Wie es sich mit der therapeutischen Wirkung der Freudschen Psychotherapie und ihren angeblichen Nachweisen verhält, dazu der folgende, von uns schon im Juli 2002 ins Netz gestellte Beitrag
F. Weinberger
Zur Wirksamkeit analytischer Psychotherapie
Wiederholt schon haben wir aus guten Gründen gegen die Psychoanalyse Stellung bezogen. Aus ebenso guten Gründen ist es jetzt angebracht, die einschlägigen Argumente einmal kurz zusammenzustellen. Verstreut standen sie über die Jahre fast alle schon einmal in unseren Rundbriefen. Es kann dabei fürs erste bei einem „leichten Abklopfen“ der psychoanalytischen Erfolgsangaben, ihrem Vergleich untereinander und dem Vergleich mit den Realitäten bleiben. Eine genauere kritische Überprüfung, deren Aufwand über die Möglichkeiten unserer kleinen Gesellschaft hinaus ginge, bleibt jedoch wünschenswert.
Gern tritt die Psychoanalyse unter wechselnden Bezeichnungen auf („psychodynamische“, „analytische / neoanalytische Psychotherapie“, „Tiefenpsychologie“ etc.), über deren Unterschiede die ärztlichen wie nicht-ärztlichen (psychologischen) „Fachleute“ mitunter heftig streiten, die aber doch alle entscheidend auf Freudschen Grundsätzen fußen. Daneben gibt es freilich auch echte Differenzen über Theorie und Praxis der Psychotherapie. Freud, Adler, Jung z.B. befehdeten sich bekanntlich bis über den Tod hinaus. Unter Freudschem Primat buhlen die „analytischen Schulen“ heute aber um ihre gesellschaftliche Geltung gemeinsam. Und ihren heilkundlichen Anspruch stützen sie letztlich gemeinsam auf eine einzige Arbeit, nämlich auf
A. Dührssens Katamnestische Ergebnisse bei 1004Patienten nach analytischer Psychotherapie (Z. psycho-som. Med. 8,1962, 94ff). Sie stellen die grundlegende Arbeit dar, die besagte „Therapie“ in die Kassenmedizin, den Rehabilitationsbetrieb, letztlich in Deutschland zur allgemeinen „Anerkennung“ und damit zur Massenverabreichung brachte. Erst kürzlich betonte das Deutsche Ärzteblatt 5/02, „das Organ der Ärzteschaft“, wieder den „Wirksamkeitsnachweis von Psychotherapie … durch Dührssen“ als Voraussetzung für die Einführung „entsprechender Leistungen in die gesetzliche Krankenversicherung“, die allgemeine Anerkennung des „eigenständigen wissenschaftlichen Paradigmas“ der Freudianer, die weitere „konsequente Integration der Psychosomatik in die Medizin… durch Einführung des Fachgebietes ‚Psychotherapeutische Medizin’“ ab 1999 wie auch, so hieß es zuvor schon in DÄ 45/01, die Einbringung der Freud-theoretisch begründeten „psychosomatischen Grundversorgung in alle klinischen Facharzt-Curricula“ ab 1995.
Dührssens „Erfolge“ wurden alle am Zentralinstitut für psychogene Erkrankungen der AOK Berlin erzielt, wo verschiedene, auch grundsätzlich divergente Schulen, besonders die neoanalytische von Schultz-Hencke, ansonsten die Freudsche, Adlersche und die Jungsche zusammenwirken. Nachdem sie expressis verbis alle in gleicher Weise „erfolgreich“ waren, bewies Dührssen im Grund jedoch das genaue Gegenteil von dem, was sie beweisen wollte, nämlich die Irrelevanz der psychodynamisch-psychotherapeutischen Theorien, damit die Irrelevanz eigentlich des gesamten „Inventars“, von dem besagte Psychotherapeuten den Anspruch wissenschaftlicher Gültigkeit ableiten.
