Ödipuskomplex als Beleidigung des Geistes …

Der „Ödpuskomplex“ als systematische Beleidigung des Geistes und der Seele
Fester Bestandteil einer alten Zersetzungsstrategie?

Kurzfassung – Genaue Quellenangaben in der Langfassung: http://www.oedipus-online.de/Oedipus_Zepf.pdf.)

Bis an sein Lebensende tut Sigmund Freud so, als hielte er seine Erfindung des Ödipuskomplexes für eine geistige Großtat und epochale Entdeckung: Jeder Junge wolle im Alter zwischen 2 und 8 Jahren mit seiner Mutter eine sexuelle Beziehung eingehen, deshalb den Vater aus dem Weg räumen („positiver“ Ödipuskomplex). Gleichzeitig sei jeder Knabe von seinem „negativen“ Ödipuskomplex beherrscht, nämlich sich auch die sexuelle Beziehung zu seinen Vater zu wünschen und deshalb die Mutter aus dem Weg räumen zu wollen. [* Anmerkung: Dies ist eine weniger bekannte Sicht Freuds (in: „Das Ich und das Es“, 1923; GW XIII, S. 235-289): „Eingehende­re Untersuchung deckt zumeist den vollständigeren Ödipuskomplex auf, der ein zweifacher ist, ein positiver und ein negativer, abhängig von der ursprünglichen Bisexualität des Kindes, d.h. der Knabe hat nicht nur eine ambivalente Einstellung zum Vater und eine zärtliche Objektwahl für die Mutter, sondern er benimmt sich auch gleichzeitig wie ein Mädchen, er zeigt die zärtliche feminine Einstellung zum Vater und die ihr entsprechende eifersüchtig-feindselige gegen die Mutter. Dieses Eingreifen der Bisexualität macht es so schwer, die Verhältnisse der primitiven Objektwahlen und Identifizierungen zu durchschauen, und noch schwieriger, sie faßlich zu beschreiben.Anmerkung Ende *] Für die Mädchen gelte analog dasselbe.

Um die Konsequenzen dieses Konzeptes zu illustrieren: Otto Kernberg, ein berühmter Vertreter der Psychoanalyse, spricht z.B. von einer Frau, die an Depressionen litt, weil sie als Grundschülerin (unkonkret: „unter zehn Jahre alt“) der sexualisierten Gewalt ihres Vaters ausgesetzt war. Sie habe damals – so Kernbergs Verständnis – diese Situation „in typischer Weise … als einen sexuell erregenden Triumph über ihre Mutter“ erlebt. Um ihre Depressionen zu überwinden, müsse sie „ihre Schuld tolerieren“. Kernberg spricht hier auch von „ödipaler Schuld“.

Weil wohl in einer aufgeklärten Welt solche Opferbeschuldigung zunehmend schlechter ankommt, sieht sich die psychoanalytische Glaubensgemeinschaft offenbar genötigt, an der Theorie des alten Freud nachzubessern. So z.B. vier saarländische Autoren – Siegfried Zepf, Florian Daniel Zepf, Burkhard Ullrich & Dietmar Seel – in: „Ödipus und der Ödipuskomplex. Eine Revision.“ (2014, Psychosozial-Verlag, Gießen, 121 S). Bis auf Florian Daniel Zepf  sind sie sämtlich Mitglieder im „Saarländischen Institut für Psychoanalyse und Psychotherapie e.V.“ (SIPP).

Freuds Bezugspunkt bei der Erfindung seines Komplexes ist das grandiose, zweieinhalbtausend Jahre alte Theaterstück „König Ödipus“ von Sophokles aus dem antiken Athen, der Wiege der Demokratie. Bei ihrer Zusammenfassung dieses höchst spannenden, klugen, überschaubaren Textes (Reclam-Heft von 63 Seiten) übergehen sie einfach zentrale Elemente der Erzählung, bedienen sich z.T. falscher Begriffe und geben z.T. einfachste Sachverhalte nicht korrekt wieder. [* Anmerkung: Einige Beispiele: „Ödipus besucht das von der Pest bedrohte Theben“ – er ist dort jedoch schon seit Jahren ein angesehener König! Man müsse „den Mörder des vormaligen Königs Laios finden und aus dem Land weisen“, so angeblich das Gebot des Orakels, damit die Pest verschwinde – und keine Erwähnung, dass dieses Orakel auch eine Sühne fordert, die „Tod mit Tod vergilt“; genau diese Sühne wird am Ende des Stückes vollzogen sein! Nach den vier Autoren lautet der Bericht des Ödipus an seine Mutter über den tödlichen Konflikt mit dem ihm unbekannten Vater am Dreiweg: „Auf der Flucht hätte er an der Scheide dreier Wanderwege einen Mann und einen seiner Begleiter erschlagen. Der andere sei geflohen.“ Nicht nur, dass es sich bei Sophokles um eine markante Scheide dreier „Wagenwege“ handelt, hier wird auch von einem Trupp von fünf Männern gesprochen. Auch äußert sich hier Ödipus eindeutig über seine (Fehl-)Wahrnehmung des Ausgangs dieses Streits: „… und ich erschlag sie alle.“ (Ein Mann aus dem Gefolge war entkommen, ohne dass Ödipus dies bemerkt hatte.) Gänzlich verwischt wird das hochdramatische Ende: Zuvor stand die Behauptung von Mutter Iokaste im Raum, Vater Laios habe seinen Sohn als Säugling aussetzen lassen; am Ende berichtet jedoch ein Zeugen glaubwürdig, dass er Ödipus als Säugling von dessen Mutter Iokaste erhalten habe mit dem Befehl, ihn zu vernichten. Iokaste ist hier also der Lüge überführt! Die Aussage des Kronzeugen wird von den Autoren jedoch unterschlagen; sie geben die Lüge der Iokaste als Wahrheit aus. Auch unterschlagen sie, dass Ödipus kurz darauf den bezeichnenden Impuls zeigt, seine Mutter zu töten – in der griechischen Mythologie nur denkbar, wenn die Mutter für den Tod des Vaters verantwortlich ist, wie auch in diesem hoch spannenden Drama um „König Ödipus“. (Ausführlich dazu in der Langfassung: http://www.oedipus-online.de/Oedipus_Zepf.pdf, S. 11-21.) Anmerkung Ende *] So können sie natürlich die klare Dynamik und die einzelnen Höhepunkte der ganzen Geschichte gar nicht verstehen. Und das ist keineswegs unerheblich: Schließlich geht es ja auch bei Menschen mit psychischen Störungen darum, dass deren Lebens- und Kranken-Geschichten verstanden werden!

Vorgeblich bemühen sich die vier Autoren um eine „Revision“ des Freudschen Konzeptes. Freud habe da, so geben sie zu Bedenken, etwas gewaltig missverstanden: Aufgrund eigener neurotischer Verstrickungen habe er es unterlassen, sich das Verhalten der Eltern genauer anzusehen. Tatsächlich ginge aber das Problem eigentlich von den Eltern aus. Hierzu legen die Vier nun nicht etwa empirische Studien und Beobachtungen vor, sondern beziehen sich – von jeglichem Verständnis der Originaltexte befreit – ganz auf diverse griechische Mythen-Bruchstücke, die die Abgründe von Elternfiguren belegen sollen. Das mythologische Material wird verfälscht und zurechtgebogen. Beispielsweise behaupten die Vier, dass Laios selbst als Kleinkind ausgesetzt worden sei, so, wie sein Sohn Ödipus. Dabei sind die antiken Quellen eindeutig: Danach ist Laios ziemlich genau 20 Jahre alt, als er von zwei Widersachern aus seiner Heimatstadt vertrieben wird. Oder: Der Vater von Iokaste habe sich das Leben genommen – das sei vermutlich ein Indiz dafür, dass er seiner Tochter sexualisierte Gewalt angetan habe. Dabei findet sich in den antiken Quellen nirgends ein Hinweis auf einen Inzest zwischen Iokaste und ihrem Vater. Und auch dessen Suizid ist freie Erfindung der Autoren, die – sich auf unzuverlässige moderne Quellen berufend – den Vater von Iokaste mit dessen gleichnamigen Enkelsohn verwechseln, der sich tatsächlich auf Geheiß eines Sehers das Leben genommen hatte. Derartig unbefangen werden also Schauergeschichten über Laios und Iokaste erfunden.

Die vier Autoren sind sich scheinbar gewiss, hier neue Abgründe der Menschheit enthüllen zu können, die die Welt erschüttern werden: Es seien nämlich an erster Stelle alle Eltern, die gegenüber allen ihren Kindern hetero- und homosexuelle Impulse entwickelten. Gleichzeitig wollten sie diese Kinder aber auch aus dem Weg räumen, weil sie sie als Rivalen zum jeweiligen Ehegatten empfinden würden. Und diese inzestuösen bzw. mörderischen Impulse würden sich nun auf die Kinder übertragen. Genauso hätten die Eltern diese Impulse zuvor von den Großeltern übertragen bekommen, diese wiederum von den Urgroßeltern usw. Die Kette muss wohl bis auf Adam und Eva zurückgehen, die diese Deformation wahrscheinlich direkt bei der Vertreibung aus dem Paradies mit auf den Weg bekommen hatten. Klinisch relevant sind jedoch nicht die elterlichen Haltungen, sondern lediglich die von dem Kind aufgenommenen „ödipalen“ Impulse und Komplexe.

Nachdem ich mich nun schon viele Jahre mit Freuds Theorie beschäftige, bin ich in letzter Zeit immer mehr überzeugt, dass Freud den Unsinn, den er von sich gegeben hat, selbst gar nicht wirklich geglaubt hat. Plausibler scheint mir, dass er ganz bewusst eine grandiose Lüge in die Welt gesetzt und ausgebaut hat.

