wurde (auf nur einer Seite) von Professor Viktor Wigert eine weitere vorläufige Bewertung erstellt. Auch er sah eine vollständige Untersuchung als unnötig an. Wigert verzichtete auf eine Zusammenfassung von Freuds Lehrsystem, weil er es für allgemein bekannt hielt. Er meinte, Freuds Betrachtungsweise sei in hohem Grad revolutionierend. Auch wären mehrere „Entdeckungen“ Freuds so wichtig für die Psychiatrie, daß ein Nobelpreis sicherlich in Frage kommen könne. Das Problem sei jedoch, daß Freuds Lehren immer noch unbewiesen seien – die Verleihung eines Nobelpreises setze aber voraus, dass die zu belohnende Entdeckung völlig gesichert sei. Wigert betonte, daß Freuds Betrach tungsweise von den größten Autoritäten der Psychiatrie sowohl in Schweden (z. B. von Bror Gadelius) als auch in anderen Ländern äußerst scharf kritisiert werde.

Die Gutachten der Schwedischen Akademie und des Nobelkomitees sind heute noch genauso stichhaltig wie damals. Die seriöse Kritik der Psychoanalyse hat erst in den letzten Jahrzehnten ihre volle Wirkung entfaltet. Gleich erstaunt wie über die tatsächliche Existenz der Akropolis wäre Freud wohl gewesen, wenn sich seine Gedankenkonstruktionen als etwas anderes als ein Glasperlenspiel erwiesen hätten. Freud kann am ehesten als früher „Postmodernist“ angesehen werden, der sich seine eigene Wirklichkeit frei erschuf.

 

Mein Dank geht an die Schwedische Akademie und an das Nobelkomitee für Medizin oder Physiologie am Karolinischen Institut, Stockholm, für den Zugang zu Originaldokumenten.

 

Nils Wiklund, Stockholm

 

6.3   Exkurs III:

Hier etwas Anderes, gleichwohl Verwandtes, der inhaltlichen „Reform“ der Medizin Zugehöriges:

  Umwandlung des Menschen als End ziel

Nachdruck aus den konservativ-katholischen IK-Nachrichten 1/2007

 

Kein Science-Fiction-Film, sondern ein sehr ernster Artikel in der Fachzeitschrift "The New Scientist" titelte vor kurzem: "Die Reproduktionsrevolution - Sex zum Spaß, künstliche Befruchtung für den Nachwuchs."

 

Dem nach werde natürliche Empfängnis bald schon so ungewöhnlich sein wie Rauchen während der Schwangerschaft. Nicht genetisch vor belasteten und ungewollt kinderlosen Paaren soll geholfen werden, sondern das Kind nach Wunsch gilt als "letzter Schrei". Und dazu ist es nötig, Embryonen zu selektieren, zu entscheiden also, welches Leben gelebt werden soll und welches zur Kategorie des verworfenen Lebens gehört. Das Paradigma der Lebensqualität befindet sich auf dem Vormarsch. Entstanden ist diese Ideologie in den 60er und 70er Jahren im angelsächsischen Raum als "Neue Ethik". So war 1970 ein Aufsatz in der Zeitschrift "California Medicine" überschrieben. Bisher sorge das jüdisch-christliche Erbe dafür, daß das menschliche Leben als solches der zentrale Faktor sei der "westlichen Ethik". Bald aber werde an dessen Stelle besagter neuer Wert treten: die Lebensqualität. "Schwere Entscheidungen" stünden an, ja "die Beschädigung und letztlich die Zerstörung der traditionellen westlichen Ethik". Im Rahmen dieses Paradigmenwechsels werde es nötig, relative an die Stelle von absoluten Werten zu setzen. "Die Erosion der alten Ethik" zeige sich an der gewandelten Einstellung zur Abtreibung, die als "moralisch richtig und sogar notwendig" akzeptiert werde. Künftig werde an die Seite der Geburtenkontrolle die Geburtenselektion treten und die Todeskontrolle mit Todesselektion. Der Kampf um den Status des menschlichen Lebens ist (längst) entbrannt. Ob es sich um Embryonen- und Stammzellenforschung handelt, um Klonexperimente, Spätabtreibung, Sterbehilfe... Faktisch hat das menschliche Leben seinen privilegierten, seinen fraglosen Status eingebüßt. Zugleich wurde die Lebensqualität zur technischen, da durch Technik beeinflußbaren Größe. Welches Fernziel letztlich dahinter steht, hat auf dem  ersten CNN Zukunftsgipfel am 15. Juni 2006 die Schweizer Anthropologin Cerqui offen ausgesprochen: "Wir versuchen nicht nur, unsere Lebensqualität zu verbessern oder Krankheiten zu bekämpfen. Wir kämpfen mehr und mehr gegen die menschliche Natur an sich. Wir akzeptieren nicht länger unsere menschlichen Grenzen, wir überschreiten diese mittels Wissenschaft und Technik, und wir denken, wir müßten es tun... Wenn wir selbst uns radikal modifizieren, könnten wir uns in eine neue Gattung verwandeln, die alles andere ist als menschlich."

 

 

6.4                 Die Selektion der Embryonen dient nach Huxley zuerst der Züchtung genormter „Alpha“ bis „Epsilon“-Wesen, wobei der biologischen Normierung immer die psychologische zur Seite steht.

Vor den (immer antichristlichen) Freud-Lehren beugten sich in jüngerer Zeit auch viele katholische Instanzen, Akademien etc. Beim Ad-linina-Besuch der deutschen Bischöfe im November 2006 verwarf Papst Benedikt XVI. für die Ausbildung katholischer Priester nunmehr aber freud-inspirierte „gruppendynamische Rollenspiele, Selbsterfahrungsgruppen und andere psychologische Experimente,“ weil „Verwirrung und Unsicherheit“ stiftend (FAZ, 11.11.2006).


7.  Zur strukturellen Gesundheitsreform

 

7.1  Reform des Gesundheitswesens bedeutet über inhaltliche Ergänzungen, Veränderungen, Verfälschungen hinaus auch oder vor allem strukturelle Änderung. Auf sie zielt augenfällig die gerade laufende, viel diskutierte  Gesundheitsreform, das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG). Vorläufergesetze taten es freilich schon lange vorher ähnlich. Unter den am Gesundheitswesen Beteiligten, Ärzten, gesetzlichen und privaten Krankenkassen und nicht nur ihnen herrscht seltene Einmütigkeit, auf was das Gesetz hinausläuft: höhere Belastungen,

 Gleichschaltung, Dirigismus, Sozialismus. Schon die Titel, die das Gesetz anführt, sind unstimmig, eine „Mogelpackung ersten Ranges“, wie selbst ein Sprecher der Nervenärzte fand. Nach Ansicht vieler bringt das Gesetz nicht mehr, sondern weniger Wettbewerb, dafür nicht weniger, sondern mehr Bürokratie und nicht geringere, sondern höhere Kosten. Schon der „Eckpunkt“ Gesundheitsfonds nach Ansicht eines Ex-Jusos, Exkanzlers ein „bürokratisches Monstrum“.  „Diese Reform braucht keiner, sie schadet allen nur.“ So und so ähnlich tönte es bei vielen Protestveranstaltungen. Wiederholt waren Ärzte, Apotheker, Kassenmitarbeiter etc. vordem schon auf die Straße gegangen, hatten eindringlicher denn je gegen „den Weg in die Staatsmedizin,“ u.a. die „Abschaffung“ ihrer Praxen, ihrer Existenzgrundlage, Basis quasi des freiheitlich-sozialen Gesundheitswesens, protestiert. Die privaten Krankenversicherungen kündigten Verfassungsbeschwerden an. Selbst viele sonst immer reformfreudige Medien kritisierten.

Die Gesundheitsministerin von der SPD, vorher KBW - Kommunistischer Bund Westdeutschlands - blieb auf Linie und irgendwie auch die CDU. Sie hat das Gesetz, „ein Projekt der Kanzlerin“ (Stoiber), ja initiiert. Bald aber gefiel, von kleineren Bayern-Beschwernissen abgesehen, auch der CSU „die Gesundheitsreform ... immer besser,“ wie die FAZ vom 18.10.06 juxte.[32] Die Koaliltionsparteien wischten den Protest der „Leistungserbringer[33] als den von „Lobbyisten“ letztlich gemeinsam vom Tisch. Der Gesetzentwurf wird, wie sich abzeichnet, trotz fortbestehender verfassungsrechtlicher Bedenken vom Parlament angenommen werden und im Februar 2007 auch den Bundesrat passieren. Lebhaft war der Widerstand der Ärzte diesmal gewiß, etwa beim Außerordentlichen Deutschen Ärztetag am 24.10. [34] oder dem Protesttag am 4.12.06 (nebenstehendes Bild).

7.2   Sie bekamen bei der Gelegenheit freilich auch zu hören, sie hätten “versäumt, sich zu wehren, daß das Gesundheitswesen in der Vergangenheit immer wieder schlecht geredet wurde.[35]  Prof. N. Klusen, Vertreter der Techniker-Krankenkasse,[36] der das sagte, deutete dabei nur an, in welch vielfältigen Weisen die Ärzte an dem, was sie jetzt beklagen, der Zerstörung unseres bisher funktionierenden, humanen, freiheitlichen Gesundheitswesens, selbst mitgewirkt haben. Schlecht reden ließen sie (in den 60er bis 80er Jahren) als erstes die Psychiatrie.

