Als Autor und Gestalter dieser Rubrik möchte ich mich zunächst vorstellen und den Hintergrund meines Engagements für Gustl Mollath darlegen
Ich wurde 1972 vom 1a-Strafsenat in Leipzig verurteilt zu 2 1/2 Jahren Haft und anschließender Unterbringung in einer psychiatrischen Einrichtung wegen vielfacher staatsfeindlicher Hetze, Fluchthilfe, staatsfeindliche Gruppenbildung und der Beihilfe zur staatsfeindlichen Hetze. Im Urteil, S. 12, heißt es zum Schluß: „Um dem Wiederholen derartigen Verhaltens vorzubeugen und damit die Gesellschaft vor staatsfeindlichen Angriffen zu schützen – ist desweiteren nach Verbüßung der Freiheitestrafe in Übereinstimmung mit dem Antrag der Bezirksstaatsanwaltschaft Leipzig die Einweisung gem § 16 Abs. 3 StGB erforderlich.“
Gegen die Sprengung der Leipziger Universitätskirche habe ich zusammen mit fünf Freunden (alles Physiker)- protestiert, indem wir ein großes gelbes Plakat mit einer schwarzen Umrißzeichnung der Kirche, 1968+ und der Aufschrift „Wir fordern Wiederaufbau“ beim III. Internationalen Bachwettbewerb automatisch entrollten. Zusammen mit meinem Bruder habe ich mit einem „Wecker“ eine automatische Auslösung für das Plakat gebaut. 2 der Freunde flohen über Bulgarien über das Schwarze Meer in den Westen, 2 blieben in der DDR (da ich deren Namen nicht nannte und nichts gegen diese aussagte, konnten sie nicht verhaftet werden). Das war wohl der hauptsächliche Anklagepunkt. Wir hatten die Führung der DDR sehr geärgert.
In meinem Urteil steht: „Der Angeklagte ist in den wesentlichsten Punkten des ihm zur Last gelegten strafbaren Verhaltens nicht geständig.“ (Urteil, S. 7). In den 23 Monaten Ermittlungsverfahren war ich zu keiner Aussage bereit, die mir oder meinen verhafteten und nichtverhafteten Freunden geschadet hätte. Die Psychiatrieeinweisung sehe ich als eeine Rache der Stasi an.
Bereits in der U-Haft erhielt ich dreimal täglich 1 Tablette Propaphenin (ein starkes Neuroleptikum, Phenothiazin) und ebensoviel Prothazin. Wenn man sich weigerte diese Pillen zu schlucken, bekam man sie gespritzt.
Dann kam ich 2 Monate zur vom Stasimajor angeordneten Begutachtung ins Haftkrankenhaus für Neurologie und Psychiatrie in Waldheim.
Dorthin wurden alle Fälle zur psychiatrischen Begutachtung aus der gesamten DDR gebracht. Der Direktor war Obermedizinalrat Dr. Ochernal und zwei weitere Ärzte. Das Gutachten bekam ich niemals zu Gesicht (erst nach der DDR). Im Prozeß änderte der anwesende Gutachter seine Ausführungen verschärfend.
Das gesamte Verfahren habe ich beschriebn in drei Bänden, einschließlich einem Band mit Fotokopien aus den Akten: Dietrich Koch: Das Verhör Zerstörung und Widerstand.
Nach dem Prozeß kam ich wieder ins HKH Waldheim. Das Haftkrankenhaus war Teil der Haftanstalt in Waldheim. Dort erhielt ich pro Tag 3 x 4 Propaphenin und ebensoviele Prothazin. Viele meiner Mitgefangenen erhielten ähnlich hohe Dosen. Die ersten Wochen war ich auch tagsüber so müde und kaputt, daß ich mich auf 2 Stühle hinlegte. Außerdem hat man beträchtliche Nebenwirkungen. Der Speichel wird gelb und dick; man kann nicht mehr richtig reden, in Armen und Beinen zeigt sich eine Art Pseudo-Parkinsonismus. Nächtliches Lichtanmachen kenne ich bereits aus der U-Haft in Leipzig.
Drei Wochen vor dem Ende meiner Strafhaft kam ich in das spezielle Lager Kassberg in Karl-Marx-Stadt und von dort in einem Mercedes mit Stasi-Mitarbeitern in den Westn. Man gab mir zum Schluß ein Röhrchen mit den roten und grünen Pillen mit, in der Erkenntnis, daß man diese nicht sofort schlagartig absetzen soll/kann. Im Westen hatte ich nie mehr etwas mit Psychiatrie zu tun (mit einer Ausnahme, die ich unten nenne). Von den Neuroleptika erholte ich mich wieder. Aber 1997, als ich meine Erinnerungen aufschrieb, traten dieselben Nebenwirkungen wie damals in Waldheim auf.Der Körper vergißt nicht: eine Art rein psychologisch induzierter Flashback. Im Westen ging es mir gut. Prof. von Weizsäcker, der Physiker und Philosoph, besorgte mir eine Stelle an der Universität in Essen in der Philosophie. Ich promovierte dann bei Weizsäcker und Klaus Meyer-Abich. Inzwischen bin ich Rentner.
1983/84 schrieb ein früherer Freund (ein Physiker) über mich ein Pamphlet mit frei erfundenen Geschichten. Danach sei ich psychisch sehr instabil und wegen diesem Zustand von der Stasi ins Waldheimer Nervenkrankenhaus gebracht worden. Das zweiseitige Schriftstück gab er einem Arzt, der ohne Doktor-Titel in einer Psychiatrie arbeitete. Der wandte sich damit an die Amtsärztin in Mülheim. Die lud mich zu einem Gespräch vor. Mir war die Gefahr für mich sofort klar, auch in NRW konnte man 6 Wochen in die Psychiatrie zur Untersuchung eingewiesen werden. Ich hatte kurz vorher mit einem Kollegen zusammen ein psychologisches Seminar für Psychiatrie-Assistenten gehalten. Ich ging sofort zu meinem Anwalt. Der riet mir, meinem Hausarzt alles zu erzählen. Dann brauche ich nicht zur Amtsärztin zu gehen. Dann wandte ich mich an die Staatsanwaltschaft in Duisburg und erstattete Anzeige wegen Verleumdung. Die StA war sehr interessiert, ich mußte viel erzählen. Denn von Haftpsychiatrie war hierzulande nichts Genaues bekannt. Ich hatte natürlich auch aus der DDR keinerlei Unterlagen. Ich bekam aus Leipzig und Dresden Eidesstattliche Erklärungen meiner Schwester, meines Bruders und meiner geschiedenen Frau. Im Prozess war ich Nebenkläger. Der Richter verstand schnell, daß hier eine Intrige gegen mich vorlag.Er ließ meinen Hausarzt aus Essen, der gerade Sprechstunde abhielt, holen, um ihn zu befragen. Auch ich wurde genau gefragt, ebenso mein früherer Freund. Nach 1 1/2 Tagen erging das Urteil. Der Arzt mußte eine beträchtliche Summe Geld bezahlen. Wenn er nicht gewollt hätte, der Einstellung nach § 127a StPO zuzustimmen, wäre ein Urteil gegen ihn ergangen, sagte der Richter.
Ich habe in der DDR eine Haftpsychiatrie mit allen Schikanen erlebt; und dann im Westen eine objektive Staatsanwaltschaft und einen vernünftigen Richter. Mit dem Fall Mollath kann ich mich sehr gut vergleichen. Darauf beruht auch mein Engagement für ihn.