Zur Bestätigung Freud’scher Deutungen

Max Scharnberg, Uppsala, Schweden

Zur Bestätigung Freud’scher Deutungen

Vorwort des Herausgebers

In Deutschland blüht die Psychoanalyse allerorts. Zum 150. Geburtstag Freuds hält die Katholische Akademie in Bayern am 28./29 April 2006 eine große Festveranstaltung ab. Hans Küng predigt seit langem: „Kein Zurück hinter Freud“.  Die evangelische Kirche ist auf den Blender vordem schon abgefahren. In der „Seelenheilkunde“ ist Freud heute schlechthin sakrosankt. Die Psychoanalyse ist neue Staatsreligion geworden.

Dr. Max Scharnberg, bis vor kurzem als Ass.Professor an der Erziehungswissenschaftlichen Abteilung der Universität Uppsala, Schweden, tätig, bekleidet seit Jahren einen hohen Rang im Kreis der wissenschaftlichen Freud-Kritiker. Er hat dazu teils auf schwedisch, teils englisch vier Bücher geschrieben (s. Einleitung zur INFC-Site). Wir freuen uns, hier einen neuen, gewichtigen Beitrag von ihm auf deutsch vorstellen zu können. Dem oft nur ungefähr mit Freud und seinen Jüngern Vertrauten werden deren Gedankengänge hier an vielen Beispielen, einigen auch von Freuds „berühmten Fällen“, genauer vorgestellt und, ins Einzelne gehend, kritisch hinterfragt.

                                                           Friedrich Weinberger

 

Zusammenfassung

 

1958 fand am New York University Institute of Philosophy eine Konferenz statt, an der hervorragende Psychoanalytiker und Philosophen teilnahmen. Thema war Art und Grad der Rationalität psychoanalytischer Theorie und Methodik. Die Ausführungen wurden in einem Buch veröffentlicht: Sidney Hook, Psychoanalysis, Scientific Method, and Philosophy (1959). Die Philosophen brachten viele entschiedene Einwände vor. Sie blieben gleichwohl zurückhaltend, weil sie davon ausgingen, dass die Analytiker guten Glaubens waren. Sie entdeckten darum die zentralen und – bewussten Lügen von Heinz Hartmann nicht, des Vaters der Ich-Analyse, der damals auf Seiten der Freudianer als überragender Theoretiker galt.

 

Alle seine Kollegen stimmten auch darin mit ihm überein, dass

(a)    Psychoanalytiker über jeden Patienten so viele konkrete Beobachtungen machten, dass Nicht-Analytiker sich so große Mengen gar nicht vorstellen könnten,

(b)    jede Deutung auf sehr viele Beobachtungen gegründet sei,

(c)    diese Beobachtungen mit der psychoanalytischen Methode erreicht worden seien,

(d)    die psychoanalytischen Deutungen der vielen, vielen Einzelheiten allem überlegen seien, was mit anderen Theorien erreicht werden könnte,

(e)    die Voraussagen durch Verfahren bestätigt würden, die auch Nicht-Analytiker als rational ansähen,

(f)      die Psychoanalytiker sich hüteten, ihre Patienten zu beeinflussen,

(g)    es deshalb gesichert sei, dass die Reaktionen der Patienten – u.a. ihr letztendlicher Glaube an die Deutungen – nur aus ihrem Inneren herrühren könnten.

 

Hartmann führte zu diesen Punkten keine konkreten Beispiele an. Er ließ nur zwei Worte fallen: „Bonaparte“ und „sechs“ (letzteres die Nummer seiner Referenz) – womit er das seines Erachtens beste Beispiel nannte, das er während 60 Jahren wissenschaftlicher Betätigung in der einschlägigen Literatur gefunden hatte. Er gab jedoch keine weitere Information darüber, welche Beobachtungen und welche Deutungen da beschrieben und wie diese bestätigt worden sind.

 

In Notes on the Analytic Discovery of a Primal Scene, dem von Hartmann anvisierten Text, beschreibt Marie Bonaparte (1945) eine Psychoanalyse bei Freud, wobei die weiteren Einzelheiten rasch verraten, dass es sich um ihre eigene Analyse handelte. Eine Überprüfung des Inhalts deckte einiges auf, was Hartmann verbarg, nämlich:

 

(1) Sämtliche Beobachtungen wurden ohne besondere Methodik gemacht. Es sind Beobachtungen, die jedem Laien direkt möglich sind.

(2) Es sind extrem wenige Beobachtungen.

(3) Bonaparte hatte von einem nahe an einander liegenden Ehepaar geträumt. Als sie selbst sieben Jahre alt war, schrieb sie eine kleine Geschichte mit dem Titel „Der Mund-Bleistift“.

(4) Alle Deutungen stützen auf eine bis allenfalls vier banale Beobachtungen.

(5) Die Deutungen sind reich an Einzelheiten.

(6) Sie sind völlig willkürlich und oft absurd.

(7) Freuds Deutung war, dass Bonaparte im Alter von zwei Jahren sexuellen Verkehr und Fellatio (vgl. „Mund-Bleistift“) beobachtet hatte.

(8) Freud wie auch Hartmann, Bonaparte und Ernest Jones u.s.w. vermochten nicht zu unterscheiden, welche Deutungen wirklich auf psychoanalytischer Theorie fußten, welche dagegen auf privaten Vorurteilen. Freud leitete „aus der Theorie“ noch ab, dass das Paar, das Bonaparte beobachtete, ihr Onkel und ihre Amme war.

(9) Der Onkel war jetzt 82 Jahre alt. Bonaparte ging und erzählte ihm, was sie von Freud gelernt hatte, und bearbeitete ihn, bis er „gestand“.

(10) Dies das angeblich „wissenschaftliche Verfahren“, das die „Bestätigung“ brachte.

(11) Bonaparte schreibt ausdrücklich, dass sie sich gegen die Deutungen Freuds heftig wehrte. Dieser aber fuhr fort, ihr seine Deutungen aufzuzwingen, bis ihr Widerstand überwunden war.

 

Hartmann wagte nicht, die Wahrheit zu sagen. Offensichtlich war ihm bewusst, dass die Philosophen sein Beispiel zerpflücken und abweisen würden, wenn er ihnen erzählte, welch konkrete Tatsachen hinter ihm steckten. Andere Erklärungen für sein Vorgehen als bewusste Lüge sind ausgeschlossen.

 

Es wird in dem Beitrag weiter dokumentiert, dass Hartmanns Ausführungen üblichem psychoanalytischen Vorgehen entsprechen. Ferner wird gezeigt, dass alle psychoanalytischen Deutungen nach dem Prinzip der kausalen Ähnlichkeit gewonnen werden: Die Ursache ähnelt der Wirkung. Im Titel der genannten Geschichte ähnelt „Der Mund-Bleistift“ (Wirkung) fraglos der angeblichen, aber nicht wirklich gemachten Beobachtung von Fellatio (Ursache).

 

Dies wird auch an mehreren von Freuds bekannten Fällen weiter ausgeführt.

 

 

Inhaltverzeichnis

I             Wie nach Heinz Hartmann psychoanalytische Deutungen konstruiert und verifiziert werden

 

II          Marie Bonapartes Beispiel von Konstruktion und Bestätigung der Deutungen

 

III          Stützen sich Bonapartes Deutungen auf eine „riesige Menge von Beobachtungen“?

 

IV          Freuds, Bonapartes, Jones’ und Hartmanns Unvermögen, zwischen psychoanalytischen Deutungen und  privaten Vorurteilen zu unterscheiden

 

V          Scheinbestätigung von Bonapartes Deutungen

 

VI          Das Prinzip der kausalen Ähnlichkeit

 

VII         “Die riesige Menge von Beobachtungen” im „dritten Verführungsartikel“

 

VIII       Die „Bestätigungen“ von Deutungen in „Zur Ätiologie der Hysterie“, einige Lügentechniken und Lügenindikatoren

 

IX          “Die Psychoanalytiker beeinflussen ihre Patienten nicht ”

 

X          Schlussbemerkungen

 

 

Kapitel I

 

Wie nach Heinz Hartmann psychoanalytische Deutungen konstruiert und verifiziert werden

 

1958 fand eine Konferenz am New York University Institute of Philosophy statt, um Art und Grad der Rationalität der psychoanalytischen Theorie und Methode zu erörtern. Hervorragende Psychoanalytiker und Philosophen nahmen daran teil. Ihre Ausführungen wurden in einem Buch publiziert: Sidney Hook, Psychoanalysis, Scientific Method, and Philosophy (1959).

 

Die Philosophen brachten viele entschiedene Einwände vor. Sie blieben dennoch eher zurückhaltend infolge ihrer Annahme, dass die Psychoanalytiker guten Glaubens waren. Sie entdeckten daher einige fundamentale Lügen in den Aussagen Heinz Hartmanns, des Vaters der sog. Ich-Psychoanalyse, nicht, die der Ausgangspunkt dieses Artikels sind. Ich werde sie „das zentrale Zitat“ nennen:

 

„Die Daten, die in der psychoanalytischen Situation [a] mittels der psychoanalytischen Methode gesammelt werden, sind [b] hauptsächlich Verhaltensdaten; und ihr Ziel ist eindeutig die Erforschung menschlichen Verhaltens. Die Daten bestehen meistens aus dem verbalen Verhalten des Patienten, schließen aber auch andere Arten von Aktivität ein: sein Schweigen, seine Körperhaltung und seine Bewegungen, insbesondere seine Ausdrucksbewegungen. […]

“The data gathered in the psychoanalytic situation with [a] the help of the psychoanalytic method are [b] primarily behavioral data; and the aim is clearly the exploration of human behavior. The data are mostly the patient’s verbal behavior, but include other kinds of action. They include his silences, his postures, and his movements in general, more specifically his expressive movements. […]

 

Bezüglich der Daten ist es schwierig, außerhalb des eigentlichen analytischen Prozesses einen Eindruck zu geben von [c] der Menge von Beobachtungsdaten, die schon in einem einzelnen Fall gesammelt werden. Oft verweist man auf die verhältnismäßig kleine Anzahl von Fällen, die von der Psychoanalyse untersucht wurden und neigt dazu, [d] die sehr große Anzahl von tatsächlich gemachten Beobachtungen, auf welche wir in jedem einzelnen Fall die Deutungen eines Aspekt des Charakters, der Symptome (u.s.w.) eines Patienten gründen.

[Fußnote:] Es beinhaltet also im Hinblick auf Forschung jeder einzelne Fall Hunderte von beobachteten [e] Regularitäten in [f] Hunderten von Hinsichten. […]

 

As to the data, it is hard to give, outside the analytic process itself an impression of [c] the wealth of observational data collected in even one single ‘case’. One frequently refers to the comparatively small number of cases studied in analysis and tends to forget [d] the very great number of actual observations on which we base, in every individual case, the interpretations of an aspect of a person’s character, symptoms and so on.

[Footnote:] Thus every single clinical ‘case’ represents, for research, hundreds of data of observed [e] regularities, and in [f] hundreds of respects.” […]

 

Dadurch, dass einige Variable in der psychoanalytischen Situation, wenn auch nicht völlig unveränderlich, [g] so doch so unveränderlich, wie die Situation es eben gestattet, gehalten werden, wird es leichter, [h] die Bedeutung anderer Variablen zu bestimmen, die in das Bild einfließen. Das Beispiel, das am besten untersucht ist, ist was man [i] die Passivität des Analytikers nennt […]. Ich behaupte nicht, dass die Psychoanalyse eine experimentelle Wissenschaft ist. Aber es gibt Situationen, in denen sie [j] dem doch nahe kommt.“ […]

“By keeping certain variables in the analytic situation, if not constant, [g] as close to constancy as the situation allows, it becomes easier to evaluate [h] the significance of other variables that enter the picture. The best-studied example of this is what is called [i] the ‘passivity’ of the analyst, […] This is not to claim that psychoanalysis is an experimental discipline. However, there are situations where it [j] comes close to it.” […]

 

„Es gibt genug Beweismaterial für die Aussage, dass unsere Beobachtungen in der psychoanalytischen Situation, in Zusammenhang der psychoanalytischen Erfahrung und Hypothesen gesetzt, [k] Voraussagen ermöglichen – Voraussagen verschiedener Grade von Präzision oder Reliabilität, die aber [l] allen anderen in der Persönlichkeitspsychologie versuchten in der Regel überlegen sind. Auf Grund der Betonung des genetischen Gesichtpunkts sind viele Voraussagen das, was ’Voraussagen der Vergangenheit’, d.h. Rekonstruktionen vergangener Begebenheiten genannt worden ist. Sie können [m] oft bis in überraschende Einzelheiten hinein bestätigt werden (Bonaparte, 6).“

“There is sufficient evidence for the statement that our observations in the psychoanalytic situation, set in the context of psychoanalytic experience and hypotheses, [k] make predictions possible – predictions of various degrees of precision or reliability, but [l] as a rule superior to any others that have been attempted in the psychology of personality. Due to the emphasis on the genetic viewpoint, many predictions are what has been called ‘predictions of the past’, that is, reconstructions of the past [m] which can often be confirmed in astonishing detail (Bonaparte, 6)”.

(Heinz Hartmann: Psychoanalysis as a Scientific Theory, 1959, S. 21f., kursiv MS)

 

Viele Psychoanalytiker und andere Anhänger ihrer Theorie haben Gleiches oder Ähnliches veröffentlicht:

 

“Freud war in den Naturwissenschaften bewandert und darum ein überzeugter Empiriker. Er war auch ein sorgfältiger und scharfer Beobachter; wegen seiner sorgfältigen Darstellung der Beobachtungen und der Verallgemeinerungen, die er aus ihnen ableitete, ist es ein Vergnügen, einige seiner Schriften zu lesen. Auf Grund just dieser Betonung sorgfältiger Beobachtung hat er seine Thesen mehrmals umformuliert; er versuchte immer bessere Wege zu finden, ihren Beziehungen unter einander Rechnung zu tragen. Die Daten waren nicht fehlerhaft. Die entscheidenden Reaktionen seiner Patienten kamen tatsächlich vor. Man braucht nicht seine Aussage zu bezweifeln, dass die Patienten ihm von Verführung während ihrer Kindheit und ihrem auf ihre Eltern gerichteten sexuellen Begehren erzählten. Vielmehr waren seine Umformulierungen neue Versuche, die Tatsachen besser zu erklären. […]

“Trained in the natural sciences, Freud was a confirmed empiricist. He was also a careful, keen observer, and some of his work is a delight to read because of his careful reporting of observations and the generalizations derived from them. It is precisely because of this emphasis on careful observation that he reformulated his propositions several times, trying to find better ways to account for their interrelationships. The data were not in error. The crucial responses did occur in his patients. One need not question his statements that patients told him of childhood seductions and sexual longings for parents. Rather his reformulations were attempts to explain the data better. […]

 

Die Beobachtungen waren umfassend. […] Man kann Freuds glänzende Fähigkeit als Beobachter kaum in Frage stellen. Er baute seine Theorien auf diese Masse von Beobachtungsdaten. Das geht aus den umfassenden Krankengeschichten hervor, die er schrieb. Er fing mit Tatsachen an und baute seine Theorie induktiv auf, im Gegensatz zu Verfahren, bei denen man mit theoretischen Formulierungen beginnt und danach die Beobachtungsdaten deduziert, die bei Stimmen der Theorie herauskommen müssten. […]”

The observations were extensive. […] There is little question about the brilliance of Freud’s observational skills. He developed his theories out of this mass of observational data. The extensive case studies he presents reveal this. He started with data, and inductively developed the theory, rather than beginning with theoretical formulations and deducing the observational data which should appear if the theory were correct. […] ”

 

(Donald H. Ford & Hugh B. Urban: Systems of Psychotherapy, 1963, Ss. 148, 174; kursiv MS)

 

Freud und viele seiner Nachfolgern behaupteten, dass die Theorie absolut wahr und unerschütterlich bewiesen sei. Erst als die Resultate der modernen Freud-Forschung aus den 1990er Jahren zu bekannt wurden, gaben sie solche Behauptungen teilweise auf. Ihre heutige Strategie ist, nach grössten momentan erreichbaren Vorteilen zu lavieren, die Theorie entweder weiter zu vertreten oder nur zu implizieren oder sie gar in Abrede zu stellen.

 

Einige Beispiele propagandistischer Superlative:

 

“Wir sind im Besitz der Wahrheit.“

„We possess the truth.”

(Sigmund Freud in einem Brief an Ferenczi, hier rückübersetzt und zitiert nach Percy Bailey: Sigmund the Unserene, 1965, S. 89)

 

„Die Psychoanalyse lässt es nicht zu, mit anderen Auffassungen in eine Reihe gerückt zu werden. Mit ihnen auf das gleiche Niveau gestellt zu werden, weist sie zurück. Die universelle Gültigkeit, die die Psychoanalyse für ihre Theorien in Anspruch nimmt, macht ihre Begrenzung auf irgend eine bestimmte Sphäre unmöglich.“

“Psychoanalysis does not permit itself to be ranged with other conceptions. It refuses to be put on an equal basis with them. The universal validity which psychoanalysis postulates for its theories makes impossible its limitation to any special sphere.”

(Anna Freud: Psychoanalysis of the Child, 1931, hier rückübersetzt und zitiert nach Percy Bailey: Sigmund the Unserene, 1965, S. 90).

 

“Bis heute ist keine andere wissenschaftliche Psychologie aufgetaucht, die sich mit der Folgerichtigkeit und Strenge messen kann, mit der Freud die Erforschung der menschlichen Persönlichkeit als System verfolgte.“

“So far, no other scientific psychology has been evolved that can match the consistency and rigor with which Freud pursued the investigation of man’s personality as a system.”

(Kurt Eissler: Medical Orthodoxy and the Future of Psychoanalysis, 1965, S. 57)

 

“Wir können nicht die Vielfältigkeit und Fruchtbarkeit bestätigender Beispiele übersehen.“

“We cannot overlook the multiplicity and pregnancy of supporting instances.”

(Bert Westerlundh: Aggression, Anxiety and Defence, 1976, S. 1)

 

[Als Antwort auf Janets Kritik, psychoanalytische Deutungen seien willkürlich:]

„Diese Aussagen sind völlig wertlos, denn er [Janet] weiss einfach nicht, dass die Deutungen das ganze Gegenteil sind. Sie sind auf objektiven Prinzipen gegründet, die nichts mit individueller Meinung zu tun haben, sondern nur mit den Fakten selbst.“

“The statements are quite worthless, for he simply does not know that the interpretations are the very reverse of this, being based on objective principles that have no reference to individual opinion, but only to the evidence of the facts themselves.”

(Ernest Jones: Professor Janet on Psychoanalysis: A Rejoinder, 1914, S. 406)

 

“Kristalline Klarheit” ist das Wort, mit dem Daniel E. Miller Freuds Schriften lobt – in Psychoanalytic Theory of Development: a Re-Evaluation, 1973, S. 500.

 

„Dora, die sich nach diesem Ideal [= Wahrheitsliebe] sehnte, muss Freuds beachtliche Integrität und seine zielbewusste Suche nach Wahrheit in seiner Arbeit hochgeschätzt haben.“

“Dora, yearning for this ideal [= love of truth] must have appreciated Freud’s remarkable integrity and his single-minded search for truth in his work.”

(Jules Glenn: Freud’s Adolescent Patients: Katharina, Dora and the „Homosexual Woman“, 1980, S. 34)

 

Wir wollen auch noch einige der Hartmannschen Behauptungen im zentralen Zitat herausgreifen, sie klären und vergleichen. Man merke sich, dass sämtliche Behauptungen auf ein und der selben Seite stehen.

 

Heinz Hartmanns Behauptungen (B‑)

B‑1        Jede psychoanalytische Deutung stützt sich auf eine so große Menge von Beobachtungen, dass Nicht-Analytiker sich kaum vorstellen können, dass irgend ein Wissenschaftler so viele sammeln würde.

 

B‑2        Von jedem Patienten [abgesehen von unbedeutenden Ausnahmen, z.B. Patienten, die sehr schnell die Behandlung abbrechen] sammeln die Psychoanalytiker riesige Mengen von Beobachtungen.

 

B‑3          Psychoanalytische Deutungen können einschließlich erstaunlicher Einzelheiten bestätigt werden. Solche Bestätigungen werden durch Methoden gewonnen, die nicht-psychoanalytische Wissenschaftler als vernünftig und uneingeschränkt vertretbar anerkennen.

 

B‑4        Die meisten Tatsachen, die die Psychoanalytiker sammeln, sind Beobachtungen äußeren Verhaltens.

 

B‑5        Die Beobachtungen in der psychoanalytischen Situation werden mit der psychoanalytischen Methode gewonnen.

 

B‑6        Ein Psychoanalytiker beobachtet an jedem Patienten eine Reihe von empirischen Regularitäten. Und jede dieser Regularitäten stützt auf Hunderte von Beobachtungen. [Hartmann gibt keine Information über die Anzahl solcher Regularitäten. Liegt die Zahl näher bei “6”, 60 oder “600”?]

 

B‑7          Psychoanalytiker beobachten an jedem Patienten „Hunderte von Hinsichten“ (“respects”). [Hartmann erklärt nicht, welche Beziehung die Hinsichten zu den Regularitäten haben.]

 

B‑8          Psychoanalytiker sind bemüht, alle Variablen der psychoanalytischen Situation konstant zu halten. Dies gelingt ihnen auch in sehr hohem Mass.

 

B‑9        Der Psychoanalytiker ist vor allem in dem Sinn passiv, dass es ihm in höchstem Grad gelingt, den Patienten nicht zu beeinflussen.

 

B‑10          Wegen der Unveränderlichkeit der Variablen in der psychoanalytischen Situation kommt die Psychoanalyse bisweilen nahe an eine experimentale Wissenschaft heran.

 

B‑11          Infolge der Unveränderlichkeit des Einflusses der psychoanalytischen Situation einschließlich des Psychoanalytikers kann als feststehend gelten, dass die Reaktionen des Patienten nicht von einer Beeinflussung herrühren können.

 

 

 

 

 

Kapitel II

Marie Bonapartes Beispiele von Konstruktion und Bestätigungen psychoanalytischer Deutungen

 

Leicht kann eine Kleinigkeit im „zentralen Zitat“ übersehen werden. Sie wurde auf besagter Tagung von allen anwesenden Philosophen tatsächlich auch übersehen, nämlich das kurz hingeworfene „Bonaparte, sechs“. Hartmann meinte damit, ein eindrucksvolles Beispiel von Ableitung einer psychoanalytischen Deutung einschließlich erstaunlicher Einzelheiten könne in Marie Bonapartes achtseitigem Artikel Notes on the Analytic Discovery of a Primal Scene (1945) gefunden werden, ein Beispiel auch der Bestätigung dieser Deutung.

 

Wäre das wahr, hätten die psychoanalytische Theorie und Praxis fraglos wissenschaftlichen Wert. Dann könnten wir auch bezüglich anderer Mängel toleranter sein. Folglich gibt es gewichtige Gründe, Bonapartes Artikel näher anzuschauen.

 

Marie Bonaparte (1882-1962) war Prinzessin von Griechenland und Dänemark. Ihr Urgroßonkel war Napoléon der Dritte. Niemand, den Freud zum Psychoanalytiker ausbildete, brachte im Voraus so hohes Ansehen wie sie mit. Sie war wohl die einzige Person, die für Freud 1938 von der Gestapo die Erlaubnis zur Ausreise aus Österreich erlangen konnte. Weiter ist sie die Person, die Freuds Briefe an Wilhelm Fliess, als Freud sie vernichten wollte, gerettet hat. – Theoretische Innovationen lagen ihr nicht. Sie hatte aber immer eine gute Beziehung zu den Ich-Analytikern.

 

Sie unterzog sich zwei Unterleibsoperationen im Glauben, dass Chirurgie ihre Frigidität heilen könnte.

 

In seiner Freud-Biographie schreibt Ernest Jones:

 

“Der vorrangige Grund, aus dem Freud anfangs abgeneigt war, den Rat seines Arztes zu folgen [Wien zu verlassen], war, dass er seine Arbeit fortsetzen wollte, so lange Marie Bonaparte in Wien bleiben konnte. Nach ihrer Rückkehr nach Paris drängte sie übrigens ihren alten Stallknecht zu gestehen, dass er, als sie knapp ein Jahr alt war, in ihrer Gegenwart wiederholt Verkehr mit ihrer Amme hatte. Er [Freud] hatte diese Episode zu ihrer großen Überraschung aus dem analytischen Material erraten. Sie waren beide über die Bestätigung ganz aufgeregt. Er schrieb ihr: „Jetzt werden Sie verstehen, wie Widerspruch oder Anerkennung ganz gleichgültig sein können, wenn man selbst ganz sicher ist. Das war ich. Und das war der Grund, warum ich Hohn und Unglauben ertragen habe, ohne gar bitter zu werden.“

“The main reason why Freud had at first been reluctant to accept his doctor’s advice [that he should leave Vienna] was that he wished to continue his work so long as Marie Bonaparte could stay in Vienna. Incidentally, it was on her return to Paris that she induced her old groom to admit that he used to have intercourse with her nurse in her presence when she was just under a year old. Freud had to her great astonishment divined this episode from analytic material, and they were both excited at the confirmation. He wrote: ‘Now you understand how contradiction and recognition can be completely indifferent when one knows oneself to possess a real certainty. That was my case, and it was why I have held out against scorn and disbelief without even getting bitter’.”

Ernest Jones: Sigmund Freud. Life and Work, Band III, 1957, S. 129

 

Bonapartes Artikel steht veröffentlicht im ersten Band des Jahrbuches The Psychoanalytic Study of the Child. Herausgeber dieses Bandes waren Anna Freud, Ernst Kris and Heinz Hartmann. Es ist ausgeschlossen, dass sie nicht wussten, dass Bonaparte selbst die Patientin war.

 

Die nächsten sieben Zitate aus Bonapartes Artikel stehen alle auf fast derselben Seite (119 oder 120). Aus dem Anfangsteil werde ich vier separate Zitate vorstellen:

 

„Eine Frau, zweiundvierzig Jahre alt, geht in Psychoanalyse. In der vierten Woche ihrer Analyse träumt sie eines Nachts, dass sie sich in einer kleinen Hütte befindet, die auf einer grasbewachsenen Erhebung in einem Schlosspark, nahe einem See liegt. Sie betrachtet intensiv ein verheiratetes Paar, das sie kennt, und das ganz nahe an einander in seinem Bett liegt.

“A forty-two-year-old woman is undergoing analysis. In the fourth week of her analysis the patient one night dreams that she is in a small cot on the grassy slopes of a park, near a lake, looking intently at a married couple whom she knows lying quite near in their bed.”

 

Dieses erste Zitat gibt alle Beobachtungen wieder, auf die Freud seine Deutungen gründete:

 

„Der Analytiker behauptet, dass sie während ihrer Kindheit sexuelle Szenen gesehen haben musste und der Traum aus unbewussten Erinnerungen von dem herrühren müsste, was sie da sah. Sie musste nicht nur solche Szenen im Dunkel gehört haben, wie es Kindern oft widerfährt, sondern musste sie bei hellichtem Tageslicht gesehen haben.“

“The analyst asserts that she must have seen sexual scenes in her childhood, that the dream must derive from an unconscious reminiscence of what she saw. She must not only have heard those scene in the dark, as is so often the case with children, but she must have seen them in full daylight.” (Kursiv im Original)

 

Das folgende Zitat gibt die Reaktion der Patientin auf diese Deutung wieder zusammen mit der Erwiderung des Psychoanalytikers:

 

„Anfangs akzeptierte die Patientin diese Deutung ihres Traumes nicht; sie reagierte gegen sie sogar heftig; aber der Psychoanalytiker blieb beharrlich bei seiner Behauptung.“

“The patient did not at first accept this interpretation of her dream, she even reacted violently against it, but the analyst persisted in his assertion.”

 

Danach aber wird die Deutung etwas breiter ausgearbeitet:

 

„Die Mutter der Patientin starb, als das kleine Mädchen gerade geboren worden war. Sie hatte aber eine Amme. Und der Analytiker meinte, dass sie Szenen zwischen dieser Amme und irgend einem sexuellen Partner beobachtet haben musste.“

“The patient’s mother had died when the little girl was born but she had a wet nurse, and the analyst suggested that she must have observed scenes between that nurse and some sexual partner.”

 

Unstrittig ist, dass Bonaparte ihre eigene Analyse bei Freud beschreibt.

 

Das Folgende ist die früheste Erinnerung, die sie während der Behandlung vorgebracht hat. Wir wissen nicht, ob sie diese Erinnerung vor oder nach dem Traum erzählte.

 

 

„Sie sitzt sehr niedrig auf einem kleinen Stuhl oder einer kleinen Kiste im Zimmer der Amme. Die Amme steht vor dem Spiegel auf dem Kamin, in dem das Feuer brennt. Das Kind sieht die Amme intensiv an. Die Amme schmiert ihr schwarzes Haar mit Pomade ein. Die Pomade befindet sich in einem kleinen Topf, der auf den Marmor des Kamins steht. Die Pomade ist schwarz. Das Kind findet sie widerlich. Die Amme hat ein langes gelbliches Gesicht und sieht aus wie ein Pferd.

“She is sitting very low, on a small chair or a small box, in her nurse’s room. The nurse is standing in front of the looking-glass of the chimney, in which the fire burns; the child is looking at her intently. The nurse is smearing her own black hair with pomade. The pomade, in a little white pot, is on the marble of the chimney; that pomade is black. The child finds that disgusting. The nurse has a long yellowish face and looks like a horse.”

 

Weitere Beobachtungen:

„Gerüchte, die der Patientin zu Ohren kamen, kursierten in dem Haushalt, dass die Amme einen Geliebten hatte, der Stallmeister der Pferde des Vaters der Patientin war“ [= des unehelichen Halbbruders des Vaters.]

Rumors had been going in the household, rumors which the patient had heard, that her nurse had had a lover, the master of her father’s horses.”

 

Die Amme verließ die Familie, als Marie drei Jahre alt war. Eine Photographie, die Marie Freud vorlegte, zeigt aber, dass sie keineswegs ein Pferdegesicht hatte. Ihr Gesicht war angenehm rund. Daraus folgert Freud, dass ihr „pferdartiges Aussehen“ etwas anderes ausdrücken musste nämlich, dass sie „wie ein Pferd von einem Pferdemann geritten“ worden ist. Die gelbe Farbe ihres Gesichts muss davon herrühren, dass Pferdezähne gelb sind.

 

Freud erklärt:

“Das Feuer drückt das Feuer sexueller Liebe aus”. – Der Kamin ist ein Symbol der Ausleerungskanäle des Körpers. – Die schwarze Pomade ist ein Symbol von Kot.

 

Weitere Deutungen Freuds:

„Zweifellos ist schon das Haar der Amme vom niederen zum oberen Teil des Körpers verschoben. Hier geschieht eine Kondensation von Schamhaaren und Kopfhaaren.“

“No doubt the hair itself of the nurse is displaced from the lower to the higher part of the body. Here occurs a condensation of pubic hair and hair on the head.”

 

Als Marie ungefähr sieben Jahre alt war, schrieb sie mehrere kurze Geschichten. Der Titel von einer war „Der Mundbleistift“. Über den Inhalt wird nichts berichtet. Der Titel wird völlig isoliert gedeutet: Die Amme und der Onkel hatten Verkehr und Fellatio geübt.

 

Alle sexuellen Akte aber wurden bis zu Maries Alter von zwei Jahren bei Tageslicht ausgeübt, danach im Dunklen. Begründung: Alle Kinder lernen genau im Alter von zwei Jahren sprechen. Nach diesem Alter, aber nicht früher, hätte Marie das Paar verraten können.

 

Kein Mangel an Einzelheiten hier. Wie aber wurden die Deutungen bestätigt?

 

Der Onkel war 82 Jahre alt, als ihn Marie mit dem konfrontierte, was sie von Freud gelernt hatte. Er verneinte alles. Aber Marie drang über Monate hinweg unentwegt auf ihm ein. Und schließlich gab er alles zu. Er gestand, dass er und die Amme bei hellem Tageslicht Koitus und Fellatio ausgeführt hatten, aber nur bis zu Maries Alter von zwei Jahren, darnach nur im Dunklen.

 

Bonaparte und Hartmann erklären, das beschriebene Verfahren sei der wissenschaftliche Weg, auf dem die Wahrheit von Deutungen bestätigt werden könne. Auf S. 125 schreibt Bonaparte:

„Mehrere Faktoren mussten zusammenarbeiten, um dieses Resultat zu erreichen.“

(“Several factors had to work together in order to achieve this result”).

 

Zu ihnen rechnet sie „den wissenschaftlichen, fast zwanghaft die Untersuchung verfolgenden Unternehmungsgeist der Patientin” (“the scientific, almost compulsively enterprising spirit of investigation of the patient”).

 

 

 

Kapitel III

Stützen sich Bonapartes Deutungen auf eine „riesige Menge von Beobachtungen?

 

Wenden wir uns jetzt Hartmanns elf Behauptungen in obiger Aufstellung zu (B-). Er behauptete, eine Unmenge von Beobachtungen sei für jede psychoanalytische Deutung kennzeichnend. Offensichtlich hat er von allen während der vorausgegangenen 60 Jahre verfassten psychoanalytischen Schriften gerade Bonapartes Artikel ausgewählt, weil er ihn hier für besonders beweiskräftig hielt.

 

Hartmann sagt, es kämen nachträgliche Bestätigungen von Deutungen „oft“ vor. Wenn dem so wäre, warum haben er oder andere Psychoanalytiker dann solche Bestätigungen nicht veröffentlicht? In der ganzen Literatur lässt sich kaum ein zweites Beispiel finden.

 

Wie soll ferner, wenn die Psychoanalytiker bis 1958 überzeugende Verifizierungen gefunden hätten, erklärt werden, dass manche von ihnen einige Jahrzehnte später behaupteten, es sei gar nicht das Ziel von Deutungen, wahr zu sein. Nach W. Loch (Some Comments on the Subject of Psychoanalysis and Truth, 1977) sind die Deutungen kaum mehr als eine besondere Art von Trostlügen. Und nach dem schwedischen Analytiker Ludvig Igra (Objektrelationer och psykoterapi, 1997) geben die Deutungen nicht Wahrheit, sondern „Erleichterung“ und „intellektuellen Genuss“.

