Das Freud-Archiv und die Library of Congress

 Jaques Bénesteau

 Das Freud-Archiv und die Library of Congress 

(Mai 2003) Während die Psychoanalyse mit Unterstützung der Politiker in Deutschland unvermindert die „Lufthoheit über den Köpfen“ besitzt (bescheiden begehrt sie SPD-Generalsekretär Scholtz „über den Kinderbetten„), die Ärzterepräsentanz (Deutscher Ärztetag) erst kürzlich den Anspruch der Freudianer auf wissenschaftliche Anerkennung (mit der Fixierung des Titels  „Facharzt für Psychotherapie und Psychosomatik“) neu bestärkte, wächst international, vor allem in den englisch-sprachigen Ländern, doch der Widerstand. Mit seinem Buch Mensonges Freudiens (Freudsche Lügen), Mardaga, Sprimont, 2002 (ISBN 2-87009-814-6), eröffnete ihn in Frankreich Jaques Bénesteau, Psychologe an der Kinderklinik der Universität Toulouse, Preisträger der Société  francaise d’Histoire de la Médecine. Im Folgenden die Übersetzung einer Ansprache, mit der Bénesteau am 06.03.2003 in Toulouse eine einschlägige Konferenz einleitete.

…Ein beträchtliches Volumen historischer Dokumente aus Freuds jungen Jahren bis zu seinem Tod (1856 – 1939) wird in der Manuskript-Abteilung der Kongreßbibliothek der Vereinigten Staaten in Washington aufbewahrt.

Die Library of Congess (L.O.C.) wurde 1800 auf Initiative von Präsident Thomas Jefferson gegründet. Sie ist bis heute die größte dokumentarische Quelle der Welt (120 Millionen Objekte). Das politische Credo der Gründer war, die Archive der Menschheit zu schützen, sie zu verbreiten und bezüglich des gesamten Planeten alle Information allen zugänglich zu machen. Weil die freie Zirkulation der Information die Garantie der Freiheit der Völker ist, gibt es keine freie Welt ohne freie Information. Wie die Geschichte gezeigt hat.

1951 nach Gründung der Freud-Archive fanden Verhandlungen zwischen Freuds Erben und Testamentsvollstreckern sowie der L.O.C. statt, um dort all die Archive der Bewegung und der ersten Analytiker zu deponieren. Ihr geheimes (erst 2001 gelüftetes) Ziel war, alle Informationen über die historischen Anfänge des Freudismus wegzusperren und sie gegen die Neugier derer, die der Freudschen Sache fernstehen, zu schützen (Borch-Jacobsen, 2001) – „damit sie nicht von (unbefugten) Biographen benützt zu werden“ (Anna Freud an Kurt Eisler, 27.01.1951 – Hervorhebung durch uns, das Zitat rückübersetzt aus dem Französischen). Was gebraucht wurde, war ein Banktresor, dessen Unterhalt und Schutz zu Lasten des Steuerzahlers gehen.

Die „Freud-Sammlung“ stellt einen Schatz von über 80.000 historischen Dokumenten dar, davon 45.000 Manuskripte und ungefähr 35.000 Briefe (Roazen, 2001). Die Vorkehrungen der Wachhunde der Organisation, allesamt Analytiker, den Zugang des nicht-freudianischen Publikums zu den Dokumenten zu bremsen oder zu versagen, machen jedoch staunen. So sah etwa (der freud-kritische) Frank Sulloway den dokumentarischen Fonds just in dem Moment gesperrt, als gegen Ende der 70er Jahre der freud-orthodoxe Peter Gay ihn einsehen und die Elemente herauspicken konnte, die der Fabrikation seiner (neuen) Hagiographie zuträglich waren (auf deutsch: FREUD, ISBN 3-596-50303-5), einer getreulichen Modernisierung des Lügengebäudes von Ernest Jones. Zahlreiche wichtige Stücke, ungefähr 25 Prozent des Archivs, sind dem Blick und der Hinterfragung der Historiker unzugänglich gemacht worden, teilweise bis zum 22. Jahrhundert!

Durch die Verriegelungen der Freudianer sind die Historiker zur Unwissenheit verurteilt. Gewöhnliche Geheimnisse des Vatikans bleiben 60 Jahre lang in der ‚Hölle’. In der L.O.C. sind die als streng geheim klassifizierten Dossiers 40 Jahre für die Öffentlichkeit unzugänglich. Die Dokumente über das Attentat auf J. F. Kennedy (11/63) werden Ende diesen Jahres frei. Welch schreckliche Geheimnisse also kann der Posten Dokumente enthalten, der durch die Zerberusse des Freud-Sache ausdrücklich bis zum Jahr 2113 weggesperrt ist?!

Hinter diesen Archiven stehen „die Interessen der Familie und der Sache Freuds“ (Borch-Jacobsen 2002). Ihre Funktion war immer die Zensur, die Auswahl und die Bestimmung derer, die das Recht haben sollten, Bescheid zu wissen – „alles zugunsten einer sehr privaten, sehr geheimen Gesellschaft, der eben der wahren Freudianer“ (ibid: 297). Ohne diese aktive Desinformation hätte die Psychoanalyse nie in unseren Gesellschaften ihr Bild, ihre Legende, ihre Macht aufrichten können. Ohne sie wäre ihr solcher Erfolg nie zugefallen. Freudschen Kreisen sind die Persönlichkeit ihres Helden und seine ideologischen Produkte Genialitäten. Die Desinformation dient dieser doppelten Fabrikation – zumindest so lange, wie die Dokumente den allgemeinen Blicken verborgen sind. Insgeheim wird ideologische Dominanz (‚Lufthoheit über das Denken‘) verfolgt durch Erzeugung einer kollektiven Illusion, die sich gegen die Wirklichkeit immunisiert hat.