Dührssens Arbeit ist und bleibt die entscheide. Jahrzehnte später erschienen für die analytischen Verfahren zwar weitere (die im Folgenden beschriebenen) „Erfolgsnachweise“. Für die Zulassung eines neuen Heilverfahren bleibt es in jedem Fall ungewöhnlich, daß eine einzige, noch dazu eine auf den ersten Blick grob wurmstichige Arbeit den Erfolg zweifelsfrei bewiesen hat oder haben soll, just sie der „analytischen Psychotherapie“ Eingang in die kassenärztliche Versorgung verschaffen und über dreißig Jahre hinweg Ausgaben der Krankenkassen in Höhe vieler, vieler Millionen Mark und Euro auslösen konnte. Es sind in späteren Jahren zwar weitere „Erfolgsnachweise“ nachgekommen. Sie sind bei näherem Hinsehen jedoch auch nicht überzeugender als jener „entscheidende“ erste. Vier Arbeiten seien näher besprochen, weil „das Organ der Ärzteschaft“ DeutscheS Ärzteblatt sie als solchen Nachweis schon ausgab.
F. Breyer et. al. fanden bei ihrer Prüfung analytischer Behandlungsergebnisse (Kosten und Nutzen ambulanter Psychoanalyse in Deutschland, Gesundheitsoekonomie & Qualitätsmanagement 3/97) ähnlich stolze Erfolge wie Dührssen und in ihrer Nachfolge ähnliche Ersparnisse bei späteren „Gesundheitskosten.“ Auch sie prüften freilich wie Dührssen wieder die Ergebnisse theorie-konträrer Behandler, psycho- wie neoanalytischer, dazu individualpsychologisch-Adlerscher. Bezüglich theoriespezifischer Wirksamkeit jener Behandlungen war ihre Untersuchung damit wieder ein voller Schlag ins Wasser. Gleichwohl lobte das Deutsche Ärzteblatt, „das Organ der Ärzteschaft“, Breyers Arbeit als klaren psychoanalytisch-/-therapeutischen Erfolgsnachweis (den genauen Wortlaut kann Ref. in seinen Unterlagen im Augenblick nicht auffinden).
Nach den „Neoanalytikern“ um Dührssen und ihrer „Bestätigung“ durch Breyer legten in Psyche 3/01
M. Leuzinger-Bohleber et al. mit Langzeitwirkungen von Psychoanalysen und Psychotherapien: Eine multiperspektivische, repräsentative Katamnesestudie sowie
R. Sandell et. al. mit Unterschiedliche Langzeitergebnisse von Psychoanalysen und Langzeitpsychotherapien
speziell für die (orthodoxen) Psychoanalytiker, in Deutschland organisiert in der DPV, die „Effizienz“ ihrer Behandlungen dar. Im Durchschnitt liefen diese über vier Jahre bzw. 371 Behandlungsstunden. Mit ihren „Stichproben-Prüfungen“ (!) fand Leuzinger bei rund 80% der Nachuntersuchten „gute“ bis „mittlere“ Besserungen in Bezug auf „Wohlbefinden, persönliche Entwicklung und Beziehungen zu anderen“, ähnlich bezüglich “Bewältigung von Lebensereignissen, Selbstwertgefühl, Stimmung, Lebenszufriedenheit und Leistungsfähigkeit.“ Leuzinger weist auch auf einen Rückgang von Arztkontakten, Arbeitsunfähigkeitstagen, allgemeinen „Gesundheitskosten“ durch die Analyse, legt hierzu jedoch keine objektiven Daten vor. Behandelt worden waren angeblich „schwer gestörte Patienten“, zu 56 Prozent „Persönlichkeitsstörungen“, die heute in der International Classification of Diseases der WHO (ICD10) aufgelistet, gleichwohl bei den Fachleuten höchst umstritten sind, ähnlich wie es seinerzeit die „Schizophrenie ohne Symptome“ der Sowjetpsychiater war. Vor allem aber bleibt festzuhalten: Wenn die von Leuzinger berichteten Erfolge auch aus psychoanalytischen Behandlungen resultierten, ist damit in keiner Weise geklärt, ob andere Arten von ähnlich langen (und teuren) Besprechungen nicht gleich gute oder gar bessere Ergebnisse erbracht hätten.
Sandells in der gleichen Nummer der PSYCHE dargestelltes Untersuchungsergebnis war unter anderem, daß sich nach psychoanalytischen Behandlungen „eine größere Abhängigkeit von Sozialhilfe, signifikant häufigere Krankschreibungen, signifikant häufigere Konsultationen wegen somatischer Behandlungen und signifikant häufigere Einnahme psychoaktiver Medikamente fanden.“
Das Deutsche Ärzteblatt, „das Organ der Ärzteschaft“, genauer Redaktionsmitglied Petra Bühring aber zogen in dem Beitrag Psychoanalyse – Schwierige Evaluation (DÄ 30/01) den kühnen Schluß: Die „…Studien untermauern nun die Langzeitwirkung“. Unter der Hand deuteten sie die reichlich negativen Befunde – hat Sandell nicht das psychotherapeutische Hauptargument, Dührssens „Kostenersparnisse“, widerlegt? – wieder in positive Langzeitwirkungen der Analyse um.
