Anläßlich eines Berichts der SZ vom am 7.-8.8.2021 zum Fall Mollath nehmen auch wir nochmals Stellung hierzu wie zu der da mitspielenden Reform der Psychiatrie
Hat Heribert Prantl in der Süddeutsche Zeitung den Fall Mollath am 8.8.2021 ohne ersichtlichen Grund neu aufgetischt („Was Wahn war“), so bot mir die Anfrage eines alten Schulfreunds Gelegenheit, dazu wie zu den Bedingungen, unter denen der Fall ablief, abschießend nochmals Stellung zu nehmen. Daß „die Gerichte wurstig und die Gutachten schlampig waren“, stellte Herr Prantl richtig fest. Mein Gutachten vom April 2011, auf das hin Mollath im August 2013 freikam, ließ er unerwähnt. Den Schulfreund wunderte das. Er erhielt inzwischen den näher belegenden GEP-Rundbrief 1/13.
Nachdem der Fall M. über die Nürnberger Nachrichten im November 2011 publik geworden war, legten sich mehrere Mitarbeiter der SZ für ihn eifrig ins Zeug, hielten über die Jahre aber abgedeckt, was da psychiatrisch ablief. Anfang der 1970er Jahre fand die Psychiatrie-Enquête der Bundesregierung statt, die alle Mißlichkeiten im Fach aufheben sollte. Die SZ unterstützte sie lebhaft. Ich hinterfragte sie 1974 im Deutschen Ärzteblatt (unter www.psychiatrie-und-ethik.de > Rundbriefe > Vorläufer ist der DÄ-Artikel noch nachlesbar). Die Enquête richtete das Fach vermehrt staatlich-politisch aus und zwang ihr u.a. Freuds Psychoanalyse auf, die just damals international zunehmend als Pseudowissenschaft in Frage gestellt wurde. Die Reform trug so im psychiatrischen Gutachterwesen eher weiter zu „Schlamperei“ bei. Fehleinschätzungen räumt das Establishment nie gern ein. Kritik an jener Art von Reform der Psychiatrie verübeln alle, die an ihr mitwirkten, nicht zuletzt die SZ.
So erklären sich auch in Prantls Artikel nicht nur bezeichnete Auslassungen, sondern auch sachliche Fehler. Ein anderer Anwalt als der SZ-belobigte Hamburger Strafverteidiger Strate war es, der das Bundesverfassungsgericht mobilisierte und so im August bewirkte, daß dieses 2013 die vorausgegangenen Fehlurteile des Amtsgerichts Bayreuth und des OLG Bamberg aufhob und, auf mein Gutachten von 2011 gestützt, so den Weg zu Mollaths Freilassung freimachte (GEP-Rundbriefs1/13,6). Dazu könnte auch der öffentliche Druck beigetragen haben, der im Sommer 2013 (kurz vor einer bayerischen Landtagswahl) zunehmend aufgekommen war etwa mit der Großkundgebung für Mollath am 27.7.2013 auf dem Nürnberger Kornmarkt – Kap 3 besagten GEP-Rundbriefs).
Die Ärzteschaft ging über den Skandal bis heute hinweg. Wie es seit der Enquête das Establishment tat und auch Prantl es jetzt wieder tut, malt sie Gegenwart und Zukunft der Psychiatrie immer in milden Farben. Immerhin druckte das Ärzteblatt in Heft 50/ 1973 noch harsche Kritik an der krummen Reform ab, die die SZ so nachdrücklich unterstützte, ähnlich wie sie heute in der Corona-Sache den Regierungskurs unterstützt und anderslautende Stimmen ausgrenzt. Die einseitige politische Indienstnahme der Medizin mitsamt ihrer jeweils politisch durchgesetzten Lehren begann just mit jener Psychiatrie-Enquête.
Ursprünglich ging unsere Gruppe, die jetzige Walter-von-Baeyer-Gesellschaft für Ethik in der Psychiatrie e.V.“, mit anderen zusammen vor allem gegen den systematischen Psychiatriemißbrauch vor, wie er in den 1970ern aus der Sowjetunion bekannt wurde. Die SZ spielte ihn herunter und deckte unseren Widerstand ab, bis Michail Gorbatschow etwa in seinem Buch ALLES ZU SEINER ZEIT diesen Mißbrauch einräumte und abstellte (vgl. Kap 2.9 im GEP-Rundbrief 1/13)! Unser Widerstand gegen Psychiatriemißbräuche war bei der gesamten politisch-medialen Klasse über die Jahre unbeliebt. Daß er wesentlich zu den, zumindest einigen Verbesserungen beitrug, die Prantl jetzt rühmt, freut uns natürlich.
Weinberger Mitte August 2021