Ein psycho-justitieller Treppenwitz

aus junge Welt vom 15./16.6.2013                          

ein Gespräch mit Friedrich Weinberger


Nur einen Tag nach dem viel beachteten Auftritt von Gustl Mollath vor dem Unter­suchungs­­ausschuß im bayerischen Landtag hat am Mittwoch das Landgericht Bay­reuth angeordnet, den 56jährigen für mindestens ein weiteres Jahr in der Psychiatrie weg­gesperrt zu belassen. Was sagen sie zum Timing des Beschlusses?

Das Bayreuther Vollstreckungsgericht wollte wohl seine Unberührbarkeit von aller Evi­denz beweisen, vielleicht auch zeigen, wer das Sagen hat. Daß es die Volkswut über das Justizsystem in Bayern gezielt zum Kochen bringen wollte, glaube ich nicht. Daß es seine Entscheidung gerade am Tag nach Mollaths beeindruckendem Auftritt im bayerischen Landtag bekannt gab, zeigt ein weiteres Mal die Unsensibilität der Bürokratie.

Wäre die Entscheidung des Landgerichts nicht in dem Moment hinfällig, in dem dem Wiederaufnahmeantrag der Staatsan­walt­schaft staatgegeben würde?

Mit einer positiven Entscheidung des Landgerichts Regensburg über den Wiederauf­nah­meantrag der Verteidigung und/oder der Staatsanwaltschaft müßte Mollath umgehend in Freiheit entlassen werden. Daß die Entscheidung so lange auf sich warten läßt, gibt viel­fältigen Verdächtigungen Auftrieb.

Was halten Sie von der Argumentation des Landgerichts, an der Allgemeinge­fährlichkeit Mollaths habe sich nichts geändert und eine weitere Begutachtung sei auch nicht angezeigt, zumal sich dieser auch nicht dazu bereit finden würde?

Das letzte Gutachten über Gustl Mollath, nämlich meines, fand an ihm keine Allgemein­ge­fährlichkeit. Nachdem die Wiederaufnahmeanträge die Straftaten, derentwegen Mollath seit über sieben Jahren festsitzt, als letztlich unbewiesen bezeichnen, stellt sich die Frage, ob er je allge­meingefährlich war. Eine erneute Begutachtung stellt eine erneute Belastung und Infrage­stellung dar. Zu Recht weist Mollath deshalb eine solche von sich. Ich habe Gustl Mollath im April 2011 nach den Regeln psych­iatrischer Kunst und Wissenschaft unter­sucht, ihn für gesund befunden und so das auch heute immer noch ak­tuellste Gutachten über ihn erstellt. Es wurde nur von Bayreuther Voll­streckungs­richter rechtswidrig verworfen. Inzwi­schen konnte sich die breite Öffentlichkeit von Mollaths psychischer Normalität selbst ein Bild machen. Daß die Klinik und das Gericht ihn, der sich für gesund hält und nach mei­nem Urteil auch gesund ist, für allgemeingefährlich erklären, weil er sich an keinen „The­ra­piemaß­nah­men“ beteiligt, ist ein psycho-justizieller Treppen­witz, ein trauriger und schlech­ter freilich.

Es heißt, Dr. Klaus Leipziger, der als Sachverständiger Mollath »wahnhafte Para­noia« bescheinigt hat, hätte diesen gar nicht richtig untersucht. Wie kann das an­gehen?

W: Ja, das ist eine der Unerhörtheiten an dem „Schlechtachten“ Dr. Leipzigers. Er konnte Mol­lath über 5 Wochen „beobachten“, aber eben nicht untersuchen. Die „Totalbe­ob­achtung“ war nach Verfassungsgerichtsurteil unstatthaft und der Expertise fehlt ohne Unter­suchung das notwendige Fundament.

 Sie dagegen haben mit Mollath auch gesprochen …

Auf Grund persön­licher mehrstündiger Untersuchung kam schon im Jahr 2007 mein Fach­kollege Dr. Simmerl vom Bezirkskrankenhaus Mainkofen zu ganz ähnlichen gutacht­lichen Schlußfolgerungen wie ich vier Jahre später.

