Max Scharnberg
Erster Schritt hin auf das Verschwinden der Psychoanalyse aus Schweden
Bis vor kurzem hatten achtzehn Ausbildungseinrichtungen in Schweden das Recht, den geschützten Titel lizenzierter Psychotherapeut an Absolventen ihres Ausbildungsprogramms zu verleihen. Vor rund zehn Jahren wurde jedoch ein Komitee bestellt, das die Qualität dieser Einrichtungen und ihrer Trainigsprogramme prüften sollten, um empfehlen zu können, ob dieses Recht fortbestehen oder entzogen werden sollte. Sechs Jahre lang wurden die Einrichtungen und Programme beobachtet. Allen Institutionen und Programme, deren Qualität als zu niedrig eingeschätzt wurde, bekamen eine Frist von einem Jahr zur Erreichung einer Verbesserung eingeräumt. Unter denen, die diese Atempause zur Verbesserung nicht nützten, war die Svenska psychoanalytiska förenigen (SPF), die schwedische Sektion der International Psychoanalytic Association (IPA). Da die IPA eine weltweite Organisation ist mit starken internationalen Strukturen, ist es sinnvoll, ein Hauptaugenmerk auf ihre schwedische Sektion zu richten.
Besagtes Komitee nennt sich selbst „Beurteilungsgruppe“ und der Report, den sie vorlegte, heißt „Högskoleverkets rapport 2007:30 R“ – Högskoleverket auf deutsch: Schwedische Agentur für die höhere Bildung. Die Kritik an der SPF / IPA-Ausbildung steht im Report auf den Seiten 142ff.
Psychoanalytiker und zertifizierter Psychoanalytiker sind in Schweden aber keine geschützten Titel. Die schwedische Sektion der IPA ist natürlich frei, ihre eigenen Regeln für die Bedingungen aufzustellen, unter denen man Mitglied in dieser Organisation werden kann. Es ist jedoch etwas ganz anderes, einem Kandidaten den staatlich geschützten Titel „lizenzsierter Psychotherapeut“ zu verleihen.
Als die Beurteilergruppe ihre Arbeit aufnahm, war das Ausbildungsprogramm der SPF auf sechs Jahre ausgelegt. Während der ersten drei Jahre studierten die Teilnehmer ausschließlich Psychoanalyse. Sie konnten aber auch mit dem vierten Jahr beginnen. Wenn sie die Kriterien nach dem 6. Jahr am Ende erfüllten, konnten sie „lizenzierte Psychotherapeuten“ werden.
Hier sah die Beurteilergruppe die erste Anomalie. „Ein großer Teil der Bewerber, die (zur Ausbildung) zugelassen wurden, waren vor der Zulassung bereits ‚lizenzierte Psychotherapeuten’, (acht etwa von den zwanzig 2003 und 2005 zur Ausbildung Zugelassenen).“ Wenn es das Ziel der Ausbildung ist, die Studenten zu lizenzierten Psychotherapeuten zu machen, ist es verwunderlich, Bewerber anzunehmen, die diese Lizenz bereits haben. Oder in den Worten der Beurteilergruppe: „Nachdem es das Ziel der Ausbildung ist, die Studenten zum Ablegen des Psychotherapeuten-Examens zu bringen, hält es die Beurteilergruppe für reichlich merkwürdig, Personen zuzulassen, die nicht das Ziel haben, dieses Examen zu bestehen.“
Meine eigene Überlegung richtet sich auf die Motivation jener „lizenzierten Psychotherapeuten“, die sich für die letzten drei Jahre der SFP/IPA-Ausbildung bewerben. Schwer vorstellbar ist, daß irgend ein anderes Motiv dahinter stand als ihr Wunsch, damit ein zertifiziertes SFP/IPA-Mitglied zu werden.
Übliches Vorgehen in der akademischen Welt ist, daß Studenten, die vor ihrer Zulassung schon ein äquivalentes anderes Training erhalten haben, nicht das gleiche Gebiet wiederholen müssen. So mag jemand am Königlichen Kolleg der Musik zwei Jahre lang Harmonielehre studiert haben und danach einen entsprechenden Kurs an der Universität belegen, in dem das gleiche Maß an Harmonielehre Thema ist. Dann wird er üblicherweise von dem nochmaligen Studium der gleichen Sache befreit werden. Im Unterschied dazu praktiziert die SPF/IPA die Vorschrift, daß nichts, was der Student, die Studentin außerhalb der IPA gelernt hat, irgend einen Nachlaß für das einbringt, was er/sie noch bei ihr zu lernen hat. Das ist die zweite Anomalie.