 

In Kapitel V werden wir eine Reihe von den Deutungen sehen, die Freud seiner jungen Patientin Dora vorsetzte. Man muss sich wirklich fragen, wie ein Psychoanalytiker tickt, wenn er glaubt, derartige Deutungen hätten der Patientin Erleichterung oder intellektuellen Genuss bereiten können.

 

Bis in die letzten Jahrzehnte hinein schwankten die Psychoanalytiker zwischen zwei einander ausschließenden Standpunkten:

(a)    Die publizierte Literatur enthält nachhaltige klinische Beweise für die Wahrheit der Theorie.

(b)   Die psychoanalytischen Beobachtungen sind so esoterisch, dass es unmöglich ist, sie in Wort und Schrift darzustellen.

 

Aber falls die Mehrzahl der Beobachtungen äußeres Verhalten schildert, müsste es doch leicht sein, sie in Wort und Schrift darzustellen. Auch Bonapartes Traum und die Erinnerungen daran sind unproblematisch zu schildern.

 

Die allermeisten Beobachtungen der psychoanalytischen Literatur geben wieder, was die Patienten gesagt haben. Aussagen über die Art der Stimme, der Mimik, der Gesten und der Körperhaltung kommen zwar vor, aber doch nur vereinzelt.

 

Ein Punkt ist hier näher noch zu klären. Worte, die mit „beobacht-“, oder auf englisch mit „observ-“, beginnen, kommen in dem zentralen Zitat, in dem unmittelbar folgenden Zitat von Ford & Urban, und in allen Bonaparte-Zitaten insgesamt zwölf Mal vor. Der Begriff „Beobachtung“ (observation) schließt bei Hartmann, Ford, Urban und Bonaparte aber Patientenberichte, Traumberichte und Traumbilder in gleicher Weise ein.

 

Angeblich wurden die Beobachtungen (einschließlich Traumbilder, Traumszenen, Bestandteile des Traumberichts) in Bonapartes Artikel mit der psychoanalytischen Methode gewonnen. Das gilt besonders für diejenigen, die als Grundlage der Deutungen dienen. Angeblich hätten sie ohne diese Methode nicht gewonnen werden können.

 

Jeder Laie jedoch kann solche Beobachtungen machen. Es gibt so etwas wie psychoanalytische Beobachtungen (auch von Traumbildern und Traumberichten) überhaupt nicht. Nirgendwo in der psychoanalytischen Literatur findet man eine Beobachtung oder ein Muster von Beobachtungen, die nicht ganz alltäglich sind. Übliches Verfahren der Analytiker ist, wenige und dabei meist reichlich oberflächliche Beobachtungen wiederzugeben. Und der Grund, dass gerade diese Beobachtungen (auch oder gar besonders von Traumbildern, Traumszenen, Traumberichten) ausgewählt werden, ist, dass sie gebraucht oder missbraucht werden können, um vorher konzipierte Deutungen zu beweisen oder den Schein eines Beweises zu erzeugen.

 

Bonapartes Traum besteht aus 31 Wörtern. Er kann als aus nur einer oder aus maximal acht (Traum-)Beobachtungen zusammengesetzt aufgefasst werden: [a] Die Patientin befindet sich in eine kleine Hütte [b] auf einer grasbewachsenen Erhebung [c] in einem Schlosspark [d] nahe einem See. [e] Sie betrachtet intensiv [f] ein verheiratetes Paar, das sie kennt, [g] das ganz nahe bei einander [h] in einem Bette liegt. Nur die vier letzten Details sind in die Deutung eingegangen. Überdies muss [f] das Wort „verheiratetes“ unbeachtet bleiben. Der Onkel und die Amme waren ja nicht verheiratet.

 

Vor dem Alter von zwei Jahre kann das menschliche Gehirn keine dauernden Erinnerungen speichern. Obendrein können aus dem, was einem Kind später erzählt wird, Scheinerinnerungen entstehen.

 

Zurück aber zu der hier anstehenden Deutung: Die Patientin sagt nicht, dass die Amme ein Pferdegesicht hatte. Sie spricht zwar von einem langen Gesicht. Aber es wird nicht klar, ob dieser Zug spezifisch zur erinnerten Situation gehört. Ein langes Gesicht ist nicht notwendig ein Pferdegesicht. Schon der Beobachtungswinkel eines niedrig sitzenden Kindes kann den Eindruck eines langen Gesichtes ergeben. Die Photographie ist also belanglos. Vielleicht hatte die Amme lange Haare. Vielleicht hielt sie sich beim Einschmieren der Pomade beide Hände unter dem Haare, so dass ihr Haar einem Rosschweif ähnelte.

 

Weil, wie das Photo zeigte, die Amme kein Pferdegesicht hatte, zieht der Psychoanalytiker den Schluss, sie sei „wie ein Pferd geritten“ worden.

 

Erinnerungen von Farben sind besonders unsicher. Auch könnte ihr Gesicht infolge Kerzenbeleuchtung „gelblich“ gewesen sein.

 

Wie viele „Beobachtungen“ wurden registriert, um zu beweisen, dass die Amme „wie ein Pferd geritten“ wurde? Drei: (a) die gelbe Farbe ihres Gesichts; (b) eine unbestimmte Ähnlichkeit mit einem Pferd; und (c) die Photographie (die das „Pferdegesicht“ ausschloss).

 

Die Deutung „Tageslicht“ gründet auf drei „Tatsachen“: (A) Alle Kinder lernen zu sprechen, wenn sie genau zwei Jahre alt sind. (B) Marie könnte das Paar verraten, wenn sie zu sprechen gelernt hat. (C) Das Paar ging nie ein Risiko ein.

 

Jede der folgenden fünf Deutungen gründet nur auf einer einzigen Beobachtung: (a) Das Feuer im Kamin bedeutet Feuer sexueller Liebe. (b) Der Kamin ist ein Symbol des Anus. (c) Die schwarze Pomade bedeutet Kot. (d) Die Haare auf dem Kopf der Amme sind eigentlich ihre Schamhaare. (e) Der Titel „Der Mundbleistift“ beweist, dass die Amme und der Onkel Fellatio betrieben.

 

Fassen wir zusammen. Die tatsächliche Anzahl von „Beobachtungen“, auf welche die psychoanalytischen Deutungen gründen, ist: 4‑3‑3‑1‑1‑1‑1‑1,

 

Hartmanns Behauptung (B‑1), jede psychoanalytische Deutung stütze sich auf einer riesigen Menge von Beobachtungen, ist gerade in seinem gezielt ausgewählten Beispiel offensichtlich falsch. Offensichtlich ist auch: Hartmann konnte nicht in gutem Glauben gesprochen haben.

 

Kapitel IV

Freuds, Bonapartes, Jones’ und Hartmanns Unvermögen, zwischen psychoanalytischen Deutungen und privaten Vorurteilen zu unterscheiden

 

Die Kapitelüberschrift gibt einen in allen psychoanalytischen Schriften aufscheinenden Grundzug wieder – jedoch mit einer geringfügigen Ausnahme, nämlich den Schriften, die ganz ohne Beobachtungen auskommen.

 

Könnte die Amme“ wie ein Pferd geritten“ worden sein, jedoch von einem anderen Mann, keinem „Pferdemann“?

 

Maries Vater war der Besitzer der Pferde. War er kein „Pferdemann“? Gleichgültig, ob die Amme und der Onkel eine Liebesbeziehung hatten oder nicht, könnten nicht auch – wenn schon – sie und Maries Vater in deren Gegenwart sexuell verkehrt haben, sie und der Onkel aber anderswo?

 

Außerdem lernen nicht alle Kinder im Alter von genau zwei Jahren sprechen.

 

Eine große Überraschung ist auch der Grad von Rationalität, den Freud, Bonaparte, Hartmann und Jones, ausgerechnet sie, ausgerechnet hier unterstellen. Ist es ausgeschlossen, dass die Amme und der Onkel (oder jene und der Vater), als Marie etwa schon drei Jahre alt war, bei entsprechender Gelegenheit, wenn der Trieb drängte und das Kind sein Mittagsschläfchen machte, die Chance zur Liebe wahrgenommen haben?

 

Auf Grund des Titels „Der Mundbleistift“ könnte sich mit der Theorie decken, dass Marie Vorstellungen von Fellatio hatte. Auch wenn wir großzügig beigäben, dass sie die Fellatio beobachtet hätte, könnte das, bevor sie jene kleine Geschichte schrieb, nicht (a) in jedem Alter und (b) entweder im Dunklen oder bei hellem Tageslicht stattgefunden haben? Könnte es außerdem nicht (c) irgendein Paar gemacht haben?

 

Es gibt nicht einmal spekulative Gründe für die aufgestellte Deutung. Freud hat sie nicht, wie Jones erklärt, aus analytischem Material „vorausgeahnt“ („divined“). Wäre die psychoanalytische Theorie wahr, hätte Freud sie in dilettantischer Weise angewendet. Seine Deutungen können nur zutreffen, wahr nur sein, wenn ein wundersamer Zufall mit hereinspielte.

 

Fassen wir zusammen: Die psychoanalytische Theorie könnte bestenfalls enthüllen, dass Marie Vorstellungen von sexuellem Verkehr und Fellatio hatte. Die Theorie kann vor allem aber nichts aussagen über die Identität des Liebespaares oder über Maries Alter.

 

Zu einer angemessenen Untersuchung unseres Gegenstands gehört nicht nur zu prüfen, welche Deutungen aus einer Theorie wirklich abgeleitet werden können, sondern auch welche Deutungen die Psychoanalytiker glauben, aus ihrer Theorie abgeleitet zu haben. Es ist wichtig, festzuhalten, dass Freud, Bonaparte, Jones und Hartmann meinten, die Identität des Liebespaar folgte aus der Theorie.

 

 

 

 

 

Kapitel V

 

Scheinbestätigung von Bonapartes Deutungen

 

Dass Freud, Jones, Bonaparte und Hartmann auf solch „einhämmerndes“ Verfahren zurückgriffen, um das einzige Beispiel einer „Bestätigung“ der psychoanalytischen Theorie vorweisen zu können, ist erhellend genug.

 

Fraglos hätte es Hartmann es nie gewagt, den Philosophen auf der Konferenz 1958 zu erzählen, welche Deutungen in Bonapartes Artikel beschrieben sind, noch wie sie gewonnen, noch wie sie bestätigt wurden. Deshalb nur sein kurzes „Bonaparte, sechs“.

 

Wie lange kann sich ein Stallmeister und unehelicher Onkel erlauben, einer Prinzessin zweier Länder zu widersprechen und zu sagen, dass sie gänzlich irrte? Manche 82-jährige Menschen sind so stark nicht. Außerdem war Marie Bonaparte erst wenige Jahre vorher ernstlich psychisch krank gewesen. Der Onkel mochte gedacht haben, ihre neuen Vorstellungen wären vielleicht ein residuales Krankheitssymptom; man sollte ihr deshalb nicht unbedingt widersprechen.

 

Bezüglich dessen, was man durch einhämmernde Bearbeitung erreichen kann, kann ich die Autorität eines berühmten Psychoanalytikers anführen:

 

“Am Anfang einer Psychoanalyse treffen unsere Deutungen unsere Patienten als etwas vollkommen Absurdes. Und unaufhörlich widerlegen sie sie mit logischen Argumenten. Von den hohen Zinnen der Logik und des gesunden Menschenverstands blicken sie mitleidsvoll auf uns nieder, ironisch und manchmal sogar, was unsere Intelligenz betrifft, die Hoffnung aufgebend. […] Das Einzige, was sie zurückbringt, ist die Konstanz, mit welcher wir unseren Standpunkt verteidigen. […] Es ist eine Erfahrungstatsache, dass im allgemeinen Leben jede Behauptung, die mit innerer Überzeugung vorgetragen wird, wie absurd auch immer sie mag sein, Menschen aus ihrer Fassung bringen kann.“

“At the beginning of analysis our interpretations strike our patients as completely absurd and they constantly counter them with logical arguments. From the exalted pinnacles of logic and common sense, they look down upon us compassionately, ironically and sometimes actually in despair of our intelligence. […] The only thing which takes them back is the consistency with which we defend our point of view. […] It is a fact of experience that in life in general any assertion which is made with inner conviction, however absurd it may be, is disconcerting.”

 

(Edmund Bergler: [Beitrag zum] Symposion on the Theory of the Therapeutic Results of Psycho-Analysis, 1937, Ss. 152f.)

 

Bergler räumt ausdrücklich ein, dass mit dieser Technik einem Patienten falsche ebenso leicht wie wahre Deutungen eingeredet werden können.

 

Nach dem Verlagstext auf der Rückseite von Berglers Homosexuality: Disease or Way of Life? (1962) gehörte er ab 1927 zum Stab der Freud-Klinik in Wien. Er war deren stellvertretender Direktor von 1933 bis 1937. Von 1942 bis 1945 war er Dozent am psychoanalytischen Institut in New York. Er hätte diese Stellungen nicht innegehabt, wenn seine Auffassung von denen Freuds und anderer prominenter Analytiker sehr abgewichen wäre.

 

In den therapeutischen Dialogen in Freuds und Berglers Schriften finden wir recht grobe Überredungstechniken aufgeführt. Und durchgehend zielten die Behandlungen beider Analytiker darauf, die bewussten Überzeugungen des Patienten durch andere bewusste Überzeugungen zu ersetzen, so viel beide auch vom Unbewussten sprechen. Ihr faktisches Verfahren gründet auf der Prämisse, dass sie sich um unbewusste Phänomene nicht zu kümmern brauchen.

 

 

Nirgendwo in der Krankengeschichte etwa des berühmten Falles Dora kann man einen Hinweis dafür finden, dass Freud irgendetwas anderes zu beeinflussen versuchte als ihre bewussten Überzeugungen. Und in seinem Brief vom 03.01.1897 schildert er sein wahrlich brutales Vorgehen bei einer anderen Patientin, die nicht glauben wollte, dass die Ursache für ihr Mund-Ekzems die Fellatio ihres Vater war, als sie selbst noch in der Wiege lag:

 

„…Sie leidet an Ekzem um den Mund und nicht heilenden Einrissen der Mundecken… Bei Nacht läuft ihr anfallsweise der Speichel zusammen, wonach die Einrisse auftreten. (Ganz analoge Beobachtung habe ich bereits einmal auf das Saugen am Penis zurückgeführt.) […] Habemus papam! Als ich ihr die Aufklärung entgegenschleuderte, war sie zuerst gewonnen. Dann beging sie die Torheit, den Alten selbst zur Rede zu stellen, der auf die ersten Anbahnungen entrüstet ausrief: Soll ich das gar gewesen sein? und mit heiligen Eiden seine Unschuld beschwor. Sie befindet sich nun im heftigsten Sträuben, gibt an, ihm zu glauben […] Ich habe ihr das Wegschicken angedroht“ [offensichtlich für den Fall, dass sie die Deutung nicht glaube].

(Jeffrey M. Masson: Sigmund Freud, Briefe an Fliess 1887‑1904, 1999, Ss. 232f. Freuds kursiv. – „Habemus papam“ heißt hier „Da haben wir den Vater“! – Anmerkung des Buch-Kommentators).

 

Nach dieser Schilderung stimmt Freuds Technik völlig mit Berglers Technik überein.

 

Die „Ich-Analytiker“, darunter Heinz Hartmann, waren für Freuds Krankengeschichten voller Bewunderung, vor allem für den Fall des Wolfsmannes. Freud erklärte die Neurose dieses Patienten als Auswirkung davon, dass er im Alter von 18 Monaten [angeblich] den Koitus seiner Eltern beobachtete. Der spätere Psychoanalytiker A. Esman gab folgende Charakterisierung der Ich-Analyse. Auch Patrick Mahony stimmt in Cries of the Wolf Man (1984, S.53) mit ihr überein:

 

“Manie, Depression, Paranoia, Hebephrenie, Phobie, Hysterie, Zwangsneurose, Charakterstörung, Lern-Schwierigkeiten, Asthma, Kopfweh, Kriminalität, sie alle wurden als Folge einmaliger oder mehrfacher Beobachtungen der Urszene erklärt [= des elterlichen Koitus]. Man wird zu fragen bewegt, ob wir es da nicht mit einer der Situationen zu tun haben, in der es einer Theorie gelingt dadurch, dass sie alles erklärt, nichts zu erklären.”

“Mania, depression, paranoia, hebephrenia, phobia, hysteria, compulsive neurosis, character disorder, learning disturbance, asthma, headache, delinquency – all have been explained as reactions to single or multiple exposures to the primal scene. One is moved to wonder whether we are here confronted by one of those situations in which a theory, by explaining everything, succeeds in explaining nothing.”

(A. Esman: The Primal Scene: A Review and a Reconstruction, 1973, Ss. 64f.)

 

Die Ich-Analytiker, die doch vorgeben, Freud „weiterentwickelt“ zu haben, bekümmerte es nicht, dass das Gehirn des Menschen in diesen Alter gar nicht so weit entwickelt ist, um Erinnerungen auf Dauer zu fixieren. Sie übertrugen Freuds Koitus-Deutung mechanisch auf ihre eigenen Patienten. Es ist deshalb nicht überraschend, dass Hartmann ein Beispiel der „Beobachtung“ von Koitus und Fellatio für seine hier zur Diskussion stehende Ausführung gewählt hat.

 

Marie „betrachtete intensiv“ das Paar im Bette. Bonapartes Worte sind: „looking intently“. Das könnte im Fall des Wolfmanns eine Beziehung haben zu dem dort bei Freud stehenden Ausdruck „das aufmerksame Schauen“. Als der Wolfmann knapp vier Jahre alt war, hatte er einen Angsttraum von Wölfen, die auf dem Nussbaum vor seinem Fenster saßen. Der Traum wird in der Krankengeschichte (Aus der Geschichte einer infantilen Neurose, GW‑XII:54/SE‑XVII:29) und in dem kurzen Artikel Märchenstoffe in Träumen (GW‑X:5/­SE‑XII:283f.) in genau den gleichen Worten berichtet.

 

 

Der Wolfsmann lebte lange genug, dass es einem Nicht-Analytiker, nämlich der Journalistin Karin Obholzer gelang, ihn aufzuspüren. 1980 veröffentlichte sie das Buch Gespräche mit dem Wolfsmann, das weitgehend aus Interviews mit ihm besteht. Von dem sogenannten Wolfstraum sagt er, dass die Tiere keine Wölfe, sondern Hunde und auch keine sieben waren, sondern fünf. Auf einer Seite in Freuds Krankengeschichte (GW‑XII:55/­SE‑XVII:30) ist eine Illustration wiedergegeben, die der Wolfsmann selbst gezeichnet hat: Auf ihr sitzen auf den Ästen eines Baumes fünf Tiere.

 

Freud lag, wie aus seiner Darstellung ersichtlich wird, viel daran, seine Deutung zu belegen, dass sich hinter dem Traum die Geschichte vom Wolf und den sieben Geißlein versteckte.

 

Ein wiederkehrender Grundzug in Freuds methodischem Vorgehen ist, dass er auch seine eigenen Beobachtungen entstellt, wenn er seine Deutungen beweisen will. So geschieht es auch hier. “Das aufmerksame Schauen, das im Traum den Wölfen zugeschrieben wird, ist vielmehr auf ihn [= den Wolfsmann] zu schieben” (GW‑XII:61/­SE‑XVII:35.) Nirgendwo in der Krankengeschichte steht jedoch, dass der Wolfsmann erzählte, die Tiere hätten aufmerksam auf ihn geschaut.

 

Der Wolfmann sagt auch nicht, die Wölfen seien bewegungslos gewesen. Im Traum war er in Angst, dass sie ihn im nächsten Augenblick anfallen und ihn auffressen würden. Freud aber erfindet das Traumdetail der „Bewegungslosigkeit (die Wölfen sitzen regungslos da, schauen auf ihn, aber rühren sich nicht)“. Und dann deutet er das mittels Umkehrung als „heftigste Bewegung“, nämlich Koitus.

 

Marie spricht vom Haupthaar der Amme. Aber nach Freud galt ihr wirkliches Interesse dem Schamhaar. Nur infolge Abwehrmechanismen hat Marie angeblich den Trauminhalt nach oben zum Haupthaar verschoben. Für diese Deutung gibt Freud nicht einmal das Minimum von Begründung, wie für die anderen Deutungen.

 

 

In Doras Krankengeschichte finden wir ein paralleles Beispiel von Verschiebung. „Herr K.“ war der Ehemann der Geliebten von Doras Vater. Als Dora 13 Jahre alt war (nicht 14, wie Freud schreibt), küsste sie Herr K. unter Anwendung von Gewalt. Sie kämpfte sich frei. K. war drei mal so alt wie sie. Nach dieser Begebenheit hatte Dora ein andauerndes Druckgefühl in ihrer Brust (Bruchstücke einer Hysterie-Analyse, GW‑V:187f./­SE‑VII:29).

 

Wenigstens ein Jahr schon vor der Kussattacke litt sie an Hustenattacken, die drei bis sechs Wochen anhielten. Ihre beiden Eltern litten an einer Lungenkrankheit, die eine hereditäre Komponente hat. Die Mutter starb später daran. Freud aber zieht die Möglichkeit einer erblichen, somatischen Ätiologie gar nicht in Betracht. Er beachtet nur, dass der Husten wie sexueller Verkehr rhythmisch ist und wie die Fellatio eine Beziehung zum Mund hat. Auf diese Ähnlichkeiten baut er die Deutung, dass die Hustenattacken durch Doras unbewussten Wunsch verursacht worden waren, am Penis des Herrn K. zu lutschen.

 

Freud übersieht u.a., dass Herr K. einen starken Druck auf Doras Brustkorb ausüben musste, um sie an der Flucht zu hindern. Könnte sein Druck nicht auch Ursache von dem sein, was Freud wie die Ich-Analytiker „einen halluzinatorischen Druck“ nannten?

 

Freud erklärt, Dora habe sich über dem Kussangriff unmittelbar in Herrn K. verliebt. Sie hätte den Druck seines erigierten Glieds gegen ihren Unterkörper gespürt. Sie wagte jedoch nicht, sich ihre Gefühle einzugestehen. Sie fürchtete, Herr K. könnte ihre Vagina ekelhaft finden, weil sie [angeblich!] im Alter von acht Jahre masturbiert hatte. Darum habe sie den gefühlten Druck „vom Unterkörper auf den Oberkörper“ verschoben (GW‑V:188/SE‑VII:29).

 

Oben wurde das Zitat des Psychoanalytikers Jules Glenn angeführt: „Dora, die sich nach diesem Ideal [= Wahrheitsliebe] sehnte, muss Freuds beachtliche Integrität und seine zielbewusste Suche nach Wahrheit in seiner Arbeit, geschätzt haben.“ (Kursivdruck MS).

 

Das Zitat kann nicht unkommentiert bleiben. Es stellt die Wahrheit auf den Kopf. Aber noch so spät wie 1980 hatte die Psychoanalyse eine so starke Stellung, dass Glenn in dieser falschen, propagandistischen Darstellung kein Risiko erkannte.

 

Freud wurde wütend, als Dora die Therapie nach elf Wochen abbrach. Dieser Abbruch war für ihn ein Akt unglaublicher, ihn beschädigender Bosheit. „Wer wie ich die bösesten Dämonen, die unvollkommen gebändigt in einer menschlichen Brust wohnen, aufweckt, um sie zu bekämpfen, muss darauf gefasst sein, dass er in diesem Ringen selbst nicht unbeschädigt bleibe“(GW‑V:272/­SE‑VII:109, kursiv MS).

 

Er schrieb und veröffentlichte die Krankengeschichte offensichtlich, um sich zu rächen. Er führte viel Information darin an, die für das psychologische Verständnis bedeutungslos ist, aber sicherstellte, dass Dora von vielen Menschen erkannt wurde. Um sie zu kompromittieren, fabrizierte Freud zum Beispiel, dass sie homosexuell sei – zu jener Zeit eine extreme Schmähung.

 

Einer der fünf Beweise, die er dazu vorlegte, sieht so aus: „Als Dora bei den K.s wohnte, teilte sie das Schlafzimmer mit der Frau; der Mann wurde ausquartiert.“(GW‑V:222/SE‑VII:61)

 

Der Beweis ist absurd genug. Es wird aber noch schlimmer, weil Freud eine Reihe von Tatsachen verschweigen, verbergen muss, um seine Behauptungen [scheinbar!] zu begründen.

 

Man kann, was er da verschweigt, jedoch auf anderen Seiten auffinden. Das Ganze spielte sich während einer Woche im Sommer 1898 ab. Dora war damals 15 Jahre und acht Monate alt. Sie und ihr Vater waren in das Sommerhaus der Familie K. in den Alpen gefahren. Geplant war, dass Dora den ganzen Sommer dort bleiben und die zwei Kinder der K.s versorgen sollte. Ihr Vater würde nach einer Woche zurückfahren. Das Sommerhaus war zu klein, dass sechs Personen darin bequem wohnen konnten. Sowohl Herr K. wie Doras Vater wohnten deshalb in einem Hotel. Sie waren gute Freunde. Sie hatten sich lange nicht gesehen und wussten, dass sie sich nach dieser Woche für Monate nicht wieder treffen würden. Vielleicht hatten sie auch die gleiche Auffassung davon, wie Männer ihre Abende verbringen und wann sie schlafen gehen sollten. Das Hotel war auch wegen der halb kaschierten Zusammenkünfte von Doras Vater mit Frau K. nötig, zu welchen ihr Gatte taktvoll seine Augen verschloss, während er die selben Augen auf die Fünfzehnjährige warf. Gab es eine „vernünftigere“ Ordnung als die, dass Dora und Frau K. das Schlafzimmer teilten?

 

In Das Unbewusste (GW‑X:265/­SE‑XIV:166) schreibt Freud dazu: „Sie [= die Annahme des Unbewussten] ist notwendig, weil die Daten des Bewusstseins in hohem Grade lückenhaft sind sowohl bei Gesunden als bei Kranken.“ In Wirklichkeit wiederholt sich immer das selbe Muster: Durch Verbergen offenkundiger Tatsachen muss Freud, um Raum für seine Deutungen zu erhalten, Lücken schaffen.

 

 

 

Kapitel VI

Das Prinzip der kausalen Ähnlichkeit

 

Offensichtlich sind die Aussagen Freuds und seiner Nachfolger darüber, wie sie ihre Deutungen konstruieren, absichtlich falsch. Ist es aber möglich, die Regeln aufzufinden und explizit zu formulieren, die sie wirklich anwendeten? Nun, in The Non-Authentic Nature of Freud’s Observations, 1993, Band II, Kap. 36, habe ich sieben dieser Regeln und Grundsätze herausgearbeitet.

 

Nur der erste soll hier näher dargestellt werden. Das Prinzip der (kausalen) Ähnlichkeit besagt, dass eine Ähnlichkeit zwischen Ursache und Wirkung vorliegt. Will man die Ursache eines Symptoms (oder irgendeines Phänomens) aufdecken, muss man eine Begebenheit finden oder erfinden, die dem Symptom (oder des Phänomens) ähnelt.

 

Das Prinzip ist keine psychoanalytische Innovation. Freud hat es aus mythologischem Denken und traditionellem Aberglauben übernommen. Man kann aus den letzen 2000 Jahren willkürlich viele Beispiele angeben. Die drei folgenden Beispiele sind aus Schriften genommen, die seinerzeit als wissenschaftlich angesehen wurden.

 

Im zwölften Jahrhundert schreibt Hildegard von Bingen in „Naturkunde“ (1959, S. 125), dass Taubheit geheilt werden kann, wenn man das noch warme Ohr eines Löwen auf das taube Ohr eines Menschen legt.

 

1621 erklärt Robert Burton in Anatomy of Melancholy (1927, S. 187), die Ursache der Hasenscharte sei, dass die Mutter vor einem Hasen erschrak.

 

„Psychische Heilkunde“ (I‑II, 1817‑1818) war seinerzeit ein sehr geschätztes Fach- und Lehrbuch. Im Kapitel Von dem Einflusse der Phantasie der Mutter auf die Körperbildung der Leibesfrucht schreibt Albert Matthias Vering (Band I, S. 42) von einer Frau, die ein Kind ohne Arme gebar, und erklärt es damit, dass sie während der Schwangerschaft vor einem Bettler ohne Arme erschrak. Vering spricht von der „Menge der Beobachtungen, welche in den Werken so vieler großer und glaubwürdiger Männer älterer und neurer Zeit […] aufgezeichnet sind“.

 

Um 1890 war das Prinzip der Ähnlichkeit in dem Hintergrund gedrängt worden. Dann aber wurde es von Freud wieder aufgenommen und zu einem Grundstein der Psychoanalyse entwickelt. Es bekam so zu erneuter wissenschaftlicher Respektabilität.

 

Sämtliche psychoanalytischen Deutungen korrespondieren mit diesem Prinzip. Husten, Ekzem um den Mund und eine kleine Geschichte namens „Der Mundbleistift“ „sind“ durch wirkliche oder phantasierte Fellatio verursacht. Noch einmal stehen wir vor Deutungen, die nur durch Dazukommen eines ganz wundersamen Zufalls zutreffen können.

 

Das Prinzip der Ähnlichkeit und die Ausdeutung isolierter Details ohne Berücksichtigung der Zusammenhänge passen gut zu einander.

 

 

 

 

 

Kapitel VII

“Die riesige Menge von Beobachtungen” im „dritten Verführungsartikel“

 

Kapitel III war der Frage gewidmet, ob sich die Deutungen Freuds in Bonapartes Fall wirklich auf sehr viele Beobachtungen stützen, d.h. ob sie mit Hartmanns Behauptung in Tabelle (B‑2) übereinstimmen. Nirgendwo hat Freud aber nachdrücklicher die riesige Menge von Beobachtungen beteuert, als im „dritten Verführungsartikel“ (s.u.). Wir werden jetzt genauer untersuchen, ob das stimmt.

 

Das oben angeführte Zitat von Ford & Urban (Kap.1) stimmt mit Hartmanns Behauptungen überein, nach denen Freuds Schriften angeblich zeigen, dass er

(a)    ein überzeugter Empiriker und ein glänzender Beobachter war, der

(b)   umfassende und richtige Beobachtungen machte und

(c)    dessen Theorie auf empirisch gestützten Regularitäten aufbaut.

Angeblich wird das aus seinem dritten Verführungsartikel und aus seinen Krankengeschichten ersichtlich.

 

Freuds sogenannte drei Verführungsartikel wurden alle 1896 veröffentlicht:

 

Der erste heißt: Weitere Bemerkungen über die Abwehr-Neuropsychosen. (GW‑I:­377-403)

Der zweite wurde auf französisch abgefasst und steht, nicht übersetzt, in Gesammelte Werke: L’Hérédité et l’étiologie des Névroses. (GW‑I:405‑422). In the Standard Edition steht er in englischer Übersetzung: Heredity and the Aetiology of the Neuroses. (SE‑III:141‑156)

Der dritte Verführungsartikel heißt: Zur Ätiologie der Hysterie. (GW‑I:423‑459). Er breitet Freuds „Verführungstheorie“ aus und erklärt sie als umfassende Erklärung dieser psychischen, psycho-somatischen Störung.

 

 

Der dritte Verführungsartikel ist auch in The Assault on Truth von Jeffrey Masson (1984) als Anhang aufgeführt. Dieses Buch wurde in viele Sprachen übersetzt. Millionen haben es gelesen. Während der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts wurde die Verführungstheorie sowohl in der akademischen Welt wie in den Massenmedien ständig debattiert. Alle Diskutanten stimmten darin überein, dass Freuds frühe Patienten ganz von selbst von sexuellen Übergriffen erzählten. Nur in einem Punkt waren sie uneinig. Manche meinten, dass Freud leichtgläubig war, als er anfangs diese Erzählungen glaubte. Andere meinten, er sei, als er später die Erzählungen als Phantasien verwarf, feige gewesen.

 

Wie Ford & Urban 1963 übersahen alle Teilnehmer an diesen Debatten, was Freud in allen drei Verführungsartikeln klar zum Ausdruck brachte, nämlich, dass die Patienten überhaupt nichts von sexuellen Erlebnissen berichteten. Es war Freuds Deutung, dass sie solche Erlebnisse erfahren hatten.

 

Wie erwähnt, berichtet Freud im Brief vom 3.1.1897 Fliess vertraulich, dass und wie er Deutungen selbst erfand und brutale Überredungstechniken anwandte, um sie den Patienten aufzuzwingen.

 

Ford & Urban plagiierten die Kunstgriffe, die Freud seinen offiziellen Darlegungen zufolge anwandte, als sie schrieben, dass er seine Theorien aus einer Menge von Beobachtungen induktiv ableitete und er später seine Theorie nur änderte, um die gleichen Beobachtungen besser zu erklären.

 

Weil das auch viele Leser und Kommentatoren Freuds verkannten, ist es angebracht, diesen dritten Verführungsartikel „Zur Ätiologie der Hysterie“ näher zu prüfen. Freud versicherte hier, er habe die wahre Ursache der Hysterie entdeckt. Außerdem habe er die einzig mögliche Behandlungsmethode entwickelt.

 

Durch einen Trick schaffte es Freud, das fast vollständige Fehlen klinischer Beobachtungen zu verbergen. Er gab vor zu schwanken, ob er erst – so fragt er in GW‑I:439/SE‑III:203 „sich selbst“ – sein tatsächliches Material „ausbreiten“ oder besser zuerst der „Masse von Einwänden und Zweifel […] begegnen“ und danach die Beweise anführen solle? Er tut so, als sei es ziemlich bedeutungslos, welche Alternative er wählte. Er beginnt mit den Einwänden, denn, wie er sagt, wenn die Einwände zerlegt sind, dann können wir „um so ruhiger beim Tatsächlichen verweilen.“ Er reiht dann eine Menge von Einwänden auf, gibt Pseudo-Antworten darauf und beendet den ganzen Artikel, bevor er irgend etwas zu den Beweisen ausgeführt hat!

