Nachdem das Bundesverfassungsgericht (BVerG) und der Bundesgerichtshof (BGH) 2011 nach den bisherigen betreungsrechtlichen Regelungen für Zwangsbehandlungen keine dem Grundgesetz genügende Grundlage festgestellt hatten, verabschiedete der Bundestag auf Drängen der psychiatrischen Fachgesellschaft DGPPN am 17.1.2012 ein neues Gesetz, das solche Behandlungen ohne Einwilligung des Betroffenen unter bestimmten Auflagen wieder ermöglicht. Die gesamte Antipsychiatrie, der Bundesverband der Psychiatrieerfahrenen (BPE), IAAPA u.a. laufen Sturm dagegen.
Der prominente Verfassungsrechtler Dr. Schneider-Addae-Mensah erstattete für den BPE Strafanzeige gegen die Bundesjustizministerin Leutheuser-Schnarrenberger und andere maßgeblich mit der Gesetzesfassung Befaßte u.a. wegen „versuchter gefährlicher Körperverletzung in einer Vielzahl von Fällen“. Der BPE-Sprecher René Talbot schrieb auf viel verbreiteten Webseiten, Psychiatrie sei „im Kern (!) Zwangspsychiatrie“. Ihr Wesen sei es, „Geständniszwang auszuüben“. Diese Auslassungen fanden weite, selbst bei einigen uns Verbundenen Anerkennung, was zeigt, wie schwer es bleibt, in der Öffentlichkeit Verständnis hie für die Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit, da aber auch für die Grenzen und Gefahren der Psychiatrie zu schaffen.
Der Grundfehler der Antipsychiater ist, daß sie die Realität schwerer psychiatrischer Krankheiten wie auch realer psychiatrischer Hilfemöglichkeiten in vielen (nicht allen) Fällen verkennen oder leugnen, ein Grundfehler weiter, daß sie irreale Schreckenszenarien zeichnen und darüber die real drohenden Schrecken verdrängen. „Potentiale, Charaktere auf chemischem Wege zu verändern“, wie Scheinder-Addae-Mensah sie sieht, birgt die Psychiatrie nicht. Dies eine der positiven Lehren aus den vielen Zwangsbehandlungen an Dissidenten in der Sowjetunion, denen wir seinerzeit begegneten. Psychiatrie ist auch nicht „im Kern Zwangspsychiatrie“, ist auch nicht immer Instrument politischer Gewaltausübung“, so sehr das Beispiel Mollath wieder lehrt, daß sie dazu geraten kann. Immer noch suchen schätzungsweise 80-90 % ihrer Klientel psychiatrische Hilfe von sich aus auf.
Auch Zwangspsychiatrie, auch forensische Psychiatrie sind in einzelnen Fällen notwendig. Dieser Tage ging der Fall einer jungen Mutter durch die örtliche Presse, die aus offensichtlicher Krankheit, wohl einer sog. Wochenbett-Psychose, heraus ihr 2-Monate altes Kind erstochen hat. Ich erinnere aus meiner eigenen klinischen Zeit als Assistenzarzt einen agitierten Psychotiker, der auf dem Boden kauernd, unaufhörlich seinen Kopf gegen die Wand schlug. Wollen Sie da, Herr Talbot, die moderne Psychiatrie samt Psychopharmakologie weiter verteufeln, die den Mann rasch und schonend und ohne viel Zwang erst einmal zur Ruhe brachte? Und wollen Sie ihr zum Vorwurf machen, daß sie ihn vielleicht nicht endgültig heilen konnte, vielleicht auch besagte Frau langfristig gefährdet (wenn wohl doch nicht gefährlich) bleibt? Die Psychiatrie insgesamt wegzuräumen, hieße 200 Jahre Kulturentwicklung aufheben zu wollen. Wollen Sie im Umgang mit psychisch Kranken ins Mittelalter, zu Narrentürmen etc. zurück?