[* Anmerkung: In: „Der Fall Freud. Die Geburt der Psychoanalyse aus der Lüge“ (1999) zeigt der Autor Han Israëls auf, wie Freud z.B. behauptet, er habe einen Morphiumsüchtigen durch Verabreichung von Kokain heilen können. Tatsächlich jedoch stellt er an seinem Beobachtungsobjekt, seinem Freund Ernst Fleischl von Marxow, fest, dass dieser von beiden Drogen immer größere Mengen konsumiert und daran zugrunde geht. Er stirbt mit nur 45 Jahren. Freud besitzt die Frechheit, für diese katastrophale Fehlbehandlung in mehreren Fachaufsätzen zu werben und sie sogar gegen den deutlichen Widerspruch eines Drogenexperten zu verteidigen! Anmerkung Ende *]

Mit seiner Lüge vom „Ödipuskomplex“ dient er sich den Mächtigen dieser Welt an, denen sein Opfer-Beschuldigungs-Konzept bestens in den Kram passen muss. Und so glaube ich auch nicht wirklich, dass das Autoren-Quartett für wahr halten kann, was es da in die Welt setzt, sondern dass es – zur Bewahrung der alten psychoanalytischen Ideologie – dem Freudschen Lügengebäude skrupellos ein weiteres Stockwerk obenauf setzt. Grotesk verzerrt werden die Eltern erstmals ausdrücklich mit ins Spiel gebracht. (Dies ist tatsächlich eine Neuerung gegenüber dem alten Freud.) Aber am Ende bleibt der Freudsche Unsinn – unter dem Deckmäntelchen der scheinbaren Revision – in Reinform erhalten: Es bleibt bei der sadistischen Theorie, die die kindlichen Opfer von Gewalt zu den eigentlichen Tätern erklärt (vgl. Kernberg). Und selbst, wenn mit dem Umweg über die Pauschalbeschuldigung der Eltern die ganze Theorie immer aberwitziger wird, Kritik daran wird die Autoren nicht anfechten: Man hat ja innerhalb der psychoanalytischen Glaubensgemeinschaft bereits jahrzehntelange Erfahrung damit, den Widerspruch kritischer Geister gegen die monströsen geist- und sinnlosen Unterstellungen der Psychoanalyse an sich abprallen zu lassen.

Und wie geht das psychotherapeutische Fußvolk mit diesem Jahrhundertwerk von Zepf u.a. um? Im Mitteilungsblatt der Psychotherapeutenkammer des Saarlandes wird es ausführlich rezensiert, und zwar von Dr. Petra Schuhler, leitender Psychologin in der Klinik Münchwies (FORUM 55; 10/2014, S. 24ff): vier Seiten voller unkritischer und verständnisloser Lobeshymnen.

Je mehr ich mich mit psychoanalytischen Wirklichkeitsverdrehungen und Lügen beschäftige, desto mehr halte ich bewusste Verdummung und dreiste Behauptung von offenkundig Unwahrem für ein Phänomen, das in der heutigen Zeit in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft geradezu zur Gewohnheit wird. Freud ist ein Wegbereiter der Lüge im Bereich von Psychologie und Psychiatrie geworden. Seine Neffe Edward Bernays hat sich ganz offen als Lügenexperte den Unternehmen und der Politik angedient. Das, was früher „Propaganda“ genannt wurde, hat er als „PR“ (= „Public Relations“) verharmlost. Ob Politikern oder Unternehmern: gerne hat er ihnen geholfen, mit bewussten Inszenierungen und Lügen die Bevölkerung zu manipulieren.

Lügen, Lügen, Lügen“ – so trompetete der republikanische US-Präsidentschaftskandidat über Anschuldigungen seiner Person in der Presse, und lenkte damit für einen Moment von höchster Stelle aus die Aufmerksamkeit auf Unehrlichkeit in der öffentlichen Berichterstattung. Mag Herr Trump alles daran setzen, um der Wahrheit über sich selbst zu ihrem Recht zu verhelfen. Möge er aber auch so wahrheitsliebend sein, dass er sich generell gegen Lügen verwahrt. Wollte er sich tatsächlich ganz generell zum Anwalt der Wahrhaftigkeit machen, dann könnte er – aus meiner Sicht – z.B. bei den folgenden Anlässen ansetzen:

– Eine schon ältere Lüge besagt, dass es Lee Harvey Oswald war, der John F. Kennedy erschossen hat. Das ist eindeutig widerlegt durch z.B. den Zapruder-Film, der festhält, wie Kennedy von vorne seinen tödlichen Kopfschuss erhält. (https://www.youtube.com/watch?v=iU83R7rpXQY, bzw. https://www.youtube.com/watch?v=tU7uryubPIA). Wenn Oswald überhaupt geschossen haben sollte (was nicht feststeht), dann kann er Kennedy nur von hinten getroffen haben. Wer ermittelt endlich einmal die wahren Täter und ihre Hintermänner?

– Die „Brutkastenlüge“ (vgl. http://www.gegenfrage.com/brutkastenluege/ ) führte zum Irak-Krieg des Jahres 1990 mit tödlichen Folgen für zigtausende von Menschen. Wer zieht diejenigen zur Verantwortung, die diese Inszenierung bestellt und umgesetzt hatten?

– Die Lüge von den Massenvernichtungswaffen Saddam Husseins begründete den zweiten Irakkrieg im Jahr 2003 (vgl. http://www.upi-institut.de/irakkrieg.htm). Wann werden diejenigen, die diese Lüge in die Welt gesetzt und wider besseres Wissen propagiert haben, endlich zur Rechenschaft gezogen?

– Der ehemalige bundesrepublikanische Verteidigungsminister Rudolph Scharping begründete den Kriegseintritt der Bundeswehr gegen das ehemalige Jugoslawien am 24.03.1999 ebenfalls mit einer Lüge über das (angebliche) Massaker von Rogovo (ARD, Monitor: „Es begann mit einer Lüge“: https://www.youtube.com/watch?v=MYcRjHX50og). Wer trägt dazu bei, die ganzen Kriegshetzer und -propagandisten der damaligen Zeit nachträglich für ihre tödlichen Verbrechen zu belangen?

– Die „Rußlungen-Lüge“ behauptet, dass in der Lunge von Uwe Mundlos Ruß zu finden war, so dass er als derjenige gilt, der Uwe Böhnhardt erschoss, dann Feuer im Campingwagen des NSU-Trios legte, bevor er sich selbst erschoss (vgl. https://sicherungsblog.wordpress.com/2014/05/). Dass sich weder in der Lunge des einen, noch in der des anderen Uwe irgendwelcher Ruß befand, lässt auch die offizielle Darstellung dieses Geschehens als Lüge erkennen. Wer ermittelt endlich die wahren Hintergründe zum Tod von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos? Wer ermittelt die Hintergründe der Morde, die den Sündenböcken des NSU-Trios in die Schuhe geschoben werden?

– Selbst beim letzten Attentat auf dem Berliner Weihnachtsmarkt gibt es ernstzunehmende Hinweise auf groteske Lügen (z.B. https://www.youtube.com/watch?v=rjEWmwS99vw). War Anis Amri tatsächlich so kooperativ, dass er folgsam offizielle Dokumente hinterlassen hat, die seine eindeutige Identifizierung ermöglichten? Warum wurden diese Papiere erst viele Stunden nach dem angeblichen Anschlag im „Tatfahrzeug“ entdeckt? Wie soll dieser Anschlag tatsächlich abgelaufen sein? War am Ende alles nur eine Inszenierung, quasi makaberes Straßentheater, um die gutgläubige Bevölkerung einmal mehr in Angst und Schrecken zu versetzen und sich der eigenen Täuschungsfähigkeit einmal mehr zu versichern und sie zu trainieren?

Und die Liste der Lügen und Intrigen ließe sich sehr, sehr umfangreich ergänzen.

Das groteske Lügengebäude von Freud beleidigt schon seit über einhundert Jahren den menschlichen Geist und die menschliche Seele. Sein Neffe Edward Bernays hat das Lügen für Politik und Wirtschaft systematisiert und kultiviert. Wie lange lassen wir uns noch gefallen, auf so vielen Ebenen getäuscht und verwirrt zu werden? Wie laut und deutlich muss derartigem Betrug noch widersprochen werden, bis wir endlich wahrhaftige Aufklärung durchsetzen?

Wer schweigt, macht sich mitschuldig!

Über blinde Flecken in der psychoanalytisch-/psychotherapeutischen Ethik-Diskussion –
am Beispiel des „Ethikvereins e.V.“ und eines „Verbändetreffens

Von Dipl.-Psych. Klaus Schlagmann, Saarbrücken

Prof. Otto F. Kernberg gilt als einer der berühmtesten Psychiater und Psychoanalytiker der Welt. Bei einer der größten Psychotherapiefortbildungen im deutschsprachigen Raum, den „Lindauer Psychotherapiewochen“ referiert er den Fall einer Frau mit (angeblich) antisozialer Persönlichkeit, die „unter Inzest litt, dessen [sic] Vater sie sexuell missbrauchte, mit schweren Depressionen und Selbstmordversuchen, die ihren Therapeuten sexuell verführte. Sie rief ihn zu sich nach Hause unter Bedrohung schwerer Selbstmord [sic], empfing ihn im Negligé, und nur er konnte sie retten – ein junger Psychiater in Ausbildung mit schweren narzisstischen Problemen, und eh“ – explosives Gelächter im Publikum, erheiterte Nachfrage von Kernberg: „Ist das hier ungewöhnlich?“, erneut schallendes Gelächter – „Und ehm – äh – hahh – und äh, äh – der – nach – sie schrieb – sie hatte ein Tagebuch, und sie hatte auch eine homosexuelle Freundin, sie beging Selbstmord, sandte das Tagebuch mit einer genauen Beschreibung des sexuellen Verkehrs mit ihrem männlichen Therapeuten dieser homosexuellen Freundin, die dann ein Gerichtsverfahren gegen den Therapeuten und gegen unser Spital einleitete. Also, Sie sehen, wie sie im Tode sich noch r… [ächte?; K.S.], wie sie Opfer und Täter zugleich wurde.“ (Nachzuhören ist dieses Zitat im O-Ton in dem verlinkten youtube-Beitrag ab Min. 18:28.) Zwei Jahre später wird der Vortrag – leicht überarbeitet – in der von Kernberg mit herausgegebenen Fachzeitschrift „Persönlichkeitsstörungen: Theorie und Therapie (PTT)“ publiziert; die zitierte Fallgeschichte wird durch eine Zwischen-Überschrift scheinbar auf das Kernproblem fokussiert: „Transformation des Opfers in einen Täter“. (Kernberg wurde kurz nach diesem Vortrag für vier Jahre zum Präsidenten des psychoanalytischen Weltverbandes IPA gewählt.)

Weitere sechs Jahr später nehmen Gerhard Dammann und Benigna Gerisch das zitierte Beispiel zum Anlass, die Betroffene weiter zu diffamieren.