 

Die Beobachtungen im dritten Verführungsartikel („Zur Ätiologie der Hysterie“) sind ausnahmslos oberflächlich und ohne wirklichen Belang. Auch sind es überhaupt nur sehr wenige Beobachtungen. Aber weil sie über den ganzen Artikel verstreut sind, schaffen es viele Leser nicht, ihrer Seltenheit, ihrer Banalität und ihrer mangelnden Beweiskraft gewahr zu werden.

 

Deshalb ist es kein unnötiger methodischer Kniff, den in dem Artikel angeführten zwölf weiblichen und den sechs männlichen Patienten – Freud stützte die Gültigkeit seiner Verführungstheorie just auf sie – einmal Namen zu geben und sämtliche Beobachtungen und Deutungen über jeden Patienten so in getrennten Biographien zusammenzustellen und sie so besser verfolgbar zu machen. Ich habe die erfundenen Namen alphabetisch angeordnet: Alice, Beatrice, Christina, Desirée, Elsa, Florence u.s.w., Michael, Nathan, Otto u.s.w.

 

Merken wir uns, dass die aller umfassendste Biographie zu „Alice“ gehört. Und im Fall von Alice sieht die Unmenge der Tatsachen und Schlüsse so aus:

 

Symptome: „Hauptsymptome der Neurose“ waren „eigentümliche schmerzhafte Empfindungen in den Genitalien“ und Selbstvorwurfe, weil sie das Verhalten des Knaben während der auslösenden Begebenheit geduldet hatte.

Auslösung des Symptoms: […] „ein ihr befreundeter Knabe streichelte zärtlich ihre Hand“ und drängte „seinen Unterschenkel an ihr Kleid“, während sie nebeneinander bei Tische saßen, wobei „seine Miene sie erraten ließ, es handle sich um etwas Unerlaubtes“. Alice hat sich „die entsetzlichen Vorwürfe macht, weil sie [das] geduldet“ hat.

Alter bei der Auslösung: Pubertät. Alice war eine junge Dame.

Ursprüngliche kausale Begebenheit: [Überhaupt keine Information.] [Für eine kausale Begebenheit ist es eine Grundbedingung, dass sie sich im Alter von zwei bis vier Jahren abspielten. Spätere Erfahrungen können ein Symptom auslösen, aber es nicht verursachen.]

Weitere Bemerkungen: Freud sagt explizit, dass die ursächliche Begebenheit „mit so viel Mühe“ „aus dem Erinnerungsmateriale“ „entdeckt und herausgezogen“ wurde. Die Patienten berichteten, schreibt er, nicht „spontan“ von ihren sexuellen Erlebnissen, sondern die „Erinnerungen“ wurden „Stück für Stück“, „unter dem kraftvollsten Druck des analytischen Verfahrens und gegen einen enormen Widerstand“ gewonnen.

(GW‑I:436, 437, 418, 455/­SE‑II:200f., 217f., 153, 217)

 

Diese klinischen Daten stehen in Zur Ätiologie der Hysterie verstreut an vier unterschiedlichen Stellen. Ich habe in The Non-Authentic Nature of Freud’s Observations, 1993, Band I, Ss. 137‑139, sämtliche Daten aller Patienten zusammengestellt. Hier wird ersichtlich, dass Freud von 11 der 18 Patienten außer über deren Geschlecht überhaupt keine Informationen gab. Eigentlich ist es noch schlimmer. Denn es ist aus Freuds Artikel auch unmöglich zu erkennen, ob Alice und Beatrice die gleichen Personen sind wie Desirée und Elsa. Falls sie identisch sind, gibt es über 13 Patienten überhaupt keine Information.

 

Der zentralste Bestandteil von Freuds Theorie ist das Postulat eines Zusammenhangs zwischen den gegenwärtigen Symptomen und den [angeblichen] kausalen Erlebnissen im Alter von zwei bis vier Jahren. Sehr merkwürdig ist da, dass nur von zwei Patienten (Florence und Michael) sowohl die Symptome wie die kausale Begebenheit erwähnt werden. Wie man aber aus der Biographie von Alice sieht, räumte Freud ein, dass er alle Begebenheiten konstruierte. Die Patienten erinnerten sie nicht. Aus anderen Quellen, etwa Freuds Briefen an Fliess, wissen wir auch, dass kein Patient ein sexuelles Ereignis aus der Kindheit erinnerte – und dass auch kein Patient geheilt wurde.

 

 

Felix Gattel war Psychiater in Berlin. Er scheint der erste Berufsvertreter gewesen zu sein, den Freud in seiner Methode ausbildete. 1897 kam Gattel nach Wien, um zu lernen, wie man Patienten psychoanalysiert. In Krafft-Ebings Sexualklinik untersuchte er auch aufeinander folgend 100 Patienten.

 

Richard von Krafft-Ebing ist vor allem durch sein bahnbrechendes Buch Psychopathia sexualis (1886) bekannt, in welchem er auf Grund von Krankengeschichten sexuelle Abnormitäten, aber auch Geschehen wie klitorischen Orgasmus und weiblichen Genuss beschrieb. Bis zu seinem Tod 1902 erschienen zwölf Ausgaben.

 

Gattel veröffentlichte alle hundert Biographien in einem Buch Über die sexuellen Ursachen der Neurasthenie und Angstneurose (1898). In The Non-Authentic Nature of Freud’s Observations, Band II habe ich in den Kapiteln 38‑43 sämtliche Biographien methodisch, gründlich analysiert. Auch sind alle Biographien von Patienten, denen Gattel die Diagnose „Hysterie“ gab, und zudem das Protokoll einer (1897 ausgeführten) psychoanalytischen Behandlung wiedergegeben.

 

Viele gravierende Irrtümer scheinen da auf. Einige sollen vorgestellt werden. An sich ist Gattel nicht wichtig. Wichtig ist Freuds Reaktion auf seine Theorien und Resultate. Sie gibt bedeutsame Auskunft über die Natur von Freuds eigener Forschung.

 

Im Gegensatz zu Freud kann Gattel aber nicht verdächtigt werden, Beobachtungen fabriziert zu haben. Seine Beobachtungen sind auch nicht ganz so trivial wie die Freuds. Gattel zieht jedoch, wenn ein Patient je masturbierte, direkt den Schluss, dass Masturbation die Ursache seiner Krankheit sei. Er kümmert sich nicht darum, ob die Symptome viele Jahre vor der Masturbation auftauchten oder viele Jahre nach deren Ende. Er fand auch eine erstaunliche Korrelation zwischen Masturbation und Magenbeschwerden. Wir wissen, dass es eine solche Beziehung nicht gibt und müssen so für letztere andere Erklärungen annehmen. Gattel fragte Patienten, die masturbierten oder angaben, masturbiert zu haben, viel häufiger als andere nach Magenbeschwerden. Oder er fragte Patienten mit Magenbeschwerden viel häufiger als andere nach Masturbation. Oder beides. Wenn aber Masturbation vorlag, war seine Diagnose immer “Neurasthenie”.

 

Wenn der Patient „kein Geschlechtsleben“ hatte, zog Gattel immer den Schluss, seine sexuelle Abstinenz sei die Krankheitsursache. Die Diagnose war dann immer „Angstneurose“. Gab es aber Perioden mit Masturbation und andere Perioden mit völliger Abstinenz, sah er die Krankheit als gemeinsame Wirkung beider an und seine Diagnose war sowohl „Angstneurose” wie “Neurasthenie”.

 

“Hysterie” aber ist die Wirkung früher sexueller Erlebnisse. Mit wenigen Ausnahmen erwähnte Gattel als einzig relevante Erlebnisse Erektionen, sexuelle Träume oder nächtliche Samenergüsse, die der Patient „in frühem Alter“ hatte. Es ist nicht erkennbar, welches Alter Gattel als „früh“ ansah. Da er aber einmal einen Achtjährigen als kleines Kind bezeichnet, hatten seine hysterischen Patienten vielleicht keine ganz ungewöhnlichen Erfahrungen.

 

Ein einziger Patient war von einem 15-jahrigen Mädchen verführt worden, als er drei Jahre alt war. Gattel sah eine kausale Erfahrung auch darin, dass ein vierjähriger Knabe an die Geschlechtsteile eines nur wenig älteren Mädchens gegriffen hatte.

 

Die Diagnose “Hysterie” stellte Gattel stillschweigend in zwei weiteren Fallkategorien, nämlich jedes Mal,

(a)    wenn der Patient viele Symptome hatte; und jedes Mal,

(b)   wenn der Patient einen physischen Unfall erlebt hatte, aber keine nachfolgenden physische Schäden gefunden werden konnten.

Hier sollte man sich merken, dass trotz unstrittig enormer Vorschritte der Neurologie während der letzten hundert Jahre auch heute posttraumatisch noch lange nicht alle physischen Schäden entdeckt werden können.

 

Es gibt auch in Gattels Biographien letztlich sehr wenige Details. Den folgenden Fall findet man auf S. 30f.:

 

Johanna K., Verkäuferin.

Alter: 20.

Dauer der Krankheit: 8 Jahre.

Heredität und frühere Erkrankungen: Vor 8 Jahren Sturz auf den Kopf.

Subjektive Beschwerden: Schlaflosigkeit, Kopfschmerz, allgemeine Angst.

Somatischer Befund: Keiner.

Sexualbeziehungen: Menstruation bei 13, frühe Entwicklung oder Vorkommen von Brüsten und Schamgegend, sexuelle Träume und häufige sexuelle Erregung beim Anblick von Männern. Nicht möglich herauszufinden, ob sexuelle Erlebnisse in ihrer frühen Kindheit vorliegen.

Diagnose: Hy.? An. [= Hysterie? Angst Neurose]

(Layout MS)

 

Die Symptome fingen also mit 12 Jahren an, ein Jahr vor der ersten Menstruation. Gattels Schluss ist nichtsdestoweniger, dass sexuelle Abstinenz die erstrangige Ursache der Beschwerden war. Das Fragezeichen nach „Hy.“ bedeutet, dass der Sturz auf den Kopf möglicherweise eine sekundäre Ursache war: ein physischer Unfall, der keinen physischen Schaden hinterließ.

 

Freud schätzte Gattels Biographien außerordentlich. Er lud ihn zu einem Ferienaufenthalt in Italien ein. Er erwartete aber auch, dass er als Mitverfasser von Gattels Buch genannt würde. Als das nicht geschah, wurde er sehr zornig. Er beschuldigte Gattel des Plagiats. In einem noch nicht veröffentlichten Brief unbekannten Datums schrieb Freud: “Es ist für mich sehr ärgerlich, ihm zu sagen, dass, selbst wenn er diese Sachen weiter verfolgt hätte, er sie möglicherweise nicht als seine eigene Arbeit veröffentlichen könnte –  It is very distressing for me to tell him that even if he had pursued these matters further, he cannot possibly publish them as his own work.” (Hier zitiert nach Sulloway: Freud – Biologist of Mind, 1979, S. 515, rückübersetzt). Sulloway führt auch Fliess’ Zeugnis an, dass Freud Gattel als Plagiator ansah.

 

Nach Freuds Auffassung waren Biographien wie die von Johanna K. Plagiate seiner eigenen Entdeckungen. Diese Beurteilung gibt unzweideutige Information über die Natur von Freuds eigenen Beobachtungen sowohl 1896 als auch später. Es sind extrem wenige, extrem äußerliche, banale und ohne jeden Beweiswert. Wenn Freud meint, seine Schlüsse (Deutungen) würden von solchen Beobachtungen bestätigt, beweist er schlechte Urteilskraft.

 

Andere Umstände verraten dies ebenso. Am 15.02.1901, also sechs Jahre später, schreibt Freud an Wilhelm Fliess:

 

“… Das dritte, was ich begonnen, ist etwas ganz Harmloses; die reine Wasserkocherei der armen Leute. Ich sammelte die Notizen über die Neurotiker in der Ordination, um zu zeigen, was eine notwendig flüchtige Beobachtung von den Beziehungen zwischen Vita sexualis und Neurose enthüllt, und um Bemerkungen daran zu knüpfen. Also etwa dasselbe, womit sich Gattl seinerzeit so unbeliebt in Wien gemacht hat. Da … die Ordination sehr spärlich geht, habe ich bis jetzt erst sechs Nummern […] beisammen […]” (kursiv MS, Freuds fehlerhafte Buchstabierung von Gattels Namen)

J. M. Masson, Sigmund Freud, Briefe an Wilhelm Fliess, 1999, Ss. 480

 

 

Falls Freud 1896 die Wahrheit berichtete, hätte er schon zu dieser Zeit seine Beobachtungen gesammelt.

 

Er stellte aber 1896 die Art der (angeblichen und selbst gesammelten) Erinnerungen auch dar als „Szene, die“ der Kranke „mit allen zu ihr gehörigen Empfindungen zu durchleben schien“ (GW‑I:441/­SE‑III:205). Was Gattel von Johanna K. und den anderen Patienten berichtet und was er, Freud, in o.g. Zitat selbst berichtet, ist aber weder Szene, noch Durchleben, noch eine Zustand mit allen zu der Szene gehörigen Empfindungen.

 

 

 

 

 

Kapitel VIII

 

Die „Bestätigungen“ von Deutungen in „Zur Ätiologie der Hysterie“, einige Lügentechniken und Lügenindikatoren

 

Vorgeblich erhielt Freud „einen wirklich unantastbaren Beweis für die Echtheit der sexuellen Kindererlebnisse“ dadurch, dass außenstehende Personen die Realität dieser Begebenheiten bezüglich zweier Patienten, nämlich Christinas und Desirées, bezeugten (GW‑I:442f./­SE‑III:206). Der entscheidende Punkt ist hier, dass seine Darstellung „Lügenindikatoren“ beinhaltet, bezüglich Desirées sehr starke Indikatoren. (In den folgenden Zitaten werde ich kursiven Druck zur Verdeutlichung einfügen.)

 

Vorgeblich erzählte Christinas Bruder Freud „wenigstens“ [!] Sexualerlebnisse mit ihr, jedoch „nicht die frühesten“ [!] Selbst wenn das wahr wäre, berichtete er also weder ursächliche noch verdrängte noch wiederaufgedeckte Erlebnisse, wie Freud sie wiederaufgedeckt zu haben vorgab. Auch wird nichts über die Art der Erlebnisse gesagt. Der Bruder berichtete bestenfalls von anderen Erlebnissen aus der „späteren Kindheit“ der Schwester.

 

Anderswo (GW‑I:449/­SE‑III:212) schreibt Freud, dass infolge seiner klinischen Erfahrung, sexuelle Erlebnisse nach dem Alter von acht Jahren keine psychische Schaden bewirken könnten. Was aber meint Freud, wenn er von der „späteren Kindheit“ spricht? Das Problem ist die Authentizität und die kausale Bedeutung von Erlebnissen im Alter von zwei bis vier Jahren. Was der Bruder „bestätigte“, muss also völlig irrelevant sein.

 

Der Bruder bestätigte „die Tatsache“ [!] von „weiter zurückgreifenden [!] sexuellen Beziehungen“. [Warum spricht Freud von „zurückgreifenden“ und nicht von „zurückliegenden“?] Anderswo (GW‑I:435/­SE‑III:199) behauptet Freud, er habe sämtliche verdrängten und kausalen Erlebnisse wiederaufgedeckt. Würde er solch irrelevante (kausal nach seiner eigenen Theorie nichts beweisende) Beweise anführen, wenn er wirklich sexuelle Erlebnisse aufgedeckt hätte, bei denen der Bruder eine Rolle spielte?

 

Zu den klassischen Lügentechniken gehört, unbestimmte, unbestimmbare Formulierungen zu benützen, die kaum etwas aussagen. Denn dadurch verpflichtet sich der Lügner eigentlich zu nichts und seine Darstellung ist immun gegen Einwände.

 

Wenden wir uns jetzt Desirée zu, der anderen Patientin, für die Freud vorgab, durch das Zeugnis von außenstehenden Personen die Bestätigung sexueller Kindheitserlebnisse erhalten zu haben (GW‑I:442f./­SE‑III:206). Merken wir uns, dass Freud solche Bestätigungen von zwei Patienten insgesamt erhielt, dass Christina die eine Patientin war und dass es folglich Raum nur für einen weiteren Patienten außer Christina gibt.

 

Desirée und Else hatten an derselben Begebenheit teilgenommen. Der dritte Teilnehmer wird als “die nämliche männliche Person” beschrieben. Dieser Ausdruck – nicht geradeaus ein Mann, sondern eine Person männlichen Geschlechts – ist eigenartig. Es scheint, dass Freud etwas verbergen wollte und deshalb unbestimmt ließ, ob dieser Teilnehmer ein Kind oder ein Erwachsener war.

 

Sowohl Desirée wie Elsa waren Freuds Patienten. Desirée hat [angeblich] von einer sexuellen Begebenheit berichtet, die sie und Elsa und “eine männliche Person” einschloss. Elsa hat [angeblich] von der selben Begebenheit berichtet. Elsa hat dadurch Desirées Erzählung bestätigt. Und damit hat Freud die Bestätigung von Desirées Erzählung gewonnen.

 

Nun gut. Aber falls beide Patientinnen von der selben Begebenheit erzählten, dann hat nicht nur Elsa Desirées Bericht bestätigt, sondern Desirée hat zugleich Elsas Bericht bestätigt. Es ist logisch notwendig, dass beide Patientinnen beide Berichte gegenseitig bestätigten.

 

Und genau das ist es, was Freud übersieht. Er glaubt, dass in dieser Situation Elsa Desirées Erzählung bestätigen könnte, ohne dass Desiree zugleich Elsas Erzählung bestätigte.

 

Sehr viele Menschen, auch sehr viele Lügner, sind mit den kleinsten, unauffälligen Zügen der Wirklichkeit nicht vertraut genug. Unter anderem sehen sie an den Details vorbei, die noch hinzukommen würden, wenn ihre Kernbehauptung zuträfe. Meistens sind sie nicht in der Lage, die vollständige Situation zu erfinden, die wahr sein könnte.

 

Freuds Kernlüge ist, dass Desirées Bericht bestätigt wurde. Aber er hat nicht vor Augen, dass diese Kernlüge impliziert, dass die Berichte beider Patientinnen sich gegenseitig bestätigen würden. Er müsste folglich Bestätigung außer von Christina von zwei Patienten, d.h. insgesamt von drei Patienten, erhalten haben.

 

Freud würde nicht einen so wirklichkeitsfremden Fehler gemacht haben, hätte er an reale Berichte gedacht, die reale Patienten erzählt hatten. Der vorliegende Fehler beweist, dass er konfabulierte, ohne authentische Umstände bedacht zu haben.

 

Unzählige Freud-Leser haben diesen Fehler offensichtlich nie bemerkt.

 

Weiter: Steht irgendwo in Freuds Text, dass alle achtzehn Patienten, oder wenigstens einer von ihnen geheilt wurden? Nirgendwo steht das. Statt dessen überlässt uns Freud die folgenden drei Sätze (S‑):

 

S‑1         Jedes Symptom jedes der achtzehn Patienten wurde durch ein verdrängtes Erlebnis sexueller Verführung verursacht, das sich im Alter von zwei bis vier Jahren zugetragen hatte. (GW‑I:435, 449/­SE‑III:199, 212)

S‑2         Jedes verdrängte Erlebnis jedes Patienten wurde in Beziehung zu jedem Symptom wieder erinnert. Jeder Patient erinnerte ursächliche Erlebnisse aus dem Vorschulalter wieder. (GW‑I:448/­SE‑III:211f.)

S‑3         Wenn das verdrängte ursachliche Erlebnis wiedererinnert wird, verschwindet das mit diesem Erlebnis verbundenes Symptom. (GW‑I:448/­SE‑III:211f.)

 

Eine logisch notwendige Folge aus diesen drei Sätzen ist, dass sämtliche Symptome bei sämtlichen Patienten verschwanden. Jedoch stellt Freud diese logische Implikation ausdrücklich nie vor.

 

Er sagt, dass jedes hysterische Symptom von einem verdrängten Erlebnis aus der Vorschulalter stammt und dass er jedes verdrängte Erlebnis wieder aufdeckte. Nichtsdestoweniger sagt er auf einer anderen Seite folgendes:

 

S‑4         Jeder hysterische Patient hat sowohl Symptome, die aus dem Vorschulalter stammen als auch andere Symptome, die nicht aus dem Vorschulalter stammen. (GW‑I:449, 451/­SE‑III:212, 214)

 

Offensichtlich kann sich Freud nicht von einer Seite zur nächsten an seine eigenen Lügen erinnern.

 

Wir erhalten keine Auskunft darüber, wie man die beiden Symptom-Kategorien unterscheiden könnte. Ist die Art der Symptome mit und die ohne infantile Wurzeln völlig, teilweise oder niemals dieselbe?

 

Freud denkt in dem „dritten Verführungsartikel“ nicht an sexuelle Übergriffe Erwachsener, sondern vor allem an sexuelle Spiele zweier Vorschulkinder. Er berichtet jedoch nicht, wie viele seiner Patienten als Kinder nur „Spiele spielten“.

 

Zwei Kinder können sexuelles Spiel betreiben, ohne dass ein Erwachsener beteiligt ist. Dann ergriff, so Freud, eines der Kinder die Initiative. Er bringt nun zwei Verallgemeinerungen vor, die zwar nur für die Initiatoren gelten sollen, angeblich aber bei seiner ganzen Gruppe von achtzehn Patienten bestätigt wurden. Das ist alles aber unstimmig, ja unmöglich:

 

S‑5         Jedes Kinder-Sex-ohne-Erwachsene „initiierende“ Kind [also Knaben sowohl als Mädchen] war vordem von einem Erwachsenen verführt worden. (GW‑I:452/­SE‑III:215)

S‑6         Einige von den Kinder-Sex-ohne-Erwachsene initiierenden Knaben waren von Erwachsenen früher nicht verführt worden. (GW‑I:445/­SE‑III:208)

 

Wenn Freud auch nur einen einzigen Patienten geheilt hätte, wäre sein Einsatz viel größer gewesen, als aus all den hölzernen Behauptungen in dem dritten Verführungsartikel (Zur Ätiologie der Hysterie) erkennbar wird. Dann hätte er einen solchen Patienten einigen seiner Kollegen vorstellen können. Er hätte dokumentarisch die früheren Symptome, das Verschwinden derselben und die Wiedererinnerungen während der Behandlung belegen können. Insbesondere hätte er die enge zeitliche Beziehung zwischen dem Aufkommen der Wiedererinnerungen und dem Verschwinden der Symptome zu belegen vermocht. Manche nehmen den Umstand, dass Freud die Verführungstheorie bald, wenn auch nie vollständig, aufgab, als Entlastung für ihn. Er ging aber nur von einer Lüge zur nächsten über. Er blieb ein Lügner.

 

Es ist nicht vorstellbar, dass Freud sich dessen nicht bewusst war. Die Tatsache, dass er es, statt einen geheilten Patienten vorzustellen, vorzog, leere Phrasen zu dreschen, kann kaum anders gedeutet werden, als dass keiner der Patienten geheilt wurde, was Freud ja letztlich in den Briefen an seinen Intimus Fliess vertraulich mehrmals auch eingestand  (Z‑):

 

Z‑1       “…Wenn uns beiden [= Freud und Fliess] noch einige Jahre ruhiger Arbeit vergönnt sind, werden wir sicherlich etwas hinterlassen, was unsere Existenz rechtfertigen kann. In diesem Bewusstsein fühle ich mich stark gegen alle Sorgen und Mühen des Tages. […] Ich habe die Überzeugung, dass ich die Hysterie und Zwangsneurose definitiv heilen kann, gewisse Bedingungen der Person und des Falles zugegeben.” [2.4.1896]

Z‑2      “…Gib mir noch zehn Jahre und ich mache die Neurosen und die neue Psychologie fertig …” In dem selben Brief gibt Freud seiner Hoffnung Ausdruck, dass er in einigen Wochen bis Monaten (Ostern 1897) den ersten Patienten seines Lebens geheilt haben werde. „Vielleicht habe ich bis dahin einen Fall zu Ende gebracht…“ [3.1.1897]

Z‑3      Freud erreichte die Heilungen nicht, mit denen er gerechtet hatte. Er ist jetzt davon überzeugt, dass alles, was verdrängt worden ist, für immer verdrängt bleibt. „…Ich glaube an meine Neurotica nicht mehr … Die fortgesetzten Enttäuschungen bei den Versuchen, eine Analyse zum wirklichen Abschluss zu bringen, das Davonlaufen der eine Zeitlang am besten gepackten Leute, das Ausbleiben der vollen Erfolge […] Ich könnte mich sehr unzufrieden fühlen. Die Erwartung des ewigen Nachruhms war so schön…“ [21.9.1897]

(J.M. Masson, Sigmund Freud – Briefe an Fliess, S. Fischer, 1999, Ss. **190, 231f., 281f., kursiv MS)

 

Z‑1 wurde geschrieben neunzehn Tage, bevor Freud am 21.04.1896, 40-jährig, vor dem Verein für Psychiatrie und Neurologie in Wien den „dritten Verführungsartikel“ vortrug. Schon am 05.02.1896 sandte er die beiden ersten Verführungsartikel ab, in welchen er behauptete, dreizehn hysterische Patienten geheilt zu haben. Falls seine Behauptungen über therapeutisches Gelingen wahr wären, hätte er schon etwas geleistet, was Nachruhm rechtfertigte. Er würde dazu nicht mehr viele weitere Jahre benötigen. In dem privaten Brief aber drückt er nur seine subjektive Überzeugung aus, dass er unter gewissen Umständen Hysterie werde heilen können.

 

Z‑2 und Z‑3 wurde geschrieben 8½ und 17 Monate nach dem genannten Vortrag.

 

Wenn kein Patient geheilt wurde, musste Freud mit der Gefahr rechnen, dass einige Patienten später andere Ärzte aufsuchen würden. Diese würden erkennen, dass sie zu den Patienten gehörten, die Freud angeblich vollkommen geheilt hatte.

 

Um einem Aufkommen seiner Lügen vorzubeugen, baute Freud eine „Rettungskonstruktion“ in seinen Text ein.

 

Eine häufige Lügentechnik ist, sowohl die wahre wie die falsche Information in der selben Schrift unterzubringen. Die falsche Information kann wiederholt werden und auf ins Auge fallenden Stellen stehen. Bei der wahren Information genügt es, sie nur ein Mal anzuführen. Sie kann an verborgener Stelle stehen

(a)   als Nebenbemerkung bei Behandlung eines anderen Themas;

(b)   in einem Nebensatz; und

(c)   in so dunklen Formulierungen, dass die meisten Leser oder Zuhörer gar nicht merken, was gesagt wurde.

 

Würde ein Leser die Falschheit der Haupt-Information ausfindig machen und den wahren Stand der Dinge hervorheben, dann kann der Verfasser erwidern, ihn träfe der Einwand nicht. Er selbst habe ja genau dasselbe wie der Kritiker schon gesagt.

 

Freuds Theorie ist, dass jedes hysterische Symptom durch Verdrängung eines im Alter von zwei bis vier Jahre erlebten sexuellen Erlebnisses verursacht sei.

 

„Wenn Sie [= die Zuhörer oder Leser] meine Behauptung, die Ätiologie auch der Hysterie läge im Sexualleben, der strengsten Prüfung unterziehen, so erweist sie sich als vertretbar durch die Angabe, dass ich in etwa achtzehn Fällen von Hysterie diesen Zusammenhang für jedes einzelne Symptom erkennen und, wo es die Verhältnisse gestatteten, durch den therapeutischen Erfolg bekräftigen konnte.“ (GW‑I:435/­SE‑III:199, kursiv MS)

 

Es gibt mehr als einen Fehler in diesem Satz. Ich will aber nur einen hervorheben. Gewiss ist Freuds Formulierung auf den ersten Blick sonderbar und schwer verständlich. Was sagt er eigentlich?

 

Er spricht von seiner Theorie, dem Zusammenhang zwischen Symptomen und kausalen Erlebnissen. Er sagt erst, diese Theorie sei bezüglich aller achtzehn Patienten bestätigt worden, sagt aber nichts darüber, wie sie bestätigt wurde.

 

Er fügt dann aber doch hinzu, dass die Theorie daneben in einer bestimmten Weise bestätigt wurde, nämlich durch den aus ihr hervorgehenden therapeutischen Erfolg. In dieser Weise wurde die Theorie jedoch nicht für alle achtzehn Patienten bestätigt, sondern nur, „wo es die Verhältnisse gestatteten“.

 

Mit anderen Worten: „Die Verhältnisse gestatteten es nicht“, dass die Theorie bezüglich aller achtzehn Patienten „durch den therapeutischen Erfolg bestätigt wurde“.

 

Das kann nur bedeuten, dass für alle achtzehn Patienten therapeutischer Erfolg nicht vorlag.

 

Freuds eigentümliche Formulierungen sind Zeichen eines virtuosen Lügners. Die in ihnen verborgene Information wird sehr wenigen Lesern oder Zuhörern auffallen.

 

 

 

 

 

Kapitel IX

“Die Psychoanalytiker beeinflussen ihre Patienten nicht”

 

Von den elf Behauptungen Hartmanns in obiger Aufstellung haben wir die ersten sieben widergelegt. Jetzt sind die vier letzten an der Reihe.

 

Ihr gemeinsames Thema ist: Die Psychoanalytiker beeinflussen ihre Patienten gar nicht oder kaum. Die psychoanalytische Situation sei (fast) konstant und mit einer experimentellen Situation vergleichbar. Wegen dieser Konstanz kämen alle Reaktionen des Patienten unabhängig vom Verhalten des Psychoanalytikers zustande und rührten ausschließend aus dem Inneren der Patienten.

 

Die Doktrin der Nicht-Beeinflussung hat u.a. mit der Tatsache zu tun, dass die meisten Patienten letztendlich an die Deutungen der Analytiker glauben. Die Doktrin wurde schon von Freud aufgestellt. Er hat sie 1895, 1896 und 1937 in fast denselben Worten ausgesprochen:

 

“Man überzeugt sich dabei mit Erstaunen, dass man nicht imstande ist, dem Kranken über die Dinge, die er angeblich nicht weiss, etwas aufzudrängen oder die Ergebnisse der Analyse durch Erregung seiner Erwartung zu beeinflussen. Es ist mir kein einziges Mal gelungen, die Reproduktion der Erinnerungen oder den Zusammenhang der Ereignisse durch meine Vorhersage zu verändern und zu fälschen.” (GW‑I:300/­SE‑II:295)

 

“Dass der Arzt dem Kranken derartige Reminiszenzen aufdränge, ihn zu ihrer Vorstellung und Wiedergabe suggeriere, ist weniger bequem zu widerlegen, erscheint mir aber ebenso unhaltbar. Mir ist es noch nie gelungen, einem Kranken eine Szene, die ich erwartete, derart aufzudrängen, dass er sie mit allen zu ihr gehörigen Empfindungen zu durchleben schien.” (GW‑I:441/­SE‑III:204f.)

 

“Die Gefahr, den Patienten durch Suggestion irre zu führen, indem man ihm Dinge ’einredet’, an die man selbst glaubt, die er aber nicht annehmen sollte, ist sicherlich maßlos übertrieben worden. Der Analytiker müsste sich sehr inkorrekt benommen haben, wenn ihm ein solches Missgeschick zustoßen könnte; vor allem hätte er sich vorzuwerfen, dass er den Patienten nicht zu Wort kommen liess. Ich kann ohne Ruhmredigkeit behaupten, dass ein solcher Missbrauch der ’Suggestion’ in meiner Tätigkeit sich niemals ereignet hat.” (GW‑XVI:48f./­SE‑XXIII:262).

 

Diese Doktrin ist jedoch völlig unvereinbar mit Bonapartes Bericht und Artikel. Das oben angeführte Bonaparte-Zitat soll hier mit einem deutlicheren Lay-Out wiederholt werden:

 

[a]„Anfangs akzeptierte die Patientin diese Deutung ihres Traumes nicht; sie [b] reagierte gegen sie sogar heftig; aber der Psychoanalytiker [c] fuhr in seiner Behauptung beharrlich fort.“

“The patient did [a] not at first accept this interpretation of her dream, she even [b] reacted violently against it, but [c] the analyst persisted in his assertion.”

 

Die Techniken Freuds wie später Bonapartes, Zustimmung zu erreichen, unterschieden sich kaum. Auch Hartmann postulierte die Doktrin der Nicht-Beeinflussung und bestand im gleichen Atemzug auf der Indoktrination als einer wissenschaftlichen Methode!

 

 

 

 

 

Kapitel X

Schlussbemerkungen

 

Wenn ein Mensch oder eine Gruppe von Menschen überhaupt keine Beobachtungen, Theorien, Methoden, Ideen, Argumente oder therapeutische Resultate hervorbrachten und es dennoch zu großem Prestige bringen wollen, kann es eine raffinierte, propagandistische Technik sein, sich großer Mengen und der Originalität gemachter Beobachtungen, Theorien, Methoden u.s.w. zu rühmen.

 

Psychoanalytische Beobachtungen wie auch eine psychoanalytische Beobachtungsmethode geben es nicht. In den psychoanalytischen Schriften kommen nur Beobachtungen, Traumbilder und Traumberichte vor, die jedem Laien zugänglich sind. Das Verfahren der Psychoanalytiker ist, wenige einfache Tatsachen zur Stützung für Deutungen auszusuchen, die schon vorher konstruiert worden waren, weil diese Tatsachen sowohl gebraucht als auch missbraucht werden können.

 

Zur Zeit der Ich-Analytiker, d.h. in den 1950er bis 70er Jahren, schien es, dass die Psychoanalyse am leichtesten Prestige gewinnen könnte, wenn sie vorgab, sie habe im Grunde denselben Charakter wie die übrigen wissenschaftlich-psychologischen Theorien. Die Ich-Analytiker waren nicht die ersten, die die These fabrizierten, Freud sei ein glänzender Beobachter gewesen; das hatte dieser selbst oft genug behauptet. Die Ich-Analytiker waren aber die Ersten, die erfanden, dass Freud seine Theorien auf dem Boden seiner Beobachtungen induktiv aufgebaut habe.

 

Zwei grundsätzliche Einwände werden oft und wurden so auch bei der anfangs vorgestellter Konferenz übersehen. Die Deutungen, die da angeblich verifiziert worden waren, waren überhaupt nicht aus der psychoanalytischen Theorie abgeleitet worden. Auf Grund der Tatsache, dass Bonaparte im Alter von sieben Jahren eine kleine Geschichte mit dem Titel „Der Mund-Bleistift“ verfasst hatte, konstruierte Freud die Deutung, dass Bonaparte über Fellatio nicht phantasiert, sondern diese Sexualvariante gesehen hatte.