Schlecht geredet aber haben sie vor allem ihre Ordinarien, Chefärzte und nachgeordneten Staatsdiener. Die lautesten und „linksten“ von ihnen holten SPD und CDU / CSU Anfang der 70er in eine „Enquête-Kommission,“ die die Durchsetzung ihrer Reform wissenschaftlich stützen sollte. Zum Vorsitzenden des Unternehmens bestellten sie Prof. Caspar Kulenkampff, [37] dessen großes Reform-Vorbild ausdrücklich die Sowjetpsychiatrie war. Ähnlich engagiert die Star-Ordinarien Häfner und Hippius. Veraltet und zu wenig (freudisch-) psychotherapeutisch ausgelegt sei das Fach, fanden sie und andere Staatspsychiater, manch alte Nazis darunter.[38] Verbesserungen braucht es immer und überall. Teilweise hatten die Herren also recht. Dringend bedürfe das Fach, meinten sie aber speziell, vermehrter, neuer staatlich-klinischer Aktivität in der bis dahin freiberuflich bestimmten ambulanten Krankenversorgung. Die Medien, auch aller bürgerlichste wie die FAZ, applaudierten, heizten weiter ein und keineswegs nur sie. Vor ihren Ordinarien liegen die niedergelassenen (Nerven-)Ärzte immer auf dem Bauch.

Auf das Votum der Enquête gestützt, konnten Bundestag und Bundesrat das Krankenversicherungsweiterentwicklungsgesetz (KVWG) verabschieden, flächendeckend mit ihm psychiatrische Institutsambulanzen und mit ihnen die Staatsmedizin eröffnen (und Freudsche Psychotherapie dazu weiter befestigen), das Ganze 1976 schon. Der Autor rechtzeitig damals im Deutschen Ärzteblatt 50/ 1973:[39] Was heute in der Psychiatrie möglich ist, gilt morgen auch in anderen Fächern.“ Und auf dem Deutschen Ärztetag ein Jahr später: „Es gibt doch für eine persönlichkeitsbezogene ärztliche Krankenversorgung kein Trittfassen mehr, wenn die Psychiatrie, bei der es um die aller persönlichsten Dinge geht, dem Staatsdirigismus, Kollektivismus überantwortet ist.

7.3  Wir werden nicht kuschen... Wenn wir uns jetzt nicht wehren, werden... unsere Patienten wissen wollen, warum wir sie ... nicht geschützt haben,“ tönten Ärztesprecher jetzt bei o.g. Protesttag. Damals, als Gegenwehr noch Erfolgsaussicht bot, kuschten sie alle. Der Deutsche Ärztetag 1977 dankte für den Enquête-Bericht.[40] Für die zügige Verabschiedung des auf ihm fußenden KVWG setzten sich 1976 die Vorsitzenden des Hartmannbunds, des NAV und des Hausärzteverbands ein (letzterer unter dem früheren Namen BPA). Sie alle küßten den Strick, an dem sie jetzt zu baumeln kommen. Mit dem Gesetz nahmen sie die Bekräftigung der Psychoanalyse, insbesondere aber psychiatrische Institutsambulanzen (PIA) nicht nur hin, sondern trieben dazu an, zur Eröffnung einer à priori verlogenen Staatsmedizin. „PIA kann mehr leisten,“ klotzen die (Psycho-) Medien jetzt, meist von der Pharma-Industrie bezahlt.[41] Über Jahrzehnte haben sie die Ambulanzen schon vordem propagiert. Inwiefern PIAs „mehr leisten“, die Krankenbehandlung mit ihnen sich, außer verteuert, verbessert hätte, sagten sie nie. Vielleicht setzen sie mehr Psychopharmaka um. Flächendeckend sind 500 PIA heute über das Land verstreut. Und die noch unabhängigen Nervenärzte betteln, doch nicht „abgeschafft“ zu  werden. Die mit den Reformen produzierten Mehrkosten aber geben das Alibi für neue Reformen ab, mit denen es an die nächste Salamischeibe Staatsmedizin geht.

Auch angesichts ihrer heute wehrhaften, mitunter stehend beklatschten Reden müssen wir die gewählten Vertreter der Gesundheitsberufe, insbesondere der Ärzte fragen: Wart Ihr nur so dumm, daß Ihr rechtzeitig nicht gemerkt habt, was läuft? Oder wart und seid Ihr doch, was wahrscheinlicher ist, vor-selektiert und genormt, mit Euren Wählern zu weinen, wenn der Zug abgefahren ist, vor der Abfahrt aber, so lange noch Zeit zur Steuerung ist, sie zu blenden, zu verraten?

Damals, als mit der Psychiatrie-Enquête und dem KVWG die Weichen zur Staatsmedizin gestellt wurden - wie kaum andere brauchen psychisch Kranke, Hilfesuchende unabhängige Ärzte, Therapeuten – da kümmerte Euch der Schutz der Patienten einen feuchten Kehricht! Gebuht und gelacht habt Ihr, wenn man Euch warnte. Mit der Freiberuflichkeit und Unabhängigkeit Eurer Wähler habt Ihr jetzt die (Wahl-)Freiheit Eurer Patienten verspielt. Euren Kollegen aber habt Ihr zu allem Schaden noch die Schande eingefahren, daß ihnen jetzt die Freudsche „Psychotherapie“ anhängt, die die Gesundheitsreformen von Anfang an begleitete, heute sich aber endgültig als Schwindel entpuppt.[42] Auch wenn die Politik die Hauptverantwortung trägt und die Medien noch schweigen, glaubt nur nicht, daß Ihr Eurer Verantwortung dafür entkommt!

7.4  Protestaktionen der „gesundheitsberuflichen“ Basis, wie sie anhaltend jetzt stattfinden, sind auch für Ärztevertreter natürlich unterhaltsam. Zur Psychohygiene des Fußvolks, zum Dampfablassen, arrangieren sie sie gern. Was jene erste, bahnbrechende Sozialisierung der Psychiatrie mit dem KVWG betrifft, so entsprang auch sie im übrigen nicht der SPD, auch nicht einem Konzept der CDU, sondern just dem der CSU! Bayerische Bezirkstagspolitiker waren es, die, den 68er Wind nützend, in einer DENKSCHRIFT von 1971, also vor der Psychiatrie-Enquête des Bundestags schon, die „Reform“ des Fachs, verstärkte Staatsaktivität in ihm, dafür die Zurückdrängung, „Abschaffung“ persönlicher Unabhängigkeit der Behandler, angestoßen haben. Sie haben eingeleitet, was die Große Koalition für das gesamte Gesundheitswesen jetzt vollendet. [43]  

7.5  Schauen wir aber, was die längst errötete und oft eher offen als verstohlen mitspielende Ärztevertretung zur Umgestaltung des Gemeinwesens darüber hinaus noch alles so leistet. In Rundbrief 1/06 druckten wir ein Schreiben des BSV an die Bayerische Landesärztekammer (BLÄK) nach, in dem der Bunds Stalinistisch Verfolgter (BSV) Beschwerde darüber führte, daß und wie die Ärzteschaft die „Gutachtenstandards zur Bewertung psycho-traumatisierter Menschen“ Experten der linken Szene bis hin zur Rosa-Luxemburg-Stiftung überlassen hat. Daß damit eine wissenschaftlich unabhängige Begutachtung real-sozialistischer Traumatisierungen aufgehört hatte, war evident geworden.

Selbst öffentliche Rügen aber gleiten an der heutigen Ärztevertretung ab – vgl. ihre blauäugige, in RB 1/06, 6.4 wiedergegebene Antwort. Sozialistische Standards im Gesundheitswesen, speziell in der Psychiatrie decken sich eben längst nicht nur mit Konzepten der Koalitionsparteien, sondern auch mit denen der Ärztevertretung, wie immer deren Lippenbekenntnisse jetzt lauten. Verfolgtenverbände wie BSV oder VOS (.8.), die dem Establishment gegenüber für ihre darbenden Mitglieder in der Rolle von Bittstellern sind, können natürlich kaum Druck machen.

7.6  Über die großen Sprünge des KVWG und jetzt des GKV-WSG hinaus geben die Ärzte ihre Unabhängigkeit übrigens auch in vielen kleinen Schritten auf.[44] Viele schließen sich jetzt wie vordem die Bauern der DDR zu LPGs „freiwillig“ zur „Integrierten Versorgung“ (IV) zusammen. Für die „IV“ , ebenfalls ein Lieblingsposten der Ulla Schmidt, wird seit langem in Ärzteblättern, den offiziellen wie den pharma-lancierten, ähnlich geworben wie über Jahre zuvor unter den Psychiatern für besagte Institutsambulanzen. Perfekte, wenn auch meist überflüssige IV bieten sie gewiß. Die Werbung stellte deren positive Aspekte heraus, die Überwindung der Versorgungssektoren zum Beispiel, und überging konstant die negativen, den Verlust unabhängiger Ansprechpartner für Hilfesuchende in Krankheit und schweren Lebenslagen. Fette Köder („Anschubfinanzierungen“) legten die Politiker aus, um die Ärzte in „Verbünde“, medizinische Versorgungszentren etc. zu locken. Jede Erbringung der Medizin in Verbünden, staatlich wie selbst organisierten, unterwirft aber, was immer die Vorteile sind, den einzelnen Behandler einem Gruppendruck.

