Inhalt
- Einführung
- politischer Mißbrauch von Medizin, speziell Psychiatrie, „Psycho-Repression“ und ihre „Aufarbeitung“
- Aufstieg und Fall Freuds – drüben (und hüben)
- GEP-Jahresversammlung 2008 (aus dem Rechenschaftsbericht – u.a. zur Gesundheitsreform)
- aktuelle Diskussionen zur Psychopharmakotherapie
- Meves’ Tiefenpsychologie
- A. Esterson, Psychoanalytische Mythologie
- Nachlese
- Summary
Hinweise: RB + Zahl mit zwischengestelltem Schrägstrich verweist auf früheren Rundbrief, Zahl mit vor- oder zwischengestelltem Punkt auf das genaue Kapitel. In Kursivdruck stehen in der Regel Aussagen von Nicht-GEP-Mitgliedern. Alle Hervorhebungen (durch Fett-, vereinzelt auch Kursivdruck) und alle Fußnoten (soweit nicht anders markiert) sind redaktionellen Ursprungs. So weit die Texte namentlich nicht besonders gekennzeichnet sind, ist ihr Verfasser Friedrich Weinberger. Redaktionsschluß war am 20. Mai 2008.
In der vorliegenden Netz-Ausgabe wurden einige wenige Ergänzungen hinzugefügt und vordem der Kontrolle entgangene Tippfehler behoben.
Umgestellt wurde das PDF-Format auf HTML Der Leser kann sich so das ihm zusagende Format besser selbst einrichten.
Summary, die englische Zusammenfassung, steht im englischen Teil der GEP-Webseite.
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Einführung
Hauptthemen dieses Rundbriefs sind der Psychiatriemißbrauch im Kontext politischer Verfolgung in der DDR und ihrer Aufarbeitung, politische Aspekte des Fachs allgemein, insbesondere aber der Psychotherapie wie der Psychiatrie- und heutigen Gesundheitsreform, fachliche Themen zumeist, die aber alle ins Staatsbürgerliche, ja Allgemein-menschliche reichen und von ihm her gut einsichtbar sind. Vielfältig verbunden, gehören sie alle zum großen Thema psychiatrischer Ethik und werden in der Öffentlichkeit doch gern übersehen. Wir behandeln sie gemeinsam, so unterschiedlich auf den verschiedenen Gebieten auch die Chancen sind, ihnen beizukommen.
Waren die genannten Themen über Jahrzehnte auch strittig, so wird in jüngerer Zeit von staatlicher wie ärztlicher Seite oft der Eindruck erweckt, als herrsche über sie, empörendste Mißstände unter ihnen, traute Einigkeit. Und kein Gehör verdiene, wer dem widerspricht. Unser nunmehr über dreißigjähriges Bemühen wurde einerseits hoch ausgezeichnet (RB1/07,3). Für die Ärzteschaft aber war es über die Jahre Grund für eisige Ausgrenzung, kürzlich gar üble Nachrede.
Unsere jüngste Mitgliederversammlung Ende April 2008 in Mainz stellte wieder fest, nirgends außer in den Rundbriefen der GEP sei über die menschenrechtlich brisanten Vorgänge etwas zu erfahren. Das allein sei Grund genug, die Arbeit fortzusetzen.
2. Verfolgung im Totalitarismus mittels Medizin, speziell Psychiatrie, und ihre „Aufarbeitung“
2.1 Katharina B., geb. 1958, Krankenschwester, frühe literarische Betätigung, wurde 1976 ohne ersichtlichen Grund Objekt „Operativer Personenkontrolle“ (OPK „Lyrik“), nach Abitur (über Abendschule) 1980 an Studium gehindert und, wie ihre 1995 eingesehene Stasi-Akte offenbarte, über Jahre bis zur psychischen Dekompensation „zersetzt“. 1980 Suizidversuch, dieser bei folgender psychiatrischer Stationierung einer „Persönlichkeitsdeviation“ und („endogenen) Depression“ zugeordnet (Chefarzt „IM Rolf Weber“). Die auf Konstitutionelles abhebende Diagnose blieb bei einer Nachbegutachtung 2001 unkorrigiert, wiewohl auf eine reaktive Störung weist, was B. an Schikanen erlebte Darüber berichtete sie kürzlich unter dem Pseudonym „Evelyn Marion Giersch“ in einem kleinen Buch: DAS LÜGENNETZ (ISBN 978-3-89781-123-2). Nach der Wende nahm B. im Westen ein Studium zur Sozial-Pädagogin auf, das sie 2000 erfolgreich abschloß. Die letztlich fortbestehende „DDR-Diagnose“, die all die erlebten Zermürbungen de facto überging, verunsicherte B. auf dem weiteren Lebensweg immer wieder, wie sie auch Kolleg/inn/en und Supervisor/inn/en irritierte. Darüber erneute Dekompensation und schließlich Berentung. Rezensiert wurde das Buch in der OSTTHÜRINGER ZEITUNG vom 5.12.07. B. hofft jetzt literarisch zu reüssieren .
Bemerkenswert ihre Aussagen über die erfahrene Aufarbeitung durch die Behörden einschließlich Ärztekammer nach der Wende. Der thüringische Sozialminister habe ihr geantwortet, „offizielle Stellen, die sich der Problematik (des Psychiatriemißbrauchs) annehmen“, gebe es nicht – „auch eine Methode, alles zu vertuschen“, meint B. Der Bescheid des Versorgungsamtes blieb „nichtssagendes Wischiwaschi“. Und „die Gauck / Birthler-Behörde? Wer recherchiert dort mit welchen Interessen? Wer kontrolliert, ob nicht wichtige Unterlagen beiseite geschafft werden? … Man versuchte mich hinzuhalten, einzulullen… Angeblich wird noch ermittelt, die erforderlichen Akten seien aber anderswo in Gebrauch. Ich weiß nicht, wer was einsieht….“
Weiteres dazu unter 8.1
2.2 Zu Frau M.H., Jg. 1943, stellte eine Fachklinik 1995 die Diagnosen einer „Andauernden Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung“ sowie “schizoide Affektverleugnung“ und führte dazu aus:
„…Die Genese ihrer Ängste … zurückverfolgend, begann Frau H. zunehmend offener über traumatisch erlebte Lebensbelastungen zu sprechen, von denen sich neben einer generell be1asteten Kindheit inklusive eines sexuellen Mißbrauches durch den Stiefvater vor allem die (früheren) extrem entwertend erlebten Psychiatrieaufenthalte als iatrogen (ärztlich verursacht) für die heutige Persönlichkeitsproblematik zeigten. Unter z.T. heftigen Dekompensationen ihre schizoide Affektverleugnung mehr und mehr aufgebend, berichtete sie in einem wochenlangen Öffnungsprozess, auf dem Hintergrund einer abgelehnten Anwerbung an ihrem damaligen Arbeitsplatz bei der NVA in Pinow in eine persönliche Krise geraten und nach Eberswa1de (ins dortige Nervenkrankenhaus) eingewiesen worden zu sein.[1]
Hier habe man sie wie ein Tier behandelt und mehrfach versucht, sie zur Adoptionsfreigabe ihrer Töchter zu bewegen. Schließlich in ein als ‚Endstation’ erlebtes Pflegeheim für Schizophrene abgeschoben, konnte sie nur durch bewußt eingesetzte Suiziddrohungen (nach rund einem Jahr) ihre Rückverlegung und letztendliche Entlassung bewirken. (Einen) zwanghaften Beschäftigungsdrang habe sie dort entwickelt, um nicht verrückt zu werden. Die Patientin hat danach aus Angst vor einer erneuten Unterbringung fast 10 Jahre jeden menschlichen und vor allem auch ärztlichen Kontakt vermieden…. Bis zum jetzigen Zeitpunkt habe sie über ihre Erlebnisse mit niemand gesprochen und sie selbst gegenüber ihrer Mutter und den Kindern verschwiegen… Die empathische Aufarbeitung dieser und anderer biographischer Extrembelastungen und klarifizierende Verbindung mit ihrem jetzigen Verhalten, bewirkte eine deutliche Entlastung, Öffnung und Stabilisierung der Patientin..“
Wir referieren den Fall nicht nur, um systematisch-politische Mißbräuche der Psychiatrie in der DDR gegen alles sonstige Herunterspielen von Ärzten und Behörden in ihrer Vielfalt festzuhalten, sondern auch um Ansätze ärztlich-kritischen Umgangs mit ihnen zu bestärken, zu ermutigen. Was in dem Fall konstitutionell ins „Schizoide“ gehen mag, tut eigentlich nichts zur Sache.
2.3 Auch andere Diktatur-Erfahrene melden sich nachdrücklicher heute zu Wort, unter anderen ehemalige Bautzen-Häftlinge.
Wir drucken Auszüge eines Offenen Briefs nach, den Teilnehmer am „18. Bautzen-Forum“ vor dem Bundestagsbeschluß des 3. SED-Unrechtsbereinigungsgesetzes im Sommer 2007 „an die Bundesregierung, die Landesregierungen und den Deutschen Bundestag“ sandten , weil er auch an andere Opfer des DDR-Systems dachte (leider auch er aber nicht an die Opfer mißbrauchter Psychiatrie und Psychologie, die Zersetzten. Sie blieben von jeder Entschädigung ausgespart. Sie wurden und werden bis heute weithin nicht einmal als solche anerkannt!)
Es hieß in dem Brief, „nach 17-jähriger Untätigkeit und monatelangen anderslautenden Versprechungen beabsichtigten die Parlamentarier, nach einer Bedürftigkeitsprüfung einer kleinen Gruppe ehemaliger politischer Häftlinge der SED/Stasi-Diktatur monatlich „kleinliche 250.- zu zahlen“, gleichzeitig aber „dem Gros der politischen Häftlinge eine Ehrenpension zu verweigern.“ Diese „halten Sie damit quasi einer Ehre nicht für wert.“ 100 Millionen Euro, die – mit abnehmender Tendenz – eine Ehrenpension für alle jährlich kosten würde, seien, so weiter, den Parlamentariern „zu viel. Andererseits stören Sie sich offenbar nicht an jährlichen Milliardenzahlungen für die Täter, Mittäter und Mitläufer des SED/Stasi-Staates.“
Für die sogenannte „Zusatz- und Sonderversorgung“ der „SED-Nomenklatura wie ehemalige SED-Parteisekretäre, Direktoren, Ministeriumsmitarbeiter, Politprofessoren, Volkspolizei, Zoll und Ex-Stasis“ wurden nach einer ministeriellen Mitteilung „folgende Milliarden-Euro-Zahlungen getätigt:
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Den insgesamt „in vier Jahren für den SED-Staats-Klüngel“ gezahlten über 20 Milliarden Euro stünde „die Verweigerung einer Ehrenpension für alle politisch Verfolgten dieses Klüngels und lediglich etwas über 1 Milliarde Euro an Haftentschädigung“gegenüber, die „zwischen 1993 bis 2006, also innerhalb von 13 Jahren, an etwa 180.000 politische Häftlinge des SED/Stasi-Regimes ausbezahlt wurde.“
Gegenüber den Opfern „wird durch Sie und durch die Juristen argumentiert: Die Bundesrepublik Deutschland sei kein Rechtsnachfolger der … DDR! Wenn das richtig ist, müssen Sie sich durch uns – wie durch Millionen Bundesbürger -fragen lassen:
. Warum stehen Sie dann mit Multimilliardenzahlungen für die „Zusatz- und Sonderversorgungssysteme“ dieser Täter-Clique, Misswirtschafter und langjährigen Todfeinde der bundesdeutschen Demokratie gerade?
. Warum zahlen Sie dieser Täter- und Mittäter-Clique und der verbrecherischen SED-Geheimpolizei, der Stasi sowie den Repressionsinstitutionen VP, Zoll und NVA sogar noch eine „Beschädigtenversorgung“, da diese Täter und Mittäter sich „Beschädigungen“ ja nur eingehandelt haben können beim Quälen und Misshandeln von Gefangenen und Unterdrücken und Schikanieren von Millionen DDR-Bürgern? Warum tun Sie das alles, wenn Sie kein Rechtsnachfolger der DDR sind? Diese Frage richtet sich auch an die Richter des Bundesverfassungsgerichts.
So wurden – perverser geht’s nimmer – allein im Jahre 2006 an die Schergen … 16,1 Mio. € wegen „Beschädigungen innerhalb ihres Repressionsapparates“ ausgezahlt. Ist Ihnen eigentlich bewusst, dass Sie uns und alle unsere Kameradinnen und Kameraden, damit nicht nur verhöhnen, sondern, unsere durch SED und Stasi krankgemachte Physis, Psyche und Nerven noch kränker machen? Kommen Sie bitte nicht mit der Floskel, Sie hätten sich den entsprechenden Urteilen des Bundesverfassungsgerichts – für uns und andere allemal Fehlurteil – beugen müssen.
Sie haben in vielen anderen Fällen BVerfG-Urteile ignoriert, unterlaufen oder mit Gegengesetzen außer Kraft gesetzt. Auch hätten Sie wegen solcher ganz unglaublichen Täter-BegünstigungsUrteile, die gerade wegen der erwähnten Nichtrechtsnachfolge auch juristisch nicht haltbar sind, den Europäischen Gerichtshof anrufen können! Sie haben dies alles nicht getan und sich damit voll hinter die Täter-, Mittäter- und Mitläuferbegünstigung gestellt! Und nun wollen Sie wirklich noch den meisten politischen Häftlingen und allen politisch Verfolgten eine Ehrenpension verweigern? Gerade die Älteren unter uns wurden in den 50er Jahren von den „Ost-Büros der SPD, CDU und FDP“ mit antikommunistischen Flugblättern versorgt und aufgefordert, Zivilcourage zu üben und die SED/Stasi-Diktatur zu bekämpfen. Viele bezahlten mit dem Tod, die meisten mit Zuchthaus und Verfolgung…
Mit freundlichen Grüßen
Die Teilnehmer des XVIII. Bautzen-Forums“
2.4 Das Bürgerkomitee Thüringen brachte 1994 schon einen ausführlichen Bericht, 160 Seiten DIN A4, heraus zur „K1“, der Politischen Kriminalpolizeider DDR,zu einer geheimen Sonderabteilung der dem Innenministerium unterstehenden Volkspolizei, ein Organ, das an der politischen Repression im Ostteil unseres Landes kaum minder beteiligt war als die Stasi.[2] Kaum jemand weiß etwas davon. Uns ging die Informationsschrift auf Anfrage erst kürzlich zu. In der „Geheimen Kommandosache“ (GKdos) 1/67 der K1 war festgelegt, daß unter einer „Kennziffer 4.1.3“ u.a. Personen „verfestigter feindlich-negativer Grundhaltung“ zu registrieren und im „Spannungsfall oder Verteidigungszustand“ in „Isolationslager“ einzuliefern seien. Die GKdos 1/67 bestimmte ferner, daß „Personen, bei denen aufgrund schwerwiegender psychiatrischer Fehlentwicklungen krasse Verhaltensstörungen auftreten und von denen in Spannungssituationen ernste Beeinträchtigungen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit ausgehen können, in geschlossene Einrichtungen einzuweisen (sind) – kein Isolierungsbeschluß notwendig“, hieß es dazu. Unsere Mißbrauchserfahrenen hätten bei der friedlich ausgegangenen Revolution von 1989 leicht also erneut zwangsinterniert werden können. Zum Glück wollte der „Große Bruder“ in diesem „Spannungszustand“ anders als 1953 kein Losschlagen mehr.
2.5 Wie der Berliner TAGESSPIEGEL vom 10.02.08 meldete, ist derzeit ein ehemaliger Stasi-Oberstleutnant beim Sozialverband Deutschland (dem früheren „Reichsbund“ – Landesverband Berlin) als Sozial-Berater tätig. Ihm obliegt u.a. die Beratung ehemaliger SED-Opfer, ohne daß diese von der Vergangenheit ihres Ratgebers wissen. Vertreter zahlreicher in der UOKG vertretener Opferverbände forderten in einer Resolution Anfang März den Sozialverband (SoVD) auf, „unverzüglich zu dieser unerträglichen Situation Stellung zu nehmen“ und dafür Sorge zu tragen, dass „diese durch ihre Vergangenheit belastete Person künftig zumindest keine soziale Beratungen mehr durchführen kann.“ „Ein Täter,“ so die UOKG-Versammlung, „kann seinen ehemaligen Opfern nicht als Berater gegenüber gestellt werden, ohne dass dies nicht als Verhöhnung der Opfer oder blanker Zynismus bezeichnet werden muß.“ Der SoVD hält an seinem Ex-Stasi-Mann fest.
2.6 Das „Institut für das Studium der totalitären Regime“ mit Sitz in Prag, es wird auch als „Super-Gauck-Behörde“ bezeichnet, hat nach einer Testphase Anfang Februar offiziell seine Arbeit aufgenommen. Die Einrichtung ist sowohl für die Archivierung und Dokumentation von Geheimdienstakten zuständig als auch für umfassende wissenschaftliche Arbeit. Dazu sollen historische Forschungen über das kommunistische Regime, über Prozesse, die zur Machtergreifung 1948 führten, und über die Zeit der nationalsozialistischen Okkupation gehören. Die wichtigste Funktion des Instituts besteht jedoch darin, alle Akten des ehemaligen kommunistischen Geheimdienstes in ein Archiv zu überführen und zu betreuen… (aus DER STACHELDRAHT 2/2008).
Zu politischen Psychiatriemißbräuchen in der damaligen CSSR gingen in den 80ern vereinzelt Meldungen ein, eher aber Gerüchte (RB 3/84 und 1/86). Ob das Institut, die „Super-Gauck-Behörde“ Konkreteres berichten wird?
2.7 Wie Jürgen Fuchs in ZERSETZUNG DER SEELE (S. 44) 1995 schrieb, ging „die UNO in ihrer Entschließung 3452 vom 9.12.1975 bereits auf den Übergang zur ‚sauberen Folter’ der Gehirnwäsche, der modernen Psychotechniken, der Psychiatrisierung und den Einsatz von Psychopharmaka in Verhör-, Inhaftierungs- und ‚Zersetzungs“-situationen ein.“ Ähnlich definiert die völkerrechtlich verbindliche Anti-Folterkonvention der Vereinten Nationen von 1984 Folter als eine „Handlung, durch die einer Person vorsätzlich große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden.“ Die Bundesregierung ratifizierte die Konvention im Oktober 1990. Unberührt davon, grenzt sie ähnlich wie die Ärzteschaft vordem wie danach die aus, die das Vorkommen solcher Praktiken konkret aufzeigen. Letztere versucht jetzt den noch in ein schiefes Licht zu rücken, der begründet nur über sie spricht. Und besagte und andere Folterarten gehen da und dort unter neuen Vorzeichen weiter.
2.8 Die DGPPN, die deutsche Psychiaterfachgesellschaft, hat die Fachkollegen der DDR bei sich aufgenommen ohne jede nähere Überprüfung derer, die da eingegliedert wurden.
2.9 Kürzlich bot die Bundesärztekammer (BÄK) ein Stück Aufarbeitung ärztlicher Verfehlungen in der 2. Diktatur auf deutschem Boden, beschränkte sich hierbei freilich auf Schweigepflichtverletzungen, die vordem schon wiederholt behandelt worden sind. Bei einer Pressekonferenz Ende November 2007 stellte BÄK-Präsident Prof. Jörg-Dietrich Hoppe eine vom Deutschen Ärzteblatt „initiierte“ Studie von Dr. Francesca Weil vom Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung, Dresden, vor, das Buch Zielgruppe Ärzteschaft. Im Klageton heißt es im Klappentext: „Nach 1989/90 konnten zahlreiche IM-Ärzte sich aufgrund der privilegierten Stellung ihres Berufsstandes den Konsequenzen ihres politischen Handelns in der Vergangenheit entziehen und … unbehelligt weiterpraktizieren…“ „Verschweigen hieße, Unrecht stillschweigend zu billigen“, begründete Hoppe die Förderung der Studie durch seine Organisation. Die Namen der Täter verschweigt sie freilich selbst, nennt ausschließlich ihre IM-Decknamen. Schützen einige Gerichtsurteile schon die Täter,[3] so befestigte Hoppe den im Klappentext beklagten Zustand noch mit der Formel, die Studie diene „nicht dazu, einzelne Ärztinnen oder Ärzte namhaft zu machen. Es geht hier nicht um Denunziation…“ Deren Schändlichkeit spielte er, scheint es, aus, um jedem weiteren Versuch einer Aufdeckung derer vorzubeugen (RB 2/07,3.7 – B. Findeis), die ihre Patienten und Kollegen bei der Stasi denunzierten. An sie richtete Hoppe aber die Erwartung, sie sollten sich jetzt selbst offenbaren. Weltfremdheit oder Heuchelei?
Die Tages- und Wochenpresse berichtete über das Buch und seine Vorstellung und auch das Deutsche Ärzteblatt vom 30.11.2007 tat es – unter dem Titel „Die meisten IM-Ärzte bespitzelten Kollegen“, was besagte Verfehlung schon einmal minderte. Bespitzelung von Kollegen ist unfein, aber doch etwas milder zu bewerten als Patientenverrat. Dazu tischte Weil wieder Süß’[4] Behauptung auf, 3-5 Prozent der Ärzte in der DDR hätten für die Stasi gearbeitet. Ihre Untersuchung läuft dabei auf eine andere Zahl hinaus. Die 493 von ihr näher ausgewerteten, weil „positiven“ Fälle stammten nämlich aus einer nach dem Zufallsprinzip ausgesuchten Stichprobe von 5000 Ärzten. Demnach haben 10 Prozent der DDR-Mediziner (!) der Stasi gedient. Unsere Frau Kuchta wies als Nervenärztin in einem Leserbrief auf die Inkongruenz der Zahlen hin. Das Ärzteblatt unterschlug ihn kommentarlos. Immer wieder verblüfft, wie plump nicht nur staatliche Instanzen ihre eigenen Untersuchungsergebnisse zugunsten der roten Diktatur fälschen!