Mit der Verwischung der Realitäten, damit der Einebnung aller Unterschiede zwischen den verschiedenen psychischen Störungen von Allerweltsproblemen bis zu freien Willen aufhebenden Psychosen leistete die Antipsychiatrie über Jahrzehnte Mißbräuchen der Psychiatrie letztendlich Vorschub. Von ihr hat sich MOllath immer fern gehalten. Mächtige aber unterstützen sie, wie es scheint, weil sie sich Zugriffe auf die Möglichkeiten des Fachs offenhalten wollen. Auffällig genug jedenfalls ist, daß der BPE, für den Herr Talbot spricht, an der FU Berlin „die Reihe ‚Lehrstuhl für Wahnsinn’“ unterhalten kann und er ungeachtet seiner Strafanzeige gegen die Bundesjustizministerin und andere Bundespolitiker doch „ministeriell bezuschußt“ wird. Das zeigt wohl die Doppelbödigkeit des Spiels, das hohe Politiker gleichzeitig mit Psychiatrie und Anti-Psychiatrie treiben. Unser Eindruck ist seit Jahrzehnten, daß letztere ein staatlich organisiertes Täuschungsunternehmen ist, um ernsthafter, notwendiger Kritik das Wasser abzugraben, im gegebenen Fall aber, den ehrlichen und jetzt gar mit Erfolgsaussicht versehenen Einsatz für Gustl Mollath noch zu diskreditieren
Gewiß wird zu prüfen sein, ob der neue Gesetzesrahmen, der fraglos Eingriffe in gundgesetzlich verbürgte Freiheitsrechte ermöglicht, genügend spezifiziert ist. Wenn Schneider-Addae-Mensah an dem Gesetz bemängelt, es fasse geplante Behandlungen nach Art, Dauer und Dosis nicht genau genug, auch nicht ihre Eignung, nicht ihre rechtzeitige Ankündigung zur Ermöglichung effektiven Widerspruchs, nicht die Dokumentation, nicht unabhängige, externe Vorabprüfung, nicht ausreichend vorausgehende Bemühung um Zustimmung des Kranken, so ist das diskussionswürdig. Zu fragen bleibt, ob alle Fälle des klinischen Alltags gesetzlich geregelt werden können. Kritikwürdig sind die Umstände der Gesetzesfassung, der Anhörungen und auch der Abstimmung darüber, an der nur wenige Abgeordnete teilnahmen. Teilweise mutete das wie eine Farce an ähnlich wie die Beratungen zur Psychiatriereform, der Enquête von 1975, oder auch die Nachprüfungen zu Psychiatriemißbräuchen in der DDR Mitte der 1990er. Aber die gesetzliche Regelung der Zwangsbehandlung im Krankheitsnotfall duldete keinen Aufschub.
Wenn man andererseits an die Empfehlung einer Zwangsbehandlung für Mollath durch den hochmögenden Prof. Kröber denkt (RB 2/12, 3.6), zeigt das, wie heikel das Thema bleibt und wie viel Wachsamkeit hier weiter geboten ist. Das aber ist das erfreuliche Ergebnis der mit Mollath neu aufgekommenen kritischen Aufmerksamkeit für die Psychiatrie, daß bei allen aktuellen Überziehungen doch viel davon auch für die realen Mißstände, Mißbräuche in ihr abfällt.
Wir aber werden weiter beide Seiten zu Gegnern haben, hier die Mehrheit der immer hörigen Psychis, Psychiater, Psychologen und der sie leitenden politischen Klasse, die möglichst viel Psychiatrie und Psychologie wollen, um alles menschliche und gesellschaftliche Leben bevormunden und u.U. Unliebsame unauffällig wegräumen zu können, und da die Antipsychiater, die möglichst wenig, eigentlich gar keine Psychiatrie wollen, dabei unauffällig aber auch „ministeriell bezuschußt“ werden, weil sie mit ihren Überziehungen ohnedies nicht ernst genommen werden, gut aber demokratische Opposition markieren und sinnvoller, notwendiger Kritik an realen Mißständen und Mißbräuchen Aufmerksamkeit entziehen.