7.7  Hätte es für den Nervenarzt in Deutschland keine Existenz-Möglichkeit in freier Einzelpraxis gegeben, es wäre hier gegen die Psychiatrisierung Andersdenkender im Kommunismus anhaltender psychiatrischer Widerstand nie laut geworden. Und über den Mißbrauch von Psychiatrie und Psychologie in der DDR würde kein Wort mehr verlauten. Einzelschicksale wie das der Sonja Lüneburg (.2.5) kümmerten von den Psychiatern niemanden. Und gegen die Schwindelmedizin der Psychoanalyse und ihre Verheerungen wäre in unserem Land, unserer  Zeit wirksame Kritik nie aufgekommen.

Die über Jahrzehnte hingestreckten Etappen der strukturellen und inhaltlichen Gesundheitsreform, dazu das Übermaß der sie begleitenden Propaganda in den Medien verdeckten häufig den durchlaufenden roten Faden in ihr. Eine offene Diskussion der widerstreitenden Positionen gab es in der Öffentlichkeit nie und nirgends. Fast verständlich, daß die deutschen Ärzte lange nicht begriffen, wohin die Reise geht. Staatliche Fürsorge für physische und insbesondere psychische Gesundheit ermöglicht nun einmal den perfektesten Zugriff der Machthaber auf den Menschen und die Gesellschaft.

7.8  Daß ihre psychiatrischen Kollegen dem bereitwillig als Türöffner dienten, ihr Schweigen zum Psychiatriemißbrauch in der Sowjetunion schon das Fanal dazu war, könnte den übrigen Ärzten im Land jetzt, wo auch ihre Unabhängigkeit schwindet, aufgehen. Dämmern könnte ihnen auch, daß das Konzept zu diesen Reformen von weit höher her als einer aktuellen Kanzlerin kommt. Daß zur  GKV-WSG-Gesetzesvorlage aus der Regierungskoalition und im Bundesrat, ja selbst in den Medien[45] etwas Kritik laut, einzelne Änderungen angebracht wurden, ändert an der Richtung der Reform auf weiteren Staatsdirigismus, auf Entpersönlichung nichts, an einer Niveauabsenkung der Krankenversorgung wahrscheinlich auch nichts.

Der Widerstand „der Basis“ erwies sich - was freilich von vornherein klar war - als ein ohnmächtiges Aufbegehren gegen eine Entwicklung, zu der vor Jahr zehnten schon parteiübergreifend die Weichen gestellt worden sind. Wie vordem und wie andere helfen die Ärztevertreter, die Allgemeinheit wie ihre Kollegen über die Lage zu täuschen.

 

8.       Vortrag vor der Delegiertenversammlung der VOS (Vereinigung der Opfer des Stalinismus)

in Friedrichroda, Thüringen, am 9. Mai 2006 (Auszug)

In RB 1/06 standen Weinbergers Rede in Magdeburg vor dem BSV (.7.5) wie auch dessen Korrespondenz mit der Bayerischen Landesärztekammer (BLAEK) ausgedruckt, weil sie das politische Doppelspiel der gegenwärtigen Ärztevertretung gut beleuchten. Über gutachterliche Beurteilung der Opfer kommunistischer Diktatur geht es weit hinaus. Die Vorsprache des BSV hat daran bisher nichts geändert. Die BLAEK beließ nicht nur die Gutachter-„Fortbildung“ weiter in Händen psychoanalytisch orientierter, prononciert linker Dozenten. Sie steht auch zu den Gutachtenstandards der Bundesärztekammer, die gar extrem linke Experten entwickelten (.7.5). Die Protestkundgebungen der Ärzte in jüngerer Zeit für ihre freie Berufsausübung sollten nicht über ihre sonstigen Präferenzen hinwegtäuschen.

 

8.1  „ (Anrede) ... Zur Erklärung der derzeitigen Begutachtungssituation will ich, muß ich Ihnen einiges noch zur ärztlichen Berufspolitik erläutern. Es wird daran Allgemein-Politisches deutlich, das auch Sie trifft. „Meine Verordnungen werde ich treffen zu Nutz und Frommen der Kranken, nach bestem Vermögen und Urteil; ich werde sie bewahren vor Schaden und willkürlichem Unrecht. Ich werde niemandem auch nicht auf eine Bitte hin ein tödliches Gift verabreichen oder auch nur dazu raten ...“, heißen Kernsätze des bekannten Hippokratischen Eids, an den sich die Ärzte zumindest sinngemäß über Jahrtausende hielten.

Entsprechend galten sie als „konservativ“ und wurden in den 60er bis 80er Jahren darob in den Medien, im Stern, Spiegel, in der Süddeutschen etc. aufs heftigste verrissen als „Beutelschneider“, „Halbgötter in Weiß“ etc. Wobei sie leider auch echte Angriffsflächen boten. An der Spitze von Ärztekammern standen damals genügend „Braun-Befleckte“. Um 1968 war ihre Zeit vorbei,[46] gewiß nicht zu Unrecht. Damit aber kam nach der Nazi-Barbarei erneut ein weitreichender, fundamentaler Wandel in den politisch-ethischen Positionen der Ärzteschaft zum Tragen. Die Wendung vollzog sich, wie in Magdeburg ausgeführt, mitunter „krachend“ (Sprengung etwa des Deutschen Ärztetags 1974 in Berlin durch „68er Ärzte“), meist aber leise von innen heraus, letztlich jedoch um 180 Grad. Wenn ich in RB 1/06,2.4 sagte und schrieb, die Psychiater sei en heute so rot bis rot-grün, wie sie seinerzeit braun waren, so gilt das im Grunde für die Ärzte insgesamt. Derart fixiert sind sie dabei, daß ein Gespräch über all die hier behandelten, wichtigen Fragen mit ihnen kaum mehr möglich ist.[47]

In den Großstädten, wo nach politischen Listen gewählt wird, erreichen die Linken in den 70ern schon – ihre Sprecher damals in Moskau oft und gern gesehene Gäste - bis 35% der Stimmen, der VDÄÄ[48] in den 80ern in München 26%. Das wäre auch nicht schlimm, wären die „Nicht-Linken“ unter den Ärzten nicht so feige Anpasser, die alles aussitzen, solange für sie nur genügend Geld hereinkommt. In dem Punkt sind sie immer noch sehr konservativ. In allen gesundheits - bis kulturpolitischen Fragen waren die Ärzte seit ’68 so den rötesten Systemsprengern oft um Längen voraus, 1995 etwa mit der Forderung nach unbeschränkter Fristenlösung, 1977[49] bis ’87 mit der Befürwortung von Staatsmedizin, zumindest Staatspsychiatrie, am übelsten vielleicht schon 1974 beim Deutschen Ärztetag in Berlin bei der Verwischung des Psychiatriemißbrauchs, der Auslieferung der Opfer an ihre Peiniger, wie Andrej Sacharow das nannte. Fällt das Verhalten der Bayerischen Landesärztekammer, der Bundesärztekammer in der Gutachterfortbildung da noch aus dem Rahmen?[50] Was ist überhaupt noch von einer Ärzteschaft zu halten, die sich in Sachen Psychotherapie weigerte, die Frage auch nur zu prüfen, was an ihr wahr und hilfreich ist oder sein könnte?[51]

Wer ist da überhaupt und nicht nur in der Begutachtungssituation vor Willkür noch sicher? Läuft unter diesen Umständen nicht alle „Fortbildung“ auf plumpe rote Indoktrination hinaus, im übrigen auf eine Augenwischerei? Wie „die Ärzteschaft“ hier über die Jahre alle Warnungen abfertigte, so unbedarft war die Antwort der BLÄK auf das Schreiben des BSV vom 10.02.06 (RB 1/06, 6.4). Daß in ihren Seminaren „auch die menschliche Problematik nachgewiesener Folterungen in kommunistischen Regimen klärend zur Sprache“ käme, wäre etwas ganz Neues. Beim Deutschen Ärztetag 1974 in Berlin etwa drehten und wanden die Delegierten sich, um den Ort des Psychiatriemißbrauchs – einschlägig bekannt war damals allein die Sowjetunion - nur ja nicht zur Sprache zu bringen.

Ich greife nochmals (s. RB 1/06,6.3) das Urteil des Berliner Landgerichts auf, das kürzlich einen Psychiater zu einem Jahr Gefängnis (auf Bewährung) verurteilte, weil er Zuwanderern Psychotraumatisierungen attestiert hatte, ohne Befunde erhoben oder notiert zu haben. „Massenweise“, so gab das Ärzteblatt zu, sei solches geschehen. Und alle Leserbriefe, die in DÄ 16/06 dazu erschienen, liefen Sturm gegen das angeblich „skandalöse“ Urteil. Ließ es doch „subjektive Werteinschätzung“ des Arztes nicht gelten, sondern forderte (zurecht doch!) objektive, zumindest aktenmäßig festgehaltene Befunde als Voraussetzung nachvollziehbarer gutachtlicher Schlußfolgerungen. Diese Mediziner meinten offensichtlich – Wirkung entsprechender „Fort-Verbildungen“? -, es genüge „Gutmenschentum“, wenn es nur weit genug links angesiedelt ist. Für nichts als Stümpertum nahmen sie Partei. Entsprechend aber geht es in weiten Teilen des Faches heute zu. „Bestes Vermögen und Urteil“? – über solch antiquiert-hippokratisch-konservative Grundsätze dünken sich die Herrschaften erhaben.