Der Autorin (und gewiß ihrer Förderin, der BÄK) ging es halt darum, schreibt in HORCH & GUCK 1/08 der Arzt Dr. H. Rothe, die früher schon „aufgestellte These“ zu überprüfen (zu bekräftigen?), daß es “keinen systematischen Mißbrauch ärztlicher Funktionen im DDR-Gesundheitswesen gegeben“ hat. Ähnlich ein Kommentar von Hubertus Knabe im TAGESSPIEGEL v. 28.04.08. Das Tendenziöse des Buches fällt vielen auf (s. 8.4).
An sich nur Schweigepflichtverletzungen behandelnd, läßt es einmal gar die psychiatrische Mißbrauchsproblematik anklingen, freilich in eigener Art. Es gibt auf Seite 189 die Aussage eines IM-Psychiaters wieder, die da lautete: „Der [Patient] leidet unter einer schizophrenen Psychose…, deshalb wurde 1984 die gerichtliche Einweisung beantragt. Die Ausweisung [des Patienten in die Bundesrepublik] könnte durch den Gegner für Propagandazwecke ausgenutzt werden, um das Gesundheitswesen und überhaupt die Verhältnisse in der DDR zu verunglimpfen„. Das Zitat sollte der Leser abschmecken. Hat doch niemand je eine Braue gehoben, von einem Psychiatriemißbrauch gesprochen oder gar DDR-Verhältnisse „zu Propagandazwecken verunglimpft“, wenn ein psychotisch Kranker gerichtlich eingewiesen wurde. Kritisch verbucht wurden ausschließlich Zwangsinternierungen, -untersuchungen und -behandlungen von Gesunden, die politisch in Ungnade gefallen waren. Auffällig, wie die DÄ-Buchrezension den Stasi-Text herausstellte, der im hinteren Teil des Buchs selbst fast untergeht. Die Konturen des politischen Psychiatriemißbrauchs sollten, scheint es, damit nochmals verwischt und der jahrzehntelang von uns, nicht aber dieser Ärzteschaft geführte Kampf gegen die psychiatrische Entrechtung Andersdenkender nochmals verunglimpft werden. Die BÄK scheute sich dabei vor direkter MfS-Wortwahl nicht. Wie damals die Stasi versucht sie heute noch, die Perfidie dieser ärztlichen Verfehlung zu verwischen und den Widerstand gegen sie in Mißkredit zu bringen.
Wir hielten den Sachverhalt für die GEP in einer Presseerklärung fest, erinnerten darin, wie seinerzeit ärztliche Nazi-Verbrecher vor Gericht, Mitläufer aber vor Spruchkammern gestellt und auch sie nicht nur namentlich bekannt gemacht, sondern mit lang währenden, hungrig machenden Berufsverboten belegt worden sind. Die Demarche der BÄK ist ein Beispiel jener silberzüngig-roten Umdeutungen der Wirklichkeit, deren sich die deutsche Ärzteschaft seit geraumer Zeit befleißigt, leider nicht nur sie.
Natürlich steht auch manch Richtiges in Weils Buch. Es unterstreicht u.a., daß nur eine Minderheit der Ärzte im Ostteil unseres Landes, freilich eher zehn als drei Prozent, an der Stasi-Schändlichkeit teilnahm, unter ihnen leider „die Fachgruppe der Psychiater besonders“ (S. 41). Lobenswerterweise werden eingangs auch die Grundzüge des DDR-Gesundheitssystem vor Augen gestellt und (unausgesprochen) gezeigt, wie nahe uns einige Gesundheitsreformen der letzten Jahrzehnte an dieses schon herangerückt haben. Das Buch breitet unterschiedliche, „mildere“ und üblere Grade des Spitzeltums aus, ebenso unterschiedliche Motivationen hierzu. Weniger sozialistische Überzeugung, wie sie die Stasi in dreiviertel der Fälle notierte, sondern eher praktische Vorteilsnahmen sieht es als leitend an. Insgesamt liest sich das Buch ob der widerlichen Materie, der vielen Stasi-spezifischen Abkürzungen, manch unnötiger Längen, aber auch der weithin abstrakt gehaltenen Abhandlung – die Anonymisierung Teil davon – mühsam.
2.10 Es anonymisiert, wie gesagt, die Täter, nennt aber außer Autorennamen einen Klarnamen, einen einzigen im ganzen Buch, den des GEP-Vorsitzenden. Er habe, so Weil, von Süß abkupfernd (Fn 4), die wiederholten Verbindungsaufnahmen des Spitzels, das den Bürgerrechtlern der seinerzeitigen Moskauer Arbeitskommission zur Untersuchung der Psychiatrie zu politischen Zwecken „zum Verhängnis wurde“ , „für einen großen Gewinn“ gehalten. Am 12.01.2008 wurde in der Berliner Zeitung auch der aufrechte Hubertus Knabe verrissen.[5]
Auf Weils BÄK-initiierten Verriß hin ist weiter auszuholen. Er ist Anlaß, die Geschichte des Psychiatrie-Mißbrauchs in der ehemaligen Sowjetunion und des Widerstand gegen ihn kurz zu rekapitulieren, vor allem aber die Mitglieder besagter Moskauer Gruppe, Märtyrer quasi für die Redlichkeit der Psychiatrie, nochmals zu ehren. Jeder unserer Rundbriefe vom aller ersten im Mai 1977 angefangen bis zum Schluß ihrer Verfolgung Ende der 80er Jahre dokumentiert unseren fortgesetzten Einsatz für diese unsere damalige Schwestergruppe und ihre Mitglieder Alexander Podrabinek, Felix Serebrow, Leonard Ternowsky, Irina Griwnina, Wjatscheslaw Bachmin und Dr. Anatolij Korjagin, Sie alle wurden unter Mithilfe der Stasi (der in den 90ern tödlich verunglückten „IM Jutta“ = Dr. Gisela Otto) vom KGB verhaftet, Podrabinek bereits vor Gründung unserer Gesellschaft, Korjagin in sechsjähriger Haft fast zu Tode gefoltert. Die eigentlich nur locker mit dem Kreis verbundene Irina Kaplun kam durch einen (vom KGB arrangierten?) Autounfall ums Leben.
Des hohen Risikos voll bewußt, baten diese Leute, wahrlich Helden, den Skandal der Verfremdung des heilkundlichen Fachs in ihrem Land in aller Welt immer wieder anzuprangern. Ihr Leiden und die Welle des Mitgefühls, die das (die wir) im Westen damit auslöste(n), haben nicht unwesentlich zum Fall des „Evil Empires“ beigetragen. Gab es da ein „Verhängnis“ oder wurden da nicht eher höchste Opfer für die Freiheit und die Redlichkeit der Medizin erbracht? Wir sind für die Leute eingetreten, wie es nur ging, nahmen 1987 mit an der KSZE in Wien teil, bei der die Sowjets erstmals einknickten (RB 2/89). Dort wurde erstmals im Sinn jener Leute vor den anwesenden hohen Sowjetvertretern vom sowjetischen Psychiatriemißbrauch gesprochen, ohne daß diese aufbrausten, ja ohne daß sie widersprachen. Einige Doktoren, Süß, Weil und Co. und manche Präsidenten der Bundesärztekammer wollten von all dem leider nie etwas wissen.
Auf die Auseinandersetzung mit der deutschen „Ärzteschaft“ (=Ärztevertretung) ist noch etwas näher einzugehen. Milde begann sie, wurde bald aber zu einem („kalten“) „30-jährigen Krieg“, blieb dabei natürlich immer ein Kampf „David gegen Goliath“. Beim Deutschen Ärztetag 1974 in Berlin, jenem Tag, an dem ein Haufen ärztlicher 68er die Versammlung des Ärzteparlaments und dabei just die Diskussion der Psychiatrie-Reform sprengte („Tag der Psychiatrie“), schloß Weinberger eine Rede an die Delegierten mit den Worten: „…Ein brennendes Problem zum Schluß noch: Mißbrauch der Psychiatrie in der Sowjetunion. Ich meine, wir Ärzte in einem freien Land dürfen hier nicht länger schweigen, taktieren oder ausweichen. Ich fordere Sie auf, an diesem Tag der Psychiatrie nicht auseinanderzugehen, ohne ein Zeichen gegeben zu haben, ein Zeichen des Protestes gegen den Mißbrauch der Heilkunde zur Tarnung politischen Terrors, ein Zeichen der Hoffnung für die, die… durch eine staatlich diktierte, pervertierte Psychiatrie der Menschenrechte beraubt, gepeinigt und entwürdigt sind.“
Als Antwort darauf flüchtete der Ärztetag hinter die Behauptung, solchen Mißbrauch – gemeldet wurde er damals ausschließlich aus der Sowjetunion – gäbe es in vielen Ländern. Er verurteilte ihn allgemein, als passierte er auf dem Mond. Die Täter mußten sich ermutigt fühlen, die Opfer verraten. Das Taktieren der Ärzteschaft war mit der Grund, warum wir unter dem Ehrenvorsitz Walter von Baeyers 1977 unsere Gesellschaft gründeten. Der anfänglich noch freundliche Ton eines Werbens um die Ärzte wurde über deren fortgesetzter Schonung des roten Terrors rauher. Unsere Anzeige systematisch-politischen Psychiatriemißbrauchs in der DDR, aber auch weiterer fragwürdiger Praktiken in der Medizin brachte die Ärzte-Repräsentanz offensichtlich vollends gegen uns auf. Der Affront im Weil’schen Buch ist jetzt wohl lang aufgesparte Vergeltung: „The Empire Strikes Back“.
Vor Gericht gehen wollen wir nicht. Dies die Auffassung auch unserer Jahresversammlung (4.). Sollten wir das Risiko eines Prozesses bei Gerichten eingehen, die als „Täterbegünstigungsgerichte“ (Fn 3, Knabe) schon beschrieben sind? So ist es hierzulande halt: Aktivität, die einerseits mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wurde, wird von anderen, der Ärzteschaft, aber auch manch staatlichen Instanzen wie der Gauck-Behörde niedergemacht. Vor Gericht würden diese sich auf Meinungsäußerung, Meinungsfreiheit berufen. In einer letztlich politischen Auseinandersetzung hilft am ehesten heute das Gegenhalten einzelner und einzelner Gruppen.
Weiteres dazu unter 8.4.
3. Aufstieg und Fall Freuds drüben (und hüben)
Der folgende Artikel wurde im Januar 2008 beim Rheinischen Merkur eingereicht. Nach langem Schweigen teilte die Redaktion auf Nachfrage mit, es sei bei ihr für den Bereich Wissenschaft zur Zeit noch niemand voll zuständig, um über einen Abdruck zu befinden.
3.1 Seit hundert Jahren beansprucht die Psychoanalyse Deutungshoheit über den Menschen. Sie wurde ihr nach 1945 von Amerika aus in der ganzen westlichen Welt zunehmend auch eingeräumt. Der Kulturbetrieb, die Medien, die Intellektuellen begeisterten sich an ihr. Die Ärzte machten sie zu einem integralen Bestandteil der gesundheitlichen Versorgung im Land. In dem berühmten Bericht der Enquête-Kommission von 1975 „über die Lage der Psychiatrie in der Bundesrepublik Deutschland“, einer „Unterrichtung durch die Bundesregierung“ (Bundesdrucksache 7/4200, S. 293), wurde das „von der Psychoanalyse entwickelte Konzept der Entstehung neurotischer und psychosomatischer Erkrankungen“ als gesicherte Erkenntnis verkündet, wurden entsprechende Behandlungen forciert. „Beratung und Therapie“, hieß es, „müssen so früh wie möglich einsetzen, um der Chronifizierung von Krisen und Krankheiten … vorzubeugen.“
Nun ist in den letzten Jahrzehnten just von Amerika aus eine Kritik laut geworden, die besagtes Konzept von Grund auf erschüttert. Profunde „Freud-Gelehrte“ – die kritische Durchforstung der Gesammelten Werke Freuds hat tatsächlich etwas wie eine neue Fachdisziplin hervorgebracht – wiesen die Theorien und Methoden des berühmten Wieners und seiner Anhänger als höchst fragwürdige Kopfgeburten aus.
3.2 Unter den vielen Freud-Kritiken, die heute so besonders im englischen Sprachraum kursieren – kaum etwas ist davon auf deutsch erschienen -, ist das Buch des amerikanischen Psychiaters E. Fuller Torrey FREUDIAN FRAUD (Freud’sche Betrügerei), HarperCollins, 1992, besonders bemerkenswert. Torrey bekleidete über Jahre eine hohe Stellung am National Institute of Mental Health (NIMH) der USA. Primär um die dortige Situation kreisend, ist sein Buch auch für uns von Belang, weil hierzulande doch nur bruchstückhaft bekannt ist, wie die Lehre „drüben“ ihre Geltung erreichte, bevor sie dann über uns kam.
Seine erste Anhängerin in Amerika fand Freud, so Torrey, in der Anarchistin-Feministin Emma Goldman, die ihn, die gesellschaftspolitische Sprengkraft seiner Sexualtheorien erfassend,[1] schon 1895 in Wien aufgesucht hatte. Auch über zwischenzeitliche Inhaftierungen und ihre spätere Abschiebung in ihr (nach 1917) sowjetisches Herkunftsland[2] hinaus blieb sie seine umtriebige Propagandistin. 1909 weilte Freud zu einem Vortrag an der Clark University in Worcester, Massachusetts, „Red Emma“ in der ersten Reihe seines Auditoriums. Auch danach brachten Freud weiteren Zulauf nicht die therapeutischen Versprechen seiner Lehre, sondern deren „Sex-Appeal“ – insbesondere im links-liberalen New Yorker Künstler-Viertel Greenwich Village bei den dort zentrierten Intellektuellen, Marxisten, Trotzkisten, „Freigeistern“, brachte ihm zudem die fördernde Aufmerksamkeit einflußreicher Medien.
Weiter bekannt und bedeutsam wurde die Psychoanalyse über den lang und heftig anhaltenden Auseinandersetzungen in den Staaten um „nature / nurture“, zwischen solchen also, die den Menschen vom Ererbten[3] und solchen, die ihn vom Erlebten her erklärten. Bei Freuds Betonung früher sexueller Kindheitstraumen standen die Freudianer natürlich auf Seiten letzterer und behaupteten mit ihnen dann auch das Feld. Ihnen gesellten sich ab 1933 die aus Nazi-Deutschland vertriebenen Analytiker zu, die aus der alten „Nähe zwischen Freud und Marx“ jetzt so etwas wie eine „Blutsgemeinschaft“ machten, „Partisan Review“, das führende Intellektuellenmagazin der USA damals, die Presse, die Theater des Broadway, die Sozialarbeit und Sozialpädagogik ihr bevorzugter Tummelplatz und Resonanzboden.
3.3 Freud gewann so ab den 20ern in den USA zunehmend Einfluß auf die Kindererziehung, die Rechtsprechung, das Meinungsklima insgesamt. Erster Höhepunkt 1945 unter dem Eindruck der Bilder vom Holocaust – Freud selbst ein Verfolgter, vier seiner Geschwister in KZs ermordet. Als mit dem dann einsetzenden „kalten Krieg“ eine Distanzierung von Stalin und damit auch von Marx notwendig wurde, stieg Freud, jetzt posthum, bei den amerikanischen, zur Hälfte jüdischen Intellektuellen als Idol noch höher, womit er auch in deutschen Landen wieder landen konnte, hier wie dort[4] bald von den Linken wieder eingeholt, neuen Linken, Fidel, Che, Ho Chi Minh, Mao, Marcuse usf., ihre nicht nur studentische Suite in den Staaten meist als „liberal“ gehandelt, primär so von den „Demokraten“, ansonsten „außerparlamentarisch“ unterstützt, ab Mitte der 50er u.a. von und mit der „Mental Health-Bewegung“.
Sie konkretisierte sich unter John F. Kennedy ab 1963 auch über die Kuba-Krise hinweg in kompakten Einrichtungen und Programmen, u.a. in über das Land verteilten, aus Bundesmitteln getragenen Community Mental Health Centers (CMHC). In ihnen sahen manche früh-sowjetische Utopias „neuer Menschen(mache)“ wieder auferstehen. Sie wurden aber auch von „Republikanern“ letztlich akzeptiert. Sie versprachen, psychischer Krankheit und sonstigen Übeln, nicht zuletzt der Armut zu wehren, ja ihnen vorzubeugen, versprachen gar „die psychische Gesundheit der Bevölkerung“ zu vermehren. In jedem Fall verbreiteten sie Freud’sche Ideologie weiter und vermehrten, verzwanzigfachten die Zahl der „Psycho-Profis“. Sie nährten, verbreiteten den Rauschzustand der 68er Kulturrevolution, womit sich der Freud-Marxismus noch fester in ALLE Winkel der amerikanischen, ja der westlichen Gesellschaften eingrub, besonders in Erziehung, Schule, Universitäten, Medien, die Unterhaltungsindustrie, die Rechtsprechung, die Kirchen und nochmals natürlich in die Heilkunde selbst, besonders in Psychiatrie und Psychologie. „McFreud“ jetzt überall – drüben und hüben. Dort freilich begann in den 70ern mit Henry F. Ellenberger[5] auch schon der Paradigmenwechsel, die Entzauberung Freuds.
3.4 Es ist hier nicht Platz, Torreys Ausleuchtung der psychoanalytischen Durchdringung ALLER Lebensbereiche in den USA nachzuzeichnen. Ein Bereich nur sei wegen seiner Aktualität auch hierzulande als Beispiel herausgegriffen, die Durchsetzung und damit Verwandlung der Rechtsprechung. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts wurde im angelsächsischen Strafrecht die Schuld eines Verbrechers bei offensichtlicher psychischer Erkrankung als aufgehoben oder vermindert angesehen, fraglos ein humanisierendes Element in der Rechtspraxis (RB 2/07, 2.1). Schon ab den 20ern aber wurde, so Torrey, die Gerichtspsychiatrie in den USA mehr und mehr von Freudianern (W. Healy, B. Glueck, W.A. White, später K. Menninger) besetzt. Sie stellten das Prinzip der Schuld grundsätzlich in Frage und machten damit 1924 erstmals Geschichte. Zwei junge, aus wohlhabenden Familien stammende Männer, Leopold und Loeb, 19 und 18-jährig, hatten wohl durchdacht ein 13-jähriges Mädchen ermordet und ihre Leiche in einem Abwasserkanal nahe Chicago „entsorgt“. Vor Gericht paukten sie geschickte Anwälte und als Zeugen der Verteidigung einige der besagten Psycho-Experten unter angelegentlicher Teilnahme der Medien[6] heraus.[7]
Das Verbrechen war laut Healy „nur möglich aufgrund psychischer Abnormität mit pathologischer Spaltung der Persönlichkeit“. Die Schuld, sagte Glueck, läge bei den Eltern. White, der Star-Forensiker damals, der gerade Präsident der amerikanischen Psychiaterfachgesellschaft geworden war, lastete ihnen bei aller Zuerkennung bester Absichten „Vernachlässigung“ an. Standesgemäß waren die Täter in ihrer Jugend von Kindermädchen betreut worden. Eines davon, so White, sei „prüde und streng“ gewesen, habe „schrecklich zu den Hausaufgaben angehalten“. „Als Konsequenz solcher Kindheitserlebnisse“ hätten sich die „antisozialen Tendenzen“ entwickelt.
Besagte Experten,[8] die natürlich höchste Honorare kassierten – White, der gleichzeitig Beamter war, wurde später dafür belangt -, setzten eine Praxis in Gang, die den genannten vernünftigen Rechtsgrundsatz leicht pervertierte. Glueck hatte in seinem Buch „Studies in Forensic Psychiatry“ allem Verbrechen ein „psychisches Trauma“ zugrunde gelegt. White, der Verbrecher als „Geiseln ihres Unbewußten“ darstellte, plädierte konsequent für die Abschaffung aller Gefängnisse und ihren Ersatz durch Psychiatrische Behandlungszentren, ähnlich wie es der Früh-Kommunist Wilhelm Weitling vordem schon gefordert hat (RB 3/78, S. 19). Das Problem der Schuld wird von Psychiatern, Psychotherapeuten, heute auch „Neuro-Wissenschaftlern“ (RB 1/04,4.1-4) immer wieder gewälzt. Außer in dem Ausnahmefall ernster psychischer Erkrankung konnten sie es freilich näher nie bestimmen. Hierzulande diskutiert man aus aktuellem Anlaß, wann Jugendstrafrecht beginnen oder enden soll.