Das Buch des Psychologen K. Grawe et al., Psychotherapie im Wandel, Hogrefe, 1994 wird vielfach noch als Bibel der psychotherapeutischen Effizienzforschung gehandelt, als gültige Übersicht über die Leistungsfähigkeit der verschiedenen Psychotherapie-Richtungen weit über die analytischen Verfahren hinaus. Zu diesen schrieb Grawe zwar, wie in unserem Rundbrief 4/99, Fußnote 32, schon vermerkt, es hätten „40 kontrollierte Studien ihre klinische Wirksamkeit nachweisen“ können. Er bezieht dieses Urteil im einzelnen dann auf zwölf katamnestische Untersuchungen zur „psychoanalytisch orientierten Psychotherapie“ (PAOP) sowie auf 29 zur „psychoanalytischen Kurztherapie“ (pKT). Sie decken das positive Gesamturteil jedoch keineswegs.
Von der eigentlichen Freudschen Langzeittherapie führt Grawe überhaupt nur eine einzige als überprüfbar an, die Menninger-Studie. Sie musterte (wie Leuzinger und Sandell unter „naturalistischen“ Bedingungen, im Vergleich zu ihnen jedoch noch viel akribischer) 45 Patienten, davon 22 noch viel orthodoxer-psychoanalytisch, nämlich über zwei- bis drei Jahrzehnte (!) über durchschnittlich 1017 Stunden (!) behandelte Patienten und verglich diese mit 20 schwerer (!) Gestörten, die „deshalb“ nur „supportiv“, immerhin aber noch über 316 Stunden oder vier Jahre (!) behandelt wurden. Die Untersuchung, deren Voraussetzung in jedem Fall eine gefüllte Patientenbrieftasche war, förderte für alle Behandelten in etwa 60 % der Fälle Verbesserungen ans Licht, die Grawe aber angesichts des immensen Therapieaufwands und weil sie sich in keiner Weise „positiv von anderen Therapieverfahren abhöben“ als bescheiden wertete, wobei im Vergleich zu den schwereren, supportiv behandelten für die leichteren, orthodox-psychoanalysierten Fälle sogar noch bescheidenere Ergebnisse abfielen, was wieder die Irrelevanz der analytischen Theorie belegt. Zu den therapeutischen Fehlschlägen bemerkt Grawe: „Bei den 26 % ‚Failures’ … handelt es sich nicht einfach um Fälle, bei denen positive Wirkungen ausgeblieben waren, sondern bei der Mehrzahl … (um) ausgesprochen schädigende Effekte.“
Zu den 40 angeblich „klinische Wirksamkeit“ der Analyse zeigenden Studien rechnet Grawe nun 12 Expertisen zur PAOP, die er gleichzeitig aber als „methodisch eher unterdurchschnittlich“ wertete. Die einschlägige „Befundlage (sei) weder quantitativ noch qualitativ sehr beeindruckend.“ Von den 29 Studien zur Kurztherapie (pKT), die überhaupt nur bedingt „analytische“ Therapie ist, schreibt Grawe im weiteren, es hätten lediglich 10 davon „interpretierbare Resultate“ geliefert. Sie zeigten „Besserungen der Symptomatik“ an, aber „auffallend oft… auch signifikante Verschlechterungen“. Sie ließen „ein positives Bild von der Wirksamkeit psychoanalytischer Kurztherapie nicht entstehen.“
Weder also stützen Grawes detaillierte Angaben sein eigenes oben genanntes positives Gesamturteil – er folgerte ja auch gar nicht aus 40, sondern allenfalls aus 22 „kontrollierten Studien“ -, noch rechtfertigen sie die wiederkehrenden Verweise amtierender Gesundheitspolitiker auf ihn, die ihn vielfach als den Kronzeugen psychoanalytischer Effizienz handeln.