Sie, meine verehrten Zuhörerinnen und Zuhörer, sollen wissen, wie es in der Psychiatrie heute aussieht, wenn Sie mit ihr etwa bei Begutachtungen in Berührung kommen. Das Fach ist nicht nur weithin ins ideologische Fahrwasser gerutscht. Das logische Denken hat sich ihm „postmodern“ über große Strecken verflüchtigt. Von einem Links-Schwenk spricht natürlich keiner der Ärztefunktionäre. Ihre Positionseinnahmen resultierten, sagen sie, aus neuester wissenschaftlicher Erkenntnis und tadellosem ärztlichen Gewissen.

Ähnlich hören Sie es freilich auch anderswo, hören Sie es etwa, wenn die christliche, demokratische oder soziale Union da und dort und immer wieder und insbesondere im Gesundheitswesen nach links kippt - und kippt, weil sich große gesellschaftliche Gruppen, die ärztliche kaum die unbedeutendste, vorher schon vom „menschlichen Antlitz“ des Sozialismus haben bestricken lassen und seine Kehrseiten übersahen. Gern möchten die Ärzte jetzt die Unionspolitiker zur Abwehr von Sozialismus im Gesundheitswesen bewegen, sie ausgerechnet, die tradierte, in der Union einst heimische Werte mit am hämischsten abgebaut und wie kaum andere die Orientierung der Bevölkerung auf einen neuen „postmodernen“, sozialistisch-kapitalistischen Flachgeist hin befördert haben. Gewiß, die große Mehrheit der Ärzte ist unpolitisch. Es sind wie in anderen Gesellschaftsbereichen einige wenige Akteure, die mit geschickten Strategien, mit täuschenden Parolen die Oberhand gewonnen haben und so die Marschrichtung bestimmen. Den meisten Menschen mag das politische Denken  der Ärzte gleichgültig sein. Für Sie als kommunistisch Verfolgte aber ist es wohl bedeutsam.

Mit den Begutachtungen der Folgeschäden erlittener Verfolgungen ist ein Viertel von Ihnen – wir haben es gerade abgefragt - zufrieden. Das ist schon et was. Auch in der „roten Psychiatrie“ wird mitunter richtig entschieden und ich verstehe, daß Sie mit ihr im Augenblick vorlieb nehmen. Sie und ich, wir sind ja auch gänzlich außerstande, am „System“, womöglich einem „System im System“, etwas zu ändern. Aber Klarheit zu gewinnen, ist schon etwas. Jeder Blick hinter die Kulissen ist eine Verstärkung Ihrer, unserer Position.

Viele unserer maßgeblichen Politiker und ihrer Hiwis auch in der Medizin sind, so scheint es, wild entschlossen, uns in  eine „gelenkte Demokratie“, eine neue Diktatur hinüberzuführen. Daß sie die roten Schergen poussieren und deren Opfer (und andere) aushungern und demütigen, darin ist System, an das wir uns wohl gewöhnen sollen, gewiß aber nicht gewöhnen werden. Daß es dazu gekommen ist, müssen wir nicht unserer unzureichenden Gegenwehr zuschreiben. Die üble Situation wurde und wird uns offensichtlich „von hoch oben“ mit größter Raffinesse, breit an gelegter Desinformation aufgedrückt. Dennoch ist sie nicht hoffnungslos. Dum spiro spero, solang’ ich atme, hoffe ich, wissend, daß es mit Hoffnung allein nicht getan ist. In der großen Politik ist es gewiß nicht viel anders als in der ärztlichen.[52] Nur von außen kann Druck etwas bewirken und nur eine Gruppe, die weiß, was sie will - die Ärzte sind unter sich viel zu zerstritten – erreicht etwas, vorausgesetzt sie weiß es bis in Einzelheiten. Das o.g. Schreiben des BSV an die Bayerischen Landesärztekammer war ja seit Jahrzehnten der erste Schuß, den die Herrschaften bei ihrer Links-Drift einmal von nicht-linker Seite vor den Bug bekommen haben.[53]

Und seien Sie sich dessen bewußt: Ihr Thema ist aktuell und publikumswirksam. Es spricht das Gerechtigkeitsempfinden vieler Menschen an. Da weiterzubohren erscheint erfolgsversprechend, vorausgesetzt, es ist in der Politik überhaupt noch etwas berechenbar, was wir natürlich alle nicht wissen. Selbst wenn unsere „maßgeblichen“ Politiker nur Befehlsempfänger, Befehlsweiterreicher höherer Instanzen wären – 60% der uns berührenden politischen Entscheidungen werden heute in Brüssel gefällt – ist Ihr und unser Bemühen immer noch sinnvoll. Es bestehen bekanntlich heute vor allem über das Internet und über die Grenzen hinweg gute Kommunikationsmöglichkeiten und damit Chancen, gegen die vielen Fehlinformationen, entsprechend Fehlorientierungen aufzukommen.


 

 9.1  Aus Deutsches Ärzteblatt 51 – 52 vom 25.12.2006 (DÄ-Weihnachtspräsent) -

Nachdruck ohne Einholung einer Genehmigung des Verlags – zur folgenden Kritik  


Nur über die Wahrheit...

9.2  Vorige Seite / oben stehender originalgetreu aus dem Deutschen Ärzteblatt übernommener Beitrag ein schönes Beispiel, wie Menschenrechte vom deutschen Mainstream, so auch dem „Organ der (deutschen) Ärzteschaft“, wahrgenommen und behandelt werden. Augosto Pinochet wird mit Vorliebe aufgerufen. Mit Empörung (und zu Recht) wird an die „3000 Verschleppten oder Ermordeten“ seines Regimes erinnert. „Zehntausende Folterüberlebende,“ Opfer „von mehr als 100 Regimen, die Folter systematisch anwenden,“ werden nachgeschoben. Sie hätten, wird weiter schwadroniert, „keinen Zugang zu Behandlung und Unterstützung, die sie dringend benötigen, um ins Leben zurückzukehren.[54]

9.3  Just dazu mußten (wieder einmal) „rund 500 Teilnehmer aus aller Welt“ zu einem Symposium nach Berlin reisen, eingeladen von einem offensichtlich groß-mächtigen „International Rehabilitation Council for Torture Victims“ und einer wohl noch mächtigeren „Dachorganisation mit Sitz in Kopenhagen,“ die, heißt es, „rund 130 Behandlungszentren für Folterüberlebende in 80 Ländern“ vertritt und das Ganze wohl bezahlt, nicht freilich ohne „an Regierungen und Geldgeber“ zu appellieren, „ihre Unterstützung für die Behandlungszentren auszuweiten.“ Mächtig dazu das verbale Timbre: „Nur über die Wahrheit kann die Vergangenheit ruhen,“ hieß es, sprachlich etwas holprig zwar, anlehnend aber an Nelson Mandela. Als positive Symbolfigur wird er ähnlich frequentiert wie Pinochet[55] als negative, sofern nicht gleich die Nazi-Teufelei als absolut Böses zur Hand ist.

9.4  Die Wahrheit näher liegender, mehr schlecht als recht lebender Folteropfer hierzulande, die Wahrheit vieler Tausender physisch und psychisch Gepeinigter, „Zersetzter“ kommunistischer Regime, kümmert nicht. Kein Wort ferner dazu, ob und inwieweit die so nachdrücklich geforderte Therapie wirklich notwendig - und wirksam ist.

In der FAZ vom 11.12.06 ein Leserbrief, nachdem sich dort zuvor eine „Traumatherapeutin“ (Psychologin) über Emsdetten ausgelassen hatte. Eine Frau B. Fuchs darauf: „...Ich war bei Kriegsende 7 Jahre alt und erinnere mich sehr gut an die schrecklichen letzten Kriegsjahre – an die Bomben, die Tiefflieger... In dieser schweren Zeit ist kein Mensch auf die Idee gekommen, wir könnten traumatisiert sein... Wir haben unser ‚Trauma’ jeweils selbst bewältigen müssen, und ich kann mich nicht erinnern, daß ich in meiner Kindheit und Jugend davon beschwert war... Ich kann mich jedenfalls des Eindrucks nicht erwehren, daß solche Ereignisse heute als ABM-Maßnahme für Psychologen genutzt werden, um Betroffenen und Krankenkassen zu schaden. Übrigens: Auch heute noch – mit 68 Jahren – hat mich das Kriegstrauma nicht eingeholt...“

Werden haltloses Therapie-Tamtam, „ABM-Maßnahmen“ für Psychologen, Psychiater mitunter noch in die Schranken gewiesen, so hauen andere um so mehr auf die Pauke und machen sich wie das Deutsche Ärzteblatt, das mitunter für die freie Praxis plädiert (.6.) gar zum Sprachrohr von zentralistisch-kollektivistischen Ansprüchen. Warum die Therapie der Folteropfer,  falls es sie braucht, ausgerechnet in „Behandlungsszentren“ erfolgen muß, darüber verlor es kein Wort. Normalerweise suchen  psychisch (aus welcher Ursache auch immer) Leidende Psychiater, Therapeuten auf, wie sie über das Land verstreut fast an jeder Straßenecke aufzufinden sind.