3.5 Während Freud hierzulande aber mit der 68er Revolution erst voll zur Geltung kam, begann „drüben“, wie gesagt, schon sein Abbau. Zunehmend wurden an Freud Unregelmäßigkeiten entdeckt, wozu einige seiner eigenen Mitteilungen beitrugen. Mit Sigmund Freud – Briefe an Wilhelm Fließ 1887 – 1904 brachte Jeffrey M. Masson, ein dissidenter Analytiker, 1985 erstmals auf englisch (deutsche Ausgabe 1986 bei S. Fischer) die vertraulichen Mitteilungen des Meisters an seinen langjährigen Intimus ungekürzt (!) heraus. Mit ihnen kam die kritische Freud-Forschung in englisch- und französisch-sprachigen Ländern in Schwung, auch dort natürlich gegen genügend Widerstände. Es wurde jetzt möglich, Freuds „offiziell“ ausgedruckte Behauptungen mit vertraulich abgegebenen zu vergleichen. Eine Fülle von Ungereimtheiten, ja eine sein gesamtes Werk durchziehende Unredlichkeit traten so ans Tageslicht. Einige Beispiele:
– Freud empfahl 1884 – es war quasi sein erstes eigenständiges Forschungsprojekt – seinem über qualvollen Schmerzen morphinabhängig gewordenen Freund und Kollegen Fleischl von Marxow das damals noch unerforschte Kokain zur Entwöhnung. Er publizierte die „Entziehungskur“ im gleichen und folgenden Jahr als erfolgreich, wobei er empfahl, bei „ähnlichen Entziehungskuren Cocain in subcutanen Injectionen… zu geben und sich vor der Häufung der Dosen nicht zu scheuen“ (Z. für Therapie, 1.4.1885). Der Freund kam darüber innerhalb kürzester Zeit weiter herunter. Er wurde zusätzlich kokainabhängig. Freud aber verteidigte sein Vorgehen als heilsam öffentlich weiter. Es wurde bald von einem anderen Arzt, dem Sucht-Kliniker Erlenmeyer überprüft und als nichtsnutzig verworfen. Freud behauptete darauf (1887), Erlenmeyer habe sich nicht an seinen Dosierungsvorschlag gehalten und habe entgegen seinem Rat „subkutane Injektionen gegeben“ (Wiener Med. Wochenschrift, 9.7.1887).
– Im Fall der (1880-81 von Josef Breuer behandelten) Anna O. (Berta Pappenheim), publiziert von Breuer und Freud zusammen in Studien über Hysterie, 1895, berichteten die Autoren von der „wunderbaren Tatsache, daß vom Beginne bis zum Abschlusse der Erkrankung alle … ihre Folgen durch das Aussprechen in der Hypnose dauernd beseitigt wurden…“ De facto wurde jedoch nichts „dauernd beseitigt“. Vielmehr mußte die Patientin unmittelbar nach Breuers Psychotherapie klinisch eingewiesen werden.
– Auch bei seinen eigenen psychotherapeutischen Behandlungen ab 1894 berief sich Freud in Wort und Schrift immer wieder auf therapeutische Erfolge. Seinem Intimus Fließ aber gestand er am 3.1.1897 im Hinblick auf einen bevorstehenden Kongreß: „Vielleicht habe ich bis Ostern einen Fall zu Ende gebracht“, was doch heißt, daß er bis dahin noch nicht eine einzige Behandlung erfolgreich abgeschlossen hatte.
– Von diesen Behandlungen behauptete Freud auch später noch, seine Patientinnen hätten ihm von sexuellen, in der Kindheit erlittenen Traumen, Verführungen durch ihre Väter berichtet („habemus papam“, schrieb er spöttisch-triumphierend an Fließ, während die vertraulichen Mitteilungen an diesen zeigen, mit welcher Kaltschnäuzigkeit, ja Brutalität er ihnen solche „Erinnerungen“ aufdrängte. „Habemuns papam“ sollte heißen: „Da haben wir den Vater“ (der nach Freud das Mundekzem seiner Tochter verursachte, indem er sie, so Freud, als Kleinkind zwang, an seinem Glied zu lutschen). Als die Patientin die Deutung zurückwies, drohte Freud der Hilfesuchenden „das Wegschicken“ an (J.M. Masson, Sigmund Freud, Briefe an Wilhelm Fliess, S. Fischer, 1999, Seite 223).
– In seinem „Traummuster“ (2. Kapitel der 1899 fertig gestellten TRAUMDEUTUNG) nimmt Freud Bezug auf seinen (angeblichen) Mustertraum vom 23./24.07. 1895 und bei dessen Ausdeutung auf eine Diphtherieerkrankung seiner Tochter Mathilde im Jahr 1893. Er exemplifiziert daran die Tätigkeit „des Unbewußten“, macht daran letztlich seine Traumtheorie, die Letztfassung seiner gesamten Lehre fest, wiewohl es bei Mathilde zum angegebenen Zeitpunkt – sie machte die Krankheit 1897 durch – eine Diphtherie, die Immunität hinterläßt, nicht gegeben haben kann (Wilcocks, RB 1/06,4.3). Der „Mustertraum“, Eckstein quasi des Freud’schen Theoriegebäudes, steht auf Sand. Dem ruhm- und karrierebedachten Freud war offensichtlich selbst die lebensbedrohliche Krankheit seines Kindes eine Lüge wert.
Manche dieser Flunkereien lagen von Anfang an offen auf. Einige wurden erst in jüngerer Zeit aufgedeckt. Viele angesehene Gelehrte verschiedenster Disziplinen und unterschiedlicher, auch jüdischer Herkunft haben daran Anteil, unter ihnen der Kinderpsychologe Jacques Bénesteau, Toulouse, mit Mensonges freudiens, der Philosophieprofessor Frank Cioffi, Canterbury, mit Freud and the Question of Pseudoscience, der Literaturprofessor Frederick Crews, Berkeley, mit u.a. Follies of the Wise, der Mathematiker Allen Esterson, London, mit Seductive Mirage, der Psychologe Prof. Malcolm Macmillan, Melbourne, mit Freud Evaluated, der Pädagoge Prof. Max Scharnberg, Uppsala, mit The Non-Authentic Nature of Freud’s ObServations, der Philologe Richard Webster, Suffolk, mit Why Freud was wrong, der Literaturprofessor Robert Wilcocks, Edmonton, mit u.a. Maelzel’s Chess Player – Sigmund Freud and the Rhetoric oF Deceit, um nur einige der aktuellsten Forscher auf dem Gebiet und einige ihrer gewichtigen Schriften zu nennen. Die Psychiater Henry F. Ellenberger und E. Fuller Torrey wurden mit ihren Beiträgen schon vorgestellt.
3.6 Entsprechend sind insbesondere in den angelsächsischen Ländern sowohl die Zahlen analytischer Behandlungen als auch der Ausbildungskandidaten stark rückläufig. Wie Paul Roazen, ein ebenfalls leicht dissidenter, inzwischen verstorbener Analytiker, im AMERICAN Journal of Psychiatry vom Oktober 1994 mitteilte, war eine Freud’sche Zusatzausbildung in den 60ern Vorbedingung zur Erreichung höherer Funktionen in der Psychiatrie, etwa auch in der Weiterbildung des Nachwuchses. 30 Jahre später war sie für eine solche Position eher zum Hindernis geworden. Bénesteau nennt in dem genannten Buch eine Reihe ähnlicher Hinweise, die den Rückgang Freud’schen Einflusses in Amerika anzeigen.
Dabei ist Freud auch „drüben“ keineswegs schon erledigt. Erst kürzlich kam das Buch des Psychiaters und Psychoanalytikers George Makari heraus, Revolution in Mind: The Creation of Psychoanalysis, HarperCollins, New York, 2008, 630 Seiten, über 80 Seiten erklärender Endnoten, kenntnisreich, flüssig geschrieben. Makari berührt gar einige der oben angeführten Kritikpunkte. Die meisten freilich übergeht er, den Kern ohnedies. Er bleibt letztlich bei der alten Freud-Vergötzung. Im englischen Teil unserer INFC-Website erschien umgehend Wilcocks’ Kritik des Buches.
In der heutigen Auseinandersetzung spielt eine wesentliche Rolle, daß mit dem Internet jetzt verlagsunabhängige Möglichkeiten der Veröffentlichung existieren, die einen raschen, weltweiten Informationsaustausch unter den fachlich Interessierten ermöglichen. Das Internationale Netzwerk der Freud-Kritiker (INFC) publiziert aktuelle Beiträge auf englisch, französisch und deutsch und gibt somit auch dem deutschsprachigen Leser Zugang zu einer der weltweit lebhaftesten Auseinandersetzungen um Mensch und Gesellschaft, von denen er über 30 Jahre abgeschnitten war.
Das markiert in der bei weitem noch nicht ausgestandenen Auseinandersetzung den großen Unterschied zwischen neuer und alter Welt, daß Freud, der drüben rasch und nachhaltig zur Geltung kam, dort jetzt kritisch diskutiert, wenn nicht zerpflückt wird, während er „hüben“, insbesondere im deutschsprachigen Raum erst nach ’45, mehr noch nach ’68 zur Geltung kam, dafür hier jetzt um so unangefochtener herrscht. Von all den lebhaften Kontroversen um Freud im Ausland ist hier kaum etwas bekannt, geschweige daß nachhaltige Beiträge dazu geleistet worden wären.
3.7 Was die therapeutische Wirksamkeit der Analyse betrifft, so tendierte diese seit den Tagen der Anna O. gegen Null (vgl RB 2/02,5.2 – „Zur Wirksamkeit der Psychoanalyse“, eine Übersicht über die Augenwischereien ihrer in jüngerer Zeit vorgelegten „Erfolgsnachweise“). Kürzlich stellte Ähnliches auch der GEK–Report 2007 der Gmünder Ersatzkasse fest. Torrey selbst spricht allen Psychotherapien eine gewisse Effektivität zu. Gleiche Wirksamkeit aller Psychotherapien hebt freilich auch den Wert aller hinter ihnen stehenden Konzepte einschließlich der Freud’schen von den frühkindlichen Traumatisierungen bis zum Ödipuskomplex als Ursache späterer Neurosen auf, ihren Wert als therapeutisches Agens.
Torrey streift kurz ungünstige Therapieausgänge. Schon eine im Vergleich zum Bevölkerungsdurchschnitt ungewöhnlich große Zahl früher Freudianer beging Suizid. Jacques Bénesteau führt in seinem o.g. Buch aus, es hätten sich von etwa 350 Psychoanalytikern in Zentraleuropa vor dem 2. Weltkrieg 20 das Leben genommen (zehn von den 149 Mitgliedern der Wiener Psychoanalytischen Gesellschaft bis 1938), während die Suizidrate in der Allgemeinbevölkerung etwa 20:100.000 betrage. Vielen Freud-Gläubigen, so Torrey, wurde ihr Glaube an Freud zur säkularen Ersatzreligion. Wilhelm Stekel etwa nannte sich „Apostel Freuds, der mein Christus war.“ Auch sein Glaube an die materialistischen, deterministischen Konzepte des Meisters war wenig tragfähig. Freud selbst glaubte an Telepathie, Telekinese und ähnliche Obskuritäten, verachtete nur Religion. Noch kurz vor dem Einmarsch der Nazis in Wien bezeichnete er die katholische Kirche als seinen „wahren Feind“. Er ließ sich 83-jährig, schmerzgeplagt, von seinem Hausarzt zu Tode bringen.
3.8 Das Buch Torreys könnte für uns im Deutschsprachigen bedeutsam sein, weil es Versteigungen zurecht rückt, die mit den 68ern in der Seelen(heil)kunde auch hier Platz gegriffen haben. Die Versprechen wachsender „psychischer Gesundheit der Bevölkerung“ etc. verfingen „hüben“ nicht weniger als „drüben“, wurden im übrigen hier so wenig wie dort eingelöst, geschweige daß die Psychoanalyse einem menschlichen Gebrechen oder gesellschaftlichen Übel je „vorgebeugt“ hätte. In jedem Fall aber ist es gut, einmal zu erfahren, wie die Freud-inspirierte Psychiatrie-Reform „drüben“ so gelaufen ist. Mit Gesundheitsreformen ist man „hüben“ ja rege weiter beschäftigt.
Am drängendsten ist sicher die Frage nach der Wirksamkeit der Psychotherapie, der Freud’schen wie jeder anderen. Unbestritten ist die Wichtigkeit des „Wortes“ in der Heilkunde, unbestritten auch, daß das „richtige“ Wort in schwierigen Lebenssituationen erleichternd, ja rettend sein kann, umstritten freilich wie eh und je, ob es lehrbar für alle Wechselfälle des Lebens, insbesondere aber Krankheiten oder krankheitswertige Störungen ein solch „richtiges Wort“ gibt, für Fälle also, in denen Psychotherapie nach den gesetzlichen Bestimmungen allein zur Anwendung kommen darf. Immerhin sind da nicht nur Millionen-Beträge, sondern vor allem Menschenschicksale im Spiel. Ob darüber hierzulande noch eine realistische Diskussion aufkommen wird? Entgegen dem, was besagte „Unterrichtung durch die (damals sozial-liberale) Bundesregierung“ als gesichert ausgab, erscheinen Freuds Konzepte heute zweifelhafter denn je.
In Deutschland sieht es dennoch so aus, als wollte die „Psycho-Industrie“ (Dineen, RB 2/01,3.1) noch zulegen. Fragen nach ihrem therapeutischen Wert beantwortet sie weiter mit Vorspiegelungen. In DÄ 8/08 behauptete der BÄK-nahe Psychologe Prof. D. Schulte kürzlich, es ginge heute um neue Methoden psychotherapeutischer Behandlung und ihrer Überprüfung. Als neu führte er die Interpersonelle Psychotherapie der H. St. Sullivan und G. B. Chisholm an. Letzterer, der erste Generalsekretär der WHO, bestimmte 1945 (!) „als Ziel aller effektiven Psychotherapie die Ausmerzung von Gut und Böse“. Das Buch George Makaris REVOLUTION IN MIND wird auch in Deutschland jetzt offensichtlich viel gekauft, weil sich die Freudianer davon neue Munitionierung versprechen. Freuds Sache wird weiter machtvoll „von oben“ gestützt. Allein von dieser politischen Unterstützung lebt sie. (3.1) Ob sie „ewig“ so leben kann, bleibt die spannende Frage.
4. Jahresversammlung der GEP am 26.04.2008 in Mainz
Im Rechenschaftsbericht des Vorsitzenden, der hier auszugsweise wiedergegeben wird, wurde manches von den vorstehenden Ausführungen, manches auch von dem vorgetragen, was erst in den folgenden Kapiteln steht. Der innere Zusammenhang der verschiedenen Themen war in direkter Rede vielleicht besser als dort zu verdeutlichen, dabei auch einmal darzustellen, was es mit der oft aufgerufenen Sozialpsychiatrie auf sich hat. Der Umstand, daß die verschiedenen Punkte in der Versammlung rege diskutiert wurden, gibt ihrem Ausdruck hier besonderes Gewicht.
4.1 … Zuerst zu den Aktivitäten (und kleinen Erfolgen) des Vereins. Dank an alle, die dazu beigetragen haben. Von unseren Rundbriefen gab es 1997 wieder zwei, die verschiedenen Bereiche unserer Aktivität in ihnen gebündelt. Sie werden auch auf unserer dreisprachigen Website im Internet rege aufgesucht, im Vergleich zu den englischen und französischen Mitteilungen gar am häufigsten. Insgesamt werden +/- 500.000 KByte monatlich von der Site abgerufen.
Zum Vortragstext von Halle in RB 2/07,2 sagte ein Fachjournal am 4.3.08 einen Nachdruck zu. Genaueres würde noch mitgeteilt. Der redaktionelle Entscheidungsprozeß scheint langwierig zu sein.
Herr Lippmann (RB 2/07,2.7) wurde vom sächsischen Ex-MP Milbradt zu einer die Stasi-Opfer ehrenden Veranstaltung am 29.10.07 eingeladen, für ihn Genugtuung, für uns ein Zeichen, daß die Rundbriefe auch in „oberen Etagen“, Staatskanzleien etc., aufmerksam gelesen werden, gelesen gar in manch roten Redaktionsstuben: Den im letzten September in RB 2/07,2.2 stehenden Fall Vera Stein brachte die SZ am 4.3.08 unter dem Namen Waltraud Storck neu heraus. Sie versuchte dabei weiszumachen, daß Mißgriffe wohl in der „alten“ Klinikpsychiatrie vor 30 Jahren vorkamen, in der neuen, „reformierten“ aber nicht. Die ganz anders geartete Schieflage des Fachs, aus der besagte Fehlriffe heute eher noch möglich sind als damals, Freiheitseinschränkungen heute vermehrt vorkommen (RB 2/07, 2.2), decken die Medien weiterhin ab.
Korrespondenzen mit vielerlei Adressaten, nicht zuletzt ehemals Verfolgten. Prüfung der Schicksale etwa von H.P. in Lage, G.K. in Cottbus und K.B. in Rudolstadt. Solche Beratung ist immer arbeitsaufwendig.
Anfangs, d.h. in den ersten 10-15 Jahren der Vereinstätigkeit ging’s uns um Aktivierung von Widerstand gegen Mißbräuche des Fachs in der damaligen Sowjetunion. Nach der Wende wurden Psychatriemißbräuche in der DDR bekannt und von uns aufgegriffen. Über deren Umfang gibt es bis heute keine zuverlässigen Zahlen. Alle staatlichen Nachuntersuchungen blieben Augenwischerei. Von all diesen Untersuchungen ausgesperrt, erfuhren wir von nicht wenigen entsprechenden Fällen dennoch und erfahren auch heute noch von solchen, zwei unter .2.1-2. Wie viele derartige Fälle mag es noch geben, die nie bekannt werden? Wie viele werden, selbst wenn in Umrissen bekannt (Sonja Lüneburg – RB 1/04 sowie 2/07,3.4), dennoch verwischt bleiben? Auch im Rechtsstaat kommt der Psychiatrie eine Ordnungsfunktion zu, hält sich das staatliche Interesse an einer öffentlichen Behandlung psychiatrischer Mißstände/-bräuche deshalb in Grenzen. Seit über 30 Jahren wird auch von der Union nur eine rot eingefärbte Behandlung der Psycho-Themen öffentlich geduldet, gefördert.
4.2 Über ehemals Verfolgte ging uns kürzlich die 2003 erschienene Schrift GESUNDHEITLICHE Folgen politischer haft in der DDR zu. Verfasser sind Prof. Dres. Freyberger, Frommer, Maercker und Steil, Herausgeber die „Konferenz der Landesbeauftragten“, federführend J. Mothes (RB 2/07,2.10). Die Schrift spricht von den „denkbar gering“ gebliebenen Erfolgaussichten der Stasi-Opfer auf angemessene Entschädigungen. Manches ließen die Autoren offen. Sie rügten etwa, daß „die Versorgungsämter wichtige neuere Erkenntnisse der medizinischen Forschung nicht zur Kenntnis nehmen.“ Daß solch systematisches „Nicht-zur-Kenntnisnehmen“ bei angestellten oder beamteten Gutachtern den Geruch verströmt, es werde so „oben“ eben gewünscht, ging unter. Die politische Einfärbung der Nach-68er-Psychiatrie und Psychotherapie wurde nicht erwähnt (RB 1/06,2 und 1/07,8). Manche möchten „Psychotraumatologie“ wohl gern für ihr rein deutsches „Fachgebiet Psychotherapie & Psychosomatik“ reservieren[9] oder sie zu einem eigenen Fach hochstilisieren (damit andere, Kritiker wie wir etwa, an ihren Urteilen nicht mehr kompetent mäkeln können). Mitunter wurden Hypothesen wieder zu gesichertem Wissen stilisiert. Dennoch war die Schrift wohl der erste wesentliche Schritt, mit dem die „offizielle“ Psychiatrie-Psychotherapie auf die Verfolgten des SED-Regimes zuging.
Die Zahl der IMs wurde jüngst von dem Historiker Müller-Enbergs für 1989 nochmals nach oben korrigiert auf 189.000 (SuperIllu 13/08). Kürzlich las ich – dies zur Abrundung -, ein früherer Stasi-Oberstleutnant berate beim Sozialverband Deutschland jetzt Stasi-Opfer bezüglich ihrer Rentenansprüche (DER Tagesspiegel, 10.02.08). Durch die Presse ging das Urteil eines Gerichts in Zwickau, bei dem „IM Schubert“ erreichte, daß sein Klarname in der Ausstellung „Christliches Handeln in der DDR“ im sächsischen Reichenberg nicht erscheinen konnte – das Urteil ist inzwischen revidiert. Laut WELT vom 21.04.07 hat das Bundesverfassungsgericht bezüglich des „besonders abstoßenden Herrschaftsinstruments“ der Stasi ein „besonderes Aufklärungsinteresse“ bekräftigt. „Die deutschen Gerichte in den unteren Instanzen“ gingen aber „regelmäßig“ darüber hinweg. Derartiges konstatierte von „Täterbegünstigungsgerichten“ schon Hubertus Knabe in seinem Buch DIE TÄTER SIND UNTER UNS. Wie hätte auch der 68er Marsch durch die Institutionen die Justiz verschonen sollen?[10]
4.3 Erster Adressat bei allen Diskussionen ethischer Probleme der Medizin waren und sind für uns natürlich immer die „Psychiatrie-Vertretung“, also die Fachgesellschaft DGPPN und die Vertretung der Ärzte insgesamt, die (Bundes)-Ärztekammer(n), die „Ärzteschaft“. Von den von uns aufgegriffenen Problemen wollten die einen wie die anderen von Anfang an nichts wissen. Den politischen Psychiatriemißbrauch in der DDR leugnen sie bis heute – gemeinsam mit Ex-Stasi-Oberst Rataizik (in DIE SICHERHEIT, Seite 510) und natürlich Dr. Süß von der Gauck-Behörde. Nachdem Kritik am DDR-System heute aber doch verbreiteter ist als vordem – Reaktion wohl auf die vielfältigen Verharmlosungen durch „obere Instanzen“ -, ziehen, so scheint es, auch die Psychiater an, nach der Uni-Klinik Greifswald (RB 2/02,2.6) jetzt die Uni-Psychiatrie Hamburg.[11] Begrüßenswert ist das gewiß, falls damit nicht das jahrzehntelange Psychiater-Schweigen zu den roten Mißbräuchen des Fachs wieder verstärkt zuzudecken versucht wird. Die Ärzteschaft, die sie, als sie in der Sowjetunion aktuell waren, kaum wahrnahm, geschweige bekämpfte, bekämpft jetzt uns, die wir das böse Geschehen damals dort und später im Ostteil unseres Landes als dem Sowjetmuster entsprechend ausgewiesen haben – s. .2.9.