Auf z.B. diesen eklatanten Fall von Machtmissbrauch und Grenzverletzung in der Psychotherapie, belegt mit einer Fülle von konkreten Zitaten und Quellenangaben, spreche ich seit nun ziemlich genau sechzehn Jahren immer wieder Kolleginnen und Kollegen an. Und das Ergebnis ist meist das gleiche: Ich selbst werde zum Buhmann erklärt, man will mit mir und der ganzen Angelegenheit nichts zu tun haben. So auch jetzt wieder einmal. Meine Einladung zu einer Auseinandersetzung zu dem o.g. Fall im April 2016 führt am Ende zu einer brüsken Abfuhr von dem sog. „Verbändetreffen  gegen Grenzverletzungen und sexuellen Missbrauch in Psychotherapie und psychosozialer Beratung“ – und zwar ausdrücklich „im Namen der [aller?] Teilnehmer und Teilnehmerinnen“. Unter dem Banner des „Verbändetreffens“ versammeln sich (Stand: Mai 2014, bereinigt um 2 Verbände, die nach deren eigener Auskunft nicht mehr vertreten sind):

BAPt (Bundesverband akademischer Psychotherapeuten)
DeGPT (Deutschsprachige Gesellschaft für Psychotraumatologie)
DGIP (Deutsche Gesellschaft für Individualpsychologie e.V.)
DGLE (Deutsche Gesellschaft für Logotherapie und Existenzanalyse e.V.)
DGPT (Deutsche Gesellschaft für Psychoanalyse, Psychotherapie, Psychosomatik und Tiefenpsychologie); vertreten durch Dr. Giulietta Tibone;
DGSF (Deutsche Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie)
DGTA (Deutsche Gesellschaft für Transaktionsanalyse)
DGVT (Deutsche Gesellschaft für Verhaltenstherapie)
DPGG (Deutsche Psychologische Gesellschaft für Gesprächspsychotherapie)
DPV (Deutsche Psychoanalytische Vereinigung); vertreten durch Dr. Isolde Böhme
DVG (Deutsche Vereinigung für Gestalttherapie)
EMDRIA (EMDRinternational association); vertreten durch Dr. Andrea Schleu
Ethikverein e.V. – Ethik in der Psychotherapie; vertreten durch Dr. Jürgen Thorwart
GNP (Gesellschaft für Neuropsychologie)
GWG (Gesellschaft für personenzentrierte Psychotherapie und Beratung e.V.)
UDH (Union Deutscher Heilpraktiker)
VAKJP (Vereinigung analytischer Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten); vertreten durch Dipl. -Psych. Dietrich Winzer

(Zur leichteren Zuordnung sind oben diejenigen VerbandsvertreterInnen namentlich angeführt, die am nachfolgenden Disput mitwirken.)

Aber nun erst mal der Reihe nach. Im April 2016 sende ich eine Mail an Dr. Jürgen Thorwart, der für den 3. Mai in München mit einem Vortrag zum Thema „Macht und Machtmissbrauch in der Psychotherapie“ angekündigt ist. Veranstalter ist die Psychiatrie-Beschwerdestelle „Kompass“, angesiedelt unter dem Dach des „Netzwerks Psychiatrie München e.V.“. [Dieses „Netzwerk“ darf sich rühmen: „Wir werden gefördert vom Bezirk Oberbayern.“ (!) (vgl. Rundbrief 1/15 der GEP, S. 19).] Das „Netzwerk“ hat einen Aufsichtsrat, der – so die Selbstdarstellung – über die grundlegende Ausrichtung der Vereinsarbeit entscheidet. Herr Thorwart sitzt in diesem Aufsichtsrat, ebenso im Vorstand des Vereins „Ethik e.V. – Ethik in der Psychotherapie“. Diesen Ethik-Verein wiederum repräsentiert er auch auf einer höheren Ebene, im sog. „Verbändetreffen  gegen Grenzverletzungen und sexuellen Missbrauch in Psychotherapie und psychosozialer Beratung“. Thorwart, „Aktivist“ zu „Macht und Machtmissbrauch in der Psychotherapie“, den ich anspreche, um ihn um Austausch und Zusammenarbeit zum Thema zu bitten, reagiert jedoch auf den von mir konkret belegten, oben zitierten Missbrauchsfall mit einer brüsken Zurückweisung, u.a. mit dem Vorhalt, ich würde ja nur „mit dem Prügel wild und völlig undifferenziert auf die Psychoanalyse einschlagen“.

Daraufhin unterrichte ich die Mitglieder des „Ethikvereins“ von Thorwarts Reaktion und bitte um Unterstützung. Antwort der Vorsitzenden Dr. Andrea Schleu: Man habe einstimmig beschlossen, nicht mit mir kooperieren zu wollen.

In einem Beitrag für den Rundbrief 1/16 der „Walter-von-Baeyer-Gesellschaft für Ethik in der Psychiatrie e.V.“ beschreibe ich die Vorgänge und zitiere aus Thorwarts Mail. Ebenso informiere ich die Mitglieder des „Verbändetreffens gegen Grenzverletzungen und sexuellen Missbrauch“. Von dort beziehen später Dr. Isolde Böhme und Dietrich Winzer Stellung gegen mich, bevor mir dann – am 08.08.2016 – Dr. Giulietta Tibone eine Absage im Namen der (aller?) „Teilnehmer und Teilnehmerinnen des Verbändetreffens“ erteilt: Meine konkreten Ausführungen – dargelegt in Beiträgen zu den Fachzeitschriften „Sexuologie“ bzw. „psychoneuro“ sowie in einem Aufruf zur Einführung eines „Runden Tisch Psychotherapie-Opfer“ – seien zwar „einzeln korrekt“, aber ansonsten „pauschal gehalten und dahingehend unausgewogen, dass sie widersprechende andere, sehr verbreitete psychoanalytische Positionen völlig verschweigen.“ Ich führte „einen so erbitterten wie aussichtslosen Kriegmit langjährigen, geschätzten Mitgliedern“ des Verbändetreffens.

Das Kartell des Schweigens hat wieder einmal funktioniert. Ausgerechnet Gremien wie „Ethikverein“ oder „Verbändetreffen“, die sich angeblich der Aufklärung verschrieben haben und dem Machtmissbrauch entgegentreten wollen, blocken eine längst überfällige Diskussion über systematische Verschlechterungseffekte durch bestimmte Therapiemethoden ab. Haben „Ethikverein“ und „Verbändetreffen“ etwa genau diese Funktion: die Diskussion über Missstände zunächst an sich zu ziehen und – bei Bedarf – radikal auszubremsen? Warum verstummt man dort so schnell, wenn man mit skandalösem „psychoanalytischem“ Material konfrontiert wird, das in Fachzeitschriften veröffentlicht ist bzw. offiziell als Lehrmaterial für Psychotherapeutenausbildung gehandelt wird?

Wenn auch womöglich einzelne wohlmeinende Mitglieder in diesen Clubs sitzen mögen, so setzen sich doch offenbar schnell unverbesserliche DogmatikerInnen durch, die sich Freuds und Kernbergs Lehren fest verbunden fühlen, denen als Fundament die Unterstellung kindlicher Beteiligung („eigener Anteil“) an sexualisierten Übergriffen bzw. ganz generell Opferbeschuldigungen oder Opfer-Täter-Umkehrungen dienen, worauf dann das ganze weitere Theoriegebäude fest aufsitzt.

Am 23.07.2016 beantragt Herr Thorwart bei der Psychotherapeutenkammer des Saarlandes die Einleitung eines „berufsrechtlichen Verfahrens“ gegen mich, weil sich ihm „die Frage stellt“ ob ich „zur Ausübung des Approbationsberufes eines Psychologischen Psychotherapeuten ausreichend geeignet“ sei. Das Beschwerdeverfahren wird dort am 25.08.2016 eingestellt. Diese Einstellung des Beschwerdeverfahrens nehme ich nun für mich in gewisser Weise als Ermutigung, mein Engagement fortzusetzen gegen solche Böcke, die sich selbst zu Gärtnern erklären. So auch mit dieser unten verlinkten Publikation, in der ich das Geschehen noch einmal ausgiebig zusammenfasse und dokumentiere, ausführlich Querverweise und links zu den Quellen einfüge sowie am Ende auf die immer wieder gepriesenen Segnungen der „modernen“ Psychoanalyse eingehe.

Dieses Schreiben soll gleichzeitig Aufruf und Ermunterung sein für all diejenigen, die sich ernsthaft mit dem Thema Macht, Machtmissbrauch und Grenzverletzung in Psychotherapie und Beratung auseinandersetzen wollen. Gerne würde ich die Entwicklung einer entsprechenden Arbeitsgruppe anstoßen und koordinieren. Nutzen Sie die unten angegebene Kontaktadresse.

 

Der ausführliche Text zu diesem Disput findet sich unter diesem link. Dort werden zunächst (S. 1-12) die Abläufe ausführlich dargestellt, dann (S. 13-57) die einzelnen Quellen dokumentiert.

Dipl.-Psychologe
Klaus Schlagmann
Scheidter Str. 62
66123 Saarbrücken
KlausSchlagmann@t-online.de
www.oedipus-online.de

Bemerkungen zu Otto F. Kernberg

Persönliche Stile in Psychoanalysen“ –
Bemerkungen zu einem ihrer derzeit führenden Vertreter

anläßlich einer Fachtagung an der „International Psychoanalytic University“ in Berlin, Allerheiligen 2013

Zusammenfassung:

Klaus Schlagmann unterzieht den Aufsatz eines Fachmannes, der als einer der berühmtesten Psychoanalytiker der Welt gilt (Otto F. Kernberg), einer gründlichen Analyse. In dem Aufsatz wird z.B. der Fall einer Frau besprochen, die an Depressionen leidet. Sie hatte als Grundschülerin von (unkonkret) „unter 10 Jahren“ sexualisierte Gewalt von Seiten ihres Vaters erlebt. Kernberg unterstellt ihr, sie habe diese Situation „in typischer Weise … als einen sexuell erregenden Triumph über ihre Mutter“ erlebt und sie müsse „ihre Schuld tolerieren“. Dieses (berechtigte) Schuldgefühl sei der Ursprung ihrer Depression. Diesem Gewaltopfern wird in Kernbergs „Therapie“ sogar zugemutet, dass sie lernen müsse, sich mit der sexuellen Erregung des sadistischen Vaters zu „identifizieren“.

 Diese Art von Therapie läuft auf eine glatte Opferbeschuldigung hinaus und muss geradezu bei den Betroffenen Schaden anrichten! Schlagmann kennt aus der Literatur, aus Darstellungen im Internet oder auch aus eigener Praxis Fälle, in denen es zu schädlichen Entwicklungen nach entsprechenden Opferbeschuldigungen gekommen ist. Er fordert deshalb von verantwortlichen PolitikerInnen die Einrichtung eines „Runden Tisch Psychotherapie-„Opfer“.

Professor Otto  F. Kernberg eröffnete an Allerheiligen 2013 am Berliner Privatinstitut „International Psychoanalytic University“ (IPU) die Fachtagung „Persönliche Stile in Psychoanalysen“ . In seinen Therapien hat er es mit Menschen zu tun, die schwerstes Leid erfahren haben: Sie ha- ben eventuell Folter, KZ-Haft, politischen Terror, Vergewaltigung oder sexualisierte Gewalt im Kindesalter überlebt. Inwiefern ist nun gerade Kernbergs „persönlicher Stil“ dazu angetan, solche KlientInnen vor weiterem Leid, vor Verzweiflung oder gar Suizidimpulsen zu bewahren?