9.5   Es sind nicht nur die einseitigen Bezugnahmen, die internationale Aufplusterung, das aufgesetzte Pathos, die da aufstoßen. „Wir dürfen nicht zulassen, daß die Definition von Folter verwässert wird“, verlautete bezeichnender Weise in Berlin noch[56] Die Definitionsmacht zu sichern über das, was als Verfolgung, Folter, aber auch als „Therapie“ gelten darf, dem Volk eingerieben werden soll und dazu einer Lenkung der Finanzströme bedarf, das war es offensichtlich, wofür die Veranstaltung aufgezogen wurde. Dafür halten mächtige Regierungen und noch mächtigere Geldgeber solche „Symposien“, „Councils“, „Zentren“ und „Dachorganisationen“ aus. Dafür rühren auch unsere „(neo-)konservativen“ Medien vom Deutschen Ärzteblatt bis zur FAZ, von anderen ganz zu schweigen, die Reklametrommel. Da wird keine Bedürftigkeit geprüft (.2.11).

9.6  In der gleichen DÄ-Nummer lobte ein ostdeutscher Psychiater (Dr. Loos – s. RB 1/94) noch das „Zusammenwachsen der Psychiatrien von Ost und West“ - nachdem sie im Westen jetzt weithin sozialistisch gewandelt ist. Er räumte ein, daß in der DDR „nicht alle Psychiater ... dem Druck widerstanden, störende Kranke in den Kliniken zu behalten, wenn hoher Staatsbesuch durch die Straßen rollte.“ Daß, wie er fortfuhr, „die Psychiatrie als Gesamtheit nicht als politisches Machtinstrument eingesetzt“ wurde, bedeutet auch nicht, daß sie da und dort nicht auch systematisch wie in der Sowjetunion mißbraucht wurde. Daß der Mißbrauch der Psychologie in der DDR für den ganzen Ostblock geradezu Spitzenposition errang, fand natürlich keine Erwähnung. In dem sich Loos auf bekannte Psycho-Linksausleger stützte (Dörner, Pörksen, Keupp), näherte er sich in der Beschreibung besagten Zusammenwachsens – im Schlepptau der Psychiatrie kippt das gesamte Gesundheitswesen jetzt in den Staatsdirigismus (.6.) –  der Situation an, die auch anderenorts entstanden ist, in der Gauck-Birthler-Behörde etwa. Auch sie wird ja, wie wir lesen, weithin von „linken, der 68er Klientel zuzurechnenden Westdeutschen und alten Stasi-Leuten“ bestimmt (.2.8).

 

10. Ausblick

10.1  Karl Steinbuch projizierte 1975 die Rede eines älteren Mannes, der zu Beginn des neuen Jahrtausends seinem Enkel von einem System erzählte, das in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts einen „enormen Wohlstand schuf“, „viel Freiheit ließ“ und mehrheitlich vom Volk bejaht wurde. Er erklärt dem Enkel dann die jetzige Situation: „In den sechziger und siebziger Jahren verloren die Bürger dieses guten politischen Systems den Verstand für die Wirklichkeit; sie wurden verwirrt durch ... eine herrschsüchtige Minderheit, welche die Medien besetzt hatte und die Meinungen dirigierte. Es entstand eine Art kollektiven Wahns, der ‚Progressivität’ genannt wurde... Zu (ihm) gehörte es auch, die Zerstörung unseres Wohlstandes zu loben, die geistige Atmosphäre zu vergiften und unter die Fundamente unseres Staates tonnenweise Dynamit zu packen.“ Als alles kaputt war, „rieben sich die Schildbürger ihre Augen...[57]

10.2  Was die Ärzte politisch wollen, ist nach den von ihnen bisher eingenommenen  Positionen schwer erkennbar. Gewiß vermittelten ihre anhaltenden Demonstrationen in den Hallen und auf den Straßen des Landes gegen die absolute Staatsdominanz im Gesundheitswesens, gegen die (auch langsame) Abschaffung der freien Praxis jüngst den Eindruck, als wollten sie ernstlich den Menschen Zugang zu unabhängigen Behandlern in Krankheit und Not erhalten.

Aber noch beim letzten Deutschen Ärztetag im Mai 2006 in Magdeburg verabschiedeten sie eine Erklärung, die, nominell „gegen Stigmatisierung von Menschen mit psychischen und psychosomatischen Erkrankungen“ und auf eine „Stärkung der ärztlichen Psychotherapie“ gerichtet, „Ulla“ hoch lobte und den Psychiatern (nach Auslieferung ihres bisherigen Tätigkeitsfelds an die Staatsambulanzen) den weiteren Psychotherapie-Schwindel-Weg wies.[58] DER NERVEN ARZT 7/06, Organ der (staatlich dominierten) Psychiater-Fachgesellschaft (DGPPN), pries die Erklärung.

Sie führte zuerst an, welch großartige Organisationen hinter ihr stünden, die Weltgesundheitsorganisation, der Weltverband für Psychiatrie, die Gesundheitsministerkonferenz der EU etwa, und sprach dann von den großartigen Chancen der Kranken auf „Heilung oder eine entscheidende Besserung“ durch ein „zunehmend differenziertes System von sozialpsychiatrischen Maßnahmen, Soziotherapien, Psychotherapieverfahren und Psychopharmaka.“ Dies allein schon irreal und irreführend. Ist doch, so wichtig das unverstellte (!) menschliche Wort, nur von den Pharmaka eine therapeutisch heilsame Wirkung wirklich ausgewiesen (dabei selbst ihre Wirkung relativ bescheiden), die meisten der genannten „Maßnahmen“ für Heilung oder Besserung weithin irrelevant, teuer, zudem als Inhalte „Integrierter Versorgung“ weithin den Ambulanzen vorbehalten, den frei praktizierenden Kollegen verstellt, feine Mittel also, sie weiter aus dem Rennen zu werfen. Die Erklärung verstiegenes, ideologisch aufgeblasenes Geschwätz,[59] wie es seit Jahrzehnten aus den höheren Etagen des Fachs kommt, immer den Geruch verströmend, es werde damit etwas ganz anderes verfolgt, „Sozialtherapie[60] eben, „Gesellschaftsheilung“, Gesellschaftsänderung zur vielleicht doch noch gelingenden Schaffung eines neuen Sowjetmenschen (.5.8) oder einer sonstigen Menschenumwandlung nach Herrscherlust (.6.3).

Es waren und sind aber, wie das Beispiel zeigt, gar nicht unsere kleinen Linken, die 68er Rabauken etwa, die 1974 den Deutschen Ärztetag sprengten und seitdem, gut gekleidet, in und außerhalb der „Seelenheilkunde“ die Gesellschaftsänderung weiter forcieren. Es sind höchste politische Spitzen, die sie betreiben. Der höchste Psycho-Funktionär der WHO Prof. Dr. Dr. Dr. Norman Sartorius kam höchst persönlich zum Ärztetag nach Magdeburg angereist, um die deutschen Ärzte für die Annahme der besagten Erklärung zu gewinnen. Edel klingende Versatzstücke enthält sie ja. WHO-Direktiven aber sind es, denen sich Ärztefunktionäre, Psychiater-Fachgesellschaften wie alle Gesundheitsadministratoren von Ulla bis zu den bayerischen Provinz-Bezirkspolitikern (.7.4) immerdar und immer am liebsten beugen. Lügen, Absurditäten gehen da locker durch. Der Enquête-Bericht, drei Kilogramm bedruckten Papiers, war vor dreißig Jahren schon voll davon. So kommt es, daß die deutsche Psychiaterfachgesellschaft (DGPPN) , nach dem die von ihr geforderten, gepriesenen Institutsambulanzen flächendeckend eingerichtet sind, die „ambulante Basisversorgung der meisten Patienten“ jetzt als „inadäquat.“ befindet. Nie gab es in der DGPPN ein faires Streitgespräch, in dem der Wahrheitsgehalt ihrer Feststellungen und Forderungen hätte abgeklopft werden können. Immer wurden und werden sie als von höchster Weisheit eingegeben und unbezweifelbar hingeklotzt - von „hoch her“ kommen sie auch (s.o.). Die Politik konnte sich dann immer wieder leicht bedienen .

Von sehr „hoch oben“ kamen und kommen so massive Propagandaladungen auf die Ärzte herunter, daß sie heute weithin nicht mehr wissen, was sie eigentlich wollen, moderne, solide, freiheitliche oder verstaatlicht-„postmoderne“ Medizin. Die Entscheidung wird ihnen jetzt abgenommen. Was immer sie jetzt beteuern, bekommen sie zunehmend dafür zu hören, auch ihre jüngsten Proteste gegen „Ulla, Angie und Co.“ seien doch nur Show gewesen, Lippenbekenntnisse, Beschwörungen von selbst längst Verspieltem. Falschen Einflüsterungen seien sie gefolgt. Die Zerstörung des freiheitlich-sozialen Gesundheitswesens, hätten sie, mit der Psychiatrie beginnend, nicht nur selbst veranstaltet, sondern hätten damit auch noch eine grandiose Betrügerei über die Bevölkerung gebracht. Der Vorwurf wird ihnen in aller Welt begegnen und nicht zur Ruhe kommen.

10.3  Anknüpfend an das „antidemokratische Denken in der Weimarer Republik“, schrieb Prof. Sontheimer den allenthalben zu beobachtenden Zerstörungsprozeß wie Steinbuch „linken Theoretikern“, „Intellektuellen, [61] zu, die sich, abgehoben von der Wirklichkeit, anmaßten zu bestimmen, was gut und richtig sei für die Menschen. Wie Steinbuch verkannte aber wohl auch er, daß ein antidemokratisches Denken verfeinerter Art weit „höher“ angesiedelt ist und von dort aus über die politischen Administratoren in weite Bereiche der Gesellschaft, des Erziehungswesens, des Kulturbetriebes, der Justiz, der Medien und nicht zuletzt eben des Gesundheitswesens gleichermaßen hineinregiert. Mitläufer sind ja überall. Gäbe es sie nicht, es wären wohl weder die Gesundheitsreformen noch die 68er Kulturrevolution durchzusetzen gewesen. Es hat sich augenscheinlich ein feines, hoch angesiedeltes „antidemokratisches System im System der Demokratie“ etabliert. Hemmungslos spielt es auch die Mittel der Propaganda, der Lüge und Täuschung aus.