4.4 Weitere politisch eingespannte bis mißbrauchte Bereiche des Seelenheilkunde kamen mit der Zeit in unser Blickfeld, u.a. Psychotherapeutisches. Das 2003 von uns aufgebaute „Internationale Netzwerk der Freud-Kritiker“ (INFC) ist fraglos ein Erfolg. Es brachte u.a. neue internationale Kontakte, verstärkte freilich auch den Zwist mit der Ärzteschaft. Ähnlich tat und tut es die Behandlung der Psychiatrie-Reform, die vor über 30 Jahren mit der Psychiatrie-Enquête begann und die sich heute mit der Gesundheitsreform auf das gesamte Gesundheitswesen erstreckt.
Bleiben wir aber erst noch bei der Psychotherapie. Das Buch von Fuller Torrey Freudian Fraud (.3.) zeigt allein, wie die Freud’sche Lehre und Bewegung in den USA an Boden verloren hat. „Drüben“ kümmert sie vor allem, weil die Krankenkassen nicht mehr wie früher für sie aufkommen. Ihre Unergiebigkeit wurde jüngst auch von einer deutschen Krankenkasse, der Gmünder Ersatzkasse (GEK) konstatiert. Hierzulande ist Freud’s Sache gleichwohl immer noch ein Millionen-Betrieb, personell überwiegend von Nicht-Ärzten, Psychologen, Sozial-Pädagogen getragen.
Für den Schwindel haftet in erster Linie gleichwohl die Ärzteschaft. Sie deckt ihn. Sie hat ihn erst möglich gemacht. Dabei richtet sich unsere Kritik keineswegs gegen Psychotherapie generell. Sie richtet sich allein gegen eine ärztlich ihr aufgedrückte haltlose Dogmatik. Es geraten hierzulande aber, kommen sie auf Freud zu sprechen, auch andere immer noch ins Schwärmen. Als „Entdecker der Verdrängung, des Unbewußten und des ‚Es’“ wurde Freud in der Welt vom 8.3. 2008 erst gepriesen.[12] Es zweifeln vielleicht selbst manche in unseren Reihen an der Sinnhaftigkeit des Kampfes auch an dieser Front.
Zu vergessen ist aber nicht: Psychoanalytiker waren unter Lenin und Trotzki engagiert am Aufbau des Sowjetsystems beteiligt. Sie betrieben damals bereits die Schaffung eines „neuen (Sowjet)menschen“. Manche meinen, es sei ähnliches bei uns heute in Gang (vgl. G. Kuby, Auf dem Weg zum Gender-Menschen, RB 2/07, 4). Ich wiederhole das Zitat des russischen Psychologen A. Etkind in RB 1/07, 5.8, Kasten: „Daß Psychoanalyse und Sozialismus zwingend etwas mit einander zu tun haben, ist ein Gemeinplatz der Ideengeschichte…“ Gezielt wurde das Zusammenwirken beider Lehren, die Bündelung quasi ihrer Kräfte, vom Frankfurter Institut für Sozialforschung betrieben, der Frankfurter Schule. Die 68er Bewegung war ihr unmittelbares Ergebnis.
Als ihr wesentliches Agens ist der Freudismus hierzulande heute fest etabliert.[13] Politischer Order oder eigener Eingebung folgend, haben die Ärzte ihn, über Jahre hingestreckt, mit Argumenten, Strukturen und Abrechungsziffern versehen, mit Raffinesse aufgebaut. Letztlich waren und sind es freilich wieder Gerichte, hier das Bundessozialgericht in Kassel, die das System der Freud’schen Praxis (und Betrügerei) fixierten, indem sie für sie (mit einem Urteil vom Januar 2004) speziell gesicherte Vergütungen verfügten, teilweise höhere Einkommen als mit „normal-psychiatrischen“, real krankheitswehrenden Leistungen erzielbare. Nicht wenige meiner psychiatrisch-psychotherapeutischem Kollegen leben ausschließlich von psychoanalytischer Betätigung.[14] Sie verteidigen sie natürlich, wenn angezweifelt, mit Zähnen und mit Klauen.
So kommt es, daß Freud hierzulande öffentlich kaum mehr hinterfragt wird. Die deutschsprachigen Gelehrten, die den Freud’schen Axiomen einst aufs entschiedenste entgegentraten, sind verstummt. Wir erleben gerade ein Jubiläumsjahr der 68er, in dem über sie viel publiziert wird. Nirgends aber wird ihre Verankerung im Freudismus erwähnt.[15] Dabei sind die Axiome, nochmals sei’s gesagt, in den englischsprachigen Ländern heute so gut wie erledigt. International ist so viel fundierte Kritik im Umlauf, daß unsere Gegner fast schon auf verlorenem Posten stehen. [16]
Offensichtlich weil Freud international doch anrüchig geworden ist, nehmen auch einzelne unserer namhaften Psychiater schon von ihm Abstand. Sie sprechen kaum mehr von ihm, sprechen, wenn sie glänzen wollen, von „innovativen Schüben“ des Fachs, die etwa in der „Akzeptanz sozialpsychiatrischer Ansätze, der Integration verhaltenstherapeutischer Methoden“ und anderem bestünden.[17] Vor kurzem noch rangierte die Psychoanalyse weit vor der Verhaltenstherapie. Wie sehr die jahrzehntelange Freud-Dominanz die Entwicklung wirksamer Therapien behinderte, wie sehr sie unter den Psychiatern Verständigung und Vertrauen zerrüttete, ist noch gar nicht zu ermessen.
4.5 Den breitesten Konflikt aber warf jetzt, ich erwähnte es schon, die Gesundheitsreform in der Öffentlichkeit wie unter den Ärzten auf. Heftigen Widerstand leisten etwa die Hausärzte gegen „die Politik“ (die CSU registrierte ihn jüngst, weil er ihr eine Wahl verhagelte), Widerstand aber auch gegen die Ärzteschaft (Ärztevertretung) selbst. Sie hat sich u.a. den Hausärzteverband heute zu ihrem entschiedenen Gegner gemacht. Ich muß da aber ein wenig ausholen.
Die Reform des Gesundheitswesens in ihrer schrill-sozialistischen Form begann mit der Psychiatrieform in Folge der Enquête von 1975. Während viele niedergelassene Kollegen mit den Hausärzten jetzt die Lebensfähigkeit ihrer Praxen nachdrücklich, vielleicht schon mit einem Mut der Verzweiflung verteidigen, drängten unsere psychiatrischen Kliniker, voran unsere Ordinarien, damals vehement in die gegenteilige Richtung „sozialpsychiatrischer Ansätze“ (s. o.), u.a. zur flächendeckenden Einrichtung psychiatrischer Ambulanzen etc. Von Anfang an bedeutete das Verdrängung der nervenärztlichen Einzelpraxis. Für sie aber trat ich ein, weil allein aus ihr heraus unser Kampf zu führen, unsere Vereinigung zu bilden, die Begründungen dieser Reform zudem immer fadenscheinig waren, Freud-gestimmt obendrein. Nur selbständige, unabhängige Ärzte sind in der Lage, so schien mir, gegen ein Meinungsklima wie den roten „68er mainstream“ Opfer rot-psychiatrischer Repression zu verteidigen. Für die meisten meiner Fachkollegen war das freilich kein Anliegen. Es waren „nach-68er Jahre“, dem Kommunismus zuneigende!
Angesichts der Niederschlagung des Aufstands in Tibet erleben wir heute lebhafteren Protest gegen rote Unterdrückung. Damals aber trieb der 68er Rausch nicht nur wilde Studenten, noch wildere Terroristen und in der Seelenheilkunde nicht nur unsere Ordinarien, sondern auch die niedergelassenen Nervenärzte und ihre Repräsentanz, den BVDN, zu regelrechter Zuarbeit zur roten Diktatur. Auf diesem Hintergrund geschah es, daß auch letztere nicht nur Menschenrechtsverletzungen im Sozialismus, den politischen Mißbrauch ihres Faches, sondern auch die schon hervorlugende Bedrohung ihrer freien Berufsausübung ignorierten. Mit vielen Mahnungen (z.B. Weinberger F., Achillesferse Psychiatrie oder: Der Countdown einer Sozialisierung, DÄ 50/1973, s. auch 2.10) blieb ich damals allein. Die niedergelassenen Nervenärzte himmelten ihre Ordinarien an. Von „Dummköpfen oder Verrätern“ hätte Adenauer gesprochen. Vielleicht handelte es sich auch nur um Masochisten. 90% der psychisch Kranken versorgten sie damals und nahmen es hin, im „Zentralen Redaktionsteam“ der Enquête-Kommission allein gegen viele wortgewaltige Kliniker von einem Mitglied des Bundesvorstands der ASÄ (Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Ärzte) „vertreten“ zu werden. 1977 ließen sie den Deutschen Ärztetag für den Enquête-Bericht, das Programm ihrer Existenzvernichtung, noch „Dank und Anerkennung“ aussprechen, für den Ausbau des Freud-Flops dazu.
Mit der 68er Kulturrevolution vollzog sich der große Mentalitätswandel unter den Ärzten allgemein. Wenn viele von ihnen, vor allem Allgemeinmediziner, Hausärzte heute noch die freie Praxis verteidigen, so sind’s doch nur wenige, die zu den überkommenen Werten von Recht und Freiheit stehen, von der Unverfügbarkeit menschlichen Lebens ganz zu schweigen. Unter der Hand haben linke Strategen nicht nur bei den Psychiatern, sondern den Medizinern insgesamt die Führung übernommen. Darüber geriet ich in den 70ern schon in die Isolierung. Mit Prof. von Baeyer zusammen baute ich dagegen unsere Vereinigung auf. Die Ausgrenzung durch die Kollegen-Mehrheit und die „politisch-publizistische Klasse“ blieb aber bis heute.
Ein Rattenschwanz von Fragwürdigkeiten hängt den „sozialpsychiatrischen Ansätzen“ an. [18] Ich wies früher schon darauf hin (RB1/06,2 und 1/07,8), daß die Bundesärztekammer Fortbildung und Standards für die Begutachtung (gewiß nicht nur) von Migranten durchwegs in Händen von Linksextremen gelegt hat. Verwunderlich ist’s von daher kaum, wenn Stasi-Opfer wie Kathrin B. (2.1) als Gutachter jetzt auf frühere Mitarbeiter gar des KGB treffen (Seite110 ihres o.g. Buches).
Die Gegensätze, die über der Psychiatriereform aufbrachen, überschatten mit der aktuellen Gesundheitsreform jetzt das gesamte Gesundheitswesen. Ein Trick aller Beteiligten ist’s, auf’s fehlende Geld abzustellen, Geldverschwendung dazu immer anderen vorzuhalten. Die Ärzte, die den Freud’schen Schwindel lancierten, zeigen auf die Krankenkassen, wenn sie „K-Urlaube“ bezahlen usf. Die neue Reform wirbelt aber auch die Parteien auf. CSU-Landesgruppenchef Ramsauer bezeichnete sie kürzlich als „ganz große Gaunerei“. FDP-Westerwelle sprach ob des geplanten Gesundheitsfonds von „Kassensozialismus à la DDR“.[19] Auf die vorausgegangene Psychiatrie-Reform passen die Worte noch besser. Sie brachte flächendeckend psychiatrische Institutsambulanzen (PIAs),[20] über die niedergelassene Nervenärzten heute laut wehklagen, brachte den Sozialismus in Land allgemein voran. An dieser Reform aber haben alle mitgewirkt. Soll uns freuen, daß es heute teilweise wenigstens eine Mobilisierung der Ärzte gibt? Ob die verschiedenen neuen Initiativen, etwa die „Freie Ärzteschaft“, unsere Positionen auch nur in wenigen Punkten mittragen und ob ihre Strategien noch die geringste Erfolgschance haben, steht dahin. Es gilt auch hier wohl das Wort Gorbatschows: „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“.
4.6 Zur 68er-Kulturrevolution gehörte die veröffentlichte Meinung. Uno sono warb sie für die Vergesellschaftung der Seelenheilkunde. Rainer Flöhl, der Leiter des Ressorts Natur und Wissenschaft der FAZ, meinte am 27.12.2007 erst, niedergelassenen Nervenärzten – von ihnen werden im Jahr heute noch 10 Millionen Kranke, 600.000 aber bereits von PIAs versorgt (DNP1/08) – werde es in Zukunft „auch bei größtmöglichem Engagement kaum noch gelingen, eine Rolle in der sozialpsychiatrischen Versorgung zu übernehmen“, so als sei psychiatrische Versorgung heute nur als sozial(istisch)-psychiatrische denkbar. Viele andere Medien tönten ähnlich. Daß es auf dem gesellschaftlich sensiblen Gebiet der Psychiatrie-Reform bald keine freie Diskussion mehr gab, das Meinungsklima hier schier totalitäre Züge gewann, nahm sich oft schon beängstigend aus.
Es hinterließ den Eindruck, als sei das ganze Unternehmen der Gesundheitsreformen „von oben“, von allerhöchsten Etagen aus längst geplant gewesen – die Sachverständigenanhörungen der Psychiatrie-Enquête letztlich ein Affentheater, um der längst beschlossenen Gesellschaftsänderung ein demokratisches Aussehen zu geben. Von der Enquête an haben unsere Sozialpsychiater die „umfassende Versorgung“ der psychisch Kranken gefordert, Politiker und ihre publizistischen Helfer die umfassende Vergesellschaftung des Gesundheitswesens Schritt um Schritt vorangebracht. Auch nur einen kleinen berichtigenden Leserbrief in die Zeitungen zu bringen, war und ist seit Jahrzehnten unmöglich. Sozialpsychiatrie ist das eifrigst unter Observanz gehaltene Thema der Seelen(heil)kunde
Kopiert wurde ihr Konzept, wie schon erwähnt, von der amerikanischen Mental-Health-Bewegung, der Hochstimmung der „Great Society“ (3.3). Sie überhöhte Einzelheiten der Heilbehandlung wie die soziale Re-Integration der Kranken, die jede Heilbehandlung intendiert, setzte ihre herkömmliche Orientierung am individuellen Menschen herab und näherte sich mit der Akzentuierung „sozialer“, „integrierter Versorgung“ der Intention eines G. Brock Chisholm, wenn nicht eines Leon Trotzki an. „Drüben“ machte das Konzept wie zuvor in Rußland zwar schnell Pleite. Die „enthospitalisierten“ schwer Kranken landeten „drüben“ anstatt, wie versprochen, re-integriert zu werden, auf der Straße. Hierzulande aber hält die „sozialpsychiatrische Hochstimmung“ – unentwegt heizt sie auch die Fachpresse an – viele Fachleute und ihre politischen Administratoren, auch solche der CDU und CSU, weiter besetzt. Sie glauben offensichtlich das US- (oder UdSSR-)Modell doch noch zu großen Erfolgen führen, den „neuen Menschen“ vielleicht doch noch schaffen zu können (RB 2/07,4). Viele haben ja auch ein Gesicht zu verlieren. [21]
Bei der nachhaltigen Protektion der „sozialpsychiatrischen Ansätze“ wundert es nicht, daß sich der wissenschaftliche Nachwuchs für sie begeisterte, manche Professoren für sie auch falsche Versorgungszahlen auffuhren oder richtige Zahlen falsch deuteten (H. Dilling, RB 2/07, Fn 50). „Freud’sche“ Beratung und Sozialpsychiatrie haben weithin das 68er Meinungsklima geschaffen. Darüber hinaus sind zu unserer Überwachung, zur Speicherung persönlicher Daten, Kontrolle und Führung des Denkens vielfältige Mittel und Methoden einsetzbar. Eines der zur Zeit forcierten Mittel ist die elektronische Gesundheitskarte, mit der Diagnosen, Arztbriefe weithin einsichtbar werden. Daß wir von aller offiziellen Aufarbeitung der Psychiatriemißbräuche ausgeschlossen wurden, hat sicher mit unserer Kritik an der Sozialpsychiatrie und den sie begleitenden Gesellschaftsutopien zu tun, die ich vor Jahrzehnten schon vorgetragen habe. Just an ihnen scheint ja den Regierenden in Sonderheit zu liegen.
Sehen Sie es mir, liebe Mitglieder, bitte nach, wenn ich hier vielleicht zu sehr auf ärztliche Berufspolitik und teilweise auch Spekulatives eingegangen bin. Aber daß von hier Verbindungen zu unseren näheren ethischen Anliegen bestehen, das ist wohl evident. Vorbeugung vor und Abwehr, Abhilfe von Übergriffen der Profession verlangen, daß auch ihre Existenz- und Rahmenbedingungen besprochen werden.
4.7 Ein Wort zu den Opfer-Verbänden, an deren Arbeitsgebiet das unsere ja angrenzt und zu denen es auch fruchtbare Querverbindungen gibt. Sie haben vielleicht in den Medien von den heftigen Fehden und Spaltungen zwischen hie der UOKG (der Union der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft) und da der VOS und dem BSV gelesen, letztere dabei (aber bisher verhindert), sich zu vereinigen. Wir brauchen da nicht Partei zu ergreifen. Um den Psychiatriemißbrauch haben sich beide Seiten wenig gekümmert. Mitunter kann man den Eindruck gewinnen, als würden auch bei ihnen wie bei den Ärzten Pannen und Entzweiungen „von oben“ arrangiert nach der alt-römischen Devise “Teile und herrsche.“ Insgesamt wirken in den verschiedenen Vereinen mit den Opfern der Gewaltherrschaft doch deren standhafteste Widersacher, dient der gegenwärtige Zwist unter ihnen vielleicht gar der Klärung.
Die Distanz dieser Vereine und Verbände zur Mißbrauchsthematik bleibt dennoch befremdlich. Wir haben systematischen, sowjetähnlichen Psychiatriemißbrauch in der DDR und die Art seiner Abdeckung nach der Wende schon in RB 1/97,3-10 umfänglich dargelegt. In Halle führte ich, die Zersetzung mittels „operativer Psychologie“ einbeziehend, aus: „An Raffinesse wie in der Zahl der Opfer übertrifft der ‚Psycho-Mißbrauch’ in der DDR den der Sowjetunion eher, als daß er geringer gewesen wäre“ (RB 2/07,2.6). Daß Politiker und Medien weiter behaupten, es habe in der DDR keinen solchen Psychiatriemißbrauch gegeben, geht auch auf sein Beschweigen durch die Opferverbände, -Vereine zurück. Auch die ärztliche Gutachter-Praxis (4.5) nachdrücklicher zu hinterfragen, fanden sie bisher nicht für notwendig, so sehr das ihre Schutzbefohlenen gefährdet. Unsere Überzeugungsarbeit scheint bei ihnen nicht recht angekommen zu sein.[22], [23] Vielleicht sitzen freilich auch bei ihnen einige Quertreiber (V-Leute?), die sie auf Mainstream-Linie halten und die sie so schnell nicht los werden können. Wir haben solche ja selbst zur Genüge kennengelernt (RB 2/91, S.45 und 4/99, Fn5).
4.8 Verwirrend war lange das sozial(istisch)psychiatrische und psychotherapeutische Faible im christlichen, auch katholischen Lager bei solchen, die ihre ethische Orientierung besonders herausstellten. Wohl verständlicher Weise suchte ich immer wieder gerade dort Verbündete. [24] (Die weiteren, von der Versammlung, auch vom christlich engagierten Prof. Schneider von Mitwissen & Mittun lebhaft diskutierten Ausführungen sind in Kapitel 6 zusammengefaßt).
Vom einem Linksruck der CDU reden seit der Hessen-Wahl im Februar viele, u.a. der langjährige politische Redakteur der FAZ Prof. Günter Gillessen (JF vom 15.2.08). Wie viel dazu auch seine Zeitung beigetragen hat (4.6), erwähnte er nicht. Das Mitgehen der Union bei der Gesundheitsreform, ihre Initiative gar zur Psychiatrie-Reform zeigten in den 70ern wohl den ersten Ruck an. Die „politisch-publizistische Klasse“ wehrte einzelnen Auswüchsen der 68er Bewegung, dem RAF-Terror etwa, griff die meisten Facetten der Kulturrevolution bis eben zur Vergesellschaftung des Gesundheitswesens aber bereitwillig auf. Zur Rechtfertigung der marx-freud’schen Revolution und eigenen Entlastung wird unionsnahe heute gern die Überwindung von „bigotter Moral, Autoritätsgläubigkeit und spießiger Kleinkariertheit“ vorgeschoben (W. Schönbohm, DIE WELT, 28. 04.08). Daß die Ärzte mitliefen, dafür zahlen sie jetzt.