Wenn Kernberg von einem Opfer von Folter, KZ-Haft oder Vergewaltigung gefragt wird: „Glauben Sie mir nicht? Sind Sie nicht meiner Meinung? War das nicht entsetzlich?“ – was, glauben Sie, ist aus seiner Sicht die therapeutisch korrekte Antwort?

Möglichkeit A: „Ja, natürlich glaube ich Ihnen! Und ich bin ganz Ihrer Meinung! Die entsetzlichen Erlebnisse, die Sie schildern, erschüttern mich selbst zutiefst! Ich empfinde aufrichtiges Mitleid!“

Möglichkeit B: „Warum brauchen Sie meine Meinung, anstatt eine eigene zu haben?“

Im Rahmen seiner mit Fortbildungspunkten honorierten Lehre empfiehlt Kernberg die (wörtlich zitierte) Antwort B. Begründung: „Es ist wichtig – ich zitiere da Freud in einem Brief von 1916 an Pfister – dass wir uns vor Mitleid schützen. Wie Sie wissen, ist Mitleid sublimierte Aggression.“

Und nicht nur das: Während es (angeblich) ein Zeichen von Aggression sein soll, mit KlientInnen Mitleid zu haben, ist es umgekehrt – nach Kernberg – heilsam, wenn sich TherapeutInnen mit TäterInnen identifizieren: „Wir müssen uns also mit dem Kommandanten des Konzentrationslagers, mit dem Folterer in der Diktatur, mit dem inzestuösen Vater, mit der sadistischen Mutter identifizieren können. Wir müssen so auch die Lust verspüren am Zerstören, die Lust, eine Brandbombe zu werfen, die Lust sadistische Aggressionen zu verspüren, …“

Und, halten Sie sich gut fest, für Kernberg ist es Ausdruck einer gelungenen Therapie, wenn er selbst, als Therapeut, solche Täter-Aggressionen gegenüber seinen PatientInnen empfindet. Originalton: „Wenn alles gut geht, dann gibt es Momente, in denen wir sie [unsere KlientInnen; K.S.] am liebsten aus dem Fenster werfen würden, besonders wenn unser Büro im 80. Stock liegt, und dann langsam und freudevoll lauschen, bis wir unten ein leises ‚Plopp’ hören.“ – Lautes Gelächter im Publikum. – „Ich meine das ganz ernst!“ Das fürchte ich auch. Aber die Voll- versammlung von über eintausend „ExpertInnen“ bei den „Lindauer Psychotherapiewochen“ von 1997 lacht erneut. Das entlarvende Tondokument ist bis heute bei „Auditorium Netzwerk“, Müllheim, erhältlich. 1999 wurde der Vortragstext (leicht abgeändert) unter der Überschrift „Persön- lichkeitsentwicklung und Trauma“ in der von Kernberg mit herausgegebenen Fachzeitschrift „Persönlichkeitsstörungen – Theorie und Therapie“ (PTT), 1, 5-15, beim Verlag Schattauer publiziert. Sämtliche hier angeführten Zitate – mit Ausnahme der obigen, von mir selbst formulier- ten „Möglichkeit A“ – sind wörtlich diesen beiden Publikationen entnommen.

Warum sollte es aber wichtig sein, dass PsychotherapeutInnen sich mit Unmenschen wie KZ- Kommandanten, Folterknechten, inzestuösen und sadistischen Eltern zu „identifizieren“ verste- hen? Nun, es ist angeblich aus irgendeinem – mir von Kernberg nirgendwo plausibel gemachten – Grund erforderlich für die Heilung von Opfern extremer Gewalt, „sich mit dem Täter zu identifizieren“. Anscheinend sollen TherapeutInnen mit gutem Beispiel vorangehen, um KlientInnen diesen Prozess zu erleichtern.

Ein Fallbeispiel von Kernberg: Er erzählt von einer Frau, die von Seiten ihres Vaters, einer „anti- sozialen Persönlichkeit“, sexualisierte Gewalt erlebt hatte, und zwar im Alter von unter zehn Jahren. (Das Alter wird nicht näher konkretisiert, als wäre es völlig unerheblich, ob Derartiges im Alter von 2, 6 oder 8 Jahren geschieht.) „Sie hatte in typischer Weise das Verhalten des Vaters in vielfältiger Art erlebt, als brutalen Eingriff und Verletzung ihrer physischen Identität, … und als einen sexuell erregenden Triumph über ihre Mutter. Dieses letztere Element war natürlich vollkommen unbewusst und mit schweren Schuldgefühlen verbunden, die in ihrer masochistischen Persönlichkeit zum Ausdruck kamen und sie sich so ihr ganzes Leben wegen dieser ödipalen Schuld opfern ließ. Von dem Moment an, als sie sich nicht mehr als Opfer sehen musste, konn- te sie sich auch mit ihrer eigenen sexuellen Erregung in diesem unbewussten und jetzt bewussten Sieg über die ödipale Mutter zurechtfinden und ihre Schuld tolerieren.“

Eine Grundschülerin erlebt die Vergewaltigung durch ihren Vater also als einen „sexuell erregenden Triumph über ihre Mutter“; dabei lädt sie „(ödipale) Schuld“ auf sich, die sie später „tolerieren“ muss; ihr Triumphgefühl ist ihr zunächst „unbewusst“; und nur ein geschulter Psychoanalytiker wie Otto Kernberg versteht sich darauf, ihre unbewussten Impulse zu entschlüsseln; die Aufgabe der Psychoanalyse ist es, ihr ihre alten Schweinereien bewusst zu machen. Das soll ihr helfen, sich mit den eigenen Verfehlung zurechtzufinden; dadurch kann sie sich endlich selbst als Handelnde erleben und die Opferrolle verlassen: Mit dem Zauberwort „unbewusst“ versucht die Psychoanalyse seit über 100 Jahren selbstzufrieden, ihre unselige Pseudo-Argumentation gegen jeden Widerspruch und jede Kritik von außen zu immunisieren.

Das (angeblich) fruchtbare Ergebnis seiner Arbeit mit diesem Opfer frühkindlicher Erfahrung von sexualisierter Gewalt sieht Kernberg so: „Sie erlangte so die Fähigkeit, sich mit dem Täter zu identifizieren, nämlich mit der sexuellen Erregung des sadistischen, inzestuösen Vaters, und so wurde es ihr auch möglich, den Hass gegen den Vater mit dem Verstehen seines sexuellen und ihres sexuellen Verhaltens zu verbinden.“ Mit welchem Trick es Herrn Kernberg tatsächlich gelungen ist, seine Klientin dazu zu bewegen, sich „mit der sexuellen Erregung des sadistischen, inzestuösen Vaters“ zu identifizieren (was auch immer das heißen möge), das hat er nicht wirklich verraten. Er offenbart auch nicht, ob und wie lange die Frau diese Art von „Therapie“ überlebt hat, oder ob sie sich nicht vielleicht danach in noch größerer Verzweiflung umgebracht hat.

Suizid während einer psychoanalytischen Behandlung scheint übrigens keine Seltenheit zu sein. Dörte v. Drigalski beschreibt in ihrem Buch „Blumen auf Granit“ die Erfahrungen ihrer Lehranalyse (= psychoanalytische Behandlung, die ein Mediziner oder Psychologe erfolgreich über sich ergehen lassen muss als eine von mehreren Voraussetzungen, um selbst diese Art von Therapie durchführen zu dürfen). Sie erwähnt dort, dass sich während ihrer Ausbildung insgesamt vier ihrer AusbildungskollegInnen das Leben genommen hatten. Ihre Appelle an AusbilderInnen, diese Suizide einmal gründlich zu untersuchen, wurden nicht aufgegriffen.

V. Drigalskis Bericht ist geradezu quälend zu lesen. Sie muss eine Kette von Missverständnis- sen, Missdeutungen oder Entwertungen von Seiten ihres Lehrtherapeuten über sich ergehen lassen. Da, wo sich v. Drigalski – sie arbeitet damals als Kinderärztin – z.B. mustergültig für das Wohl ihrer Klientel engagiert und dagegen aufbegehrt, dass ihr Appell an ihren Vorgesetzten zum Einschreiten abgeschmettert wird, da wird ihr dies von ihrem „Lehrtherapeuten“ – in permanenter Umdeutung und Opferbeschuldigung – als Rivalisieren oder Kastrationswunsch ge- genüber dem Chef ausgelegt. Am Ende war die ganze kostspielige „Ausbildung“ (für zigtausende von DM) wertlos. Der Ärztin wurde nach ca. fünf Jahren das Scheitern ihrer Lehranalyse attestiert, die entsprechende Lizenz zum Durchführen von Psychoanalysen wurde ihr nicht erteilt.

In einem jüngst erschienen Artikel von Günter Bittner „Psychoanalyse als Bildungserfahrung“ (in Boothe & Schneider [Hg.]: „Die Psychoanalyse und ihre Bildung“, 2013) geht dieser etwas näher auf die „Blumen auf Granit“ ein. Ohne ein wirkliches Verständnis für die dort geschilderten Zustände zu entwickeln, resümiert Bittner: „Bildungserfahrungen in meinem Verständnis sind ja nicht nur positive, sondern alle, die den Weg eines Lebens bestimmt haben.“ Statt sich ernsthaft mit den Mechanismen schädigender Psychoanalyse auseinanderzusetzen, verpasst Bittner dieser katastrophalen Geschichte ein Etikett, das das Geschehen brutal verharmlost: „Bildungserfahrungen“! Wer sich ein wenig in der Literatur oder im Internet umsieht, wird leicht mehr Material zu solchen makaberen, den Lebensweg prägenden „Bildungserfahrungen“ vorfinden.