 

Insofern haben die hier vorgebrachten Deutungen eine verstehbare Beziehung zur Theorie. Es ist kein Fehler der Theorie, dass sie bestimmte Personen nicht identifizieren kann. Dagegen machten Freud, Bonaparte, Jones und Hartmann einen schweren methodologischen Fehler, als sie glaubten und behaupteten, ihre Identifikationen aus den Theorie abgeleitet zu haben.

 

Die meisten Teilnehmer oder Leser des Kongress(-Bericht)es haben die aufgestellten konkreten Behauptungen nicht kontrolliert, etwa, dass die Psychoanalyse bessere Voraussagen machen könne als andere psychologische Theorien, die sehr wohl verifiziert sind. Der Hauptgrund kann nur sein, dass viele Leser weder bezüglich der Größe noch der Grobheit der Freudschen Lügen Verdacht schöpften.

 

 Für seine linguistische Unterstützung danke ich dem Herausgeber der deutschen

INFC-Site, Herrn Dr. Weinberger.   Max Scharnberg

 

 

Literatur-Verzeichnis

 

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Freud, Sigmund (GW‑X:264-303) = Das Unbewusste.

Freud, Sigmund (GW‑XII:27-159) = Aus der Geschichte einer infantilen Neurose.

Freud, Sigmund (GW‑XVI:43-56) = Konstruktionen in der Psychoanalyse.

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Freud, Sigmund (SE‑III:141-156) = Heredity and the Aetiology of the Neuroses.

Freud, Sigmund (SE‑III:157-186) = Further Remarks on the Neuro-Psychoses of Defence.

Freud, Sigmund (SE‑III:187-222) = The Aetiology of Hysteria.

Freud, Sigmund (SE‑VII:1-122) = Fragment of an Analysis of a Case of Hysteria.

Freud, Sigmund (SE‑XIV:159-204) = The Unconscious.

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Kritik der Psychoanalyse

Karl Jaspers

Zur Kritik der Psychoanalyse

Nachdruck zuerst in Münchner Ärztliche Anzeigen Nr. 24 / 1978 mit Genehmigung des Piper Verlages, München, aus Karl Jaspers, Rechenschaft und Ausblick, Reden und Aufsätze 1951, S. 260 ff.  Anlaß zum Nachdruck waren die seinerzeit laufenden Diskussionen um die Einführung eines „Facharztes für Psychotherapeutische Medizin“ in die ärztliche Weiterbildungsordnung. 1992 wurde er Realität, heute unter der Bezeichnung des Facharztes „für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie“.

Karl Jaspers war in Deutschland über Jahrzehnte der gewichtigste Gegner dieser Entwicklung. Nicht nur seiner epochalen ALLGEMEINEn PSYCHOPATHOLOGIE von 1913, sondern auch seiner politischen Haltung wegen bleibt er eine Lichtgestalt der Seelenheilkunde in Deutschland und der Welt. Jaspers hat als Psychiater wie als Philosoph Marxismus, die Rassentheorie (Nazismus) und die Psychoanalyse über sein ganzes wissenschaftliches Leben hindurch mit gleicher Folgerichtigkeit und gleichem Nachdruck bekämpft, vor allem aber rechtzeitig – vgl. sein Buch DIE GEISTIGE SITUATION DER ZEIT (1931).

F. Weinberger, 03.11.2004

 

Es ist kaum möglich, von der Psychoanalyse als einer Einheit zu reden, es sei denn, daß alle Psychotherapeuten, die sich ihrer bedienen, an Freud sich orientieren – in orthodoxer Gefolgschaft oder in kritischer Ablehnung. Es ist kein Zweifel, daß Freud der überragende Kopf ist. Das Gewicht seines Wesens, die Radikalität, mit der er bis zum Absurden geht, sein Bezug auf die Krisis eines verlogenen Zeitalters, sein Stil und seine Eigenwilligkeit wirken stärker, als irgendeiner der Nachfolger es vermochte. Alle grundlegenden Erkenntnisse stammen von ihm. Seine Befangenheit in naturwissenschaftlichen Begriffen, ohne eigentlich  naturwissenschaftlich zu forschen, seine Abhängigkeit vom psychologischen Denken der Art Herbarts gehören dem Manne des 19. Jahrhunderts. Seine eigentümliche Kälte, ja sein Haß beflügeln die Weisen seiner Untersuchung. Es ist längst durch Kritiken gezeigt worden, was in seinen Schilderungen, Deutungen, Thesen Erkenntnisbedeutung hat, was pseudowissenschaftliches Verfahren, was in der Folge nicht etwa Fortschritt einer haltbaren Theorie, sondern bloßer Wandel der Einfälle des Autors ist. Freud nimmt nicht teil am Sinne moderner Wissenschaft. Er bewirkt mit seinen Entschleierungen selber neue Verschleierungen. Er macht in der Geistesgeschichte aufmerksam auf unbeachtete Möglichkeiten, aber kommt immer schnell zu ahnungslosen, ja frechen Gedanken (wie im Mosesbuch u. a.).

Heute gibt es innerlich unabhängige Psychotherapeuten, die den Menschen lieben und ihm helfen möchten. In je einmaliger persönlicher Gestalt tun sie vernünftig das Mögliche. Sie benutzen auch psychoanalytische Methoden, ohne ihnen zu verfallen. Sie organisieren und technisieren nicht, was für immer Sache der geschichtlichen Kommunikation einzelner Menschen bleibt. Sie sind naturwissenschaftlich klares Erkennen gewöhnt und haben es stets als die Grundlage aller Therapie gegenwärtig. Von ihnen soll hier nicht die Rede sein.

Vielmehr möchte ich wieder einmal hinweisen auf einen, wie es scheint, immer stärker werdenden Zug innerhalb der psychoanalytischen Bewegung, auf das, was den Glaubenscharakter in diesem Denken ausmacht. Dieser Glaube wird möglich und gefördert durch einige sachliche Irrtümer, von denen folgende formuliert seien:

1. Es wird verwechselt das Sinnverstehen mit dem kausalen Erklären. Sinnverstehen vollzieht sich in Gegenseitigkeit der Kommunikation. Kausalität ist sinnfremd, in Distanz als ein Anderes zu erkennen. Durch Verstehen bewirke ich nicht, sondern appelliere an Freiheit. Durch kausales Erklären werde ich fähig, in gewissem Umfang rational berechenbar einzugreifen in das Geschehen im Sinne erwünschter Ziele. Verwechsle ich aber die Verstehbarkeit von Sinn im Raume der Freiheit und die kausale Erklärbarkeit, so taste ich die Freiheit an. Dann behandle ich sie wie ein Objekt, also ob sie erkennbar da sei, wodurch ich sie erniedrige. Und dazu versäume ich kausale Möglichkeiten, die wirklich bestehen.

2. Die Weise der therapeutischen Wirkung ist fragwürdig. Man weiß, daß alle psychotherapeutischen Verfahren in der Hand wirksamer Persönlichkeiten Erfolge haben, durch die Jahrtausende hindurch. Man sieht, daß psychoanalytische Verfahren ebensoviel Erfolge und Mißerfolge haben wie andere Methoden. Die Befriedigung mancher Patienten an der eingehenden Beschäftigung mit ihnen und ihrer gesamten Biographie ist nicht gut als Heilung zu bezeichnen. Während in der eigentlichen Medizin durch die Erkenntnisse der letzten anderthalb Jahrhunderte gewaltige, fast märchenhafte Heilerfolge möglich geworden sind, so daß sich das Leben des abendländischen Menschen um durchschnittlich 20 Jahre verlängert hat, sind die psychotherapeutischen Erfolge allem Anschein nach nicht größer geworden. Sie können es der Natur der Sache nach kaum werden. Was hier Therapie heißt in der Unbestimmtheit und Beliebigkeit des Sinns von Heilung, ist an dem Worte eines namhaften Psychoanalytikers von 1933 zu erkennen: die größte psychotherapeutische Handlung sei die Wirkung Adolf Hitlers.

3. Was man Neurose nennt, ist nicht charakterisiert durch die verstehbaren Inhalte der Erscheinungen, sondern durch den Mechanismus der Übersetzung von Seelischem in Körperliches, von Sinn in sinnfremdes leibliches Geschehen oder in psychische Erscheinungen von Zwangsneurosen, Schizophrenien u. a. Nur eine prozentual geringe Zahl von Menschen leiden an diesen Mechanismen, an dieser Begabung oder diesem Verhängnis, daß eigene geistige Vollzüge, Akte ihrer Freiheit, ihnen in leiblichen und psychischen Umsetzungen als ein Fremdes begegnen, dessen sie nicht Herr werden. Die meisten Menschen dagegen verdrängen, vergessen, lassen unerledigt, leiden und dulden das Äußerste, ohne je dadurch zu leiblichen oder psychischen Umsetzungen zu kommen.

Diese und andere Irrtümer sind als solche wissenschaftlich faßlich. Hier läßt sich untersuchen, unterscheiden, prüfen. Anders liegt es bei den psychoanalytischen Grundanschauungen, die man Glauben nennen darf. Dieser Glaube ist charakterisiert durch folgende Züge:

1. Alles, was dem Menschen und im Menschen geschieht, hat Sinn. Die Verabsolutierung des Bedeutens und die Nivellierung dieses Bedeutens auf eine einzige Ebene von Sinnverstehen bedeutet eine „Weltanschauung“, der alles Symbol wird, aber von der Art des Symbols, das deutbar ist. Von faktischen hysterischen Symptomen und anderen greifbaren Krankheitserscheinungen wird das Deuten auf alle Krankheiten, auf die gesamte Biographie des Menschen ausgedehnt. Dabei ergeben sich endlose Möglichkeiten des Deutens und Umdeutens, des entgegengesetzten Deutens, des Weiterdenkens und Überdeutens, das kein Ende hat und Kriterien für richtig und falsch verliert. Erkennbarkeit, in das Fließen der endlosen Deutung und Umdeutung gebracht, ist nicht mehr Erkennbarkeit.

2. Es erwächst der Anspruch eines Totalwissens vom Menschen, von seiner eigentlichen Substanz, die noch vor der Scheidung in Leib und Seele liegt. Diese Totalisierung der Menschenauffassung ist wissenschaftlich unmöglich. Sie ist als Denkstruktur dem Totalitarismus in der historisch-soziologischen Auffassung analog. Sie beruht auf der Verwechslung von Erkennbarkeit und Freiheit. Freiheit, zum Gegenstand gemacht, ist nicht mehr Freiheit.

3. Krankheit wird zur Schuld. Was in begrenzten Bereichen ein möglicher Standpunkt gegenüber Krankheitserscheinungen ist – in keinem Falle ein ärztlicher Standpunkt -, das wird mehr oder weniger deutlich auf alle Krankheiten aus-gedehnt. Eine falsche und in Ihren Folgen Inhumane Philosophie verdirbt den Sinn und das Ethos ärztlichen Helfens.

4. Es entsteht, mehr oder weniger bewußt, eine Vorstellung von menschlicher Vollkommenheit, die Gesundheit genannt wird. Die Einheit des Menschen, die Einheit der Wissenschaft, die Einheit der Medizin werden pathetisch betont – aber gemeint als Unterwerfung unter die fragwürdigen Glaubensgehalte der schlechten, schwankenden, in verwirrenden dialektischen Kreisen unklar sich bewegenden Philosophie.

5. Es ist eine verborgene, fanatische und zerstörerische Tendenz am Werk. Sie wird selten ausgesprochen, deutlich aber einmal von Viktor von Weizsäcker. Er hat die „Sorge…, daß wenn einmal die psychotherapeutische Auflösung und Heilung einer schweren Organkrankheit gelingt, im Gefolge ein Zustand auftreten kann, der an eine Psychose grenzt. …, wenn die Krankheit also gleichsam eine Materialisierung des Konflikts ist, dann ist mit ihrer Spiritualisierung auch der Konflikt wieder da… die gelungene Psychotherapie ist dann eine Neuproduktion eines Konflikts. – Wenn aber der Konflikt nun zu vorher unerhörten Gedanken, zu größeren Taten führt, dann wird es eine Umwelt geben, welcher das gar nicht gefällt. Ob Ehescheidung, politischer Umsturz oder religiöse Revolution – allemal wird der so Geheilte zum Gegner gewohnter Ordnung werden und sein Arzt… mißbilligt werden. Was ich hier ausspreche, ist zur Hälfte Prophetie, zur anderen Hälfte aber Beschreibung von bereits Geschehendem.“ – „Die recht verstandene psychosomatische Medizin hat einen umstürzenden Charakter… Aber allerdings, wo das Leben ein sinnvoller Widerspruch ist, da soll es, da muß es auch die Therapie sein… Therapie, d.h.: ärztliches Handeln beteiligt sich am Krankheitsvorgang, begleitet ihn, vermischt sich mit ihm, wirkt mit am Verlauf.“

Was hier vorliegt, ist offenbar. Wer es nicht sieht, für den bedürfte es der Interpretationen, die hier viel zu lang geraten müßten.

In diesen Glaubensmotiven liegt eine Wahrheit, aber eine in solchen Formen verkehrte Wahrheit. Es ist die Wahrheit, daß für den Arzt – wie für jeden Beruf im Umgang mit Menschen – es nicht genügt, das wissenschaftlich Erkennbare gelernt zu haben und anzuwenden. Die sittliche Persönlichkeit des Arztes bedeutete von jeher mehr. Was die Idee seines Berufes ist, in der die anwendbare Wissenschaft nur als ein Werkzeug dient, das ist nicht selber Gegenstand der Wissenschaft, sondern Sache der Selbsterziehung in innerem  Handeln im Raum von Philosophie und Religion. Wenn etwa Th. Bovet von der „Psychohygiene“ spricht und sagt: „Wer sie lehrt, muß sie persönlich verkörpern“, dann meint er wohl dies und sagt manches Gute. Er spricht von Beratung und Hilfe in seelischer Not und meint: man „kann niemanden weiterbringen als man selber steht“, – oder „wer die Ehe nur als eine spezielle Form neben anderen möglichen Formen betrachtet, der hat von der Ehe nichts oder wenig verstanden und taugt nicht zum Seelen-Hygieniker“ – oder: „wer den religiösen Glauben als Suggestion oder Illusion abtut, soll sich nicht mit Psychohygiene befassen“.

Man fragt sich, ob die Psychoanalyse der Weg sei zur Reife, zum Lebensgehalt, zum wahren Glauben zu gelangen. Oder ob hier nicht vielmehr durch verkehrten, bodenlosen Glauben, der sich fanatisch festhält, der Weg verlegt wird zum eigentlichen Menschsein, das sich durch Bezug auf Transzendenz gewinnt.

Der Glaube von Psychoanalytikern kann mit skeptischen Wendungen auftreten, wenn etwa Jung seine Ansichten nur als „Vorschläge und Versuche zur Formulierung einer neuartigen naturwissenschaftlichen Psychologie“ betrachtet. Denn er ist der Meinung, „daß die Zeit zu einer Gesamttheorie… noch längstens nicht gekommen ist“, hält diese also grundsätzlich als mögliches Ziel fest und entwirft in der Tat ständig Schemata einer solchen für ihn denkbaren Gesamttheorie.

Das medizinische Kleid für unmedizinische Anschauungen, das ärztlich-therapeutische Kleid für unärztliche Behandlungsmethoden im Umgang mit Leiden und Nöten schafft eine Verwirrung der Grundhaltung, die den Boden bereitet für eine Orthodoxie. Was mit dem Bannstrahl Freuds gegen abtrünnige Schüler begann, bedeutet eine in der Sache gelegene Tendenz. Diese Tendenz ist stärker geworden. Was möglich werden wird, deute ich an: Psychoanalytiker grün den seit Jahrzehnten Gesellschaften. Diese erstreben das Recht zur Verteilung von Diplomen auf Grund der Organisation eines Lehrbetriebs. Sie appellieren wie Sekten an Solidarität. Nicht wissenschaftlich bestimmte Diskussion auf dem Boden einer alle verbindenden Vernunft, sondern eine – in ihren Formulierungen fließende, aber in der Haltung kenntliche – Totalanschauung vereinigt die Glieder.

Schon ist der Schritt zur Züchtung von psychoanalytisch orthodoxen Psychotherapeuten in Sicht durch einen radikalen Unterschied in den Voraussetzungen einer ärztlichen und der geplanten psychoanalytischen Approbation: Die ärztliche Approbation erteilt auf Grund von Kenntnissen und Fertigkeiten, die ich mir im wissenschaftlichen Bewußtsein allgemeingültig durch Erkennen, an der Hand jederzeit wiederholbarer Beobachtungen und Experimente, erworben habe. Dagegen soll die Approbation als Psychoanalytiker darüber hinaus die sog. Lehranalyse voraussetzen. Das ist ein Vorgang durchaus analog den Exerzitien, in denen nicht durch allgemeingültiges Erkennen, sondern durch Einübung in der Behandlung des eigenen  Bewußtseins die Wahrheit erworben wurde. Die Lehranalyse prägt die Glaubensanschauungen im Zusammenhang mit dem eigenen Dasein so tief ein, daß sie, im Falle des Gelingens, verläßlich festsitzen und den so Gezüchteten zu einem geeigneten Glaubensmitglied der geplanten Zunft machen. Ein argentinischer Entwurf der Ausbildungsvorschriften, in einer deutschen analytischen Zeitschrift mit offenbarer Zustimmung abgedruckt, gibt darüber Aufschluß: Zulassung auf Grund des Lebenslaufs und der Rücksprache mit zwei Lehranalytikern, also Eignungsprüfung – Minimum von 350 Sitzungen der Lehranalyse – Mitarbeit an einer von einem Mentor geleiteten Studiengruppe – wenn reif, Zulassung zu 2 Kontrollanalysen in einem Jahr, d. h. Analysen des angehenden Analytikers an 2 Patienten unter Kontrolle eines Erfahrenen schließlich Berichte des Lehranalytikers, des Kontrollanalytikers und des Mentors – aber nun das Kennzeichnendste:

Wenn nach Ansicht des Lehranalytikers die Lehranalyse nicht in zufriedenstellender Weise fortschreitet, kann der Lehranalytiker einmal gewechselt werden – wenn es wieder scheitert, rät man von Fortsetzung der Laufbahn ab -, d. h. es hat sich gezeigt, daß der Betreffende nicht begabt zu dem notwendigen Glauben ist. Durch Wiederholung in den langen Analysen wird der Glaube fest, brauchbar ist der so Einschulbare. Zwar ist nie von Gehorsam die Rede, aber er ist die verborgene Forderung, die schon Freuds Bannstrahl bedeutete. Die Qualifikation wird verwirkt durch ernstlichen Zweifel und Frage, durch die Freiheit der Vernunft.

Hier ist – freilich ohne Bewußtsein seiner Bedeutung – ein außerordentlicher Schritt getan. Die Lehranalyse kann wissenschaftlich nicht als methodisch einwandfreie Erkenntnisquelle gelten – obgleich bei ihr Erfahrungen stattfinden, die wissenschaftliches Interesse gewinnen können. Aber die Lehranalyse muß der Vernunft als würdelos erscheinen. Der existentielle Prozeß der Selbstdurchleuchtung und der Selbstwerdung im inneren Handeln, die Freiheit selber ist im Ernst nicht möglich vor einem anderen Menschen, es sei denn in der Lebensgemeinschaft existentieller Kommunikation, in der jeder er selbst wird, indem der andere er selbst wird. Was am Leitfaden der hohen philosophischen Überlieferung von den Stoikern, Augustin bis zu Kierkegaard und Nietzsche, an der Hand der Dichter und Weisen allein durch eigenen Vollzug erworben werden kann, das muß verlorengehen in einem technisierten Prozeß der Analyse durch einen sog. Sachkenner. Hier gibt es für das Urteil keine Halbheit. Es handelt sich nicht mehr um Wissenschaft, sondern um Vernunft und Freiheit selbst (ganz abgesehen von der Fülle von Albernheiten, die in der psychoanalytischen Literatur mitschwimmen und denen nicht ausgesetzt zu werden, niemand gewiß sein kann, der sich auf wirkliches Mitmachen als Objekt einer Lehranalyse einläßt).

Eine Frage wird durch diese Forderung der Lehranalyse – und nur durch sie – unausweichlich: Kann eine Hochschule, welche freie Forschung pflegt, allen Erkenntnismöglichkeiten, also auch der Psychoanalyse ihren Raum öffnen, damit in freier Diskussion und objektiv prüfbarer Leistung bewährt werde, was da herauskomme, – kann eine Hochschule, die dabei nur eine Voraussetzung macht, die der Liberalität und Wissenschaftlichkeit und Unbefangenheit ihrer Glieder, kann sie Institute errichten, die für ihre Zöglinge zur Bedingung eine Lehranalyse machen in mindestens 300 oder 150 oder wieviel Sitzungen? Mir scheint: nein, solche Institute sind nur zulässig ohne die Bedingung, wenn auch mit der Erlaubnis der Lehranalyse. Hier ist eine Grenze erreicht. Die Hochschule könnte auch kein Institut brauchen, das durch buddhistische Meditationstechniken in Stufen der Bewußtseinsverwandlung höhere, übersinnliche Erkenntnisse schaffen wollte. In dieser Frage scheint mir Klarheit unerläßlich. Jedem, der es will, ist es erlaubt, es zu versuchen und an sich eine Lehranalyse machen zu lassen. Aber es kann nicht Bedingung werden, ohne den Sinn der wissenschaftlichen Forschungshaltung zu verkehren. Wo die Lehranalyse zur Bedingung eines Forschungsweges gemacht wird, ist die freie Wissenschaft verneint. Übrigens hat Freud an sich keine Analyse machen lassen.

Die Lehranalyse ist, wie alle Experimente am Menschen, keine indifferente Sache. Zwar ist sie keine Gefahr für Leib und Leben, aber Gefahr für die Reinheit, Freiheit und das Hell der Seele. Wo das Experiment am Menschen, an sich selbst, zur Bedingung einer Approbation gemacht wird, da ist die Humanität verletzt. Zwar ist noch Freiheit, denn niemand braucht ja jene Approbation zu erstreben und kann heute noch ohne sie Psychotherapie treiben. Aber die Gesinnung ist sichtbar. Und zweifellos würde aus dieser Gesinnung ärztliche Psychotherapie ohne jene autoritäre Approbation untersagt werden, wenn sie die staatliche Macht dazu hätte.

Blickt man auf alle diese Erscheinungen, von denen ich nur an wenige erinnert habe, und sieht man dann, wie etwa auf dem Wiesbadener Internistenkongreß 1949 solche Dinge ernst genommen wurden, so kann man wohl in Staunen geraten. Das Maß der Anerkennung in der Diskussion seitens der Nichtanalytiker, die Vorsicht, als ob etwas daran sein könne, die Sorge, durch radikale Verwerfung von Unwissenschaft sich zu blamieren, zeigt, wie tief die Wirkung dieser Glaubensweisen geht. Es könnte hier, wo mit der Wissenschaft zugleich Freiheit und Menschlichkeit und der Ernst des Unbedingten bedroht sind, eine Reaktion zur notwendigen Selbstbesinnung führen.

Denn seit 100 Jahren ist wohl das ärztliche Wesen unter Vergessen seiner Berufsidee bei gewaltiger Steigerung des technischen Könnens immer mehr an dieses bloße Können verfallen. Nun ist für den Arzt beides notwendig:

1. die Naturwissenschaft und das durch sie begründete Können und damit das klare methodische Bewußtsein von den kausalen Wirkungen und ihren Grenzen, das saubere Denken und Handeln im Rahmen des durch Wissenschaft Möglichen;

2. aber muß dieses Können Werkzeug bleiben, das unter Führung des Ethos des Arztes steht. Nicht in den naturwissenschaftlich begründeten Mitteln, wohl aber in der Weise ihrer Anwendung, im Einverständnis mit dem Kranken und in seiner Mitwirkung liegt das grundsätzlich Andere der Aufgabe, Tiere oder Menschen zu behandeln. Dieses Andere ist nicht Gegenstand wissenschaftlicher Forschung, sondern Sache der sittlich reif werdenden humanen Persönlichkeit. Die echte Wissenschaftlichkeit und diese Persönlichkeit aber sind untrennbar. Die Wissenschaftlichkeit selber wird unzuverlässig, wenn die letztere versagt. Die Persönlichkeit genügt nicht, wenn sie das Werkzeug nicht beherrscht: gute Leute, aber schlechte Musikanten sind nicht zu brauchen.

Die Psychoanalyse in denjenigen ihrer Erscheinungen, an die hier gedacht wurde, ist ruinös für das eigentlich ärztliche Wesen. Aber sie ist wie ein Fanal zur Beschwörung der ärztlichen Selbstbesinnung. Man darf diese Selbstbesinnung sich nicht zu leicht machen. Die Unwahrheit des alles echte Arzttum zerstörenden Gegners wird nicht bekämpft durch selbstzufriedene Wissenschaftlichkeit, sondern nur durch das Ganze des Ethos, in dem auch die Wissenschaftlichkeit selber erst zuverlässig wird.

 

Brauchen wir Psychosomatik neben der Psychiatrie?

Eine „Debatte“ in DNP (Der Neurologe & Psychiater) 4/06 – laut Redaktion

pro und contra Psychosomatische Versorgungskette

(die durch einen weiteren, dritten Beitrag, den des Kanadiers R. Wilcocks, erst zu einer echten Debatte wird).

Brauchen wir Psychosomatik neben der Psychiatrie?

Die Versorgung psychisch erkrankter Menschen in Deutschland ist zweigliedrig: Neben der psychiatrischen Versorgung durch Fachärzte und Kliniken gibt es die mehr psychotherapeutisch orientierte Psychosomatik. Ist diese dichotome Versorgung sinnvoll, oder ist sie nur ein historisch gewachsenes Phänomen, dessen Aufgaben neu definiert werden müssen?

Pro: differenziertere psychotherapeutische Behandlung (H. Kächele)

 Psychosomatik hilft, wo Psychiatrie an Grenzen stößt

 

Psychiatrie und Psychosomatik ergänzen sich gegenseitig. Langfristige Therapieziele sind eher die Domäne der Psychosomatik. Eine stationäre psychosomatische Therapie erreicht zudem Menschen, die für eine ambulante Psychotherapie kaum zugänglich sind.

Die Psychotherapie in Deutschland war im letzten Jahrhundert weitgehend von der Psychiatrie ausgeklammert. Zunächst hatte sich die Psychotherapie außerhalb der Universitäten entwickelt. 1967 wurde die analytische Psychotherapie in den Leistungskatalog der Krankenkassen aufgenommen, sodass die Versorgung der Bevölkerung durch Psychotherapie – mit psychoanalytischer Provenienz – sichergesteJlt war. Zehn Jahre später wurde dann auf Empfehlung der psychoanalytischen Gutachter auch die Verhaltenstherapie in diesen Leistungskatalog der Krankenkassen eingebracht. Parallel zum Aufbau der ambulanten Versorgung vollzog sich in den Sechzigerjahren der Ausbau der stationären Psychotherapie im Rahmen des Rehabilitationssystems. leer stehende Krankenhäuser aus der Zeit. da Tuberkulose noch ein Problem war – in den Fünfzigerjahren -, wurden dann zu Einrichtungen für stationäre psychosomatisch-psychotherapeutische Rehabilitation umgewandelt. Es wurde also unabhängig und unbeeinflusst von der Psychiatrie ein Versorgungssystem entwickelt – und zwar ein ambulant-stationäres Versorgungssystem, welches eine großartige Leistung darstellt.

Die Erfolge sowohl der ambulanten als auch der stationären Psychotherapie sind vielfältig evaluiert. Die stationäre psychosomatische Psychotherapie erreicht besonders auch Menschen, die von sich aus nur selten die ambulante Psychotherapie in Anspruch nehmen würden. So wird eine Einstiegsmöglichkeit gegeben für Menschen, die den Weg direkt nicht finden und die dann über eine stationäre Rehabilitation an das Feld der ambulanten Versorgung herangeführt werden können. Neben der Fach-Psychotherapie wurde das Gebiet der psychosomatischen Grundversorgung aufgebaut, mit dem Ziel, basale Kenntnisse in die hausärztliche Praxis einzubringen. Ambulante Psychotherapie wird derzeit durch mehr als 12000 ärztliche und psychologische Psychotherapeuten sichergestellt. Um von einer Versorgungskette sprechen können, müssten allerdings diese Stationen noch besser miteinander vernetzt werden.

Patienten, die sich an unsere universitäre Ambulanz wenden, werden gut zur Hälfte von Hausärzten überwiesen, die anderen kommen vorwiegend aus der Psychiatrie, wo sie ihrer Ansicht nach nicht ausreichend behandelt werden konnten. M. E. ist der Umfang fachpsychotherapeutischer Leistungen in der ambulanten und stationären Psychiatrie in den meisten Fällen immer noch recht bescheiden. Das wird gewiss nicht überall der Fall sein, aber im Großen und Ganzen ist die psychotherapeutische Arbeit in der Psychiatrie begrenzt. Das Fachgebiet der psychotherapeutischen Medizin kann m. E. eine qualifizierte psychotherapeutische Versorgung leisten. In diesem Sinn besteht eher ein Ergänzungsverhältnis und kein Konkurrenzverhältnis zwischen Psychotherapie und Psychiatrie.

Es ist verständlich, wenn ein Patient mit einer depressiven Episode zunächst psychiatrisch behandelt wird. Aber trotz vielfältiger Studien zur Kurzzeit-Psychotherapie muss man zur Kenntnis nehmen, dass die Effekte von medikamentöser Therapie und von kurzen psychotherapeutischen Behandlungen a la longue sehr bescheiden sind. Chronifizierte depressive Verläufe sollten spezialisierte psychotherapeutische Angebote erhalten, die eher eine Domäne der Fach-Psychotherapie sind. Sie unterscheidet sich von der Psychiatrie einfach darin, dass von der Ausstattung und vom Angebot her eine breitere und differenziertere psychotherapeutische Behandlung möglich ist – die auf die individuellen Störungen des Patienten abgestimmt werden kann.

Für den niedergelassenen Psychiater ergibt sich folgendes Fazit: Es kann durchaus sinnvoll sein, initial eine medikamentöse Behandlung anzusetzen. Wenn aber beim zweiten oder dritten Behandlungsversuch mit Medikamenten diese Strategie nicht ausreicht, muss ernsthaft erwogen werden, ob eine intensivere psychotherapeutische Behandlung angezeigt ist. um den Patienten dann ins psychosomatische Versorgungssystem wechseln zu lassen.

Prof. Dr. Horst Kächele

Leiter der Abteilung Psychosomatische

Medizin und Psychotherapie

Universitätsklinikum Ulm

Am Hochsträß 8, 89081 Ulm

 

Contra: Zuständigkeitsbereiche unklar (M. Berger)

Aufgaben der Psychosomatik gemeinsam neu festlegen

Die Psychosomatik vereint Patientengruppen, die nur wenig miteinander gemein haben. Es muss zum Wohle der Patienten dringend geklärt werden, was genau die Aufgabe einer modernen Psychosomatik ist. Eine scharfe Trennung von Psychiatrie und Psychotherapie ist dabei jedoch kontraproduktiv.

In Deutschland besteht das Problem, dass über die Definition von Psychosomatik derzeit keine Einigkeit herrscht. Wenig sinnvoll ist es, dass der Begriff historisch interpretiert wird, d.h. dass man Psychosomatik mit Psychotherapie gleichsetzt.

Wichtig ist es meines Erachtens, die Psychosomatik in den Kontext von AufgabensteIlungen und Versorgungsspektren einzuordnen. Somato-psycho-somatische AufgabensteIlungen lassen sich in vier Bereiche aufteilen:

Der erste Bereich umfasst Patienten, die an schweren körperlichen und meist chronisch verlaufenden Erkrankungen leiden, welche sehr belastend sind, sodass die Kranken nur schwer damit fertig werden. Es entwickelt sich ein Circulus vitiosus: Einerseits führt die deutlich eingeschränkte Lebensqualität zu negativen psychosozialen Konsequenzen, zum anderen behindert der schlechte psychosoziale Zustand wiederum die Bewältigung der chronischen körperlichen Einschränkungen.

Eine zweite Gruppe von Patienten weist eine Komorbidität von somatischen und psychischen Erkrankungen auf. Als Beispiel wäre ein Patient zu nennen, der an einem Karzinom leidet, aber unabhängig davon als weiteres eigenständiges Krankheitsbild eine depressive oder eine Angsterkrankung hat. Es existieren also zwei Erkrankungen nebeneinander. Dabei kann die psychische Erkrankung bereits vor der somatischen Krebserkrankung bestanden haben. Von einigen Vertretern der deutschen Psychosomatik wird diese Konstellation auch der Psychosomatik zugeordnet, während sie in anderen Ländern in den Bereich der Konsiliarpsychiatrie fällt. Dadurch entstehen hierzulande Probleme der Abgrenzung, und zwar nicht zugunsten der Patienten.

Die dritte Gruppe leidet primär an einer psychischen Erkrankung, vor allem an Depressionen, und entwickelt dadurch somatische Beschwerden. Dabei handelt es sich beispielsweise um depressive Patienten, die in diesem Rahmen über Rückenschmerzen, ein Kloßgefühl im Hals, Verdauungsprobleme oder Schwindel klagen. Früher wurde diese Konstellation als larvierte Depression bezeichnet. Die Mehrzahl der Patienten in psychosomatischen Kliniken sind so erkrankte Patienten. Im Ausland wird man diese Patienten nicht als psychosomatisch krank einstufen, sondern als Kranke, die im Rahmen ihres primär psychischen Leidens somatische Beschwerden entwickeln. Neben den genannten subjektiven Beschwerden können auch massive körperliche Manifestationen auftreten wie das metabolische Syndrom, die in schwere organische Störungen und Erkrankungen münden.

Die vierte Gruppe von Patienten leidet an sogenannten funktionellen Beschwerden, womit körperliche Symptome ohne ein nachweisbares somatisches Korrelat gemeint sind. Besonders bekannt sind dabei das „Reizdarmsyndrom“ und die „Herzneurose“.