Wurde und wird da vielleicht ein übergeordneter Plan verfolgt? Werden kommunistische Varianten von ganz oben genährt, um die Verhältnisse je nach „oberem“ Gutdünken aufzumischen? Erinnern wir uns, daß Trotzki, der Gründer der Roten Armee, 1917 nach kurzem Aufenthalt in New York mit einem amerikanischen Paß und einem Schiff voller Geld nach Rußland zur Auslösung der Oktoberrevolution fuhr.
4.9 Wenn wir die Heerscharen der Gegner, viele „Großköpfe“ unter ihnen, nochmals Revue passieren lassen, kann einem schwindlig werden. Da eine Klage gegen die Bundesärztekammer erheben? Wenn die Gegenseite in die Streit-Hauptsache des Psychiatriemißbrauchs nur unsere Kritik an Freud bei Gericht einfließen läßt – nach dem englischen Dichter H.W. Auden stellt Freud allein schon „a whole climate of opinion“ dar, „ein ganzes Meinungsklima“ bildet sie insbesondere noch in Deutschland -, wie sollten wir da eine Chance haben? Hinzu kommt, daß andere Gruppen im Land wirken, bei denen teilweise ähnlich Psychiatriekritisches anklingt wie bei uns, dieses dort aber auch mir – ich denke an die Scientology-nahe KVPM – als schlicht hetzerisch erscheint. Von ihr hielten wir immer Abstand, wenn auch einzelne(s) von ihr mitunter richtig beobachtet wurde(n), etwa Chisholm. Wer uns übel will, muß uns nur gezielt öffentlich „verwechseln“.
Wie viel mag uns das schon gekostet haben? Sollte die erwähnte Aversion braver Christen daher rühren? Hätten nicht gerade sie Grund gehabt, unsere Sache zu unterstützen, Grund, bei unrechten politischen Zugriffen auf das Fach hellhörig zu sein? Haben dem Nazi-Massenmord an den psychisch Kranken nicht gerade Bischöfe die Stirn geboten und ihn zumindest eingedämmt? Oder rührt das christliche Schweigen zu den aufgezeigten Übergriffen der jüngeren Zeit eher aus einer allgemeinen Abneigung gegen „Psycho“ ? Wie gegen all die aufgezeigte Übermacht, hie verbreitete Feindseligkeit, da noch verbreitetere Gleichgültigkeit, auf Dauer durchhalten?
Nun, über mehr als 30 Jahre haben wir durchgehalten. Es reizt auch, gegen die durchsichtige Dreistigkeit der Gegenseite zu löcken. Zuviel Anstrengung kostet es auch nicht. Die Schmähkritik der Bundesärztekammer mag bei den Ihren verfangen. Die Aktivität, die sie miesmacht, hat Bundespräsident Köhler mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Und sie hat viel bewirkt, hat manchen Ehre und Existenz gerettet und hat – ich erinnere an unsere Mitbeteiligung an der KSZE-Konferenz in Wien – vielleicht ein wenig gar mitgeholfen, das „Evil Empire“ zu kippen. Den Vorwurf des Psychiatriemißbrauchs akzeptierten seine Vertreter dort im März 1987 erstmals widerspruchslos (RB 2/89). Das war vielleicht das erste Zeichen der kommenden Wende.
Und es sind da und dort auch immer wieder neue Initiativen, neue Mitstreiter an unsere Seite getreten. Auch waren all die Menschen unserer Mühe wahrlich wert, denen wir aus der Bredouille helfen, sie gegen Verunsicherung und Entrechtung, gegen drohende oder schon eingetretene unrechte „Psychiatrisierung“ verteidigen konnten. Auf Wahrhaftigkeit und Recht im Land haben wir hingewirkt. Zudem meine ich, daß unsere Zusammenarbeit, schon unsere Treffen bei den Jahresversammlungen über all die Zeit etwas Erfreuliches, für alle Angenehmes an sich hatten. Warum also sollten wir die Arbeit nicht fortsetzen? Genug gibt es zu tun…
Jetzt aber von der direkten Rede wieder zurück zum Berichten und hier insbesondere zur „Freud’schen Angelegenheit“. In ihr liegt die Hauptursache der heutigen Krise, liegt „der Schlüssel zum Bewußtsein der Zeit“ (RB 2/07, 7.5). Auf daß aber bei uns keine Einseitigkeit aufkomme, zuerst noch ein kurzer Blick auf die Psychopharmakotherapie. Auch da sind kritische Anmerkungen angebracht.
5. Zu aktuellen Diskussionen der Psychopharmakotherapie
5.1 Um Mißverständnissen vorzubeugen: Unsere Kritik richtet sich gegen alle Psycho-Flunkereien, nicht nur solche in der Freud’schen Psychotherapie.
Einer Meldung der NEW YORK TIMES vom 25.11. 2007 zufolge unternahm der amerikanische Psychiater David Carlat einen „march of shame“, einen „Marsch der Schande“, um für Gespräche zu büßen, bei denen er Kollegen über das Antidepressivum Venlafaxin „berichtete“. Die Herstellerfirma Wyeth hatte ihn dazu geworben. Sie bezahlte ihn dafür gut, für eine Stunde “Lunch and Learn Talks“ in psychiatrischen Praxen während der Mittagspause. Er spürte mit der Zeit aber über dem ihm (anfangs diskret) abverlangten Schönen des Präparates doch eine Unbehaglichkeit, so daß er die Tätigkeit schließlich aufgab. Er wirft sich jetzt vor, vielleicht „unangemessenen Verschreibungen“ seiner Kollegen Vorschub geleistet zu haben.
5.2 Nun ist das Schönen in der Werbung, „im Kapitalismus“ allgegenwärtig. Dennoch ist dieser anderen Systemen vorzuziehen. U.a. hat die Pharma-Industrie im Kapitalismus hervorragende Heilmittel hervorgebracht, im Sozialismus so gut wie nichts. Und diese Heilmittel haben aus der Psychiatrie das erfolgreiche therapeutische Fach gemacht, als das sie uns heute begegnet. Krankheitsleid haben sie zwar nicht abgestellt, aber oft wesentlich gemildert – auch im Fall der Depressionen. Für die Industrie hoch profitabel, sind die Psychopharmaka wie der Kapitalismus insgesamt gleichwohl nicht jeder Kritik enthoben. Allein mit der Werbung kommt mitunter ein arger Falschton in die Medizin hinein. Ein Großteil der Fachpresse wird ja von „Big Pharma“ bezahlt.
5.3 War’s nicht Pharma-Falschton, als es etwa im Deutschen Ärzteblatt vom 12.10.2007 unter der Überschrift „Menschen mit Depressionen“ hieß: „Wird eine Depression rechtzeitig erkannt und behandelt, kann in der Regel auch ein Suizid verhindert werden“? Aber „obwohl Antidepressiva und wirksame psychotherapeutische Maßnahmen zur Verfügung stehen, wird nur eine Minderheit der Erkrankten optimal behandelt“ – auf deutsch: kommt es unnötig zu Suiziden. Es tönten da zusammen die neue Psycho-Referentin des Deutschen Ärzteblattes Petra Bühring und der neue Psycho-Ordinarius in Leipzig (vormals München) Prof. U. Hegerl, Sprecher auch des „Kompetenznetzes ‚Depression Suizidalität’„. Diesem sind „Bündnisse gegen Depression“ angeschlossen, „die es inzwischen an 36 Orten in Deutschland“ gebe. „Informationsdefizite“ müßten, so Bühring, Hegerl & Co. weiter, „ausgeglichen werden. Die European Depression Association“ habe so „den Europäischen Depressionstag ausgerufen.“ Ziel sei, „das Bewußtsein für diese Erkrankung bei Ärzten, Patienten, Angehörigen und Pflegekräften zu erhöhen…“
5.4 Fakt aber ist, daß Suizidneigungen rechtzeitig oft nicht erkennbar und auch Antidepressiva nicht immer wirksam sind, geschweige, daß sich mit ihnen das Lebensglück eines Menschen arrangieren ließe, mit Freud’scher Psychotherapie im Übrigen noch weniger (s. 3.7). Was könnte auch ein Kranker überhaupt noch von Ärzten erwarten, wenn die Behandlung selbst häufigster Krankheiten wie die der Depressionen schon an ärztlichen Informationsdefiziten krankte? Weniger arzt- und versorgungskritisch aber kam der Beitrag daher als vielmehr selbstüberheblich, „bündnis-gläubig“, „sozialpsychiatrisch“ eben und pharma-spitz.[25] Fälschlich tat er so, als sei Depressionen vor allem durch administrative Arrangements und Geschäftigkeit (bairisch: G’schaftlhuberei) sowie natürlich durch mehr Psychopharmaka im Handumdrehen abzuhelfen.
5.5 Als Resümee einer Übersichtsarbeit des Psychologen I. Kirsch, Hull, U.K., ging kürzlich durch die Presse, Antidepressiva seien nicht wirksamer als Placebos. Nun setzen Psychologen die Mittel gern herunter, um ihre Künste, Psychotherapie u.a. heller leuchten zu lassen. Dabei sind diese, sofern überhaupt wirksam, auf Placebo-Wirkung besonders verdächtig. Kaum weniger falsch aber kontern pharma-orientierte Psychiater. Besagter Prof. Hegerl, gewiß von vielen Pharma-Geldern schon gefördert, empörte sich, die Nachricht verunsichere Patienten und koste sicher „einige Menschenleben“, so als ob seine Abwertung der vielen ärztlichen Behandlungen außerhalb seiner (geld-bewehrten) „Bündnisse“ und „Kompetenznetze“ nicht ähnlich gefährlich wäre.[26] Dem großen Glück der Menschen stehen (angebliche) Organisationsmängel in der ärztlichen Versorgung gewiß am wenigsten entgegen. Wer’s als Arzt wie Psychologe, Psychotherapeut darauf anlegt, die Wahrheit, seien es auch die Grenzen therapeutischer Möglichkeiten, zu verwischen und Utopien in die Welt zu setzen, ernsthafte Kritik/er dafür auszugrenzen, hätte eher Grund, sich auf Carlats Weg zu machen. Soweit reicht die „Amerikanisierung des Gesundheitswesens“ (Fn 24) hierzulande aber nicht.
5.6 Manche unserer Schutzbefohlenen bekamen einst (andere) Psychopharmaka, etwa ProthazinR (Promethazin) unfreiwillig oder gar verdeckt-konspirativ verabreicht. Einzelne von ihnen klagen auch jetzt noch, nach Jahrzehnten über zu viel und nicht zu wenig Wirkung, nämlich über anhaltende Nebenwirkungen, Gedächtniseinbußen etc. Wir mußten und müssen ihnen sagen, der Wissenschaft allgemein und uns speziell seien von diesen Mitteln bei den möglicherweise verabreichten Dosierungen so lang anhaltende Nebenwirkungen nicht bekannt.
6. Meves’ Tiefenpsychologie
6.1 Ein näheres Eingehen braucht es noch auf die merkwürdige, ja eigentlich groteske Unterstützung Freuds durch christliche, selbst allerkatholischste Kreise. Immerhin war Freud lebenslänglich ein dezidierter Feind gerade der katholischen Kirche (3.7). Und, wie sich inzwischen herausstellte, war er zudem ein Schwindler. Wie kommt es zu der heutigen Vernarrtheit der „ganzen Christenheit“ und selbst der treuesten Katholiken in Freud? In evangelischen Kreisen hofierte, zelebrierte man ihn sogar früher schon. In und mit der Evangelischen Akademie Tutzing etwa hatte der Autor darob 1975, Jahre schon vor der Gründung unserer Vereinigung, lebhafte Auseinandersetzungen.
In Heft Nr. 92 vom November 2007 von FMG wurde der Leiter eines „kinderpsychologischen Instituts“ mit den Worten zitiert: „Wo Scham verfällt, greift Dummheit um sich, sagt Sigmund Freud“. So sehr der Satz zutreffen mag, stand nicht dabei, wo Freud ihn gesagt haben sollte. FMG, der Freudeskreis Maria Goretti, der für voreheliche Keuschheit und gegen schulische Sexualerziehung streitet, scheut sich nicht, ausgerechnet Freud dazu aufzurufen (.3.7 sowie Fn 6).
In den IK-Nachrichten 2/08[27] wieder stand der Satz: „Psychoanalytiker warnen: Ganztägige Trennungen von den Eltern stellen extreme psychische Belastungen für Kleinkinder dar…“ Auch hier keine Quellenangabe. Der „IK“, „Initiativkreis Pro sancta ecclesia“, setzt sich nachhaltig für die Wiederzulassung der lateinischen Messe in der Kirche ein. Er hat hierin die Zustimmung des Papstes erfahren, ist also eine erfolgreiche katholische Organisation, wenn auch eine bei manch zeitgeistigen deutschen Bischöfen eher mißliebige. Selbst hier aber stützt man sich, ohne mit der Wimper zu zucken, auf Freudianer-Latein.
Nun lassen die Zitate gut erkennen, was da katholische Saiten schwingen läßt, vordergründig Familien- und Mutterfreundliches. Solches kommt auch bei Psychoanalytikern einmal vor. Bei der Masse Freud’scher Äußerungen ist’s auch nicht ausgeschlossen, daß besagter Satz von der verfallenden Scham und der zunehmenden Dummheit irgendwo in Freuds Gesammelten Werken (GW) steht. Das übergroße Gros seiner Äußerungen ist jedenfalls von genau gegenteiliger, libertärer Tendenz (Fn 6). Auf dem Hintergrund nehmen sich die Zitate in den Heften von FMG wie des IK fast als Irreführung der eigenen Klientel aus!
6.2 Für Freuds Akzeptanz im christlichen Lager hat die „Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin“ Christa Meves (geb. 1925) besonders gesorgt. Von großer schriftstellerischer Begabung hat sie mehr als hundert Bücher geschrieben, übervoll an Besorgtheit über den Werteverfall, die 68er Bewegung, die „Entmutterung“ der Gesellschaft, die Entchristlichung des öffentlichen Lebens, auch der Kirchen, speziell der evangelischen, Besorgtheit über die „Mediendiktatur“, die Machtverschiebung hin zu unkontrollierten übernationalen Befehls- und Kontrollinstanzen. Meves kritisiert die „Öffnungsbewegungen, die altbewährte Grundstrukturen zu schleifen suchen – von den Konfessionen bis zu den Nationen.“ In all dem ist manch Gemeinsames mit uns.
Meves leitet das „Elternkolleg Christa Meves“ und den „Verein Verantwortung für die Familie“ und ist Mitherausgeberin des RHEINISCHER MERKUR. Sie vertritt laut Wikipedia das „konservative Familien- und Menschenbild“ und wird von ihr so auf die Seite der „katholischen Rechten“, wenn nicht ins Rechtsextreme gerückt. Von besagten 100 Büchern habe es hier mit der Besprechung eines einzigen, nämlich des Buchs Manipulierte masslosigkeit (1976: „Taschenbuch-Bestseller: 270.000 Exemplare“) und hier mit der Besprechung eines einzigen, nämlich des ersten Kapitels „Neurotische Verwahrlosung – ein Teilaspekt des Jugendproblems“ sein Genügen. Was die Autorin über Jahrzehnte sonst noch äußert, sind ja Variationen des hier Gebotenen.
Meves’ Wirken zielt auf ein „ERZIEHEN LERNEN AUS TIEFENPSYCHOLOGISCHER SICHT (einer ihrer Buchtitel). Von „Tiefenpsychologie“ redet sie grundsätzlich. Das Wort spricht wohl das tief gründelnde deutsche Gemüt besonders an, mehr jedenfalls als die kalt-wissenschaftlich klingende „Psychoanalyse“, für die es der mit Freud befreundete Schweizer Pfarrer Oskar Pfister als Synonym geprägt hat. „Die Tiefenpsychologie weiß seit 20 Jahren,“ so Meves im genannten Kapitel, „daß diese seelische Erkrankung ihre Ursache hat in der mangelnden Bindung des jungen Kindes an seine Mutter“. Zwar „weiß die Tiefenpsychologie“ gar nichts. Hätte denn eine Schwindellehre je etwas gewußt? Mit „dieser seelischen Erkrankung“ aber meint Meves konkret den Fall einer Jugendlichen, jugendlich Verwahrlosten, die als Mitglied einer Jugendbande ihr in ihrem heimatlichen Uelzen in den 70ern zu Gesicht gekommen war, Beispiel eines Phänomens, das fraglos in 68er Konsequenz etwas Zeitspezifisches war, teilweise es vielleicht auch heute noch ist („Null-Bock-Generation“).
6.3 Für Meves wie andere „Tiefepsychologen“ liegt die Ursache jeglicher Misere in der „frühen Kindheit“. Im gegebenen Fall ordnet sie sie einer Mutter zu, die, früh verwitwet, über „häufig wechselnden Männerbekanntschaften ihrem Kind nur noch wenig Zuwendung zukommen ließ.“ Als so schädlich wie das „Zuwenig“ wertet Meves freilich auch ein „Zuviel“, etwa „unangemessenes Füttern, vor allem Überfüttern“. Gegen den Entzug menschlicher Wärme und ihren Ersatz durch Materielles richtet sie sich vornehmlich. Aus besagten Ursachen mußte, meint sie, „die psychische Erkrankung ‚neurotische Verwahrlosung’ geradezu eine seuchenähnliche Gefahr in der westlichen Welt werden.“ Das „konstante Ansteigen der Jugendkriminalität“ resultiere aus frustrierten „Grundbedürfnissen nach Antriebsbetätgung“, erhöhe weiteren „Antriebsdruck, endlich satt zu werden“ und richte sich so „per Verschiebung, wie wir Fachleute sagen, auf den Raub materiellen Besitzes.“ Leichthin springt Meves von hier auch zu anderer Kriminalität. Aus dem frustrierten „Ursprungsbedürfnis Liebe“ resultierten, meint sie, auch die schaurigen, damals viel erörterten Mordtaten des Ch. Manson, die er „unter dem Verhaltenszwang seiner traurigen Vorgeschichte verwirklichen mußte“! Freien Willen, der mitunter wahrlich abgründig ist, kennen „Tiefenpsychologen“ nicht.
Meves wendet sich gegen „lässige Humanitätsduselei“, so sehr diese auch von niemandem je lässiger als „Tiefenpsychologen“ angestimmt worden ist. „Bei uns Praktikern“ (soll heißen: „Tiefenpsycholog/inn/en“) gelte die Therapie eines Verwahrlosten als so kraftzehrend, wie die von zehn Neurotikern. Ob sie zielführend ist, erörtert Meves nicht. „Nur dadurch können wir uns (!) heilen…, daß wir die Krankheit an der Wurzel packen und dem Menschen an seinem Lebensanfang die (nötigen) Entfaltungsbedingungen erfüllen“, was, da der Lebensanfang schon bei Adoleszenten ganz und gar verpaßt ist, eigentlich Resignation und Aufgabe aller einmal Gestrauchelten bedeutet. Sind aber (jugendliche) Verwahrlosung und Kriminalität wirklich „Erkrankungen“? Ist ihre „Wurzel“ wirklich am Lebensanfang zu „packen“? Wie Analytiker zumeist plädiert Meves laut Wikipedia für den „Ausbau psychotherapeutischer Behandlung im Strafvollzug“. Man dürfe zwar die „Reversibilität eingebahnter krimineller Verhaltensstörungen nicht leichtfertig überschätzen.“ Aber Delinquenten könne doch „ein Strafvorwurf gar nicht gemacht werden“, womit wir wieder bei Einschätzungen wie denen von Leopold und Löw (s. 3.3) wären. Eigene Verantwortung oder gar Schuld kennen Tiefenpsycholog/inn/en, Psychoanalytiker nicht. Schuld haben allenfalls andere, hat zuvörderst die Mutter, gleich ob sie zuviel oder zu wenig oder was auch immer sie getan hat. Das gehört zur tiefenpsychologischen „Mutter- und Familienfreundlichkeit“.
6.4 Alle psychoanalytisch-„tiefenpsychologischen“ Annahmen einer Prägung des Menschen in der frühen Kindheit fußen auf Freud. Torrey geht in dem vorgestellten Buch (.3.2) näher darauf ein. Er führt u.a. eine schon 1929 in Ohio durchgeführte Studie an, die die Entwicklung von 650 Kindern von der Geburt bis zum Alter von 18 Jahren verfolgte. Ergebnisse wurden von ihrem Leiter Dr. Sontag, einem Freudianer, nie mitgeteilt. Es zeigte sich nämlich rasch, daß die von Tiefenpsychologen so betonten Faktoren Brust-Ernährung oder Toilettentraining nur sehr geringe Auswirkungen auf das spätere Leben haben. Torrey ruft dazu weitere Autoren auf: H. Orlansky, P. Kline, S. Fisher und R. Greenberg, H-J. Eysenck und G.D. Wilson, G. Vaillant u.a. Ihre leicht im Netz auffindbaren Studien zeigen, daß weder die orale, anale oder phallische „Entwicklungsstufe der kindlichen Libido“ noch die aus ihnen abgeleiteten Charakterzüge des Erwachsenen, Freud’sche Postulate allesamt, eine wissenschaftlich erhärtete Basis haben. So führt nach Freud selbst das in die „anale Phase“, ins Alter von 18 bis 24 Monaten fallende Toilettentraining, wenn zu früh, zu spät, zu streng oder zu „libidinös“ (genußvoll-lässig) praktiziert, zu „Fixierungen“ und in der Folge zu Charakterzügen wie Ordentlichkeit, Sparsamkeit, aber auch Neigung zu Homosexualität, Paranoia oder Verstopfung. Die Studien, die dazu korrekt durchgeführt (und von o.g. Autoren berichtet) wurden, lassen solche Korrelation jedoch nicht erkennen, weisen eher auf genetische Verbindungen, ähnliche Züge etwa von Ordentlichkeit bei Eltern und Kindern.