„Stand und Umfang der evaluierten Psychotherapieforschung sind unzureichend,“ stellte das DEUTSCHE ÄRZTEBLATT 27/01, „das Organ der Ärzteschaft“ (1), dazu wieder durchaus richtig fest, behauptete aber in ein und dem gleichen Atemzug weiter, „durch Untersuchungen (zum Beispiel Dührssens, 1962, Grawes, 1995)“ sei (bezogen auf die Gesamtausgaben für individuelle „Gesundheitsleistungen“) „die Kosteneinsparung durch Psychotherapie belegt“ worden. Und seine Leser nahmen es hin!
Grawe gilt vielfach als über den Grabenkämpfen der analytischen Schulrichtungen stehend. Als Psychologe neigt er speziell der in der universitären Psychologie gelehrten, im Vergleich zur Analyse gewiß weniger abstrusen, freilich auch nicht minder materialistisch-reduktionistischen Verhaltenstherapie (VT) zu. Er ist somit alles andere als „unparteiisch.“ Das ist ja das Hauptmanko der gesamten Psychotherapie und der von ihr geprägten „Reform-Psychiatrie“, daß es Unparteilichkeit und damit eine fair moderierte, alle divergenten Aspekte zulassende Diskussion hierzulande nie gegeben hat. Grawes Interesse war und ist, die Psychologen besser ins Geschäft zu bringen. Für die VT hat er ungleich mehr und überzeugendere Erfolgsnachweise beigebracht. Sie könnten ebenfalls noch „abzuklopfen“ sein. Nur geht das über unsere Möglichkeiten endgültig hinaus.
(1) (Nachtrag 5/03): Mit einer weiteren „Therapieevaluation bei psychischen Störungen“ kamen inzwischen das DEUTSCHE ÄRZTEBLATT 16/03, genauer sein stellv. Leiter der Marburger Kinderpsychiater Prof. Remschmidt heraus, einer Erhebung über Ergebnisse der entsprechenden Behandlungen „von Kindern und Jugendlichen“. Er schrieb – fürs Erste durchaus richtig, es spiele im Fach „Psychotherapie eine herausragende Rolle„, dann aber: „Betrachtet man die Leitthemen der Psychotherapieforschung in den letzten 50 Jahren, lassen sich vereinfachend folgende Epochen unterscheiden: Auf das vorempirische Stadium (Wirksamkeit wurde unterstellt, anstatt sie systematisch zu überprüfen) folgte das Stadium, in dem es darum ging, die allgemeine Wirksamkeit von Psychotherapie überhaupt nachzuweisen, was mittlerweile als gesichert gelten kann. Darauf folgte das Stadium, das man als Phase der ’speziellen Wirksamkeitsforschung‘ bezeichnen kann … Dieser störungsspezifische Ansatz bezieht sich allerdings nicht nur auf Psychotherapie, sonders auf alle Interventionen, die für eine bestimmte Störung die relativ besten Behandlungsergebnisse bewirken…“ Die „allgemeine Wirksamkeit von Psychotherapie“ ist freilich nichts anderes als die des guten Worts allgemein. Zur „speziellen Wirksamkeit“ (der psychoanalytisch-tiefenpsychologisch-spezifischen etwa) aber schweigt sich Remschmidt aus. Dabei geht es in der Diskussion allein um sie. Wird sie doch stets hier zugrunde liegenden Theorien und dem Training in ihnen zugeordnet. Just sie aber steht nach hundert Jahren „Therapie-Forschung“ über alle angeblichen „Phasen“, „Epochen“ oder „Stadien“ hinweg nach wie vor in den Sternen. Von verlogener, verwischender Rabulistik aber waren bisher alle einschlägigen „Evalutationen“! Mit solchen Flunkereien getrauen sich renommierte Ordinarien der „Psycho-Fächer“ über die Jahre, Jahrzehnte ihren Kollegen unter die Augen zu treten. Während viel im Gesundheitswesen von „Qualität“, „Qualitätskontrollen“ geredet wird, kann ein Bereich sich weiter blähen, der aus nichts als Augenwischerei besteht.