Die genannten Bereiche werden in Deutschland nicht genügend differenziert, so dass aufgrund der definitorischen Unschärfen immer unklarer wird, wer eigentlich für die einzelnen Patienten zuständig und verantwortlich ist. Noch weniger sinnvoll ist es aber, eine scharfe Trennung zwischen Psychiatrie und Medikamentenmedizin einerseits und Psychosomatik und Psychotherapie andererseits zu vollziehen.

Die Aufspaltung ist gänzlich kontraproduktiv. Auch bei Krankheiten wie dem Reizdarmsyndrom beispielsweise belegen große Studien, dass einerseits psychologische Therapieverfahren helfen, dass aber auch Antidepressiva eine gute Wirkung haben können.

Letztendlich ist für alle Patienten ein komplexes therapeutisches Vorgehen notwendig. Selbst die Versorgung der ersten und vierten Krankheitsgruppe, die man im engeren Sinn als psychosomatisch bezeichnen könnte, erfordert meiner Ansicht nach häufig eine Komplexbehandlung mit Pharmako-, Psycho- und Soziotherapie.

Damit stellt sich für mich die Frage, wie in Zukunft psychosomatische Medizin zu definieren ist. Diese Klärung sollte nicht berufspolitisch und nicht historisch erfolgen, sondern nach dem Krankheitsspektrum und den Versorgungsnotwendigkeiten. Ein runder Tisch von Ärzten für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Innere und Allgemeinmedizin, aber auch Psychologischen Psychotherapeuten scheint notwendig, um innerhalb der Ärzteschaft, der Psychologen, aber auch der Kostenträger und vor allem der Patienten eine dringend erforderliche Klärung zu erzielen.      

 

Prof. Dr. Mathias Berger

Ärztlicher Direktor der Abteilung

für Psychiatrie und Psychotherapie

Universitätsklinikum Freiburg

Hauptstraße 5, 79104 Freiburg


Leser-Umfrage (von DNP)

Ihre Meinung zählt! Schreiben Sie uns!

Welche Relevanz hat die psychosomatische Medizin für Sie?

 

Redaktion DNP

Med.Komm.-Verlag

Neumarkter Straße 43

81673 München

Fax: 0 89/43 72-13 60

E-Mail: freese@medkomm

 

 

Auf  vorstehende „Pro & Contra-(Schein-)Debatte“ zur „Psychosomatik“ der deutschen „Psycho-Professoren“ Kächele und Berger, die mit der ausdrücklichen Aufforderung: „Schreiben Sie uns“ endete, schrieb Prof. em. R. Wilcocks, Edmonton, einen ausführlichen Leserbrief zuerst auf Englisch, eine deutsche Übersetzung ankündigend, um erst einmal zu hören, ob er mit einem Abdruck rechnen könne. Er erhielt keine Antwort. DNP versuchte es mit Diskursverweigerung. Darauf erschien folgende gekürzte Übersetzung des Textes im Netz:

 

Heißt das in Deutschland Debatte? (R. Wilcocks)

1974 stellte der amerikanische (Philosoph und W/D) Wittgenstein-Experte in der reputierten BBC-Sendung „The Listener“ die Frage: „War Freud ein Lügner?“ In jenen weit zurückliegenden, „unschuldigen“ Tagen war solch eine Frage fast eine unzulässige Vulgarität. (Cioffi konnte davonkommen, weil er Strahlkraft hat UND Amerikaner ist). Heute haben wir einen so enormen Zuwachs ernsthafter Erkundung des Archiv-Materials und an Kenntnis der verschiedenen Mythenbildungen aus den frühen Tagen der Psychoanalyse, daß Cioffis Frage umformuliert werden kann (und es heißen sollte): „Sagte Freud je die Wahrheit?“

Der pro&contra-„Psychosomatik“-Debatte von Horst Kächele und Mathias Berger stellte DNP die Aufforderung bei: „Ihre Meinung zählt! Schreiben Sie uns!“ In der Annahme daß meine „Meinung zählt“, antworte ich auf das jüngste Beispiel eines alten Tricks, der dreistufig der deutschen Öffentlichkeit vorgesetzt wird, der Behauptung nämlich, daß (1) Freud die Wahrheit sagte und der Wissenschaft verpflichtete, ernsthafte Professoren der Medizin dafür bürgten, (2) daß eine echte Debatte „pro“ und „contra“ zwischen dem … redegewandten Prof. Kächele und dem als Verteidiger tradierter Psychiatrie auftretenden Prof. Berger stattfinde und (3) in Konsequenz dieser „pro&contra-Debatte“ – eigentlich eines Witzes zur Täuschung Unwissender – eine vernünftige Entscheidung erreicht sein sollte, die zur Bildung eines „Runden Tischs“ aufrufe, an dem die Freud-Gläubigen neben den Ärzten tradierter wissenschaftlicher Auffassung sitzen.

Was für ein „Runder Tischs“ sollte das sein? Die eine Hälfte der an ihm Sitzenden steht Evidenz-basierter Medizin fern und die andere Hälfte, die von Dr. Berger (miß-)repräsentierten Psychiater, verschwenden ihre Zeit, um täuschend vorzugaukeln, daß der „psychosomatische“ Zugang für einen Patienten, bei dem sich die Psychiatrie als nicht zureichend erwies, hilfreich sein könnte…

Berger gibt vor, gegen Kächele zu plädieren (oder zu schreiben); dabei bekräftigt er ihn und ist somit selbst Teil des Problems, das die deutsche Medizin im Augenblick besetzt hält; er unterläßt es …, Kächele da zu packen, wo er gepackt werden sollte: auf dem Boden empirischer medizinischer Wissenschaft. Dieser macht in seinen verschiedenen Publikationen zwar viel her von der „empirischen“ Art seiner Fallstudien. Das aber ist in unseren Augen nichts anderes als Mondstaub, um uns schläfrig seinem Freudschen Menschenverständnis zustimmen zu lassen. Man lese nur seine … Lobhudelei über Freuds „Traummuster“ (zweites Kapitel von Die Traumdeutung) in seiner jüngsten Schrift Was träumte Freud? …. Kächele lehrt seine Studenten an der Universität Ulm die „epochemachende“ (sein Ausdruck!) Entdeckung des Traums von Irmas Injektion (o.g. Kapitel 2), das Wissen dabei übergehend, daß dieser Traumbericht ein demonstrierbar unmögliches, seit zwanzig Jahren als solches bekanntes Täuschungsmanöver darstellt[1] (die Beweisführung hierzu in meinem Buch  Maelzel’s Chess Player: Sigmund Freud and the Rhetoric of Deceit (1994)[2]. Das hält Spitzenvertreter deutschen Gelehrtentums nicht auf, ihren Studenten Lügen aufzutischen, als wären es hart erarbeitete Wahrheiten. Hoffen wir, daß wirkliche Gelehrsamkeit, d.h. akkurate Untersuchung des Faktischen, die Gelehrten, Studenten, die versuchen, ein wahrheitsgetreues Verständnis der von ihnen bewohnten Welt zu gewinnen, bewahren wird. Dieses neue einundzwanzigste Jahrhundert verspricht zu guter Letzt doch Aufklärung…

(Kächeles) Position scheint zu sein, daß wir als „Erben“ die Weisheit des Meisters interpretieren dürfen, es uns aber nicht zukäme, seine Schriften kritisch zu bewerten. Sind sie aber medizinisch korrekt? Sind sie menschlich überhaupt möglich? Harrison G. Pope, Jr. von der Harvard Universität und sein Team haben bezüglich der „Verdrängung“ (Freuds zentraler Hypothese zur Ätiologie der Neurosen (W/D)) überzeugend Freuds Begrenzungen im Denken des 19. Jahrhunderts aufgezeigt…

Wie der Freud-Forscher Mikkel Borch-Jacobsen festgehalten hat, gab es in der Psychoanalyse seit Freuds Tod keine neue „Entdeckung“ aus dem einfachen Grund, daß Freud selbst nichts entdeckte. Wir hatten einige weitere, rhetorisch weniger begabte „Entdecker“ der Psyche in Freuds Nachfolge wie etwa Otto Fenichel, (auch durch sie W/D) aber keine neuen Entdeckungen. Amüsant ist es zu lesen – und es sollte beim aufmerksamen Leser die Alarm-Glocken schrillen lassen -, daß Kächele Fenichel hohen Respekt zollt. Dieser hing so getreulich an den Freudschen Vorgaben, daß er Schriften produzierte etwa des Titels: „The Symbolic Equation: Girl = Phallus“ oder auch „The Psychopathology of Coughing“ … Vielleicht ist das die Art „Runde-Tisch“-Medizin, die nach Berger aus dem Treffen der Meinungen zwischen pro-„psychosomatisch“ (= psychoanalytisch) und wissenschaftlich orientierten Ärzten hervorgehen mag.

Diese vorgebliche Debatte zwischen einem „Pro“ und einem „Contra“ „Psychosomatik“ läßt sich am besten mit dem bissigen Kommentar Prof. Krafft-Ebings auf Freuds Vortrag (von 1896 – W/K) über die vermeintliche „Ätiologie der Hysterie“ zusammenfassen: „Es klingt wie ein wissenschaftliches Märchen!“

Robert Wilcocks, Professor em., Edmonton, Kanada

 

Vorstehender Leserbrief wurde von uns Unterzeichneten übersetzt, dabei auf die Länge eines für deutsche Fachzeitschriften üblichen Leserbriefs gekürzt, vereinzelt ergänzt (W/D). Die Ausführungen Wilcocks’ halten wir für so gewichtig, für die deutsche „Psychotherapie-Szene“ so überfällig, so dringend notwendig, daß wir sie und mit ihnen jetzt endlich eine echte Pro-und-Contra-Debatte der „Psychosomatik“ unseren Lesern nicht vorenthalten wollen. Scharfe Kritik ist an dem skandalösen Lavieren der beiden Psycho-Professoren gewiß angebracht, am skandalösesten aber die jahrzehntelang erlebte Akzeptanz solcher Schein-Debatten, Schein-Therapien durch so viele unserer Kollegen und die Gesamtheit der deutschen „Psycho-Administratoren“.

2. Juni 2007                                    Dr. F. Weinberger, Prof. Dr. K. Dieckhöfer

 



[1] Ähnlich hat Wilcocks das bereits im GEP-Rundbrief 1/06,4.3 zum Ausdruck gebracht.

[2] In The Complete Letters of Sigmund Freud to Wilhelm Fliess,1887-1904 (Harvard, 1985) von Jeffrey Masson wird der Beweis nicht geführt. Er wird daraus von Wilcocks abgeleitet.

Das Freud-Archiv und die Library of Congress

 Jaques Bénesteau

 Das Freud-Archiv und die Library of Congress 

(Mai 2003) Während die Psychoanalyse mit Unterstützung der Politiker in Deutschland unvermindert die „Lufthoheit über den Köpfen“ besitzt (bescheiden begehrt sie SPD-Generalsekretär Scholtz „über den Kinderbetten„), die Ärzterepräsentanz (Deutscher Ärztetag) erst kürzlich den Anspruch der Freudianer auf wissenschaftliche Anerkennung (mit der Fixierung des Titels  „Facharzt für Psychotherapie und Psychosomatik“) neu bestärkte, wächst international, vor allem in den englisch-sprachigen Ländern, doch der Widerstand. Mit seinem Buch Mensonges Freudiens (Freudsche Lügen), Mardaga, Sprimont, 2002 (ISBN 2-87009-814-6), eröffnete ihn in Frankreich Jaques Bénesteau, Psychologe an der Kinderklinik der Universität Toulouse, Preisträger der Société  francaise d’Histoire de la Médecine. Im Folgenden die Übersetzung einer Ansprache, mit der Bénesteau am 06.03.2003 in Toulouse eine einschlägige Konferenz einleitete.

…Ein beträchtliches Volumen historischer Dokumente aus Freuds jungen Jahren bis zu seinem Tod (1856 – 1939) wird in der Manuskript-Abteilung der Kongreßbibliothek der Vereinigten Staaten in Washington aufbewahrt.

Die Library of Congess (L.O.C.) wurde 1800 auf Initiative von Präsident Thomas Jefferson gegründet. Sie ist bis heute die größte dokumentarische Quelle der Welt (120 Millionen Objekte). Das politische Credo der Gründer war, die Archive der Menschheit zu schützen, sie zu verbreiten und bezüglich des gesamten Planeten alle Information allen zugänglich zu machen. Weil die freie Zirkulation der Information die Garantie der Freiheit der Völker ist, gibt es keine freie Welt ohne freie Information. Wie die Geschichte gezeigt hat.

1951 nach Gründung der Freud-Archive fanden Verhandlungen zwischen Freuds Erben und Testamentsvollstreckern sowie der L.O.C. statt, um dort all die Archive der Bewegung und der ersten Analytiker zu deponieren. Ihr geheimes (erst 2001 gelüftetes) Ziel war, alle Informationen über die historischen Anfänge des Freudismus wegzusperren und sie gegen die Neugier derer, die der Freudschen Sache fernstehen, zu schützen (Borch-Jacobsen, 2001) – „damit sie nicht von (unbefugten) Biographen benützt zu werden“ (Anna Freud an Kurt Eisler, 27.01.1951 – Hervorhebung durch uns, das Zitat rückübersetzt aus dem Französischen). Was gebraucht wurde, war ein Banktresor, dessen Unterhalt und Schutz zu Lasten des Steuerzahlers gehen.

Die „Freud-Sammlung“ stellt einen Schatz von über 80.000 historischen Dokumenten dar, davon 45.000 Manuskripte und ungefähr 35.000 Briefe (Roazen, 2001). Die Vorkehrungen der Wachhunde der Organisation, allesamt Analytiker, den Zugang des nicht-freudianischen Publikums zu den Dokumenten zu bremsen oder zu versagen, machen jedoch staunen. So sah etwa (der freud-kritische) Frank Sulloway den dokumentarischen Fonds just in dem Moment gesperrt, als gegen Ende der 70er Jahre der freud-orthodoxe Peter Gay ihn einsehen und die Elemente herauspicken konnte, die der Fabrikation seiner (neuen) Hagiographie zuträglich waren (auf deutsch: FREUD, ISBN 3-596-50303-5), einer getreulichen Modernisierung des Lügengebäudes von Ernest Jones. Zahlreiche wichtige Stücke, ungefähr 25 Prozent des Archivs, sind dem Blick und der Hinterfragung der Historiker unzugänglich gemacht worden, teilweise bis zum 22. Jahrhundert!

Durch die Verriegelungen der Freudianer sind die Historiker zur Unwissenheit verurteilt. Gewöhnliche Geheimnisse des Vatikans bleiben 60 Jahre lang in der ‚Hölle’. In der L.O.C. sind die als streng geheim klassifizierten Dossiers 40 Jahre für die Öffentlichkeit unzugänglich. Die Dokumente über das Attentat auf J. F. Kennedy (11/63) werden Ende diesen Jahres frei. Welch schreckliche Geheimnisse also kann der Posten Dokumente enthalten, der durch die Zerberusse des Freud-Sache ausdrücklich bis zum Jahr 2113 weggesperrt ist?!

Hinter diesen Archiven stehen „die Interessen der Familie und der Sache Freuds“ (Borch-Jacobsen 2002). Ihre Funktion war immer die Zensur, die Auswahl und die Bestimmung derer, die das Recht haben sollten, Bescheid zu wissen – „alles zugunsten einer sehr privaten, sehr geheimen Gesellschaft, der eben der wahren Freudianer“ (ibid: 297). Ohne diese aktive Desinformation hätte die Psychoanalyse nie in unseren Gesellschaften ihr Bild, ihre Legende, ihre Macht aufrichten können. Ohne sie wäre ihr solcher Erfolg nie zugefallen. Freudschen Kreisen sind die Persönlichkeit ihres Helden und seine ideologischen Produkte Genialitäten. Die Desinformation dient dieser doppelten Fabrikation – zumindest so lange, wie die Dokumente den allgemeinen Blicken verborgen sind. Insgeheim wird ideologische Dominanz (‚Lufthoheit über das Denken‘) verfolgt durch Erzeugung einer kollektiven Illusion, die sich gegen die Wirklichkeit immunisiert hat.

Zur Wirksamkeit analytischer Psychotherapie

Wie es sich mit der therapeutischen Wirkung der Freudschen Psychotherapie und ihren angeblichen Nachweisen verhält, dazu der folgende, von uns schon im Juli 2002 ins Netz gestellte Beitrag

F. Weinberger

Zur Wirksamkeit analytischer Psychotherapie

Wiederholt schon haben wir aus guten Gründen gegen die Psychoanalyse Stellung bezogen. Aus ebenso guten Gründen ist es jetzt angebracht, die einschlägigen Argumente einmal kurz zusammenzustellen. Verstreut standen sie über die Jahre fast alle schon einmal in unseren Rundbriefen. Es kann dabei fürs erste bei einem „leichten Abklopfen“ der psychoanalytischen Erfolgsangaben, ihrem Vergleich untereinander und dem Vergleich mit den Realitäten bleiben. Eine genauere kritische Überprüfung, deren Aufwand über die Möglichkeiten unserer kleinen Gesellschaft hinaus ginge, bleibt jedoch wünschenswert.

Gern tritt die Psychoanalyse unter wechselnden Bezeichnungen auf („psychodynamische“, „analytische / neoanalytische Psychotherapie“, „Tiefenpsychologie“  etc.), über deren Unterschiede die ärztlichen wie nicht-ärztlichen (psychologischen) „Fachleute“ mitunter heftig streiten, die aber doch alle entscheidend auf Freudschen Grundsätzen fußen. Daneben gibt es freilich auch echte Differenzen über Theorie und Praxis der Psychotherapie. Freud, Adler, Jung z.B. befehdeten sich bekanntlich bis über den Tod hinaus. Unter Freudschem Primat buhlen die „analytischen Schulen“ heute aber um ihre gesellschaftliche Geltung gemeinsam. Und ihren heilkundlichen Anspruch stützen sie letztlich gemeinsam auf eine einzige Arbeit, nämlich auf

A. Dührssens Katamnestische Ergebnisse bei 1004Patienten nach analytischer Psychotherapie (Z. psycho-som. Med. 8,1962, 94ff). Sie stellen die grundlegende Arbeit dar, die besagte „Therapie“ in die Kassenmedizin, den Rehabilitationsbetrieb, letztlich in Deutschland zur allgemeinen „Anerkennung“ und damit zur Massenverabreichung brachte. Erst kürzlich betonte das Deutsche Ärzteblatt 5/02, „das Organ der Ärzteschaft, wieder den „Wirksamkeitsnachweis von Psychotherapie … durch Dührssen“ als Voraussetzung für die Einführung „entsprechender Leistungen in die gesetzliche Krankenversicherung“, die allgemeine Anerkennung des „eigenständigen wissenschaftlichen Paradigmas“ der Freudianer, die weitere „konsequente Integration der Psychosomatik in die Medizindurch Einführung des Fachgebietes Psychotherapeutische Medizin’“ ab 1999 wie auch, so hieß es zuvor schon in DÄ 45/01, die Einbringung der Freud-theoretisch begründeten „psychosomatischen Grundversorgung in alle klinischen Facharzt-Curricula“ ab 1995.

Dührssens „Erfolge“ wurden alle am Zentralinstitut für psychogene Erkrankungen der AOK Berlin erzielt, wo verschiedene, auch grundsätzlich divergente Schulen, besonders die neoanalytische von Schultz-Hencke, ansonsten die Freudsche, Adlersche und die Jungsche zusammenwirken. Nachdem sie expressis verbis alle in gleicher Weise „erfolgreich“ waren, bewies Dührssen im Grund jedoch das genaue Gegenteil von dem, was sie beweisen wollte, nämlich die Irrelevanz der psychodynamisch-psychotherapeutischen Theorien, damit die Irrelevanz eigentlich des gesamten „Inventars“, von dem besagte Psychotherapeuten den Anspruch wissenschaftlicher Gültigkeit ableiten.

Dührssens Arbeit ist und bleibt die entscheide. Jahrzehnte später erschienen für die analytischen Verfahren zwar weitere (die im Folgenden beschriebenen) „Erfolgsnachweise“. Für die Zulassung eines neuen Heilverfahren bleibt es in jedem Fall ungewöhnlich, daß eine einzige, noch dazu eine auf den ersten Blick grob wurmstichige Arbeit den Erfolg zweifelsfrei bewiesen hat oder haben soll, just sie der „analytischen Psychotherapie“ Eingang in die kassenärztliche Versorgung verschaffen und über dreißig Jahre hinweg Ausgaben der Krankenkassen in Höhe vieler, vieler Millionen Mark und Euro auslösen konnte. Es sind in späteren Jahren zwar weitere „Erfolgsnachweise“ nachgekommen. Sie sind bei näherem Hinsehen jedoch auch nicht überzeugender als jener „entscheidende“ erste. Vier Arbeiten seien näher besprochen, weil „das Organ der Ärzteschaft“ DeutscheS Ärzteblatt sie als solchen Nachweis schon ausgab.

F. Breyer et. al. fanden bei ihrer Prüfung analytischer Behandlungsergebnisse (Kosten und Nutzen ambulanter Psychoanalyse in Deutschland, Gesundheitsoekonomie & Qualitätsmanagement 3/97) ähnlich stolze Erfolge wie Dührssen und in ihrer Nachfolge ähnliche Ersparnisse bei späteren „Gesundheitskosten.“ Auch sie prüften freilich wie Dührssen wieder die Ergebnisse theorie-konträrer Behandler, psycho- wie neoanalytischer, dazu individualpsychologisch-Adlerscher. Bezüglich theoriespezifischer Wirksamkeit jener Behandlungen war ihre Untersuchung damit wieder ein voller Schlag ins Wasser. Gleichwohl lobte das Deutsche Ärzteblatt, „das Organ der Ärzteschaft“, Breyers Arbeit als klaren psychoanalytisch-/-therapeutischen Erfolgsnachweis (den genauen Wortlaut kann Ref. in seinen Unterlagen im Augenblick nicht auffinden).

Nach den „Neoanalytikern“ um Dührssen und ihrer „Bestätigung“ durch Breyer legten in Psyche 3/01

M. Leuzinger-Bohleber et al. mit Langzeitwirkungen von Psychoanalysen und Psychotherapien: Eine multiperspektivische, repräsentative Katamnesestudie sowie

R. Sandell et. al. mit Unterschiedliche Langzeitergebnisse von Psychoanalysen und Langzeitpsychotherapien

speziell für die (orthodoxen) Psychoanalytiker, in Deutschland organisiert in der DPV, die „Effizienz“ ihrer Behandlungen dar. Im Durchschnitt liefen diese über vier Jahre bzw. 371 Behandlungsstunden. Mit ihren „Stichproben-Prüfungen“ (!) fand Leuzinger bei rund 80% der Nachuntersuchten „gute“ bis „mittlere“ Besserungen in Bezug auf „Wohlbefinden, persönliche Entwicklung und Beziehungen zu anderen“, ähnlich bezüglich “Bewältigung von Lebensereignissen, Selbstwertgefühl, Stimmung, Lebenszufriedenheit und Leistungsfähigkeit.“ Leuzinger weist auch auf einen Rückgang von Arztkontakten, Arbeitsunfähigkeitstagen, allgemeinen „Gesundheitskosten“ durch die Analyse, legt hierzu jedoch keine objektiven Daten vor. Behandelt worden waren angeblich „schwer gestörte Patienten“, zu 56 Prozent „Persönlichkeitsstörungen“, die heute in der International Classification of Diseases der WHO (ICD10) aufgelistet, gleichwohl bei den Fachleuten höchst umstritten sind, ähnlich wie es seinerzeit die „Schizophrenie ohne Symptome“ der Sowjetpsychiater war. Vor allem aber bleibt festzuhalten: Wenn die von Leuzinger berichteten Erfolge auch aus psychoanalytischen Behandlungen resultierten, ist damit in keiner Weise geklärt, ob andere Arten von ähnlich langen (und teuren) Besprechungen nicht gleich gute oder gar bessere Ergebnisse erbracht hätten.

Sandells in der gleichen Nummer der PSYCHE dargestelltes Untersuchungsergebnis war unter anderem, daß sich nach psychoanalytischen Behandlungen „eine größere Abhängigkeit von Sozialhilfe, signifikant häufigere Krankschreibungen, signifikant häufigere Konsultationen wegen somatischer Behandlungen und signifikant häufigere Einnahme psychoaktiver Medikamente fanden.“

Das Deutsche Ärzteblatt, „das Organ der Ärzteschaft“, genauer Redaktionsmitglied Petra Bühring aber zogen in dem Beitrag Psychoanalyse – Schwierige Evaluation (DÄ 30/01) den kühnen Schluß: Die „…Studien untermauern nun die Langzeitwirkung“. Unter der Hand deuteten sie die reichlich negativen Befunde – hat Sandell nicht das psychotherapeutische Hauptargument, Dührssens „Kostenersparnisse“, widerlegt? – wieder in positive Langzeitwirkungen der Analyse um.

Das Buch des Psychologen K. Grawe et al., Psychotherapie im Wandel, Hogrefe, 1994 wird vielfach noch als Bibel der psychotherapeutischen Effizienzforschung gehandelt, als gültige Übersicht über die Leistungsfähigkeit der verschiedenen Psychotherapie-Richtungen weit über die analytischen Verfahren hinaus. Zu diesen schrieb Grawe zwar, wie in unserem Rundbrief 4/99, Fußnote 32, schon vermerkt, es hätten „40 kontrollierte Studien ihre klinische Wirksamkeit nachweisen“ können. Er bezieht dieses Urteil im einzelnen dann auf zwölf katamnestische Untersuchungen zur „psychoanalytisch orientierten Psychotherapie“ (PAOP) sowie auf 29 zur „psychoanalytischen Kurztherapie“ (pKT). Sie decken das positive Gesamturteil jedoch keineswegs.

Von der eigentlichen Freudschen Langzeittherapie führt Grawe überhaupt nur eine einzige als überprüfbar an, die Menninger-Studie. Sie musterte (wie Leuzinger und Sandell unter „naturalistischen“ Bedingungen, im Vergleich zu ihnen jedoch noch viel akribischer) 45 Patienten, davon 22 noch viel orthodoxer-psychoanalytisch, nämlich über zwei- bis drei Jahrzehnte (!) über durchschnittlich 1017 Stunden (!) behandelte Patienten und verglich diese mit 20 schwerer (!) Gestörten, die „deshalb“ nur „supportiv“, immerhin aber noch über 316 Stunden oder vier Jahre (!) behandelt wurden. Die Untersuchung, deren Voraussetzung in jedem Fall eine gefüllte Patientenbrieftasche war, förderte für alle Behandelten in etwa 60 % der Fälle Verbesserungen ans Licht, die Grawe aber angesichts des immensen Therapieaufwands und weil sie sich in keiner Weise „positiv von anderen Therapieverfahren abhöben“ als bescheiden wertete, wobei im Vergleich zu den schwereren, supportiv behandelten für die leichteren, orthodox-psychoanalysierten Fälle sogar noch bescheidenere Ergebnisse abfielen, was wieder die Irrelevanz der analytischen Theorie belegt. Zu den therapeutischen Fehlschlägen bemerkt Grawe: „Bei den 26 % ‚Failures’ … handelt es sich nicht einfach um Fälle, bei denen positive Wirkungen ausgeblieben waren, sondern bei der Mehrzahl … (um) ausgesprochen schädigende Effekte.“

Zu den 40 angeblich „klinische Wirksamkeit“ der Analyse zeigenden Studien rechnet Grawe nun 12 Expertisen zur PAOP, die er gleichzeitig aber als „methodisch eher unterdurchschnittlich“ wertete. Die einschlägige „Befundlage (sei) weder quantitativ noch qualitativ sehr beeindruckend.“ Von den 29 Studien zur Kurztherapie (pKT), die überhaupt nur bedingt „analytische“ Therapie ist, schreibt Grawe im weiteren, es hätten lediglich 10 davon „interpretierbare Resultate“ geliefert. Sie zeigten „Besserungen der Symptomatik“ an, aber „auffallend oft… auch signifikante Verschlechterungen“. Sie ließen „ein positives Bild von der Wirksamkeit psychoanalytischer Kurztherapie nicht entstehen.“

Weder also stützen Grawes detaillierte Angaben sein eigenes oben genanntes positives Gesamturteil – er folgerte ja auch gar nicht aus 40, sondern allenfalls aus 22 „kontrollierten Studien“ -, noch rechtfertigen sie die wiederkehrenden Verweise amtierender Gesundheitspolitiker auf ihn, die ihn vielfach als den Kronzeugen psychoanalytischer Effizienz handeln.

Stand und Umfang der evaluierten Psychotherapieforschung sind unzureichend,“ stellte das DEUTSCHE ÄRZTEBLATT 27/01, „das Organ der Ärzteschaft“ (1), dazu wieder durchaus richtig fest, behauptete aber in ein und dem  gleichen Atemzug weiter, „durch Untersuchungen (zum Beispiel Dührssens, 1962, Grawes, 1995)“ sei  (bezogen auf die Gesamtausgaben für individuelle „Gesundheitsleistungen“) „die Kosteneinsparung  durch Psychotherapie belegt“ worden. Und seine Leser nahmen es hin!

Grawe gilt vielfach als über den Grabenkämpfen der analytischen Schulrichtungen stehend. Als Psychologe neigt er speziell der in der universitären Psychologie gelehrten, im Vergleich zur Analyse gewiß weniger abstrusen, freilich auch nicht minder materialistisch-reduktionistischen Verhaltenstherapie (VT) zu. Er ist somit alles andere als „unparteiisch.“ Das ist ja das Hauptmanko der gesamten Psychotherapie und der von ihr geprägten „Reform-Psychiatrie“, daß es Unparteilichkeit und damit eine fair moderierte, alle divergenten Aspekte zulassende Diskussion hierzulande nie gegeben hat. Grawes Interesse war und ist, die Psychologen besser ins Geschäft zu bringen. Für die VT hat er ungleich mehr und überzeugendere Erfolgsnachweise beigebracht. Sie könnten ebenfalls noch „abzuklopfen“ sein. Nur geht das über unsere Möglichkeiten endgültig hinaus.

(1) (Nachtrag 5/03): Mit einer weiteren „Therapieevaluation bei psychischen Störungen“ kamen inzwischen das DEUTSCHE ÄRZTEBLATT 16/03, genauer sein stellv. Leiter der Marburger Kinderpsychiater Prof. Remschmidt heraus, einer Erhebung über Ergebnisse der entsprechenden Behandlungen „von Kindern und Jugendlichen“. Er schrieb – fürs Erste durchaus richtig, es spiele im Fach „Psychotherapie eine herausragende Rolle„, dann aber: „Betrachtet man die Leitthemen der Psychotherapieforschung in den letzten 50 Jahren, lassen sich vereinfachend folgende Epochen unterscheiden: Auf das vorempirische Stadium (Wirksamkeit wurde unterstellt, anstatt sie systematisch zu überprüfen) folgte das Stadium, in dem es darum ging, die allgemeine Wirksamkeit von Psychotherapie überhaupt nachzuweisen, was mittlerweile als gesichert gelten kann. Darauf folgte das Stadium, das man als Phase der ’speziellen Wirksamkeitsforschung‘ bezeichnen kann … Dieser störungsspezifische Ansatz bezieht sich allerdings nicht nur auf Psychotherapie, sonders auf alle Interventionen, die für eine bestimmte Störung die relativ besten Behandlungsergebnisse bewirken…“ Die „allgemeine Wirksamkeit von Psychotherapie“ ist freilich nichts anderes als die des guten Worts allgemein. Zur „speziellen Wirksamkeit“ (der psychoanalytisch-tiefenpsychologisch-spezifischen etwa) aber schweigt sich Remschmidt aus. Dabei geht es in der Diskussion allein um sie. Wird sie doch stets hier zugrunde liegenden Theorien und dem Training in ihnen zugeordnet. Just sie aber steht nach hundert Jahren „Therapie-Forschung“  über alle angeblichen „Phasen“, „Epochen“ oder „Stadien“ hinweg nach wie vor in den Sternen. Von verlogener, verwischender Rabulistik aber waren bisher alle einschlägigen „Evalutationen“! Mit solchen Flunkereien getrauen sich renommierte Ordinarien der „Psycho-Fächer“ über die Jahre, Jahrzehnte ihren Kollegen unter die Augen zu treten. Während viel im Gesundheitswesen von „Qualität“, „Qualitätskontrollen“ geredet wird, kann ein Bereich sich weiter blähen, der aus nichts als Augenwischerei besteht.

Wissenschaftlich umfassende, kontinuierliche und an die Wurzeln gehende Freud-Kritik gibt es derzeit nur im Ausland (2). Viele neu aufgefundene Daten hat sie verarbeitet. In deutscher Übersetzung liegt davon vor H. Israels’ Der Fall Freud – Die Geburt der Psychoanalyse aus der Lüge (1999). Großes Gewicht haben dazu F. Cioffi mit Was Freud a Liar?, 1974, M. Macmillan mit Freud Evaluated,1991, R. Webster mit Why Freud was Wrong, 1991, A. Esterson mit Seductive Mirage, 1993, F. Crews mit Unauthorized Freud (1998), R. Wilcocks mit MOUSETRAPS AND THE MOON (2000) und andere. T. Dineen behandelt in MANUFACTURING VICTIMS (2. Aufl. 1998), was eine unsolide, ins Kriminelle gehende „Psycho-Industrie (insgesamt) den Menschen antut”. Besonders erhellend war an den englischen Arbeiten für den Autor die Darlegung, daß und wie Freud schon bei seinen frühesten Behandlungen mit Kokain, seiner Darstellung des berühmten „ersten“ Psychotherapie-Falls „Anna O.“ Erfolge vorgaukelte, die gar nicht existierten, der Altmeister offensichtlich das Muster vorgab, nach dem auch gewisse „Wirksamkeitsnachweise“ seiner Adepten laufen.