Als Kernberg von einer solchen „Bildungserfahrung“ berichtet, die mit dem Selbstmord der Pati- entin seiner Klinik endet, da bringt er sein Publikum zweimal zu herzhaftem Lachen. Es geht um eine Frau mit (angeblich) antisozialer Persönlichkeit, die (Originalton) „unter Inzest litt, dessen [sic] Vater sie sexuell missbrauchte, mit schweren Depressionen und Selbstmordversuchen, die ihren Therapeuten sexuell verführte. Sie rief ihn zu sich nach Hause unter Bedrohung schwerer Selbstmord [sic], empfing ihn im Negligé, und nur er konnte sie retten – ein junger Psychiater in Ausbildung mit schweren narzisstischen Problemen, und eh“ – explosives Gelächter im Publikum, erheiterte Nachfrage von Kernberg: „Ist das hier ungewöhnlich?“, erneut schallendes Ge- lächter – „Und ehm – äh – hahh – und äh, äh – der – nach – sie schrieb – sie hatte ein Tagebuch, und sie hatte auch eine homosexuelle Freundin, sie beging Selbstmord, sandte das Ta- gebuch mit einer genauen Beschreibung des sexuellen Verkehrs mit ihrem männlichen Therapeuten dieser homosexuellen Freundin, die dann ein Gerichtsverfahren gegen den Therapeuten und gegen unser Spital einleitete. Also, Sie sehen, wie sie im Tode sich noch r…[ächte?; K.S.], wie sie Opfer und Täter zugleich wurde.“

Es ist schon ein sehr persönlicher – oder wohl besser: ein ganz miserabler – Stil, in dem Kernberg seine „Analyse“ hier vorträgt, bei der m.E. erst einmal jede Menge Fragen aufgeworfen werden, die unbeantwortet bleiben. Es fehlt dabei jeglicher Ansatz, das Verhalten des „jungen Psychiaters in Ausbildung“ tiefergehend kritisch aufzuarbeiten. Die Hauptschuld an dem verhängnisvollen Geschehen wird nicht etwa dem „Fachmann“ zugemessen, der sich in Ausübung seines Berufes befindet und dafür bezahlt wird, sondern vor allem der Klientin selbst.

Diese Fallanalyse greifen Gerhard Dammann und Benigna Gerisch in ihrem Artikel „Narzissti- sche Persönlichkeitsstörung und Suizidalität: Behandlungsschwierigkeiten aus psychodynami- scher Perspektive“ noch im Jahr 2005 unkritisch auf (Schweizer Archiv für Neurologie und Psychiatrie, 156, 6, 299-309). Frau Prof. Gerisch ist Dozentin am „International Psychoanalytic Institute“, Berlin, das Kernberg als Eröffnungsredner zu Allerheiligen eingeladen hat. Unter der Zwischenüberschrift: „Destruktiver Narzissmus – ein Sonderfall“ (S. 302) texten die AutorInnen: „Eine 34jährige Patientin mit einer destruktiv narzisstischen Persönlichkeitsstörung begann we- gen Leeregefühlen, zeitweiligem Alkoholabusus, Beziehungsproblemen mit ihrer lesbischen Freundin und rezidivierenden suizidalen Phasen eine tiefenpsychologisch fundierte Psychothe- rapie. Nach bereits kurzer Zeit ging es ihr, ihrem Gefühl nach, viel besser, und sie setzte sich zum Ziel, mit ihrem Psychotherapeuten eine Affäre zu beginnen. Seine offensichtliche Unkorrumpierbarkeit, seine intakt erscheinenden Familienverhältnisse und die Tatsache, dass er für sie wie nicht erreichbar schien, reizten sie und ihren Neid dabei besonders. Bald sah sie nur noch in diesem Ziel, ihn zu gewinnen, den einzigen Grund in die Therapiestunden zu kommen. Die Patientin unternahm relativ drastische und eindeutige Anstrengungen, um den Therapeuten zu verführen, bis ihr dieses schließlich auch gelang. … Allerdings beendete der Therapeut bereits nach kurzer Zeit die Beziehung zu ihr, aus Angst davor, seinen familiären Rückhalt zu verlieren, aber auch infolge eigener ethischer Bedenken, nachdem er bereits zuvor die Therapie beendet hatte. Die Patientin geriet darauf hin in eine schwere Krise, fühlte sich verraten, weg- geworfen und von ihrem Therapeuten missbraucht. Sie unternahm dringliche Versuche, ihn als Liebhaber oder zumindest als Therapeut zurückzugewinnen. Nachdem diese Versuche nicht fruchteten, tyrannisierte sie ihn mit Telefonterror. Schließlich suizidierte sie sich und hinterließ einen Abschiedsbrief an ihre geschockte Freundin, aus dem hervorging, dass sie von ihrem Therapeuten sexuell missbraucht worden sei, was sie dadurch belegte, dass sie dem Schreiben den einzigen Liebesbrief, den sie von dem Psychotherapeuten erhalten hatte, beilegte.“

Im anschließenden Abschnitt heißt es: „Dieser von Otto F. Kernberg beschriebenen Patientin war es offensichtlich unerträglich, die unabhängige Existenz des Analytikers und die eigene be- dürftige Abhängigkeit von ihm anerkennen zu müssen, was sich in dem intensiven Neid zeigt. Statt sich damit auseinanderzusetzen, suchte sie jedoch im Agieren Bestätigung, wobei der Therapeut sich auf eine dramatische, skandalöse und suizidbegünstigende Art und Weise mit der Patientin verstrickt hatte, eine Gefahr, die gerade bei diesen Patienten besonders groß ist. Der Suizid ist hier Ausdruck des destruktiven Hasses gegen andere und gegen sich selbst.“ Der Halbsatz zum Versagen des Therapeuten und zu seiner „dramatischen“ (?), „skandalösen“ und (abschwächend) „suizidbegünstigenden“ Art und Weise der „Verstrickung mit der Patientin“ hat wohl reine Alibifunktion, sonst wäre er nicht mit Sätzen eingerahmt, die das Opfer weiter diffamieren („intensiver Neid“, „bedürftige Abhängigkeit“, „destruktiver Hass“).

In dem Absatz, der dieser Falldarstellung unmittelbar vorausgeht, wird zum einen auf Kernbergs „Severe Personality Disorders“ (dt.: „Schwere Persönlichkeitsstörungen“) von 1984 Bezug ge- nommen, zum anderen geben die AutorInnen in dem gerade zitierten Nachsatz an, dass es sich um eine „von Otto F. Kernberg beschriebene Patientin“ handelt. Aber in dem Referenzwerk von Kernberg (1984) finde ich unter den (wörtlich gemeint) von A bis Z durchbuchstabierten Fallbeispielen kein einziges, das von einem solchen Suizid und seinen Begleitumständen berichtet. (Allerdings werden dort durchaus Patientinnen „beschrieben“, z.B. unter L bis N, denen im weiteren Verlauf ihrer „Behandlung“ das geschilderte Elend widerfahren sein könnte.) Auch in zwei anderen Kernberg-Werken, auf die sich die AutorInnen an anderer Stelle ihres Aufsatzes bezie- hen, habe ich eine entsprechende Falldarstellung nicht gefunden. Es würde mich nun also interessieren, woher sie all ihr „Wissen“ beziehen über die (angeblichen) Beweggründe der Klientin bei ihrer fiesen Attacke auf den bedauernswerten Therapeuten. Und ich würde gerne etwas näheren Aufschluss über die Gegenseite bekommen, z.B. über den Inhalt dieses Liebesbriefes des Therapeuten von „offensichtlicher Unkorrumpierbarkeit“. Darüber hinaus wüsste ich gern, wie der Therapeut seine „ethischen Bedenken“ genau formuliert hatte. Zusammen mit Informationen zu etlichen anderen offenen Punkten könnte ich dann vielleicht besser beurteilen, ob ich mich mehr mit dem (angeblichen) „destruktiven Narzissmus“ der Klientin, oder aber mit dem massiv schädigenden, verantwortungslosen Verhalten des Therapeuten beschäftigen sollte. Bezüglich der für mich wissenswerten Details hüllen sich jedoch die AutorInnen in Schweigen, obwohl sie über die Hintergründe präzise informiert zu sein scheinen. Stattdessen befleißigen sie sich einer gänzlich unprofessionellen Diffamierung und Verhöhnung eines Menschen, der sich während seiner Therapie suizidiert hat. Angesichts dieser Umstände gehe ich davon aus, dass die geschilderte Frau nur wegen einer völlig missratenen, unangemessenen „Behandlung“ zu ihrem Selbstmord getrieben worden ist, und dass ihr Therapeut weit davon entfernt war, sein Bestes zu tun, um ihrer Verzweiflung effektiv entgegenzuwirken.

Übrigens: Im Bericht der Nationalen Kommission zur Verhütung von Folter in den psychiatri- schen Diensten Thurgau an den Regierungsrat des Kantons vom 17.11.2010, verabschiedet am 12.04.2011, werden die Zustände in der Klinik Münsterlingen untersucht, in der Gerhard Damm- mann als Spitaldirektor und Ärztlicher Direktor tätig ist. In dem Bericht wird von einer Häufung von Suiziden zwischen September 2009 und März 2010 berichtet: Insgesamt hatten sich in ca. einem halben Jahr 8 PatientInnen das Leben genommen (sonstiger Durchschnitt: 2-4). Es wäre interessant zu ergründen, ob das so offensichtlich abschätzige Umgehen des Münsterlinger Spitaldirektors mit Patientensuizid, wie er es in seinem Fachartikel dokumentiert, diese Entwicklung begünstigt hatte.

Aber noch einmal zurück zu dem sehr „persönlichen Stil“ von Professor Kernbergs Psychoanalysen: „Ich spreche hier von einem Mann, der als einziger Überlebender seiner ganzen Familie als Kind im Alter von 12 Jahren [im mündlichen Vortrag heißt es: 8 Jahren; K.S.] aus dem Kon- zentrationslager befreit wurde, in dem seine ganze Familie vor seinen Augen ermordet wurde“ (Kernberg, 1999, S. 9). Wer könnte unberührt bleiben von dem, was sich hinter dieser lapidaren Schilderung an Elend und Leid verbergen muss, wenn man sich aufgrund dieses einen Satzes nur für einen kurzen Moment in die Situation dieses Kindes hineinversetzt?

Ohne jedoch näher auf die massiv traumatisierende Erfahrung dieses Kindes einzugehen, glei- tet Kernberg mit wenigen Worten zu dessen Auffälligkeiten im Erwachsenenalter über, was im folgenden Satz mündet: „Die Untersuchung dieses Patienten und seiner Familie ergab ein erschreckendes Bild eines Mannes, der ein absoluter Diktator seiner Familie war, seine Tochter in ihrer Kindheit sexuell vergewaltigt hatte, verhinderte, dass sich seine Söhne von ihm unabhängig machen konnten und seine Frau wie eine Sklavin behandelte“. [Im Vortrag ist von zwei Töchtern und einem Sohn die Rede.] Sehr gut kann ich mir vorstellen, dass die geschilderten Extremerfahrungen im KZ das Seelenleben dieses Jungen und sein (offenbar problematisches) Verhalten geprägt haben, dass diese Erfahrungen noch viel später sein Leben überschattet und auch seine Familie in Mitleidenschaft gezogen haben. Mit keiner Silbe wird jedoch der Dynamik einer solchen Entwicklung im Detail nachgegangen. Vielmehr zieht Kernberg ein plumpes Re- sümee: „Ich übertreibe nicht, wenn ich meinen Eindruck wiedergebe, dass dieser Mann sich seiner Familie gegenüber so verhielt, als ob er der Kommandant des Konzentrationslagers sei, in dem seine ganze Familie ermordet wurde.“ Verhöhnt nicht eine solche Gleichsetzung von Opfer und Täter in unerträglichem Maß alle Menschen, die die Hölle eines KZs nur mit schwersten seelischen Blessuren überlebt haben?

