Finke 2 – Fortsetzung

Vieles davon ist der internen Diskussion der Psychoanalyse überlassen – nicht immer zu deren Besten -, manches aber betrifft Regelungen, die nur von außen auferlegt werden können. Das gesellschaftlich-akademische Klima allerdings, in dem die Psychoanalyse in Verkennung ihrer Realität als Fortsetzung der Aufklärung mit therapeutischen Mitteln gefeiert wird, steht dem noch zu sehr entgegen. Hier hilft nur Aufklärung über die vermeintlich aufklärerische Institution Psychoanalyse, deren Konservatismen und rückständigen, auch (gesundheits)schädlichen Element

Darüber hinaus muss die Psychoanalyse als therapeutische Einrichtung transparenter und kontrollierbarer werden, therapiegeschädigten Patienten muss anders geholfen werden, ihre nahezu rechtlose Situation muss endlich beendet werden, therapeutisches Handeln muss besser beforscht und neu bewertet werden. Eine Liste von Forderungen mit dem Ziel, die akademisch-liberale, offene Gesellschaft vor der Psychoanalyse zu schützen.

Ich unterstütze die Forderung nach einem Runden Tisch ausdrücklich, eine Enquete-Kommission wäre allerdings noch besser. Es muss endlich in Politik, Gesellschaft und betroffene Wissenschaften (Kulturwissenschaften, Sozialwissenschaften, Geisteswissenschaften, Medizin) hineingetragen werden, was in der real existierenden Psychotherapie, insbesondere Psychoanalyse wirklich geschieht. Noch aus den Zeiten von Freuds Anfängen, als die Psychotherapie sich gegen Unverständnis und das Denken eines spießigen 19. Jahrhunderts durchsetzen musste, verfügt die Psychotherapie über ein Arsenal an aufklärerischen Argumenten, das sie auch heute noch gegen Kritiker einsetzt – allerdings wird dabei übersehen, dass die Psychotherapie heute kaum noch gegen rückständiges Unverständnis ankämpft. Heutige Kritiker werfen eher umgekehrt der Psychotherapie vor, dass sie rückständig und anti-aufklärerisch ist. Man muss sehr gut aufpassen, dass man da nicht in den falschen Topf geworfen wird. Besonders die Psychoanalyse wird allgemein idealisiert, und wer ihr – speziell im aufklärerisch links-liberalen, akademischen Milieu, dem z.B. ich mich zurechne – mit Kritik begegnet, der erntet oft Hohn und Unverständnis. Kritik gilt dann als Zeichen des Widerstandes, und wer von seinen eigenen Erfahrungen berichtet, erntet Feindseligkeiten, von denen können andere nur träumen. Da heißt es entweder “mir könnte das nicht passieren” (doch, könnte es) oder, schlimmer, “da musst du selbst ein Problem haben” (Opferbeschuldigung). Kritik an der Psychoanalyse trifft in unserem Milieu allzu oft auf Verständnisblockaden. Die Psychoanalyse als Heilungstechnik wird schon in der Schule gelehrt, sie hat sich in der Gesellschaft durchgesetzt, fast jede Woche darf in der ZEIT oder im SPIEGEL irgendein berühmter Psychoanalytiker ein Interview geben – erst kürzlich H.J.Maaz, der einfach einmal totalitär behauptete “Wir sind alle gestört” (alle!, was für ein trauriger Gesundheitsbegriff muss das sein, dem offensichtlich niemand entspricht); Bücher wie von Yalom (“Die rote Couch”), Filme wie “Good Will Hunting” oder Serien wie “In Treatment” (in Deutschland auf arte ausgestrahlt) zeichnen ein Bild von Therapie und Therapeuten, Durchbrüchen und Heilungserfolgen, dem sich kaum jemand entziehen kann. Das Ergebnis ist Idealisierung und ungefiltertes Vertrauen. Ohne jede Kontrolle können die Analytiker sich ihr persönliches Süppchen auf der Psyche ihrer Patienten kochen – und tun das auch. Wer das kritisiert, gilt als rückständig. Seit den 68ern gilt die Psychoanalyse als Vehikel der Selbstbefreiung – und wer etwas dagegen sagt, der hat wohl seinen Adorno nicht gelesen … Kurz, die Psychoanalyse hat sich längst allgemein durchgesetzt und wird als Folgeinstitution der Kirche (Beichte, Kritiklosigkeit, Stellung des Priesters) angebetet – mit den gleichen Folgen (seelischer und körperlicher Missbrauch durch den Beichtvater). Hier wäre Aufklärung über die idealisierte Institution “Psychoanalyse” dringend erforderlich. Daher unterstütze ich Ihre Forderung nach einer öffentlichen Diskussion über notwendige Neu-Regelungen: a) Es müssen Institutionen geschaffen werden, die Psychotherapie-Geschädigte auffangen. Die Kammern, die sich als Ständevertretungen der Ärzte bzw. Psychotherapeuten verstehen, sind diesbezüglich ein Witz. Ohnehin ist es ein Fehler, dass einerseits Psychologen mit Zusatzausbildung bei der Psychotherpeutenkammer, andererseits