(2) Nachtrag (12/02): Kürzlich kam eine neue Freud-Kritik heraus aus der Feder des Bamberger Psychologen Prof. Herbert Selg: SIGMUND FREUD – GENIE ODER SCHARLATAN, Kohlhammer, 2002. Der Autor führt übersichtlich, bündig viele Freudsche Schwachstellen auf. Er gibt der Analyse trotz aller Schwächen dennoch ein langes Leben, weil sie „von Personen außerhalb der Psychologie immer wieder ernst genommen“ wird. Daß es vielfach auch Psychologen sind, die heute Freud­sche Psychotherapie praktizieren, sagt er nicht. Seit Eysenck will psychologische Freud-Kritik all zu oft nur bewahren, was mit Dührssen just Freudianer errungen haben, den prinzipiellen Zugang von Psychologie, „sprechender Medizin“ zu den Geldtöpfen der Krankenkassen. An therapeutischer Wirksamkeit werde die Analyse, schreibt Selg, „von anderen Therapiearten, z.B. von der Verhaltenstherapie übertroffen“. Daß auch an deren Theorien und Effizienzkontrollen manch Fragwürdiges ist , sagt er nicht. Heilsam effiziente, menschengerechte Psychotherapie ist fraglos wünschenswert..

Ernsthafte Freud-Kritik hat es auch hierzulande gegeben, hier einst die Kritik international führender Fachleute von K. Jaspers bis K. Schneider, H. J. Weitbrecht und anderen. Heute geben sich die „führenden“ deutschen Psychiater zwar zwischendurch auch „kritisch“. Prof. M. Berger, Freiburg, etwa stellt auf Seite 162 seines modernen, viel gelobten Lehrbuches PSYCHIATRIE UND PSYCHOTHERAPIE (Urban und Schwarzenberg, 1999) fest, es werde der Psychoanalyse „vorgeworfen, daß ihre Begriffsbildungen und Konzepte Verifizierung bzw. Falsifizierung von Hypothesen nicht gestatten und daß sich ihre wissenschaftliche Vorgehensweise nicht an den Grundlagen empirisch-wissenschaftlicher Methoden orientiert (Popper 1963) … Die Kritik bezieht sich weiterhin auf den weitgehend fehlenden klinischen Wirksamkeitsnachweis“ der  Analyse. Die „Kritik“ dieser „Kritiker“ kommt freilich meist im Konjunktiv als Fremdzitat, unter Verweis auf andere und offensichtlich vollen Hosen. Spätestens im übernächsten Satz schon tun diese „Kritiker“ dann, als seien die therapeutische Wirksamkeit der Psychoanalytiker doch über alle Zweifel erhaben und ihre Aussagen immer höchst bedenkenswert.

Ähnlich der Eiertanz, den die gesamte Ärztevertretung in den letzten Jahrzehnten um die Analyse aufführt. Es kommen zwar in Ärzteblättern mitunter auch heute noch Freud-Kritiken vor (3). Sie werden aber umgehend mit den wütenden Entgegnungen, scipionischen Drohungen derer konterkariert, die mit Freudschem Bluff ihren Lebensunterhalt bestreiten (4). Empörung bei ihnen, daß Schwindel mitunter noch Schwindel genannt wird. „Nirgends wird in der Medizin so fanatisch und intolerant gestritten wie in der ‚Tiefenpsychologie’“, stellte H.J. Weitbrecht in seinem Lehrbuch Psychiatrie im Grundriss (1963) noch fest (5).

(3) Auf einen der vielen Jubelartikel des Deutschen Ärzteblattes zur Psychoanalyse (Schwierige Evaluation von P. Bühring in Heft 30/01 – s.o.) kam in Heft 38/01 der Leserbrief von Dr. J. Wiedmayer, Erlangen:

Glaubenslehren auf brüchigem Fundament

Psychoanalyse wie auch… Psychotherapie, sind, darüber kann auch das durch Brille, Bart und Zigarre unterstützte Durchblickergebaren ihres Erfinders Freud nicht hinwegtäuschen, Glaubenslehren, gegründet auf allzu brüchigem Fundament. Der Spuk wäre schon längst in der akademischen Mottenkiste gelandet, gelänge es nicht deren in mannigfachen Zirkeln organisierten „Hohenpriestern“ in froher Seilschaft mit einschlägigen Medien … ihren Seelenfirlefanz als tiefe, hilfreiche Erkenntnis zu verkaufen… Das erbsenzählerische Brimborium des vorgenannten Artikels entläßt den geneigten Leser deshalb ratlos, weil es hinsichtlich der Beurteilung des Nutzens Psychoanalyse-Psychotherapie nichts zu „evaluieren“ gibt, handelt es sich doch um das milde Miteinander zweier Glaubenslehren… Gespräche mit gesundem Menschenverstand geführt …, sind in seelischer Not oft hilfreich, wer wüßte das nicht? … Der Anspruch jedweder „Therapie“-Verfahren – natürlich nur in unzähligen, teuren Psychoseminaren schwer zu erwerben -, kraft höherer Einsichten und besserer Methoden etwas darüber hinaus zu bewirken, ist … gleichermaßen naiv wie lächerlich…

(4) Auf vorstehenden Leserbrief entgegnete Dr. G. Obertreis, Krefeld in DÄ 8/02

Offene Feindseligkeit

Dieser Leserbrief stellt in seiner offenen Feindseligkeit und hochgradigen Unsachlichkeit eine Diffamierung einer ganzen Ärztegruppe und nichtärztlicher Psychotherapeuten dar. Die Beziehung der somatisch tätigen Ärzte und Psychotherapeuten wird durch solche Stellungnahmen weiter zerrüttet… Ceterum censeo, daß sich auch die ärztlichen Psychotherapeuten, die wie ich ausschließlich psychotherapeutisch arbeiten, den sich bildenden Psychotherapeuten-Kammern anschließen mögen, daß sich daraufhin Kassenpsychotherapeutische Vereinigungen bilden mögen und daß eine Gebührenordnung für Psychotherapeuten (Gap) angestrebt wird. Ich habe zunehmend Schwierigkeiten, eine Zeitschrift durch meine Kammerzugehörigkeit mitzutragen (das DÄ wird nicht aus Kammerbeiträgen finanziert, die Red.), in der mir in Form solcher Leserbriefe eine derartige Feindseligkeit entgegenschlägt.

(5) Weitbrecht beschränkte sich weitgehend darauf, Freud zu zitieren, etwa dessen Ansicht, man dürfe als Therapeut „sich die Symptome in Ätiologie übersetzen und dann von den Kranken dreist die Bekräftigung seiner Vermutungen verlangen …; man besteht fest auf dem, was man erschlossen hat, und besiegt endlich jeden Widerspruch dadurch, daß man die Unerschütterlichkeit seiner Überzeugungen betont.“ Dreistigkeit aber ist das Markenzeichen der Analyse bis heute geblieben.

Mit der Attitüde der Erhabenheit über kleinliches Gezänk, vor allem aber dem Verweis auf den psychotherapeutischen „Wirksamkeitsnachweis“ Dührssens setzten sich Ärztevertretung, Ärztetag, Ärzteblatt etc. anstandslos über Jahre, Jahrzehnte über alle, auch die fundiertesten Einwände hinweg. In Salami-Taktik trieben sie die „Integration“ der Freudschen Pseudowissenschaft in die Medizin voran und krönten sie 1999 mit der Einrichtung eines auf Freuds Dogmen ruhenden „Facharztes für psychotherapeutische Medizin“. Plumpen Flunkereien gaben sie statt offensichtlich, weil die politische Führung quer durch die Parteien, selbst an ihnen interessiert, selbst an ihnen mitwirkte. Wenn ein Prof. Kolkmann beim letzten Deutschen Ärztetag in Rostock Ende Mai 2002 sagte, daß „die wissenschaftlich-medizinischen Fachgesellschaften die lex artis medicinae verkörpern“ (DÄ 23/02), so kann, wer das Wirken der Analytiker-Lobby unter den Ärzte-Parlamentariern erlebt hat, nur müde abwinken. „Fachgesellschaften“ gibt es auf psychotherapeutischem Gebiet wie Sand am Meer. Fast täglich tauchen neue auf.

Karl Jaspers bemerkte in Rechenschaft und Ausblick (Piper, München) 1950 schon, wie von den Ärzten die Ansprüche der Psychoanalyse „ernst genommen werden, (darüber) kann man wohl in Staunen geraten. Das Maß der Anerkennung… seitens der Nichtanalytiker, die Vorsicht, als ob etwas daran sein könne, die Sorge, durch radikale Verwerfung der Unwissenschaft sich zu blamieren, zeigt, wie tief die Wirkung dieser Glaubensweisen geht…“ (RB 2/00, K.3.3). In dem jahrzehntelang schleichenden, mit fast krimineller Energie verfolgten Anerkennungsprozeß der „analytischen Psychotherapie“ wurden die Ärzte offensichtlich von keinen wissenschaftlichen, sondern von rein politischen Überlegungen und/oder Einflüssen bestimmt, wie sie 1945 mit der Rede des alliierten Psychiater-Generals G.B. Chisholm vor amerikanischen Spitzenpolitikern zum Ausdruck kamen:

„…Die Uminterpretation und letztlich Ausmerzung des Konzepts von Richtig und Falsch, …, das sind die letzten Ziele praktisch aller effektiven Psychotherapie Wenn das Menschengeschlecht von seiner es verkrüppelnden Last von Gut und Böse befreit werden soll, müssen es Psychiater sein, die hierfür die Verantwortung übernehmen… Wir haben (jetzt) bei etwas Glück vielleicht 15 oder gar 20 Jahre vor uns, bis der nächste Weltkrieg ausbricht, 20 Jahre aber auch, um die liebsten Gewißheiten von genügend Menschen umzukrempeln, 20 Jahre, um das älteste und blühendste parasitäre Wachstum in der Welt zu entwurzeln und zu vernichten, den Baum der Erkenntnis von Gut und Böse…“ (RB 2/00 –  der englische Originaltext in ganzer Länge im englischen Teil unserer Web-Site). Diese Ziele, kurz nach Ende des 2. Weltkrieges vor Mitgliedern der Roosevelt-Truman-Administration unter dem Titel „Reestablishment of a Peaceful Society“ ausgebreitet und von einzelnen von ihnen offen unterstützt, sind es allem Anschein nach, derenthalben die Regierenden und ihre Hilfswilligen in der Medizin die analytische Psychotherapie und die wesentlich mit ihr „reformierte“ Psychiatrie über alle ihr anhaftenden Fragwürdigkeiten hinweg allerorts vorantreiben.

So „fanatisch und intolerant“ sie immer stritt (s.o.), wurde die „Tiefenpsychologie“, dem Marxismus auch hierin verwandt, weithin als „Friedenserziehung“ gefeiert. Es wurde ja auch das Konzept von Richtig und Falsch, Gut und Böse oft genug schon mißbraucht. Kann seine Ausmerzung jedoch je anderes gebären als noch mehr Unfrieden und Willkür? Zum Chisholmschen Ziel einer Kulturrevolution der 68er Art passen natürlich Freuds Menschenverachtung, seine „konzeptionellen Irrtümer, unablässigen Apriorismen, Nichtbeachtung von Gegenbeispielen, einschüchternden Untersuchungsmethoden, seine gedanklichen Kurzschlüsse, rhetorischen Ausweichmanöver und seine umfassende, chronische Unwahrhaftigkeit“ – so der Kalifornier Frederick Crews in der Einleitung seines oben genannten Buches.

Hierzulande aber kotauen heute hochmögendste Psychiatrie-Ordinarien, rührigste Ärztevertreter, schlaueste Journalisten wie auch reputierteste Gelehrte vor Freud. Wie vor anderen Herausforderungen in der „Seelenheilkunde“, etwa der Psychiatrie-Reform, dem Psychiatriemißbrauch gehen sie der offenen Diskussion aus dem Weg, helfen sie Freuds Konstruktionen institutionell zu befestigen und sie dem Volk immer eindringlicher unterzujubeln. Konnte und kann solches, darf man fragen, anders geschehen und anders zum Erfolg führen als auf höchste politische Veranlassung hin? Am Rande: Die AOK Berlin bot an ihrem „Zentralinstitut für psychogene Erkrankungen“ analytische Psychotherapie an, lange bevor Dührssens „Wirksamkeitsnachweis“ vorlag. Zu seiner Erstellung lieferte die halb-staatliche Einrichtung nicht nur die Behandlungsdaten ihrer Krankenversicherten, sondern auch alle manpower und alle materiellen Unterlagen bis hin zum letzten Bleistiftspitzer. Wenn das nicht eine politische Auftragsarbeit war! Ähnlich erstaunlich, daß etwa Leuzingers Arbeit – wie sie ausdrücklich festhielt – „von der (halb-staatlichen)  Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert“ wurde, was erneut ein vorausliegendes, politisches Interesse an diesem „Wirksamkeitsnachweis“ ausweist.

Trotz unentwegter Propaganda, die für die Psychoanalyse über die Jahrzehnte allerorts lief, steht ihre therapeutische Wirksamkeit bis heute dahin. Wie viele Millionen Mark und Euro wurden da aus öffentlichen Mitteln vergeudet? Wieviel Korruption hat sich von ihr und ihrer öffentlichen Anerkennung zudem über die ganze Gesellschaft gebreitet? Wie viel mehr noch wiegt aber das menschliche Leid, das dadurch erhalten, wenn nicht gar produziert wurde? Erbarmungslos wurden und werden hilfesuchende Menschen der Pseudowissenschaft ausgeliefert.

Die Spannung aber wächst. Während sich etwa das englisch-sprachige Ausland immer entschiedener schon aus dem Bann Freuds löst (vgl. auch vorstehende Äußerungen Dr. Sophie Freuds über ihren Großvater), geben sich die Freudianer hierzulande immer dreister (Obertreis, Fußnote 4). Und unsere Ärzterepräsentanten, Medienbosse und Politiker, rote wie schwarze, blasen den Schwindel weiter auf. Welche Peinlichkeit sie noch einholen wird, wenn anglo-sächsische Offenheit einmal in unserem Land ankommt, läßt sich dennoch voraussehen

Freuds Streitern kam über die Jahre gewiß zustatten, daß auch die Kritik an ihm mitunter etwas unzulänglich war oder daß sie sternschnuppengleich aufschien und schnell wieder erlosch, etwa D. Zimmers TIEFENSCHWINDEL von 1986. So ist ja, auch wenn Freud uns ein ganzes Jahrhundert lang narrte, noch lange nicht ausgemacht, ob bestimmte Therapie-Verfahren und ‑Lehren – und seien sie „in unzähligen, teuren Psychoseminaren schwer zu erwerben“ – nicht doch „höhere Einsichten“ vermitteln können, mit denen bei (manchen) seelisch Leidenden über den „gesunden Menschenverstand“ hinaus doch noch „etwas zu bewirken ist“ (Fußnote 1). Dies festzustellen könnte es vielleicht gar „erbsenzählerische“ Erfolgskontrollen brauchen, bessere freilich als jene, mit denen die angeführten Autoren und das „Organ der Ärzteschaft“ die Öffentlichkeit bisher immer wieder über die derzeit noch kläglichen psychotherapeutischen Realitäten hinwegzutäuschen versuchten.

Als eine menschlich ansprechende und angemessene Lehre haben wir V. E. Frankls Logotherapie und Existenzanalyse vorgestellt (Rundbrief 3/01). Es mag noch manch andere Psychotherapie geben, die zumindest nicht von vornherein so gegen allen „gesunden Menschenverstand“ angelegt und nicht so von Lüge und Zynismus geprägt ist wie die Freudsche. Erfolgsnachweise der genannten Art hat die Logotherapie freilich noch nicht vorgelegt, das Eintrittsbillet zu den Geldtöpfen der deutschen Krankenkassen noch nicht erworben. Oder gereicht es ihr zur Ehre, daß sie es mit faulen „Nachweisen“ noch nicht versucht hat?

Freud zu Freud


Freud zu Freud

Im Folgenden Ausführungen von Freuds Enkelin

Dr. Sophie Freud beim 3. Welt-Kongreß für Psychotherapie im Juli 2002

in Wien, aus dem Internet (google – Sophie Freud) heruntergeladen und aus

dem Spanischen übersetzt von Prof. K. Dieckhöfer. An sich enthalten die

referierten Ausführungen nichts, was nicht auch wir und andere seit langem

schon sagen und schreiben. Das Besondere ist nur, daß (eine) Freud es jetzt

sagt.

Es ist heute bald so weit, daß nur noch

deutsche Ärzte und Psychologen, deutsche Psychiatrie- (und Neurologie-)

Ordinarien sowie deutsche Politiker und Publizisten, Sozialpädagogen und

Sozialarbeiter, diese besonders, an die Freudsche Schaumschlägerei glauben.

Ausführungen wie die folgenden reißen sie in der Regel herunter.

Daß sie sie bei dem Kongreß beklatschten, lag wohl an dem berühmten Namen.

Vielleicht dachten sie auch, den Applaus als Beweis ihrer Kritikoffenheit

und Toleranz ausgeben zu können. Der spanische Berichterstatter tat sich am

Schluß seiner Ausführungen auch sichtlich schwer, für die Psychotherapeuten

ein Resümee zu ziehen. Auf Deutsch war bisher im Netz von einem solchen

Bericht von vornherein nichts zu finden. Der Enkelin Freuds gebührt für ihre

Wiener Ausführungen gewiß größte Hochachtung. Sie helfen fraglos, dem unter

ihrem Familiennamen die Welt über­ziehenden, überbordenden Aberwitz der

Psychoanalyse ein Ende zu machen,.

Der „Vater der Psychoanalyse“

war für seine Enkelin eine Art Schaumschläger

von JAR –  19.07.2002

Die Sozialpädagogin Sophie Freud,

Enkelin von Sigmund Freud, hat vor den „falschen Propheten“ gewarnt, zu

denen sie auch ihren Großvater zählt,  trotz der engen Verbindung, die sie

bis kurz vor seinem Tode zu ihm hatte. Auf dem 3. Weltkongreß für

Psychotherapie, der heute in Wien endet, wies Sophie Freud darauf hin, daß

es für eine friedlichere Welt in diesem Jahrhundert keine Hoffnung gebe und

daß zu den Schuldigen die „falschen Propheten“ zählten, die seit

Jahrhunderten die Menschheit täuschen, die machtgierigen Ideologen, die

zweifelhafte und inhumane Glaubenslehren verkünden.

Sophie Freud, die in Boston

(USA) lebt und wie ihr Großvater die österreichische Staatsbürgerschaft

besitzt, sieht als falsche Propheten viele Persönlichkeiten an, die die

Geschichte und die Gesellschaft beeinfluß haben – von Moses bis hin zu Adolf

Hitler und zum Chef des Al-Qaida-Terroristen-Netzes Osama Bin Laden. Sie

sieht als solche aber auch Sigmund Freud wie seinen Schüler und späteren

Rivalen, den berühmten Schweizer Psychoanalytiker Carl Gustav Jung.

Wie sie vor Experten in Wien darlegte, war Sigmund

Freud „von der heroischen Bedeutung seiner Mission überzeugt, die

menschliche Seele zu verstehen“. Seither haben sich viele Psychoanalytiker

von einigen Lehren Freuds losgesagt, etwa vom Ödi­pus-Komplex. Dies aber

dauerte beträchtliche Zeit. „Bis 1976 zögerten die Frauen“, wie die Expertin

betonte, „zu verstehen, daß sie nicht eine Art kastrierter Männer sind“.

Die Kraft und der Fortbestand dieser

Irrtümer ließen sich darauf zurückführen, daß sich um diese Propheten

pseudoreligiöse Gruppen bildeten, deren Anhänger sie verehrten und deren

Eleven diese Lehre sich zu eigen machten, um ihrerseits wiederum als

Missionare aufzutreten. Die entsprechenden Theorien blieben so innerhalb

geschlossener Zirkel, anstatt auf wissenschaftlichen Foren diskutiert zu

werden, betonte Sophie Freud.

 „Darüber hinaus gab es insbesondere

viele Frauen, die Freud, diesem großen Manne, mehr vertrauten als ihren

eigenen Wissen, ihrem eigenen Körper“. Sie sei eines anderen belehrt worden,

versicherte Sophie Freud, die Parallelen zu großen politischen Verführern

wie Hitler herausstellte, Verführern, die sich auch der Verehrung und

finanziellen Unterstützung vermögender Frauen erfreuten.

 Freud wurde von vielen Frauen wie ein

Gott verehrt und auch Jung empfing Zuwendungen einflußreicher Anhängerinnen.

Jedoch kann, so Sophie Freud, so viel Verehrung den Charakter verderben.

Die Enkelin Freuds kritisierte auch

die wissenschaftlichen Methoden ihres Großvaters. Verdrehte dieser doch

kurzerhand spontane Ideen und intuitives Denken in wissenschaftliche

Tatsachen, verstieß er laufend auch gegen die Regeln , die er selbst

aufgestellt hatte. So forderte er z.B. eine neutrale Beziehung zwischen

Therapeut und Patient. Er selbst aber hielt sich an diese Regel nicht.

 An seinem Gegner Jung kritisierte die

Pädagogin und Sozialarbeiterin dessen Nähe zu den politischen Propheten. Der

Schweizer Analytiker sah die paramilitärischen Nazi-Einheiten, die SS, ja

gar als eine „neue Ritterkaste“ an. Jung, so Sophie Freud, unterstützte den

Caudillo Francisco Franco in dessen Kampf gegen die „barbarischen“

Republikaner und billigte die Vertreibung der deutschen und österreichischen

Freudianer durch die Nazis, da er hierdurch bessere Perspektiven für sich

erhoffte, Anerkennung für seine eigenen Theorien. Sophie Freud warnte vor

dem gefährlichem Charakter der Propheten, da diese willkürlich zwischen

Gutem und Bösem unterschieden. Sie fügte aber hinzu, daß es durchaus

„Persönlichkeiten gebe, deren Beispiel man folgen könne, soweit sie ihre

Ideen nicht als alleinige Wahrheit verkünden“. Wir sollten die

Werthaltigkeit im wissenschaftlichen Denken präzisieren, betonte die

Pädagogin, deren Vortrag auf dem Kongreß zum Schluß mit großem Applaus aus

dem Auditorium bedacht wurde.

 

Insofern ist, wie wir beobachten können, die Kohärenz des Vortrags von

Sophie Freud unbestreitbar. Gleichwohl wäre es vielleicht interessant,

darüber nachzudenken, was wohl ihr Großvater gesagt hätte, wenn er an diesem

Kongreß teilgenommen hätte. Wir alle haben eine bestimmte Vorstellung

hierzu. Verständlicherweise war und ist der Einfluß von Freud in den Köpfen

späterer Generationen erdrückend. Ob seine Theorien falsch oder richtig

waren, wollen wir derzeit nicht bewerten. Selbstverständlich hat Sophie

Freud Recht, wenn sie seinen großen Einfluß betont.

Zur Wiederein­führung der Psychoanalyse in Deutschland nach ’45

Freud, die Psychoanalyse und die Folgen waren über die Jahre oft Themen auch der  GEP-Rund­briefe. Nun kam der Wunsch auf, die umfänglichsten, jeweils spezielle Aspekte beleuchtenden Beiträge im deutschen INFC-Teil zusammenzustellen, um sie den speziell interessierten Lesern leichter und konzentrierter zugänglich zu machen. Freud spielt ja in alles Weitere von uns Behandelte hinein, ist vielfach Ursprung und Basis der von uns aufgezeigten Nöte. Der folgende Artikel stand erstmals in RB 1/10,3.

Warum Kritik an der Psychoanalyse? Eine kurzgefaßte Geschichte ihrer Wiederein­führung in Deutschland nach ’45 an Hand von Feststellungen anderer und persönlichen Erfahrungen

Immer wieder wird gefragt, warum wir über alle Schwierigkeiten hinaus, die die Kri­tik am Psychiatrie­mißbrauch, an dem der DDR in Sonderheit, an den Ver­brechen des Sozialismus gar allge­mein, über alle Ma­ßen schon einbringt, auch noch Kritik an der Psychoana­lyse üben, die doch selbst in psychiatriekritischen Kreisen heute als gute Alternative und in deutschsprachigen Ländern insgesamt als heh­re Heilkunde gilt.[1] Ihre Zurückweisung müsse uns so doch nur noch größere Schwierig­keiten einbringen.

Die Antwort: Weil auf dem Gebiet ein Schwin­­­del in den anderen greift – auch in der Psycho­analyse liegt Beugung der Wissenschaft mit fragwürdigen Folgen und damit Miß­brauch der Seelenheilkunde vor -, ist ei­nem Schwin­del und einem Mißbrauch nicht ohne den an­­de­ren zu weh­ren, ist jeglichem Mißbrauch des Fachs, jeglichem Schwin­del auf dem Gebiet mit gleicher Ent­schie­­­­den­heit entge­gen­zutreten. Nicht von un­gefähr hat es so die GEP in ihrer Sat­zung fixiert und hat es in der Auslegung ihrer Ver­einsziele von 1994 noch­mals bekräftigt (RB 2/94,8.5).

Fehlpraktiken hat es in der Seelenheilkunde gewiß auch ohne Freud genug gegeben, im braunen Terror weit Schlimmeres noch. Seit der russischen Revolution steht mit dem gar nicht so erfolglosen Trotz­ky­schen Versuch der Schaffung eines „neuen Sowjet­men­schen“ (RB 1/08,4.4) die Psychoanalyse gar am Anfang des umfänglichsten politischen Mißbrauchs der Seelen­heilkunde überhaupt. Mit der 68er Ver­qui­ckung von Psy­­­cho­ana­lyse und Marxis­mus hat sie das Denken auch in vielen west­lichen Ländern geprägt, vielleicht auch hier einen „neu­en Men­schen schon her­vor­gebracht, ei­nen, wie man­che fin­den, „politisch (korrekt)“ unbekümmert-unkritischen, die verbreitete Verharmlosung besagter Ver­bre­chen sym­pto­ma­­­tisch dafür. Nicht von un­gefähr hat Karl Jaspers (1883-1969) dem Kom­­mu­nis­mus, dem Nazis­mus (der Ras­sentheo­rie) und der Psychoanalyse einen ähn­­lich to­talitären Charakter zu­er­kannt (s.u.). Es ist gewiß ange­mes­­sen, auch der Ana­lyse weiter kritische Auf­merk­samkeit zu widmen. Auf Jaspers hat uns un­ser Mitgründer und langjähriger Eh­ren­prä­sident Walter Ritter von Baeyer im­mer ge­wiesen.

In englischsprachigen Län­dern ist die Psychoanalyse jetzt in freiem Fall. Hier­zulande wird sie weiter ge­stützt. Erst Ende November 2009 machte in Berlin eine neue private „Hochschule“ als „In­ternational Psycho­analytic University – IPU“ auf,[2] offen für (aus dem Lager der Sozial-Pä­da­go­gen, Sozialarbeiter usw. kommende) „Quer-Ein­steiger“ (RB 1/09,3.5). Gleichzeitig be­­­stärkte der Vor­sit­zende der KBV Dr. Köhler die Freu­dianer, „ihre Bedeutung für die Versor­gung (wessen?) in der Öf­fentlichkeit stärker zu vertreten“ und die „psychoso­mati­schen Gebührenziffern … stär­ker zu benüt­zen“ (DÄ 50/09), was un­ter gegebenen Bedingungen[3] fast einer Anstiftung zur Betrügerei gleichkommt. Sind doch die relevanten „Nachweise“ einer the­rapeutischen Wirkung der An­alyse als Augenwischerei ausgewiesen (RB 2/03, 5.2). Schon Breuers und Freuds erster, als Be­hand­lungs­erfolg ausgegebener Fall der Anna O. war ein Flop. Natürlich benützen viele Ärz­te die fetten Ziffern gern und finden nichts dabei, den Schwin­del da­mit weiter zu bestärken. KBV-Richtlinien gemäß (RB 2/07,5.4) erfinden sie Es-Ich-Überich-Kon­flikte als Ursache dieser oder je­ner „Störung“. Auch so läßt sich der Freudsche Geßler-Hut grüßen, der Psy­cho­ana­lyse (1), Psychosomatik (2), Tie­fen­psy­cho­lo­gie (3) Re­­verenz erwei­sen, 2 und 3 in aller Regel gleich 1.

In etwa gleich­zeitig waren Anfang der 70er der so­­wje­ti­sche Psychiatriemißbrauch, hierzulande aber die Psych­iatrie-Re­form und, in sie integriert, die Etablie­rung der Psychoanalyse in Gang ge­kom­men. In gleicher Weise und gleich­zeitig er­hob ich so gegen sie Einspruch. Aus­gie­big konnte ich diesen an­fangs noch im Deutschen Ärz­te­blatt publizieren. Es be­fand sich damals[4] noch nicht in 68er Hän­den. Diesem meinem, unserem Vor­gehen gegen Mißbräuche der Seelen(heil)kunde der verschiedenen Art begegneten von Anfang an von Seiten der Psy­cho­ana­ly­tiker schärfster Widerstand, der gleiche Aus­druck entgeisterter Mißbilligung, still (mitunter auch laut) kochen­der  Wut, wie ich ihn auch in der Mitgliederversammlung der DGPN 1972 in Wies­baden erlebt hatte (RB 1/88, S. 60). Sie hat­te ich aufgefordert – wer wagte es sonst? ­-, gegen den Mißbrauch des Fachs in der Sowjetunion vorstellig zu werden. Der Haß der Freudianer aber traf und trifft, wie häufig in Sekten, be­son­ders Re­ne­ga­ten,[5] sol­che, die etwa ein Berufsleben lang Psycho­the­ra­pie ausübten, gar „psychoana­lyti­sche Me­thoden be­nützten“ (Jaspers, s.u.), die die „psycho­somatischen Ge­büh­ren­zif­fern“ wie Freud­­schen Axiome jedoch mieden und da­mit dem auf­ge­stellten Geßler-Hut den Gruß verweigerten.

Immer ad personam gingen die Angriffe der Freudianer und brachten anfängliche Mitstreiter von uns ab. Auch die Ärzte-Ra­­bau­ken, die 1974 den Deutschen Ärztetag in Berlin und hier just die Psychia­trie-De­batte spreng­ten, rückten in ihrem vor der Kongreß­halle verteilten Pamphlet „Verkauft und ver­raten“ just die besagten, u.a. freud-kritische Publikatio­nen (Fn 12) – an Brisanz kamen sie den GEP-Rund­brie­fen gleich – ins nicht mehr Dis­ku­tab­le, Habermas-scher „Ausgren­zung vom Dis­­kurs“ entspre­chend. Ihre 68er Positionen und Ma­nieren fan­den zuneh­mend freilich Anklang in der ge­samten Ge­sell­schaft, den Me­dien und auch bei der Union, geballt dann in der Psychiatrie-Enquête.

Was wir nach der Vereinsgründung 1977 unter von Baeyers Aegide als DVpMP und ab 1999 dann als GEP ne­ben besagten The­­­men zum Psych­ia­trie­miß­brauch im Sozialismus vorbrachten, kam so bei der Ärzteschaft, ja der gesamten politischen Klasse nicht mehr an. Selbst die Opferverbände, [6] die doch den Op­­fern dienen sollten, wollten von diesem Mißbrauch in der DDR und sei­nen Opfern nichts mehr wissen. Primär folgen sie halt ihren Geldgebern, das heißt der Regierung.

Wie sich die Wandlung der Gesell­schaft, mit ihr die Wand­lung auch der Ärzteschaft und ihres Or­gans ins neo­­marxistisch-„politisch Kor­rekte“ ab­spielten, haben wir öf­ters schon beleuchtet. In den USA trug sich un­ter dem Einfluß der Psychoana­lyse ja Ähnliches zu (RB1/ 08,3). Ih­re (Wie­der-)Eta­blie­­rung nach 1945 in Deutschland mündete bei den 68ern und brachte die all­gemeine Korruption im Land auf den Weg, den Ver­riß „se­kun­dä­rer“, wenn nicht ganz primärer „Tugenden“ (Lafontaine), das Schönreden sexueller Übergriffe auf Minderjährige nicht zuletzt. DIE HOHE KUNST DER KOR­­RUP­TION, Hoffmann & Campe, 1989, pries der Psychoanalytiker Horst-Eberhard Richter, nach A. Mitscherlich Leiter des Sigmund-Freud-In­stituts in Frankfurt, beliebter Festredener der deutschen Ärzte. Natürlich kam Freud wie sei­nen Anhängern viel Mensch­li­ches entgegen. Angst in ihren vielfäl­tigen For­men mach­­te gewiß den größten Teil des „neurotischen Elends“ aus, dem abzuhelfen er billig versprach. Zwar half die Analyse gegen die Phobien, ge­gen krankhafte Angst, auch nicht,[7] weckte aber wenigstens Hoffnung, die sie bei ihrer langen bis un­endlichen Dauer nie einlösen mußte. Mit­unter halfen Spontanheilungen.

Daß die Psychoanalyse in den ersten Jahren nach 1945 an der Heidelberger Universität Fuß fassen konnte“, sei, schreibt Bormuth[8], „das Verdienst“ Viktor von Weizsäckers und Alexander Mitscher­lichs. Dieser, vor 1933 mit Ernst Jünger und Ernst Niekisch „national-re­volutio­när“ bewegt und von Hause aus gut betucht, war kri­tisch ge­worden, als er das NS-Sy­stem ab 1933 selbst un­gut zu spüren bekam, 1935 gar ein paar Monate Gestapo-Haft. Größtmöglich­en Abstand hielt von Baeyer von ihm.

Von Weizsäcker, ursprünglich von seinem Kommilitonen Kronfeld für Freud erwärmt, besuchte diesen 1926 in Wien. Von ihm erlebte er für eine erste an ihn anlehnende Ar­beit aber eher eine Ab­fuhr. So brach er 1933 den Kon­takt zu Freud ab, erwähnte ihn bis 1945 nicht mehr, warf selbst eines seiner Bücher ins Nazi-Feu­er und erklärte dafür den Antisemiten C.G. Jung zur „Säu­­le der Psycho­­thera­pie“. 1941 erhielt er einen Lehr­­stuhl für Neu­rologie in Breslau, an dem, heißt es, ein Mit­arbeiter Ge­hirne „euthanasierter“ Kinder sezierte. 1945 nach Hei­delberg zu­rückgekehrt, stellte er sich, die Psychoso­matik wieder aufnehmend, dafür „mit kom­pen­sa­to­ri­scher Leiden­­schaft“ hinter „den „kul­tur­kritischen Impetus der Psychoanalyse als notwen­dige ‚geistige Revolution’“. Mit Mitscherlich zusammen hängte er die Verbrechen der Nazi-Ärzte der natur­wis­sen­schaft­lich geprägten Medizin an[9] und propa­gierte ihre „Befrei­ung“ „von der Bevormundung durch die Naturwissenschaft“.