Wissenschaftlich umfassende, kontinuierliche und an die Wurzeln gehende Freud-Kritik gibt es derzeit nur im Ausland (2). Viele neu aufgefundene Daten hat sie verarbeitet. In deutscher Übersetzung liegt davon vor H. Israels’ Der Fall Freud – Die Geburt der Psychoanalyse aus der Lüge (1999). Großes Gewicht haben dazu F. Cioffi mit Was Freud a Liar?, 1974, M. Macmillan mit Freud Evaluated,1991, R. Webster mit Why Freud was Wrong, 1991, A. Esterson mit Seductive Mirage, 1993, F. Crews mit Unauthorized Freud (1998), R. Wilcocks mit MOUSETRAPS AND THE MOON (2000) und andere. T. Dineen behandelt in MANUFACTURING VICTIMS (2. Aufl. 1998), was eine unsolide, ins Kriminelle gehende „Psycho-Industrie (insgesamt) den Menschen antut”. Besonders erhellend war an den englischen Arbeiten für den Autor die Darlegung, daß und wie Freud schon bei seinen frühesten Behandlungen mit Kokain, seiner Darstellung des berühmten „ersten“ Psychotherapie-Falls „Anna O.“ Erfolge vorgaukelte, die gar nicht existierten, der Altmeister offensichtlich das Muster vorgab, nach dem auch gewisse „Wirksamkeitsnachweise“ seiner Adepten laufen.
(2) Nachtrag (12/02): Kürzlich kam eine neue Freud-Kritik heraus aus der Feder des Bamberger Psychologen Prof. Herbert Selg: SIGMUND FREUD – GENIE ODER SCHARLATAN, Kohlhammer, 2002. Der Autor führt übersichtlich, bündig viele Freudsche Schwachstellen auf. Er gibt der Analyse trotz aller Schwächen dennoch ein langes Leben, weil sie „von Personen außerhalb der Psychologie immer wieder ernst genommen“ wird. Daß es vielfach auch Psychologen sind, die heute Freudsche Psychotherapie praktizieren, sagt er nicht. Seit Eysenck will psychologische Freud-Kritik all zu oft nur bewahren, was mit Dührssen just Freudianer errungen haben, den prinzipiellen Zugang von Psychologie, „sprechender Medizin“ zu den Geldtöpfen der Krankenkassen. An therapeutischer Wirksamkeit werde die Analyse, schreibt Selg, „von anderen Therapiearten, z.B. von der Verhaltenstherapie übertroffen“. Daß auch an deren Theorien und Effizienzkontrollen manch Fragwürdiges ist , sagt er nicht. Heilsam effiziente, menschengerechte Psychotherapie ist fraglos wünschenswert..
Ernsthafte Freud-Kritik hat es auch hierzulande gegeben, hier einst die Kritik international führender Fachleute von K. Jaspers bis K. Schneider, H. J. Weitbrecht und anderen. Heute geben sich die „führenden“ deutschen Psychiater zwar zwischendurch auch „kritisch“. Prof. M. Berger, Freiburg, etwa stellt auf Seite 162 seines modernen, viel gelobten Lehrbuches PSYCHIATRIE UND PSYCHOTHERAPIE (Urban und Schwarzenberg, 1999) fest, es werde der Psychoanalyse „vorgeworfen, daß ihre Begriffsbildungen und Konzepte Verifizierung bzw. Falsifizierung von Hypothesen nicht gestatten und daß sich ihre wissenschaftliche Vorgehensweise nicht an den Grundlagen empirisch-wissenschaftlicher Methoden orientiert (Popper 1963) … Die Kritik bezieht sich weiterhin auf den weitgehend fehlenden klinischen Wirksamkeitsnachweis“ der Analyse. Die „Kritik“ dieser „Kritiker“ kommt freilich meist im Konjunktiv als Fremdzitat, unter Verweis auf andere und offensichtlich vollen Hosen. Spätestens im übernächsten Satz schon tun diese „Kritiker“ dann, als seien die therapeutische Wirksamkeit der Psychoanalytiker doch über alle Zweifel erhaben und ihre Aussagen immer höchst bedenkenswert.
Ähnlich der Eiertanz, den die gesamte Ärztevertretung in den letzten Jahrzehnten um die Analyse aufführt. Es kommen zwar in Ärzteblättern mitunter auch heute noch Freud-Kritiken vor (3). Sie werden aber umgehend mit den wütenden Entgegnungen, scipionischen Drohungen derer konterkariert, die mit Freudschem Bluff ihren Lebensunterhalt bestreiten (4). Empörung bei ihnen, daß Schwindel mitunter noch Schwindel genannt wird. „Nirgends wird in der Medizin so fanatisch und intolerant gestritten wie in der ‚Tiefenpsychologie’“, stellte H.J. Weitbrecht in seinem Lehrbuch Psychiatrie im Grundriss (1963) noch fest (5).