Dr. Weinberger, GEP Garmisch-Partenkirchen, 8.2.2013
P.S. 25.2.2013: Die Berliner Staatsanwaltschaft hat ein Verfahren gegen die Justizministerin abgelehnt.
22.6.2013: Obenstehender Beitrag löst bie heute wütende Raktionen im Lager der Antipsychiater aus. Diese bestärken damit letztlich die Arroganz und Dickfelligkeit der mainstream-Psychiater, die damit jegliche Kritik auch an so notwendigen, so berechtigten Vorhaltungen, wie sie im Fall Molalth angebracht sind, abweisen.
Zur Antipsychiatrie, die im folgenden Kommentar Dr. Cüppers, Facharzt für psychotherapeutische Medizin, vertritt, haben wir in obigem Beitrag unsere Position grundsätzlich dargelegt. Ein Fachkollege, der an einem bayerischen Bezirkskrankenhaus (BKH) tätig ist, bringt dazu eine weitere Stellungnahme. Er will/muß anonym bleiben, da er an seinem Dienstort zwar „normale“ Psychiatrie betreiben kann – nicht alle BKHs gleichen der Bayreuther Forensik -, jedoch überall die offiziellen Lippendienste zu leisten sind, so daß er sich nicht „outen“ kann, ohne existentielle Gefahr zu laufen
Verantwortlich dafür, daß in der „Seelenheilkunde“ konträre, mit einander unvereinbare Positionen doch offiziell neben einander stehen, ist die (halbstaatliche) Ärzteschaft (= Ärztekammern). Sie wie ihre staatlichen Meister halten es mit Psychiatrie und Antipsychiatrie gleichermaßen und zwingen ehrliche Kollegen so zu unwürdigem Versteckspiel. Weinberger, GEP
Dr. „XY“ schreibt:.
Sehr geehrter Herr Kollege Weinberger,
Wortmeldungen wie von Dr. Cüppers werden immer wieder kommen vor allem von Psychologen-Psychotherapeuten, die Psychotiker und sonstig psychisch Schwerkranke nie gesehen haben. Auch psychologisch abgehobene Ärzte gibt es genug.
Dass in Industrieländern dreimal soviel Psychosen wie in dritte-Welt-Ländern chronifizieren, halte ich für zumindest nicht solid belegt, ja kaum meßbar.
Dass Neuroleptika nach dem dritten Jahr nicht mehr wirken, ist schlichtweg Quatsch. Da würde ich den Herrn Kollegen gerne mal in die Klinik einladen, um ihm die Fälle zu zeigen, die nach zehn, fünfzehn Jahren ihre Neuroleptika weggelassen haben und dann schwere Krankheitsrückfälle erlitten.
Mollath selber sagte, die Justiz und die entsprechenden Gutachter (leider psychiatrische Kollegen) seien schlimmer als seine Frau. Leipziger ist Mitschuldiger. Er wußte wie Kröber und Pfäfflin genau, was von ihm erwartet wurde.
Verständlicherweise ruft der Fall Mollath auch die Psychiatriekritiker / auch ärztliche „Antipsychiater“ auf den Plan. Zu hoffen bleibt dennoch, dass durch den vielseitigen Protest Missstände beseitigt werden.
Freundliche Grüße,
Dr. …
Ich sehe jede Form der Zwangsbehandlung und damit auch das Zwangsbehandlungsgesetz als menschenrechtswidrig an.
Denn das ist die Einstiegsdroge in den Mißbrauch der Psychiatrie.
Diese Seite macht wirklich gute Arbeit in Sachen Mollath und Arnold.