Ähnlich unbelegt sei, so Torrey, die „tiefenpsychologische“ Unterstellung einer regelhaft beim Knaben auftretenden Kastrationsangst als Teil des Freud’schen Ödipuskomplexes. Die gleiche Wirklichkeit sei an ihm wie am schottischen Monster Loch Ness. Wie sei auch zu erklären, daß von der Beschneidung, einem wohl schmerzhaften Eingriff der frühen Kindheit, einem „Trauma“, nie bleibende psychische Schäden berichtet worden sind?
Auch zur psychoanalytisch orientierten Erziehung liegen „harte“ Ergebnisse vor. Nach einer Studie des einflußreichen US-Pädiaters (und Freudianers) B. Spock hatten in 21 von ihm kontrollierten Fällen tiefenpsychologisch instruierte Mütter bei der Aufzucht ihrer Kinder nicht weniger, sondern mehr Probleme. Auch hat man noch nichts davon gehört, daß Angehörige der mit Tiefenpsychologie vollgestopften Psycho-Berufe als Eltern besser führen, als andere Leute. Mit ihrer exorbitanten Zunahme hat noch keine „psychische Gesundheit der Bevölkerung“ zugenommen. Die Suizidrate blieb unverändert, die der Kriminalität stieg erheblich an. Die Zwillingsforschung hat weitere Hinweise für die eher untergeordnete Bedeutung frühkindlicher Erfahrungen ergeben.
Zwei Autoren stellen die Tiefepsychologen als Kronzeugen gern heraus, René Spitz und John Bowlby. Der erste hat Entwicklungsrückstände bei englischen Heimkindern während des 2. Weltkriegs beschrieben, der zweite ähnlich negative Effekte bei Waisenkindern. Die Lebensbedingungen ersterer waren, wie Torrey schreibt, vergleichbar jenen in rumänischen Waisenhäusern der jüngeren Vergangenheit, so daß an besagten Rückständen nichts wundert. Bei „den Kindern“ des Letzteren wiesen Nachuntersuchungen im Adoleszenten- oder Erwachsenenalter keine signifikanten Defizite nach.
6.5 Dabei räumen alle, die am tiefenpsychologischen Glauben an die lebensentscheidende Bedeutung frühkindlicher Traumata im allgemeinen und am noch Freud-spezifischeren Aberglauben an sexuelle frühkindliche Traumata rütteln, selbstverständlich Beeinflussungen und Einflußmöglichkeiten durch das Milieu, durch Erziehung und so auch durch Psychotherapie ein. Auch bekennt der Autor, der ein rechtes Muttersöhnchen war und bei zeitweiligen Trennungen arg gelitten hat, seine grundsätzliche Zuneigung zum Meves’schen Familien- und Mutterbild. Wissenschaft darf sich jedoch keinen persönlichen Vorlieben beugen.
Wieviel Verunsicherung, wieviel haltlose Schuldzuweisungen an Eltern, insbesondere an Mütter haben Tiefenpsychologen schon vom Stapel gelassen, wieviel insbesondere die „mutterfreundlich“ auftretende Christa Meves? In ihrem Lager beklagt man das „harte“ Konzept der Veranlagung, stellt das Konzept der frühkindlichen Erlebnisprägung – gern verweist man auf Konrad Lorenz’ Graugans-Prägung – als menschenfreundlich heraus und scheut sich nicht, mit der falschen Alternative die Menschen zu verunsichern und zu ängstigen.
Wie haben doch gerade die christlich firmierende Propagierung der Psychoanalyse und ihre Tarnung als „Tiefenpsychologie“ die Akzeptanz Freuds im bürgerlichen Lager und mit ihr in der Ärzteschaft vorangebracht, mit ihr den Freud-Marxismus, die 68er Bewegung, denen zu wehren Meves vorgibt. Wiederholt sprach der Autor sie brieflich wie mündlich-öffentlich darauf an. Ihre Antwort war immer: Sie habe ihre Ausbildung an Schwidders neoanalytischem Institut in Göttingen erfahren, als habe sie so mit Freud gar nichts mehr zu tun. Und noch jedes Meves-verehrende, konservative Auditorium akzeptierte das.
6.6 War und ist auch der Inhalt Freud’scher „Tiefenpsychologie“ antichristlich (s. 3.7), so scheint der fromme Anstrich, den Meves ihr gab, einigen deutschen Kirchenmännern willkommen gewesen zu sein. Seitdem Seelsorge weniger gefragt ist, konnten sie mit der „Tiefenpsychologie“ und damit aufgepumpten Psychologen, Sozial-Pädagogen, Sozialarbeitern über die Beratungsstellen ihrer Wohlfahrtsverbände in die Seelenbetreuung neu einsteigen und sich mit dem ersten Generalsekretär der WHO Chisholm (RB 2/00) daran machen, „das älteste und blühendste parasitäre Wachstum in der Welt zu entwurzeln und zu vernichten, den Baum der Erkenntnis von Gut und Böse“, was ihm zufolge ja vornehmstes „Ziel aller effektiven Psychotherapie“ ist. Sie konnten zudem damit sozialpsychiatrische Kompetenz beanspruchen, bei der Psychiatrie-Enquête von 1975 (s.o.) mitmischen, die Seelenheilkunde weiter ins freud-marxistische Fahrwasser treiben und fast guten Gewissens die Subventionen einstreichen, die solche Beratungsdienste staatlicherseits genießen.
6.7 Nachdem möglicher Widerstand des wertbewahrenden, christlichen Lagers gegen Freud damit abgefangen war, konnte die deutsche Ärzteschaft „aufdrehen“ und einzig in der Welt es wagen, seine Pseudowissenschaft zum ärztlichen Fachgebiet zu erheben. Und unsere Politiker konnten sie gesetzlich etablieren. Heerscharen von „Tiefenpsychologie“-Verkündern sind inzwischen in allen Bereichen, in allen Winkeln der Gesellschaft am Werk.[28] Natürlich blieb die Linke dabei immer das beste Treib- und Tollhaus des Freudismus.
6.8 Nun hat Papst Benedikt XVI. im November 2006 „gruppendynamische Rollenspiele, Selbsterfahrungsgruppen und andere psychologische Experimente“ zumindest aus der Priesterausbildung verbannt, weil sie, allesamt Abkömmlinge Freud’scher Ideen, „Verwirrung und Unsicherheit“ stiften (RB 1/07,6.4). Gewiß dachte der Papst dabei auch an das übrige (Kirchen-)Volk. Im oft gespannten Verhältnis zwischen Kirche und Wissenschaft hat erstere viel Land gut gemacht, seitdem Bischöfe mannhaft dem von hohen Wissenschaftlern betriebenen Nazi-Morden in der Psychiatrie entgegengetreten sind. Dennoch unterlag, wie 1977 der damalige Kardinal Ratzinger fand (IK-NACHRICHTEN 1/08), die kirchliche Praxis in Deutschland jetzt „der Wegweisung durch die Gelehrten… Die Rolle, die die Theologen auf dem (2. Vatikanischen) Konzil übernommen hatten, schuf immer deutlicher ein neues Selbstbewußtsein unter den Gelehrten, die sich als die wahren Sachwalter der Erkenntnis verstanden.“ Und, auf seine Rede beim Katholikentag 1966 in Bamberg verweisend, weiter: „Die marxistische Revolution zündete in der ganzen Universität, erschütterte sie in ihren Grundfesten… Jahre zuvor hätte man erwarten dürfen, die Theologischen Fakultäten würden ein Bollwerk gegen die marxistische Versuchung bedeuten. Nun war das Gegenteil der Fall: sie wurden zum eigentlichen ideologischen Zentrum.“ Besagte Revolution war in den 60ern die neo-marxistische, freud-marxistische. Sie aber hat die Psycho-Fächer, an die manche Oberhirten die Seelenbetreuung abtraten, als erste erfaßt.
6.9 Bekannt ist, daß es zwischen dem Vatikan und den deutschen Bischöfen mitunter knirscht und diese, wenn’s Geld bringt, manches schon gut geheißen haben, was „Verwirrung und Unsicherheit“ schafft. Daß aus ihrer deutschen Herde aber auch einige, die gar päpstlicher als der Papst sind, auf den dezidiert antichristlichen, antireligiösen Freud-Schwindel setzen, sprengt das Verstehen. Bei allen Kniefällen der Kirche vor dem Zeitgeist[29] meinen viele von uns aber weiterhin oder gar verstärkt, wir bräuchten sie allein als kulturelles und moralisches Rückgrat der Gesellschaft heute dringender denn je.
Unsere Tiefenpsychologen wollen weiter zulegen. Sie empfehlen so die aus den 40ern stammende Interpersonelle Psychotherapie von H. St. Sullivan (und G.B. Chisholm), de facto eine der vielen Freud’schen Varianten, als etwas Neues (3.8) und somit zusätzlich Nötiges (D. Schulte u.a. in DÄ8/08). Wer freilich wie sie über ein Jahrhundert getäuscht hat und wer in ihren Fußspuren wie nunmehr die deutsche Psychologen- und Ärzteschaft bereits über ein halbes Jahrhundert hinweg täuscht, gegenüber dessen Beteuerungen von Wissenschaftlichkeit und gar Notwendigkeit bleibt Skepsis geboten. Nicht nur in der alten Religion des Landes, sondern auch der Wissenschaft selbst kommt der Ruf nach Redlichkeit machtvoll auf.
7. Allen Esterson, London
Psychoanalytische Mythologie
Schon um unseren Lesern an einem weiteren Beispiel die scharfsichtigen Untersuchungen derer vor Augen zu stellen, die oben als führende „Freud-Gelehrte“ (.3.5) vorgestellt wurden, hier ein kurzer Beitrag unseres britischen Mitstreiters Esterson. Das englische Original steht auf der Skeptiker-Website von www.butterflies&wheels.
7.1 Nach allen tradierten Berichten erzählten die meisten weiblichen Patienten Freud in den 1890er Jahren, sie seien in früher Kindheit mißbraucht worden, meist von ihren Vätern. Wie die Geschichte weitergeht, hängt davon ab, ob sie auf dieser „traditionellen“ Spur blieb oder zu der revidierten Version wechselte, die Jeffrey M. Masson popularisierte und die viele Feministen willig aufgegriffen. In der orthodoxen Version wird uns gesagt, Freud habe innerhalb kurzer Zeit realisiert, daß viele der Berichte, die er zu hören bekam, nicht authentisch waren, die Damen vielmehr phantasierten und dies zu Freuds epochemachenden Entdeckung kindlicher, inzestuöser Phantasien führte (zum Oedipuskomplex). Nach der Version der Feministen war es jedoch der harte Widerstand der aufgebrachten Kollegen gegen die von Freud behaupteten, verbreiteten Übergriffe, die ihn veranlaßte, die Theorie aufzugeben. Vordem ein einfühlsamer Zuhörer, habe er jetzt die Frauen, die den Mut hatten, ihm ihre schrecklichen Mißbrauchserlebnisse mitzuteilen, verraten.
Welcher Version man nun folgen will, geben sie beide dramatische Geschichten ab, die beide auch ihre überzeugten Anhänger haben. Die grundlegenden Elemente sind die gleichen. Ihre Ausdeutung jedoch ist grundverschieden. Ich habe den Verdacht, daß die meisten Menschen sich hier auf ihr Bauchgefühl verlassen und mit Masson meinen, Freud habe die Wahrheit der damals verbreiteten sexuellen Übergriffe auf Mädchen letztlich unterdrückt. Eine Realitätsprüfung ist angebracht.
7.2 Die Artikel, die Freud in den 1890ern publizierte wie auch seine Korrespondenz mit seinem damaligen Intimus (den Berliner HNO-Arzt) Wilhelm Fließ, erzählen eine andere Geschichte. Um es kurz zu fassen, sagten Freuds Patientinnen ihm damals (etwa Mitte des Jahrzehnts) keineswegs, sie seien in ihrer frühen Kindheit sexuell mißbraucht worden. Entgegen seinen offiziellen Berichten „versicherten“ sie ihn, als er seine Behandlungsnotizen niederschrieb, bezüglich der von ihm vorgefaßten sexuellen Traumen ganz „entschieden ihres Unglaubens“ (GW-I:441).
Die wesentlichen Züge dieser Episode können folgendermaßen gezeichnet werden. Während der frühen 1890er war Freud überzeugt, den Symptomen der von ihm als hysterisch diagnostizierten Patient/inn/en lägen verdrängte Erinnerungen an sexuelle Vorstellungen[30] oder Erfahrungen zugrunde – nicht unbedingt aber aus der Kindheit.
Im Oktober 1895 entflammte er dann in spekulativer Vorstellung an einer Theorie, die seiner Überzeugung nach jetzt ein für alle Male das Problem der Ursache der Psychoneurosen löste. Hysterische Symptome würden ausnahmslos, meinte er jetzt, durch unbewußte Erinnerungen an sexuelle Übergriffe in der Kindheit verursacht.
Seine neu entwickelte analytische Technik zur Aufdeckung unbewußter Gedanken seiner Patient/inn/en nützend, machte sich Freud sofort daran zu zeigen, daß er recht habe. Obwohl er von irgendwelchen Fällen aufgefundener kindlicher Mißbräuche zuvor gar nichts hatte verlauten lassen, stellte er nach der (vertraulichen) Mitteilung seiner neuen Theorie an Fließ innerhalb von vier Monaten zwei Artikel fertig, in denen er behauptete, er habe die Symptome von jeder, jedem von 13 hysterischen Patient/inn/en sowie einigen Zwangskranken auf infantile Erfahrungen sexuellen Mißbrauchs „zurückverfolgen“ können. Einige Monate später hielt er einen Vortrag „Zur Ätiologie der Hysterie“, in dem er eine erweiterte Darlegung seiner Theorie abgab und behauptete, sie sei bei 18 als hysterisch diagnostizierten Patien/inn/en bestätigt worden.
7.3 Wie gelang es Freud bei allen seinen Patient/inn/en in so kurzer Zeit zu tief verdrängten Erfahrungen dieser Art Zugang zu finden? Er behauptete, er habe die Patient/inn/en dazu gebracht, ihre infantilen Erfahrungen zu „reproduzieren“ (was er mit „Reproduktionen“ meinte, steht einem breiten Spektrum von Interpretationen offen). Es ist aber klar, daß er zu seinen Befunden (einfach) durch ein Decodieren ihrer Symptome und die analytische Deutung der Ideen gelangte, die sie unter der „Druck-Prozedur“ äußerten, welche er zu jener Zeit anwandte. Er erklärte, daß die Symptome mit dem von ihm als zugrundeliegend erschlossenen „Empfindungsinhalt der Infantilszenen“ sexueller Mißbräuche korrespondierten (GW-I: 451). Sein analytisches Vorgehen, so schrieb er, sei analog zu dem eines Gerichtsmediziners, der zur Ursache einer Verletzung vordringen könne, „selbst wenn er auf die Mitteilung des Verletzten verzichten muß“ (GW-I:426).
Als Beispiel führt er eine Patientin an, die an einem Gesichtstic und einem Mundekzem litt. Aus diesem Symptomen schloß Freud analytisch, daß sie in ihrer Kindheit (von ihrem Vater) gezwungen worden war, Fellatio an ihm zu begehen, an seinem Glied zu lutschen („habemus papam!“, in etwa: „da haben wir den Vater!“, schrieb er am 3.1.1897 triumphierend an Fließ). „Als ich ihr die Aufklärung entgegenschleuderte“ und sie dann „heftigstes Sträuben“ zeigte, habe er ihr, wenn sie ihre Skepsis beibehielte, „das Wegschicken angedroht“. Eine Zurückweisung seiner Schlußfolgerungen war für Freud Beweis eines (neurotischen) „Widerstands“ des Patienten. Sie lieferte ihm weitere Bestätigung, daß seine analytischen Rekonstruktionen zutrafen.
7.4 Innerhalb von zwei Jahren, nachdem er seine Lösung der Ätiologie der Neurosen öffentlich verkündet hatte, verlor Freud jedoch den Glauben an sie. Aber anstatt jetzt nach der Verläßlichkeit seiner neu entwickelten Technik der Rekonstruktion unbewußter Erinnerungen zu fragen, versuchte er seine behaupteten Entdeckungen als unbewußte Phantasien seiner Patient/inn/en zu erklären. Das nötigte ihn zu manch nachträglicher Berichtigung der ursprünglichen Behauptungen, um seiner neuen Theorie auch nur den Anflug einer Plausibilität zu verschaffen. Tatsächlich lief die Geschichte über eine Reihe von Zwischenstationen, bis sie endlich bei der bekannten Version der „Neuen Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse“ von 1933 landete, die lautet: „In der Zeit, in der das Hauptinteresse auf die Entdeckung sexueller Kindheitstraumen gerichtet war, erzählten mir fast alle meine weiblichen Patienten, daß sie vom Vater verführt worden waren“[31] (GW-XV:128f). Übrigens fiel es anscheinend noch niemandem als merkwürdig auf, daß es nur diese kurze Periode (zwischen 1894 und 1897 – W) war, in der „fast alle“ Patientinnen Freud von sexuellen Mißbräuchen in der frühen Kindheit berichtet haben sollen.
Es ist wichtig festzuhalten, daß die angeblichen „Phantasien“ nach den traditionellen Berichten unbewußte Ideen oder Erinnerungen des Patienten sind, die Freud glaubte mit seiner analytischen Technik der Deutung aufgedeckt (d.h. rekonstruiert) zu haben. (Freuds Gebrauch des Wortes „Phantasie“ wird von James Strachey in der englischen Hogarth Standard Edition als „phantasy“, sonst in der Literatur üblicherweise aber als „fantasy“ übersetzt, was Lesern den falschen Eindruck vermittelt, Freud habe allgemein von bewußten Ideen seiner Patient/inn/en gesprochen).
7.5 Es gibt in Freuds nachträglichen Berichten über die Episode viele Ungereimtheiten, zu viele, um sie hier alle abzuhandeln. Eine davon ist, daß er ursprünglich behauptet hatte, die „kindlichen Traumen“, die er aufgedeckt hatte, könnten „sämtlich“ als „schwere sexuelle Schädigungen“ beschrieben werden. Wie sich angebliche „Erinnerungen“ an Erfahrungen, die seiner Beschreibung nach brutal, „gelegentlich geradezu abscheulich“ waren,[32] plausibel dann als unbewußte „Verführungsphantasien“ erweisen konnten, die im übrigen (nach einer anderen seiner Erklärungen) gar den Zweck verfolgten, störende Erinnerungen an kindliche Masturbation abzuwehren, dazu unternahm Freud keinen Versuch einer Erklärung. Die gleichen Vorbehalte stehen auch seiner späteren Version entgegen, die angeblichen „Verführungsphantasien“ seien Projektionen ödipaler Wünsche. In keinem Fall konnte Freud je wissen, ob seine analytischen Rekonstruktionen verdrängte Erinnerungen wirklicher Ereignisse oder unbewußte Phantasien seiner Patienten oder – was der Realität wohl am nächsten kommt – imaginative Szenarien darstellten, die seinem eignen Gehirn entsprangen.
Wenig bekannt ist, daß Freud 1896 behauptete, für jeden seiner sechs Zwangspatienten verdrängte Erinnerungen nicht nur von passiv erlittenen sexuellen Mißbrauchsszenen aufgedeckt zu haben, sondern auch – in einem nur wenig höheren Alter – von aktiven sexuellen Erfahrungen. Nie wurde etwas von diesen bemerkenswerten „klinischen Entdeckungen“ je wieder gehört. Freud machte keinen Versuch zu erklären, wie seine spätere Theorie der „unbewußte Phantasien“ (des Ödipus-Komplexes) dazu passen könnte.
7.6 Obige Argumente widersprechen gewiß der traditionellen Geschichte der Psychoanalyse ebenso wie der Version Jeffrey Massons, der aber aus anderen Gründen Stichhaltigkeit abgeht. In THE ASSAULT ON TRUTH[33] meinte dieser, Freuds Motiv für die Aufgabe der Verführungstheorie sei teilweise der Versuch gewesen, sich bei seinen Kollegen, die angeblich über seine klinischen Behauptungen empört waren, wieder einzuschmeicheln. Diese These wird aber schon von der Tatsache durchlöchert, daß Massons Bericht über die Ausgrenzung Freuds durch seine Kollegen ganz in die Irre geht. Sie wird aber auch dadurch aufgehoben, daß Freud sein Abrücken von der Verführungstheorie, nachdem er es privat (seinem Intimus Fließ) eröffnet hatte, seinen übrigen Kollegen sieben Jahre lang verbarg. (Masson behauptete irrtümlich, daß „die kritische Periode für Freuds Meinungsänderung bezüglich der Verführungstheorie … zwischen den Jahren 1900 und 1903“ lag. Diese vage Datumsangabe schließt zwar einen guten Teil der zeitlichen Lücke zwischen der Aufgabe der (Verführungs-)Theorie und Freuds öffentlicher Bekanntgabe seines Sichtwechsels und kommt Massons These entgegen. Freuds Briefe an Fließ zeigen jedoch klar, daß er die Verführungstheorie schon Ende 1898 gänzlich aufgegeben hatte.