(3) Auf einen der vielen Jubelartikel des Deutschen Ärzteblattes zur Psychoanalyse (Schwierige Evaluation von P. Bühring in Heft 30/01 – s.o.) kam in Heft 38/01 der Leserbrief von Dr. J. Wiedmayer, Erlangen:
Glaubenslehren auf brüchigem Fundament
Psychoanalyse wie auch… Psychotherapie, sind, darüber kann auch das durch Brille, Bart und Zigarre unterstützte Durchblickergebaren ihres Erfinders Freud nicht hinwegtäuschen, Glaubenslehren, gegründet auf allzu brüchigem Fundament. Der Spuk wäre schon längst in der akademischen Mottenkiste gelandet, gelänge es nicht deren in mannigfachen Zirkeln organisierten „Hohenpriestern“ in froher Seilschaft mit einschlägigen Medien … ihren Seelenfirlefanz als tiefe, hilfreiche Erkenntnis zu verkaufen… Das erbsenzählerische Brimborium des vorgenannten Artikels entläßt den geneigten Leser deshalb ratlos, weil es hinsichtlich der Beurteilung des Nutzens Psychoanalyse-Psychotherapie nichts zu „evaluieren“ gibt, handelt es sich doch um das milde Miteinander zweier Glaubenslehren… Gespräche mit gesundem Menschenverstand geführt …, sind in seelischer Not oft hilfreich, wer wüßte das nicht? … Der Anspruch jedweder „Therapie“-Verfahren – natürlich nur in unzähligen, teuren Psychoseminaren schwer zu erwerben -, kraft höherer Einsichten und besserer Methoden etwas darüber hinaus zu bewirken, ist … gleichermaßen naiv wie lächerlich…
(4) Auf vorstehenden Leserbrief entgegnete Dr. G. Obertreis, Krefeld in DÄ 8/02
Offene Feindseligkeit
Dieser Leserbrief stellt in seiner offenen Feindseligkeit und hochgradigen Unsachlichkeit eine Diffamierung einer ganzen Ärztegruppe und nichtärztlicher Psychotherapeuten dar. Die Beziehung der somatisch tätigen Ärzte und Psychotherapeuten wird durch solche Stellungnahmen weiter zerrüttet… Ceterum censeo, daß sich auch die ärztlichen Psychotherapeuten, die wie ich ausschließlich psychotherapeutisch arbeiten, den sich bildenden Psychotherapeuten-Kammern anschließen mögen, daß sich daraufhin Kassenpsychotherapeutische Vereinigungen bilden mögen und daß eine Gebührenordnung für Psychotherapeuten (Gap) angestrebt wird. Ich habe zunehmend Schwierigkeiten, eine Zeitschrift durch meine Kammerzugehörigkeit mitzutragen (das DÄ wird nicht aus Kammerbeiträgen finanziert, die Red.), in der mir in Form solcher Leserbriefe eine derartige Feindseligkeit entgegenschlägt.(5) Weitbrecht beschränkte sich weitgehend darauf, Freud zu zitieren, etwa dessen Ansicht, man dürfe als Therapeut „sich die Symptome in Ätiologie übersetzen und dann von den Kranken dreist die Bekräftigung seiner Vermutungen verlangen …; man besteht fest auf dem, was man erschlossen hat, und besiegt endlich jeden Widerspruch dadurch, daß man die Unerschütterlichkeit seiner Überzeugungen betont.“ Dreistigkeit aber ist das Markenzeichen der Analyse bis heute geblieben.
Mit der Attitüde der Erhabenheit über kleinliches Gezänk, vor allem aber dem Verweis auf den psychotherapeutischen „Wirksamkeitsnachweis“ Dührssens setzten sich Ärztevertretung, Ärztetag, Ärzteblatt etc. anstandslos über Jahre, Jahrzehnte über alle, auch die fundiertesten Einwände hinweg. In Salami-Taktik trieben sie die „Integration“ der Freudschen Pseudowissenschaft in die Medizin voran und krönten sie 1999 mit der Einrichtung eines auf Freuds Dogmen ruhenden „Facharztes für psychotherapeutische Medizin“. Plumpen Flunkereien gaben sie statt offensichtlich, weil die politische Führung quer durch die Parteien, selbst an ihnen interessiert, selbst an ihnen mitwirkte. Wenn ein Prof. Kolkmann beim letzten Deutschen Ärztetag in Rostock Ende Mai 2002 sagte, daß „die wissenschaftlich-medizinischen Fachgesellschaften die lex artis medicinae verkörpern“ (DÄ 23/02), so kann, wer das Wirken der Analytiker-Lobby unter den Ärzte-Parlamentariern erlebt hat, nur müde abwinken. „Fachgesellschaften“ gibt es auf psychotherapeutischem Gebiet wie Sand am Meer. Fast täglich tauchen neue auf.