Die Argumentation ist aber noch perfider: Ein Schlüsselbegriff ist für Kernberg die „chronische Aggression“. Er weiß (angeblich), wie sie sich entwickelt: Nämlich allein aus der „oralen Wut“ bzw. aus dem „oralen Neid“ des Säuglings. So ist es für Kernberg im Fall dieses Klienten erwie- sen (der ja seiner Familie gegenüber solch „chronische Aggression“ zeigt), dass er seine Verhaltensstörung nicht etwa im KZ bei der Ermordung seiner ganzen Familie entwickelt hat, son- dern als Säugling, während des Gestillt-Werdens. Seinen Hass und seine chronische Aggression bringt er als Kind in das KZ mit hinein.

Während Kernberg die Situation an der Mutterbrust bedenkenlos für lebenslange massive Ver- haltensstörungen verantwortlich macht, sieht er die Wirkung einer ganz anderen Klasse von Ereignissen – „Konzentrationslager, Kriegsneurosen [sic], schwere Unfälle, Vergewaltigung, Geiselnahme, politischer Terror, Folter, andere Formen schwerer physischer und sexueller Misshandlung, besonders in den frühen Kinderjahren, in den ersten zehn oder fünfzehn Jahren des Lebens“ – als vergleichsweise harmlos an. Die Wirkung solcher Traumata, so will Kernberg uns einreden, sei relativ überschaubar: „Das posttraumatische Stresssyndrom ist ein Syndrom, das allen schweren Traumata [den gerade aufgelisteten; K.S.] gemeinsam ist.“ Es sei charakterisiert durch „Angstzustände, Einschränkung der Ich-Funktionen, Wutausbrüche, wiederkehren- de Alpträume und Flash-backs“. Originalton: „Und dieses Syndrom dauert im Allgemeinen zwei bis drei Jahre und hat die Tendenz, langsam zu verschwinden.“ Der aus dem KZ befreite Acht- jährige hätte also – so der „Fachmann“ – eigentlich spätestens ab seinem elften Lebensjahr wieder ein ganz normales Leben führen können – wenn, ja, wenn er nicht als Säugling so schrecklich darin versagt hätte, seine orale Wut zu bezähmen!

Interessant, dass eine ähnliche Argumentation schon der Psychiater Ernst Kretschmer gepflegt hatte. Kretschmer und andere dem Nationalsozialismus nahe stehende Psychiater hatten im schönen Lindau die dortigen Psychotherapiewochen begründet. In Philipp Mettauers Studie „Vergessen und Erinnern“ (2010) über die Gründungsväter der Lindauer Psychotherapiewochen heißt es: „1955 attestierte Ernst Kretschmer als Gutachter in einem ‚Wiedergutmachungsverfah- ren’ eines an Depressionen leidenden Verfolgten des NS-Regimes, ohne diesen jemals gese- hen zu haben, dass es keine verfolgungsbedingten Neurosen gäbe, da die ‚Ausgleichsfähigkeit des Organismus bei schweren psychischen Traumen’ unbegrenzt sei.“ Schwer­ste Gewalterfahrungen führen also nicht zu Depressionen. Sie sind vielmehr aufgrund entsprechender Konstitution von Geburt an angelegt. (Das Gericht sei zwar der Position Kretschmers nicht gefolgt, sein Gutachten habe jedoch Eingang in juristische Kommentare gefunden.)

Es bestärkt also eine Lindauer Tradition, wenn Otto Kernberg ausgerechnet hier seine Lehren präsentiert. Auch das Jahr, in dem er die „Lindauer Thesen“ verkündet (1997), ist sicherlich mit Bedacht gewählt: In diesem Jahr feiert Sigmund Freuds „Ödipuskomplex“ sein hundertjähriges Bestehen. Offensichtlich soll Kernbergs Vortrag damals bekräftigen, was Freud 100 Jahre zuvor als angeblich universelle Kinderperversion aus dem antiken Mythos abgeleitet und zum Dogma erhoben hatte. (Im selben Jahr wird Kernberg zum Präsidenten der „Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung“ gewählt, also gewissermaßen zum Nachfolger auf Freuds Thron.)

Eine Aufarbeitung dieses düsteren Kapitels systematischer, therapeutisch verbrämter Opferbe- schuldigung, auf das ich – neben anderen AutorInnen – seit bald 20 Jahren innerhalb der psy- chotherapeutischen Zunft hinzuweisen versuche, wurde bislang strikt verweigert. Die Ungeheu- erlichkeit dieser Vorgänge übertrifft m.E. den Skandal um die Fälle sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche in Kirchen, Internaten und Heimen bei weitem: Selten – mit Ausnahme vielleicht in der Ideologie der Wandervögel (Christian Füller: „Päderasten in der Jugendbewe- gung. Wandern und vögeln“, taz v. 11.06.2013) – wurden so offen die Urheber von (sexualisierter) Gewalt gegen Kinder und Jugendliche so drastisch entschuldet. Kaum anderswo werden Opfer von brutalster Gewalt ausdrücklich auf sich selbst zurückgeworfen. Wohl nirgendwo sonst wird eine solche Einstellung als heilsame Therapie verkauft, wird ein solch brutaler geistiger Sadismus als „persönlicher Stil“ oder „Bildungserfahrung“ schöngeredet.

Nun soll Otto Kernberg an Allerheiligen eine Fortbildung an der Berliner „International Psycho- anlytic University“ eröffnen. Für die lernbegierigen Besucher gibt es fürs Zuhören Fortbildungspunkte von der Ärztekammer. Viele Menschen gedenken an diesem Tag ihrer Toten. Manche davon gingen an einem sehr persönlichen Stil ihrer Psychotherapie zugrunde. Kernbergs geplanter Auftritt in Berlin könnte der Öffentlichkeit Anlass geben, der Opfer verfehlter Psychotherapie zu gedenken. Er sollte ein Anstoß sein, in einer Art und Weise all dieser Verletzten und Toten zu gedenken, wie es in Bezug auf die Opfer von „sexuellem Kindesmißbrauch“ und „Heimunterbringung“ versucht worden ist – damit in Zukunft weiteres Elend möglichst weitgehend vermieden wird.

Und ich wünsche mir, …

… dass die PsychotherapeutInnenschaft in einen umfangreichen Diskurs über Fehler und Ver- schlechterungseffekte eintritt bzw. bestehende Ansätze vertieft;

… dass sie weiter und verstärkt an der Entwicklung effektiver, hilfreicher, menschenfreundlicher Methoden arbeitet;

… dass sie die Opfer von therapeutischem Fehlverhalten aufrichtig betrauert, die sich oft ge­nug zu Wort gemeldet haben, in den weitaus überwiegenden Fällen jedoch wohl ein­ge­schüch­tert, stumm, resigniert und/oder unbeachtet geblieben sind;

… dass sie klare Maßnahmen ergreift;

… dass meine Einwände und Kritiken – sofern sie nicht geteilt werden – eine ernsthafte Erwiderung erfahren, die hinausreichen sollte über ein: „Sie haben wohl Ihre eigenen Probleme noch nicht richtig aufgearbeitet! Ich kann Ihnen einen guten Psychoanalytiker empfehlen!“ Oder: „Sie haben wohl nicht verstanden, dass es hier um das Unbewusste geht!“ Oder: „Sie haben offensichtlich von Psychotherapie keine Ahnung!“ (Alles schon erlebt.)

… dass die hier zitierten AutorInnen sich meine Kritik durchlesen und zu Herzen nehmen;

… dass innerhalb unserer Zunft Kernbergs Vortrag – durchaus kontrovers – diskutiert wird;

… dass mir die Organisatoren der „Lindauer Psychotherapiewochen“ endlich meine wieder­holt vorgetragene Bitte gewähren, an genau dem Ort, an dem Otto Kernberg seine fatalen Thesen vor sechzehn Jahren in die Welt gesetzt hat, eine Plattform für eine kritische Diskussion der „Lindauer Thesen“ zu erhalten;

und dass die Bundesregierung einen „Runden Tisch Psychotherapieopfer“ ins Leben ruft, bei dem ExpertInnen das verhängnisvolle Wirken sadistischer Psychothera­peu­tIn­nen aufarbeiten und wirksame Maßnahmen zur Abhilfe vorschlagen.

Diplom-Psychologe/Psychotherapeut Klaus Schlagmann Scheidter Str. 62 66123 Saarbrücken
0681/375 805 KlausSchlagmann [at] t-online.de http://www.oedipus-online.de

Gradiva, wahrhafte Dichtung, wahnhafte Deutung

Klaus Schlagmann, Dipl.-Psych.

Eine kritische Analyse zu Sigmund Freuds umfangreichster Literaturanalyse, „Der Wahn und die Träume in W. Jensens ‚Gradiva’“ (1907), Erstveröffentlichung von Freuds Briefen an den Dichter, sowie Hintergrundinformation zu der von Freud selbst, aber auch von seiner Gefolgschaft bis heute ignorierten Lebenswirklichkeit des Schriftstellers Wilhelm Jensen

1902 erscheint die Novelle „Gradiva“ von Wilhelm Jensen  (1837-1911). Ihr Inhalt: Ein junger Archäologe, Norbert Hanold, ist fasziniert von einem (real in einem Muse­um in Rom befindlichen) antiken Reliefbild, das eine markant einherschreitende junge Frau darstellt. Er benennt die Figur „Gradiva“ – „die Vorschreitende“. Über mehrere Tage hinweg stellt der Archäologe Mutmaßungen an über die junge Frau, die dem Künstler als Modell gedient hat. U.a. glaubt er, sie müsse eine Pompejanerin gewesen sein. In einem Traum erlebt er, wie die Gradiva-Gestalt beim Ausbruch des Vesuvs in Pompeji im Jahr 79 durch die untergehende Stadt schreitet und sich schließlich zum Sterben auf die Stufen des dortigen Apollo-Tempels niederlegt. Bei einer kurz darauf unternommenen Forschungsreise nach Pompeji begegnet Hanold in der Ruinenstadt einer jungen Frau mit dem charakteristischen Gradiva-Gangbild. Der schwärmerisch veranlagte Wissenschaftler, dem die Mittagshitze zu Kopf ge­stiegen ist, glaubt nun, in ihr dem Geist der in seinem Traum verschütteten Gradiva zu begegnen. Über drei Treffen hinweg mit diesem vermeintlichen Geist – jeweils zur Mittagsgespensterzeit – bleibt der junge Archäologe in seiner Einbildung gefangen. Am Ende ergibt sich dann eine überraschende Auflösung.