Daß die tradierte Geschichte der Verführungstheorie in allen wesentlichen Teilen falsch ist, wurde in jüngerer Zeit besonders wichtig, als sie in die Debatte über die Verdrängung der Erinnerungen an Kindesmißbrauch einbezogen wurde, vermeintlicher Erinnerungen, die Jahrzehnte später „wieder entdeckt“ werden. Man muß die historischen Fakten auf die Reihe bekommen haben, bevor Freuds angebliche frühe klinische Erfahrungen zur Stützung der einen oder anderen Seite irrtümlich angeführt werden. Allgemeiner gesagt, stellt, wie Cioffi heraushob, ein akkurater Bericht über den Übergang von der Verführungstheorie zu der ihr nachfolgenden Phantasie-(oder: Ödipus)-Theorie alles Räsonieren in Frage, das Freud für den Rest seiner Karriere aufbieten mußte, um kindliches Phantasie-Leben und die Inhalte des „Unbewußten“ zu rekonstruieren.
(Literaturverzeichnis bei der GEP anzufordern).
7.7 The Frink Affair
Da Freud heute auch von ausgeprägt familienfreundlicher, streng katholischer Seite in Anspruch genommen wird, sei noch auf eine Begebenheit hingewiesen, die der mit unserem INFC verbundene Autor Esterson in seinem Buch SEDUCTIVE MIRAGE 1993 herausgestellt hat, die Frink-Affaire.
Der amerikanische Psychiater Dr. Horace Frink begab sich im Februar 1921 zu Freud in Lehranalyse. Einige Jahre zuvor hatte er mit einer seiner Patientinnen ein Liebesverhältnis angefangen, mit Angelika Bijur, einer Bank-Erbin und Frau eines New Yorker Millionärs. Im Verlauf der Analyse riet Freud Frink, sich von seiner Frau Doris zu trennen. Dieser bat seine Geliebte nach Wien zu kommen, damit seine Analyse zum Erfolg würde. Als Angelika ankam, fand sie ihren Geliebten in einem Zustand tiefer Depression vor. Freud riet ihren Aufzeichnungen zufolge auch ihr, sich von ihrem Mann zu trennen, um aus ihrer zerrissenen Existenz herauszufinden. Wenn sie ihren Geliebten aufgäbe, würde er wahrscheinlich nie zur Normalität zurückfinden, möglicherweise gar in die Homosexualität driften. Rasch erfolgten die Scheidungen. Auf einen dann folgenden, Bedenken äußernden Brief antwortete Freud, er sei sicher, den richtigen Rat gegeben zu haben. Nach seiner Rückkehr nach New York war Frink von heftigem Schuldgefühl und vertiefter Depression geplagt. Im folgenden Jahr verschlechterte sich sein Zustand weiter. Er begab sich den Sommer über und nochmals im Spätherbst erneut zu Freud in Therapie, wo seine Stimmung plötzlich – für eine manisch-depressive Erkrankung nicht untypisch – in eine gehobene Stimmung, eine Manie, umschlug. Freud meinte, die Analyse sei jetzt vollendet. Frink solle heiraten, was im Dezember 1922 geschah.
Im Januar 1923 wurde Horace Frink, von Freud protegiert, einstimmig zum Präsidenten der New York Psychoanalytic Society gewählt. Seine psychischen Probleme aber hielten an. Im April erhielt er die Nachricht, Doris, seine frühere Frau, liege im Sterben. Sie hinterließ ihm kurz darauf die Sorge um ihre beiden Kinder, mit deren seelischem Befinden es jetzt rapid bergab ging. Frink selbst mußte stationäre Behandlung bei seinem berühmten Kollegen Adolf Meyer aufsuchen. Die neue, jetzt desillusionierte Gemahlin betrieb die Scheidung. Frink unternahm bald darauf zwei Suizidversuche und wurde erneut hospitalisiert. Er verbrachte den Rest seiner Zeit zurückgezogen in ruhiger Umgebung und starb mit 53 Jahren an einem Herzinfarkt.
Angelikas erster Mann Abraham Bijur hielt fest, was sich abspielte. In einem Brief, den er zu veröffentlichen gedachte, frage er, wie Freud einen Rat geben konnte, der das Heim und das Glück einer Mannes (letztlich gar zweier Familien) zerstörte, ohne das Opfer zu kennen und ohne sich vergewissert zu haben, ob es nicht bessere Lösungen gäbe. Einen ähnlichen Brief hatte Doris Frink 1921 ihrem (Noch-)Gatten geschrieben, ihm alles Gute wünschend, aber zweifelnd, ob es da läge, wo Freud es wähnte.
In einem anderen Brief an Frink kam im November 1921 Freud auf dessen Widerstand gegen seine psychoanalytische Diagnose einer „latenten Homosexualität“ zu sprechen: „Ihre Klage, daß Sie Ihre Homosexualität nicht wirklich fassen können, bedeutet, daß Sie noch nicht Ihrer Phantasie inne geworden sind, mich zu einem reichen Mann zu machen. Wenn sich die Dinge richtig entwickeln, lassen Sie uns dieses imaginäre Geschenk in einen realen Beitrag zum Bestand der Psychoanalyse verwandeln.“ In aller Regel waren die Phantasien eines Patienten Freuds dessen Eingebung. Und daß „die richtige Entwicklung der Dinge“ hier die von Freud betriebene Heirat meinte und er mit ihr über seinen willfährigen Patienten das Vermögen der Millionärin für die junge psychoanalytische Bewegung in den USA zu erschließen gedachte, wird hier zumindest nahe gelegt.
„The Frink affair“ hat in den USA wesentlich beigetragen, Freud vom Sockel zu holen. Wir danken es nicht zuletzt jüdischer Gelehrsamkeit, daß wir langsam heute aus dem Dunstkreis des großen Blenders und Verführers herausgefunden haben.
8. Nachlese
Hier noch Vorgänge, die der GEP nach redaktionellem Abschluß der vorausgehenden Kapitel noch bekannt wurden
oder zu erledigen waren, zuerst
8.1 unser abschließender Bescheid an Kathrin B. in Thüringen (.2.1) vom 17.05.2008, eine längere Korrespondenz zusammenfassend, Schlußfolgerung und Handreichung zur Weiterverwendung in ihrem Bemühen um (moralische) Rehabilitierung, ein Beispiel der praktischen Arbeit der GEP.
Sehr geehrte Frau B…,
besten Dank für Ihre zur Einsicht überlassene Korrespondenz mit den von Ihnen bemühten rehabilitierungsrelevanten Bundes- und Landesinstanzen…
Ich kann Ihnen gut nachfühlen, daß Sie mit der behördlichen Behandlung Ihres Falls unzufrieden sind. Auch wir empfanden den Umgang just des Freistaats Thüringen mit den Problemen des DDR-Psychiatriemißbrauchs als geradezu empörend. Mitte der 90er Jahre machten sich in den meisten neuen Bundesländern Nachuntersuchungskommissionen (zumindest formal) an die Arbeit, Fälle von Psychiatriemißbrauch zu überprüfen. Auch von Thüringen wurde eine solche Kommission angekündigt. Die Ankündigung erwies sich dann freilich als Aprilscherz. Als wir uns bei einschlägigen Behörden nach den Ergebnissen, dem zusammenfassenden Bericht ihrer Kommission, erkundigten, wurden wir knapp beschieden, es habe eine solche Kommission nie gegeben.
Wenn der Beamte Ihres Landesamts für Soziales und Familie (LASF) als Vertreter des Freistaats Ihnen nun mitteilt (Schreiben vom 02.02.2007), es seien ihm Fälle falscher Diagnosen zu DDR-Zeiten „in den 12 Jahren meiner Tätigkeit mit dieser Materie nicht untergekommen“, dann hat er wohl einen 12-jährigen Beamtenschlaf gehalten. Ich lege Ihnen eine Aufstellung der von uns (großenteils schon in RB 1/97,3-10) registrierten Mißbrauchsfälle bei, von denen einer der eindrücklichsten der an der Psychiatrischen Univ.-Klinik Jena 1959 grotesk fehldiagnostizierte Fall Gebhardt ist. Heute zu sagen, es seien in Thüringen keine DDR-Fälle politischen Psychiatriemißbrauchs bekannt, grenzt auf diesem Hintergrund an Unverfrorenheit. Solche Nonchalance begegnete uns freilich bei vielen anderen Behörden auch. O.g. Aufstellung – eine ergänzte, verbesserte Neuauflage ist in Vorbereitung – beleuchtet die Art besagter Nachuntersuchungen über den Freistaat Thüringen hinaus.
Im gleichen Schreiben stellt Ihr LASF-Beamter auf die „Weichheit“ psychiatrischer Diagnosen ab. Die Medizin in diesem Bereich sei „keine absolute Wissenschaft“. Ihr Sozialminister Dr. Zeh begründet entfernt auch damit die (angebliche) Schwernachweisbarkeit psychiatrischer Fehlpraktiken. Nun finde ich tatsächlich in Ihren Unterlagen, im Bescheid etwa des LASF vom 2.2.2007 verschiedene „weiche“ Diagnosen aufgeführt, die aber allesamt auf „Endogenes“, Konstitutionelles abheben. Dabei sagt das letzt gültige Gutachten von Prof. Maercker von 2001 schlüssig, daß sich bei Ihnen „ohne den Einfluß der … politischen Verfolgung keine … (gesundheitliche) Störung entwickelt hätte.“ (Diese Quintessenz hätte die Schußfolgerung des Gutachtens vielleicht stärker noch herausstellen sollen). In jedem Fall erscheint mir die Art, wie das Versorgungsamt Gera über besagte Verfolgung und ihre attestierten Folgen hinwegging, als grob fahrlässig. Das waren gewiß auch die von Maercker erwähnten, vorausgegangenen Falsch-Gutachten, die Ihnen über Jahre zu schaffen machten.
Bei gewiß häufiger „Weichheit“ psychiatrischer Diagnosen besteht zwischen Reaktivem und Endogenem doch ein harter, auch gar nicht so „schwer nachweisbarer“ Unterschied. Endogenes wird allgemein als stigmatisierend genommen. Just darauf zielte die auf Hochschulniveau gelehrte „operative Psychologie“ der Stasi, die „Zersetzung“ ab. Über dem, was Sie erlebten, ist jedermann in Gefahr, depressiv zu werden, was immer er/sie an konstitutioneller „Vulnerabilität“ mitbringt. Das gehört zum Normalen, ist all-menschlich. Daß die Behörden Sie nach der Wende bis heute den falschen DDR-Diagnosen und den daraus folgenden Belastungen aussetzten, so zum Verlust Ihres Arbeitsplatzes beitrugen und Ihnen dann auch noch die zustehende Entschädigung vorenthielten, ist unerhört.
Seit Jahr und Tag setzen sich unsere Politiker vollmundig „für die Psychiatrie“ ein, betreiben „Psychiatrie-Reform“, das Ganze offensichtlich aber, um ihren staatlichen Einfluß auf die Seelenheilkunde ausweiten und staatliche Übergriffe damit besser unter den Teppich kehren zu können. Sie gebrauchen die „Weichheit“ manch psychiatrischer Diagnosen gern als Vorwand, bei Bedarf die markantesten diagnostischen Unterschiede zu überspielen und gönnerhaft staatliches Versagen auf das Fach, wenn nicht die betroffenen Bürgerinnen und Bürger abzuwälzen. Wozu sonst werden nach DDR-Muster im glücklich wieder geeinten Land heute psychiatrische Institutsambulanzen aus dem Boden gestampft?
Ob ihrer besonderen, wenn nicht gänzlich aus Phantasterei geschöpften „Weichheit“ haben die Politiker mit besagter Reform mutwillig noch die Psychoanalyse in die „psychiatrische und psychotherapeutisch/psychosomatische Versorgung der Bevölkerung“ hineingedrückt. Damit können sie jetzt noch mehr noch großspuriger zerreden. Ihr Fall ist m.E. nur ein kleiner Ausschnitt aus einem Riesenskandal, der noch nicht annähernd ins öffentliche Bewußtsein getreten ist. Da Sie schriftstellerisch tätig sind, hoffe ich, daß Sie über ihn hinaus beitragen werden, Abhilfe zu schaffen.
Mit besten Grüßen und Wünschen
gez. Dr. Friedrich Weinberger, Vorsitzender, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, Psychotherapie
8.2 Thüringer Allgemeine, 18.04.2008
Über traumatisierte Opfer der DDR-Diktatur
MÜHLHAUSEN. Das Trauma nach politischer Verfolgung in der DDR und die sozialen Auswirkungen – darüber wurde am Donnerstagabend in der Mühlhäuser Stadtbibliothek diskutiert. Der Theorie der Referenten widersprachen zwei Betroffene. Was nützt das beste medizinische Gutachten – wenn die Behörden eine Opferrente ablehnen. Damit konfrontierte am Donnerstagabend ein Mühlhäuser Dr. Ruth Ebbinghaus nach ihrem Vortrag in der Stadtbibliothek. Die Fachärztin für Psychiatrie aus Würzburg hatte den Mühlhäuser auf Traumafolgen untersucht und diese in einem Gutachten bestätigt. In der Haft, 1982, war der Mann, nach seiner Schilderung, vergewaltigt worden. Brustbeinbruch und innere Verletzungen seien weitere Folgen gewesen. Entwürdigend sei sein Antragsverfahren auf eine Opferrente gewesen. Nicht nur, weil es sich in die Länge gezogen habe. Vor allem, weil erst überprüft wurde, ob er nicht in und nach der Haft für die Staatssicherheit gespitzelt habe. Sein Gutachten habe er nur mit Hilfe des Anwalts bekommen, ein zweites Gutachten wurde verlangt und über die Kosten für eine Reha-Kur gestritten. Verbittert ist der Mühlhäuser, dass er als Opfer der DDR-Diktatur wegen seiner Rechte gegen den Freistaat Thüringen prozessieren müsse.
Dass Theorie und Praxis nicht immer übereinstimmen, bestätigte ein weiterer Zuhörer in der Stadtbibliothek. Die Theorie hatte neben Ebbinghaus (Fn 28) auch Jörg Siegmund vom Geschwister-Scholl-Institut für Politische Wissenschaft aus München vermittelt. Er sprach über die Wiedergutmachung. Das Fazit: Thüringen sei in Deutschland mit an der Spitze, was die Zahlung von Opferrenten betrifft. Das würden nicht nur Statistiken belegen, sondern auch Gespräche mit Betroffenen. Sorgen macht Ebbinghaus und Siegmund, dass die Verantwortlichen in den Thüringer Versorgungsämtern derzeit nach und nach in den Ruhestand gehen – und ungewiss ist, wie die Nachfolger zum Beispiel den Wert der Gutachten sehen. Diskrepanzen bleiben auch in anderen Punkten, hatte die Ärztin festgestellt. Beispielsweise im Vergleich der Opfer der DDR-Diktatur mit ihren Tätern und den Verfolgten des Naziregimes. Unbefriedigend sei auch die Entschädigung, wenn es sich um Schüler als Opfer handelt. Grundsätzlich ist für Ebbinghaus ein Trauma nach politischer Haft schlimmer als das, beispielsweise, nach einer Flut. „Weil es von Menschen zugefügt worden ist. Lang anhaltend und in vielen Fällen.“ Es habe keine Phase der Sicherheit und Erholung gegeben – und keine Therapie. Zwangsaussiedlung, Jugendwerkhof, Zersetzung, politische Verfolgung, operative Personenkontrolle, Berufsverbote: Gründe für ein Trauma habe es in der DDR viele gegeben. Die Veranstaltung wurde von der Stadtbibliothek und von der Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen organisiert.
Matthias Schenke
8.3 Dietrich Koch
NICHT GESTÄNDIG (Christoph Hille, 2008)
Von der Sprengung der Leipziger Universitätskirche St. Pauli 1968, dem folgenden von jungen Physikern ausgeführten Plakatprotest und von den Hafterlebnissen und der Auseinandersetzung mit der Stasi, die er als einziger der Beteiligten dann durchzustehen hatte, handelt das genannte neue Buch von D. Koch, eine Kurzfassung quasi seines vor acht Jahren im gleichen Verlag erschienenen dreibändigen Berichtes DAS VERHÖR. In dichter Schilderung führt es Methoden und Ziele des SED-Unterdrückungsapparates im gewesenen real-sozialistischen deutschen Teilstaat vor Augen, der Psychiatrie und Psychologie mit dem Ziel mißbrauchte, seinen „totalitären Vereinnahmungsanspruch“ durchzusetzen. Das Buch schildert die Nöte, aber auch das Geschick, unter denen der Autor „den fast verzweifelten, aber nicht erfolglosen Kampf gegen eine Übermacht um die Bewahrung seiner menschlichen Würde“ führte. Nach 23-monatiger Untersuchungshaft wurde Koch zu zweieinhalb Jahren Haft und anschließender unbefristeter Einweisung in die Psychiatrie verurteilt.
Auf das Gutachten von Prof. Dr. Foerster, Universität Tübingen, hin erkannte die Sächsische Untersuchungskommission zum Psychiatriemißbrauch 1995 den Fall Koch als einen Fall solchen Mißbrauchs an. Es sagt zu dem 1972 im Haftkrankenhaus Waldheim erstellten, urteilsbegründenden Gutachten des Stasi-Psychiaters Dr. Petermann:
„Das medizinische Gutachten ist aus heutiger Sicht nicht vertretbar. Die Beurteilung durch Dr. Petermann war im Ergebnis methodisch ungenügend, inhaltlich falsch. Bereits die von Dr. Petermann erwähnten ,paranoiden Ansätze‘ waren … nicht zu belegen. Das gleiche gilt für die von Dr. Petermann angenommene Schichtneurose nach Schultz.(…) Anhaltspunkte dafür, dass im Zeitraum der Erstattung des Gutachtens in Waldheim neurotische Fehlentwicklungen noch bis ins ,Psychopathologische hineinreichten‘ oder gar ,die psychische Verfassung des Beschuldigten unbedingt fachärztliche therapeutische Hilfe erfordere‘, konnten sich bei Gutachtenerstattung 1972 nicht mehr ergeben“
Förster: „Dr. Petermann steht inhaltlich noch heute zu seinem Gutachten. (…) Das ist im Ergebnis aus den oben genannten Gründen nicht nachvollziehbar.“
Petermann war auch nach 1989 in Sachsen weiter als Gutachter tätig.
Koch in o.g. Buch: „… Entgegen verharmlosenden Stimmen belegt (der) Bericht eindeutig, daß es in der DDR Psychiatriemißbrauch gab“. Und: „Wo immer totalitäre Strukturen bestehen, existiert die Gefahr von psychischer Folter und Gehirnwäsche…“
Politische Instanzen, Medien und die Ärzteschaft im „Rechtsstaat“ Deutschland aber behaupten über diesem Fall wie ähnlichen anderen weiterhin, es habe politischen, d.h. systematischen Psychiatriemißbrauch in der DDR nicht gegeben.
8.4 Allmählich kommt das rote Komplizentum der heutigen Ärzteschaft – ähnlich standen ihre Vorgänger zu den braunen Schergen – doch noch in die öffentliche Kritik, so sehr es auch Politiker und Medien über die Jahre deckten.
Hubertus Knabe in DER TAGESSPIEGEL, Berlin, vom 28.04.2008
Spitzel im weißen Kittel
Vor allem Psychiater und Sportmediziner waren als IM im Einsatz:
Francesca Weil über Ärzte, die für die Stasi arbeiteten
Für die DDR-Führung war der Dissident Robert Havemann ein gläserner Mensch – im wahrsten Sinne des Wortes: Sein behandelnder Arzt Dr. Herbert Landmann arbeitete unter dem Decknamen „Chef“ als Inoffizieller Mitarbeiter (IM) für den Staatssicherheitsdienst. Als enger Vertrauter des krebskranken Regimekritikers unterrichtete er die Stasi nicht nur über die politischen Aktivitäten Havemanns, sondern auch über dessen physische und psychische Verfassung. Jeder medizinische Befund landete sofort auf dem Schreibtisch des Führungsoffiziers. Theoretisch hätte der Arzt sogar den Tod des verhassten Regimekritikers auslösen können.
Wie Landmann spitzelten hunderte DDR-Ärzte für die Stasi. Sie verrieten nicht nur Kollegen, Freunde und Bekannte, sondern hintertrugen zum Teil intimste Details ihrer Patienten. Sie verstießen damit sowohl gegen den Eid des Hippokrates als auch gegen das Strafgesetzbuch in beiden deutschen Staaten.
Nach dem Ende der DDR blieben die Spitzel im weißen Kittel größtenteils unbehelligt. Wer den Überprüfungen im öffentlichen Dienst entgehen wollte, wechselte an ein Krankenhaus im Westen oder an eine Privatklinik. Andere machten sich kurzerhand selbstständig. Kein Einziger wurde für die Verletzung der ärztlichen Schweigepflicht bestraft, das Strafverfahren gegen Havemanns Arzt bereits 1992 eingestellt. Auch die Ärztekammern, in denen jeder praktizierende Mediziner Mitglied sein muss, haben nichts dafür getan, die schwarzen Schafe in ihren Reihen ausfindig zu machen.
Erst jetzt, 17 Jahre nach dem Ende der DDR, hat die Bundesärztekammer eine Studie über Ärzte als Inoffizielle Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes vorgelegt. Die Arbeit beruht auf einem 2003 am Dresdner Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung begonnenen Forschungsprojekt, das von der Kammer und der kassenärztlichen Bundesvereinigung finanziell unterstützt wurde. Weil die Opfer ein Recht auf Wahrheit hätten, so Kammerpräsident Jörg-Dietrich Hoppe bei der Präsentation der Studie, unterstütze man die differenzierte Aufarbeitung der Verwicklung von Ärzten in Stasimachenschaften.