Karl Jaspers bemerkte in Rechenschaft und Ausblick (Piper, München) 1950 schon, wie von den Ärzten die Ansprüche der Psychoanalyse „ernst genommen werden, (darüber) kann man wohl in Staunen geraten. Das Maß der Anerkennung… seitens der Nichtanalytiker, die Vorsicht, als ob etwas daran sein könne, die Sorge, durch radikale Verwerfung der Unwissenschaft sich zu blamieren, zeigt, wie tief die Wirkung dieser Glaubensweisen geht…“ (RB 2/00, K.3.3). In dem jahrzehntelang schleichenden, mit fast krimineller Energie verfolgten Anerkennungsprozeß der „analytischen Psychotherapie“ wurden die Ärzte offensichtlich von keinen wissenschaftlichen, sondern von rein politischen Überlegungen und/oder Einflüssen bestimmt, wie sie 1945 mit der Rede des alliierten Psychiater-Generals G.B. Chisholm vor amerikanischen Spitzenpolitikern zum Ausdruck kamen:
„…Die Uminterpretation und letztlich Ausmerzung des Konzepts von Richtig und Falsch, …, das sind die letzten Ziele praktisch aller effektiven Psychotherapie… Wenn das Menschengeschlecht von seiner es verkrüppelnden Last von Gut und Böse befreit werden soll, müssen es Psychiater sein, die hierfür die Verantwortung übernehmen… Wir haben (jetzt) bei etwas Glück vielleicht 15 oder gar 20 Jahre vor uns, bis der nächste Weltkrieg ausbricht, 20 Jahre aber auch, um die liebsten Gewißheiten von genügend Menschen umzukrempeln, 20 Jahre, um das älteste und blühendste parasitäre Wachstum in der Welt zu entwurzeln und zu vernichten, den Baum der Erkenntnis von Gut und Böse…“ (RB 2/00 – der englische Originaltext in ganzer Länge im englischen Teil unserer Web-Site). Diese Ziele, kurz nach Ende des 2. Weltkrieges vor Mitgliedern der Roosevelt-Truman-Administration unter dem Titel „Reestablishment of a Peaceful Society“ ausgebreitet und von einzelnen von ihnen offen unterstützt, sind es allem Anschein nach, derenthalben die Regierenden und ihre Hilfswilligen in der Medizin die analytische Psychotherapie und die wesentlich mit ihr „reformierte“ Psychiatrie über alle ihr anhaftenden Fragwürdigkeiten hinweg allerorts vorantreiben.
So „fanatisch und intolerant“ sie immer stritt (s.o.), wurde die „Tiefenpsychologie“, dem Marxismus auch hierin verwandt, weithin als „Friedenserziehung“ gefeiert. Es wurde ja auch das Konzept von Richtig und Falsch, Gut und Böse oft genug schon mißbraucht. Kann seine Ausmerzung jedoch je anderes gebären als noch mehr Unfrieden und Willkür? Zum Chisholmschen Ziel einer Kulturrevolution der 68er Art passen natürlich Freuds Menschenverachtung, seine „konzeptionellen Irrtümer, unablässigen Apriorismen, Nichtbeachtung von Gegenbeispielen, einschüchternden Untersuchungsmethoden, seine gedanklichen Kurzschlüsse, rhetorischen Ausweichmanöver und seine umfassende, chronische Unwahrhaftigkeit“ – so der Kalifornier Frederick Crews in der Einleitung seines oben genannten Buches.