Die Beurteilergruppe erklärt dann eine dritte Anomalie: „Vom Psychotherapieexamen wird angenommen, daß es den/die Auszubildenden kompetent macht, Psychotherapie im Rahmen der medizinischen Dienstes zu erbringen. Besagter Ausbildungsweg unterscheidet sich (aber) nach sowohl der Form als auch dem Inhalt von (allen) anderen psychotherapeutischen Ausbildungswegen, weil es er, sowohl was die Menge der Unterrichtsstunden, der Supervision und des Literaturstudiums betrifft, viel mehr als die vorherrschenden Normen umfaßt. Eine psychotherapeutische Ausbildung kann nicht akzeptiert werden, bei der die Studenten nur ausgedehnte Psychoanalysen durchführen, ohne daß von ihnen gefordert wäre, daß sie vor Beendigung der Ausbildung auch nur einen Fall wirklich abgeschlossen haben.. Zudem fehlt die Kurzzeit-Therapie, obwohl das öffentliche Gesundheitswesen just diese anfordert. (Es fehlt auch) eine breitere Diagnostik etwa im Rahmen des DSM- und ICD-Systems.
Da diese Assoziation (SPF/IPA) klein ist, haben die Dozenten verschiedene Rollen gleichzeitig inne, z.B. Dozent und Supervisor und manchmal auch die des Psychoanalytikers des Studenten. Das ist unangemessen und muß durch die Einstellung von mehr Personal in die Ausbildung wieder ausgeglichen werden.
Der Ausbildungsvorgang der SFP/IPA läßt in jenen Bereichen zu wünschen übrig, die auf der Ebene der Hochschulbildung essentiell sind, z.B. einer offenen Haltung modernen Trends gegenüber innerhalb der Psychotherapie-Forschung außerhalb der eigenen Tradition. Hier gibt es keine Verbindung mit irgend einer Art von Forschung. Und obwohl mancher Student bei anderen Institutionen oder Ausbildungsprogrammen etwas gelernt haben mag, werden solche Kenntnisse als null und nichtig angesehen. Sie bringen dem Studenten keine Einsparung an IPA-Unterricht. Dem Prinzip, daß alle Ausbildung auf Universitätsniveau in einem kritischen und kreativen Rahmen durchgeführt werden muß, wird nicht Genüge getan.
Darüber hinaus deckt der Ausbildungsteil, der allgemeine Wissenschaftstheorie betrifft, ein sehr enges Gebiet ab. Allein qualitative Methoden kommen dabei zum Einsatz.
Die Beurteilergruppe stellt weiter fest, daß „weil diese Assoziation (SPF/IPA) klein ist, haben die Dozenten verschiedene Rollen gleichzeitig inne, z.B. die des Dozent und des Supervisors und manchmal auch die des Psychoanalytikers des Studenten. Das ist unangemessen…“
„Ein seltsamer Umstand ist auch, daß den Dozenten eine feste Anbindung in vertraglich oder ähnlich festgelegter Form fehlt. Sie werden für jede einzelne Ausbildungsaufgabe speziell bestellt… Die Studenten bezahlten die Dozenten individuell für jede Stunde, jedes Seminar; jede Supervision, ein Muster, das weder dem Ausbildungsprogramm noch den Studenten Stabilität verleiht. Was zum Beispiel passiert, wenn der Student, die Studentin einen Teil der Ausbildung nicht bestanden hat und ihn wiederholen muß? Es ist sein / ihr Recht zu Beginn einer Ausbildung zu wissen, was sie kosten wird.“
Es nimmt nicht wunder, daß die SFP/IPA keine Maßnahmen auf eine Verbesserung hin ergriffen hat. Infolge dessen hat sie das Recht verloren, den Titel „lizenzierte Psychotherapeut“ zu verleihen. In Schweden können Sie sich nicht länger dem von der SPF/IPA angebotenen Trainingsprogramm unterziehen und auf dieser Basis die Lizenz zum Psychotherapeuten erwerben.