Das Landgericht hat auch ausdrücklich darauf verwiesen, Leipziger fühle sich durch öffentliche Anfeindungen »extrem beeinträchtigt«. Können Sie das nach­emp­finden?

Daß sich Täter gern als Opfer ausgeben, kennen wir auch von denen der Ex-DDR. Ver­gessen wir nicht: Psychiatriemißbräuche zu politischen Zwecken spielten sich in den 1970er und 80er Jahren in großem Umfang primär in der Ex-Sowjetunion ab.

Wie schätzen Sie die Chancen ein, daß Mollath alsbald Gerechtigkeit widerfährt?

Der Fall Mollath wurde in den Medien inzwischen so gut ausgeleuchtet und die Verteidi­gung argumentiert so schlüssig, daß es m.E. kein Gericht wagen kann, den Fall nicht ord­nungs­­gemäß nochmals abzuarbeiten. Noch nicht ansatzweise aber wurde in den Medien ange­sprochen, welche in der Psychiatrie selbst liegende Faktoren zu den Skandalen beige­tragen haben, von denen der Fall Mollath wohl nur einer ist.

 Interview: Ralf Wurzbacher

 

4 Gedanken zu „Ein psycho-justitieller Treppenwitz

  1. Burkhard Lenniger

    Die Faktenlage sieht leider anders aus als die Worte es Glauben machen und Gerichtspsychiater wissen das wohl auch, denn sie handeln wohl in der Mehrzahl der ihnen angetragenen Fälle willfährig, denn sie leben von diesen Fällen wie z.B. der Diagnose F99 = Psychische Störung ohne nähere Angabe.

    Die §§ 20 und 21 StGB unterscheiden sich dadurch, dass im Fall des § 21 StGB nur eine bedingte Schuldunfähigkeit angenommen wird mit der Folge, dass eine Verurteilung des Angeklagten stattfindet.

    Anders die Sach- und Rechtslage im Fall von § 20 StGB, hier wird die totale Schuldunfähigkeit angenommen und die Folge ist der Freispruch des Angeklagten.

    Beide Male kann nun das Gericht gemäß § 63 StGB die Unterbringung anordnen. Während im Fall des § 21 StGB die Strafe z.B. umgewandelt werden kann in die Zeit der Unterbringung mit der Option, auch dort ggf. für immer und ewig untergebracht zu bleiben, ist der Freigesprochene nicht verurteilt und wird nur untergebracht.

    Dramatisch wird die Sache im Fall einer Wiederaufnahme, während nämlich der Verurteilte die Möglichkeit gemäß § 359 StPO hat, hat sie der Freigesprochene ausdrücklich nicht, weil es keine entsprechende strafprozessuale Vorschrift gibt. Das, was da also gerade in Nürnberg und Regensburg praktiziert wird, ist großes Kino ohne wirklich belastbare gesetzliche Vorschriften in der StPO. Alle Angebote, die bisher geboten wurden, scheitern an den Eingangsvorschriften der Wiederaufnahme, nämlich an den §§ 359 StPO „zugunsten“ des Verurteilten und § 362 StPO „zu Ungunsten“ des Angeklagten. Einen Freigesprochenen kennt das Wiederaufnahmeverfahren nicht und Maßregeln der Besserung und Sicherung sind keine Strafen, egal wie man es dreht und wendet. Deutschland hat bis heute eine Vergangenheit, die ausdrücklich in diese Prozessvorschriften immer noch hineinspielen. Das ist so verfassungswidrig gewollt und die Bevölkerung kümmert es bis heute auch nicht wirklich.

    Wie gefährlich das Ganze ist, wird einem bewusst, wenn man in den § 126a StPO schaut, der übrigens nahezu unverändert seit dem 01.01.1934 geschrieben steht und dem NS-Gesetz gegen Schwerverbrecher entstammt.

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    1. weinberger Beitragsautor

      Eine düstere Prognose. Hoffentlich hat der Prognostiker unrecht. Der Fall Mollath mahnt eindringlich, auf die Gesetzeslage und die Rechtsprechung zu achten.