Da ist es doch dumm, ausgerechnet so engagierte Menschen wie Rene Talbot oder Rechtsanwalt Schneider Addae Mensah, die ich beide aufgrund ihrer fachlichen Arbeit schätze, zu Gegnern zu stilisieren: „Wir aber werden weiter beide Seiten zu Gegnern haben“ = Viel Feind – viel Ehr?
Selbstbestimmung haben auch Psychotiker!
Diejenigen, die von sich aus psychiatrische Hilfe wollen, will doch keiner daran hindern.
Problem ist allerdings noch die Aufklärung seitens der Psychiater.
Die müßten ihren Patienten vorher immer erklären, daß Neuroleptika nur kurzfristig positive Effekte haben, ab dem dritten Jahr ist die Behandlung ohne Psychopharmaka überlegen (siehe Loren Moshers Soteria-Projekt) Und der „Spiegel“ verwies auf eine Untersuchung, nach der in „Dritte-Welt-Ländern“ ohne Neuroleptikaversorgung 20% der Schizophrenien chronifizieren, während in den entwickelten Ländern mit Neuroleptikaversorgung 60% der Schizophrenen einen chronischen Verlauf bekommen.
Die Entscheidung, ob jemand seine Psychose lieber „im Narrenturm“ aussitzen will oder ob er das dreifach erhöhte Risiko der Chronifizierung in Kauf nehmen will, um schneller mit Medikamenten aus der Psychose herauszukommen, kann der Mensch mit Psychose nur selber treffen. Das kann und darf ihm niemand abnehmen. Sinnvoll wäre eine Patientenverfügung mit Vorsorgevollmacht, da hat der BPE ein gutes Material zu herausgebracht.
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Wenn die Antipsychiatriebewegung bzw. die Psychiatrieerfahrenenverbände angeblich eine „gesteuerte Opposition“ sind, dann sollte die GEP mit gutem Beispiel voran gehen und es besser machen. Unterstützer würden sich mit Sicherheit genug finden, wenn es um eine gute Sache geht. Es gibt genügend Leute, die wütend über das sind, was im Umfeld der Psychiatrie vor sich geht. Und Wut ist ja bekanntlich eine starke Motivation.
Es gibt zahlreiche Fälle, die genau so absurd sind, wie die des Gustl Mollath. Da werden Menschen von angehörigen psychiatrische Diagnosen angedichtet, die dann ungeprüft von Psychiatern übernommen werden. Und der nächste Psychiater, der den „Fall“ dann auf den Tisch bekommt, schreibt von seinem Vorgänger ab. Das scheint der Modus Operandi der Psychiatrie zu sein. Viele solcher Opfer suchen verzweifelt nach Hilfe.
Ebenso ist es berechtigt, die psychiatrische Diagnostik insgesamt auf den Prüfstand zu stellen. Da sollen sogenannte „psychische Krankheiten“ biologische Ursachen haben. Findet man bei der Exploration nichts und zeigt der Proband auch keien Symptome, dann „dissimuliert“ er angeblich, was ja nach psychiatrischer Lehrmeinung wiederum ein Beweis dafür sein soll, daß der Proband psychisch krank und „gefährlich“ sei. Spätestens wenn Gerichte solch einen Schmarn für „plausibel“ und „nachvollziehbar“ halten, sollten die Alarmglocken läuten.
Das einzigartige am Fall Mollath ist, daß er – dank seiner Unterstützer – so viel Medienaufmerksamkeit bekommt. Das wiederum führt aber dazu, daß Dinge ans Licht kommen, die so tag täglich hinter verschlossenen Anstaltstüren, vor Gerichten und in der Politik ablaufen. Mollath hier als „bedauernswerten Einzelfall“ hinzustellen, ist nicht mehr glaubwürdig. Dabei hat Mollath noch Glück im Unglück gehabt: Er wurde nicht wie viele andere zwangsbehandelt. Ansonsten wäre er dank medikamentös bedingter Dyskinesien mit Sicherheit wie viele andere ein zuckendes, saberndes Häufchen Elend. Viele, die ein solches Schicksal ereilt, werden dann irgendwann in ein „Wohnheim für psychisch Kranke“ abgeschoben und keinen interessiert es.