In Die geistige Situation der Zeit – 1931 hatte Jaspers an der Rassentheorie, am Marxismus und eben an der Psychoanalyse ähnlich totalitäre Züge ausgemacht. Dem folgenden Ter­ror entging er mit seiner jüdischen Frau nur knapp. Ihm, der als einer der wenigen überragen­den Gelehrten des Landes vor dem aufzie­hen­den Nazismus rechtzeitig gewarnt hatte, begegneten Mitscherlich und in seiner Begleitung von Weiz­säcker als die wahren Antifaschisten.[10] Als sie ihre Absicht, mit der Einrich­tung eines Instituts die freudsche Ideologie uni­­ver­sitär zu etablieren, immer deutlicher hervorkehrten, widersetzte sich ihnen Jaspers immer heftiger (s. 3.4). Die Herren aber unterliefen sei­ne und weitere Widerstände mit allerlei Tricks – verschleiernd firmierte ihr Institut erst etwa als „Abteilung für All­ge­meine Therapie“ – und übertölpelten schließlich die ge­­samte Fakultät und bald das ganze Land. Unterstützung kam aus Ber­­lin von den Resten des dortigen Göring-In­sti­tuts.[11] Besagte „Reform der Me­dizin“ aus dem Freudis­mus geht in ähnlicher Weise aber bis heute weiter – vgl. das jüngste Animieren von KBV-Boß Köhler (3.2). Ein großes Stück voran brachte sie vor allem die Psych­ia­trie-En­quête und ‑Re­form der 70er Jahre. An Jaspers’ War­nungen ging das Land wie vor 1933 vorbei. Jaspers verließ es 1948 und legte bald darauf die deutsche Staatsbürgerschaft ab.

Von Weizsäckers Psychosomatik versprach eine „anthropologische Vollkommenheit“, die dem Trotzky­schen „neu­en Sowjetmenschen“ kaum nachstand. „Psychotherapie or­­gani­scher Krankheiten“ sollte, schrieb er, mit der „Neu­pro­duktion eines Konfliktes auf gesellschaftlicher Ebene einhergehenOb Ehescheidung , politischer Um­sturz oder re­ligiöse Revolution – allemal wird der so Geheilte zum Geg­ner gewohnter Ordnung werden und sein Arzt von den Freun­den und Nutznießern der gewohnten Ord­nung miß­billigt werden… Die recht verstandene psychosomatische Medizin hat einen umstürzenden Charakter“ (Bormuth, S. 236.). Die Ärzteschaft mißbilligte sie freilich keineswegs. Sie wie die gesamte „politische Klasse“ unterstützten sie und die mit ihr einhergehende Kulturrevolution vielmehr nach­drücklich.[12] Ob die Ärzte draußen im Land ihr wirklich als Agenten des Wertewandels dienen wollten, wurden sie nie ge­fragt, wie ja auch der restlichen Bevölkerung der 68er Wer­­te­kanon vom Gender-Mainstreaming bis zur Milde für SED-Verbre­­cher eher übergestülpt wurde und wird. Die Ärzte wie viele andere taten nolens volens mit, wie ihnen eingetrichtert wurde.

Mit ihren Vorhaben aber kamen Mitscherlich & Co. voran vor allem, weil es in den USA Mächtige gab, die ähnlich kul­turrevolutionär gestimmt waren (RB 1/ 08,3). Amerika ist eben auch das Land, in dem ein Herbert Marcuse wirkte, ein G. Brock Chisholm (RB 2/00, 3.3) bald zum ersten Generalse­kre­tär der WHO avancierte, wo die Revolution der 68er ihren Ursprung nahm und Jahrzehnte zu­vor bereits ein Schiff voller Geld in Richtung Petersburg ausgelaufen war, Trotzky an Bord, um mit Lenin zusammen die Oktoberrevolution zu ver­anstalten. Mitscherlich hatte ’45 offensichtlich ein Gespür dafür, was unter der Fahne der Freiheit jetzt anstand. Es waren jedenfalls aktuelle po­li­ti­sche Klün­gel,[13] die der Psy­cho­somatik und mit ihr bald der 68er „Revolution“ zum Durchbruch verhalfen. Karl Jaspers, Hannah Arendt und viele andere immer noch dem ho­hen jüdisch-christ­li­chen Menschenbild verhaf­te­te Ideali­sten, nicht zuletzt auch von Baey­er und wir wur­den kontinuierlich ausgebremst und ausgegrenzt. Die Entwicklung merkwürdig verschlafen haben unsere Kirchen.

Nur um nochmals ansichtig zu machen, wie deutsche Psychiater von Weltgeltung gegen Freud argumen­tier­ten, was speziell Jaspers dem hier behandelten Mitscher­lich-von-Weiz­sä­cker­­­schen Vorge­hen entgegensetzte und was die deutsche Ärzteschaft danach lässig vom Tisch wischte und bis heute ignoriert, einige Zitate (teil­weise in RB 2/00, 3.3 schon wiedergegeben):

Emil Kraepelin[14] aus Dementia praecox and Para­phrenia (aus dem Englischen rückübersetzt):

„… Überall treffen wir den charakteristischen Grundzug der Freudschen Untersuchungsmethode, die Prä­senta­tion willkürlicher Annahmen und Kon­strukti­o­nen als Fakten, die ohne Zögern zum Bau neuer und immer höher aufgetürmter Luftschlösser genommen werden, wie auch die Tendenz, von einzelnen Beobachtungen aus zu maßlosen Generali­sierungen zu ge­lan­gen. Ich muß letztlich bekennen, daß ich beim be­sten Willen dem Gedankenfluß dieser ‚Meta-Psych­iatrie’ nicht folgen kann…“

Aus Karl Jaspers’ Zur Kritik der Psychoanalyse[15]

„… Freud der überragende Kopf. Das Gewicht seines We­sens, die Radikalität, mit der er bis zum Absurden geht, sein Bezug auf die Krisis eines verlo­ge­nen Zeitalters, sein Stil und seine Eigenwilligkeit wirken stärker, als irgendeiner der Nachfolger es vermochte. … Es ist längst durch Kritiken gezeigt worden, was in seinen Schilderungen, Deutungen, Thesen Erkenntnis­be­deu­tung hat, was pseudowissen­schaftliches Verfahren, was in der Folge nicht etwa Fortschritt einer haltbaren Theorie, sondern bloßer Wandel der Einfälle des Autors ist. Freud nimmt nicht teil am Sinne moderner Wissenschaft. Er bewirkt mit seinen Entschleierungen selber neue Verschleierungen….

Heute gibt es innerlich unabhängige Psychotherapeuten, die den Menschen lieben und ihm helfen möchten. In je einmali­ger persönlicher Gestalt tun sie vernünftig das Mögliche. Sie benutzen auch psychoanalytische Methoden, ohne ihnen zu verfallen. Sie organisieren und technisieren nicht, was für immer Sache der geschichtlichen Kommunikation einzelner Men­schen bleibt. Sie sind naturwissen­schaftlich klares Erkennen gewöhnt und haben es stets als die Grundlage aller Therapie gegenwärtig. Von ihnen soll hier nicht die Rede sein…

Die Weise der therapeutischen Wirkung (der Psychoanalyse) ist fragwürdig. Man weiß, daß alle psy­chotherapeutischen Verfahren in der Hand wirksamer Persönlichkeiten Erfolge haben, durch die Jahr­tau­sende hindurch. Man sieht, daß psychoanalytische Verfah­ren ebensoviel Erfolge und Mißerfolge haben wie andere Me­thoden. Die Befriedigung mancher Patienten an der eingehen­den Beschäftigung mit ihnen und ihrer gesamten Biographie ist nicht gut als Heilung zu bezeichnen. …Was hier Therapie heißt in der Unbe­stimmt­­­heit und Be­liebigkeit des Sinns von Heilung, ist an dem Worte eines namhaften Psychoanalytikers von 1933 zu er­ken­nen: die größte psychotherapeutische Handlung sei die Wirkung Adolf Hitlers…“ – nach Bormuth (S.252) Aus­spruch des Psychoanalytikers (Hans von) Hattingberg.

„Es erwächst (aus der Psychoanalyse) der Anspruch eines Totalwissens vom Men­schen, von seiner eigentlichen Substanz, die noch vor der Scheidung in Leib und Seele liegt. Diese Totalisierung der Menschenauffassung ist wissenschaftlich unmöglich. Sie ist als Denkstruktur dem Totalitarismus in der historisch-sozio­logi­schen Auffassung analog. Sie beruht auf der Verwechslung von Erkennbarkeit und Freiheit. Freiheit, zum Gegenstand ge­macht, ist nicht mehr Freiheit.

Krankheit wird zur Schuld. Was in begrenzten Bereichen ein möglicher Standpunkt gegenüber Krankheitserscheinun­gen ist – in keinem Falle ein ärztlicher Stand­punkt – das wird mehr oder weniger deutlich auf alle Krankheiten aus­gedehnt. Eine falsche und in ihren Folgen inhumane Philoso­phie verdirbt den Sinn und das Ethos ärztlichen Helfens.

Es entsteht, mehr oder weniger bewußt, eine Vorstellung von menschlicher Vollkommenheit, die Ge­sundheit genannt wird. Die Einheit des Menschen, die Einheit der Wissenschaft, die Einheit der Medizin werden pathetisch betont – aber ge­meint als Unterwerfung unter die fragwür­digen Glaubensge­halte der schlechten, schwankenden, in verwirrenden dialek­tischen Kreisen unklar sich bewegenden Philosophie (Freuds)… Man fragt sich, ob die Psycho­analyse der Weg sei zur Reife…  Oder ob hier nicht vielmehr durch verkehrten, bodenlosen Glauben, der sich fa­natisch festhält, der Weg verlegt wird zum eigent­lichen Menschsein…

Das medizinische Kleid für unmedizinische Anschau­un­gen, das ärztlich-therapeutische Kleid für un­ärztliche Be­handlungs­methoden im Umgang mit Leiden und Nöten schafft eine Ver­wirrung der Grund­haltung, die den Boden bereitet für eine Orthodoxie…

… Blickt man auf alle diese Er­schei­nungen… und sieht man dann, wie et­wa auf dem Wiesbadener Internistenkongreß 1949 solche Dinge ernst genommen wurden, so kann man wohl in Stau­nen geraten.. Das Maß der Anerken­nung in der Diskussion seitens der Nichtanalytiker, die Vorsicht, als ob etwas daran sein könne,[16] die Sorge, bei radikaler Verwerfung der Unwissenschaft als befangen zu gelten, zeigt, wie tief die Wirkung dieser Glau­bens­weisen geht. Es könn­te hier, wo mit der Wissenschaft zu­gleich Freiheit und Menschlichkeit und der Ernst des Un­­bedingten bedroht sind, eine Reaktion zur notwendigen Selbstbesinnung führen…“

Von Weizsäcker, Mitscherlich (der ihn bald ab­hängte) und Co. bewiesen fraglos Geschick, Jaspers’ Widerstän­­digkeit zu überwinden. An seinen Mahnungen ging Deutsch­land wieder vorbei,[17] ebenso an denen vieler an­derer Freud-Kritiker, die sich bald, auf neue Entdeckungen Freudscher Flunkerei ge­stützt, zu­nehmend in aller Welt zu Wort meldeten. Hierzu­lande wurde derweil aus­gegrenzt, wer an Freud nicht glaub­te. Selbst für Opferverbände gilt heute als psychiatrisch nur oder doch be­son­ders kompetent, wer wie die Damen Süß (2.2) und Ebbing­haus (2.1) dem Freudschen Aberwitz anhängt, am besten den 68ern rund­heraus (RB 2/09,1). Diesen galt ja die DDR à priori als das bessere Deutschland.

1973, als die analytisch reichlich schon mitbestimmte Psych­­­ia­trie-En­quête, von der CDU/CSU angefor­dert, vom Bun­­­destag in Gang gesetzt, schon fortgeschritten war und ihr Zwi­­­­schen­be­richt bereits vorlag, toppte die damalige Bun­des­gesund­heitsmi­nisterin Focke (SPD) das Unterneh­men, in­dem sie der Enquête-Kom­mis­sion noch ei­nen Extra-Trupp von Ana­ly­ti­kern aufsetzte. Deren Wortführer war jetzt Horst-Eber­hard Richter, Mit­scher­­lichs Nachfolger als Direktor des Sigmund-Freud-In­stituts in Frank­furt, SPD-Wahl­kämp­fer, Vor­mann des Freud-(Mar­­x)ismus jetzt in Deutschland (s.o.).[18] Nicht zuletzt über dem psy­cho­analy­ti­schen Auf­satz geriet der anderthalb tausend DIN-A-seitige En­quête-Be­richt 1975 in seiner sprachli­­chen Öde, seiner Verblasenheit und seiner po­litischen Verdrücktheit – über Institutsambulanzen ver­folgte er breiteren staat­lichen Zugriff auf das Fach, über die Psycho­­therapie Zu­griff auf jedermann – zu einer neu­en Peinlich­keit der deutschen See­lenheil­kun­de.

Immerhin war es ja die Zeit, in der jenseits des großen Teichs – davon erfuhren wir freilich erst später – ein ganz anderer Trend schon eingesetzt hatte. Zu Aufstieg und Fall Freuds in den USA standen in RB 1/08,3, stützend auf das Buch von E. Fuller Torrey FREUDIAN FRAUD, schon einige Ausfüh­rungen. Ein weiteres in­zwi­schen er­schienenes Buch verbreitert die Spur, das Buch des Psychiatrie-Profes­sors an der McGill University in Montreal Joel Pa­ris THE FALL OF AN ICON (University of Toronto Press, 2005). Es  zeigt, wie in Nord-Ame­rika bereits in den 70er Jahren die Ablösung von Freud innerhalb der Psychiater-Zunft vorankam. Hierzulan­de erwärmten sich derweil die Seelen-Exper­ten, die Ärzteschaft insgesamt, ja die gesamte „politische Klas­se“, auch die Union für ihn (und Marx) erst richtig. Persönliche Erfahrun­gen einflechtend, führt Pa­ris ein Beispiel an, das die un­­ter­schiedliche Auf­­nahme des „Freud-Marxismus“ in der der (Seelen-)Heil­kunde beidseits des Atlantiks verdeutlicht.

Auf der Höhe der Revolte lud die McGill-Klinik Herbert Marcuse zur Diskussion, zu seiner fachlichen Unterstützung dazu noch den Psychiater „Ro­bert“. Die Versammlung wurde von einer Gruppe Maoisten gestürmt, die die Diskussion mit Zwischenrufen störten. Marcuse klagte das Fach an, auf der Seite des „Establishments“ zu stehen. Der alt verdiente Klinikchef (Dr. Lehmann) hielt da­gegen, die Revolutio­näre versprächen nach der Revolution kommende Sahne, lieferten sie aber nie. Robert stand auf, rief: „Ich geb’ euch eine“ und spritzte Leh­mann mit Sahne voll. Als ihn McGills De­kan zu stoppen ver­suchte, gab’s ihm „Robert“ ebenso. Marcuse verteidigte ihn. Die Maoisten brüllten und drohten, die Ar­beiter-Klas­­­­­­se zum Aufruhr zu führen. Lehmann sorgte für Beru­hi­gung, indem er einräumte, vielleicht ein fal­sches Wort gesagt zu haben. „Aber lassen Sie uns jetzt die Diskussion fortsetzen“ – wie’s dann auch geschah.

7  Als in Berlin 1974 ein ähnlicher Haufen in den Deutschen Ärztetag brach (RB 1/01,6.9), ließ die Ärztetagsleitung die eben lau­fende Psychiatrie-Diskussion – kurz war  ich da noch zu Wort gekommen – in lauter Marschmu­­sik un­terge­hen und schloß sich in der Folge ohne viel Auf­he­bens den linken Chaoten an, die Psychotherapie, in der es Ein­fühlung und Offenheit braucht, der Freudschen Dogmatik überlas­send, dafür andere jetzt ausgrenzend.

Paris schildert, wie die der Freud-(Marx)-Bewe­gung entsprungenen „Sozialpsychiater“ selbst in den USA eine Zeitlang die Oberhand gewannen und gar das National Institute for Mental Health (NIMH) vereinnahmten. „The hijacking of a national research centre to pro­mote an agenda of social change seems incredible. The institution… reflected the ‚Zeitgeist’“ (weitere Zi­tate s. nachfolgenden Kasten). „Die“ Psychiater waren da­mals in aller Welt ver­sessen, die deutschen zu­dem von „kompensatori­scher Lei­denschaft“ erfüllt, die Gesellschaft zu verändern und sie (zu­min­dest rhetorisch) von al­l ihren Gebre­chen zu heilen. „Psychis“, die Kar­riere ma­­chen woll­­ten, wa­ren da­mals allesamt „Sozialpsychiater“ – solche, denen die Psy­ch­­iatrie der DDR auch heute noch als „positiv und be­wah­­­renswert“ gilt (RB 1/09,2.7).[19] Neben Psychoanalytikern und Po­liti­kern wa­ren sie die treiben­­de Kraft hinter der Reform. Wer ein noch so dürftiges Pa­pier­chen zum En­­quête-Be­richt bei­trug, hat­te bereits das Ticket für einen psych­ia­trischen Chef­arzt­posten in der Tasche. Das „unfreie System der Planwirtschaft“ legte da in seiner „Ver­korkstheit“ (Philipp Rösler) im Gesundheitswesen los.

8   Effizienz-orien­tier­te und damit Freud-kriti­sche Psych­­­iater lösten in Amerika derweil, so Paris, die lang auch dort do­mi­nierenden Freudianer ab.[20] Einige von ihnen wech­­selten gar selbst zur exakten Wissenschaft über und wur­de auf deren Seite zu Pionieren wie etwa Aaron Beck. Zur Depression ent­wickelte er die (angeb­lich) ef­fi­zi­enz­erprobte Kogniti­ve Therapie.[21] Wissenschaftler und Phantasten wirk­en demnach auch in der Neuen Welt heute noch neben einander. So gibt es auch dort er­heb­liche Reste von Freud-Gläubig­keit und –Gel­tung. Daß die angesehene amerikanische Ärzte-Zeit­schrift JAMA kürzlich den Beitrag[22] zweier deut­scher Psy­chologen, der die Wirksamkeit der „Tie­fenpsy­cho­logie“ angeblich (!) aus­weist, ist wohl sym­ptomatisch. Der Para­digmen­wech­sel verlaufe insgesamt, so Paris, fried­­lich. Die Sache aber sei entschie­den.

Ihr Sündenregister fliegt den Analytikern und den lange mitgelaufenen US-Psych­iatern nun um die Ohren. Der Schriftsteller E. Dolnick[23] etwa er­innert, wie sie Eltern, in Sonderheit „schizophrenogenen“ Müttern kranker Kinder zu all ihrem Un­glück auch noch die Schuld an deren Leiden aufluden. Dolnick wie Paris meinen beide halb ent­schuldigend jedoch, die Psychiater hätten es halt nicht bes­ser gewußt.[24]

Auf die geschichtliche Entwicklung verweisen auch deutsche Psychiater jetzt gern, nachdem sie die Psychoanalyse über Jahrzehnte Platz greifen ließen. Sie stellen diese und solide Wissenschaft jetzt einmal nach und das nächste Mal neben einander, stellen er­stere als zu­mindest historisch interessant, im Handumdrehen dann aber auch als therapeutisch relevant und somit ebenbürtig hin.[25] Sie geben den Schwindel damit immer noch als honorig-emp­feh­lens­­werte Therapie-Alternative aus, ja benützen den guten Ruf ärztlicher Wissenschaft, um Schwindel zu be­stär­ken. Das Ergeb­nis ist, daß zur Anwendung kommen­de Psychotherapien zu drei Vierteln weiterhin freud-ori­entiert sind (RB 1/06,7.3).

Auch in Ame­rika aber lautet die Anklage nicht nur sanft auf hi­storischen Irrtum, sondern rundweg auf Lüge und Be­­trü­gerei (Torrey, FREUDIAN FRAUD – 3.6). Uns steht in jedem Fall ein entschiedenes Urteil zu: Ohne daß unsere einschlägig über Jahre erhobenen Anklagen je ge­prüft worden wären, wur­den und werden wir ausgegrenzt,  die Freudsche Schwin­del­wissen­schaft aber von obersten Ärztevertre­tern, KV-Boß Köh­ler u.a., weiter be­stärkt, Hil­fesu­chende weiter verschaukelt, Zwangs­­­­bei­träge der Kran­kenversicherten, Millionen-, Milliardensummen in den Sand ge­setzt und das ganze Land irrege­führt.

 

Endnoten:

Endnoten    (↵ returns to text)

  1.   Es gibt auch solche, die unsere Kritik am Psychiatriemißbrauch und unsere Freud-Kritik gegen einander auszuspielen versuchen. Von Anfang an ließen es Gegner an Angriffen  (und Unsinnigkeit ihrer „Argumente“) nicht fehlen. Wir bleiben die einzige Grup­pe im Land, die den Mißbrauchsopfern über mehr als dreißig Jahre kompetent und selbstlos beigesprungen ist. Keine Unterstellung soll uns hin­dern, es weiter zu tun, wie es recht und sinnvoll ist.
  2.   „University“ nennt man das Unternehmen hochstaplerisch, weil das deutsche Wort Universität doch für echte Universitäten steht. Auch das ein Trick, Adepten mit akademischen Aus­sichten zu locken und ihnen Geld abzuknöpfen, Studiengebühr € 32.000. DIE WELT vom 29.11.09 textete gleichwohl: „Die Psychoanalyse hat jetzt eine eigene Universität.“ Echte deutsche Professoren aber machen mit, Käche­le etwa (RB 2/07, 6.1) und Freyberger (RB 2/09,7.2).
  3.   In den Gebührenordnungen der Ärzte steht für je­de erbrach­­te Leistung eine Ziffer und für diese dann ein Geldwert, für Freudsche Leistungen fraglichen Heil-Werts ein extra ho­her Geldwert. Will ein Therapeut sie in Anspruch nehmen, muß sich nur zuvor in jedem Behandlungsfall in einem Gutachten als An­hänger der Freudschen Schwindel­lehre bekennen. Gegen alle Verlockungen ging ich selbst diesen Köder-Ziffern mein Be­rufsleben lang aus dem Weg.
  4. Gegen den Mißbrauch der Psychiatrie in der Sowjetunion nahm ich erstmals in DÄ 38/1972 Stellung  (Replik an den da­maligen Bonner Ordinarius Prof. G. Huber: „Soziale oder so­zia­lisierte Psychiatrie?“). Gegen die Machart der Psychiatrie-Reform richtete sich insbe­son­dere mein Beitrag „Achillesferse Psychiatrie oder: Der Countdown einer Sozialisie­rung“ in DÄ 50/1973. Der Beitrag Vom ’Fach’ und ‚Fach­arzt’ für Psycho­­­the­ra­pie in DÄ 40/75 richtete sich gegen die weitere Etablierung des Psychoanalyse-Schwindels. Der linken Psy­cho-Szene widersprechend – eine andere gab’s damals nicht mehr -, lösten die Beiträge schon viel Empörung aus. Daß im April 1976 noch unser Aufruf zur Gründung unserer Ver­eini­gung in einer ganzseitigen (6000 Mark teuren) An­zeige erscheinen konnte, müssen wir dem Blatt zugute hal­ten. In DÄ 8/85 erschien als Titelgeschichte ein letzter großer Bei­trag von mir: „Zeitenwende in der Me­­dizin?“ (gekürzter Nach­druck in RB 4/99,5).
  5. In RB 1/09, Fn 61 berührte ich meine eigene tiefenpsychologische „Ausbildung“ 1964-66 in Berlin. Ein glück­li­ches Schicksal, die Möglichkeit nämlich, meine fachärztliche (psychiatrisch-neurologische) Weiterbildung an der Univ.-Nerven­klinik in Mün­chen ab­schließen zu können, befreite mich aus ihr. Es dauerte aber noch länger, bis die irritierendsten freudschen Verbildungen abgestreift waren.
  6. DER STACHELDRAHT (für Freiheit, Recht und Demokratie!) 8/09 berichtete über den Kongreß der UOKG am 24.10. 09 und dabei über die Ausführungen der Psychiaterin Ebbinghaus. Daß ihr Leugnen des systematischen Psychiatriemißbrauchs von einer anderen Psychiaterin vor etwa hundert Zuhörern offen als Lüge markiert wurde (RB 2/09,2.1), unterschlug die Zeitschrift. Selbst Opfer-Organe glätten die Geschichte, spielen kommunistische Verfolgung herunter. Darüber sind innerhalb angesehener Opfervereine inzwischen Schlammschlachten aufgekommen.
  7. Die Psychiatrie hat die Angst, die „normale“ wie die krank­hafte, die verbreitetste seelische „Störung“ unter den Menschen überhaupt (RB 1/05,3), lange nicht wahrge­nom­men. Die Soziale Phobie wurde erst in den 1970ern identifiziert und damit (verhaltens-) the­rapeu­tisch und medikamentös effektiv angehbar.
  8. Bormuth M., KARL JASPERS UND DIE PSYCHO­ANA­LYSE, frommann – holzboog, 2002 – s. auch RB 2/07, Fn32
  9.   Fälle politischer Anpassung sind in der Fa­milie mehrfach bekannt geworden.
  10. Infam genug unterstellte Mitscherlich in der Einführung in seine zehnbändige Freud-Studienausgabe, „daß jeder, der intellektuelle Einwände gegenüber der Psychoanalyse oder ihrer richtigen Auslegung hege, sich selbst fragen müsse, ob er nicht zuletzt nur antisemitischen Vorurteilen Folge leiste“, ungeachtet der Einwände auch vieler jüdischer Gelehrter, nicht erst der von Han Israels, RB 1/07, 5.1-2).
  11.   Die Einrichtung des Deutschen Instituts für psychologische Forschung und Psychotherapie unter der Leitung des Hermann Göring-Vetters Matthias habe, so Bor­muth (S. 171), zu bester Nazi-Zeit die (vordem) unterschiedlichen Schulen der Psychotherapie zusammengeführt und so ihre „professionelle Kon­solidierung und Etablierung“ vorangebracht.
  12.   Einzelne richtige Beobachtungen und Schlußfolgerungen einzelner Freudianer und Marxisten hellen  ihre insgesamt ne­gativen Bilanzen nicht auf. In noch so miesen Systemen sind mitunter auch nützliche Dinge entstanden – z.B. Autobahnen.
  13.   Letztlich waren es das Geld der Rockefeller-Stiftung und „der politische Druck des Justizministers Carlo Schmid“, die 1950, schreibt Bormuth, zur Eröffnung der „FreudKlinik“ an der Heidelberger Universität führte.
  14. aus „Einführung in die Psychiatrische Klinik“ (1916): Zu Freud  „läßt sich mit Bestimmtheit aussprechen, daß die Heilerfolge … in keiner Weise über das durch andere Suggestivverfahren Erreichbare hinausgehen.“
  15.   Aus Rechen­schaft und Ausblick Piper, München, 1951. – ähnliche Ausführungen u.a. in Jaspers’ „Kleinen Schule der Philosophie“ von 1964. Zeit seines wissenschaftlichen Lebens ist Jaspers  der Pseudowissenschaft entgegengetreten, versuchte er dem Ungeist zu wehren.
  16.   Schritt um Schritt hat die Ärzteschaft seit dem Kongreß, dem Anlaß der Philippika Jaspers’, alle „Vorsicht, als ob etwas daran sein könne“, fahren lassen. Aus vol­­len Zügen und ungehemmt gab sie der  Schwin­delwissenschaft bei.
  17.   Für ihre Hilfe zu seinem Buch dankte Bormuth s.o.) u.a. der Österreichischen Karl Jaspers Gesellschaft. Auch die­se freilich läßt von der Freud-Kritik ihres Namenspatrons, die diesem doch sein ganzes wissenschaftliches Leben lang ein erstrangiges Anliegen war, nichts mehr verlauten. Das heiße Ei­sen scheint auch ihr zu heiß zu sein.
  18.   laut DÄ 19/08 ein weiterer „Pionier der Psycho­so­ma­tik, Wegbereiter der psychoanalytischen Familientherapie, an­er­kannter Sozialphilosoph, Leitfigur der Friedens­bewe­gung“ usw. usf., kurz: „ein unbequemer Vor­denker
  19. Über den psychia­tri­schen Universitätsbetrieb Bonns hat der deutsch-amerikanische „Sozialpsychiater“  Prof. Karl Koehler im Antipsychiatrieverlag ein Büchlein, eine Groteske herausgebracht: GUMPEL­MANN, 2004, von Zoten triefend.
  20. Bei Aufgabe der Psychoanalyse wird die Psychiatrie das Psychotherapeutische nie aufgeben (können). So viele Sün­den ihr auch anhängen, wird sie weiter frequentiert bleiben. An wen sonst sollen sich die Kranken denn wenden?
  21.   Das ist etwas anderes, als etwa großartige For­schungs­arbeit zu leisten und, auf die Meriten gestützt, dann nach Art Eric Kandels wieder Freud-Kult zu betreiben.
  22.   Leichsen­ring F, Rabung S. Effective­ness of long-term psychodynamic psychotherapy – a meta-ana­lysis. JAMA 2008; 300:1551-65. Die Arbeit ist reichlich verschlüs­selt und so­mit kaum überprüfbar. Sie  suggeriert aber allein mit ihrem Erscheinen in der angesehenen JAMA Stimmigkeit. Dar­an ist de facto gar nichts. Im Beitrag „Zur Wirksam­keit der Psychotherapie“ haben wir in RB 2/02,5.2. die fehlende Stich­haltigkeit der bis dahin vorgelegten Ef­fi­zienz­nach­wei­se ausgebreitet. Selbst wenn nachträglich noch reelle Nach­­weise kämen, gilt unverändert, daß über Jahrzehnte den Be­handlungen jede ernsthaft wissenschaftliche Grundlage ab­ging, sie letztlich betrügerisch waren.
  23. Dolnick Edward, Madness on the Couch: Blaming the Victims in the Heydays of Psychoanalysis, Simon & Schuster, 1998.
  24. Auch moderne Freud-Nachfolger wie J. Bowlby, P. Fonagy u.a. verunsichern Kinder, Eltern und Gesellschaft wahrscheinlich mehr, als sie sie bestärken.
  25.   so etwa Dr. Fric und Prof. Dr. med. Dipl.Psych. G. Laux in NeuroTransmitter 1/2010, in dem Beitrag „Mulitmodale Behand­lungskonzepte für die „Sor­genkrankheit“. Andere versuchen derweil heimlich sich von Freud davonzustehlen (NPZ 1/10 etwa findet: Verhaltenstherapie nützt auch oh­ne Ursachen­klärung.)  Unter dem gleichen Etikett „Psychotherapie“ und immer zum gleichen Preis verkaufen die Herrschaften unterschiedlichste Inhalte, ihre Wirksamkeit nie näher diskutierend. Gern ziehen sie bei passender Gelegenheit aber Freud unter dem Ladentisch wieder hervor.

Aufstieg und Fall Freuds drüben (und hüben?)


Freud, die Psychoanalyse und die Folgen waren über die Jahre oft Themen auch der  GEP-Rund­briefe. Nun kam der Wunsch auf, die umfänglichsten, jeweils spezielle Aspekte beleuchtenden Beiträge im deutschen INFC-Teil zusammenzustellen, um sie den speziell interessierten Lesern leichter und konzentrierter zugänglich zu machen. Freud spielt ja in alles Weitere von uns Behandelte hinein, ist vielfach Ursprung und Basis der von uns aufgezeigten Nöte.

Der folgende Artikel stand erstmals im GEP-Rundbrief 1/08,3. Er war im Januar 2008 beim Rheinischen Merkur zur Publikation ein­gereicht worden. Auf Nachfrage teilte die Redaktion mit, es sei bei ihr für den Be­reich Wissenschaft zur Zeit niemand voll zuständig, um über einen Abdruck zu be­finden. Inzwischen ist das lang bischöfliche unterstützte Blatt sanft entschlafen.

1. Seit hundert Jahren beansprucht die Psychoanalyse Deutungshoheit über den Menschen. Sie wurde ihr nach 1945 von Amerika aus in der ganzen westlichen Welt zunehmend auch eingeräumt. Der Kulturbetrieb, die Medien, die Intellektuellen begeisterten sich an ihr. Die Ärzte machten sie zu einem integralen Bestandteil der gesundheitlichen Versorgung im Land. In dem berühmten Bericht der Enquête-Kommission von 1975 „über die Lage der Psych­­­­­iatrie in der Bundesrepublik Deutsch­land“, einer „Unterrichtung durch die Bundesregierung“(drs 7/4200, S. 293), wurde das „von der Psychoanalyse entwickelte Konzept der Entstehung neurotischer und psychosomatischer Erkran­kungen“ als gesicherte Erkenntnis verkündet und entspre­­chende Behandlungen forciert. „Be­ratung und The­rapie“, hieß es, „müs­­­sen so früh wie möglich einsetzen, um der Chronifizierung von Krisen und Krank­heiten … vorzubeugen.

Nun ist in den letzten Jahrzehnten just von Amerika aus eine Kritik laut geworden, die besagtes Kon­zept von Grund auf erschüttert. Profunde „Freud-Ge­lehrte“ –  die kritische Durchforstung der Gesam­melten Werke Freuds hat tatsächlich etwas wie eine neue Fach­dis­zi­plin hervorgebracht – wiesen die Theorien und Me­tho­den des berühmten Wieners und seiner An­hänger als fragwürdige Kopf­geburten aus.

2.  Unter den vielen Freud-Kritiken, die heute so besonders im eng­lischen Sprachraum kursieren – kaum etwas ist davon auf deutsch erschienen -, ist das Buch des amerikanischen Psych­­iaters E. Fuller Torrey FREU­DIAN FRAUD (Freud’sche Betrügerei), HarperCollins, 1992, besonders bemer­kens­wert. Torrey bekleidete über Jahre eine hohe Stellung am National Institute of Mental Health (NIMH) der USA. Primär um die dortige Situation kreisend, ist sein Buch auch für uns von Belang, weil hier­zulande doch nur bruchstückhaft bekannt ist, wie die Lehre „drüben“ ihre Geltung erreichte, bevor sie dann über uns kam.