10.4  Gewiß könnte alle Gesellschaftsänderung, –zerstörung auch ganz spontan passiert sein. Der Esel, dem’s zu wohl wird, geht bekanntlich auf’s Eis und bricht ein. Aber es fällt doch ein zu gut ab gestimmtes Zusammenspiel verschiedenster Instanzen in all den Destruktionen auf, die wir über Jahrzehnte hin weg nicht nur im Gesundheitswesen erlebten. Wie das Stasi-Unterlagengesetz  (.2.12) wird jetzt das Gesundheitsreformgesetz beschlossen. Und es bringt nicht die erste Annäherung an die neue demokratisch firmierende Huxleysche Diktatur.

Ob über diesen und ähnlichen Stücken der Regierenden noch ernsthafter Widerstand aufkommt, zu aller erst breitere und tiefer gehende Diskussion? Vielleicht beginnen einige ärztliche und sonstige „Schildbürger“ da und dort sich die „Augen zu reiben.“ Sollten sie dann die Verantwortlichen in der Politik, den Medien und auch im eigenen beruflichen Umfeld, an den Spitzen der ärztlichen Körperschaften und (Berufs-)Verbände entdecken, werden sie hoffentlich nicht vergessen, sich auch an die eigene Nase zu fassen und sich fragen, warum sie denn so viele Vorboten der Entwicklung, selbst krasse sozialistische Unmenschlichkeiten, anstandslos haben passieren lassen.

10.5   Im Grunde war die Entwicklung vor 30 Jahren schon erkennbar. Ihr entgegenzuwirken, gründeten wir unsere Vereinigung, damals als DVpMP. Sie konnte nicht unterwandert werden. Einen, der solches einmal versuchte, einen Korrespondenten just der FAZ, setzten wir vor die Tür. Unsere Arbeit wurde dadurch nicht leichter. Ihre Wirkung blieb bescheiden. Aber sie hat doch Kurs gehalten. Und sie hat zu mindest bewirkt, daß die Geschichte der Abschaffung von Unabhängigkeit und ärztlichem Gewissen in der Psychiatrie, im Gesundheitswesen wahrheitsgetreu aufgezeichnet wurde und endgültig nicht mehr verfälscht werden kann.

Auch manch konkrete Veränderungen zum Besseren haben wir (mit-) bewirkt. Ein klein wenig waren wir am Ende des sowjetischen Psychiatriemißbrauchs, am Fall des Evil Empire beteiligt, ein wenig auch an der Eindämmung verderblicher Psycho-Aktivität in der Kirche. Am wichtigsten vielleicht unsere Mitbeteiligung am Aufbrechen der Freudschen Dominanz über das westliche Denken, das nach über einem geschlagenen Jahrhundert (!) jetzt tatsächlich begonnen hat. In einigen einflußreichen Ländern ist die „tollste Bauernfängerei des 20. Jahrhunderts“ (Nobelpreisträger Sir Peter Medawar M.D.) heute fast schon niedergerungen. Es sieht aus, als würde der Weg zu einer stimmigen, menschlichen „Seelenheilkunde“ doch noch frei. Immer war unser „Gegen“ (gegen den Mißbrauch von Psychiatrie, Psychologie, gegen Pseudowissenschaft) ein entschiedenes „Für“ – für eine ethische, solide, wahrhaftige, hilfreiche „Seelenheilkunde“, für die Menschen.

Insgesamt ist die Bilanz unseres Bemühens gewiß bescheiden. Wir leben halt in Deutschland, wo – der freiheitliche Aufbruch unserer ostdeutschen Landleute von ’89 in Ehren - über Dummheiten, Verfehlungen, Verbrechen der Vergangenheit meist große Betroffenheit zur Schau gestellt wird, im Augenblick ihres Geschehens aber die Begründungen von „Intellektuellen“ gelten, warum sie gar nicht so beachtlich sind - und wo, wie Adenauer sagte, auf vielen Ebenen einschließlich der eigenen „Dummköpfe oder Verräter“ Freiheit abzuschaffen immer wieder bereit sind. Ihr „Endziel“ könnte tatsächlich „die Umwandlung des Menschen“ sein. Viele empfinden mit Ionesco ja offensichtlich das Nashornsein schon als viel schöner als das Menschsein.

10.6   Es ist bei der weltpolitischen Konstellation, den sich weiter verdichtenden Gewitterwolken über dem Nahen Osten, auch noch nicht ausgemacht, ob die Zerstörung des Gesundheitswesens in Deutschland nicht bald zu den kleineren Sorgen zählen wird.

Der Drang des Menschen nach Freiheit und Wahrheit aber bleibt unlöschbar. Immer wieder wird er sich rühren. Die Huxleysche Version von neuer Diktatur glaubt mit ihm fertig werden, die Verbrechen des Laizismus seit der französischen wie russischen Revolution herunterspielen zu können, den Psychiatrienmißbrauch vorab. Die Freiheit aber hat sich aus allen Niederlagen immer wieder erhoben. Sie muß immer wieder neu errungen werden.

 

10.7   Organisatorisches:

Bei der Jahresversammlung 2006 wurde in den Beirat der GEP gewählt Dr. phil. Max Scharnberg, vorm. Ass.-Professor in Erziehungswissenschaft an der Universität Uppsala. Seine Forschungen befaßten sich über Jahrzehnte mit den Fragwürdigkeiten der Psychoanalyse, der Psychologie der Lüge und mit der Prüfung gerichtlich gewerteten Beweismaterials in Fällen sexueller Gewalt. Seine wichtigsten Bücher sind: The Non-Authentic Nature of Freud's Observtions (1993), Textual Analysis: A Scientific Approach for Assessing Cases of Sexual Abuse (1996, ebenfalls zwei Bände) sowie The Myth of Paradigm-Shift, or How to Lie With Methodology (1984). Alle fünf Bände sind veröffentlicht in den Acta Universitatis Upsaliensis. Scharnberg und mit ihm weitere Skandinavier leisten gewichtige Beiträge zur Arbeit des INTERNATIONALEN NETZWERKS DER FREUD- KRITIKER auf  www.psychiatrie-und-ethik.de

Die Zahl der Besucher der GEP-/INFC-Webseite, auf der auch der vorliegende Rundbrief erscheinen wird, ist kontinuierlich weiter gestiegen. Im Dezember 2006 wurden von ihr über 450.000 KByte aus aller Welt abgerufen, ein guter Teil davon aus den deutschsprachigen Ländern.

11. Summary - s. englischer Teil der GEP-Website


Fußnoten:

[1]  L. sieht in der schmerzhaften, gegen seinen Widerstand zwangsweise durchgeführten Untersuchung schon einen unerhörten Übergriff der Staatsmacht.

[2] etwa in der Lichtwellenleitermesstechnik

[3] Seine Modengleichgewichtsanordnung, ein grundlegendes Thema in der Multimodenlichtwellenleitermeßtechnik für reproduzierbare Messergebnisse, wurde weltweit als beste Anordnung angesehen.

[4] Die Wende habe nicht verhindern können, meint L., daß er seine wissenschaftliche Arbeit beenden mußte und ihm Patente entwunden wurden.

[5] Ein neu eingesetzter Betriebsdirektor stieß sich damals noch an der Nicht-Zugehörigkeit Lippmanns zur SED

[6]  Der Präsident des Bundesverfassungsgericht H.-J. Papier kritisierte im Dezember die derzeit häufig geübte Methode, Gesetze „in Hauruck-Verfahren“ durchzupeitschen. Den Abgeordneten bliebe kaum mehr Zeit zu prüfen, worüber sie abstimmen. Es bleibe ihnen oft nur  sie „abzunicken“.

[7] Für unseren Einsatz für die Opfer kommunistischen Psychiatriemißbrauchs hatten wir zuletzt noch hinzunehmen, von einer Bundesbehörde angegriffen zu werden, nämlich in dem „bundesbeauftragten“ Buch von S. Süß POLITISCH MISSBRAUCHT? Ch. Links,  Berlin, 1998.

[8] Daß sich mit den 68ern just die Linke und gar Wissenschaften (besonders in Frankreich als Postmodernisten) zur Vorhut des Irrationalismus machten, bleibt ein Treppenwitz, aber wahr. Eine Verkehrung der Verhältnisse um 180 Grad erleben wir da. Die Linke, die lange Zeit Fortschritt auf dem Boden des Rationalismus vertrat, engagiert sich jetzt für "psychotherapeutischen" Obskurantismus, der Papst aber gegen die "Zersetzung der Vernunft" (Seite 1).

[9] Zur INFC-Website kürzlich sein Kommentar: The website is fascinating.... vive la INFC! Pope. Verweisen möchten wir bei der Gelegenheit nochmals auf Wilcocks’ Besprechung dieses wie des Buchs RemeMbering Trauma des Harvard-Psychologen Prof. Richard J. McNally (ISBN 0-674-01082-5) in unserem Rundbrief 2/03,7 – beide Bücher wiederholt auch von Crews angeführt.