Ob man dem Recht auf Wahrheit damit tatsächlich zum Durchbruch verholfen hat, ist allerdings fraglich. Gleich zu Beginn des Buches erklärt Autorin Francesca Weil, dass Ärzte, die für die Stasi gespitzelt haben, von ihr ausschließlich mit Decknamen genannt würden. Die Fürsorge für die Täter geht so weit, dass sogar acht als IM erfasste Volkskammerabgeordnete und ein Mitglied der SED-Bezirksleitung anonymisiert wurden. Selbst aus einem Artikel im SED-Zentralorgan „Neues Deutschland“ hat die Autorin nachträglich die Namen entfernt. Die Ergebnisse der Untersuchung können dadurch keinen konkreten Personen oder Ereignissen zugeordnet werden.
Statt dessen präsentiert die Autorin eine überwiegend statistische Auswertung von knapp 500 IM-Akten. Man erfährt zum Beispiel, dass die Quote der IM in den verschiedenen Medizindisziplinen in etwa gleich gewesen wäre – bis auf Psychiater und Sportmediziner, wo es überproportional viele Informanten gegeben habe. Man liest, welchen Parteien und welcher IM-Kategorie die Spitzel angehört und wie lange sie dem Staatssicherheitsdienst statistisch zugearbeitet hätten. Auch über die Motive der Informanten und den Erhalt von Zuwendungen oder Vergünstigungen wird in dieser Weise zahlenmäßig abgerechnet.
Fast alle der als IM registrierten Ärzte, so das wenig überraschende Ergebnis, berichteten über andere Personen, 28 Prozent auch über eigene Patienten. Nur zwei lieferten der Stasi keinen einzigen Bericht. Der systematische Spitzeleinsatz sollte in erster Linie Fluchtversuche von Medizinern verhindern sowie Missstände im Gesundheitswesen aufdecken. Nicht selten beschafften die Ärzte aber auch gezielte Informationen über bestimmte Patienten.
Für das Verständnis dieses dunklen Kapitels der Medizingeschichte ist die vorgelegte Statistik freilich wenig erhellend. Zum einen hängt der Wert der Zahlen von der Auswahl der Fälle ab. Da ein Großteil der Stasiakten bis heute nicht sachlich erschlossen wurde, ist es so gut wie unmöglich, aus dem Heer der etwa 600 000 Informanten die Ärzte vollständig herauszufischen. Die in dem Buch recherchierten Fälle, räumt die Autorin denn auch an einer Stelle ein, wurden „eher zufällig ermittelt“. Ob die Aussagen tatsächlich repräsentativ sind, kann niemand sagen.
Die offenkundige Furcht, Personen identifizierbar zu machen, bewirkt zudem, dass die Zusammenhänge merkwürdig undeutlich bleiben; die Arbeit verliert sich im Abstrakten. Insbesondere die Konsequenzen, die die Spitzeltätigkeit für die Opfer hatte, werden kaum untersucht. Der Fall des Dissidenten Robert Havemann wird nicht einmal erwähnt. Zuweilen hat man das Gefühl, eher eine der pseudowissenschaftlichen konspirativen Analysen des Staatssicherheitsdienstes in der Hand zu halten als einen Beitrag zur kritischen Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit. Die Studie erinnert damit an Werbekampagnen für den Zahnarztbesuch: Vergangenheitsbewältigung, ohne wehzutun.
Hierzu Kapitel 2.9 und 4.5
8.5 Das Buch des Kölner Medizinhistorikers Klaus Bergdolt
DAS GEWISSEN DER MEDIZIN (C.H. Beck, 2004) beleuchtet DIE ÄRZTLICHE MORAL VON DER ANTIKE BIS HEUTE (so der Untertitel).
Es stellt implizit auch unser Thema in den großen historischen Rahmen hie hoher Bewährung, da bösen Scheiterns der Ärzte gegenüber dem ethischen Anspruch der Heilkunde über die Jahrtausende. Es beleuchtet die häufigen Meinungsverschiedenheiten und wilden Diskussionen, die oft begründet ob der Einsichtsverweigerung von Schnöseln, oft auch unbegründet über formalen Fragen, nicht selten auch über unlösbaren Dilemmata von ihnen geführt wurden. Häufig und immer wurde von ihnen ärztliche Liebedienerei vor den Mächtigen kritisiert, wurden umgekehrt Kritiker als Nicht-Wisser oder Nestbeschmutzer bekämpft. Immer wurden die wissenschaftlich Lehre und ärztliche Praxis von den vorherrschenden Glaubensauffassungen, in jüngerer Zeit von obwaltenden Ideologien durchdrungen und zu Schanden gebracht. Und doch
gab es über die Zeiten auch immer gutes, ehrliches Arzttum.
Endnoten:
[1] Zitate aus Freuds Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie (1905): ,,Die Mehrzahl… (ist) der Aufgabe der Abstinenz konstitutionell nicht gewachsen…. Die Zunahme der nervösen Erkrankungen (rührt) von… der sexuellen Einschränkung her; … (ist) der Sexualverkehr in legitimer Ehe eine volle Entschädigung für die Einschränkung vor der Ehe… (?) Das Material zur verneinenden Beantwortung dieser Frage drängt sich so reichlich auf… “ In dem Buch heißt es auch, der ,,Elementarunterricht‘ müsse „das Gebiet des Geschlechtslebens mit umschließ(en)“ und die „Wesensgleichheit von Mensch und Tier“ lehren. Gewiß waren und sind das populäre Thesen. Waren und sind sie aber gesichert? Waren und sind sie nicht schon das fast komplette 68er Programm?
[2] nach Aberkennung ihrer durch Heirat erworbenen US-Staatsbürgerschaft.
[3] Eugeniker veranlaßten ab1907 in 20 US-Bundesstaaten Gesetze zur „Verhütung der Fortpflanzung Krimineller, Schwachsinniger, Syphilitiker, moralisch und sexuell Perverser“ usf. Bis 1933 wurden so in den USA an die 20.000 Zwangssterilisationen durchgeführt. Über solch grausigen Überziehungen biologischer Konzepte – hierzulande fielen sie bekanntlich noch grausiger aus – war nach 1945 in den USA auch die Selbstverständlichkeit bald nicht mehr diskutabel, daß im Menschen Erlebtes und Ererbtes wirksam sind. Gleichzeitig wurden dort in großem Umfang verstümmelnde Lobotomien durchgeführt und – DÄ 18/08 vermerkt’s – unkritisch gepriesen, so unktitisch wie hierzulande heute die Psychoanalyse.
[4] Ende der 40er bestand über die Hälfte der Mitglieder der internationalen Freudianer-Zunft (IPA) aus Amerikanern.
[5] Henry F. Ellenberger, THE DISCOVERY OF THE UNCONSCIOUS, Basic Books, New York, 1970, deutsch DIE ENTDECKUNG DES UNBEWUSSTEN, Diogenes, 1985, 1226 Seiten.
[6] Sie luden Freud zu dem Termin, boten ihm „welche Summe auch immer“ er verlange. W.R. Hearst, Eigner des Evening American, bot Freud ein eigenes Schiff für die Überfahrt, damit er sie in Ruhe überstünde, „durch andere Passagiere nicht gestört“. Freud mußte infolge einer notwendig gewordenen Kieferoperation absagen.
[7] Einen ähnlichen Fall haben wir in RB 1/04,4.5 vorgestellt, den des jugendlich sadistischen Serien-Mörders Bartsch, den 1967 unter ähnlichem Medien-Tamtam und mit ähnlichen „Argumenten“ herausgepaukt zu haben, sich der Münchner Star-Anwalt Bossi 2004 noch brüstete.
[8] Mit ihnen eng verbunden der von uns wiederholt vorgestellte G. Brock Chisholm M.D. (Bild in RB 2/07, 7.8), erster Generalsekretär der WHO, der „die Uminterpretation und letztlich Ausmerzung des Konzepts von Richtig und Falsch“ als „die letzten Ziele praktisch aller effektiven Psychotherapie“ bestimmte und fortfuhr: „Wenn das Menschengeschlecht von seiner es verkrüppelnden Last von Gut und Böse befreit werden soll, müssen es Psychiater sein, die hierfür die Verantwortung übernehmen…“ Auch Torrey vermerkt es kritisch.
[9] Nicht zu vergessen ist, daß es 1973 just der Internationale Psychotherapeutenkongreß in Oslo war, der dem sowjetischen Psychiatriemißbrauch entgegenzutreten ablehnte und Andrej Sacharows berühmte Anklage auslöste: „… Die Verbringung gesunder Menschen in psychiatrische Anstalten wird als ein niemals mehr auszulöschender Schandfleck in die Geschichte unseres Jahrhunderts eingehen… Diesen Grausamkeiten gegenüber die Augen zu verschließen, bedeutet sie anzuspornen und kommt einer Auslieferung der Opfer gleich…“ (RB 3/84,2.3)
[10] Laut WELT vom 10.05.08 „rotiert sogar“ die Bundesregierung über einem seit sieben Jahren, heute aber mit Klarnamen bekanntem IM und „einflußreichen Referatsleiter im Finanzministerium“. Für den Abgeordneten Ch. Waitz (FDP) ist es „ein Skandal, daß sich die Bundesregierung nicht längst des Themas angenommen hat. ‚die westdeutschen Stasi-Agenten, die noch immer unentdeckt in Bundesministerien… beschäftigt sind, müssen enttarnt… werden.’“
[11] Auch die ehemals Verfolgten selbst stellen sich jetzt entschiedener auf die Hinterbeine – vgl. den Offenen Brief des XVIII. Bautzen-Forums.
[12] So Kai Luehrs-Kaiser in der Rezension eines Buchs von Freuds Urenkelin Esther und einem Interview mit ihr, die den Mann zu ernüchtern versuchte (vgl. „Freud zu Freud“ auf der deutschen INFC-Site).
[13] Kürzlich kam das Deutsche Ärzteblatt 12/08 mit dem Beitrag „Psychosomatik in China, Laos und Vietnam – Versorgung als Exportschlager“ heraus. So gut ist der Schwindel hierzulande jetzt verankert, daß er von hier aus über Sprach- und Systemgrenzen hinweg exportiert wird – in Regionen, deren Machthaber subtilere Methoden der Beeinflussung brauchen können. Daß allein das Geld für Derartiges da ist, deutet darauf, daß Freuds Lehre – „Psychosomatik“ ein weiterer Tarnbegriff für sie – als Bewußtseinskitt einer neuen Weltkultur ausersehen sein könnte, dazu eben, wozu der 1. WHO-General Chisholm Psychotherapie 1945 bestimmte, zur „Uminterpretation und letztlich Ausmerzung des Konzepts von Richtig und Falsch…“, zur leichteren Kontrolle und Steuerung der Menschen.
[14] In dreiviertel der Fälle (DÄ 44/03) wird Psychotherapie als „analytische Psychotherapie“ und „Tiefenpsychologie“ praktiziert und abgerechnet überwiegend von Psychologen, deren Spitzenvertreter über Jahre, Jahrzehnte die mindere Wirksamkeit dieser Verfahren gegenüber der VT herausgestellt haben.
[15] Ich insistiere auf dem Thema auch, weil Freud die systematische Ausgrenzung aus dem Diskurs, die „Psychiatrisierung“ Andersdenkender, auch höchst renommierter Kollegen, begonnen hat.
[16] Dabei brauchen manche Leidenden, Hilfesuchenden eine Behandlungszeit, wie sie die aktuellen psychotherapeutischen Arrangements am ehesten bieten. Der Freud’sche Flop wird auch hierzulande erledigt sein und neue Rahmenbedingungen geschaffen werden, auf daß redliche, um ihre Grenzen wissende Psychotherapie realisierbar wird. Sie ist wie anderes seelisches Einwirken, wie Erziehung etwa, nicht dadurch vom Tisch, daß dazu viel Abwegiges schon geäußert worden ist. U.U. wird es dazu noch vieler Forschung und vieler Streitgespräche bedürfen.
[17] etwa Prof. Dr. Dr. H. Walter, Bonn, in NERVENHEILKUNDE 26/2007.
[18] Gewiß haben sich manche „Ansätze“ auch bewährt. „Sozialpsychiatrische Dienste“ etwa erleichtern zumindest manchen von einschlägiger Krankheit Getroffenen und ihren Angehörigen die Tagesbewältigung. Damit haben sich noch alle roten Reformen gerechtfertigt, daß sie in einzelnen eher randständigen Punkten auch echte Abhilfe schufen.
[19] Manche, Hausärzte etwa und „Freie Ärzteschaft“ reden statt von Sozialisierung von einer „Amerikanisierung“ des Gesundheitswesens, seiner Auslieferung an „Gesundheitskonzerne“, meinen und beklagen dabei aber ähnlich den Verlust der ärztlichen Selbständigkeit. Neomarxismus und Großkapitalismus vertragen sich. Nach dem Willen der SPD-Gesundheitsministerin können u.a. Konzerne heute Kassenarztsitze aufkaufen und profitorientiert dann in Medizinische Versorgungszentren (MTZ) einbringen.
[20] Ihre Einrichtung wurde mit dem KVWG von 1977 ermöglicht. Zu seiner Verabschiedung haben u.a. DGPN, NAV, Hartmannbund und BPA, der frühere Hausärzteverband (!), angetrieben. Der BVDN hielt still. Unsere Psycho-Ordinarien, Staatsbeamte spielen den Konflikt, den sie selbst eröffnet haben, heute herunter. PIA-Behandlung, sagen sie, soll nur schwer Kranken zuteil werden, die (Zitat aus der Fachzeitschrift NEURO AKTUELL 1/ 08, einer Vorlage aus der MHH (RB 2/07, Fn41) „zur Vermeidung von Klinikeinweisungen in verstärktem Umfange Diagnose- und Therapieleistungen, verknüpft mit dem Einsatz psychiatrischer Fachkrankenpflege und ambulanter Soziotherapie in einem (besonders hohen) Maße“ benötigen oder bei denen „durch hometreatment Klinikbehandlung ersetzt werden kann“, also durch „einen intensiven Behandlungseinsatz …, verknüpft mit einer umfassenden und bedarfsgerechten psychiatrischen Fachkrankenpflege, das ein engmaschiges und zeitnahes medizinisches Versorgungsnetz im häuslichen Umfeld … zu gewährleisten (in der Lage ist), das flexibel und modulartig eine 24-Stunden-Behandlung und –Betreuung ermöglicht“. Hochgestochen und verschraubt kamen die „sozialpsychiatrischen Ansätze“ (4.4) schon im Enquête-Bericht daher. Die „komplexen“ Behandlungen, die PIAs jetzt angeblich erbringen und für die sie vierfach höhere Vergütungen vereinnahmen, bestehen, wie manche zu ihren niedergelassenen Ärzten zurückkehrende Patienten berichten, auch in nichts anderem, als der Verordnung der Medikamente und in „Gesprächen“ – dort nur mit oft wechselnden Ärzten, die ihre Vorgeschichte nicht kannten, sie mühsam aus den Aufzeichnungen der Vorbehandler zusammenklaubten usf.
[21] Klinikpsychiater traten in den 1970er Jahren allen Ernstes als “Soziater“ auf und entwickelten in Fachjournalen ihre Pläne zum „Heilen“ der Gesellschaft. Mit ihnen unter dem immer Freud-freundlichen Dach der Sozialpsychiatrie ein Troß von (Sozial-) Psychologen, Sozialpädagogen, Sozialarbeitern etc. Davon ist heute weniger zu hören. Welch weitere Interessen aber das Konzept stützen, soll in nachfolgenden Kapiteln noch zur Sprache kommen.
[22] Dr. Ruth Ebbinghaus, eine bekennende 68erin, (abhängige) Oberärztin am Bezirkskrankenhaus Lohr/Main, erklärte bei der VOS-Tagung 2006 in Friedrichroda (RB 1/07,8) „Weinberger oder ich“. Daß sie als Gutachterin von der VOS gestützt wird, akzeptieren wir gerne, auch wenn etwas seltsam wirkt, was sie, im Netz aufrufbar, von sich schreibt: „…Als einziges Bundesland leistet sich bisher Thüringen zur Begutachtung der Opfer politischer Verfolgung in der SBZ/ DDR eine neutrale, unabhängige Gutachterin mit den notwendigen Kenntnissen….“ (4.2). Wenn ihre Arbeit bei den VOS-Mitgliedern aber ankommt, soll sie uns recht sein.
[23] Die Schrift des Bürgerkomitees Ostthüringen über die K1 (2.4) mußten wir erst anfordern. Wir erhielten sie gegen Gebühr. Man möchte meinen, solche von der Thüringischen Staatskanzlei und der Stiftung Aufarbeitung… (RB 1/05,2.4 sowie 2/07,3.6) unterstützte (abhängige?) Komitees, die klagen, SED-Unrecht werde weithin nicht wahrgenommen, sendeten benachbart, in jedem Fall unabhängig Arbeitenden von sich aus ihr Informationsmaterial zu. Es mag aber sein, daß sich auch diese Komitees trotz (vielleicht geringer) öffentlicher Unterstützung schwer genug tun, ihre gute Arbeit zu leisten. Die Szene ist unübersichtlich. Es gehört auch hier Prüfung jedes Einzelfalls dazu, um jedem der Aktiven gerecht zu werden.
[24] So nahm ich 1976 an einem Kongreß der Europäischen Ärzteaktion, einem Anti-Abtreibungsverein, in Innsbruck teil. Als ich den Raum betrat, sprach der (bald darauf verstorbene) Schriftsteller Herbert Schaad gerade zum Thema des Psychiatriemißbrauchs in der SU. Ich sprang ihm gleich bei. Wir konnten bei einer anschließenden Pressekonferenz gemeinsam eine Erklärung absetzen, die von Reuters verbreitet wurde und den Begriff des „systematischen Psychiatriemißbrauchs“ international etablierte. Von daher habe ich ein gewisses Urheberrecht auf den Begriff. Die „Ärzteaktion“ wollte von dem Thema danach aber gar nichts mehr wissen. Die sowjetische Psycho-Repression löste im ganzen christlichen Lager keinen weiteren Protest mehr aus.
[25] „Big Pharma“ hatte gegen die laufende Sozialisierung des Gesundheitswesens nie etwas einzuwenden. Warum sollte sie? PIA-Ärzte können unbeschränkt von Budgets die neuesten, teuersten Mittel verschreiben. Als aus der Sowjetunion Psychiatriemißbräuche gemeldet wurde, annoncierte manches Pharmaunternehmen unter der roten Fahne stolz, sein Psychopharmakon sei auch dort vertreten.
[26] Nach 1945 unterband die Ärzteschaft auch die Diskussion der Nazi-Medizin mit dem Argument, es verschrecke die Kranken.
[27] Zitiert wird auch aus der WELT, 7.2.08: „Die große Koalition hat das Ende der traditionellen Familie besiegelt….“
[28] Auf evangelischer Seite gibt’s, wie Rudolf Meskemper, Bremen 1999 mitteilte, „mehr als 10.000 Berater und Therapeuten“ der „Biblisch-Therapeutischen Seelsorge (BTS)“, die u.a. „das know how zur Analyse von Fundamentalismus-Verdächtigen“, etwa Evangelikalen, liefern.
[29] Dem Freudismus beizugeben begann die Kirche schon in den 50er Jahren des letzten Jahrhundersts (RB 2/02 und 1/05,5)
[30] Nach E. Jones, seinem „Hofbiographen“, schrieb Freud den letzten Abschnitt seiner Studien über Hysterie im März 1895. Hier erklärt er u.a. seine „Druck-Prozedur„: „…Ich teile dem Kranken mit, daß ich im nächsten Momente einen Druck auf seine Stirne ausüben werde, versichere ihm, daß er während diesen ganzen Druckes eine Erinnerung als Bild vor sich sehen oder als Einfall in Gedanken haben werde, und verpflichte ihn dazu, dieses Bild oder diesen Einfall mir mitzuteilen, was immer das sein möge.“ (GW-I:270). Nirgends steht hier etwas davon, daß bei diesen „Einfällen“ sexuelle Erfahrungen vor dem Schulalter laut würden.
[31] Zu der Zeit, da Freud die (angeblichen) frühkindlichen Verführungen feststellte, klang es bei ihm noch anders: „Unter den Personen, welche sich eines solchen folgenschweren Abusus schuldig machten, stehen obenan Kinderfrauen, Gouvernanten und andere Dienstboten, denen man allzu sorglos die Kinder überläßt, ferner sind in bedauerlicher Häufigkeit lehrende Personen vertreten; in sieben von jenen dreizehn Fällen handelte es sich aber auch um schuldlose kindliche Attentäter, meist Brüder, die mit ihren um wenig jüngeren Schwestern Jahre hindurch sexuelle Beziehungen unterhalten hatten.“ (GW-I: 381-382)
[32] „Meine dreizehn Fälle von Hysterie waren durchwegs von schwerer Art, alle mit vieljähriger Krankheitsdauer, einige nach längerer und erfolgloser Anstaltsbehandlung. Die Kindertraumen, welche die Analyse für diese schweren Fälle aufdeckte, mußten sämtliche als schwere sexuelle Schädigungen bezeichnet werden; gelegentlich waren es geradezu abscheuliche Dinge.“ (GW-I:381)
[33] auf deutsch: WAS HAT MAN DIR, DU ARMES KIND, GETAN?, Rowohlt, Reinbek, 1984.