      Antworten
      1. Burkhard Lenniger

        Es geht nicht um Recht haben oder nicht Recht haben. Die Faktenlage ist wie sie o.a. beschrieben wurde. Die Gesetzeslage ist seit 64 Jahren hier verfassungswidrig und die sog. Rechtsprechung in der Bundesrepublik Deutschland entbehrt jeder Rechtsstaatlichkeit auf dem Boden des Bonner Grundgesetzes.

        Dafür Sorge getragen haben die Edelnazis Globke, die Höhns, die Geigers, die v. Mangoldts, die Maunz, die Dürigs, die Höpker-Aschoffs, die Weinkauffs, die Schäffers und, und, und…

        Dafür Sorge getragen haben auch alle die, die sich von denen haben kaufen lassen bis heute, anstatt sich dem Bonner Grundgesetz sowie den internationalen ratifizierten Konventionen zu unterwerfen.

        Vorkonstitutionelles Recht wurde kodifiziertes NS-Recht, dass ersatzlos mit dem Ende der Usurpation der Jahre 05.03.1933 bis 09.05.1945 untergegangen ist, genannt, um es and en unverbrüchlichen Rechtsbefehlen des Bonner GG vorbei in das Rechtssystem der Bundesrepublik Deutschland aufzunehmen, verfassungs- und konventionswidrig. Es hat ja das “granitenen dumme Volk” nicht gemerkt und will es bis heute nicht wissen. „granitenen dumme Menschheit“ stammt aus dem Machwerk „mein Kampf“, S. 412, des Massenmörders Adolf Hitler, das er bereits 1926 geschrieben hat und an dem heute noch der Bayerische Freistaat meint, die Urheber- und Nutzungsrechte zu haben.

        Nicht-Richter werden seit 1950 einfachgesetzlich als Beamte der zweiten Gewalt verfassungs- und konventionswidrig als Richter auf Probe den hauptamtlich planmäßig endgültig angestellten und sodann persönlich und sachlich unabhängigen Berufsrichtern vorgeschaltet. Sie sind willfährig, lernen das Recht professionell zu beugen, dass sie später als Berufsrichter aus diesem Dilemma nicht mehr herauskommen.

        Der verfassungsändernde Gesetzgeber hat die Art. 92 und 95 GG 1968 verfassungswidrig entgegen der Ewigkeitsgarantie gemäß Art. 79 Abs. 3 GG gesäubert, indem er das vom Verfassungsgeber 1949 normierte Oberste Bundesgericht aus der Verfassung auf hochverräterische Weise entfernt hat.

        Eine Vielzahl bundesdeutscher Gesetze sind wegen des nachträglich unheilbaren Verstoßes gegen Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG seit ihrem Inkrafttreten ungültig, denn grundrechtseinschränkende Gesetze müssen diejenigen Grundrechte dann namentlich unter Angabe des Artikels im Gesetz nennen.

        Das alles sind keine Kleinigkeiten, das ist vielmehr Verfassungshochverrat, der hier sich seit 64 Jahren vollzieht und die “graniten dumme Bevölkerung” schaut teilnahmslos zu.

        Schauen Sie sich die Realität an und studieren Sie die Fakten unter:

        https://grundrechtepartei.de/Wussten_Sie_schon

        Im Deutschen Bundestag hat anlässlich der ESM-Debatte im Deutschen Bundestag der FDP-Abgeordnete Rainer Brüderle folgenden Satz zum Besten gegeben:

        »Wir ändern keinen Grundgesetzartikel, aber wir ändern die innere Verfasstheit unserer Republik. Manche sprechen von einer stillen Verfassungsänderung.« Rainer Brüderle (FDP) zur Abstimmung über Euro-Rettungsschirm ESM und ESM-Finanzierungsgesetz, Freitag, 29. Juni 2012.

        Am 11.08.1950 wurde nach der Innenministerkonferenz der Länder in die Adenauer-Protokolle von Dr. Gustav Heinemann als Bundesinnenminister aufgenommen:

        »Es sei einmütig erklärt worden, daß bei unveränderter Aufrechterhaltung der im Grundgesetz verankerten Grundrechte durchgreifende Maßnahmen nicht getroffen werden können. Es müsse deshalb eine Änderung des Grundgesetzes in Erwägung gezogen werden.« Gustav Heinemann, 89. Kabinettssitzung am 11. August 1950

        Bis heute haben die ideologiefreien Nachfolgeschergen des NS-Terrorregimes ganze Arbeit geleistet und das unter aktiver Zuarbeit der Weißkittel.