[10]  „Die Grenzen überschreiten: Auf dem Weg zu einer transformativen Hermeneutik der Quantengravitation

[11]  Angemerkt sei, daß in dem Buch (S.159 ff.) ganz konkret nicht nur einzelne Kollegen , die die oft ins Kriminelle gehende recovered memory-Abstrusität unterstützten, vorgeführt werden, sondern auch die großmächtige American Psychiatric Association (APA), die selbige Abstrusitäten auszeichnete. Das ist ja nicht nur unser großer Kummer, daß sich Aberwitz, vermischt mit um so mehr Großmauligkeit, auf „höchsten Ebenen der Wissenschaft“  zügellos breit machen kann. Crews’ konternder Beitrag ist im Original auf der englischen INFC-Website nachzulesen (The Trauma Trap).

[12]  Just diese Kritik erscheint einigen von uns als 1.) abgedroschen, 2.) vom eigentlichen Thema wegführend – eher bewegt sich Crews hier in Freuds Fußstapfen, 3.) einseitig – christliche Glaubensäußerungen greift er an, jüdischen begegnet er etwa in einem Kapitel zu Kafka respektvoll -  und 4.)  kurzsichtig: Immanuel Kant hat in seinen Kritiken, der der „reinen“ und der der „praktischen Vernunft“ die Gretchen-Frage wohl schon umfassender beantwortet. So nachdrücklich wir mit Crews und anderen aber auf Rationalität in der Wissenschaft dringen und (meist weltanschaulich und/der politisch gebraute und kredenzte) Pseudowissenschaft zurückweisen, so ist Rationalität doch nicht das ganze Leben, nicht der ganze Mensch. Der auf sie reduzierte homo sapiens hat sich etwa im Nazismus, im Kommunismus schon genug verirrt. Der Versuch, ihn so zu verkürzen, wurde oft selbst zur säkularen Religion – nicht zuletzt bei Freud.

[13]  Postmodernismus, Poststrukturalismus, Relativismus: das waren/sind P. Feyer abend, Th. Kuhn, J. Derrida, J. Lacan, M. Foucault  u.a.

[14] Sie fehlt in den deutschsprachigen Ländern ähnlich, es sei denn man wertet die insbesondere aus ihnen kommende Nachfrage nach den Informationen der GEP, des INFC als Gegenbeweis.

[15] Daß dem Leserpublikum der deutschsprachigen Länder der Einblick in Freuds vertrauliche Mitteilungen an seinen Intimus Fließ fast gleichzeitig wie der anglophonen Welt möglich wurde, löste hier überhaupt keinen Widerhall aus. Stumpf lief alles mit Freud weiter mit.

[16] die Deutschen auch – bisher zumindest.

[17]  Daß die Medizin in den USA jetzt etwas besser dasteht – die Psychiatrie sieht sich selbst gern an der „Grenze von Natur und Geist“ angesiedelt -, verdankt sie auch weniger ihrem eigenen wissenschaftlichen Impetus als vielmehr dem Umstand, daß die Analytiker dort mit empfindlichen Schadensersatzansprüchen überzogen wurden und die Krankenversicherungen sich zunehmend weigerten, für die immer horrender ausufernden Kosten der Schwindeltherapie aufzukommen. Da für gerade zu stehen, sind die Krankenkassen hierzulande gesetzlich angehalten. Und Presse und Gerichte machen weiter Druck dafür.

*  Unbesehen hält die Bundesregierung sie für besonderer Zuwendung wert (FAZ, 27.01.07). Zu ihr zählen Psychologie, zum Teil auch die Psychiatrie.

[18] Von Israels ist im Frühjahr ein weiteres einschlägiges Buch erschienen: DER WIENER QUACKSALBER. Im Vorwort dazu  wird mitgeteilt, der Autor sei ob seiner Freud-Kritik selbst schon als Anti-Semit diffamiert worden.

[19]  Berta Pappenheim war später eine hoch aktive, tüchtige Fürsorgerin für notleidende jüdische Frauen.

[20]  Ärzte, Psychologen, Sozialarbeiter usw.

[21] Vielerorts wurde sie beworben. Das Deutsche Ärzteblatt vom 28.07.06 pries sie seinen Lesern ganzseitig an. Ärzte und Analphabeten sollen wohl Freuds Irrtümer oder Lügen „spielerisch“ verinnerlichen. Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG am 13.11.06: „Vor gut hundert Jahren kam Sigmund Freud mit der Psychoanalyse zu ersten Erfolgen“ (SZ-Forum Gesundheit). Nichts als Bluff.

[22]  Wie J. Bénesteau in seinem Buch Mensonges freudiens, Mardaga, Sprimont 2002, ausführt, stieß Freud bei seinen Kollegen in Wien kaum über antisemitischem Ressentiment auf Ablehnung. Waren damals doch über die Hälfte von ihnen selbst jüdischer Herkunft. Der französische Psychologe Bénesteau, der kanadische Literaturprofessor Wilcocks und Ref. gründeten 2003 das INTERNATIONALE NETZWERK DER FREUD-KRITIKER, das seitdem auf der Website der GEP (www.psychiatrie-und-ethik.de) aktuellste, gewichtigste Beiträge zur Freud-Kritik dreisprachig (auf englisch, französisch und deutsch) publiziert.

[23] Kritische Artikel dieser Art erschienen in der Zeit etwa 1982 (D. Zimmer, Der Aberglaube des Jahrhunderts) oder wiederholt im Spiegel. Nie jedenfalls entsprang aus ihnen anhaltender Widerstand.

[24] Mit Kritik an kleinen Unzulänglichkeiten versuchten auch Dr. Süß, einige Ministerien und deren „Untersuchungskommissionen“ die Kritik an schweren Verfehlungen, systematischen Mißbräuchen in der DDR-Psychiatrie abzufangen.

[25] Davon nichts mehr wissen, selbst das Wort „Psychiatriemißbrauch“ nicht mehr (dafür um so mehr von „Reform“) hören wollten Gönner der GIP, z.B. die „(neo-)konservative“ Smith-Richardson-Foundation - ein schönes Beispiel dafür, daß und wie vom ganz großen Geld auch bestimmt wird, was in der Psychiatrie läuft. Als dies spürbar wurde (1991), trennten wir uns von der (so geneigten) „Geneva“, jetzt „Global Initiative on Psychiatry (GIP)“, dem früheren „Dachverband“.

[26] Manche Ärzte, Vertreter etwa der „Staats- und Sozialpsychiatrie“, die über Jahrzehnte besonders „freud-freudig“ agierten (A. Finzen, Die Psychiater entdecken die Psychothe rapie, FAZ, 10.12.1980,  v. Cranach, RB 3/02, 3.1), versuchen, dies jetzt vergessen zu machen, zu leugnen (Angermeyer M. et. al., PSYCHIATRISCHE PRAXIS 2006, 33: 233-239) – vgl. auch RB 1/06,2.9

[27]  u.a. auch von dem späteren Freud-Aktivisten und Promotor der „Psychosomatik“ Prof. Viktor von Weizsäcker!

[28]  Er bestimmt wörtlich, daß „Untersuchungs- und Behandlungsmethoden ... zu Lasten der Krankenkassen ... erbracht werden (dürfen), wenn der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) ...  (einen)  Nutzen der neuen Methode sowie deren medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit ... nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse in der jeweiligen Therapierichtung“ an erkannt hat.

[29]  Der „ergrünte“ § 135  verlangt zwar immer noch, daß die jeweilige Behandlungsmethode vor ihrer Einführung auch „nachweislich zu Behandlungserfolgen führt.“ Hier aber wird schamlos geflunkert. Freud behauptete seit dem (ersten) Fall der „Anna O.“ die Heilwirkung der Psychoanalyse und seine Adepten tun desgleichen, wiewohl sich die Erfolge immer wieder als Augenwischerei erwiesen.

[30]  Jüngst freilich stellte der G-BA fest: „Die in der GKV etablierten Verfahren – Psychoanalyse, tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie, Verhaltenstherapie – wurden nicht nach den Kriterien der evidenzbasierten Medizin geprüft.“ Mitgeteilt wurde die Absicht, „auch diese Verfahren erneut entsprechend zu prüfen.“ (DÄ 48/06). Sollte es Frucht unseres langen Bemühens sein?

[31] Wie auf Abruf berichteten die Medien prompt auch hierzulande, es glaube heute auch „fast jeder zweite Deutsche an Außerirdische“ (WELT, 29.12.2006)

[32]  „Je deutlicher die vergangenen Umfragedaten den Schluß nahelegen, daß Zwist zwischen den Unionsparteien auch der eigenen Zustimmungsrate schade..., desto schöner wird in der Beurteilung seiner Partei das gesundheitsreformerische Gesetzeswerk.

[33] Sie bekamen vier Tage Zeit, zu dem rund 550-seitigen Gesetzentwurf Stellung zu nehmen. An einer Farce von Stellungnahme teilzunehmen, ersparten sich die Ärztevertreter dann doch.

[34] Daß der Hausärzteverband (der seit langem SPD-Positionen zu neigt) Haare in der jetzig übrigen Ärztesuppe fand und eine eigene Suppe kochte, wen wundert’s? Er hat schon die Psychiatrie-Reform der 70er Jahre mit unterstützt

[35] „Ulla“ und „Angie“ zumindest waren selten verlegen, das Gesundheitswesen an der nächsten Ecke wieder als „qualitativ hochwertig“ und „leistungsfähig“ zu preisen, wenn’s gerade paßte.