Diese Novelle wird Gegenstand von Sigmund Freuds umfangreichster Literatur­be­sprechung: „Der Wahn und die Träume in W. Jensens ‚Gradiva’“ (1907). Die druck­frische Abhandlung hatte Freud, offenbar kommentarlos, dem Schriftsteller vom Ver­lag zusenden lassen. Jensen nimmt – wohl noch am selben Tag, an dem er Freuds Schrift erhalten hat, am 13. Mai 1907 – eine kurze Korrespondenz mit Freud auf. Es kommt zu jeweils drei Schreiben auf beiden Seiten. Jensens Briefe sind seit 1929 publiziert. Freuds Briefe werden nun erstmals veröffentlicht. Sie waren dem Autor bei einem Treffen der Familie zum 100. Todestag von Jensen zur Publikation anvertraut worden, nachdem sie kurz zuvor im Nachlass eines Zweigs der Familie aufgetaucht waren. (Inzwischen werden sie als Leihgabe im Jensen-Archiv in Kiel aufbewahrt.)

Freud spekuliert aufgrund der Novelle über Jensens Lebenswirklichkeit. In der Ab­handlung selbst bleibt er noch sehr unkonkret. Er lässt vage anklingen, dass es – im Leben der Novellenfigur, wie auch bei ihrem  Schöpfer – um die Verdrängung von etwas Anstößigem gehe. Zu dem doch sehr zentralen Punkt, worin denn jetzt genau das Anstößige liegen soll, belässt Freud seine LeserInnen im Dunkeln. Vermutlich hat er sich mit seinen Spekulationen bei der Abfassung seiner Schrift selbst noch nicht festgelegt. Von dem damals noch befreundeten C.G. Jung wird Freud un­miss­verständlich auf die bestehende Lücke hingewiesen. So spinnt Freud noch ein hal­bes Jahr nach dem Erscheinen der Abhandlung seine Mutmaßungen fort. Jung selbst bringt ihn auf eine Spur: Jensen sei wohl in eine Schwester verliebt gewesen. Und Freud setzt eins oben drauf: Die Schwester war wohl noch dazu mit einem Spitzfuß körperlich behindert!

In seinem letzten Brief vom 16. Dezember 1907 ringt Freud um eine Bestätigung dieser Hypothese durch den Dichter: „Meine Frage lautet nämlich: Haben Sie zur Jugendgespielin – am liebsten ein jüngeres Schwesterchen – gehabt, das krank war u[nd] früh starb, eventuell eine Verwandte, die Sie zur Schwester wünschten? Und wenn ja, woran u[nd] wann starb sie? Welches war ihr Gang? War nicht gerade dieser durch ihr Kranksein beeinträchtigt?“

Am 19. Dezember 1907 antwortet Jensen hierzu freundlich und wahrheitsgemäß: „Nein. Eine Schwester habe ich nicht gehabt. Überhaupt keine Blutsverwandte.“ Und offenbar gibt es für ihn keinen Anlass, auf irgendwelche Fußerkrankungen bei sonstigen Personen aus seinem sozialen Umfeld zu verweisen.

Diese Auskunft offenbart, wie grandios sich Freud und Jung geirrt hatten. Jensen war tat­sächlich – ohne jeglichen Kontakt zu irgendwelchen Blutsverwandten – als unehe­liches Kind des Bürgermeisters von Kiel und einer Dienstmagd von einer kinderlosen Pflegemutter großgezogen worden. Perverse Inzestneigungen gegenüber einer Schwe­ster inklusive einer Verkehrung ins Gegenteil – die faszinierende, schöne Fußstellung der jungen Frau müsste auf ein hässliches, krankhaftes Gangbild ver­weisen – waren also ausgeschlossen.

Freud reagiert beleidigt, weil sich seine kühne Deutung als so offensichtlich unsinnig erwiesen hat. Gegenüber Jung berichtet er brieflich am 21.12.1907: „Von Jensen habe ich nachstehende Antwort auf meine Erkundigung erhalten, die … zeigt, wie wenig er solche Forschungen zu unterstützen geneigt ist … Die Hauptfrage, ob der Gang der Urbildpersonen irgendwie pathologisch war, hat er gar nicht beantwortet.“ Und im Jahr 1912 bringt er es sogar ungeniert an die Öffentlichkeit: Jensen habe die Mitwirkung bei der Deutung der Novelle versagt.

Die Recherchen zu Jensens biografischem Hintergrund legen jedoch nahe, dass er – sehr präzise und bewusst – reale Erfahrungen in seine Texte einfließen lässt. Und diese Hintergründe hatte er Freud bereitwillig mitgeteilt: Er wollte offenbar geliebten Menschen eine lebendige Erinnerung bewahren.

Jensens Lebenswerk ist sehr umfangreich: Ca. 150 Gedichtbände, Theaterstücke, Romane und Novellen hat er verfasst. Seine „Gradiva“ bringt dabei wohl in ge­konn­tester Form sein zentralstes Lebensthema zum Ausdruck – Entsetzen und Trauer über den frühen Verlust einer Kindheitsfreundin, deren Tod im Alter von 18 Jahren (wohl an Tuberkulose) der 20-jährige Jensen hautnah miterlebt hatte: Noch wenige Stunden vor ihrem Sterben hatte Clara Witthöfft zum letzten Abschied ihre „todten­weiße Hand“ auf das Haupt des in seiner ganzen Betroffenheit vor ihr nieder­knien­den jungen Mannes gelegt. So jedenfalls offenbart es Jensen selbst, mehr als dreißig Jahre später, in einem Brief an eine gemeinsame Freundin.

Jensens Angehörigen war der biografische Bezug zu der „Gradiva“-Novelle wohl sehr bewusst: Sie haben – offenbar mit Bedacht – für den zuletzt in Prien bzw. München lebenden Schriftsteller von dem Münchner Bildhauer Bernhard Bleker nach einem in Münchens Glyptothek befindlichen antiken Vorbild („Grabmal des Jägers“) einen Grabstein gestalten lassen, der sowohl dem Gradiva-Relief, als auch der Novelle selbst eine gelungene Referenz erweist. Das Grab befindet sich auf der Fraueninsel (Chiemsee), auf der Jensen seine Gattin Marie kennengelernt hatte.

Freuds „Gradiva“-Abhandlung zeigt mustergültig die Problematik seines Ansatzes. Geradezu wahnhaft versucht er, der Wirklichkeit seine Deutung aufzudrängen. Oft genug wird er nicht bestätigt – und er reagiert gekränkt und rechthaberisch. (Weitere Belege für diesen markanten Zug im Wesen Freuds werden im Anhang zitiert.) Freuds blinde Gefolgschaft setzt die Wirklichkeitsverleugnung fort – bis in die heu­tigen Tage: Z.B. Elisabeth Roudinesco und Michel Plon (2011), die in ihrer Abhand­lung zu Freuds Gradiva-Deutung im „Wörterbuch der Psychoanalyse“ auf nur drei Text-Seiten zum Thema neun Fehlinformationen in die Welt setzen. Dabei sind längst viele Einzelheiten publiziert, die Freuds falsche und verlogene Analyse kor­rigieren. Aber die gläubige Anhängerschaft will sich wohl nicht von den Fakten verwirren lassen.

In der Rezension von „Wahrhafte Dichtung und wahnhafte Deutung“ durch Professor Albrecht Hirschmüller (in: Luzifer-Amor, 26. Jg, 2013, S. 176-179), der das Werk immerhin – wegen der Erstveröffentlichung der Freud-Briefe – in die Bibliographie der Freud-Werke (Ergänzung, 2013) aufgenommen hat, lautet denn auch das trot­zige Resümee: „Schlagmanns Buch reiht sich in die Freud-Bashing-Literatur ein; die Lektüre hinterlässt einen schalen Geschmack.

Dass die fundierte Analyse von Freuds grotesker Fehldeutung, an der die psycho­analytischen Kreise noch nach über 100 Jahren beharrlich festhalten wollen, von den ewig-gestrigen Propagandisten der Freud’schen Heils-Lehre nicht mit gutem Appetit aufgenommen worden ist, muss nicht weiter verwundern. Wäre es anders gekom­men, so müsste wohl an der Analyse etwas Wichtiges fehlen. Und auch, wenn die Pseudo-ExpertInnen für anstößige und verdrängte Kinderperversionen der Wahrheit nur einen „schalen Geschmack“ abgewinnen können, so werden sie wohl doch nicht umhin können, sie zu schlucken und sie irgendwann auch zu verdauen.

 Klaus Schlagmann: Gradiva. Wahrhafte Dichtung und wahnhafte Deutung. Der vollständige Briefwechsel von Wilhelm Jensen und Sigmund Freud, Erläuterungen zu Jensens Novelle „Gradiva“ und ihrer Interpretation durch Freud, Jensens Lebenswirklichkeit, einige seiner Gedichte – darunter ein Spottgedicht auf Freuds Deutung – und der illustrierte Gesamttext der „Gradiva“ (unter Einbezug der Erstveröffentlichung von 1902). Saarbrücken (Der Stammbaum und die 7 Zweige. Klaus Schlagmann) 2012, 240 Seiten, zahlreiche Abbildungen. 19,99 Euro.

Krankenkassen finanzieren Lobbyarbeit für Kinderschänder

Krankenkassen finanzieren Lobbyarbeit für Kinderschänder

Psychotherapeutenkammer-Vorstand (im Saarland) behindert kritische Diskussion

 

·          Kinderschänder wälzen häufig ihre Schuld auf die Opfer ab.

·          Von psychotherapeutischer Seite wird ihnen beigepflichtet. Eine Fachpublikation (1999) behauptet: Eine Grundschülerin erlebe bei einer Vergewaltigung durch ihren Vater „typischer Weise“ einen „sexuell erregenden Triumph über ihre Mutter“! Sie müsse „ihre Schuld tolerieren“!

·          Diese These geht letztlich zurück auf die Lehre von Sigmund Freud, der in diesem Jahr weltweit zu seinem 150. Geburtstag geehrt wurde.

·          Der Vorstand der Psychotherapeutenkammer des Saarlandes behindert bis heute aktiv eine kritische Diskussion der zitierten Lobbyarbeit für Kinderschänder.

·          Mit meinem Appell richte ich mich an die Kostenträger von Psychotherapie und an die Öffentlichkeit: Helfen Sie mit, die Lobbyarbeit für Kinderschänder zu stoppen!

Der nachstehende Text wurde an ca. 100 Geschäftsstellen von privaten und gesetzlichen Krankenkassen versandt, ebenso an den Saarländischen Minister für Justiz, Gesundheit und Soziales, Herrn Dr. Josef Hecken.