Was die klischeehaften Horrorgeschichten um „psychisch Kranke“ angeht: Auch Mollath wurden diverse Gewalttätigkeiten unterstellt. Für die hätte er – wenn überhaupt – nie und nimmer so lange im Gefängnis gesessen, wenn man ihm nicht psychische Krankheiten unterstellt hätte. Hat man erst einmal den Stempel weg, dann fragt keiner mehr danach, ob der Zorn vielleicht nicht doch berechtigt gewesen ist. Alles, was man dann tut oder läßt ist nunmehr ein „Ausdruck der Krankheit“. Das ist diskriminierend und menschenverachtend, aber leider an der Tagesordnung in BRD-Psychiatrien und deren Umfeld.
Die Antipsychiatrie führt ja an, daß psychiatrische Krankheiten nur ein Vorwand seien, um unerwünschtes Verhalten unter dem Deckmäntelchen des Helfens sanktinieren zu können. Soziale Kontolle also. Was haben Menschen, die wahnhaft sind mit Menschen, die unter bestimmten Lebensumständen leiden, nervigen Kindern, Alten, Whistleblowern und dissidenten gemein? Sie stören ihre Umwelt. Und genau hier greift die Psychiatrie ein. Auch Mollath und die Frankfurter Steuerfahnder haben ihre Umwelt gestört und wurden per psychiatrischer Diagnose abserviert.
Derjenige, der noch glaubt, ihn könne es nicht treffen, weil die Psychiatrie ja nur etwas für Verrückte sei, der werfe einmal einen Blick in die gängigen Diagnosehandbücher. Da finden wir z.B. im ICD-10 unter dem Diagnoseschlüssel „F99“ die „Nicht näher bezeichnete psychische Störungen“. Damit kann man wirklich alles und jeden pathologisieren.
Kommentar GEP: Ein Punkt nur zur Klarstellung: Der GEP flossen über die 36 Jahre ihrer Tätigkeit noch kein Pfennig, kein cent an „Bezuschusssung“ aus öffeentlichen Kassen zu.
Weinberger
Ein Kommentar, den ich an anderer Stelle geschrieben habe, passt vielleicht auch hierher bezüglich der Einordnung der zwei Gesetze, die seit gestern in Kraft sind.
Ich beziehe mich auf die Darstellung auf blog psychiatrie to go.
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-> Ab jetzt gilt: Die Betreuereinwilligung geht im Notfall dem Betreutenwillen vor, falls es keine diesbezügliche Patientenverfügung gibt.
Sie haben das neue Gesetz nicht auch nur im Entferntesten verstanden. Mit dem Patientenrechtegesetz (auch seit 26.02.2013 in Kraft) und dort den Regelungen zur Einwilligung in den Behandlungsvertrag ist eine Lücke entstanden. Hat ein Patient keine den Sachverhalt regelnde Anordnung in einer Patientenverfügung nach § 1901a BGB getroffen und ist für ihn eine Betreuung eingerichtet, so wäre die unbeantwotete Frage im Raum, was gilt nun, der aktuell geäußerte (natürliche) Wille im (unterstellten) psychotischen Zustand oder eben nicht und wie, falls ein Betreuer/Bevollmächtigter stellvertretend-ersetzend einwilligen könnte, unter welchen Umständen dürfte er es oder nicht. Im Zweifelsfall muss der, der Einwilligungsunfähigkeit unterstellt, nachweisen, dass Einwilligungsunfähigkeit vorliegt, so die Gesetzesbegründung. Neben dem natürlichen Willen des Patienten mit seiner Fähigkeit, in eine Behandlung einzuwilligen oder eine solche zu verweigern gibt es die Verantwortung des Betreuers unter nicht besonders genau spezifizierten Umständen korrigierend eingreifen zu müssen, falls eine Selbstschädigung droht. Das Grundrecht der “Freiheit zur Krankheit” ist auch dem Betreuten garantiert. Auch Betreute können Behandlungen ablehnen. Menschen dürfen Vorstellungen haben, die andere für unvernünftig oder verrückt halten. (Dass Neuroleptika ja tatsächlich Nervengifte sind, steht sowieso klar im Raum.)