[36] In Sachen Psychotherapie / Freud spielte auch die TKK gern vorne mit.

[37]  „Was mühsam aus den anglo-amerikanischen Ländern importiert wird“, so Kulenkampff – er meinte die Ingredienzien der Sozialpsychiatrie, u.a. Institutsambulanzen -, „ist in der UdSSR offensichtlich schon seit langer Zeit zu einer gewissen Vervollkommnung entwickelt worden“ (RB 4/93,2.4).

[38]  Wir waren es, die 1986 beim Deutschen Ärztetag den Protest gegen die Verleihung der Paracelsus-Madaille an einen H.E. Ehrhardt organisierten.

[39] Weinberger, F., Achillesferse Psychiatrie oder: Der Countdown einer Sozialisierung, DÄ 50/73. Dort u.a. : „Die Fachkrankenhäuser baulich veraltet und personell unterbesetzt, räumlich isoliert und entlegen. Es ist nun von Interesse, mit welchen Tricks der Skandal der Institutionspsychiatrie in einen Skandal des Systems umgemünzt und wie er den freitätigen (Nerven-)Ärzten in die Schuhe geschoben wurde...“ Diese ließen ihn schieben. In etwa gleichzeitig wurden die drei Themenkomplexe Psychiatriemißbrauch in der UdSSR, Geltung der Psychoanalyse und Sozialpsychiatrie Anfang der 70er aktuell und der Autor dieses Rundbriefs derjenige im Land, der ihnen in gleicher Weise u.a. im Deutschen Ärzteblatt immer wieder kritisch entgegentrat.

[40]  Neben 30 Staatsdienern hatten auch zwei niedergelassene Nervenärzte mitgewirkt, einer davon dem Bundesvorstand der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Ärzte entstammend.

[41]  z.B. extracta psychiatrica / neurologica 12/2006

[42]  Sie stellte zum Ausgleich für die Abtretung der psychia tri schen Krankenversorgung an die Staatsambulanzen den niedergelassenen Psychiatern neue Verdienstmöglichkeiten in Aussicht. Und sie schluckten den Köder.

[43] Es kam „unten“ bisher nur nicht an. Dort wollte man’s eigentlich auch gar nicht wissen. Ginge es bei den Reformen nur um die frei praktizierenden Ärzte, sie hätten ihre Abschaffung verdient.

[44] Die freie Praxis, ja die Aussicht auf sie boten dem Arzt jenes Mindestmaß an Unabhängigkeit, das dem Hilfesuchen den ein unabhängige Beurteilung sichert und - eine Kritik wie unsere ermöglichte. Vor allem für die mit psychischen Problemen Hilfesuchenden ist die existentielle Unabhängigkeit des Arztes, Korrelat der freien Arztwahl, so wichtig, ist die Leichtfertigkeit, mit der die Ärzte(-funktionäre) sie aufgegeben haben, so sträflich.

[45]Besser, sie scheitert“,  meinte Die Welt vom 4.01.07 von der Reform, dabei reform-gerecht für IV und ähnliche „neue Versorgungsformen“ werbend. Viele neue Journale, die den Ärzten, von der Pharma–Industrie bezahlt, alltäglich kostenlos ins Haus flattern (z.B. Propraxis 12/06), tun es ähnlich, vermiesen ihnen ihre KV (die sie bei allen Unzulänglichkeiten immer noch schützte) und treiben sie ins Freibeutertum, in die IV, in Einzel- und Gruppenverträge, ins Hauen und Stechen jeder gegen jeden.

[46] freilich nicht ganz. Manch bös Befleckter (Fußnote 38) strickte auch an der 68er Psychiatrie-Enquête und Psychiatrie-Reform mit.

[47]  Die Dinge wurden auch offen ausgedruckt etwa im Münchner Merkur vom 6.9.1987 (vgl. Andreas von Weiß, RB 1/94). Die Ärzte beliebten sie „auszusitzen“.

[48] Ihm gehört u.a. die Menschenrechtsbeauftragte des Münchner ÄKBV (Ärztlicher Kreis- und Bezirksverband) Dr. Wirtgen an, die auch vor solcher Amtwürde als Mitglied von ai am Psychiatriemißbrauch der SU nie etwas auszusetzen hatte.

[49]  1977 sprach der Deutsche Ärztetag für die Psychiatrie-Enquete, mit ihr für flächendeckende Ambulanzen, die er heute als Pfeiler der Staatsmedizin wertet, Dank und Anerkennung aus.

[50]   Die BLÄK deckt jetzt –  sie hat dazugelernt - die linken Urheber der Gutachtenstandards als auch der Dozenten der „Fort-verbildung“ ab, tut, als würden bei ihr unbezweifelbare Wahrheit und Wissenschaft geboten.

[51] Jüngst hier das Zeichen einer Änderung – s. Fußnote 30.

[52]  Ich war über viele Jahre Delegierter zur Bundesversammlung eines großen ärztlichen Verbands, des Hartmannbundes. Da herrschte wie überall der Zeitgeist. Jeder Einsatz war letztlich vergeblich.

[53]  Gewiß, auch in der Fristenlösungsfrage wurde gegen den Schwenk der Ärztevertretung Protest laut. Aber Sie wissen ja, wie solche Stimmen erledigt werden. Wirklich unter die Haut konnte den Ärzten hier nichts gehen, da auch die vorher geltende Indikationslösung problematisch war. In den jetzt von uns behandelten Fragen ist es anders. Hier hängen der Ärztevertretung Lüge, Betrügerei und in der Folge auch Veruntreuung von Milliardensummen an, was auch in „aufgeklärten Kreisen“ ein Thema und vielen Ärztefunktionären als Unrecht im Grund bewußt ist. Insgeheim zittern sie, daß der Schwindel doch noch aufkommt, die Medien ihn eines Tages nicht mehr decken werden.

[54] Die Phantasterei „verdrängter Erinnerungen“, die manche Psychiater, Psychologen, um ihr Geschäft weiter auszudehnen, noch ins Spiel bringen (.5.), verkniff man sich hier.

[55] der nun dahingeschieden ist, im gleichen Land, in dem auch der DDR-Diktator Honecker verwest.

[56] Dort, wo Psychiater, Freud-bewegt, auch für nicht-verfolgte „Migranten“ die Wirklichkeit so großzügig verbiegen, daß einer von ihnen neulich gar gerichtlich verurteilt worden ist (RB 1/06, 6.3).

[57]  Ärzteblatt Baden-Württemberg 11/1975

[58]  Den in freier Praxis besser überlebensfähigen Nervenarzt (= Neurologe und Psychiater), der solide, unabhängige psychiatrische Versorgung bot, hat der Deutsche Ärztetag vordem schon abgeschafft.

[59] An verschiedenste Adressaten richtete der Ärztetag Forderungen, u.a.

- an den Gesetzgeber, die „Gleichstellung, Gleichbehandlung psychisch Kranker ... zu gewährleisten (Gleichstellung mit wem, ließen die Ärztevertreter offen, sprachlich nicht ganz fit, ansonsten Selbstverständlichkeiten fordernd);

- an die Gesetzlichen Krankenkassen, „die Versorgung psychisch Kranker durch Vertragsärzte... mit zusätzlichen Mitteln außerhalb der Gesamtvergütung der Kassenärztlichen Vereinigungen zu unterstützen.“ Von der Versorgung welch anderer Kranker das Geld abgezogen werden soll, verschwiegen die Ärzte, als wüßten sie nicht, daß das Geld für das Gesundheitswesen insgesamt begrenzt ist durch begrenzte Einnahmen der Beitragszahler und damit der Krankenkassen;

- an die Ärztekammern, die „hohe Qualität der ärztlichen Psychotherapie“ sicher zu stellen, übergehend, daß die „hohe Qualität“ reichlich ungewiß ist, Psychotherapie, insbesondere psychoanalytische, ärztlich oder nicht, „nicht evidenzgeprüft“ ist, wie kürzlich selbst im Deutschen Ärzteblatt stand (Fußnote 30);

- an die „ärztlichen Organisationen, eine angemessene Vermittlung der Stigmatisierungsproblematik und ihre Überwindungsmöglichkeiten... vorzusehen“, als müsse über Selbstverständliches hinaus „Neu-Menschliches“ den Ärzten, den Menschen allgemein „vermittelt“, eingetrichtert werden;

- an die Kollegen im Land draußen, Hilfesuchenden „einen gleichberechtigten niederschwelligen Zugang zu allen verfügbaren Therapiemöglichkeiten“ zu schaffen. Was an Schwindel, Scharlatanerie, Weltanschauung, Spinnerei in vielen „Therapiemöglichkeiten“ heute „verfügbar“ ist, blieb unerwähnt.

[60]Der therapeutische Staat zielt auf die Schaffung und Steuerung einer Zivilgesellschaft, die durch ihre führenden Sozialingenieure permanent mit progressivem, post-marxistischem Ideengut gespeist wird..“ H. Bergbauer in einer Buchbesprechung des amerikanischen Politologen Prof. Paul Gottfried in Unsere Agenda (Oktober 2006).

[61]  Kurt Sontheimer, Ordinarius für Politologie, DAS ELEND UNSERER INTELLEKTUELLEN, Hoffmann und Campe, Hamburg, Rezension in Die Welt, 17.04.1976