Mediziner mit Zusatzausbildung bei der Ärztekammer sitzen. Hier muss erst einmal zusammengelegt werden, was zusammengehört – und in einem zweiten Schritt entsprechender kritischer Sachverstand entwickelt werden. Die Schiedsstellen der Kammern sind nominell neutrale Instanzen, in der Realität sind sie nicht neutral – dazu müssten sie erst noch gemacht werden. b) Die Psychotherapie muss kontrolliert und dokumentiert werden – nicht durch persönliche Niederschriften der Therapeuten, die hinterher nicht angefordert werden können, da diese Niederschriften immer auch persönliche Bemerkungen enthalten; sondern durch Tonaufnahmen, die archiviert und auf Verlangen herausgegeben werden müssen. c) Die institutionellen Verflechtungen von Ausbildungsinstituten, Kliniken, Praxen und Universitäten, die eine kritische, offene Aufklärung befördern sollten, in der Realität aber behindern, muss ergänzt werden durch einen Lehrstuhl, noch besser ein “Institut zur kritischen Erforschung der Psychoanalyse”. d) Das Bild der Psychoanalyse in der Öffentlichkeit bedarf dringend der Korrektur. Erst kürzlich schlug in der ZEIT ein Interviewer dem Weltschriftsteller und Nobelpreiskandidaten Haruki Murakami vor, seine gelegentlichen Schlafprobleme mit einer Psychoanalyse heilen zu lassen. Sichtlich hatte der Interviewer Beispiele geglückter Analysen vor Augen – wusste aber ebenso offenbar nicht, wie schädlich und gefährlich so eine Operation an offener Psyche sein kann. Dass echte schriftstellerische (oder allgemeiner: künstlerische) Begabung bei vielen – rückständigen! – Therapeuten als pathologisch und heilungsbedürftig gilt, ist wohl auch in der Qualitätspresse nicht bekannt. Der Umgang mit Künstlern in der real existierenden Psychoanalyse ist auch für Nicht-Künstler wesentlich: Er verrät, wie sie mit psychischem Vermögen umgeht. Die Antwort ist: Verheerend. Und das müsste endlich allgemein bekannt werden. e) Ich schlage die Einrichtung von Selbsthilfegruppen für Therapiegeschädigte vor – im Idealfalle von den Krankenkassen zu bezahlen. Jeder umgeknickte Fuß erhält eine bezahlte Reha, warum nicht diese sehr viel schwereren Verletzungen. f) Eine allgemeine Information, die Patienten vor den Gefahren der Psychoanalyse warnt, müsste Pflicht sein. Im Idealfall verfasst von Kennern, nicht von Vertretern der Psychoanalyse. Zur Information der Patienten müsste auch gehören, dass ihnen verbindlich die Zugehörigkeit des Therapeuten zu einer Schule bzw. die Ausbildung an einem Institut offenbart wird: Und die Institute wiederum müssten ausführlich öffentlich – z.B. auf ihren Websites – klar machen, wo sie sich verorten. Das darf kein Blabla sein, sondern muss bestimmten Standards gehorchen, an denen die Patienten sich dann auch orientieren können. g) Das Recht zur Klage nach Kunstfehlern, das in der Medizin längst durchgesetzt ist, muss für Psychotherapie-Opfer verbessert werden. Dazu gehören u.a. (aber nicht nur): Verlängerung der Verjährungsfristen. Manche Therapie-Geschädigte kommen erst nach Jahren auf die Beine, auch finanziell (Anwaltskosten!), es sollte ihnen ermöglicht werden, auch noch später als 10 Jahre nach der verletzenden Therapie ihr Recht einzufordern. h) Das Recht auf Akteneinsicht muss ebenfalls verbessert werden. Es geht nicht an, dass die Akteneinsicht schlicht mit dem Hinweis, “das würde die Krankheit des Patienten verschlimmern”, garniert mit zwei, drei fachlich klingenden Begründungssätzen, ausreicht, um den Patienten von den Akten fernzuhalten. Ideal wäre, wenn die Behandlungsakten anonymisiert bei einer neutralen Stelle gesammelt würden (Kammer!?) und auf Verlangen des Patienten (und nur auf dieses!) herausgegeben werden müssten. i) Es müssen endlich belastbare Studien her, in denen der Zusammenhang von Psychoanalyse (am besten noch nach Schulenschwerpunkten geordnet, autoritär vs. liberal), Suiziden, (psychosomatischen) Krankheiten dargestellt wird. Sonst rühren wir in den Therapien nur blind im Topf und hoffen einfach, dass ein Gericht draus wird, das nicht giftig ist. Eine solche Unsicherheit ist unserer Gesellschaft nicht würdig. j) Eine ganze Reihe von kulturwissenschaftlichen typologischen (nicht sozialwissenschaftlich quantifizierenden!) Studien über das Gewicht und die Bedeutung der Psychoanalyse wäre ein echter Beitrag zum Selbstverständnis der Gesellschaft. Damit wäre schon viel, ja, sehr viel gewonnen. [1]

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