        Nicht ohne Grund wurde im August 2010 die Grundrechtepartei endlich aus der Taufe gehoben, denn das Bonner Grundgesetz und dessen Inhalte schützen sich nicht alleine, wichtiger ist jedoch, dass die Inhalte endlich Rechtswirklichkeit werden. 1959 titelte der damalige Abgeordnete Dr. Adolf Arndt im Oktober in Kassel “Das unerfüllte Grundgesetz”. Leider muss dieses Zitat heute immer noch wiederholt werden, denn das Bonner Grundgesetz harrt tatsächlich immer noch seiner Erfüllung und deshalb leiden Menschen in der Bundesrepublik wie z.B. Gustl Mollath gelitten hat.
        Burkhard Lenniger
        Burkhard Lenniger 30. August 2013 at 14:30 | Permalink | Reply

        Die Faktenlage sieht leider anders aus als die Worte es Glauben machen und Gerichtspsychiater wissen das wohl auch, denn sie handeln wohl in der Mehrzahl der ihnen angetragenen Fälle willfährig, denn sie leben von diesen Fällen wie z.B. der Diagnose F99 = Psychische Störung ohne nähere Angabe.

        Die §§ 20 und 21 StGB unterscheiden sich dadurch, dass im Fall des § 21 StGB nur eine bedingte Schuldunfähigkeit angenommen wird mit der Folge, dass eine Verurteilung des Angeklagten stattfindet.

        Anders die Sach- und Rechtslage im Fall von § 20 StGB, hier wird die totale Schuldunfähigkeit angenommen und die Folge ist der Freispruch des Angeklagten.

        Beide Male kann nun das Gericht gemäß § 63 StGB die Unterbringung anordnen. Während im Fall des § 21 StGB die Strafe z.B. umgewandelt werden kann in die Zeit der Unterbringung mit der Option, auch dort ggf. für immer und ewig untergebracht zu bleiben, ist der Freigesprochene nicht verurteilt und wird nur untergebracht.

        Dramatisch wird die Sache im Fall einer Wiederaufnahme, während nämlich der Verurteilte die Möglichkeit gemäß § 359 StPO hat, hat sie der Freigesprochene ausdrücklich nicht, weil es keine entsprechende strafprozessuale Vorschrift gibt. Das, was da also gerade in Nürnberg und Regensburg praktiziert wird, ist großes Kino ohne wirklich belastbare gesetzliche Vorschriften in der StPO. Alle Angebote, die bisher geboten wurden, scheitern an den Eingangsvorschriften der Wiederaufnahme, nämlich an den §§ 359 StPO “zugunsten” des Verurteilten und § 362 StPO “zu Ungunsten” des Angeklagten. Einen Freigesprochenen kennt das Wiederaufnahmeverfahren nicht und Maßregeln der Besserung und Sicherung sind keine Strafen, egal wie man es dreht und wendet. Deutschland hat bis heute eine Vergangenheit, die ausdrücklich in diese Prozessvorschriften immer noch hineinspielen. Das ist so verfassungswidrig gewollt und die Bevölkerung kümmert es bis heute auch nicht wirklich.

        Wie gefährlich das Ganze ist, wird einem bewusst, wenn man in den § 126a StPO schaut, der übrigens nahezu unverändert seit dem 01.01.1934 geschrieben steht und dem NS-Gesetz gegen Schwerverbrecher entstammt.

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        1. weinberger Beitragsautor

          Manche der bei uns eingehenden Kommentare sind so, daß wir sie nicht freischalten, nicht wenige so, daß wir zumindest einige Formulierungen für unpassend halten, der Kommentar von B. Lenniger insgesamt aber so gewichtig, daß er, wie er ist, erscheinen und damit eine wohl überfällige Diskussion in Gang bringen soll. Insgesamt begrüßen wir die breite Erörterung der angeschnittenen Themen von allen rechtsstaatlichen Standpunkten aus. W

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