Betreute Menschen sind nicht per se “einwilligungsunfähig”. Ohne das Einwilligungsgesetz für psychiatrische Zwangsmaßnahmen im Notfall wäre bei Schädigungen in diesem Notfall eine staatliche Fürsorgepflicht durch versäumte Gesetzgebung verletzt zumal es sich um den grundrechtsrelevanten Bereich handelt.
Einwilligung in die Tat der Körperverletzung (jede medizinische Handlung) rechtfertigt die Tat, die ohne Rechtfertigungsgrundlage strafbewehrt ist nach den einschlägigen Strafrechtsparagraphen. Nebenbei “rechtfertigender Notstand” ist sicher keine Situation, die üblicherweise vorhersehbar abläuft und mit Vorhaltung von Personal und Gerätschaften beherrschbar ist. Da wird sich die Rechtsprechung drum kümmern müssen.
Es geht bei Zwangsmaßnahmen um die Frage, ob der aktuelle Wille des Betroffenen überwunden werden kann oder nicht. (Theoretisch ist auch denkbar, dass der Betroffene in etwas psychotischerweise einwilligen möchte, das Menschen üblicherweise auch beanspruchen dürfen, das ihm aber verweigert wird. Hier müsste der Stellvertreter Zwangsmitteln gegen den Behandlungsverweigerer durchsetzen.) Gibt es keine Patientenäußerung liegt ja keine Zwangsmaßnahme vor, wenn etwa für Komapatienten die nötigen Schritte vom Betreuer bewilligt werden.
Hat ein Patient eine Patientenverfügung, die eine psychiatrische Behandlung ausschließt, ist die gültig. Die vorausverfügte, rechtlich korrekte, willentliche Anordnung ist nicht überwindbar. Vom Organspender wird auch nicht gefordert, er müsste sich mit Kosten und längeren oder kürzeren stationären Aufenthaltszeiten auseinandersetzen. (Punkte die vermeintlich eine Patientenverfügung regeln müsste.)
Das Gesetz heißt nicht umsonst: “Gesetz zur Regelung der betreuungsrechtlichen Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme” und nicht, wie es die Überschrift hier gerne hätte “Gesetz zur Regelung der betreuungsrechtlichen Zwangsbehandlung”.
In dem gezeichneten Beispiel käme vielleicht Zwangsernährung, das heißt die betreuungsrechtliche vom Richter genehmigte stellvertretende Einwilligung in eine Sondenernährung in Frage. Oder eine Gabe lebensnotwendiger/lebensrettender Medikamente (keine Neuroleptika!) Und dies auch nur, wenn eine Patientenverfügung dies nicht ausschließt. Es gibt keinen Ethikvorbehalt. Das ist höchstrichterliche Rechtsprechung.
“Anordnung der Zwangsmedikation” schön gut und recht: Hier geht es doch um die Kostenübernahme durch die Kassen. Ohne Anordnung keine Kohle. Mit Anordnung darf nur bei (informierter) Einwilligung durchgeführt werden, nicht, weil ein Arzt es so will oder für indiziert erachtet.
http://psychiatrietogo.wordpress.com/2013/02/26/das-uberarbeitete-gesetz-zur-regelung-der-betreuungsrechtlichen-zwangsbehandlung-ist-nun-in-kraft/#comment-868