Hierzulande aber kotauen heute hochmögendste Psychiatrie-Ordinarien, rührigste Ärztevertreter, schlaueste Journalisten wie auch reputierteste Gelehrte vor Freud. Wie vor anderen Herausforderungen in der „Seelenheilkunde“, etwa der Psychiatrie-Reform, dem Psychiatriemißbrauch gehen sie der offenen Diskussion aus dem Weg, helfen sie Freuds Konstruktionen institutionell zu befestigen und sie dem Volk immer eindringlicher unterzujubeln. Konnte und kann solches, darf man fragen, anders geschehen und anders zum Erfolg führen als auf höchste politische Veranlassung hin? Am Rande: Die AOK Berlin bot an ihrem „Zentralinstitut für psychogene Erkrankungen“ analytische Psychotherapie an, lange bevor Dührssens „Wirksamkeitsnachweis“ vorlag. Zu seiner Erstellung lieferte die halb-staatliche Einrichtung nicht nur die Behandlungsdaten ihrer Krankenversicherten, sondern auch alle manpower und alle materiellen Unterlagen bis hin zum letzten Bleistiftspitzer. Wenn das nicht eine politische Auftragsarbeit war! Ähnlich erstaunlich, daß etwa Leuzingers Arbeit – wie sie ausdrücklich festhielt – „von der (halb-staatlichen) Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert“ wurde, was erneut ein vorausliegendes, politisches Interesse an diesem „Wirksamkeitsnachweis“ ausweist.
Trotz unentwegter Propaganda, die für die Psychoanalyse über die Jahrzehnte allerorts lief, steht ihre therapeutische Wirksamkeit bis heute dahin. Wie viele Millionen Mark und Euro wurden da aus öffentlichen Mitteln vergeudet? Wieviel Korruption hat sich von ihr und ihrer öffentlichen Anerkennung zudem über die ganze Gesellschaft gebreitet? Wie viel mehr noch wiegt aber das menschliche Leid, das dadurch erhalten, wenn nicht gar produziert wurde? Erbarmungslos wurden und werden hilfesuchende Menschen der Pseudowissenschaft ausgeliefert.
Die Spannung aber wächst. Während sich etwa das englisch-sprachige Ausland immer entschiedener schon aus dem Bann Freuds löst (vgl. auch vorstehende Äußerungen Dr. Sophie Freuds über ihren Großvater), geben sich die Freudianer hierzulande immer dreister (Obertreis, Fußnote 4). Und unsere Ärzterepräsentanten, Medienbosse und Politiker, rote wie schwarze, blasen den Schwindel weiter auf. Welche Peinlichkeit sie noch einholen wird, wenn anglo-sächsische Offenheit einmal in unserem Land ankommt, läßt sich dennoch voraussehen
Freuds Streitern kam über die Jahre gewiß zustatten, daß auch die Kritik an ihm mitunter etwas unzulänglich war oder daß sie sternschnuppengleich aufschien und schnell wieder erlosch, etwa D. Zimmers TIEFENSCHWINDEL von 1986. So ist ja, auch wenn Freud uns ein ganzes Jahrhundert lang narrte, noch lange nicht ausgemacht, ob bestimmte Therapie-Verfahren und ‑Lehren – und seien sie „in unzähligen, teuren Psychoseminaren schwer zu erwerben“ – nicht doch „höhere Einsichten“ vermitteln können, mit denen bei (manchen) seelisch Leidenden über den „gesunden Menschenverstand“ hinaus doch noch „etwas zu bewirken ist“ (Fußnote 1). Dies festzustellen könnte es vielleicht gar „erbsenzählerische“ Erfolgskontrollen brauchen, bessere freilich als jene, mit denen die angeführten Autoren und das „Organ der Ärzteschaft“ die Öffentlichkeit bisher immer wieder über die derzeit noch kläglichen psychotherapeutischen Realitäten hinwegzutäuschen versuchten.
Als eine menschlich ansprechende und angemessene Lehre haben wir V. E. Frankls Logotherapie und Existenzanalyse vorgestellt (Rundbrief 3/01). Es mag noch manch andere Psychotherapie geben, die zumindest nicht von vornherein so gegen allen „gesunden Menschenverstand“ angelegt und nicht so von Lüge und Zynismus geprägt ist wie die Freudsche. Erfolgsnachweise der genannten Art hat die Logotherapie freilich noch nicht vorgelegt, das Eintrittsbillet zu den Geldtöpfen der deutschen Krankenkassen noch nicht erworben. Oder gereicht es ihr zur Ehre, daß sie es mit faulen „Nachweisen“ noch nicht versucht hat?