Kommt der sexuelle Missbrauch von Kindern zur Anklage, dann wälzen die Täter oft ihre Schuld auf die Opfer ab, indem sie behaupten, sie seien von den Minderjährigen provoziert worden. Eine geradezu „professionelle“ Schuldzuweisung an die Opfer wird dabei (wohl unfreiwillig) von den Krankenkassen finanziert – als sogenannte „Psychoanalyse“.

Ein Fallbeispiel: Eine Frau leidet an schweren depressiven Störungen; sie ist als Kind von unter zehn Jahren von ihrem Vater vergewaltigt worden. Ihr Psychoanalytiker deutet: Die Grundschülerin habe dabei „typischer Weise“ einen „sexuell erregenden Triumph über ihre Mutter“ erlebt. Die Frau müsse „ihre Schuld tolerieren“. So Otto F. Kernberg, Mitglied im Beirat der Lindauer Psychotherapiewochen. Er hatte in Lindau diese und ähnliche Anklagen 1997 unwidersprochen vorgetragen, 1999 publiziert.

Woher kommt eine solch gnadenlose Ignoranz gegenüber den kindlichen Opfern von sexuellem Missbrauch in psychotherapeutischen Fachkreisen?

Ein gut einhundert Jahre altes, bis heute gerühmtes Lehrwerk der Psychotherapie liest sich wie ein Handbuch für Kinderschänder: Der 27jährige Herr Z. presst eine 13-Jährige in seinem menschenleeren Büro an sich und küsst sie – gegen ihren Willen – auf den Mund. Obendrein spüre sie dabei die Erektion des Mannes. Sie ekelt sich, reißt sich los und rennt weg. Dies beweise, dass das Mädchen bereits „ganz und voll hysterisch“ sei: „Anstatt der Genitalsensation [= sexuellen Erregung], die bei einem gesunden Mädchen unter solchen Umständen gewiß nicht gefehlt hätte, stellt sich bei ihr … der Ekel [ein]“! Der Fachmann: „Ich kenne zufällig Herrn Z.; …. ein noch jugendlicher Mann von einnehmendem Äußern“. Zwei Jahre später quittiert das Mädchen einen Heiratsantrag dieses (verheirateten) Herrn mit einer Ohrfeige. Der Autor analysiert: „Dass sie von dem Vorfalle ihre Eltern in Kenntnis gesetzt, legte ich als eine Handlung aus, die bereits unter dem Einflusse krankhafter Rachsucht stand. Ein normales Mädchen wird, so sollte ich meinen, allein mit solchen Angelegenheiten fertig.“ „Gesunde“ und „normale“ Jugendliche halten demnach bei solcher Zudringlichkeit still, genießen ihre Erregung und sind gegenüber ihren Eltern verschwiegen!

Sigmund Freud, der Autor dieses „Handbuchs“ – Bruchstück einer Hysterieanalyse (1905) – verfolgt seit dem September 1897 die These vom „polymorph perversen Kind“ und vom „Ödipuskomplex“. Die Abneigung von Jugendlichen gegen die Zudringlichkeit von Erwachsenen ist für ihn der Ausdruck einer psychischen Störung, deren Ursache sucht er in (unterstellten) kindlichen Perversionen. Dies führt – konsequent zu Ende gedacht – zu Otto Kernbergs These vom „sexuell erregenden Triumph“ eines vergewaltigten Kindes und von dessen „Schuld“. Der langjährige Präsident der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung (IPA) findet damit leider immer wieder begeisterte Zustimmung unter sogenannten Fachleuten, wie z.B. das Werbematerial einer mit ihm geplanten Veranstaltung Ende Oktober 2006 in Rott­weil belegt: http://www.milton-erickson-institut.de/programm/workshops/kernberg.html.

Die von Kernberg propagierte „Therapie“ muss jedoch m.E. bei den Betroffenen geradezu eine Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes bewirken! Deshalb werbe ich seit dem Jahr 2000 bei Kongressen, mit Publikationen, per E-mail-Rundschreiben, auf einer Homepage (http://www.oedipus-online.de) oder in Diskussionen für Widerspruch gegen Kernbergs Position. Meine Kritik wurde teilweise brüsk abgewiesen, überwiegend beschwiegen. Am 19. Dezember 2000 hatte ich das Saarländische Ministerium für Gesundheit und Soziales um Unterstützung gebeten. Psychiatriereferent Ingwardt Tauchert lehnte ab: Die Politik sei nicht zuständig. Das Problem gehöre in eine Psychotherapeutenkammer. Die gab’s aber damals noch nicht.

Als sich im Jahr 2004 im Saarland eine solche Kammer konstituiert hatte, schrieb ich einen Leserbrief an deren Organ, das FORUM, das alle 408 Kammermitglieder kostenlos beziehen. Auf dem Hintergrund ausgiebiger Zitate aus Kernbergs Text wollte ich an meine Kollegen/-innen appellieren: „Im Interesse unserer Klientinnen und im Interesse unseres Rufes sollten wir derartig unmenschlichen Positionen, wie oben zitiert, ausdrücklich eine gemeinschaftliche Absage erteilen!“ Der Brief wurde nicht abgedruckt. Begründung der Kammerpräsidentin Ilse Rohr im FORUM 4 (September 2004): Das FORUM wolle „keine Plattform für Vorurteile oder Polemik bieten“!

In der Vertreterversammlung der Kammer vom 28. Februar 2005 stellte ich meinen Beitrag zur Diskussion. Meine Kritik verunglimpfe Arbeitsmethoden, so das Protokoll dieser Sitzung. Meine Bemühungen, eine Debatte zu dem Thema anzuzetteln, wurden bis in den März 2006 hinein von Seiten des Kammervorstands nach Kräften behindert. (Genauere Darstellung unter: http://www.oedipus-online.de/rohr.html.)

Da meine langjährigen bundesweiten Bemühungen um kritische Diskussion innerhalb des Kollegenkreises ohne nachhaltige Resonanz geblieben sind, richte ich nun meinen Appell an die Kostenträger der Psychotherapie und an die Öffentlichkeit:

·   Die Opfer von sexuellem Missbrauch leiden oft genug an Schuldgefühlen, weil sie ihnen z.B. von den Tätern eingeredet wurden. Legen Sie denjenigen „Fachleuten“ das Handwerk, die die Leidtragenden weiter in diese Schuldgefühle hineintreiben!

·  Stoppen Sie die Finanzierung einer derartigen Lobbyarbeit für Kinderschänder!

·  Üben Sie Druck aus auf den bisherigen Vorstand der Saarländischen Psychotherapeutenkammer, den Weg frei zu machen für eine kritische Diskussion des bezeichneten Missstands!

 

Klaus Schlagmann, Scheidter Strasse 62, D – 66123 Saarbrücken
KlausSchlagmann@aol.com  –  http://www.oedipus-online.de

 

 

Nachwort zu vorstehendem Beitrag von K. Schlagmann

 

Zur Website des Diplom-Psychologen Klaus Schlagmann setzten wir im Juli 2006 bereits eine Verbindung in der Rubrik „Links“, (nicht ganz) kleine Positionsunterschiede von INFC dabei darlegend. In vorstehender Sache aber hat Schlagmann unsere volle Unterstützung, nicht zuletzt in seiner Auseinandersetzung mit seiner Berufsvertretung, der saarländischen Psychotherapeutenkammer. Wußte ihr Organ FORUM doch nicht besser zu reagieren, als seine mehr als berechtigte Klage als „Vorurteil“ und „Polemik“ zu verreißen und abzuschmettern.

Ähnlich halten es freilich auch die einschlägigen ärztlichen Organe, Ärztekammern, Kassenärztliche Vereinigungen und die psychiatrischen und ärztlich-psychotherapeutischen Fachvertretungen. Seit Jahr und Tag bekommen sie den Mund nicht voll genug, die psychischen Leiden im Land zu beklagen, phantastische Behandlungsmöglichkeiten und Behandlungsbedürfnisse aufzeigen und dafür immer mehr und noch mehr Geld anzufordern. Nie aber verlieren sie ein Wort darüber, welch fragwürdig-„therapeutische“ Vorstellungen dabei „über den Tresen gehen“ und welche noch fragwürdigeren Wirkungen diese oft genug zeitigen. Mitunter scheint es, es sei das alles, sei insbesondere die Behinderung der kritischen Diskussion politisch gewollt. Die Medien schweigen links wie rechts.

Nachdem die Walter-von-Baeyer-Gesellschaft (GEP) diese und ähnliche Sachverhalte seit 1977 aufzeigt, das Internationale Netzwerk der Freud-Kritiker (INFC) es seit 2003 gar dreisprachig tut, freuen wir uns, daß im deutschen Sprachraum nun eine zweite Stimme laut geworden ist, die auf weitere Aspekte dieser tragisch-aberwitzigen Situation aufmerksam macht.

Vorstehende Bemerkungen sollen nicht die positiven Leistungen und Entwicklungen verdecken, die es in der  „Seelenheilkunde“ auch gibt, Entwicklungen, die langsam von abgehobenen, abstrusen Konstrukten wie den Freudschen weg zu einer menschengerechteren und so auch hilfreicheren „Psychotherapie in den Lebenswissenschaften“ führen (Bräutigam W., Der Nervenarzt 7/2006).

Dr. F. Weinberger

Vorsitzender, GEP                                                            23. August 2006

 

Nachtrag des Herausgebers (Mai 2007)

 

Seine Kritik an Kernbergs Theorie bezüglich „psychischer Traumen“ versuchte Schlagmann inzwischen auch in einer Fachzeitschrift weiter dazustellen. Dort dazu anfänglich ermuntert, stieß er letztlich dann doch auf Ablehnung trotz prominenter Befürworter. Dr. Sophie Freud, Enkelin Sigmund Freuds (s. „Freud zu Freud“), schrieb ihm: „Ihre Entrüstung gegen Kernberg scheint mir sehr berechtigt. Der Kerl hat so viele aggressive Klienten, weil sein Verhalten solche Gefühle herausfordert, und er sieht die Aggressionen nicht als Antwort auf sein Benehmen, sondern interpretiert sie ganz anders. Ich weiss wirklich nicht, warum er so beliebt ist, vor allem in Europa… Sie sollten im deutschen Bereich ihre Stimme erheben, eben so, daß sie mehr gehört wird. Ich wünsche Ihnen besten Erfolg.“

 

Egoistisch-„aggressive Klienten“ werden als Ergebnis psychoanalytischer Kuren nicht selten beobachtet. Schlagmanns Texte wie auch die zunächst interessierten Ermunterungen und die dann folgenden Begründungen für ihre Zurückweisung können nachgelesen werden unter: http://www.oedipus-online.de/feigenblaetter.htm. Schlagmann fragt: „Haben Fachzeitschriften zum Thema „psychisches Trauma“ reine Alibifunktion? Sollen sie die beschämende Blöße bedecken, die in diesem Bereich herrscht?