Seine erste Anhängerin in Amerika fand Freud, so Torrey, in der Anar­chi­stin-Femi­nistin Emma Gold­man, die ihn, die gesellschaft­­liche Sprengkraft seiner Sexualtheo­rien erfassend,[i] schon 1895 in Wien aufgesucht hatte. Auch über zwischenzeitliche Inhaftierungen und ihre spätere Abschiebung in ihr (nach 1917) sowjetisches Herkunftsland[ii] hinaus blieb sie seine umtriebige Propa­gan­­­­distin. 1909 weilte Freud zu einem Vortrag an der Clark University in Worcester, Massachusetts, „Red Emma“ in der er­sten Reihe seines Auditoriums. Auch danach brachten Freud weiteren Zulauf nicht die the­ra­peu­ti­schen Versprechen seiner Lehre, sondern deren „Sex-Appeal“ – insbesondere im links-li­beralen New Yorker Künstler-Vier­­­­tel Greenwich Village bei den dort zentrierten In­tel­lek­tuel­len, Mar­­xisten, Trotzkisten, „Freigeistern“, brachte ihm zu­dem die för­dern­de Aufmerksamkeit einflußreicher Medien.

Weiter bekannt und bedeutsam wurde die Psychoanalyse über den lang und heftig anhaltenden Aus­ein­an­derset­zun­gen in den Staaten um „nature / nurture“, zwischen solchen also, die den Menschen vom Ererbten[iii] und solchen, die ihn vom Erlebten her erklärten. Bei Freuds Betonung frü­her sexueller Kind­heitstraumen standen die Freu­dianer natürlich auf Seiten letzterer und be­haup­­teten mit ihnen dann auch das Feld. Ihnen gesellten sich ab 1933 die aus Nazi-Deutsch­­land vertriebenen Analytiker zu, die aus der alten „Nähe zwischen Freud und Marx“ jetzt so etwas wie eine „Bluts­gemeinschaft“ mach­ten, „Partisan Review“, das führende In­tel­lek­tuel­lenmagazin der USA damals, die Presse, die Theater des Broadway, die Sozialarbeit und Sozialpädagogik ihr bevorzugter Tummelplatz und Resonanzboden.

3.  Freud gewann so ab den 20ern in den USA zunehmend Einfluß auf die Kindererziehung, die Rechtsprechung, das Meinungsklima insgesamt. Erster Höhepunkt 1945 unter dem Eindruck der Bilder vom Holocaust – Freud selbst ein Verfolgter, vier seiner Geschwister in KZs er­mordet. Als mit dem dann einsetzenden „kal­­ten Krieg“ eine Distanzierung von Stalin und damit auch von Marx not­wendig wurde, stieg Freud, jetzt posthum, bei den ame­rikanischen, zur Hälfte jüdischen Intellek­tuellen als Idol noch höher, womit er auch in deutschen Landen wieder landen konnte, hier wie dort[iv] bald von den Linken wieder eingeholt, neuen Linken, Fidel, Che, Ho Chi Minh, Mao, Marcuse usf., ihre nicht nur stu­den­ti­sche Suite in den Staaten meist als „li­be­ral“ ge­han­delt, primär so von den „Demokraten“, ansonsten „außerpar­lamentarisch“ unterstützt, ab Mitte der 50er u.a. von und mit der „Mental Health-Bewe­gung“.

Sie konkretisierte sich unter John F. Kennedy ab 1963 auch über die Kuba-Krise hin­weg in kompakten Einrichtungen und Programmen, u.a. in über das Land verteilten, aus Bun­des­mit­teln getragenen Com­munity Mental Health Centers (CMHC). In ihnen sahen manche früh-so­wje­tische Utopias „neuer Men­schen(ma­che)“ wieder auferstehen. Sie wurden aber auch von „Republikanern“ letztlich akzep­tiert. Sie verspra­chen, psychischer Krank­heit und sonstigen Übeln, nicht zuletzt der Ar­mut zu wehren, ja ihnen vorzubeugen, versprachen gar „die psychische Gesund­heit der Bevöl­kerung“ zu vermehren. In jedem Fall ver­breiteten sie Freud’sche Ideologie weiter und vermehrten, ver­zwan­zig­fach­ten die Zahl der „Psycho-Pro­fis“. Sie nährten, verbreiteten  den Rauschzustand der 68er Kulturre­vo­lu­tion, womit sich der Freud-Marxis­mus noch fester in ALLE Winkel der amerikanischen, ja der westlichen Ge­sell­schaf­­ten eingrub, besonders in Erziehung, Schu­le, Uni­ver­si­täten, Medien, die Unterhal­tungs­in­dustrie, die Recht­sprechung, die Kirchen und nochmals natürlich in die Heilkunde selbst, besonders Psych­iatrie und Psy­cho­lo­gie. „McFreud“ über­all – hüben und drüben. Dort freilich begann in den 70ern mit Henry F. Ellen­berger[v] auch schon der Paradigmenwechsel, die Ent­­zau­be­rung Freuds.

4.  Es ist hier nicht Platz, Torreys Ausleuchtung der psychoanalytischen Durchdringung ALLER Lebensbereiche in den USA nachzuzeichnen. Ein Bereich nur sei wegen seiner Aktualität auch hier­zulande als Beispiel herausge­griffen, die Durchsetzung und da­mit Verwandlung der Rechts­prechung. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts wurde im angelsächsischen Strafrecht die Schuld eines Verbrechers bei offensichtlicher psychischer Erkrankung als aufgehoben oder vermindert angesehen, fraglos ein hu­ma­nisierendes Element in der Rechtspraxis (RB 2/07, 2.1). Schon ab den 20ern aber wurde, so Torrey, die Gerichtspsychiatrie in den USA mehr und mehr von Freu­dianern (W. Healy, B. Glueck, W.A. White, später K. Men­ninger) besetzt. Sie stellten das Prinzip der Schuld grundsätzlich in Frage und machten damit 1924 erstmals Geschichte. Zwei junge, aus wohlhabenden Familien stam­men­de Män­ner, Leopold und Loeb, 19 und 18-jährig, hatten wohl durchdacht ein 13-jäh­­­riges Mäd­chen ermordet und ihre Leiche in einem Ab­wasserkanal nahe Chicago „entsorgt“. Vor Gericht pauk­ten sie geschickte An­wälte und als Zeugen der Verteidigung einige der besagten Psycho-Experten unter an­ge­le­gentlicher Teilnahme der Medien[vi] heraus.[vii]

Das Verbrechen war laut Healy „nur möglich aufgrund psychischer Abnormität mit pathologischer Spaltung der Persönlichkeit“. Die Schuld, sagte Glueck, läge bei den El­tern. White, der Star-Foren­si­ker damals, der ge­rade Prä­sident der ame­­­rikanischen Psychiaterfachgesellschaft ge­worden war, lastete ihnen bei aller Zuerkennung be­ster Ab­sichten „Vernachlässigung“ an. Standesgemäß waren die Täter in ihrer Jugend von Kindermädchen betreut wor­den. Eines da­von, so White, sei „prüde und streng“ gewesen, habe „schrecklich zu den Haus­aufgaben an­gehalten“. „Als Konsequenz solcher Kind­heits­erlebnisse“ hätten sich die „antisozialen Tendenzen“ entwickelt.

Besagte Ex­perten,[viii] die natürlich höchste Honorare kassierten – White, der gleichzeitig Beamter war, wurde später dafür belangt -, setzten eine Praxis in Gang, die den genannten vernünftigen Rechts­grundsatz leicht pervertierte. Glueck hatte in seinem Buch „Studies in Forensic Psych­­­iatry“ allem Verbrechen ein „psychisches Trauma“ zugrunde gelegt. White, der Verbrecher als „Geiseln ihres Unbewußten“ darstellte, plädierte konsequent für die Abschaffung aller Gefängnisse und ihren Ersatz durch Psych­iatrische Behandlungszentren, ähnlich wie es der Früh-Kom­munist Wilhelm Weit­ling vordem schon gefordert hat (RB 3/78, S. 19). Das Problem der Schuld wird von Psych­­­­­iatern, Psy­chotherapeuten, heute auch „Neuro-Wis­senschaftlern“ (RB 1/04,4.1-4) immer wie­der gewälzt. Außer in dem Ausnahmefall ernster psychi­­scher Erkrankung konnten sie es freilich näher nie be­stimmen. Hier­zulande diskutiert man aus aktuellem Anlaß, wann Ju­gend­strafrecht beginnen oder enden soll.

5.  Während Freud hierzulande aber mit der 68er Re­vo­lution erst voll zur Geltung kam, begann „drü­ben“, wie ge­sagt, schon sein Abbau. Zunehmend wurden an Freud Unregelmäßigkeiten entdeckt, wozu einige sei­ner eigenen Mitteilungen beitrugen. Mit Sigmund Freud – Briefe an Wilhelm Fließ 1887 – 1904 brachte  Jeffrey M. Masson, ein dissidenter Analytiker, 1985 erstmals auf englisch (deutsche Ausgabe 1986 bei S. Fischer) die vertraulichen Mitteilungen des Meisters an seinen lang­jährigen Intimus un­gekürzt (!) heraus. Mit ihnen kam die kritische Freud-For­schung in eng­lisch- und französisch-sprachi­gen Ländern in Schwung, auch dort na­türlich gegen ge­nügend Widerstände. Es wurde jetzt möglich, Freuds „offiziell“ ausgedruckte Be­haup­­tungen mit vertraulich abgege­benen zu vergleichen. Eine Fülle von Ungereimt­­heiten, ja eine sein ge­samtes Werk durchziehende Unredlichkeit tra­ten so ans Ta­geslicht. Einige Beispiele:

–          Freud empfahl 1884 – es war quasi sein erstes eigenständiges Forschungsprojekt – seinem über qualvollen Schmerzen morphinabhängig gewordenen Freund und Kolle­gen Fleischl von Mar­xow das damals noch unerforschte Kokain zur Entwöhnung. Er publizierte die „Entziehungskur“ im gleichen und folgenden Jahr als erfolgreich, wobei er empfahl, bei „ähnlichen Entziehungskuren Cocain in subcuta­nen In­jectionen… zu ge­ben und sich vor der Häu­fung der Dosen nicht zu scheuen“ (Z. für The­ra­pie, 1.4.1885). Der Freund kam darüber innerhalb kürzester Zeit weiter herunter. Er wurde zusätzlich kokainabhängig. Freud aber verteidigte sein Vorgehen als heilsam öffentlich weiter. Es wurde bald von einem anderen Arzt, dem Sucht-Kli­niker Erlenmey­er überprüft und als nichtsnutzig verworfen. Freud behauptete darauf (1887), Erlen­meyer habe sich nicht an seinen Dosierungsvorschlag ge­hal­ten und ha­be ent­gegen seinem Rat „sub­­kutane Injektionen gegeben“ (Wiener Med. Wo­chen­­­schrift, 9.7.1887).

–          Im Fall der (1880-81 von Josef Breuer behandelten) Anna O. (Berta Pappenheim), pu­bli­ziert von Breuer und Freud  zusammen in Studien über Hysterie, 1895, berichteten die Autoren von der „wun­­derbaren Tat­sache, daß vom Beginne bis zum Abschlusse der Erkrankung alle … ihre Fol­gen durch das Aussprechen in der Hypnose dauernd beseitigt wurden…“ De facto wurde nichts „dauernd beseitigt“. Vielmehr mußte die Patientin unmittelbar nach Breuers Psychotherapie klinisch eingewiesen wer­den.

–          Auch bei seinen eigenen psychotherapeutischen Behandlungen ab 1894 berief sich Freud in Wort und Schrift immer wieder auf therapeutische Erfolge. Seinem Intimus Fließ aber gestand er am 3.1.1897 im Hinblick auf einen bevorstehenden Kongreß: „Viel­leicht habe ich bis Ostern einen Fall zu Ende gebracht“, was doch heißt, daß er bis da­­hin noch nicht eine einzige Behandlung erfolgreich ab­geschlossen hatte.

–          Von diesen Behandlungen behauptete Freud auch spä­­­­­­­ter noch, seine Patient/inn/en hät­ten ihm von se­xu­ellen, in der Kindheit erlittenen Traumen, Ver­füh­run­gen durch ihre Väter berich­tet („ha­bemus papam“, et­wa: Da haben wir den Vater, schrieb er spöttisch-tri­umphierend an Fließ), während weitere vertrauliche Mitteilungen an diesen zeigen, mit wel­cher Kalt­schnäu­zigkeit, ja Brutalität er ihnen solche „Er­in­ne­rungen“ aufdrängte.

–          In seinem „Traum­­muster“ (2. Kapitel der 1899 fertig gestellten TRAUMDEUTUNG) nimmt Freud Bezug auf seinen (angeblichen) Mustertraum vom 23./24.07. 1895 und bei dessen Ausdeutung auf eine Di­ph­the­rie­er­krankung seiner Tochter Mathilde im Jahr 1893. Er exem­pli­fi­ziert daran die Tätigkeit „des Unbewußten“, macht letztlich seine Traum­theorie, die Letztfassung seiner gesamten Lehre daran fest, wie­wohl es bei Mathilde zum ange­gebe­nen Zeitpunkt – sie machte die Krankheit 1897 durch – eine Di­phtherie, die Immunität hinterläßt, nicht gegeben haben kann (Wil­cocks, RB 1/06,4.3). Der „Mustertraum“, Eckstein quasi des Freud’schen Theoriegebäudes, steht damit auf Sand. Dem ruhm- und karrierebedachten Freud war offensichtlich selbst die lebensbe­drohliche Krank­­heit seines Kindes eine Lüge wert.

Manche dieser Flunkereien lagen von Anfang an offen auf. Einige wurden erst in jüngerer Zeit aufgedeckt. Viele angesehene Gelehrte verschiedenster Disziplinen und unterschiedlicher, auch jüdischer Herkunft haben daran An­teil, unter ihnen der Kinderpsychologe Jacques Bénesteau, Toulouse, mit Mensonges freu­diens, der Philosophieprofessor Frank Cioffi, Canterbury, mit Freud and the Question of Pseudo­science, der Literaturprofessor Frederick Crews, Berkeley, mit u.a. Follies of the Wise, der Mathematiker Allen Esterson, London, mit Seductive Mirage, der Psychologe Prof. Malcolm Macmillan, Mel­bourne, mit Freud Evaluated, der Pädagoge Prof. Max Scharn­berg, Upp­sala, mit The Non-Authentic Nature of Freud’s ObServa­tions, der Philologe Richard Webster, Suffolk, mit Why Freud was wrong, der Literaturprofessor Robert Wil­cocks, Edmonton, mit u.a. Maelzel’s Chess Player – Sigmund Freud and the Rhetoric oF De­ceit, um nur einige der ak­tuellsten Forscher auf dem Gebiet und einige ihrer gewichtigen Schriften zu nennen. Die Psychiater Henry F. Ellenberger und E. Fuller Torrey wurden mit ihren Beiträgen schon vor­gestellt.

6.    Entsprechend sind insbesondere in den angelsächsischen Ländern sowohl die Zahlen ana­ly­tischer Behand­lun­gen als auch der Ausbildungskandidaten stark rückläufig. Wie Paul Roazen, ein ebenfalls leicht dissi­den­ter, in­zwischen verstorbener Analytiker, im AMERICAN  Journal of Psychiatry vom Oktober 1994 mit­teilte, war eine Freud’sche Zusatzausbildung in den 60ern Vorbe­din­gung zur Erreichung höherer Funktionen in der Psychiatrie, etwa auch in der Weiterbildung des Nachwuchses. 30 Jahre später war sie für eine solche Po­si­ti­on eher zum Hindernis geworden. Bénesteau nennt in dem genannten Buch eine Reihe ähnlicher Hin­­weise, die den Rück­gang Freud’schen Einflusses in Amerika anzeigen.

Dabei ist Freud auch „drüben“ keineswegs schon erledigt. Erst kürzlich kam das Buch des Psychiaters  und Psychoanalytikers George Ma­kari heraus, Re­volu­tion in Mind: The Creation of Psy­ch­o­­ana­lysis, HarperCollins, New York, 2008, 630 Seiten, über 80 Seiten erklärender End­noten, kennt­nis­reich, flüssig geschrieben. Makari berührt gar einige der oben angeführten Kritikpunkte. Die meisten freilich übergeht er, den Kern ohnedies. Er bleibt letztlich bei der alten Freud-Vergötzung. Im englischen Teil un­serer INFC-Website erschien umgehend Wilcocks’ Kritik des Buches.

In der heutigen Aus­einandersetzung spielt eine wesentliche Rolle, daß mit dem Internet jetzt verlags­un­ab­hän­gige Möglichkeiten der Veröffentlichung exi­stieren, die einen raschen, welt­weiten Informa­tionsaustausch unter den fachlich Interessierten ermöglichen. Das In­ternationale Netzwerk der Freud-Kri­tiker (INFC) publiziert aktuelle Beiträge auf englisch, französisch und deutsch und gibt somit auch dem deutschsprachigen Leser Zugang zu einer der weltweit lebhaftesten Auseinandersetzungen um Mensch und Gesellschaft, von denen er über 30 Jahre abgeschnitten war.

Das markiert in der bei weitem noch nicht ausgestandenen Auseinandersetzung den großen Unter­schied zwischen neuer und alter Welt, daß Freud, der drüben rasch und nachhaltig zur Geltung kam, dort jetzt kritisch dis­kutiert, wenn nicht zerpflückt wird, während er „hüben“, insbesondere im deutsch­spra­chigen Raum erst nach ’45, mehr noch nach ’68 zur Geltung kam, dafür hier jetzt um so unangefochtener herrscht. Von all den lebhaften Kontroversen um Freud im Ausland ist hier kaum etwas be­kannt, geschwei­ge daß nachhaltige Beiträge dazu ge­leistet worden wären.

7.  Was die therapeutische Wirksamkeit der Analyse betrifft, so tendierte diese seit den Tagen der Anna O. gegen Null. Kürzlich stellte dies auch der GEKReport 2007 der Gmünder Ersatzkasse fest. Torrey selbst spricht al­len Psychotherapien eine gewisse Effektivität zu. Glei­che Wirksamkeit aller Psychotherapien hebt freilich auch den Wert aller hinter ihnen stehenden Konzepte einschließlich der Freu­d’schen von den frühkindlichen Trau­mati­sierun­gen bis zum Ödi­­pus­­kom­plex als Ursache späterer Neurosen auf, ihren Wert als the­rapeuti­sches Agens.

Torrey  streift kurz ungünstige Therapieausgänge. Schon eine im Vergleich zum Bevölkerungs­durch­schnitt ungewöhnlich große Zahl früher Freudianer beging Suizid. Jacques Bénesteau führt das in seinem o.g. Buch weiter aus. Vielen Freud-Gläubi­gen, so Torrey, wur­de ihr Glaube an Freud zur sä­kularen Ersatz­religion. Wil­helm Stekel etwa nannte sich „Apostel Freuds, der mein Christus war.“ Auch sein Glaube an die ma­teria­li­stischen, deterministischen Konzepte des Meisters erwies sich als wenig tragfähig. Freud selbst glaubte an Telepathie, Telekinese und ähnlich obskures Zeug, verachtete nur Religion. Noch kurz vor dem Einmarsch der Nazis in Wien bezeichnete er die katholische Kirche als seinen „wah­ren Feind“.

8.  Das Buch Torreys könnte für uns im Deutschsprachigen bedeutsam sein, weil es Versteigungen zu­recht rückt, die mit den 68ern in der Seelen­(heil)-kunde auch hier Platz gegriffen haben. Die Ver­spre­chen wachsender „psychischer Gesundheit der Bevölkerung“ etc. ver­­fingen hier nicht we­niger als drüben, wurden im übrigen hier so wenig wie dort eingelöst, geschweige daß die Psychoanalyse einem menschlichen Ge­brechen oder gesellschaftlichen Übel je „vorgebeugt“ hät­­te. In jedem Fall aber ist es gut, einmal zu er­fahren, wie die Freud-in­spi­rierte Psych­iatrie-Re­form „drü­ben“ so gelaufen ist. Mit Gesund­heitsre­formen ist man „hü­ben“ zumindest rege weiter beschäftigt.

Am drängendsten ist sicher die Frage nach der Wirksamkeit der Psychotherapie, der Freud’schen wie jeder anderen. Unbe­stritten ist die Wichtigkeit des „Wortes“ in der Heilkunde, unbestritten auch, daß das „richtige“ Wort in schwierigen Lebenssituationen erleichternd, ja rettend sein kann, umstritten freilich wie eh und je, ob es lehrbar für alle Wechselfälle des Lebens, insbesondere aber Krank­heiten oder krank­heitswertige Störungen ein solch „rich­­tiges Wort“ gibt, für Fäl­le also, in denen Psycho­the­rapie nach den gesetzlichen Bestimmungen allein zur An­wendung kommen darf. Immerhin sind da nicht nur Millionen-Beträge, sondern vor allem Menschenschicksale im Spiel. Ob darüber hierzulande noch eine realistische Diskussion aufkom­men wird? Entgegen dem, was be­sagte „Unterrichtung durch die (da­mals sozial-libe­rale) Bundesregierung“ als gesichert ausgab, erscheinen Freuds Konzepte heute zweifelhafter denn je.

In Deutschland sieht es dennoch so aus, als wollte die „Psycho-In­du­strie“ (Dineen, RB 2/01,3.1) noch zulegen. Fragen nach ihrem therapeutischen Wert beantwortet sie weiter mit Vorspiegelungen. In DÄ 8/08 behauptete der BÄK-nahe Psychologe Prof. D. Schul­te kürzlich, es ginge heute um neue Metho­den psychothera­peu­ti­scher Be­handlung und ihrer Überprüfung. Als neu führte er die In­terper­sonelle Psychotherapie der H. St. Sullivan und G. B. Chisholm an. Letzterer, der erste Generalsekretär der WHO, bestimmte 1945 (!) „als Ziel aller effektiven Psy­cho­therapie die Aus­merzung von Gut und Böse“. Das Buch George Makaris RE­VO­LUTION IN MIND wird auch in Deutschland jetzt offen­sichtlich viel gekauft, weil sich die Freudianer davon neue Munitionierung versprechen. Freuds Sa­che wird weiter machtvoll „von oben“ ge­stützt. Allein von dieser politischen Unterstützung lebt sie. (3.1) Ob sie „ewig“ so leben kann, bleibt die spannende Frage.


Endnoten:

[i] Zitate aus Freuds Drei Abhandlungen zur Sexu­al­theo­rie (1905): ,,Die Mehrzahl… (ist) der Aufgabe der Ab­stinenz konstitutionell nicht gewachsen…. Die Zunahme der nervösen Erkrankungen (rührt) von… der sexuellen Einschränkung her; … (ist) der Sexual­ver­kehr in legitimer Ehe eine volle Entschädigung für die Einschränkung vor der Ehe… (?) Das Material zur verneinenden Beantwortung die­ser Frage drängt sich so reichlich auf… “  In dem Buch heißt es auch, der ,,Ele­mentar­unter­richt‘  müsse „das Gebiet des Geschlechts­lebens mit umschlie­ß(en)“ und die „We­sens­gleich­heit von Mensch und Tier“ lehren. Gewiß waren und sind das populäre Thesen. Waren und sind sie aber gesichert? Waren und sind sie nicht schon das fast komplette 68er Programm?

[ii] nach Aberkennung ihrer durch Heirat erworbenen US-Staats­bürgerschaft.

[iii] Eugeniker veranlaßten ab1907 in 20 US-Bundes­staaten Gesetze zur „Verhütung der Fortpflanzung Krimineller, Schwachsinniger, Syphilitiker, moralisch und sexuell Perverser“ usf. Bis 1933 wurden so in den USA an die 20.000 Zwangssterilisationen durchgeführt. Über solch grausigen Überziehungen biologischer Konzepte – hierzulande fielen sie bekanntlich noch grausiger aus – war nach 1945 in den USA auch die Selbstverständlichkeit bald nicht mehr diskutabel, daß im Menschen Erlebtes und Ererbtes wirksam sind. Gleichzeitig wurden dort in großem Um­fang verstümmelnde Lobotomien durchgeführt und – DÄ 18/08 vermerkt’s – un­kritisch gepriesen, so unktitisch wie hierzulande heute die Psychoanalyse.

[iv]  Ende der 40er bestand über die Hälfte der Mitglieder der internationalen Freudianer-Zunft (IPA) aus Amerikanern.

[v] Henry F. Ellenberger, THE DISCOVERY OF THE UN­CON­SCIOUS, Basic Books, New York, 1970, deutsch DIE ENT­DECKUNG DES UNBEWUSSTEN, Diogenes, 1985, 1226 Seiten.

[vi]  Sie luden Freud zu dem Termin, boten ihm „welche Summe auch immer“ er verlange. W.R. Hearst, Eigner des Evening American, bot Freud ein eigenes Schiff für die Überfahrt, damit er sie in Ruhe überstünde, „durch an­de­re Pas­sagiere nicht gestört“. Freud mußte infolge einer notwendig gewordenen Kieferoperation absagen.

[vii] Einen ähnlichen Fall haben wir in RB 1/04,4.5 vorgestellt, den des jugendlich sadistischen Serien-Mörders Bartsch, den 1967 un­ter ähnlichem Medien-Tamtam und mit ähnlichen „Argumenten“ herausgepaukt zu haben, sich der Münchner Star-Anwalt Bossi 2004 noch brüstete.

[viii]  Mit ihnen eng verbunden der von uns wiederholt vorgestellte G. Brock Chisholm M.D. (Bild in RB 2/07, 7.8), er­ster Ge­neral­sekretär der WHO, der „die Uminterpretation und letztlich Aus­merzung des Konzepts von Richtig und Falsch“ als „die letz­ten Ziele praktisch aller effektiven Psychotherapie“ be­stimmte und fortfuhr: „Wenn das Menschengeschlecht von seiner es ver­krüp­pelnden Last von Gut und Böse befreit werden soll, müssen es Psychiater sein, die hierfür die Verantwortung übernehmen…“ Auch Torrey vermerkt es kritisch.

Freuds Eroberung des Katholizismus


Freud, die Psychoanalyse und die Folgen waren über die Jahre oft Themen auch der  GEP-Rund­briefe. Nun kam der Wunsch auf, die umfänglichsten, jeweils spezielle Aspekte beleuchtenden Beiträge im deutschen INFC-Teil zusammenzustellen, um sie den speziell interessierten Lesern leichter und konzentrierter zugänglich zu machen. Freud spielt ja in alles Weitere von uns Behandelte hinein, ist vielfach Ursprung und Basis der von uns aufgezeigten Nöte. Der folgende Artikel unter dem Titel „Die Gewinne der Freudianer beidseits des Rheins, ihr Zerrinnen heute beidseits des Atlantiks“ stand erstmals in GEP-Rundbrief 1/05, Kapitel 5

Bei den vielen irrlichternden Geistesgrößen in den westlichen Gesellschaften erweist sich die katho­lische Kirche oft noch als Fels in der Brandung , gewinnt sie in der Diskussion der mensch­lichen wie gesellschaftlichen Probleme auch bei nicht kirchlich Gebundenen darob zunehmende Aufmerksamkeit und Wertschätzung..Andererseits scheint es oft, als ginge die Welle des Zeitgeists auch über sie hinweg. Eines der inter­­essantesten Kapitel ist das zunehmende Eindringen des Freudismus, einer der wirkmächtigsten anti­christlichen Ideologien, in die Kirche. In RB 2/02.1 beleuchteten wir, wie sich das in Deutschland abspielte [1]. Bénesteau beschreibt in MENSONGES FREUDIENS (S. 311 ff) wie es in Frankreich und letztlich international ablief. Folgend ein Auszug:

„… Die Eroberung des Katholizismus, des kirchlichen Milieus durch die Freudianer geht zumguten Teil auf die Umtriebe der Maryse Choisy [2] zurück. Lange stand der Freudismus ob seines offen antireligiösen, vor allem antikatholischen und kulturfeindlichen Inhalts auf den Index, besonders unter Pius XII. Dieser begann gar eine Disziplinierungsaktion im Klerus, der sich allzu bereitwillig von den Sirenenklängen des neuen säkularen Dogmas einlullen ließ. Wie Maryse Choisy in ihren Memoiren von 1925-1939 schreibt – ihr Untertitel: „Sur le chemin de Dieu on rencontre d’abord le diable (Auf dem Weg zu Gott trifft man erst einmal den Teufel)“ –, mußte sie zuerst zum  Kom­­mu­nismus schwingen [3] , bevor sie im Zuge ihrer Begegnung mit Pierre Teilhard de Chardin 1936 zum Katholizismus konvertierte.

Mit religiöser wie psychoanalytischer Prominenz sich umgebend, verbreitete sie durch ihre Zeitschrift PSYCHÉ die Idee einer heiligen Allianz und kreierte darüber hinaus, um ja weit genug auszuholen und ja nicht eine Richtung außer Acht zu lassen, die ’Alliance Mondiale des Réligions’. Sie orga­ni­sier­te im April 1953 einen Kongreß katholischer Psychotherapeuten in Rom. Als Frucht davon kam sie in Begleitung des Lacan-Analytikers Serge Leclaire zu einer Privataudienz beim Heiligen Vater, an der auch Jacques Lacan , der neue Großmeister (der Bewegung in Frankreich – W), teilnahm, der endlich den Fischerring küßte (RB 2/02,1).

Man mußte jedoch auf Johannes XXIII., den Nachfolger Pius’ XII., warten, um ein wirkliches Nach­lassen der Wachsamkeit der katholischen Autoritäten zu erreichen. Zu dieser Zeit war es nun soweit, daß eine große Zahl von Jesuiten dem Freudismus zuneigte, nachdem dieser in die Religion eingedrungen war und beide Dogmengebäude begannen, in einander zu fließen. Einige (Priester) konnten in der Soutane direkt vom Beichtstuhl weg zwischen zwei Messen in der Sakristei ihre „Kuren“ (Lehranalysen – W) machen und in weniger Zeit, als es zur Segnung des Weihwassers brauchte, in Weihrauchschwaden vom Vaterunser zum (Freudschen) Penis-Neid gleiten.

Zu Beginn der 60er Jahre führte Pater Gregoire Lemercier sechzig Benediktiner-Mönche zu einer Gruppenanalyse zusammen, die von zwei offiziellen Analytikern der IPA in einem mexikanischen Kloster in der Nähe von Cuernavaca geleitet wurde. ‚Zwei Jahre später verließen Lemercier selbst und 40 Mönche den Orden, um sich zu verehelichen oder (noch komfortablere) sexuelle Beziehungen einzugehen“ [4] Andere verließen die Kirche, um ihre integren Seelen dem „göttlichen“ Freudismus zu überantworten, z.B. Francois Roustang, ein Jesuitenpater ursprünglich bis zu seinem Treffen mit Serge Leclaire. Diesem verdankt er sein Ausscheiden aus dem Orden, dann seine Heirat und zeitweilige Vermählung mit dem Lacanismus, von dem er sich auch wieder scheiden ließ, um sich, als er von der Analyse gleichfalls enttäuscht war, der Hypnose zu ergeben.

Mitte der 50er Jahre nahmen nach einer ersten Untersuchung von Moskovici 75% der katholischen Publikationen eine sehr positive Haltung zum Freudismus dahingehend an, daß er mehr praktizierenden Fa­mi­lien (60%) zusagte als nicht praktizierenden oder indifferenten (34%). 20 Jahre später wie­derholte Moskovici die gleiche soziologische Studie zum Thema … und zeigte dabei ein noch substantielleres Eindringen der freudschen Idee in das Gemeinwesen und die Kultur. Aus ihrer dominanten Position heraus trug diese Idee jedoch nur teilweise zum opportu­­nisti­schen Wiederaufleben des Kommunismus nach Stalins Tod bei…

Freud sah in den Riten und Gedanken des Christentums Hinweise auf eine an die Zwangsneurose heranreichende psychische Pathologie. Was die Psychoanalyse stört, ist ein Glaube, der nicht Psycho­analyse ist. Sind doch Analytikern irrationale religiöse Glaubensrichtungen und Ideologien, Marxismus inbegriffen, wenn nicht vom Freudismus imprägniert, analytischer Interpretation bedürftig, wenn sie schon nicht behandelbar sind. Die russischen Opponenten gegen das kommunistische Re­gime wurden zu Geisteskranken erklärt (zu „asymptomatischen Schizophrenen“) und erhielten die ‚verdiente’ Behandlung…“

 

Endnoten    (↵ returns to text)

  1. Noch kurz vor dem Einmarsch der Nazis in Wien nannte Freud die katholische Kirche „meinen wahren Feind„. In Deutschland sorgten für seine Akzeptanz im katholischen Milieu besonders Albert Görres und natürlich Christa Meves. Verschleiernd sprach sie statt von Psychoanalyse stets von „Tiefenpsychologie“.
  2.  Bénesteau schildert sie als Hanna Dampf in allen Gassen, die sich im richtigen Moment am richtigen Ort ein fand, um Verbindungen mit wichtigen Personen zu knüpfen, eine Journalistin, die leichten Zugang zu den Mächtigen und Berühmten hatte, zu Staatsleuten, Gelehrten, katholisch Prominenten, Ärzten, Schauspielern, Schriftstellern, zu „all denen, von denen man spricht, damit das Volk zuhört.“ 1946 gründete sie „PSYCHÉ – Revue internationale de Psychoanalyse et des Sciences de l´ Homme“, die seit 1947 auch in Deutschland erscheint, hier u.a. von A. Mitscherlich begründet als „Zeitschrift für Psychoanalyse und ihre Anwendungen“.
  3.  Zuerst schwang Choisy zum Okkultismus, gründete AROT, L’Association pour la Rénovation de l’Occultisme Traditionel. Ein Okkultist war freilich mit anderen Psychoanalytikern auch Freud selbst.
  4.  Roudinesco E. & Plon M., DICTIONAIRE DE PSYCHANALYSE, Fayard, (1997) 241